Univ. Prof. Dr. Marianne Schlosser Ordinarius des Instituts für spirituelle Theologie der Universität Wien Donnerstag, 26. Nov. 2009 DAS ERBE DER KIRCHENVÄTER Ein Geschenk an uns Söhne und Töchter im Glauben Kirchenväter – welche Aktualität haben sie heute? Da kann man sich fragen: ist das so eine Art Romantik, wo man sich zurücksehnt nach den alten Zeiten, wo es den Rummel z.B. um Weihnachten noch nicht gegeben hat. Ist das eine Nostalgie, wenn man zu den Kirchenvätern zurückkehrt? Wenn man von Kirchenvätern spricht kann man verschiedene Gruppierungen meinen. Sie alle kennen die 4 abendländischen Kirchenväter. Man begegnet ihnen auf Kanzeln und Altären: Ambrosius mit dem Bienenkorb, Augustinus mit einer Muschel oder einem entzündeten Herzen, Hieronymus mit einem Kardinalshut und einem Löwen, Gregor den Großen mit einer Taube, die ihm auf der Schulter sitzt und ihm ins Ohr flüstert. Diese 4 sind im Westen die großen Kirchenväter. Im Osten gibt es eine ähnliche Reihung, die nicht ganz auf 4 beschränkt ist, manchmal gibt es auch 5: Basilius, Gregor von Nazianz, Chrysostomus, manchmal Johannes Damascenus, manche zählen auch Athanasius dazu. In den Augen der Theologen gehören zu den Kirchenvätern alle Lehrer aus der Zeit der 2. Generation, d.h. der Schüler der Apostel bis etwa Gregor dem Großen oder Johannes Damascenus, das ist 7. Jahrhundert. Das ist eine mittlere Einschätzung. Es gibt aber auch Forscher die sagen, die Kirchenväter enden mit dem Konzil von Calcedon 451 und es gibt solche, die dehnen die Zeit aus und sagen: eigentlich dauert die Kirchenväterzeit bis zum Jahr 1000 etwa, weil es diejenigen Väter umfasst, die für Ost und West gemeinsame Theologen sind. Die Zeit der Kirchenväter ist in meinen Augen die Zeit in der sich die Antike, die rund um das Mittelmeer beheimatet war ändert, und nach Norden ausdehnt. Die Grenzen werden auch in der Kultur überschritten, im Westen durch die Ausdehnung ins Frankenreich und nach England und Irland, im Osten durch die Ausdehnung nach Russland. Kirchenväter sind also eine bunte Mischung an Persönlichkeiten, nicht alle davon sind heilig gesprochen. Es sind Leute dabei, die wenig geschrieben haben und andere wieder haben mehrere Bände an Schriften verfasst: Briefe, Traktate, Apologien, Predigten; Schriftkommentare, Katechesen u.s.f. Der Mittelmeerraum ist damals der Raum, in dem sich das kirchliche leben abspielt. ES gibt Kirchenväter aus Palästina und Syrien, andere aus Kleinasien wie Irenäus und Ignatius, wieder andere aus Nordafrika wie Cyprian, Tertullian und Augustinus, andere aus Ägypten wie Clemens von Alexandrien, Origines und Augustinus – alles große Namen, dann herauf über Rom Mailand mit Ambrosius und Gallien mit Irenäus, der in Smyrna geboren und dann Bischof von Lyon wurde. Diese weite Verzweigtheit war nur möglich, weil es eine gemeinsame Sprache gab, mindestens bis ins 4. Jahrhundert. Bis dahin spricht ein gebildeter Mensch Griechisch neben der eigenen Muttersprache. Es wurde z.B. in Nordafrika Punisch gesprochen, wie wir vom Hl Augustinus wissen, erst im 4. Jhdt ist die Liturgiesprache auch in Rom lateinisch geworden, vorher war sie griechisch. Dieser Umstand hat natürlich die Mobilität erleichtert. Unsere Frage ist also: Was haben diese Leute gemeinsam, dass sie uns noch heute interessieren? Ein Kirchenvater muss grundsätzlich an der Gemeinsamkeit der Lehre festhalten, so dass alle Väter dogmatisch auf einer Linie waren. Es gibt bei Origines Aussagen, theologische Entwürfe und Versuche, die von der katholischen Kirche zurückgewiesen worden sind, oder bei Tertullian, der sich in einer Phase seines Lebens einer Sekte zuwandte, den Montanisten. Trotzdem hat Tertullian für die Theologie der Kirche eine unglaubliche Bedeutung. Er hat Worte, die bis dahin griechisch waren in die lateinische Sprache übertragen. Die Kirchenväter reflektieren den Glauben der Kirche und versuchen ihn in eine reflektierte Sprache zu bringen. So z.B. die Formulierung unseres Glaubensbekenntnisses in lateinischen Worten. Das ist zu einem großen Teil eine Leistung der nordafrikanischen Kirchenväter, dort sprach man hauptsächlich Latein und nicht griechisch. Es ist eine Vielfalt von Personen und Werken die verbunden sind im gemeinsamen Interesse, die Lehre der Apostel weiter zu tragen und zu verteidigen, sie schreiben Apologien, sie formulieren und reflektieren diese Lehre und kommentieren die Schriften des Alten Testaments und reflektieren die Einheit des apostolischen Glaubens. Dabei kann man feststellen, dass viele Väter sich auf andere beziehen, die vor ihnen waren und diese ihre Argumentation festgehalten haben. Sie beziehen sich auf Leute, die in einer sicheren Zeugenschaft den Glauben angenommen haben, so wie sie ihn von den Aposteln übernommen haben. Die Kirchenväter haben vor allem in Perioden eine Rolle gespielt, die selber Umbruchszeiten waren. Man hat diese Schriften wieder entdeckt in Krisenzeiten und sie haben viele Leute beeinflusst die Kirche besser zu verstehen. Eine dieser Personen war der Kardinal John Henry Newman, der durch seine Kirchenväterstudien verstanden hat, was Kirche bedeutet, was die Tradition der Apostel eigentlich über Kirche sagt. Ein Beispiel soll Ihnen zeigen welche Bedeutung es für die Tradition hat, wenn die Lehre sozusagen von Hand zu Hand geht. Irenäus von Lyon, er ist Anfang des 3. Jahrhunderts gestorben, etwa 202, hat ein großes Werk verfasst gegen die Gnosis, jene intellektuell-spirituelle Richtung, die glaubte, dass jenes Christentum, das in der Kirche vertreten wird, nur eines ist für diejenigen, die noch nicht ganz erwacht sind, die nicht so spirituell und intellektuell sind um richtig zu erkennen. Denn wenn man die Schrift wirklich verstünde, würde man auch alle kosmischen Spekulationen verstehen, die den Gnostikern so wichtig waren. Gegen diese Art der Schriftauslegung hat Irenäus 5 Bücher geschrieben. Er kannte die Gnostiker aus eigener Erfahrung aus Smyrna und er beschreibt nun, dass er noch einen Mann gekannt hat, der noch die Apostel gekannt hat, einen Mann, der als Martyrer gestorben ist, nämlich Bischof Polykarp.(gest.158 n.Chr) „Ich kann mich viel besser an die damalige Zeit des Bischofs Polykarp erinnern, als an das, was erst vor kurzem geschehen ist, denn was man in der Jugend erfährt wächst mit der Seele und bleibt mit ihr vereint. Ich kann noch den Ort angeben, wo der selige Polykarp saß wenn er sprach, die Plätze wo er aus- und einging, seine Lebensweise, ebenso seine körperliche Gestalt, seine Predigten vor dem Volk und seine Erzählungen über den Umgang mit Johannes und anderen Personen, die den Herrn noch gesehen 1 haben. Sein Bericht über die Lehren der Apostel und das was er von den Aposteln über den Herrn Jesus, seine Wunder und seine Lehre gehört hat und die Zeugen der Worte des Lebens waren erzählte er im Einklang mit der Schrift (d.h. der Schriften des Alten Testaments). Seine Worte habe ich damals mit der Gnade Gottes mit Eifer aufgenommen und nicht auf Papier sondern auf mein Herz habe ich sie eingetragen, ich erinnere mich genau daran. Ich kann bezeugen, wenn der selige, apostolische Presbyter Polykarp solche Irrlehren gehört hätte( wie er Irenäus sie jetzt von den Gnostikern hört) hätte er laut aufgeschrieen, sich die Ohren verstopft und seiner Gewohnheit gemäß gerufen: O guter Gott, für welche Zeiten hast du mich aufbewahrt, dass ich das erleben muss!’ Er wäre fortgeeilt von dem Ort, wo er sitzend oder stehend solches vernommen hätte, und diese Wahrheiten werden bestätigt durch die Briefe die Polykarp geschrieben hat.“ Man merkt an diesem Text, wie eine Hand die andere sozusagen greift und zurückkehrt an den Ursprung. Ich, Irenäus kenne Polykarp, dieser kannte Johannes und der kannte Jesus – also die Lehren sind kein Mythos! Deshalb könne wir sagen: wir bekennen die apostolische Kirche. Damit sagen wir, dass wir uns zurück beziehen auf diese Zeugen, dass wir uns an einer Kette, wo ein Glied in das andere greift, festhalten und dass wir zu dieser Kette gehören. Nähe zum Ursprung, der auch bezeugt wird, das macht die Vätertexte so interessant. Die Welt, in der die Väter lebten und sich als Christen bewähren mussten, diese Welt war nicht so eindimensional, wie wir uns das vielleicht vorstellen. Wir meinen, da gab’s die Heiden, die Juden und die Christen. Das Heidentum war nicht nur eine einförmige Masse, sondern es gab welche, die hingen den alten Kulten an, ehrten die Götter, auch wenn man glaubte, dass es da über allen Göttern noch einen Gott gab, aber verehren tut man die, die einem nahe rücken-, die einen bedrohen- oder aber auch irgendwie helfen können. Dann gibt es eine andere Gruppe, die Philosophen. Die Philosophie dieser Zeit beschäftigt sich stark mit Fragen: Was ist das Göttliche? Was ist die Wahrheit? Sie ist es auch die den Polytheismus stark kritisiert. Das sind die Menschen, die sich auf Grund philosophischer Traditionen überlegen: Welche Religion ist wahr, ja gibt es überhaupt eine Wahrheit? Wir müssen nicht vergessen, dass es im Mittelmeerraum eine Unzahl von Religionen und Götterverehrungen gab. Dann gibt es eine Gruppe, die ist weder philosophisch noch polytheistisch, noch sind sie gläubig, aber sie halten fest an den überkommenen Riten aus Staatsräson. In Rom war es nicht wichtig, dass man glaubt, dass es diese Götter tatsächlich gibt, sondern diese Götter müssen verehrt werden, damit der Staat funktionstüchtig bleibt. Daher ist die Forderung an alle, die dem Römischen Reich angehören, zu opfern. Was sie dabei denken, danach wird nicht gefragt. Der Vorgang des Opferns ist wichtig, damit der Staat erhalten bleibt. Es ist also ein Ritus der Staatsräson. Dann gibt es auch noch Gruppen die unzufrieden sind mit dem Polytheismus, sie sind ein bisschen der Philosophie nahe aber nicht sehr, sie hängen neuen Religionen an, so genannten Mysterienkulten, die aus dem Osten in die Oikumene einströmten, die mit der Sehnsucht nach Erlösung zu tun haben und die mit bestimmten Riten, denen, die sie einweihen, Erlösung zusprechen. In diesem Umfeld befinden sich die Kirchenväter. Es gibt große Krisen politischer Art. Das römische Reich ist bereits in einer tiefen Krise im 4. Jahrhundert. Die Grenzen sind bedroht, die einzelnen Kaiser wechseln rasch hintereinander, etliche Kaiser sterben keines natürlichen Todes. Politische Unsicherheit 2 greift um sich und wenn sie die Zeit von Gregor dem Großen anschauen, 6. Jhdt. da ist er derjenige, wie schon vor ihm Papst Leo, der den ganzen Laden am Laufen hält. Es gibt keine Kaiser mehr in Rom, der Kaiser ist in Byzanz und hat seinen Stellvertreter in Ravenna oder Aquileia. Und wenn die staatliche Autorität die Dinge nicht in Ruhe und Ordnung halten kann, Pest und Überschwemmungen, Hungernöte, feindliche Einfälle, alles das zusammenkommt….. so wird allerorten gefragt: Wo ist eine Instanz, die noch für Ordnung sorgen kann und noch die Autorität hat? Das ist zu dieser Zeit bereits das Papsttum gewesen. Es ist eine sehr lebendige unruhige Welt, die unserer nicht unähnlich ist. Die Kirchenväter sind Personen aus Fleisch und Blut. Sie sind sehr unterschiedlich und man kann bei vielen von ihnen so etwas wie ein Charakterbild zeichnen. In ihren Werken scheint auch durch, woher sie kommen. Eine große Zahl kam aus dem Heidentum. Sie mussten erst zum Glauben finden und ihn deshalb auch gegenüber ihren eigenen Familien verteidigen, auch gegenüber ihren Freunden und dem gesamten Bekanntenkreis, sie mussten erklären, warum sie sich dieser Religion anschließen, die von vielen Seiten bekämpft, von Seiten des Staates mit Argusaugen betrachtet wird und wo man auch rechnen muss, dass man das Leben verlieren kann, wenn man sich nicht durch Flucht entzieht oder durch genehmes Verhalten anpasst. Also eine gefährliche Sache. Wir haben autobiographische Äußerungen z.B. von Cyprian, das ist 3. Jhdt. er ist Bischof von Kartago. Er sagt, er habe sich zuerst überhaupt nicht vorstellen können, wie man als Christ lebt und als er gesehen hat, wie Christen leben, so war ihm das viel zu steil. Er war 35 Jahre als, als er sich bekehrt hat und nach 3 Jahren wurde er schon Bischof, sehr zum Nase rümpfen mancher anderer, was man sich leicht vorstellen kann wenn einer schon 3 Jahre nach der Taufe Bischof wird. Wir wissen auch von Augustinus, dass sein Vater Heide war. Nicht alles war so selbstverständlich. Wenn jemand in dieser Umwelt lebt, weiß er was es alles gibt, denn das war keineswegs eine geschlossene Welt er musste sehr genau darüber reflektieren, was das Christentum denn überhaupt ist. Denn in dieser Situation war das Christentum keineswegs die einzige Alternative. Man kann ja auch zum Mitraskult gehen oder zu denen, denen die Sonne besonders wichtig ist, man kann sich verschiednen gnostische Sekten anschauen, alles ist höchst interessant. Warum also wird man Christ? Viele Kirchenväter sind Martyrer, manche wurden verbannt wie z.B. Johannes Chrysostomus. Er ist Bischof in Konstantinopel im 4. Jhdt. Man hat ihn in die Verbannung geschickt, wo er auch gestorben ist an Erschöpfung. Briefe von dieser Reise in die Verbannung ans Schwarze Meer schreibt er an eine Frau, eine Diakonin, mit der er viel zusammengearbeitet hat. (In der diokletianischen Christenverfolgung trachtete man die Häupter der Gemeinden, die Bischöfe zu eliminieren um dadurch die Kirche in Verwirrung zu bringen.) Diese Briefe hat John H. Newman ins Englische übersetzt. Sie beinhalten Glaubensreflektionen, die wichtig sind in diesem Umfeld verschiedenster, konkurrierender Ansprüche, die auch zur Auferbauung der Gemeinden dienten. Die meisten Kirchenväter waren Bischöfe, manche waren auch Mönche, manche Katecheten, wie Origines oder Lehrer. Die Thematik, die dann in diesen Schriften zur Sprache kommt ist: Wie lese ich die Schriften des Alten Bundes? Da ich von Christus überzeugt bin und Er die Erfüllung aller Schriften ist, lese ich die Schrift im Hinblick auf die Erfüllung in Christus. Das haben alle Kirchenväter gemeinsam. Das ist ein Punkt, den man bedenken muss. Man muss die Verständnisvoraussetzungen teilen, mit denen sie die Schrift gelesen haben und den Gottesdienst verstanden haben – das sind Grundvoraussetzungen. 3 Ich werde Ihnen ein Beispiel geben. Da die meisten Leute nicht lesen konnten, versuchte man sich einzelne Teile der Schrift einzuprägen, eventuell auch auswendig zu lernen, z.B. manche Psalmen, um eine eiserne Ration zu haben, die man auch innerlich immer wiederholen kann. Dasselbe geschah bei der Besprechung der Sakramente. Es gab ein Katechumenat vor der Taufe – die Fastenzeit und eines nach der Taufe, in der Woche nach Ostern. Taufe, Salbung und Eucharistie. Das sind theologisch sehr tiefe Texte und damit kann man anfangen, wenn man sich mit den Kirchenvätern befasst. Diese Texte behandeln die Taufe und das Altarsakrament, sie sprechen von Gebet und Nächstenliebe. Cyprian schreibt z.B. darüber, wie weit man in der Nächstenliebe gehen muss. Christen sind beispielsweise auch verpflichtet den Heiden zu helfen, wenn sie in Not sind, auch wenn die letzte Verfolgung erst 251 war und 256 schon die nächste ansteht. Wie betet ein Christ? Mit der oratio domini – dem Vater unser. Deshalb sind fast alle Gebetsanleitungen Vater-unser Kommentare. Niemand sagt: „Mein Vater“ außer Jesus! Wir beten Vater unser, weil wir immer daran denken müssen, dass wir Brüder und Schwestern haben. Was bedeutet „im Himmel“? Wenn der Himmel dort ist, wo Gott wohnt, warum ist der Himmel dann nicht in mir? Man kann auch denken, der Himmel in mir soll noch mehr werden und daraus ergibt sich dann die folgende Bitte „dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden“ - Wie bei den Engeln, so bei mir, mit der gleichen Freude, der gleichen Hoffnung und demselben Schwung! Die Auslegungen des Vater-unser sind auch heute noch sehr ansprechend. Nun ein konkretes Beispiel: Es ist ein berühmter Text, den sie alle kennen, der Psalm 23, der Herr ist mein Hirte In der alten Kirche musste dieser Psalm von jedem Täufling auswendig gelernt werden und er ist im Taufgottesdienst in Mailand, Nordafrika oder in Jerusalem also in der ganzen Oikumene beim Kommuniongang gesungen worden. Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen. Er lässt mich lagern auf grünen Auen und führt mich zum Ruheplatz am Wasser. Er stillt mein Verlangen; er leitet mich auf rechten Pfaden, treu seinem Namen. Muss ich auch wandern in finsterer Schlucht, ich fürchte kein Unheil; Denn du bist bei mir, dein Stock und dein Stab geben mir Zuversicht. Du deckst mir den Tisch vor den Augen meiner Feinde. Du salbst mein Haupt mit Öl, du füllst mir reichlich den Becher. Lauter Güte und Huld werden mir folgen mein Leben lang, und im Haus des Herrn darf ich wohnen für lange Zeit. Wenn in der Feier der Hl. Messe die Kommunion kommt, so wechselt die liturgische Sprache vom wir zum ich ( o Herr, ich bin nicht würdig) Der Herr ist mein Hirte bedeutet nicht nur ein allgemeines Bekenntnis zur Vorsehung Gottes, in dem Sinn: Er wird schon alles richten, es ist auch nicht bloß so, dass JAHWE der Hirte des Volkes Israel sein wird, da betet jemand in der Gewissheit und im Vertrauen, dass JAHWE der Hirte des eigenen Lebens ist: Er ist mein Hirte, Er hat ein Auge auf mich in allen Lebenslagen. In der finsteren Schlucht, im Tal des Todes, wörtlich im Todesschatten, bist Du bei mir. Da hören Sie vielleicht das Wort Jesu mit: Niemand kann meine Schafe meiner Hand entreißen. Die Feinde sind vor Gott letztlich ohnmächtig, ja sie müssen zuschauen, wie das Leben dessen, der auf Gott vertraut gerettet wird. Du deckst mir den Tisch im Angesicht meiner Feinde. Sie können nichts ausrichten, nichts wird dem fehlen, der Gott als Hirten hat. 4 Dein Stock und dein Stab stützen mich, du füllst mir den Becher, du salbst mein Haupt mit Öl, im Haus des Herrn darf ich wohnen. Dieser Text wird von den Kirchenvätern als prophetischer Text verstanden, der nicht nur in der damaligen Situation zu verstehen ist, er ist also kein toter Text sondern hat Lebendigkeit in sich, hat sich doch Jesus als der gute Hirte selbst bezeichnet. Er bleibt für den Gläubigen heute fruchtbar. Das kann man nur von einem Text sagen, der über seine unmittelbare Zeit hinaus Wirkkraft hat. Dieser Psalm gilt für den, der von sich sagt: Ich bin der Gute Hirte. Er kennt seine Schafe und die Schafe kennen ihn. Wenn Jesus sagt, meine Schafe kennen meine Stimme, dann hat er die Erfahrung, dass auch in einer natürlichen Schafherde jedes Schaf die Stimme seines Hirten kennt und ihm folgt. Er kennt uns, wir kennen ihn. Kennen in der Bibel heißt lieben, verstehen. Deshalb kann Jesus von sich sagen: Ich gebe mein Leben für meine Schafe, weil er sie liebt. Es gibt also einen Bogen vom Psalm 23 zum Johannesevangelium, das Jesus als den guten Hirten bezeichnet zur Apokalypse: Das Lamm weidet sie und führt sie zu den Wasserquellen des Lebens und Gott wird alle Tränen von ihren Augen abtrocknen. In all diesen Texten ist von Weide, von Schafen, von Tröstung die Rede und wir erkennen manche Andeutung nicht so deutlich weil durch die Einheitsübersetzung Bilder, die im Lateinischen oder im Griechischen deutliche Bilder sind, nicht mehr sichtbar werden. Denn es heißt in der Apokalypse: Gott wird sein Zelt über dem Gerechten aufschlagen und sie werden bei ihm wohnen für immer. (Im Haus des Herrn darf ich wohnen für lange Zeit; lange Zeit und immer ist das gleiche Wort, das hebräische Wort hat beide Bedeutungen.) Kehren wir zurück in die Väterzeit: Die vermutlich älteste Darstellung des guten Hirten, die älteste Darstellung Christi, ist ein Fresko das vor dem 3. Jhdt oder in der Mitte des 3. Jhdt’s entstanden ist. Das ist die Zeit in der in Nordafrika Cyprian in Kartago wirkt und Origines in Alexandrien. Da ist es zum Konzil von Niccäa noch fast 100 Jahre hin, da ist Ambrosius noch nicht geboren, sondern gerade der Mönchsvater Antonius. Die Verfolgungszeit hat noch lange kein Ende. Da sehen wir, wie wichtig die Figur des Guten Hirten war. Und wo wird sie dargestellt: In einem Baptisterium, in einer Taufkirche, die erst im 20. Jhdt. entdeckt wurde und zwar am Eufrat. Man findet es im 5. Jhdt. in Neapel, da ist nicht weniger als 4 x der gute Hirte dargestellt, es ist die Zeit des Augustinus und Ambrosius. Hier wird Er zwischen Wasserquellen gezeigt und wir wissen auch, dass das nicht die einzigen Darstellungen waren. Es gibt da eine Verbindung zwischen Gutem Hirten und Taufe. Ganz deutlich ist das im Baptisterium von Ravenna zu sehen. Im Text unter seiner Abbildung heißt es: „Er gab mir einen Platz auf der Weide, er zog mich auf und unterwies mich am Wasser der Erquickung“ – das ist nur eine andere Übersetzung des Psalm 23. Wenn man sich die Kommentare anschaut, die die Väter im 3. und 4. Jhdt. geschrieben haben, dann zeigt sich ganz deutlich, dass dieser Psalm als eine Prophezeiung über Taufe, Firmung und Eucharistie verstanden worden ist und zwar einhellig. In Capadozien, in Mailand, in Italien an jeder Ecke der damaligen kultivierten Welt bezeugen das Bischöfe. Daraus kann man schließen, dass der Psalm 23 an einem der Sonntage der Fastenzeit den Katechumenen übergeben worden ist, damit sie ihn auswendig lernten. Dann wird nach Ostern der Psalm vom Bischof erklärt: So schreibt der Hl. Ambrosius in einer Schrift für die Neugetauften: „de sacramentibus“ 5 „Höre noch einmal, welche Geheimnisse du erhalten hast. Höre ein Wort des Hl. David. Er sah im Geist diese Geheimnisse voraus, freute ich und sprach: Mir fehlt nichts“ Warum? Weil derjenige, der den Leib Christi empfangen hat, nicht mehr hungern wird in Ewigkeit. Wie oft hast du diesen Psalm schon gehört ohne ihn zu verstehen? Schau her, wie er den himmlischen Geheimnissen entspricht! „Der Herr führte mich auf die Weide“. Also, durch die Taufe wird der Christ-Gläubige dem Herrn und Hirten zu eigen, d.h. er ist für immer in Seiner Hut. Er beschützt mich, Er hütet mich. Wenn man ein Schaf in eine Weide aufnimmt, dann bekommt das Schaf einen Stempel – einen so genannten „Charakter“, so hieß dieses Ding, oder auch Siegel, ein Brandmal, das eingeprägt wird. Die Taufe ist die Einprägung eines Stempels, ein Vermerk: wohin gehört das Schäflein. Also dieser Stempel, der im profanen Griechischen Charakter hieß, wird mit der Taufe verbunden und zwar genau mit dem Kreuzzeichen, das dem Täufling auf die Stirn gezeichnet wird. Ein unsichtbares Zeichen, das auch die Seele prägt, nämlich das Zeichen des Herrn, wie bei einem Schäflein, das in die Herde aufgenommen wird. „Er stillt mein Verlangen und leitet mich auf rechten Pfaden“ – Guardini übersetzt: Er gewährte meiner Seele Erquickung. Die griechische und lateinische Übersetzung hat aber eine andere Sinnrichtung, da heißt es: „der Herr führte meine Seele zurück“, d.h. er führte meine Seele zu sich zurück. Die Übersetzung „er leitet mich auf rechten Pfaden“ ist fast nahe dran, aber im Griechischen ist es noch deutlicher: Gott zog mich zu sich, auf einem Pfad, der zu Ihm führt. Jemand der in Gerechtigkeit wandelt geht zu Gott. Darum sehen die Kirchenväter in diesem Ruheplatz am Wasser eine Belehrung, die dem Täufling gegeben wird. Endlich Trank! Trinken und Weisheit hängen fest miteinander zusammen. „Die Weisheit hat ihren Becher gemischt“ heißt es in der Schrift und die Wanderung im Todesschatten, die dann folgt, wird in der Taufe das Taufbad. Das ist jetzt neutestamentlich. Die Taufe ist ein Abbild des Sterbens. Man wird hineingetaucht in den Tod Christi, der alte Mensch wird getötet und der neue Mensch geht hervor. Deswegen ist das Symbol für die Taufe im AT ein ziemlich ernstes Symbol. Zwei Mal kommt im Alten Testament das Wasser vor, als Sinnbild von Untergang und Rettung, zunächst die Sintflut und dann der Durchzug durch das Rote Meer. Das zweimalige Untertauchen ist ein geheimnisvolles Durchgehen durch das Tal des Todes und wir hören heute noch im Stundengebet: O Herr, wir sind in Jesu Tod Wie in die Flut hineingetaucht Steh gnädig deinen Dienern bei Die Wasser tauft und Flut entflieht. Für die Kirchenväter war das etwas sehr Ernstes, sie wussten, dass der Tod ihnen möglicherweise sehr nahe war. Jederzeit kann wieder eine Verfolgung ausbrechen. In der Taufe stirbt man nicht unter Schmerzen sondern im Mysterium, im Sakrament. Das, was da in der Taufe geschieht, wird beim leiblichen Sterben offenbar werden, nämlich, dass der neue Mensch schon in Christus das Leben hat. Deshalb ist der gute Hirte auch auf Sarkophagen sehr häufig dargestellt. Wenn man heil aus dem Schatten des Todes gelangt, dann ist das dem Beistand des Herrn zu verdanken. „Muss ich auch wandern in finsterer Schlucht (Todesschatten), ich fürchte kein Unheil, denn du bist bei mir, die Stock und dein Stab geben mir Zuversicht.“ 6 Wir stellen uns den Stock und Stab des Hirten vor, aber im Griechischen heißt das so viel wie „Dein Beistand stützt mich“. Beistand – Tröstung stützt mich. Das erinnert vom Wort her an den Parakleten, den Beistand, den Tröster, im Griechischen der Hl Geist. Wenn man diese Zusammenhänge hat, dann sieht man sofort, wenn ich übersetze: „dein Tröster stützt mich“ ist mehr da, nämlich der Hl Geist, der uns gegeben wird, wenn wir im Schatten des Todes sind und er uns beisteht. „Du deckst mir den Tisch vor den Augen meiner Feinde“ Hier handelt es sich nicht nur um irdische Gegner, sondern um d e n Feind, der voller Neid ist gegenüber den Menschen von Anfang an, aber dieser Feind kann nichts mehr ausrichten, die Nahrung des Lebens wird gegeben in der Eucharistie, und, „du salbst mein Haupt mit Öl“, der Taufe folgt eine Salbung – die Firmung und „du füllst mir reichlich den Becher“ auch darunter ist die Kommunion zu verstehen. Welche Trunkenheit ruft sie hervor? Das ist die Schriftauslegung der Väter, wie sie sich in der Kunst und in den Hymnen niedergeschlagen hat, sie kommt von einer Mitte her: Der Glaube an Jesus Christus erschließt die Schriften des Alten Testaments. Der Glaube an Jesus Christus wird gefeiert in der Kirche in den Sakramenten und im Gottesdienst. Wir haben also 3 Ebenen des Geheimnisses: 1) die Schriften des alten Testaments zeigen, wie Gott an seinem Volk Israel gehandelt hat und wie er die Erlösung geplant hat. 2) Die Erfüllung ist Christus und 3) Sie wird nachvollzogen im Gottesdienst in der Kirche und in der Verkündigung. Deswegen ist der Psalm 23 ein Dankgebet für Taufe, Firmung und Eucharistie. Darum gehört er auch zur eisernen Ration als Nahrung zum Durchhalten, wenn wir Hilfe brauchen. Ein Bischof aus dem 6. Jhdt. Sagt: „Behaltet diesen Psalm im Gedächtnis, gebt ihn im mündlichen Bekenntnis wieder und behaltet ihn, wenn ihr ihn in der Sprache eingeprägt habt auch im Leben, gebt ihm Leben in Stimme und Verhalten.“ – das heißt, die Geistigkeit dieses Psalms soll unser Leben prägen. Frage: Warum ist dieser Psalm aus der Liturgie gestrichen worden, wenn er so eine Bedeutung hat. Heute hört man meist nur bei einer Taufe, dass der Täufling in die Gemeinde aufgenommen wird? Prof. Schlosser: Man hat vielleicht manchmal den Eindruck, dass diese Vielfalt von Gedanken, die mit der Taufe verbunden sind, zu viel ist. Taufe ist nicht nur Aufnahme in die Kirche, denn sie ist kein Verein zur Erinnerung an Jesus und seine Wunder und Taten, sie ist eine lebendige Gemeinschaft, die es nicht gäbe, wenn sie nicht die Beziehung zu Christus vermitteln würde. Der innere Kern der Kirche, das sind nicht wir, nicht das Kollektiv, nicht die Amtsträger, sondern das ist Christus selbst. Wenn man da hinein aufgenommen wird, dann heißt das auch, dass man ein neues Leben bekommt, frei wird von dem was einen hindern kann zu Gott. Die Taufe ist auch Sündenvergebung, es ist Mitteilung von Gnade, es ist eine Teilnahme am Sterben Jesu. Wenn diese Elemente nicht mehr gesehen werden, dann verflacht alles. Man soll nicht zurückschrecken davor, dass die Ernsthaftigkeit dieser Texte das ist, was nahrhaft ist! Die Tiefendimension des Sakramentes muss sichtbar gemacht werden. Taufe ist nicht ein Vorgang, der rational in 2 Sätzen zu erfassen ist. 7 Frage: Der Kirche wird von einigen Theologen vorgeworfen, sie würde die Schriften des Alten Testaments nur im Hinblick auf Jesus Christus lesen und so den eigentlichen Sinn und Wert der Bücher des Alten Testaments total verfälschen. Denken wir an den Verduner Altar. In der mittleren Zeile wird das Leben Jesu dargestellt, darüber in einer Zeile Ereignisse aus den 5 Büchern Mose, in der untersten Zeile sind noch andere Begebenheiten aus dem Alten Testament, die auf Christus bezogen werden Besteht dieser Vorwurf zu Recht? Prof. Schlosser: Jede Interpretation der Bibel geht von einem bestimmten Standpunkt aus. Wir sind niemals vorausetzungslos. Jeder, der die Bibel liest wird Gewährsleute haben, auf die er sich stützt. Ein Text ist nicht nur ein Text, ich muss ihn auch verstehen, ich muss die Voraussetzungen haben, diesen Text verstehen zu können. Schon Augustinus sagt, wenn einer die Worte eines Textes nicht versteht, z.B. das Hebräische, dann interpretiert er falsch, weil er auch falsch versteht. Auch historisch muss ich einiges verstehen. Ich muss z.B. wissen wann Antiochus gelebt hat. Das sind einmal die handwerklichen Voraussetzungen. Wenn ich es aber nur auf dieser Ebene lasse, dann muss ich mir eines Tages die Frage stellen: Warum soll dieser Text mir etwas sagen? Nicht nur mir persönlich – ich glaube, diese Frage ist zentral. Für die frühen Christen war klar: Die Schriften des Alten Bundes gehören uns, weil Christus die Erfüllung war. Es gibt 2 Möglichkeiten. Denken Sie an das Apostelkonzil auf dem die Frage nach der Beschneidung erörtert wurde. Entweder bleibt das Christentum eine jüdische Splittergruppe oder wir schieben alles weg, wie Markion es vertreten hat, der meinte, das Alte Testament sei keine inspirierte Schrift, wir sollten uns nur an die neutestamentlichen Schriften halten und uns am Christusereignis orientieren. Dann aber würden wir uns von den eigenen Wurzeln abschneiden. Wir könnten auch nicht mehr zugeben, dass Jesus der Sohn dessen ist der seinen Namen JAHWE offenbarte und der sich im Alten Testament Mose und den Propheten geoffenbart hat. Dieses Ringen war schwierig und gar nicht einfach. Die Lösung ist im Neuen Testament bereits angedeutet in den Streitgesprächen Jesu mit den Pharisäern. „Mose und die Propheten haben von mir geschrieben. Lest was in der Schrift steht, verstopft eure Ohren nicht, Hört doch!“ Das steht nicht nur in den Evangelien sondern auch in den Paulusbriefen. Es gibt im Neuen Testament eigene Hinweise die auf Schriften des Alten Testaments bezogen sind. Deswegen ist das Neue Testament tatsächlich ein Kommentar zum Alten Testament. Wenn die Kirchenväter im 2. Jhdt., da gibt es noch keinen festen Kanon der Schriften des Neuen Testaments, schreiben: wie die Schrift sagt, dann meinen sie das Alte Testament, weil sie ganz überzeugt sind, dass Gottes Handeln ein einziges Handeln ist. Die Art der Kirchenväterinterpretation leugnet nicht die Historie, keiner zweifelte daran, dass es Abraham und Mose gegeben hat, sondern sie sagten: dass ein geschichtliches Ereignis noch mehr Dimensionen haben kann als diesen begrenzten Radius, den es betrifft und ausleuchtet. Das geht aber nur, wenn man überzeugt ist, dass die Hl. Schrift eine einzige ist und dass auch Gottes Handeln ein einziges ist und nicht Zufall. 8