Sprüche 22,6

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Lernen, Entscheide zu fällen
Predigtimpuls zu Sprüche 22,6
Pfrn. Anita Kohler
Predigttexte (Zürcher Bibel 1991)
«Gewöhne den Knaben nach dem, was sein Weg erheischt, so geht er auch im Alter nicht davon ab».
Einordnung
Das Buch der Sprüche ist eine Sammlung von Sätzen aus der ganzen Welt des profanen und
menschlichen Lebens, die wir in die Weisheitsliteratur einordnen. Sprüche 22,6 wird der zweiten und
damit ältesten Sammlung (10,1 – 22,16) zugeordnet. Gelegentlich wir das Buch der Sprüche auch,
neben Jesus Sirach, in die interessante Kategorie der pädadogischen Quellenschriften eingeordnet.1
Einige der Sprüche haben Eingang gefunden in den Schatz der deutschen Sprichwörter unter
anderem durch die Übersetzungen Martin Luthers. Ein Sprichwort ist ein allgemein bekannter, fest
geprägter Satz, der eine Lebensregel oder Weisheit in prägnanter, kurzer Form ausdrückt, immer in
Bezug auf eine menschliche Grunderfahrung.
Auf Sprüche 22,6 trifft das Eine nicht direkt zu, der Satz gilt nicht als allgemeines Sprichwort. Und
doch klingt beim Lesen des Satzes etwas an: was hier positiv formuliert ist – wenn jemand etwas
gelernt hat, vergisst er es nie mehr – erinnert an die uns bekanntere Negativformulierung: «Was
Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.» Der andere Definitionsaspekt des Sprichwortes, der
Bezug auf die menschliche Grunderfahrung hingegen, muss Beachtung finden: Sind die Schemata, die
Muster unserer Kindheit so prägend und stark, dass wir sie auch im Erwachsenenalter nicht verlieren
oder verändern?
Die Entscheidungssituation in Sprüche 22,6
Eine eigentliche Entscheidung wird nicht deutlich. Nicht das Kind, der «Knabe» entscheidet, sondern
ein «man» nimmt eine vorentscheidende erzieherische Haltung ein. In gewissem Sinne wird also über
ein Kind entschieden. Das Kind wird geprägt, es wird «gewöhnt». Das Thema, wie Kinder lernen, wie
wir sie prägen ist in der Literatur kaum noch zu überblicken mit all den unterschiedlichen
erziehungswissenschaftlichen Ansätzen.
Werfen wir einen kurzen Blick in die alttestamentliche Erziehungswelt. Sie unterscheidet sich kaum
von der selbstverständlichen autoritären Erziehung der Antike. Als Pendant zum Bild der liebevollen
Erwählung des Volkes Israel stellt das Alte Testament das Bild eines Gottes, der straft, züchtigt und
sich abwendet. Dieser erzieherische Gott bedient sich der Strafe und der Züchtigung – ein Bild, das
uns heute, aufgewachsen in der Welt der antiautoritären Erziehungsmodelle, sehr schwer fällt
anzunehmen oder auszulegen.
Es existiert kein Konsens darüber, wie ein Knabe, ein Kind geprägt werden soll. Relative Einigkeit
besteht in der Idee des Lernverhaltens eines Kindes, basierend auf der Theorie von Jean Piaget. Ein
1 Betz, Dorothea; Gott als Erzieher im Alten Testament. Eine semantisch-traditionsgeschichtliche Untersuchung der Begrifflichkeit jsr /
musar (paideuo / paideia) mit Gott als Subjektin den Schriften des AT. Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades des Fachbereichs
Erziehungs- und Kulturwissenschaften der Universität Osnabrück. Osnabrück 2007. http://repositorium.uni-osnabrueck.de.
–1–
Kind lernt, indem es sein eigenes Verhalten an die Aussenwelt anpasst (Assimilation). Auf der
anderen Seite passt sich die Aussenwelt dem eigenen Verhalten an (Akkomodation).
Buch der Sprüche 22,6 spricht also primär von der Assimilation. Das bedeutet, wir müssen uns weg
vom Kind, hin zum Erwachsenen, also uns, wenden. Dies wiederum bedeutet, dass eine Auslegung
und Predigt zum Buch der Sprüche 22,6 sich vor allem um die eigene, erwachsene Haltung bemühen
sollte.
Lernen, Entscheide zu fällen
Wie entscheiden wir, was wir den Kindern vermitteln? Was lösen diese Entscheidungen aus? Diese
Fragen wiederum bringen uns beinahe sofort zum Punkt: was ist mir selber wichtig, wie fälle ich
meine Entscheide, wovon oder von wem bin ich wie geprägt? Und damit sind wir bei der
«einfachsten» aller Fragen: wie und wer bin ich!? Unsere Prägung beeinflusst unsere Entscheidungen
– wir haben gelernt zu entscheiden.
Predigtanregungen (in Stichworten)
-
Wozu erziehen wir unsere Kinder?
Kann Glaube anerzogen oder gelernt werden?
Was leben wir unseren Kindern vor (Assimilation) – welches Gottesbild leben wir vor?
Wie fälle ich meine eigenen Entscheide?
Hinterfrage und reflektiere ich meine Entscheidungen?
Darf es einen strafenden Gott geben?
Meine Muster – meine Entscheidungen – unveränderbar?
Entscheidet Gott für mich – oder ich mit ihm?
Vor und bei Entscheidungen Gott um Hilfe bitten – das Gebet als Entscheidungshilfe?
Bewusst erziehen oder sich in Gottes Hand geben?
Ich als Vorbild des Kindes – wer oder was ist mein Vorbild?
Was ist die Wertebasis, die ich einem Kind vorlebe?
«Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr» – kann der rechte «Glaubenszeitpunkt»
verpasst werden?
Gelernter Glaube – gelebter Glaube – ein und dasselbe?
Entscheidung aus Prägung – Entscheidung aus Glauben – Dasselbe und das Richtige?
Entscheidungen haben Konsequenzen – auch Glaubensentscheidungen?
Ich entscheide, also bin ich – ich entscheide, also wirke und präge ich!
Mit Sicherheit ist diese Themenliste nicht abgeschlossen. Weitere Möglichkeiten wären die
Einordnung in das pädagogische Umfeld der alttestamentlichen Schriften oder ein Vergleich mit
unseren gegenwärtigen Erziehungsvorstellungen.
Abschliessend ein Zitat der schweizerischen Autorin und Psychoanalytikerin jüdischer Abstammung,
Alice Miller:
«Wenn man einem Kind Moral predigt, lernt es Moral predigen, wenn man es warnt, lernt es
warnen, wenn man mit ihm schimpft, lernt es schimpfen, wenn man es auslacht, lernt es auslachen,
–2–
wenn man es demütigt, lernt es demütigen, wenn man seine Seele tötet, lernt es töten. Es hat dann
nur die Wahl, ob sich selbst, oder die anderen oder beides.»2
2
Miller, Alice. Am Anfang war Erziehung. Suhrkamp, 1980.
–3–
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