Predigt : Ich lasse mir die Freude an der Kirche nicht nehmen

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Predigt : Ich lasse mir die Freude an der Kirche nicht nehmen
(Johannes 16, 16-33)
« Ich lasse mir die Freude an der Kirche nicht nehmen », so sagte
der Freiburger katholische Pastoraltheologe Leo Karrer, der am 10.
April seinen 80. Geburtstag feierte. Leo Karrer war bis 2008
Professor für Pastoraltheologie an der Universität Fribourg.
« Ich lasse mir die Freude an der Kirche nicht nehmen ». Ein Satz,
der mich nachdenklich gestimmt hat.
Habe ich Freude an meiner Kirche ? Haben Sie Freude an Ihrer
Kirche ? Und was verstehen wir unter Kirche ? Unsere Kirchgemeinde
Villamont, unsere Herkunftsgemeinde, die waadtländer reformierte
Kirche EERV oder gar die allgemeine christliche Kirche ?
Freude und Kirche – passt das zusammen ? Welche Erfahrungen
haben wir in den letzten Monaten und Jahren mit unserer Kirche
gemacht ? Haben wir Freude am Miteinander ?
Freude erfahren wir gerne. Und es gibt viele Gelegenheiten, sie im
Alltag zu erfahren. Ich kann mich freuen darüber, wenn ich morgens
aufstehe und ich einen neuen Tag erleben darf. Ich kann mich freuen
über den aufkeimenden Frühling. Ich freue mich über das gelbe
Rapsfeld gerade neben meinem Haus. Ich habe mich über die ersten
Schritte meiner Tochter gefreut. Ich freue mich über
überraschende Begegnungen. Ich freue mich über ein frisches Stück
Brot mit Käse und einen guten Rotwein.
Spuren der Freude kennen wir alle. Wer mit den Spuren der Freude
in Berührung kommt, der verspürt schnell eine neue Art von
Lebendigkeit und Freiheit, Leichtigkeit und Heiterkeit. Diese Freude
tut uns gut, an Körper und Seele. Wir werden rundum erneuert.
Predigt vom 07. Mai 2017, reformierte Kirchgemeinde Villamont, Pfr. Claudia Bezençon
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Wenn ich aber mit meiner Freude in Berührung kommen will, dann
muss ich auch bereit, die schwierigen Erfahrungen meines Lebens
anzuschauen. Anselm Grün bemerkt dazu : « Zur Freude gehört auch
die Trauer. Wer sich weigert, der eigenen Traurigkeit, dem eigenen
Schmerz über Kränkungen, dem bedrückenden Alleinsein und
Alleingelassenwerden ins Auge zu schauen, der wird auch keine
Freude erleben. Er wird ständig in Angst leben, dass er von
depressiven Gefühlen eingeholt wird. Nur wer alle Gefühle zulässt
und ihnen auf den Grund geht, wird in seinem Innern auch die Freude
finden, die unter allem Aerger, aller Eifersucht, aller Angst udn Wut
als Grundstimmung bereitliegt ».
In dem Text aus Johannes 16, den wir heute Morgen gelesen haben,
spricht Jesus genau diese Erfahrung an. Jesus bereitet in den
sogenannten « Abschiedsreden » seine Jünger auf seinen
bevorstehenden gewaltsamen Tod vor. Und die Jünger vermögen
nicht zu verstehen, was Jesus ihnen sagt : “ Was bedeutet das, was
er zu uns sagt: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht
sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen;
und: Ich gehe zum Vater? Da sprachen sie: Was bedeutet das, was er
sagt: Noch eine kleine Weile? Wir wissen nicht, was er redet.“
Die Jünger können nicht verstehen, was Jesus ihnen sagt. Und das
kennen wir ja auch von uns. Eine schlechte Nachricht vom Arzt, eine
nicht bestandene Prüfung, der Partner, der die Beziehung beenden
will, die Tochter, die ihre Ausbildung abbricht. Wir können es einfach
nicht begreifen.
Jesus versteht seine Jünger und erklärt es noch einmal mit grosser
Geduld, noch bevor sie ihm selber die Frage stellen: „Da merkte
Jesus, dass sie ihn fragen wollten, und sprach zu ihnen: Danach fragt
ihr euch untereinander, dass ich gesagt habe: Noch eine kleine Weile,
dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals eine kleine Weile,
dann werdet ihr mich sehen? Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr
werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen; ihr
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werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll in Freude verwandelt
werden.“
Traurigkeit und Freude gehören zusammen, genau wie negative und
positive Erfahrungen. Das eine geht nicht ohne das andere.
Und obwohl wir das wissen, braucht es Zeit, einen Verlust
anzunehmen. Nicht umsonst beinhalten ganze fünf Kapitel im
Johannesevangelium die Jesus Abschiedsreden.
Jeder, der schon einmal eine nahestehende Person verloren hat, kann
sich in den Fragen und Aengsten der Jünger wiederfinden : « Was
bedeutet das alles ? Was wird geschehen ? Wo gehst Du hin und was
soll aus uns, aus mir werden ? »
Wir kennen das Gefühl der Angst. Angst vor der Zukunft, Angst, die
falsche Entscheidung zu treffen, Angst vor unseren Mitmenschen,
Angst vor Krankheit und Tod, Angst, allein zu sein.
Angst – Jesus redet sie nicht weg, er redet sie nicht schön.
Zum Menschsein gehört die Angst. Und Jesus hatte Angst, als er am
Kreuz einsam und allein starb. Jesus kann uns unsere Angst nicht wegnehmen. Sie bleibt. Aber er
gibt uns diese Zusage : « In der Welt habt ihr Angst ; aber seid
getrost, ich habe die Welt überwunden ». Jesus ist gestorben und
auferstanden und hat dadurch die Welt überwunden. Das glauben wir
und das ist auch uns versprochen. Mehr noch : anstatt Angst und Traurigkeit soll Freude stehen.
« Auch ihr habt nun Traurigkeit, aber ich will euch wiedersehen, und
euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch
nehmen. »
Jesus gibt seinen Jüngern ein kraftvolles Werkzeug mit, das Gebet.
« Ich sage euch : Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in
meinem Namen, wird er’s euch geben. Bisher habt ihr um nichts
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gebeten in meinem Namen. Bittet, so werdet ihr empfangen, auf dass
eure Freude vollkommen sei ».
Beten bringt also Freude. So einfach ist das ! Ist das so einfach ?
Das erinnert mich an diese kleine Geschichte : « Ein kleiner Junge
fragte seine Eltern : Ich bete gleich. Braucht ihr etwas ? »
Sicherlich haben wir Mühe als erwachsene, aufgeklärte Menschen so
zu beten. Und oft reden wir auch gar nicht über das Beten. Selten
höre ich Menschen zu mir sagen : « Beten Sie für mich, Frau
Pfarrerin ? ». Das Beten wird höchstens angedeutet : « Denken Sie
an mich, Frau Pfarrerin ? ». Beten ist an sich ganz einfach : « Ich bete gleich. Braucht ihr
etwas ? »
Beten heisst aber, unser Wissen und unser Kontrollbedürfnis hinter
uns zu lassen und uns ganz in die Liebe Gottes hinein begeben. Das
Machenwollen, das geht beim Beten nicht. Beten braucht Zeit und
Raum und Vertrauen und Liebe. Wenn wir uns so in Gottes Liebe hineinfallen lassen, dann können wir
auch manchmal die Erfahrung machen, dass unsere Freude
vollkommen wird. « Bittet, so werdet ihr empfangen, auf dass eure
Freude vollkommen sei ». Aber das ist ein Geschenk. Die wörtliche
Uebersetzung des griechischen Textes deutet das auch an : « ihr
werdet mit Freude-Erfülltgewordene sein ». Das ist völlig passiv. Das
kann man nicht machen, das bekommt man geschenkt.
Liegt hier nicht ein Teil der Antwort zu unserer Ausgangsfrage ?
Kirche und Freude, gehört das zusammen ? Viele unter uns wissen,
wie anstrengend und aufreibend das Leben in einer Kirche sein kann.
Da gibt es so viel zu besprechen, zu entscheiden, die Finanzen
müssen stimmen, Konflikte und Missverständnisse sind fast
unvermeidbar. Und viele unter uns leiden manchmall darunter. Das
gehört mit zum Leben in einer Kirche, ist aber absolut nicht das
Wesentliche.
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Als Christen und Christinnen in der Nachfolge Jesu sind wir dazu
berufen, uns miteinander zu treffen, die Bibel zu lesen, Brot und
Wein zu teilen und zu beten. Und wenn wir das einfach und aufrichtig
tun, dann stellt sich auch die Freude ein, davon bin ich überzeugt. Statt mutlos und resigniert unsere Kirche zu betrachten und von
ihrem baldigen Ableben zu sprechen, könnten wir einfach die
Gemeinschaft mit Schwestern und Brüder pflegen und die Freude am
Evangelium teilen.
Denn die Frage ist doch schlussendlich : Auf wen setzen wir unsere
Hoffnung ? Was ist unser Auftrag als Gemeinde und Kirche ?
Wir dienen doch einer Liebe und sind verankert in einer Hoffnung,
die wir uns nicht selber schaffen können.
Und wie oft haben wir schon erfahren, dass in unserer Kirche, auch
wenn sie manchmal zu sehr « menschelt », Menschen wieder zur
Liebe und Hoffnung finden. Und das ist doch unser Auftrag, die
Auferstehung zu bezeugen und damit auch jeden Tag ein bisschen
mehr Auferstehung zu erfahren.
Dietrich Bonhoeffer ermutigt uns zur Freude mit diesen Worten :
« Wie sollen wir den freudlos und, mutlos Gewordenen helfen können,
wenn wir nicht selbst von Mut und Freude getragen sind? Nichts
Gemachtes, Erzwungenes, sondern etwas Geschenktes, Freies ist da
gemeint. Bei Gott wohnt die Freude und von ihm kommt sie herab und
ergreift Geist, Seele und Leib, und wo diese Freude einen Menschen
gefaßt hat, dort greift sie um sich, dort reißt sie mit, dort sprengt
sie verschlossene Türen. Es gibt eine Freude, die von Schmerz,
Not und Angst des Herzens gar nichts weiß; sie hat keinen
Bestand, sie kann nur für Augenblicke betäuben. Die Freude
Gottes ist durch die Armut der Krippe und die Not des Kreuzes
gegangen; darum ist sie unüberwindlich, unwiderleglich ».
Ich habe Freude an meiner Kirche ! Trotz allem !
Amen.
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Johannes 16, 16-24
16 Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen;
und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen.
17 Da sprachen einige seiner Jünger untereinander: Was bedeutet
das, was er zu uns sagt: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich
nicht sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich
sehen; und: Ich gehe zum Vater?
18 Da sprachen sie: Was bedeutet das, was er sagt: Noch eine kleine
Weile? Wir wissen nicht, was er redet.
19 Da merkte Jesus, dass sie ihn fragen wollten, und sprach zu ihnen:
Danach fragt ihr euch untereinander, dass ich gesagt habe: Noch
eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals
eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen?
20 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet weinen und klagen,
aber die Welt wird sich freuen; ihr werdet traurig sein, doch eure
Traurigkeit soll zur Freude werden.
21 Eine Frau, wenn sie gebiert, so hat sie Schmerzen, denn ihre
Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie
nicht mehr an die Angst um der Freude willen, dass ein Mensch zur
Welt gekommen ist.
22 Auch ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen,
und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von
euch nehmen.
23 Und an jenem Tage werdet ihr mich nichts fragen. Wahrlich,
wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet
in meinem Namen, wird er's euch geben.
24 Bisher habt ihr um nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, so
werdet ihr empfangen, auf dass eure Freude vollkommen sei.
Predigt vom 07. Mai 2017, reformierte Kirchgemeinde Villamont, Pfr. Claudia Bezençon
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Johannes 16, 25-33
25 Das habe ich euch in Bildern gesagt. Es kommt die Stunde, da ich
nicht mehr in Bildern mit euch reden werde, sondern euch frei
heraus verkündigen von meinem Vater.
26 An jenem Tage werdet ihr bitten in meinem Namen. Und ich sage
euch nicht, dass ich den Vater für euch bitten werde;
27 denn er selbst, der Vater, hat euch lieb, weil ihr mich liebt und
glaubt, dass ich von Gott ausgegangen bin.
28 Ich bin vom Vater ausgegangen und in die Welt gekommen; ich
verlasse die Welt wieder und gehe zum Vater.
29 Sprechen zu ihm seine Jünger: Siehe, nun redest du frei heraus
und nicht in einem Bild.
30 Nun wissen wir, dass du alle Dinge weißt und bedarfst dessen
nicht, dass dich jemand fragt. Darum glauben wir, dass du von Gott
ausgegangen bist.
31 Jesus antwortete ihnen: Jetzt glaubt ihr?
32 Siehe, es kommt die Stunde und ist schon gekommen, dass ihr
zerstreut werdet, ein jeder in das Seine, und mich allein lasst. Aber
ich bin nicht allein, denn der Vater ist bei mir.
33 Dies habe ich mit euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt. In
der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt
überwunden.
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