Was geht in den Köpfen unserer Gäste vor

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Was geht in den Köpfen unserer Gäste vor ?
Bruno Müller-Oerlinghausen
Vortrag auf der Reiteralm am 11.12.2008
Einführung
Ich möchte mich im Hinblick auf das Vorzutragende , - mir ist etwas bange vor soviel
Wellness-und Hotellerie-Experten – mich kurz selber vorstellen : Ich bin emeritierter
Hochschullehrer der Klinischen Psychopharmakologie an der Freien Universität Berlin, wo
ich mich an der Psychiatrischen Klinik über viele Jahrzehnte mit den guten und den
schlechten Eigenschaften von Psychopharmaka und mit der Behandlung depressiver Patienten
befasst habe. ,-- in späteren Jahren dann auch insbesondere mit den Wirkungen sanfter
psychoaktiver Massagen auf depressive Menschen und mit dem Wesen körperlicher
Berührung überhaupt.
Wichtig ist mir zu sagen, was ich nicht bin: ich bin keine Werbepsychologe, betreibe kein
Hotel, habe keine betriebswirtschaftlichen Kenntnisse, habe auch nichts mit Kosmetik oder
Beauty zu tun, bin auch kein Sportmediziner oder Fitness-Trainer!
Was können Sie also von meinem Vortrag erwarten? Vielleicht kann ich Ihnen etwas über
therapeutische Berührung erzählen und über meine eigenen Konzepte von wellness, meinen
persönlichen positiven und negativen Erfahrungen mit der praktischen Realisierung von
wellness in Deutschland, - und dies als jemand, dem wellness in einem bestimmten Sinn – als
das Gefühl psychophysischer Ganzheit - seit langer Zeit eine starke Sehnsucht ist. Und so
nähern wir uns dann vielleicht gemeinsam der Frage, was wohl Menschen erwarten, die sich
für ein bestimmtes Spa, für ein wellness-Hotel entscheiden oder im Entscheidungsprozess
sich befinden. Natürlich weiß ich darüber auch nichts wissenschaftlich Belegtes und bin auch
kein Experte in Analysen von Besuchermerkmalen auf irgendwelchen Internetseiten. Aber
ich werde versuchen, in einer recht laienhaften subjektiven Weise zu sagen und mit einigen
Bildern zu illustrieren, wie ich mir die optimale Realisierung meines Konzeptes vorstelle. (
Und ich werde mir erlauben,lieber Herr Haslauern, auch ein paar Sätze zu Ihrer mich
faszinierenden Salve-in-Terra-Idee zu formulieren.)
Ich gliedere meine Ausführungen in drei Teile: einen ersten längeren Abschnitt, der sich mit
Berührung beschäftigt, dann will ich ein paar Worte zum Thema „Wasser“ sagen, und
schließlich werde ich zur Definition von wellness und zur möglichen Hinführung eines
Klienten zu diesem Erlebnis mich äußern. (Als pars pro toto sozusagen, da ich ja nicht
tausend potentielle Klienten und vor allem Klientinnen Ihrer Institutionen befragen
konnte.)Und wundern Sie sich nicht,wenn wir dabei gelegentlich auch auf erotische Aspekte
zu sprechen kommen,- das muss so sein, da wir es mit der Öffnung der Sinne, also auch mit
Sinnlichkeit zu tun haben.
Das Geheimnis der Berührung
oder
Mysterium der Berührung
oder
Warum Berührung gut tut?
oder
Das Hohelied der Berührung
oder
Berührung hebt verborgene Schätze der Erinnerung
oder
Ich werde berührt – woran erinnere ich mich ?
Berühren, - anrühren,- wenn wir uns diese Worte langsam vorsprechen, werden bei jedem von
uns sicher vielfache Assoziationen freigesetzt, denen wir uns hingeben sollten, um klarer zu
sehen oder besser, zu spüren, was wir in dieser modernen Zeit so oft vermissen : etwa die
direkte Verbindung zwischen zwei Menschen über den Körper und speziell die Haut, unserem
größten , ältesten Sinnes-und Kommunikationsorgan. Wir erinnern uns vielleicht an die
Hände unserer Mutter, unseres Vaters oder an die zärtlich-verliebten Berührungen unseres
Freundes oder unserer Freundin. Noch Jahre nach dem Tod meines Vaters vertraute mir
meine fast 90jährige Mutter einmal an, was sie im geheimen am meisten vermisste : die
Berührung seiner warmen, sensitiven Hände. (Er war Bildhauer gewesen und hat oft im
Rückblick erzählt, wie das sinnliche Erlebnis, wenn er als Kind den weichen frischen Ton in
einer Tongrube anfasste, den ersten Impuls für seine spätere Berufswahl gegeben hat… )
Berührung ist das Fluidum aller Erotik , und so werden wir nie vergessen, wie es sich
anfühlte, wie es sich anfühlt, wenn wir von unserem Partner oder unserer Partnerin das erste
Mal oder das tausendste Mal zärtlich gestreichelt wurden und wie wir seinen oder ihren
Körper selber sanft berührt und erforscht haben. In mancher scheinbar verfahrenen, sprachlos
gewordenen Situation zwischen zwei Menschen ist es ein Segen, wenn einer, um einen ersten
Schritt der Versöhnung oder des Sich-wieder-Öffnens zu machen, die Hand des Anderen
nimmt, sie behutsam drückt oder streichelt. Das muss bei einem Paar kein erotisches Signal
sein, es ist primär ein Zeichen des Vertrauens, das auf der körperlichen Ebene erhalten bleibt,
auch wenn Kopf oder gesprochenes Wort soeben noch
Veständnisprobleme,Misstrauen,Verletztsein,Stress,Unzufriedenheit,Ärger zum sich
gegenseitig steigernden Ausdruck gebracht haben.
Oft ist die körperliche Kommunikationsebene die wahrhaftigere, zuverlässigere.Warum
würden wir sonst der natürlichen Körpersprache eines Menschen soviel Bedeutung zumessen?
„Kein Genuss ist vorübergehend; denn der Eindruck, den er zurücklässt, ist bleibend“,
schreibt Goethe einmal. Dies gilt in besonderem Masse für Sinneseindrücke, die unsere Haut
empfangen hat,- positive ,aber auch negative - , und die in tief gelegenen Hirnarealen
gespeichert sind und bewusst oder unbewusst abgerufen werden können. Und ist es nicht
bedeutsam, dass die Haut und unser Gehirn sich aus dem gleichen Keimblatt in der
Embryogenese entwickeln? Wohl nicht zufällig gibt es so viele Beziehungen zwischen
dermatologischen und psychischen Störungen.
Wir wissen, wie wichtig Berührung ist , wenn auch vielleicht unterschiedlich wichtig in
verschiedenen Lebensalters-Abschnitten ,- eine regelmäßige sanfte Massage lässt z.B.
Frühgeborene schneller nachreifen,-- und ich habe in meiner pharmakologischen
Weiterbildung auch mich schon damals faszinierende Beobachtungen über die Auswirkungen
regelmäßigen Streichelns von Versuchsratten gemacht Aber wir wissen auch, dass gerade im
Alter die Diskrepanz zwischen Berührungsbedarf und tatsächlich stattfindender Berührung für
viele Menschen groß wird, mit entsprechenden psychischen und physischen Auswirkungen.
Die Haut konstituiert unsere Identität, oder in den Worten eines Philosophen:“ Das Ich ist die
Wahrnehmung des Körper-Ich, und was man vom Körper vor allem fühlt und wessen man
gewiss ist, ist die Haut.“ ( Lacombe, zit. nach Montagu,1982) .
Deshalb ist es nicht gänzlich verwunderlich, dass der Einsatz ausgewählter sanfter,ruhiger
Massagetechniken ( z.B. der Slow-Stroke-Massage) depressiven Menschen helfen kann, bei
denen – was leider oft aus dem Blick gerät – nicht nur ein „Gemütsleiden“, sondern eine
Störung und ein Leiden des Leibes bestehen, die sich in vielerlei Symptomen reflektieren (
kalte Glieder, verspannte Muskulatur, Schmerzen, Schwierigkeit, Berührungsreize lustbesetzt
wahrzunehmen, gestörte Sexualität usw.). Es ist deshalb international auch der Begriff bzw.
das Konzept „therapeutische Berührung“ ( engl. therapeutic touch) üblich geworden, deren
Effekte wir auch wissenschaftlich untersucht haben. (Zitate). (In diesem Kontext erscheint
eine Beobachtung interessant, wonach depressive Patienten mit einer vorwiegend ängstlichagitierten Symptomatik eher von der Stimulation eines kleinen Hautbezirks ( z.B.
Nackenpartie) profitieren, während für apathisch-gehemmte Patienten die Massage eines
größeren Hautbezirks ( z.B. Rücken ) vorteilhafter sein könnte.)
Kommunikationsstörungen bei Paaren und ohne ständigen Partner lebenden Menschen sind
sicher nicht regelhaft Folge einer Depression ,- aber es gibt insofern teilweise eine
Gemeinsamkeit , als wir davon ausgehen können, dass Sinnlichkeit, also das lustvolle
Wahrnehmen von und das Reagieren auf positiv gemeinte körperliche, insbesondere taktile
Reize verkümmert sind ,- vielleicht einfach, weil sie nicht regelmäßig „trainiert“ wurden.
Erotisch erfahrene Menschen wissen, dass die gekonnte mehrfache Wiederholung eines
Berührungsreizes zu einer positiven Verstärkung des Erlebens führt,- die sexuelle Erregung
im engeren Sinne mit dem Ziele eines Orgasmus demonstriert dies ja auf exemplarische und
jeder Frau und jedem Mann wohl vertraute Weise. Unsere Erfahrungen mit einer mehrfach
angewandten Slow-Stroke-Masage haben gezeigt, dass viele Menschen erst im Laufe der Zeit
(innerhalb einer Stunde oder innerhalb von Wochen und Monaten) sich auf die sinnliche
Qualität einer solchen Berührung einlassen können, dass damit die Vorfreude und Erwartung
steigen und der Reiz als solcher zunehmend stärker wahrgenommen und genossen wird.
Das Verhältnis der modernen industrialisierten Gesellschaft zur direkten körperlichen
Berührung ist zwiespältig: einerseits leben wir in vielfältig mechanisierten, standardisierten
Tagesabläufen,- sitzen allein stundenlang in unserem Leistungsmilieu und Auto, stehen
irgendwo kontaktlos in einer Warteschlange. Wenn wir hochromantische Musik im
Konzertsaal hören, dürfen wir uns dazu nicht bewegen, nicht singen oder uns intensiv
berühren .Die Berührung eines Kindes oder eines alten Patienten durch z.B. einen
Krankenpfleger wurde als potentiell sexuelle Belästigung gebrandmarkt. „Do not touch“ hiess
es lange Zeit in den Krankenhäusern oder Seniorenheimen der USA.
Auf der anderen Seite haben wir die Welle der sog. Sexuellen Befreiung seit den 60er Jahren
erlebt (mit teilweise kontraproduktiven Leistungsanforderungen und Erwartungshaltungen)
und wir sind derzeit Zeugen eines Booms der Wellness-Angebote, bei denen die
verschiedensten Massageformen westlicher und östlicher Provenienz eine große Rolle
spielen,- und die auch, wie Umfragen zeigen, einem großen Berührungsbedürfnis vieler
Menschen entsprechen. „Habe ich meinen Körper verloren, so habe ich mich selbst verloren.
Finde ich meinen Körper, so finde ich mich selbst ..“,heißt es in einem Gedicht von Vladimir
Iljine (1965) Eine mehrminder deutliche Ahnung von dieser menschlichen Ur-Kondition ist
vielleicht doch noch bei vielen Menschen vorhanden.
Freilich sind die entsprechenden „Angebote“ im Wellness-und Hotelbereich doch oft recht
bescheiden. (Kuschelhotels, Romantikhotels, loverooms etc. ),-- Duobadewanne, AjurvedhaMassage,Biosauna und Herzl-Kissen, gemeinsames Floaten… Hier definiert das von Haslauer
entwickelte Salve-Terra-Konzept nach meiner eigenen Erfahrung und vielen Diskussionen mit
dem Erfinder eine neue Dimension. Denn es wurde intensiv und erfolgreich darüber
nachgedacht , wie der taktile Reiz so sinnlich und unvergesslich wie möglich gestaltet werden
kann, ohne dass ,im Gegensatz zur sinnlich-erotischen Massage – die ja auch in verschiedenen
Versionen z.B. innerhalb der Tantraszene für Paare eine Bereicherung darstellen kann,andere Menschen , also Personal involviert sind. Letzteres kann man als Nachteil oder
Vorteil ansehen. Ein einfühlsamer Masseur oder eine Tantrikerin schaffen über die Effekte
der Berührung hinaus auch Vertrauen zu ihren Händen und damit zu ihrer Person. Bei Salvein-Terra wird die Hautsinnlichkeit des einzelnen Klienten oder eines Paares allein provoziert,
aber dies ist auch der Vorteil dieser faszinierenden Alternative : Singles oder zwei Menschen,
die sich zumindest potentiell in einem erotischen Kontext befinden, erleben ihren Körper über
ihre Haut in einer ungeahnten Intensität,- sie definieren sich gegenseitig neu über ihre HautIchs , ja vielleicht könnte man für glückhafte Momente von einem gemeinsamen Haut-Ich
sprechen… , und dies ist eine fundamentale, ja „anrührende“ Erfahrung. Sie kann zutiefst
glücklich machen,- vielleicht kann sie aber, wie wir es bei tiefgehenden Massagen
gelegentlich erfahren, auch einmal traurig stimmen, wenn uns pötzlich , schockartig oder auch
ganz allmählich bewusst wird, was uns fehlt oder so lange gefehlt hat.
Das sanfte Gleiten des Körpers „ im Schlamm“ auf dieser raffiniert ausgedachten Unterlage
kann vielleicht frühkindliche Erinnerungen auslösen, hat aber vermutlich auch fassbare
neurobiologische Konseqenzen. Neuere Forschungsergebnisse weisen zunehmend auf zwei in
diesem Kontext wichtige physiologische Zusammenhänge hin:
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zum einen kennen wir inzwischen bestimmte Sinnesorgane in der Haut, die
ausschließlich auf langsame, sanfte Berührungsreize ansprechen. Die dazugehörigen
Leitungsbahnen stellen eine Verbindung zum sog. Limbischen System des Gehirns
her, das wesentlich an der Wahrnehmung und Verarbeitung unserer Emotionen
beteiligt ist. (Eine sanfte Berührung z.B. mit einem weichen Make-up-Pinsel am
Unterarm einer Patientin, die an einem totalen Ausfall aller Hautrezeptoren litt, also
weder Berührung, noch Schmerz, noch Wärme oder Druck empfinden konnte, führte
dazu, dass sie diesen Reiz zwar nicht lokalisieren konnte, aber sie hatte eine
„angenehme Empfindung“. ) Diese Rezeptoren, die wahrscheinlich über das limbische
und andere Systeme in ein Netzwerk von Hautrezeptoren eingebunden sind, vermitteln
also quasi die emotionale Qualität einer Berührung.
- Zum anderen wissen wir heute, dass solche sanften rhythmischen Berührungen zu
einer Freisetzung eines zunehmend interessanter werdenden Hormons , des Oxytocin,
führen, das unter experimentellen Bedingungen z.B. Vertrauen zu einem Partner
induziert, aber auch Wohlbefinden und Gelassenheit , indem es die Ausschüttung des
Stresshormons (Cortisol) zurückdrängt. Von manchen Forschern wird angenommen,
dass mit dem Oxytocin ein wichtiger Baustein der mit zwischenmenschlicher Liebe
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und Erotik korrelierten neurobiologischen Vorgänge gefunden wurde. (Bei
depressiven Patienten soll übrigens ein reduziertes internes Angebot an Oxytocin
beobachtet worden sein.)
Wilhelm Reich, der große Psychotherapeut, der einen körperlichen therapeutischen
Zugang zu seelischen Störungen propagierte, hat von den ( muskulären)
Verpanzerungen gesprochen,wenn Gefühle nicht mehr erlebt und gelebt werden. „
Viele Menschen… betrachten den Körper als ein Werkzeug, das zu funktionieren hat.
Beschwerden, Krankheiten, Unbehagen werden als Störfall empfunden.“
Solch fataler Entwicklung bei modernen Menschen können wir mit einem eigentlich
uralten Behandlungs- und Sichwohlfühlprinzip entgegentreten, nämlich der lustvoll
erfahrenen Berührung, auch wenn es sich modernster Technik bedient. Das gilt auch
für die intensiv erlebte Berührung meiner selbst, den Genuss, meinen eigenen Körper
wieder positiv zu erfahren. Vielleicht verdiente es Salve-in Terra, in komplexe,
intelligente Konzepte zur Beförderung intensiv gelebter Partnerschaften eingebaut zu
werden. Es dürfte der Erotik im Sinne einer Ur-Lebenskraft vielleicht wirksamer gut (
well) tun als so manches esoterische Kuschel-Seminar. (Ich bekomme übers Internet
regelmäßig Annoncen für eine sog. Massage ohne Hände,- aus meiner Sicht abwegige
und dümmliche Geschäftemacherei.) Und Wellness als „Dem Menschen Gutes Tun“
verstanden, kann gewiss dadurch nicht in die „Schmuddelecke“ geraten. Im Gegenteil,
sie wird in qualifiziertes Weise bereichert und konzeptuell erweitert werden.
Wenn unser hier dargelegtes Konzept realisiert werden soll, dann wird freilich eine
entsprechende empathische Einstellung auch des Personals und ein aufeinander
abgestimmtes Gesamt-Ambiente vorausgesetzt werden müssen. Dieses Konzept von
Paar-Wellness ist aus unserer Sicht irgendwo zwischen traditioneller Wellness ( MIR
geht es gut, ICH fühle mich behaglich..) und der ausgefeilten Tantraphilosophie
anzusiedeln. Mit anderen Worten, dazu gehören im Angebot sinnliche Massagen,
vielleicht ein Haman und Liegeräume mit warmen Sand . Salve-terra passt nicht zu
einer klinisch-physiotherapeutisch anmutenden Bäderlandschaft, sondern es erfordert
in jedem Fall eine liebevolle, einfühlsame Begleitung.
Wasser
Wasser ist ein Element, das uns unseren Körper in besonderer Weise spüren lässt. Das gilt für
klares kaltes Wasser, das wir trinken, ebenso wie für das durchsichtige kühle oder warme
Wasser eines Sees oder Schwimmbeckens,- in dem wir uns treiben lassen, dabei in u ns hinein
spüren, oder in dem wir wild planschend und uns „verrückt“ gebärdend wieder zum Kind
regredieren, oder aber beim sportlichen Schwimmen die Kraft unseres Körpers und die des
Partners erleben. In einem heißen tropischen Land einen Wasserfall zu finden und sich
darunter stellen zu können, kann ein geradezu ekstatisches Gefühl der Allverbundenheit
auslösen, wie ich selbst es in Thailand erlebt habe.
Das Anschauen eines dahin plätschernden Bergbachs im Sommer vermittelt wohl jedem
Menschen mit geöffneten Sinnen ein besonderes Glück. Wir stehen lange am Bachufer ,
schauen einfach, schweigen, horchen, sind weit weg von dem, was uns sonst bedrängt,
erleben nur von großen Dichtern in Worte zu fassende Sehnsucht nach Heilem, nach
Heilung. Ich kann mich nicht weiter in dieses schöne Thema einlassen,- nur ein Hinweis
noch:
Bevor es Psychopharmaka gab, also vor den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts, spielten die
Wasseranwendungen in der Behandlung eine große und oft segensreiche Rolle.
Was ist Wellness?
Nun fragen wir also noch einmal: was ist wellness? Was ist sie nicht? Welche Erwartungen
Ihrer Gäste sind mit ihr vermutlich verbunden?
Sie finden ja im Internet die verschiedensten Definitionen von wellness. Es sei, so heißt es,
eine sprachliche Zusammenziehung von well-being, fitness und happiness. Es sei mehr als
passives Verwöhntwerden in einem luxuriösen Ambiente; es sei die Harmonie von Körper,
Geist und Seele. Oder, es bedeute entspannen, wohlfühlen, die Seele baumeln lassen. Und
auch, etwas anspruchsvoller: es sei die Forderung nach einem bewussteren Lebensstil. Mir
scheint dies alles so halb richtig, halb trivial zu sein,- aber es fehlt mir die Ehrfurcht vor dem
Glück, das der Mensch ausstrahlt, der sich in einem umfassenden Sinne „wohl“ fühlt, d.h. mit
seinem Körper eins ist. Wellness ist nicht ein schnell für Jedermann schnell erreichbarer
Zustand; nein,- es ist ein Weg,- ich bin versucht zu sagen, es ist etwas Heiliges. Denken Sie
daran: in „heilig“ steckt auch „heil“. Heilig bedeutet in einem höheren Sinne auch heil, geheilt
sein. Es heißt nicht, mal kurz den Ärger und den Stress weg gedrückt haben.
Aber sicher ist wellness ein polar anderer Zustand im Vergleich zu chronischem Stress. Wir
haben vorhin schon angetönt , dass sich in der Berührung unserer Haut mit dem Elementen,
mit dem Wasser, der Erde, dem Salz, unsere Sinne öffnen,- dass sie neu sensibilisiert werden,
und zwar alle unsere Sinne : Riechen,Schmecken,Tasten,Sehen,Hören – wir gewinnen damit
Offenheit,Sensibilität, neu erwachte Neugierde. Wir lassen Erinnerungen zu, die lange
blockiert waren,- und genau damit antagonisieren wir Stress und seine negativen Folgen.
Stress, das wissen wir heute sehr genau, macht zu, zerstört die regenerativen, neuroplastischen
Fähigkeiten der Nervenzellen, insbesondere im Hippocampus, dem biologischen Ort des
Erinnerns. Stress macht uns stumpf gegenüber anderen, neuen inneren und äußeren Reizen.So
nehmen wir nichts Neues mehr wahr, hängen in unseren eingefahrenen Gedankenschleifen,
verlieren die natürliche Neugierde, sozusagen das spontan-explorative Verhalten,, werden
emotional unbeweglich, freude-und kommunikations-unfähig,- in anderen Worten, wir
werden depressiv. Chronischer Stress als Ursache von Depression ist heute wissenschaftlich
gesichert. (Denken Sie daran:Depression bedeutet nicht traurig-sein, sondern das Gegenteil:
nicht- mehr- traurig-sein-können!)
Wenn Sie sich diese Zusammenhänge klar machen, dann verstehen Sie, warum ich (als Ihr
potentieller Gast ) wellnes nicht ansehe als etwas, das man auch mal kurz machen oder
bleiben lassen kann, sondern als eine krankheitspräventive Lebensaufgabe. .
Wenn wir „wellness“ so anschauen, dann ist mit dem schnellen Hinzunehmen einiger
wellness-Einrichtungen zum bisherigen Fitness-Center nichts Seriöses erreicht. Ich meine, es
wird ein Konzept benötigt, das dem Klienten verdeutlicht: wellness ist wirklich praktische
Lebensphilosophie. Deshalb muss aus meiner Sicht das gesamte Ambiente, z.B. in einem
Hotel, diesem edukativen Ziele verpflichtet sein. Das betrifft alles, von der Rezeption bis zum
Essen oder der Anlage des Gartens. Eine Einrichtung , die dies m.A.optimal leistet, ist ( neben
der Reiteralm !) die vom Ehepaar Clausinger geleitete „Bleiche“ im Spreewald, nicht weit
von Berlin,- also eindeutig kein „alpines“ Spa. Dort stimmt in diesem Sinne alles, z.B. die
Verbindung von Wasser und Feuer,-- immer brennen am großen Wasserbecken und anderswo
die offenen Feuer in den großen Kaminen. Von meinem Zimmer trete ich direkt in den
großen, sehr natürlich gelassenen Garten, wo auch das Gemüse wächst, das ich abends auf
meinem Teller finde. Es gibt weder eine Begrenzung der Zeit fürs Frühstück noch für die
Benutzung der Schwimmbäder. Ich kann um Mitternacht noch direkt von meinem Zimmer in
das warme Wasser eintauchen und mich danach am Feuer wärmen,- auch für Paare sicher ein
wunderschönes, sinnliches Erlebnis. Es gibt unendlich viel Aufenthalts-räume-nischen-ecken
mit großen weichen Sofas und Kissen, zum Lesen, Träumen, Kuscheln,-- und –dies fiel mir
besonders auf - es gibt NICHT jene bekannten Schilder, man solle die Liegen nicht mit
seinen Sachen belegen! Ganz im Gegenteil: ich mache mir mit meinen Sachen mein
persönliches „Well-Nest“. Die Öffnung der Sinne wird so in jeder Weise unterstützt.
Das Ziel, meine Damen und Herren, ist ja nicht Zerstreuung,Zerfließen, Chaos,Beliebigkeit,,
sondern wie in der Meditation neue Ordnung, neue Fokussierung meiner Bedürfnisse,
Zentrierung mein Ich- und damit Fähigkeit, in einem weiten Raum körperlicher,psychischer
und sozialer Kompetenz zu stehen und mich darin bewegen zu können. Singles wie Paaren
muss dies in gleicher Weise gut tun. Denn sie alle haben bewusst oder unbewusst die
Sehnsucht nach dem, was wir in der heutigen Wissenschaft das Kohärenzgefühl nennen. In
sehr eindrucksvoller Weise reflektiert ein Wintergedicht von F.G.Jünger dieses Gefühl:
Wintertag
Die Hasen laufen über weiße Heide
Und fliehen lautlos in die Weiten.
Von ihren Pelzen, weich wie Seide,
Seh’ich den Schnee der Hügel gleiten.
So mühlos seh’ich sie enteilen
Wie Federbälle und wie Reifen.
Ich höre nichts.Bald wird es schneien,
So leise ziehn sie ihre Schleifen.
O Feentage! Alte Zeiten!
So war es einst, so ist es heute.
Wie leicht und froh die Schlitten gleiten.
Von fern kommt silbernes Geläute.
In kürzester Form aber hat es Rainer Maria Rilke ausgedrückt.“Hiersein ist herrlich.“ Das
bekannte Spa in Bad Ragaz (Schweiz) hat sich diesen Satz zum Motto gewählt.
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