1 Московский государственный институт международных отношений (У) Кафедра немецкого языка Berufssprache Deutsch John Maynard Keynes und moderne VWL Учебное пособие для студентов четвертого курса, магистрантов и аспирантов экономических специальностей Составитель: Долбина И.Г. 2010г. 2 Paul Krugman Paul Robin Krugman (* 28. Februar 1953 in New York) ist ein US-amerikanischer Professor für Volkswirtschaftslehre (an der Princeton University), Sachbuchautor und Träger des Wirtschaftsnobelpreises 2008. Er ist Begründer der Neuen Ökonomischen Geographie. In den Vereinigten Staaten ist er besonders durch seine wöchentlichen Kolumnen in der New York Times über Fachkreise hinaus bekannt geworden. Krugman wuchs auf Long Island in einer amerikanischen Mittelschichtsfamilie auf. Sein Vater war Versicherungsmanager, sein Großvater ein jüdischer Einwanderer aus Weißrussland. Nach der High School studierte er Volkswirtschaftslehre und erwarb 1974 einen Bachelor of Arts an der Yale University. Im Jahre 1977 schloss er seine Doktorarbeit am Massachusetts Institute of Technology (MIT) mit einer Arbeit über flexible Wechselkurse ab. Im September 1977 wurde er Assistenzprofessor an der renommierten Yale University. Ab 1979 arbeitete er dann zusätzlich als Gast-Assistenzprofessor auch am MIT. 1980 wechselte er als Associate Professor ans MIT. Gleichzeitig gehörte er von September 1982 bis August 1983 zusätzlich als Berater für volkswirtschaftliche Fragen dem Rat der Wirtschaftsberater der Regierung unter Ronald Reagan an. Rückblickend betonte er, dass seine 3 kritischen Argumente gegenüber den politischen Entscheidungen während dieser Zeit nur wenig Gehör fanden. 1984 stieg er am MIT zum ordentlichen Professor auf. 1994 wechselte er vorübergehend an die Stanford University, kehrte jedoch 1996 ans MIT zurück. Seit Juli 2000 ist er Professor in Princeton.[] Mit dem Essay „Who Was Milton Friedman?“[2], das sich kritisch mit dem wissenschaftlichen Erbe Friedmans auseinandersetzt, stieß Krugman Anfang 2007 eine lebhafte Debatte an.[3] Den Wirtschaftsnobelpreis 2008 erhielt er insbesondere für seine „Analyse von Handelsstrukturen und Standorten ökonomischer Aktivität“.[7] Das Gebiet wird der New Trade Theory und der Neuen Ökonomischen Geographie zugeordnet. Die Annahmen der "alten" Außenhandelstheorie (Ricardos komparativer Kostenvorteil; Heckscher-Ohlin-Theorem) werden hierbei durch solche ersetzt, die der historischen Realität besser angepasst sind; dadurch werden Erklärungen möglich, wieso entgegen den Voraussagen der älteren Theorie der freie Handel nicht zu einem weltwirtschaftlichen Gleichgewicht geführt hat, sondern dass regionale Disparitäten und Agglomerationseffekte (Zentrum/Peripherie) entstehen können, wenn etwa Bedingungen berücksichtigt werden wie geänderte Produktionsfunktionen, die Transportkosten, die Marktstrukturen und bestimmte außenhandelspolitische Strategien.[8] 1a. Nobelpreisträger Krugman will alte VWLWeisheiten „beerdigen“ Der Nobelpreisträger Paul Krugman ist ein scharfer Kritiker der Mainstream-Ökonomie. Moderne Wirtschaftswissenschaft müsse auf einer realistischen Beschreibung menschlichen Verhaltens basieren, forderte Krugman im Handelsblatt-Interview. von Olaf Storbeck Scharfer Kritiker der Mainstream-Ökonomie: Paul Krugman. Quelle: dpa Handelsblatt: Wie sollte die VWL der Zukunft aussehen? Paul Krugman: Moderne Wirtschaftswissenschaft muss auf einer realistischen Beschreibung menschlichen Verhaltens basieren – nicht wie bislang auf der Annahme, dass wir alle rational agieren. HB: Wie schnell wird sich das Fach modernisieren? 4 Krugman: Das wird dauern. Wer 30 Jahre eine bestimmte Art von Forschung gemacht hat, der wird sich nicht mehr ändern. Es gibt das Sprichwort, dass sich wissenschaftlicher Fortschritt vor allem durch Beerdigungen vollzieht – also erst wenn die alte Generation abtritt, ist der Weg für neue Erkenntnisse frei. Das gilt auch in unserem Fach. Ich setze vor allem auf junge Volkswirte. Die werden sich hoffentlich fragen, ob es wirklich sinnvoll ist, so vorzugehen, wie es bislang üblich war – nämlich einfach nachzumachen, was die vorherige Generation gemacht hat, und dies mit mehr Mathematik zu versehen. Das ist nicht der richtige Weg. HB: Sie selbst haben Ihren Nobelpreis einem Modell zu verdanken. Krugman: Stimmt. Die generelle Idee, um die es in meiner Arbeit ging, war damals alles andere als neu. Alles, was ich getan habe, war ein formales Modell um diesen Gedanken zu bauen. So etwas passiert ständig in der VWL – und es ist auch nicht per se schlecht. Ein Modell hilft dabei, die Gedanken zu fokussieren. Nur muss man aufpassen, dass die formalen Methoden kein Selbstzweck werden. HB: Sie kritisieren besonders die Makroökonomie. Warum? Krugman: In der 1948 erschienenen ersten Auflage des Lehrbuchs von Paul Samuelson finden Sie mehr Sinnvolles, das auf unsere Krise passt, als im Großteil der wissenschaftlichen Literatur der vergangenen zehn Jahre. Es ist kein gutes Zeichen, dass Texte, die vor 60 Jahren geschrieben wurden, besser sind als die moderne Forschung. HB: Samuelson war einer der Ökonomen, die mathematische Methoden populär gemacht haben. Ist er für die Fehler der vergangenen Jahrzehnte mitverantwortlich? Krugman: Fakt ist, dass Samuelsons Arbeiten bei ihrer Veröffentlichung extrem mathematisch erschienen und aus heutiger Sicht nicht besonders anspruchsvoll wirken. Das ist keine positive Entwicklung. Mit Samuelson begann ein Trend. Aber Mathematik und Modelle haben auch ihren Nutzen. Auch ich ordne damit meine Gedanken – zum Beispiel mit neukeynesianischen Modellen. Nur glaube ich nicht vollständig an sie. HB: Warum nicht? Krugman: Weil darin alle Akteure rational agieren und es keinen Raum für irrationalen Überschwang gibt. Aber diese Modelle sind trotzdem nützlich. Man darf ihnen nur nicht blind vertrauen, sondern muss sich ihrer Grenzen bewusst sein. Das ist ein schwieriger Spagat. 5 1b. Lesen Sie den Artikel und geben Sie den Inhalt wieder. Nehmen Sie bitte Stellung zum angebotenen Thema. Wessen Partei nehmen die Lektoren der Universität an? Schlammschlacht um Friedmans Erbe 26.11.2007 Handelsblatt Weggefährten verteidigen den vor fast genau einem Jahr verstorbenen Nobelpreisträger (1976) vehement gegen Kritiker, die eine Abkehr von Friedmans Lehren fordern. Beide Seiten schrecken dabei nicht vor verbalen Tiefschlägen zurück. Ein Frontbericht. von Olaf Storbeck Milton Friedman im Jahr 1971 Er war einer der wichtigsten Protagonisten der Gegenreformation und gründete im 16. Jahrhundert die Gesellschaft Jesu, kurz Jesuiten, den bis heute wichtigen katholischen Männerorden – Ignatius von Loyola. Ihm wird die Devise zugeschrieben: „Ich glaube, dass das Weiße, das ich sehe, schwarz ist, wenn die hierarchische Kirche es so bestimmt.“ Geht es nach dem Princeton-Ökonomen Paul Krugman, dann ist der Ende 2006 verstorbene Milton Friedman eine Art Ignatius von Loyola der Ökonomie. So, wie sich Loyola gegen Martin Luther und den Protestantismus wandte, sei Friedman gegen John Maynard Keynes und den Keynesianismus zu Felde gezogen. 6 „Wie die Jesuiten agierten Friedmans Gefolgsleute als eine disziplinierte Armee der Gläubigen, die die keynesianische Ketzerei auf breiter Front zurückdrängten“, schreibt Krugman in einem provokanten Essay. Darin wirft er dem Nobelpreisträger von 1976 intellektuelle Unredlichkeit, Engstirnigkeit und überzogene Marktgläubigkeit vor. Der von Friedman begründete Monetarismus sei wissenschaftlich überholt. Krugman: „Was die Welt jetzt braucht, ist eine Gegen-Gegenreformation zum Friedmanismus.“ Das Essay mit dem Titel „Who was Milton Friedman?“, das im Februar im „New York Review of Books“ erschien, hat eine hitzige Debatte über das akademische Vermächtnis von Friedman ausgelöst. Darin schrecken beide Seiten nicht vor verbalen Tiefschlägen zurück. Fast genau ein Jahr, nachdem der Nobelpreisträger am 16. November 2006 im Alter von 94 Jahren gestorben ist, haben seine Anhänger jetzt zum Gegenschlag ausgeholt – allen voran die 92-jährige Anna J. Schwartz, die 1963 mit Friedman das monumentale Werk „A Monetary History of the United States“ verfasste. Zusammen mit Edward Nelson von der Federal Reserve Bank of St. Louis hat sie eine Replik auf Krugman geschrieben, die jüngst als wissenschaftliches Arbeitspapier des National Bureau of Economic Research erschienen ist. Die 39-seitige Arbeit mündet in der These, Krugman habe kein Recht, über Friedman zu urteilen. Der Princeton-Professor sei zwar ein „respektierter Handelstheoretiker“, in monetärer Ökonomie fehle ihm aber die wissenschaftliche Expertise. „Krugmans wissenschaftlicher Hintergrund qualifiziert ihn nicht als Autorität zu Friedmans Arbeit“, schreiben Schwartz und Nelson. „Friedmans Reputation ist intakt – trotz Krugmans kläglicher Versuche, ihn und seine Leistungen zu verunglimpfen.“ 7 Krugman ist mit seiner Kritik in guter Gesellschaft 1c. Allerdings ist Krugman nicht der erste hochkarätige Ökonom, der eine Emanzipation seines Fachs von Friedman fordert. Den Anfang hatte Nobelpreisträger George Akerlof (2001) bereits im Januar 2007 gemacht. In seiner „Presidential Address“ auf der Jahrestagung der American Economic Association kritisierte Akerlof: Friedman sei hauptverantwortlich dafür, dass Ökonomen viel zu enge und realitätsfremde Annahmen über das menschliche Verhalten treffen. Der Chicagoer Professor hatte in den fünfziger Jahren ein neues methodisches Paradigma für die Ökonomie propagiert. Er forderte, Wirtschaftswissenschaftler sollten in ihren Modellen nur objektive, mathematisch nachprüfbare Argumente verwenden. Dieses Postulat der „positiven Ökonomik“ habe einseitige Ökonomen produziert, die wichtige Triebkräfte menschlichen Verhaltens ignorierten, beklagte Akerlof. Vor allem die Bedeutung von sozialen Normen für ökonomische Entscheidungen werde sträflich vernachlässigt. „Berücksichtigt man solche Motivationsaspekte, kommt man zu einer Makroökonomie, die wichtige Anleihen an frühes keynesianisches Denken macht“, betonte Akerlof. Die Kritik von Krugman hat eine ganz andere Stoßrichtung. Anders als Akerlof hat er sich nicht auf Friedmans methodischen Einfluss eingeschossen, sondern auf dessen Rolle in der Wirtschaftspolitik. Der Hauptkritikpunkt: Bei seinem Eintreten für die freie Marktwirtschaft habe Friedman überzogen und sich von einem Wissenschaftler in einen Ideologen verwandelt. Grundsätzlich sei sein Argument, das Spiel von Angebot und Nachfrage liefere die besten Ergebnisse, in vielen Fällen zwar richtig. 8 „Friedman ist aber abgeglitten in die Behauptungen, dass der Markt immer funktioniert und dass nur der Markt funktioniert“, kritisiert Krugman. „Mit seinem laisser-faire-Absolutismus hat er zu einem geistigen Klima beigetragen, in dem der Glaube an den Markt und die Verachtung für Regierungen oft die Fakten übertrumpfen“, schreibt Krugman. Dies habe schwere wirtschaftspolitische Fehlentscheidungen provoziert – zum Beispiel bei der Frage, wie schnell sich Entwicklungsländer dem internationalen Kapitalmarkt öffnen sollten. Gerade in Lateinamerika falle die Bilanz der von Friedman propagierten angebotsorientierten Wirtschaftspolitik verheerend aus. Auch in Industrieländern habe es von ihm inspiriert eine zum Teil überzogene und fehlgeleitete Deregulierung und Privatisierung gegeben. Neben Friedmans öffentlicher Rolle lässt Krugman auch an dessen Geldpolitik kaum ein gutes Haar. „Der Monetarismus war in der ökonomischen Debatte lange eine starke Kraft“, schreibt Krugman, „aber heute ist er ein Schatten seiner selbst.“ Die Versuche von Notenbanken, monetaristische Konzepte anzuwenden, seien gescheitert. Anders als von Friedman erwartet habe zum Beispiel stetiges Geldmengenwachstum nicht zum Verschwinden von Rezessionen geführt. Seit Mitte der achtziger Jahre habe sich die Fed wieder der von Friedman vehement abgelehnten „diskretionären Feinsteuerung“ monetärer Größen verschrieben – und damit nachhaltige Erfolge in Form von niedriger Inflation und stetigem Wachstum gefeiert. 9 2a. Ökonom George Akerlof Die meisten Ökonomen nutzen simple Mathematik Ein lässiger Nobelpreisträger: George Akerlof bei einem Deutschland-Besuch in der Lobby des Hotels Steigenberger Metropolitan in Frankfurt 27. Oktober 2009 Der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler George Akerlof ist einer der wenigen Ökonomen, der die Finanzkrise vorhergesehen hat. Im Interview lobt er Deutschland dafür, mit der Kurzarbeit vorbildlich auf die Krise reagiert zu haben. Für die Zukunft fordert er: Die Ökonomie muss noch mathematischer werden. Herr Akerlof, jahrelang haben die Ökonomen erzählt, wir bräuchten Wachstum. Heute fragen sich viele: Sollten wir nicht lieber das Glück steigern? Das widerspricht sich doch gar nicht. Ich glaube, dass Menschen vor allem dann glücklich sind, wenn sie einen Arbeitsplatz haben. Und den haben sie, wenn die Wirtschaft gut läuft, also wächst. Gerade kurzfristig hängen Beschäftigung und Wachstum eng zusammen. Arbeit macht uns also glücklich? Ja. Dann müsste Deutschland zur Zeit ein glückliches Land sein. Anders als in Amerika ist die Arbeitslosigkeit in der Krise bisher kaum gestiegen. Ja, und das finde ich tatsächlich sehr gut. In einer Rezession ist es sowieso schon schwierig, eine neue Stelle zu bekommen. Wenn dann auch noch Leute entlassen werden und auf den Arbeitsmarkt strömen, wird es nur noch schwieriger. Die Entlassenen könnten sich doch eine neue Arbeit suchen, in einer Branche, die mehr Zukunft hat als die, aus der sie kommen. In einer Krise wie dieser stellt doch kaum ein Unternehmen ein. Das deutsche System der Kurzarbeit funktioniert in der Rezession besser. Es ist doch sinnvoller, dass alle Leute einen Tag weniger arbeiten in der Woche und etwas weniger verdienen, als dass viele weiterarbeiten wie bisher, aber einige Unglückliche ihre Stelle verlieren und gar kein Geld mehr haben. Dazu kommt: Die deutsche Kurzarbeit stabilisiert auch die Wirtschaft. Weil die Menschen so weitermachen wie bisher? 10 Genau. Sie kaufen weiter ein, das wirkt wie ein automatischer Stabilisator für die Wirtschaft, weil nicht auch noch der Konsum wegbricht. Der Preis dafür ist hoch: Der Staat bezuschusst die Kurzarbeit mit Milliarden. Aber ist das tatsächlich teurer, als die Wirtschaft durch viele Arbeitslose noch weiter zu bremsen? Ich kenne die genauen Zahlen nicht, aber ich wäre mir da nicht so sicher. Eins ist aber sicher: Das deutsche System animiert die Menschen dazu, sehr lange in Jobs zu verharren, die wenig Zukunft haben. Langfristig werden sie da nicht bleiben können, auch nicht in Deutschland. Aber das deutsche System gibt ihnen mehr Zeit, einen neuen Arbeitsplatz zu suchen. Sie müssen das nicht gerade dann tun, wenn es nur wenige Stellen gibt und sie sowieso kaum etwas finden. Zum Beispiel zur Zeit. Das könnte doch bald besser werden, wenn man den Prognosen glaubt. Ist die Krise nicht bald vorbei? Wir sollten uns nicht zu sicher sein. Wieso? Ich glaube, dass unsere Einstellung nicht richtig ist. Wir glauben momentan entweder, die Krise ist mit Sicherheit vorbei, oder das Gegenteil davon - je nachdem, wie die Nachrichten gerade sind. Und was sollen wir stattdessen tun? Etwas gelassener an das Thema herangehen. Jetzt sollten wir uns darüber freuen, dass die Rettungsmaßnahmen für die Banken offenbar funktionieren. Zugleich sollten wir aber trotz allem Pläne in der Tasche haben für den Fall, dass noch etwas schiefgeht. Sie legen sich lieber nicht darauf fest, was im kommenden Jahr passiert? Nein. Aber in der vergangenen Krise hatten Sie die richtige Intuition. Ja, ich hatte es im Gefühl, dass eine große Finanzkrise kommen würde. Da waren Sie einer von wenigen. Die meisten Ihrer Kollegen haben die Krise nicht gesehen. Warum Ich glaube, es gab zwei wesentliche Gründe dafür. Zum einen haben viele die großen Wertpapierbündel nicht tief genug durchschaut und analysiert, um zu wissen, welche Risiken sich dahinter verbergen. Und zweitens? Die uns allen zur Verfügung stehenden Statistiken waren nicht geeignet, um das Geschehen gerade rund um die problematischen Wertpapiere abbilden zu können. Ich selbst habe schon 11 1994 in einer Analyse mit Paul Romer geschrieben, dass es eine Krise auf dem Derivatemarkt geben könnte ... ... Gewarnt haben Sie aber nicht. Nein. Ich wusste nicht, wie ich das machen soll. Viele Kollegen hatten die gleiche Intuition wie ich, fanden aber auch keinen Weg, den warnenden Artikel zu schreiben. Wieso? Es muss doch ein Leichtes sein, das zu kommunizieren. Eben nicht. Denn es gab keine Statistiken, mit denen ich das einwandfrei hätte belegen können. Und auf die Intuition allein hätte niemand gehört. Auch nicht auf die eines Nobelpreisträgers? Ich glaube nicht. Welche Daten fehlten? Zum Beispiel darüber, wie groß das Gesamtvolumen der komplizierten Finanzprodukte mit dem Namen Credit Default Swaps war. Sind bessere Statistiken dann der Schlüssel dafür, eine neue Krise zu verhindern? Sie sind ein wichtiger Teil, ja. Wir brauchen bessere Zahlen, zum Beispiel über Credit Default Swaps. Sie sollten erst dann gehandelt werden können, wenn das Volumen dieser Transaktionen gemessen wird. Außerdem sollten gerade solche Papiere der gleichen Regulierung unterliegen wie jede Versicherung: Das Ausfallrisiko muss erstens klar und zweitens abgesichert sein. Wertpapiere sollen gegen ihren eigenen Ausfall versichert sein? Genau. Wenn Sie ein Haus besitzen, dann haben sie dafür auch eine Feuerversicherung. Das sollte es auch für Finanzprodukte geben. Es sollte gesetzlich vorgeschrieben sein, dass sie für den Katastrophenfall gegen Ausfall versichert sind. Verantwortlich für die Krise war aber nicht nur die Regulierung, sondern auch die Menschen. Viele schimpfen auf die hohen Verdienste der Banker. Müssen Boni nun gesetzlich vorgeschrieben werden? Ich weiß nicht, ob es dafür eine vernünftige gesetzesfähige Lösung gibt. Aber etwas ändern muss man? Wir wissen, dass jemand, der einen Bonus kriegt, dafür auch etwas tut und dass das nicht notwendigerweise gut für die Firma sein muss. Und wir müssen ein weiteres Phänomen einbeziehen: Wenn die Öffentlichkeit denkt, dass die Boni zu hoch und deshalb unfair sind, wird es auf Dauer soziale Probleme geben. Halten Sie denn die Boni der Banker für zu hoch? Ich denke, dass es unfair ist, wenn jemand einen Riesenbonus bekommt, der seine Firma in den Ruin getrieben hat. 12 Eine andere stark kritisierte Berufsgruppe in dieser Krise ist Ihre eigene, die Ökonomen. Was muss sich bei Ihren Kollegen ändern? Sie müssen ihre Modelle, mit denen sie versuchen, die Wirklichkeit abzubilden, verbessern. Was fehlt denn den gängigen Modellen? Gefühle. Wir Menschen sind sehr emotional und zeigen in bestimmten Situationen ein Verhalten, das unter ökonomischen Gesichtspunkten nicht rational ist. Wir orientieren uns zum Beispiel an gesellschaftlichen Normen, was dazu führt, dass wir nicht immer das tun, was uns selbst den höchsten Gewinn bringt. Dieses Verhalten wird bisher nicht genügend berücksichtigt. Wie kann man das ändern? Dafür braucht es komplexere mathematische Verfahren, als wir Ökonomen sie momentan meist verwenden. Wie bitte, Sie fordern mehr Mathematik? Meistens werden die Ökonomen doch dafür kritisiert, dass sie zu mathematisch sind. Und das ist falsch. In Wahrheit benutzen die meisten Ökonomen nur relativ simple Mathematik. Deshalb lassen ihre Modelle viel von dem außen vor, was im Leben passiert. Die Ökonomen haben nicht genügend Respekt vor den interessanten Ergebnissen, die kompliziertere Mathematik hervorbringen kann. Wenn wir etwa in unsere Modelle ein komplexeres Menschenbild einbauen wollen, einen Menschen, der Gefühle hat, nicht immer rational agiert, dann brauchen wir mehr Mathematik, nicht weniger. Ihr eigenes Buch, das Sie gemeinsam mit dem Kollegen Robert Shiller geschrieben haben, kommt aber ohne mathematische Formeln aus. Das stimmt, aber hinter unseren Überlegungen verbirgt sich eine mathematische Struktur, die jemand mit einem starken ökonomischen Hintergrund erkennen wird. Nicht-Ökonomen werden sie nicht erkennen und auch nicht brauchen. Allerdings ist viel von dem, was wir schreiben, auch noch nicht in Formeln gefasst worden. Das müssen künftige Generationen leisten. Blicken wir zum Schluss einmal auf andere Art in die Zukunft: Was sind die wichtigsten Themen für Wirtschaftswissenschaftler in den nächsten hundert Jahren? Zunächst und als Allererstes müssen wir die gegenwärtige Wirtschaftskrise lösen und künftige Krisen verhindern. Das ist ein Thema, das alle anderen wichtigen Belange schnell von der Tagesordnung verdrängt. Zum Beispiel? Mit Blick auf die Vereinigten Staaten sind weitere Themen die Folgen des Klimawandels und der Umgang mit Minderheiten und Armut. Wobei wir Ökonomen natürlich zur Bewältigung der Finanzkrise am meisten beitragen können. Das Gespräch führten Alexander Armbruster und Lisa Nienhaus. 13 3a. Geben Sie kurz den Inhalt des Artikels wieder: Wie Friedmans Weggefährten den Monetarismus verteidigen Auf die Kritik an der politischen Rolle, die Milton Friedman spielte, gehen Anna Schwartz und Edward Nelson in ihrer Replik auf Krugman nicht ein. Sie konzentrieren sich auf die Verteidigung seines monetaristischen Erbes in der Geldpolitik. Dort habe Friedman bis heute einen nachhaltigen Einfluss hinterlassen. Zwar sei es richtig, dass seine konkreten Empfehlungen zur Geldpolitik weitgehend überholt seien. So ließen die Zentralbanken heute weder die Geldmenge mit einer konstanten Rate wachsen noch sei die monetäre Basis das zentrale Instrument moderner Geldpolitik. Schwartz und Nelson räumen ein: Wären diese beiden Positionen der Kern des Monetarismus, dann läge die Schlussfolgerung nahe, diese geldpolitische Schule sei tot. Tatsächlich handele es sich dabei aber um nichts mehr als um handwerkliche Details. Diese seien zwar inzwischen verworfen, „aber viele theoretische und empirische Kernpositionen des Monetarismus gehören heute zum Mainstream“, betonen sie. „Bei der Ausarbeitung ihrer Zinspolitik orientieren sich die Notenbanken heute an diesen Erkenntnissen in einer Weise, wie es in den siebziger Jahren noch nicht der Fall war.“ Ein Beispiel sei die auf Friedman zurückgehende Erkenntnis, dass die Geldpolitik zwingend zwischen nominalen und realen Zinssätzen unterscheiden müsse. Auch das Theorem, niemand anders als die Zentralbank sei für die Kontrolle der Inflation verantwortlich, sei monetaristisches Urgestein. So argumentiert auch Carnegie-Mellon-Professor Allan Meltzer. Dass Friedmans geldpolitische Detailvorschläge verworfen wurden, sei nebensächlich. „Sein Anliegen war es, die Zentralbanken dazu zu bringen, die Inflation zu 14 kontrollieren“, schreibt er in einem Papier, das vor Krugmans Essay erschienen ist. Schwartz und Nelson betonen ferner: Krugman übersehe, dass die moderne Makroökonomie zentrale monetaristische Positionen so gründlich übernommen habe, dass viele seiner einst umstrittenen Positionen heute als ganz selbstverständlich erschienen. Dieses Argument geht auf Fed-Chef Ben Bernanke zurück. Der schon hatte vor Jahren in einem Vortrag beklagt: Wie revolutionär Friedmans Ideen waren, könne man heute kaum noch erfassen. Junge Volkswirte seien in einer Situation wie Literatur-Studenten, die erstmals Shakespeare lesen – und sich darüber wundern, dass dieser einfach nur bekannte Zitate aneinander gereiht hat. Wobei es natürlich Shakespeare war, der die Zitate erst geschaffen hat. 3b. Geben Sie den Inhalt des Artikels wieder: George Akerlif greift Neoklassiker scharf an Wo Keynes Recht hatte und Friedman irrte Der Ökonomienobelpreisträger und derzeitige Präsident der American Economic Association, George Akerlof, nutzte seine Ansprache bei der Jahrestagung des Vereins für eine Generalabrechnung mit der Neoklassik und für eine Rehabilitation des Keynesianismus. Jetzt ist die viel beachtete Rede Akerlofs im "American Economic Review" erschienen. von Olaf Storbeck und Chicago Ausgerechnet Chicago. Ausgerechnet hier, wo die neoklassischen "Chicago Boys" um Milton Friedman Ende der sechziger Jahre den Angriff auf den Keynesianismus begonnen hatten, eröffnete Ökonomie-Nobelpreisträger George Akerlof jetzt eine Gegenoffensive. Es sei höchste Zeit für einen erneuten Paradigmenwechsel in der Makroökonomie, forderte der Präsident der American 15 Economic Association (AEA) in seiner „Presidential Address“ auf der Jahrestagung des Verbandes zu Jahresbeginn in Chicago. Die viel beachtete Rede ist jetzt im "American Economic Review" erschienen - und sorgt in der ökonomischen Zunft für einige Diskussionen. Kein Wunder, war der Vortrag doch eine Generalabrechnung mit der MakroÖkonomie der vergangenen drei Jahrzehnte - und eine Rehabilitierung des Keynesianismus. Anders als die Neoklassiker hätten „die frühen Keynesianer einen Großteil des ökonomischen Systems richtig verstanden“, sagte Akerlof. Sein zentraler Kritikpunkt: Die Annahmen, die neoklassische Ökonomen über das menschliche Verhalten treffen, seien viel zu eng und realitätsfremd. Die heutige Makro-Ökonomie blende wichtige Motivationen des menschlichen Verhaltens aus. Menschen orientierten sich nicht nur an ihrem eigenen Nutzen, sondern auch an gesellschaftlichen Normen. In die Mikroökonomie hat diese Einsicht schon lange Einzug gehalten. Zahlreiche Experimente haben gezeigt: Menschen verhalten sich in der Realität nicht so egoistisch und rational, wie es Wirtschaftswissenschaftler traditionell annehmen. Akerlof fordert, diese Erkenntnisse endlich auch auf die gesamtwirtschaftliche Ebene zu übertragen. „Berücksichtigt man solche Motivationsaspekte kommt man zu einer Makroökonomie, die wichtige Anleihen an frühes keynesianisches Denken macht", sagte Akerlof. 3c. Übersetzen Sie ins Russische: Warum der Keynesianismus aus der Mode geraten war Der Keynesianismus war in den siebziger Jahren aus der Mode geraten - vor allem, weil seine Methoden als nicht mehr zeitgemäß galten. Denn die Modelle der Keynesianer basierten auf Ad-hoc-Annahmen über das ökonomische Verhalten der Akteure. Die makroökonomischen Zusammenhänge waren nicht 16 aus stringenten Annahmen über das Verhalten der einzelnen Verbraucher und Unternehmer abgeleitet. Die neo-klassischen Ökonomen dagegen setzten auf die so genannte „MikroFundierung“. Sie kamen zu dem Ergebnis: Staatliche Interventionen in die Wirtschaft sind weitgehend wirkungslos. Denn Menschen, die in perfekten Märkten rational ihren Nutzen maximieren, richten ihren Konsum nicht an ihrem aktuellen Einkommen aus, sondern an ihrem Lebenseinkommen - kurzfristige Steuersenkungen oder Lohnerhöhungen sind also neutral für den privaten Verbrauch. Ähnliches gilt für Unternehmen, die in der neoklassischen Welt ihre Investitionsentscheidungen nicht von ihrem aktuellen Cash-Flow abhängig machen. Zwischen der Inflationsrate und der Arbeitslosigkeit gibt es in den Modellen langfristig keinen Zusammenhang; weder die Geld- noch die Fiskalpolitik haben dauerhaften Einfluss auf die Realwirtschaft. All diese Phänomene basieren auf der Annahme, dass die jeweiligen Entscheidungsträger Nutzenmaximierer sind. „Aber die Nutzenfunktionen der Akteure sind sehr eng definiert“, betonte Akerlof. Die Realität dagegen sei wesentlich komplexer: „Die Menschen haben meist auch Meinungen darüber, wie sie sich verhalten sollten und wie nicht. All dies betrachten neo-klassische Volkswirte nicht", kritisiert er. Was sich durch die Berücksichtigung von Normen alles ändert Wenn man solche sozialen Normen in den Nutzenfunktionen berücksichtige, gebe es die neoklassischen Phänomene nicht mehr. So basiere die Aussage, dass es keinen dauerhaften Zusammenhang zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit gebe, auf der Annahme, dass sich die Menschen nur an realen und nicht an nominalen Größen orientieren. Akerlof präsentierte zahlreiche Belege dafür, dass dies in der Realität nicht der Fall ist. So komme es äußerst selten zu Nominallohn-Senkungen. „Die Beschäftigten haben eine Norm dafür, wie die 17 Löhne aussehen sollen“, so Akerlof. Unternehmer schreckten selbst in Krisenzeiten vor Lohnkürzungen zurück, weil sie fürchten, dass dann die Arbeitsmoral und Loyalität der Beschäftigten leide. Auch für Konsum- und Sparentscheidung spielten Normen eine große Rolle. „Eine wichtige Determinante des Konsums ist, dass die Menschen eine Vorstellung darüber haben, was sie konsumieren sollten“, betonte Akerlof. Daraus folgt: Nur, wenn wir eine Ausgabe auch als angemessen betrachten, tätigen wir sie - auch wenn wir uns auch unangemessene Dinge durchaus leisten könnten. Dafür, dass Ökonomen soziale Normen jahrzehntelang ignoriert haben, macht Akerlof den jüngst verstorbenen Milton Friedman verantwortlich. Der hatte Ende der fünfziger Jahre das Postulat der „positiven Ökonomie“ ausgegeben. Es besagt, dass Wirtschaftswissenschaftler in ihren Modellen nur objektive, mathematisch nachprüfbare Argumente verwenden sollten. „Unsere heutigen Methoden haben einseitige Ökonomen produziert, die blind sind für Normen", sagte Akerlof. Um diesen Mangel zu beheben, forderte er eine methodische Neuausrichtung der Disziplin - an die Stelle der „positiven“ soll nach seinen Vorstellungen eine „naturalistische“ Ökonomie treten. Das Fach müsse größeres Gewicht auf Fallstudien legen und wirtschaftliche Entscheidungsträger genau beobachten, um ihre Motivationen herauszufinden. Dies sollte künftig die Basis für makroökonomische Modelle sein - und nicht mehr abstrakte Annahmen über die Triebkräfte menschlichen Verhaltens. 18 Text 6. Bitte, schriftlich übersetzen: Die Kernaussagen 1936 legt Keynes in seinem Hauptwerk das Ergebnis seiner theoretischen Analyse vor, die vielfach als „Keynes’sche Revolution“ bezeichnet wird. Vier zentrale Ergebnisse seiner "Allgemeinen Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes" werden hier vorgestellt. A) Die Güternachfrage bestimmt das Niveau von Produktion und Beschäftigung – abgesehen von einer Situation der Vollbeschäftigung Die Zahl der Beschäftigten in einer Volkswirtschaft wird von dem Quantum an Gütern und Diensten bestimmt, das die Unternehmen erwarten verkaufen zu können; entsprechend dieser erwarteten Güternachfrage produzieren sie und beschäftigen sie Arbeitskräfte. Entscheidend ist daher die effektive Nachfrage, mit der die Unternehmen tatsächlich rechnen und die sie ihrer Produktionsplanung zugrunde legen. Die effektive Nachfrage umfasst die inländische Nachfrage nach Konsum- und Investitionsgütern sowie die Nachfrage des Auslands. Davon zu unterscheiden ist die gewünschte Nachfrage bei gewünschten Einkommen der Haushalte, mit der die neoklassische Theorie operiert. Nur wenn alle Ressourcen einer Volkswirtschaft voll beschäftigt sind, begrenzt die Ressourcenausstattung Produktion und Beschäftigung. B) Die Investitionen bestimmen Volkseinkommen und Ersparnis, nicht umgekehrt Die Nachfrage der privaten Haushalte nach Konsumgütern ist zwar die umfangreichste Nachfragekategorie, sie folgt jedoch im Wesentlichen der wirtschaftlichen Entwicklung, denn sie wird vom verfügbaren Einkommen 19 bestimmt, das den Haushalten in Form von Löhnen, Zinsen, Gewinnen und Transfereinkommen netto zufließt. Eine entscheidende Rolle für die wirtschaftliche Dynamik spielen dagegen die Sachinvestitionen. Diese werden von der Differenz zwischen Marktzins und erwarteter Rendite bestimmt. Ihre Abhängigkeit von den Renditeerwartungen macht sie zur Quelle der Instabilität: "In the case of durable assets it is ... natural and reasonable that expectations of the future should play a dominant part in determining the scale on which new investment is deemed advisable. But ... the basis for such expectations is very precarious. Being based on shifting and unreliable evidence, they are subject to sudden and violent changes" (1936, S.315). Die Schwankungen der Investitionsgüternachfrage breiten sich über die gesamte Volkswirtschaft aus; denn wenn die Produzenten von Industriegütern ihre Produktion reduzieren, dann verlieren dort Arbeitskräfte ihren Arbeitsplatz oder ihr Einkommen verringert sich durch kürzere Arbeitszeiten. Sie können dann weniger Konsumgüter kaufen; daraufhin geht die Nachfrage nach Konsumgütern und anschließend die Produktion dieser Güter ebenfalls zurück. Die sinkende Industriegüternachfrage löst also eine Spirale nach unten aus, in deren Verlauf die Einbußen an Einkommen und Produktion größer sind als der ursprüngliche Nachfrageeinbruch. Es ist das Verdienst von Kahn (1931), erstmals diesen multiplikativen Prozess nach unten (analoges gilt für einen Prozess nach oben) präzise analysiert zu haben, der die entscheidende Rolle der effektiven Güternachfrage für Produktion und Beschäftigung unterstreicht. Im Zuge des Multiplikatorprozesses ändern sich die Einkommen und die Spartätigkeit der privaten Haushalte. Die Ersparnisse passen sich an die Investitionen so lange an, bis die Lücke zwischen Investitionen und Ersparnissen, die den Prozess ausgelöst hat, wieder geschlossen ist. Erst dann kann die Produktion insgesamt abgesetzt werden und die Produktions- und 20 Beschäftigungspläne der Unternehmen müssen nicht nach unten revidiert werden. Keynes weist aus zwei Gründen die neoklassische These zurück, die bereits im Say'schen Gesetz ihren Ausdruck fand, wonach diese Lücke durch den Zinsmechanismus, vor allem durch Anpassung der Investitionen an die Ersparnis, geschlossen wird. Erstens wird der Zinssatz nicht direkt durch Ersparnisse und Investitionen bestimmt, sondern durch Angebot und Nachfrage nach Geld. Dabei bestimmt die Zentralbank das Geldangebot, während die Geldnachfrage sich aus dem Bedarf an Geld für Transaktions-, Vorsichts- und Spekulationszwecke ergibt. Zweitens sind häufig die Schwankungen der Renditeerwartungen viel zu stark, als dass sie durch Variation des Zinssatzes kompensiert werden könnten. C) Flexible Preise und Löhne ändern an diesen Zusammenhängen nichts Noch weniger können die Schwankungen der Investitionstätigkeit und damit der Beschäftigung vom privaten Sektor endogen durch flexible Löhne und Preise ausgeglichen werden, weil - im Gegensatz zu den Thesen der klassischen und neoklassischen Lehre - eine Senkung des allgemeinen Lohnniveaus keinen sicheren positiven Beschäftigungseffekt hat. Dabei liegt der Unterschied zur damals herrschenden Lehre nicht in der Vermutung, eine allgemeine Senkung der Nominallöhne sei wegen des Widerstands der Gewerkschaften und der Arbeiter nicht durchsetzbar; diese Rigidität der Löhne nach unten war und ist die Grundlage für die neoklassische Erklärung der Arbeitslosigkeit. Der Unterschied liegt vielmehr darin, dass Keynes eine allgemeine Lohnsenkung, selbst wenn sie möglich wäre, für ein ungeeignetes Mittel der Beschäftigungspolitik hält: "There is no ground for the belief that a flexible wage policy is capable of maintaining a state of continuous full employment ... The economic system cannot be made self-adjusting along these 21 lines" (Keynes, 1936, S. 267). Dieses Ergebnis erzielt Keynes im 19. Kapitel seiner „General Theory“, wo er die Wirkungen flexibler Preise und Löhne analysiert. Er nimmt dafür an, das gesamtwirtschaftliche Niveau der Nominallöhne werde gesenkt und daraufhin sinke das Preisniveau, wenn auch in geringerem Umfang (u.a. deswegen, weil bei Keynes in mikroökonomischer Tradition die Unternehmen mit steigenden Grenzkosten produzieren), so dass die Reallöhne ebenfalls sinken, wenn auch weniger als die Nominallöhne. Ein historisches Beispiel für eine solche Entwicklung lieferte in Deutschland die Brüning’sche Notverordnung von 1931, wonach alle Tariflöhne und alle Kartellpreise um 10 % gesenkt werden mussten. Da nur ein Teil der Preise auf diese Weise von dieser Verordnung betroffen war, sank das Preisniveau weniger als das Lohnniveau und die Reallöhne gingen zurück. Diese Veränderungen beeinflussen die Güternachfrage und die Beschäftigung teils positiv, teils negativ. Die auftretenden Effekte sind in der folgenden Tabelle übersichtlich dargestellt. Dabei ist ein Effekt mit aufgeführt, den Keynes nicht nennt, nämlich der Geldvermögenseffekt, auf den erst Pigou (1943) hinweist. Die Übersicht ist so gestaltet, dass jeweils zwei inhaltlich zusammenhängende gegenläufige Effekte gegenüber gestellt sind. Nr. Bezeichnung Auslöser: Positiver vs negativer Effekt Änderung der/des auf die Güternachfrage 1 2 3 Bestands-Effekte Preise GeldmarktEffekte Außenhandels- Preise Preise Geldvermögens- vs Geldschulden – Effekt Zins-(Keynes)- vs Geldmengen-Effekt Export- vs terms of trade- 22 Effekte 4 5 VerteilungsEffekte Subjektive Effekte Effekt Reallohn Löhne/Preise +∆I (wegen +∆G)- vs -∆G (wegen -∆L)-Effekt Stimmungs- vs ErwartungsEffekt Die Bestandseffekte (Nr. 1) resultieren daraus, dass bei einem sinkenden Preisniveau der reale Wert der Geldvermögen und der Geldschulden ansteigt. Die Geldvermögensbesitzer haben also an Kaufkraft gewonnen. Dies könnte sie veranlassen, ihre Konsumgüternachfrage zu erhöhen. Ihnen gegenüber stehen die Schuldner, deren reale Schuldenlast sich vergrößert, so dass viele von ihnen sich veranlasst sehen, ihre Ausgaben zu reduzieren, um ihre Schulden weiterhin bedienen zu können. Sie werden also ihre Güternachfrage reduzieren. Die Geldmarkteffekte (Nr. 2) beruhen ebenfalls auf dem sinkenden Preisniveau: Der Zinseffekt resultiert daraus, dass im Moment der Preisniveausenkung der nominale Wert der Transaktionen in der Volkswirtschaft niedriger wird. Deshalb wird weniger Geld für Transaktionszwecke benötigt. Die so begründete Kassenhaltung geht zurück und damit sinkt bei gegebener Geldmenge der Zins, bis der Geldmarkt wieder ins Gleichgewicht kommt. Diesem bei zinsabhängigen Investitionen positiven Effekt auf die Güternachfrage steht der Geldmengeneffekt gegenüber. Dieser ergibt sich, weil alle, die einen Teil ihrer Ausgaben über Kredite finanzieren (dies betrifft insbesondere die Investitionen der Unternehmen und die Käufe langlebiger Konsumgüter), feststellen, dass sie für die geplanten Käufe wegen des allgemein gesunkenen Preisniveaus weniger Kredite aufnehmen müssen. Dann geht die Kredit- und Geldschöpfung in der Volkswirtschaft zurück. Die Geldmenge fällt geringer aus als ohne die Preissenkung. Da nun die Geldmenge niedriger ist, kompensiert sie ganz oder teilweise die im Rahmen des Zinseffektes verringerte Geldnachfrage, so dass es insgesamt ungewiss ist, ob die 23 Zinsen überhaupt sinken. Ist dies nicht der Fall, gibt es auch keinen positiven Gütermarkteffekt. Auch die beiden gegenläufigen Außenhandelseffekte (Nr. 3) resultieren aus dem sinkenden Preisniveau, das für die Exportentwicklung günstig ist, weil die inländischen Produkte nun relativ billiger werden. Diesem positiven Effekt kann jedoch ein negativer Effekt gegenüber stehen, der von den relativ teurer gewordenen importierten Gütern ausgelöst wird. Sofern die Nachfrage nach den Importgütern wenig preiselastisch ist (z.B. für Mineralöl und für Nahrungsmittel), müssen die Inländer einen größeren Teil ihres Einkommens für Importgüter ausgeben, so dass für die Nachfrage nach heimischen Produkten weniger Einkommen übrig bleibt. Damit geht die Nachfrage nach heimischen Erzeugnissen zurück. Dies kann den positiven Exporteffekt ausgleichen. Die Verteilungseffekte (Nr. 4) resultieren aus den gesunkenen Reallöhnen, die bei unveränderter Arbeitsproduktivität eine Umverteilung von den Löhnen zu den Gewinnen bedeuten. Die höheren Gewinne können positiv auf die Investitionstätigkeit einwirken (bei unveränderten Absatzerwartungen könnte dies allerdings mehr Rationalisierungsinvestitionen bedeuten, die zwar kurzfristig zusätzliche Güternachfrage darstellen, nach ihrer Installation jedoch Arbeit durch Kapital ersetzen, also die Beschäftigung verringern), die niedrigen realen Lohneinkommen dämpfen dagegen die Nachfrage nach Konsumgütern. Als subjektive Effekte nennt Keynes einen Stimmungseffekt und den gegenläufigen Erwartungseffekt: Durch die Lohnsenkung kann die Stimmung der Geschäftsleute verbessert werden, da sie eine solche Maßnahme als eine Einsicht in die wirtschaftlichen Notwendigkeiten – sei es bei der Regierung, sei es bei den Gewerkschaften – interpretieren, wodurch sich ihre Stimmung und damit das Geschäftsklima und die Zukunftsaussichten verbessern. Der entgegengesetzt wirkende Erwartungseffekt tritt ein, wenn mit weiteren Lohn- und Preissenkungen 24 gerechnet wird. Bei einer solchen Erwartung lohnt es sich, Güterkäufe aufzuschieben, um in späteren Perioden von niedrigeren Preisen zu profitieren. Es lohnt sich für die Unternehmen ebenfalls, die Einstellung von Arbeitskräften zu verschieben, weil sie bei bereits eingestellten Arbeitnehmern die Entlohnung nicht so einfach reduzieren können wie bei Neueinstellungen. Insgesamt ist es nicht möglich, angesichts dieser gegenläufigen Effekte das Vorzeichen der Beschäftigungswirkung flexibler Preise und Löhne vorherzusagen. Dieses Ergebnis war für Keynes zentral, wie auch Kahn, der in der Erläuterung zu Nr. 9 erwähnte Mitstreiter von Keynes, berichtet: "Keynes was mainly concerned, in the General Theory, with the failure of economists and others to appreciate the reluctance of money wages to fall and to realize that even if they did fall, unemployment would not be diminished, except in industries subject to competition D) with overseas suppliers" Wirtschaftspolitische (Kahn, 1978, S. 554). Schlussforgerungen Aus dem Fehlen eines endogenen Stabilisierungsmechanismus, der die starken Schwankungen der Investitionstätigkeit ausgleichen könnte, folgert Keynes (1936, S. 320): "Die Aufgabe, das Volumen der Investitionen zu steuern, kann nicht in privaten Händen gelassen werden." Keynes meint allerdings, die Geldpolitik werde nicht immer in der Lage sein, diese Steuerungsaufgabe erfolgreich zu übernehmen. Schon 1933 hatte er in einem „Open Letter„ (C.W., Vol. XXI , S. 289-297) geschrieben: In der Depression sei der Versuch, durch bloße Vermehrung der Geldmenge Produktion und Einkommen zu steigern, mit dem Versuch vergleichbar, dadurch dicker zu werden, dass man sich einen längeren Gürtel kauft. Entscheidend sei es vielmehr, dass von dieser Geldmenge auch Gebrauch gemacht und mehr Geld für Güter ausgegeben wird. Wegen dieser Grenzen der Geldpolitik müssen nach Ansicht von Keynes auch die Staatsausgaben und -einnahmen konjunkturpolitisch eingesetzt werden, um 25 Einkommen und Beschäftigung zu steuern. Diese wirtschaftspolitische Forderung erhebt Keynes freilich nicht als erster. Ganz im Gegenteil befürworteten damals viele Ökonomen öffentliche Ausgabenprogramme zur Senkung der Arbeitslosigkeit (s. Morgan, 1978, S. 2). Das Problem war jedoch, dass diese Forderung sich vor Keynes nicht aus der ökonomischen Theorie ableiten ließ, sondern ihr eher widersprach. Blaug formuliert daher die Quintessenz des Beitrags der Keynesschen Theorie zur Wirtschaftspolitik so (1978, S. 690/91): "... the Keynesian Revolution succeeded because Keynes produced the policy conclusions most economists wanted to advocate anyway, but it produced these conclusions as logical inferences from a tightly knit if not always consistent theory, and not as endless Ziel epicycles dieser on a full wirtschaftspolitischen employment model Empfehlungen ist of the economy". die Steuerung des Investitionsvolumens. Damit verfolgt er das Ziel, das kapitalistische System mit seiner privaten Verfügungsmacht über die Produktionsmittel zu erhalten, indem es für den Kampf zur Überwindung der Arbeitslosigkeit leistungsfähiger gemacht wird. Daher fordert er die Erweiterung der Aufgaben des Staates: "... as the only practical means of avoiding the destruction of existing economic forms in their entirety and as the condition of the successful functioning of individual initiative" (1936S.380). Keynes möchte also das kapitalistische System mit seinen individuellen Entscheidungsrechten wegen seiner Effizienzvorteile erhalten wissen, die aus der Dezentralisierung der Entscheidungen und dem "Spiel des Eigeninteresses" resultieren. Vor allem aber sei das individualistische System der beste Garant der persönlichen Freiheit, indem es - verglichen mit jedem anderen System - einen größeren Freiraum für die Ausübung persönlicher Entscheidungen bietet (vgl. ebenda). 26 Die wesentliche wirtschaftspolitische Schlussfolgerung aus seiner Analyse besteht also in der Forderung nach einer indirekten geld- und fiskalpolitischen Globalsteuerung der Investitionen und der Konsumgüternachfrage. Diese Nachfragesteuerung soll sich auf die Globalgrößen privater Konsum, private Investitionen und eventuell Exporte sowie Importe beziehen und sie soll mit indirekten Mitteln erfolgen, die den privaten Entscheidungsträgern Anreize geben oder Belastungen auferlegen (Subve ntionen, Prämien, Steuern), sie aber nicht "direkt" zu einer bestimmten Verhaltensweise verpflichten. Vor dem Hintergrund der dauerhaften hohen Arbeitslosigkeit in England zwischen den beiden Weltkriegen hält Keynes dabei eine bloße Dämpfung der Fluktuationen, die die durchschnittliche Höhe der Gesamtnachfrage unverändert lässt, nicht für ausreichend. Vielmehr fordert er eine gleichmäßigere Einkommensverteilung, also eine Einkommensumverteilung zugunsten der Bezieher niedriger Einkommen mit hoher Konsumquote, und eine Reduzierung des Zinsniveaus: "If capitalist society rejects a more equal distribution of incomes and the forces of banking and finance succeed in maintaining the rate of interest somewhere near the figure which ruled on the average during the nineteenth century [... ], then a chronic tendency towards the underemployment of resources must in the end sap and destroy that form of society" (1937, S. 132) 21.12.2009 27 Materialien zur Konferenz: Text 6. Einleitung von Paul Krugman zur Allgemeinen Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Gel des von John Maynard Keynes Aus dem Englischen von Stephanie Schneider Einleitung Im Frühjahr 2005 wurde ein Gremium von „konservativen Wissenschaftlern und führenden Politikern" gebeten, die gefährlichsten Bücher des 19ten und 20sten Jahrhunderts zu identifizieren. Sie bekommen eine Vorstellung von den Neigungen des Gremiums durch die Tatsache, dass sowohl Charles Darwin als auch Betty Friedan oben auf der Liste rangierten. Aber die Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes hat es auch sehr weit gebracht. John Maynard Keynes schlägt tatsächlich V.l. Lenin und Frantz Fanon. Keynes, der im oft zitierten Schlusssatz seines Buches erklärte, dass „es früher oder später Ideen sind, nicht erworbene Rechte, von denen die Gefahr kommt, sei es zum Guten oder zum Bösen", würde vermutlich erfreut gewesen sein. In den letzten 70 Jahren hat die Allgemeine Theorie die Auffassung sogar jener geprägt, die nicht von ihr gehört haben oder die glauben, ihr nicht zuzustimmen. Ein Geschäftsmann, der mahnt, sinkende Zuversicht berge Risiken für die Wirtschaft, ist ein Keynesianer, ob er es weiß oder nicht. Ein Politiker, der verspricht, dass seine Steuersenkungen durch das Hineinstecken von Geld zum Ausgeben in die Taschen der Leute Arbeitsplätze schaffen, ist ein Keynesianer, selbst wenn er behauptet, diese Lehrmeinung zu verabscheuen. Sogar die selbst erklärten Angebotsökonomen, die behaupten, Keynes widerlegt zu haben, greifen wieder auf unverkennbar keynesianische Geschichten zurück, um zu erklären, warum die Wirtschaft in einem bestimmten Jahr schrumpfte. In dieser Einleitung behandle ich fünf die Allgemeine Theorie betreffende Kernpunkte. Der erste ist die Botschaft des Buches - etwas, das durch das Buch selbst klar sein sollte, aber was oft verschleiert wurde von denen, die ihre Ängste und Hoffnungen auf Keynes projizieren. Der zweite ist die Frage, wie Keynes es geschafft hat: Warum hatte er, wo andere versagt haben, Erfolg dabei, die Welt davon zu überzeugen, ökonomische Ketzerei anzuerkennen? Drittens behandele ich die Frage, wie viel von der Allgemeinen Theorie in der heutigen Makroökonomie noch vorhanden ist: Sind wir nun alle Keynesianer oder haben wir entweder Keynes' Vermächtnis verdrängt oder, wie einige sagen, verraten? Der vierte ist die Frage, was Keynes misslang und warum. Schließlich werde ich darüber sprechen, wie Keynes die Volkswirtschaftslehre und die Welt veränderte. 28 Die Botschaft von Keynes Man kann ohne Gefahr annehmen, dass die „konservativen Wissenschaftler und führenden Politiker", die verkündeten, die Allgemeine Theorie sei eines der gefährlichsten Bücher der letzten zwei Jahrhunderte, es nicht gelesen haben. Aber sie sind sich sicher, dass es eine linksgerichtete Abhandlung ist, ein Ruf nach einem starken Staat und hohen Steuern. Das ist, was die Leute aus dem rechten Lager, und auch einige aus dem linken, von Anfang an über die Allgemeine Theorie gesagt haben. In der Tat wurde die Ankunft von keynesianischer Volkswirtschaftslehre in den Hörsälen von Amerika durch einen üblen Fall von akademischem McCarthyism verzögert. Das erste einführende Lehrbuch, um keynesianische Ansichten darzustellen, geschrieben von dem kanadischen Ökonomen Lorie Tarshis, wurde Ziel einer rechten Hetzkampagne, die auf die Universitätskuratoren abzielte. Als ein Ergebnis der Kampagne zogen viele Universitäten, die geplant hatten, dass Buch für ihre Kurse zu übernehmen, ihre Bestellung zurück, und der Verkauf des Buches, welches ursprünglich sehr erfolgreich war, brach zusammen. Professoren der Yale Universität fuhren fort, das Buch auf eigene Kosten zu verteilen; ihr Lohn war es, von dem jungen William F. Buckley für das Verbreiten von „teuflischen Ideen" attackiert zu werden.1 Aber Keynes war kein Sozialist - er kam, um den Kapitalismus zu retten, nicht um ihn zu begraben. Und in einer Hinsicht war die Allgemeine Theorie, zu der Zeit als es geschrieben wurde, ein konservatives Buch. (Keynes selbst erklärte, dass seine Theorie in gewisser Hinsicht „gemäßigt konservative Folgerungen" hat. [377]) Keynes schrieb während einer Zeit von Massenarbeitslosigkeit, von Verfall und Leiden in einem unglaublichen Ausmaß. Ein vernünftiger Mensch dürfte leicht zu dem Schluss gekommen sein, dass der Kapitalismus versagt hat und dass nur gewaltige institutionelle Änderungen - etwa die Verstaatlichung der Produktionsmittel - die wirtschaftliche Gesundheit wiederherstellen könnten. Viele vernünftige Leute sind in der Tat zu diesem Schluss gelangt: eine Vielzahl von britischen und amerikanischen Intellektuellen, die keine spezielle Antipathie gegen Marktwirtschaft und Privateigentum hatten, wurden während der Depressionsjahre Sozialisten, einfach weil sie keinen anderen Ausweg sahen, um die kolossalen Misserfolge des Kapitalismus zu beseitigen. Keynes jedoch argumentierte, dass diese Misserfolge erstaunlich begrenzte, technische Gründe hatten. „Wir haben Störungen am Magnetzünder [Lichtmaschine]" schrieb er 1930, als die Welt in eine Depression stürzte. 2 Und weil Keynes die Gründe der Massenarbeitslosigkeit als begrenzt und technisch ansah, argumentierte er, dass die Lösung des Problems ebenso begrenzt und 1 Für eine haarsträubende Darstellung von der koordinierten Anstrengung, Amerikas Studenten vor dem Lernen Keynesianischer Wirtschaftslehre zu bewahren, lies David Colander und Harry Landreth's The Coming of Keynesianism to America, EdwardElgar, 1996. „The Great Slump of 1930", wieder abgedruckt in Essays in Persuasion. 29 technisch sein könnte: Das System brauchte eine neue Lichtmaschine, aber es gab kein Erfordernis, das gesamte Auto auszutauschen. Insbesondere „wird keine offensichtliche Begründung für ein System des Staatssozialismus vorgebracht, das den größten Teil des wirtschaftlichen Lebens des Gemeinwesens umfassen würde." [378] Während viele seiner Zeitgenossen forderten, die Regierung solle die gesamte Wirtschaft übernehmen, argumentierte Keynes, eine weniger tief eingreifende Regierungspolitik könnte ausreichende effektive Nachfrage gewährleisten, die der Marktwirtschaft ermöglicht, fortzufahren wie zuvor. Dennoch haben die Fundamentalisten freier Marktwirtschaft in einer Hinsicht Recht, Keynes zu hassen. Wenn Ihre Doktrin besagt, dass freie Märkte, sich selbst überlassen, die beste aller möglichen Welten hervorbringen und dass Regierungseinmischung in die Wirtschaft die Dinge immer verschlimmert, dann ist Keynes Ihr Feind. Und er ist ein besonders gefährlicher Feind, da seine Ideen durch und durch von der Erfahrung bestätigt wurden. Gekürzt können die Schlussfolgerungen der Allgemeinen Theorie in vier Punkte gegliedert und wiedergegeben werden: • Volkswirtschaften können an einem allgemeinen Nachfragemangel leiden - und tun dies oft -, der zu unfreiwilliger Arbeitslosigkeit führt. • Die automatische Tendenz einer Volkswirtschaft, ein Nachfragedefizit zu korrigieren, wirkt, wenn sie überhaupt existiert, langsam und schmerzhaft. • Eine Nachfrage erhöhende Regierungspolitik kann im Gegensatz dazu Arbeitslosigkeit schnell reduzieren. • Manchmal ist es nicht genug, das Geldangebot zu erhöhen, um den privaten Sektor dazu zu bewegen, mehr Geld auszugeben, und die Staatsausgaben müssen einspringen. Für einen modernen Praktiker der Wirtschaftspolitik klingt nichts davon - außer vielleicht der letzte Punkt - alarmierend oder besonders kontrovers. Aber diese Ideen waren nicht nur radikal, als Keynes sie aufstellte; sie waren nahezu undenkbar. Und die große Leistung der Allgemeinen Theorie besteht genau darin, sie denkbar zu machen. Wie Keynes es gemacht hat Ich las die Allgemeine Theorie das erste Mal als Student; dann - ich vermute wie die meisten Ökonomen meiner Generation - öffnete ich sie mehrere Jahrzehnte nicht wieder. Moderne akademische Volkswirtschaftslehre ist ein Unterfangen, das von dem Neuen dominiert wird. Oftmals ist eine gesamte Literatur aufgekommen, erblüht und verfallen, bevor das erste Papier dieser Literatur eine formale Veröffentlichung erreicht hat. Wer will da mit dem Lesen von Zeugs Zeit verschwenden, das vor 70 Jahren das erste Mal veröffentlicht wurde? Aber die Allgemeine Theorie ist es immer noch wert, gelesen und erneut gelesen zu werden, nicht nur für das, was sie uns über die Wirtschaft erzählt, 30 sondern auch für das, was sie uns über die Natur des Fortschritts im volkswirtschaftlichen Denken lehrt. Als Student der Volkswirtschaftslehre genoss ich Keynes' Geistesblitze und glänzende Prosa, aber ich quälte mich oder überflog seine ausführlichen Erörterungen der Methodologie. Als ein Ökonom mittleren Alters, mit ein paar hundert Papieren hinter mir und mit einiger Erfahrung des „struggle of escape", das das Konzipieren einer neuen Wirtschaftstheorie mit sich bringt, habe ich das Buch aus einer ganz anderen Perspektive gelesen - und mit einem Gefühl von Ehrfurcht. Teile des Buches, die mir einmal langweilig erschienen, sind, das verstehe ich jetzt, ein Teil gigantischer Anstrengung, die Volkswirtschaftslehre zu überdenken, eine Anstrengung, deren Erfolg sich in der Tatsache zeigt, dass so manche von Keynes radikalen Neuerungen nun einleuchtend erscheinen. Um die Allgemeine Theorie wirklich zu würdigen, braucht man ein Gefühl dafür, was Keynes durchgemacht hat, um dahin zu gelangen. Beim Beschreiben, wie Leute die Allgemeine Theorie zu lesen haben, finde ich es hilfreich, sie wie eine Mahlzeit zu beschreiben, die mit einem köstlichen Appetithäppchen beginnt und mit einem wunderbaren Dessert endet, aber dessen Hauptgang aus ziemlich zähen Fleisch besteht. Es ist verlockend für die Leser, nur die leicht verdaulichen Teile des Buches zu genießen und die Erörterung dazwischen auszulassen. Aber im Hauptgang liegt der wahre Wert des Buches. Ich sage nicht, dass jemand die vergnüglichen Teile auslassen sollte. Lesen Sie sie unter allen Umständen aus reinem Vergnügen und als eine Erinnerung an das, was Keynes vollbrachte. Lassen Sie mich tatsächlich ein paar Worte über diese Teile des Buches sagen, bevor ich selbst zu den schwierigen Teilen komme. Buch I ist Keynes' Grundsatzerklärung und trotz seines theoretischen Klangs und trotz seiner Einbeziehung einiger weniger Fragen ist es ein spannendes Schriftstück. Keynes weist Sie, den qualifizierten Ökonomen - denn die Allgemeine Theorie war vor allem ein für sachkundige Eingeweihte geschriebenes Buch - darauf hin, dass er alles, was Sie über Beschäftigung zu wissen dachten, widerlegen wird. In gerade einmal ein paar Seiten zeigt er überzeugend, dass die damals übliche Anschauung über die Beziehung zwischen Löhnen und Beschäftigung einen elementaren Trugschluss in der Ausarbeitung beinhaltet: „Indem die klassische Schule voraussetzt, dass die Lohnabschlüsse den Reallohn bestimmen, ist sie in eine unzulässige Voraussetzung gerutscht. [13]. Ausgehend davon zeigt er schnell, dass die übliche Anschauung, Lohnkürzungen seien der Weg zu Vollbeschäftigung, bei den tatsächlichen Gegebenheiten der Zeit keinen Sinn macht. In nur einigen wenigen Seiten legt er genug seiner eigenen Theorie dar, um die atemberaubende Schlussfolgerung anzudeuten, dass die Große Depression, die damals die Welt heimsuchte, nicht nur lösbar, sondern leicht lösbar war. Es ist eine bravouröse Leistung. Moderne Leser, die nach Buch I aufhören, ohne sich wie auch immer durch die folgenden, weit undurchsichtigeren Kapitel zu kämpfen, bekommen eine Ahnung von Keynes Verwegenheit, aber nicht davon, wie er das Recht zu dieser Verwegenheit erwarb. 31 Buch VI, am anderen Ende der Allgemeinen Theorie, ist wirklich wie eine Art Dessert. Keynes, die schwierige Arbeit des Erschaffens der Makroökonomie, wie wir sie kennen, hinter sich, haut auf den Putz und hat ein wenig Spaß. Insbesondere die letzten beiden Kapitel der Allgemeinen Theorie, obgleich voll von interessanten Ideen, sind von schelmischer Qualität. Keynes erzählt uns, dass der bedeutende Sieg des Freihandels über den Protektionismus unter Vorspielung falscher Tatsachen gewonnen worden sein könnte - dass die Merkantilisten nicht ganz Unrecht haben. Er erzählt uns, dass der „sanfte Tod des Rentiers" [376] unmittelbar bevorstehen könnte, weil die Sparsamkeit nicht länger eine soziale Funktion ausübte. Glaubte er wirklich diese Dinge oder hat er einfach genossen, seine Kollegen an der Nase herumzuführen? Wahrscheinlich etwas von beidem. Noch mal, Buch VI ist großartig zu lesen, obwohl es nicht annähernd so gut die Prüfungen der Zeit überstanden hat wie Buch I. Aber die gleiche Vorsicht ist angebracht: Lesen Sie Keynes' Spekulationen über die Vorteilhaftigkeit des Merkantilismus und das schwindende Erfordernis der Sparsamkeit auf jeden Fall, aber erinnern Sie sich, dass es der schwierige Stoff in Buch II bis V ist, der ihm das Recht gab zu spekulieren. So, nun lassen Sie uns über den Kern des Buches reden und was Keynes dazu gebracht hat, es zu schreiben. Infragestellungen der ökonomischen Orthodoxie gibt es wie Sand am Meer. Mindestens einmal im Monat bekomme ich ein neues Buch, das vorgibt, die herkömmliche ökonomische Weisheit zu Fall zu bringen. Die weite Mehrheit dieser Buchautoren versteht allerdings nicht genug von der bestehenden ökonomischen Theorie, um eine glaubhafte Herausforderung aufzustellen. Keynes war im Gegensatz dazu zutiefst bewandert in der ökonomischen Theorie seiner Zeit und verstand die Macht dieses Theoriegebäudes. „Ich selbst", schrieb er im Vorwort, „habe mich während vieler Jahre mit Überzeugung an die Theorien gehalten, die ich jetzt angreife, und verkenne, wie ich glaube, nicht ihre starken Punkte." Er wusste, dass er eine schlüssige, sorgfältig begründete Anfechtung der herrschenden Orthodoxie bieten musste, um die Ansicht der Leute zu verändern. In Buch I, in dem Keynes uns einen ersten Vorgeschmack darauf gibt, was er tun wird, schreibt er über Malthus, dessen Gespür ihm sagte, dass ein allgemeiner Nachfragemangel möglich ist, aber der kein Modell hatte, um dieses Gespür zu unterstützen. „Weil nämlich Malthus nicht deutlich erklären konnte (von einer Berufung auf allgemeine Erfahrungstatsachen abgesehen), wie und warum die effektive Nachfrage unzureichend oder übermäßig sein könnte, misslang ihm die Bereitstellung einer alternativen Theorie, und Ricardo hat England so vollständig erobert wie die Heilige Inquisition Spanien." [32] Die Notwendigkeit „eine alternative Darstellung anzubieten" erklärt viele der Passagen in der Allgemeinen Theorie, die, 70 Jahre später, schwerfällig oder sogar aufgebläht erscheinen. Insbesondere erklärt sie Buch II, welches die meisten heutigen Leser wahrscheinlich überspringen. Warum sich einem ganzen Kapitel über „Die Wahl der Einheiten" widmen, welches nicht viel mit Keynes großer 32 Vision zu tun zu haben scheint? Warum sich zwei weiteren Kapiteln widmen, die die Bedeutung von Einkommen, Ersparnissen und Investitionen definieren? Aus dem gleichen Grund, aus dem diejenigen von uns, die circa 1980 die so genannte „Neue Handelstheorie" entwickelt haben, viele Seiten auf die Details der Produktdifferenzierung und des monopolistischen Wettbewerbs verschwendeten. Diese Details hatten nicht viel zu tun mit den grundlegenden Ideen hinter dieser neuen Theorie. Aber diese Details waren entscheidend bei der Erzeugung der „buttoned-down" Modelle, die wir brauchten, um unsere Gedanken zu klären und diese Gedanken anderen zu erklären. Wenn Sie eine gängige Orthodoxie bezweifeln, läuft das Visionsding nicht, wenn Sie nicht sehr präzise bei den Details sind. Keynes' Einschätzung der Macht der herrschenden Orthodoxie erklärt auch die gemäßigte Gangart seines Schreibens. „Die Abfassung dieses Buches", schrieb Keynes im Vorwort, „war für den Verfasser ein langer Kampf, aus den alten Denkmustern auszubrechen, und das gleiche muss für die meisten Leser der Lektüre gelten". Schritt für Schritt geht Keynes vor, um die Ökonomen von den geistigen Grenzen zu befreien, die sie unfähig machen, mit der Großen Depression umzugehen, Grenzen, die zum größten Teil von dem verursacht wurden, was Keynes als „Klassische Ökonomie" tituliert. Keynes' Kampf mit der klassischen Nationalökonomie war viel schwieriger, als wir uns heute ohne Umstände vorstellen können. Moderne einführende volkswirtschaftliche Lehrbücher - das neue Buch von Krugman und Wells eingeschlossen - umfassen normalerweise eine Erörterung von etwas, das wir das „Klassische Modell" des Preisniveaus nennen. Aber dieses Modell bietet ein allzu schmeichelhaftes Bild der klassischen Nationalökonomie, dem Keynes zu entkommen hatte. Was wir heutzutage das klassische Modell nennen, ist eigentlich ein post-keynesianischer Versuch, die pre-keynesianische Sichtweisen zu rationalisieren. Ändern Sie eine Annahme in unserem so genannten klassischen Modell, nämlich die der vollständigen Lohnflexibilität, und es kehrt sich um in die Allgemeine Theorie. Wenn das alles gewesen wäre, mit dem Keynes zu kämpfen gehabt hätte, die Allgemeine Theorie wäre ein leicht zu schreibendes Buch gewesen. Das reale klassische Modell, wie Keynes es beschreibt, war um einiges schwieriger zu bestimmen. Es war hauptsächlich ein Modell einer Tauschwirtschaft, in der Geld und nominale Preise keine Rolle spielen, dem eine monetäre Theorie des Preisniveaus wie ein nicht notwendiger Teil beigefügt wird, wie ein Furnier an eine Tischplatte. Es war ein Modell, in dem das Say'sche Gesetz galt: Angebot schafft sich automatisch seine eigene Nachfrage, weil das Einkommen ausgegeben werden muss. Und es war ein Modell, in dem der Zinssatz nur eine Frage des Angebots und der Nachfrage nach Fonds war, mit keiner möglichen Rolle für Geld oder Geldpolitik. Es war, wie ich sagte, ein Modell, in dem Ideen, die wir nun als erwiesen annehmen, buchstäblich undenkbar waren. 33 Wenn die klassische Nationalökonomie, mit der Keynes konfrontiert war, das gewesen wäre, was wir heutzutage das klassische Modell nennen, er hätte Buch V der Allgemeinen Theorie „Nominallöhne und Preise" nicht schreiben müssen. In diesem Buch tritt Keynes dem naiven Glauben darüber, wie eine Lohnsenkung die Beschäftigung erhöhen kann, entgegen, einem Glauben, der vorherrschend war unter den Ökonomen, als er schrieb, aber der keine Rolle spielt in dem Modell, was wir heute „klassisch" nennen. Damit ist die entscheidende Neuerung in der Allgemeinen Theorie nicht, wie ein moderner Makroökonom zu glauben geneigt ist, die Idee, dass Nominallöhne rigide sind. Es ist die Vernichtung des Say'schen Gesetzes und der klassischen Theorie des Zinssatzes in Buch IV, „Die Anreize zu investieren." Ein Maß dafür, wie schwierig es für Keynes war, sich selbst vom Say'schen Gesetz zu lösen, ist, dass bis zum heutigen Tage einige Leute bestreiten, was Keynes erkannte - dass das „Gesetz" im besten Fall eine nutzlose Tautologie ist, wenn die Einzelnen die Wahl haben, lieber Geld anzuhäufen statt reale Güter und Dienstleistungen zu erwerben. Ein anderes Maß für Keynes' Leistung mag schwierig zu verstehen sein, solange Sie nicht versucht haben, ein makroökonomisches Lehrbuch zu schreiben: Wie erklären Sie den Studenten, wie die Zentralbank den Zinssatz senken kann, indem sie das Geldangebot erhöht, selbst wenn der Zinssatz der Preis ist, zu dem das Kreditangebot gleich der Nachfrage ist? Es ist nicht leicht zu erklären, selbst wenn Sie die Antwort kennen; bedenken Sie, wie viel schwieriger es für Keynes war, als erster bei der richtigen Antwort anzukommen. Aber das klassische Modell war nicht die einzige Sache, der Keynes entkommen musste. Er musste sich auch losreißen von der damaligen Konjunkturtheorie. Es gab natürlich keine vollständig ausgearbeitete Theorie von Rezessionen und Aufschwüngen. Aber es ist lehrreich, die Allgemeine Theorie mit Gottfried Haberlers ungefähr zur selben Zeit geschrieben Prosperity and Depression 3 zu vergleichen, welches ein vom Völkerbund finanzierter Versuch war, zu systematisieren und aufzubereiten, was die Ökonomen jener Zeit zu diesem Thema zu sagen hatten. Aus einer modernen Perspektive ist an Haberlers Buch bemerkenswert, dass er versucht hat, die falsche Frage zu beantworten. Wie die meisten makroökonomischen Theoretiker vor Keynes hat Haberler geglaubt, dass die ausschlaggebende Sache eher war, die Wirtschaftsdynamik zu erklären, zu erklären, warum Hochkonjunkturen von Wirtschaftskrisen abgelöst werden, als an erster Stelle zu erklären, wie Massenarbeitslosigkeit möglich ist. Und Haberlers Buch, wie viele Schriften zum Konjunkturzyklus zu jener Zeit, scheint sich mehr mit den Auswüchsen der Hochkonjunktur zu beschäftigen als mit den Mechanismen der Wirtschaftskrise. Obwohl Keynes über die Ursachen des Konjunkturzyklus in Kapitel 22 der Allgemeinen Theorie Vermutungen anstellte, sind diese Vermutungen für seine Argumentation nebensächlich. Stattdessen sah es Keynes als seine Aufgabe an zu erklären, warum die Gottfried Haberler, Prosperity and Depression, Leage of Nations, 1937. 34 Volkswirtschaft manchmal weit unter Vollbeschäftigung arbeitet. Die Allgemeine Theorie bietet in den meisten Teilen nur ein statisches Modell, kein dynamisches Modell, das heißt ein Bild einer in einer Depression steckenden Volkswirtschaft, keine Geschichte darüber, wie sie dorthin gekommen ist. So zog es Keynes tatsächlich vor, einer stärker eingegrenzten Frage zu antworten, als die meisten über die Konjunkturtheorie schreibenden Leute jener Zeit. Nochmals, ich verstand die Tragweite dieser strategischen Entscheidung von Keynes' Seite nicht, als ich die Allgemeine Theorie das erste Mal las. Aber es ist nun offensichtlich für mich, dass das meiste von Buch II eine Grundsatzerklärung im Interesse der Beschränkung der Frage ist. Wo prekeynesianische Konjunkturtheorie komplexe, verwirrende Geschichten über das Ungleichgewicht erzählten, liefert Kapitel 5 die Argumente dafür, sich eine unterbeschäftigte Volkswirtschaft in einer Art Gleichgewicht vorzustellen, in dem die kurzfristigen Absatzerwartungen tatsächlich erfüllt sind. Kapitel 6 und Kapitel 7 treten dafür ein, sämtliches Gerede von Zwangsersparnissen, Überschussersparnissen und so weiter, das in der prekeynesianischen Konjunkturtheorie vorherrschend war, - Gerede, das in einer verwirrenden Art und Weise die Idee von Ungleichgewichten in der Volkswirtschaft hervorhebt - durch eine einfache buchhalterische Identität zu ersetzen, wonach die Ersparnisse gleich den Investitionen sind. Und Keynes' Eingrenzung der Frage war gewaltig befreiend. Statt sich zu verzetteln in einem Versuch, die Dynamik des Konjunkturverlaufes zu klären - ein Gegenstand, der bis heute umstritten bleibt - konzentrierte sich Keynes auf eine Frage, die beantwortet werden konnte. Und das war auch die Frage, die eine Antwort am meisten brauchte: Wie können wir in Anbetracht einer rückläufigen Gesamtnachfrage - egal, weshalb - eine höhere Beschäftigung hervorbringen? Ein Nebeneffekt dieser Vereinfachung war, dass es Keynes und den Rest von uns von der verführerischen, aber sicher falschen Vorstellung befreit hat, der Konjunkturzyklus sei eine moralische Angelegenheit, die Wirtschaftskrise ein notwendiges Abführmittel nach den Ausschweifungen einer Hochkonjunktur. Durch die Untersuchung, warum eine Volkswirtschaft in der Depression bleibt, statt zu versuchen zu erklären, wie sie überhaupt erst in diese Situation kam, half Keynes die Vorstellung zu begraben, dass wirtschaftliches Leiden etwas Erlösendes hat. Die Allgemeine Theorie ist also eine Arbeit von sachkundigem, diszipliniertem Radikalismus. Sie verwandelte die Art und Weise von jedermanns, Keynes' intellektuelle Gegenspieler eingeschlossen, Gedanken über die Volkswirtschaft. Aber das spricht eine strittige Frage an: Sind wir jetzt alle tatsächlich Keynesianer? Mr. Keynes and the moderns Es gibt einen weit verbreiteten Eindruck unter modernen Makroökonomen, dass wir Keynes hinter uns gelassen haben, mit allen Vor- und Nachteilen. Aber dieser Eindruck, würde ich behaupten, basiert entweder auf einer Missdeutung oder auf 35 einem Nichtlesen der Allgemeinen Theorie. Lassen Sie uns mit den Nichtlesern beginnen, einer Gruppe, die mich während mehrerer Jahrzehnte, die zwischen meinem ersten und zweiten Lesen der Allgemeinen Theorie vergingen, einschloss. Wenn Sie Keynes nicht selbst lesen, sondern nur sein Werk wie es durch verschiedene Interpreten verfälscht wird, ist es leicht zu glauben, dass die Allgemeine Theorie viel undurchdachter ist, als sie es eigentlich ist. Sogar kompetente Ökonomen, die wissen, dass Keynes kein rabiater Sozialist war, neigen dazu zu denken, die Allgemeine Theorie sei weitgehend ein Manifest, das die Notwendigkeit von „Defizit-Spending" verkündet und dass sie die Geldpolitik kleinredet. Wenn das wirklich wahr wäre, wäre die Allgemeine Theorie ein sehr veraltetes Buch. Heutzutage ist die wirtschaftliche Stabilität hauptsächlich den Technokraten in den Zentralbanken überlassen, welche die Zinssätze durch ihre Steuerung des Geldangebots herauf- und herabsetzen; der Einsatz von Ausgaben für öffentliche Bauvorhaben, um die Beschäftigung aufzurichten, wird allgemein als nicht notwendig erachtet. Um es plump auszudrücken: Wenn Sie glauben, Keynes habe die Geldpolitik gering geschätzt, ist es leicht zu glauben, Milton Friedman habe Keynes in gewissem Sinne widerlegt oder abgelöste, in dem er zeigte, dass Geld eine Rolle spielt. Der Eindruck, dass die Allgemeine Theorie dabei versagte, der Geldpolitik genügend Anerkennung zu zollen, mag durch John Hicks verstärkt worden sein, dessen Besprechungsaufsatz von 1937 „Mr. Keynes and the classics" wahrscheinlich heutzutage mehr von den Ökonomen gelesen wird als die Allgemeine Theorie selbst. In diesem Artikel interpretiert Hicks die Allgemeine Theorie in der Form von zwei Kurven, der IS-Kurve, die verschoben werde kann durch Änderungen im Steuersatz und den Ausgaben, und der LM-Kurve, welche verschoben werden kann durch Änderungen im Geldangebot. Und Hicks schien zu folgern, dass keynesianische Ökonomie nur gilt, wenn die LM-Kurve flach ist, so dass Änderungen im Geldangebot den Zinssatz nicht beeinflussen, während klassische Makroökonomie gilt, wenn die LM-Kurve eine aufwärts geneigte Kurve ist. Aber in dieser Folgerung war Hicks sowohl überaus freundlich zu den Klassikern als auch unfair zu Keynes. Ich habe bereits dargelegt, dass die makroökonomische Glaubenslehre, der Keynes zu entkommen hatte, viel undurchdachter und konfuser war, als die Glaubenslehre, die wir jetzt das „Klassische Modell" nennen. Lassen Sie mich anfügen, dass die Allgemeine Theorie die Geldpolitik nicht ablehnt oder ignoriert. Keynes erörtert recht ausführlich, wie Änderungen der Geldmenge den Zinssatz beeinflussen können und durch den Zinssatz auf die aggregierte Nachfrage einwirken. In der Tat ist die moderne Theorie darüber, wie Geldpolitik funktioniert, im Wesentlichen das, was in der Allgemeinen Theorie dargelegt wurde. Dennoch ist es angemessen zu sagen, dass die Allgemeine Theorie durchzogen ist von Skeptizismus darüber, ob lediglich das Vermehren des Geldangebots genug 36 ist, um Vollbeschäftigung wiederherzustellen. Dies war nicht so, weil Keynes der potentiellen Rolle der Geldpolitik unkundig war. Vielmehr war es eine empirische Beurteilung seinerseits: Die Allgemeine Theorie wurde in einer Volkswirtschaft mit einem bereits so niedrig Zinssatz geschrieben, dass es kaum etwas gab, was eine Erhöhung des Geldangebots tun konnte, um ihn weiter nach unten zu drücken. Betrachten Sie Abbildung 1, welche den Zinssatz von Schatzbriefen in den USA von 1920 bis 2002 zeigt. Ökonomen meiner Generation wurden intellektuell erwachsen während der 1970er und 1980er Jahre, als die Zinssätze durchweg über 5 Prozent lagen und zuweilen zweistellig waren. Unter diesen Bedingungen gab es keinen Grund, die Effektivität der Geldpolitik zu bezweifeln, keinen Grund, sich Sorgen zu machen, die Zentralbank könnte in den Bestrebungen scheitern, den Zinssatz zu senken und dadurch die Nachfrage zu erhöhen. Aber wie die Abbildung zeigt, wurde die Allgemeine Theorie in einem ganz anderen monetären Umfeld geschrieben, einem, in der die Zinssätze für längere Zeit nahe bei Null standen. Moderne Makroökonomen müssen nicht rein theoretisch erwägen, was mit der Geldpolitik in so einem Umfeld passiert oder die Tiefen der Wirtschaftsgeschichte ausloten, weil wir ein verblüffend aktuelles Beispiel haben, um es zu betrachten. Es gibt Hoffnungen, während ich dies hier schreibe, dass die japanische Wirtschaft endlich eine nachhaltige Erholung erreicht, aber mindestens von den frühen 1990er bis einschließlich 2004 war Japan in ziemlich derselben monetären Lage, in der die USA und Großbritannien während der 1930er Jahre waren. Die kurzfristigen Zinssätze waren nahe bei Null, die langfristigen Sätze lagen auf historischen Tiefstständen, dennoch blieben die privaten Investitionsausgaben unzureichend, um die Wirtschaft aus der Deflation zu holen. In dieser Lage war Geldpolitik genauso ineffektiv, wie Keynes es beschrieb. Versuche der japanischen Zentralbank, das Geldangebot auszuweiten, erhöhten lediglich die bereits reichlichen Bankreserven und den allgemeinen Besitz von Bargeld, während sie nichts dazu beitragen, die Wirtschaft anzukurbeln. (Ein japanischer Witz aus den späten 90ern besagt, dass Tresore das einzige Produkt waren, das Konsumenten kauften). Und als sich die japanische Zentralbank selbst als unfähig wahrnahm, wendete sich die Regierung von Japan großen staatlichen Bauprojekten zu, um die Nachfrage zu stützen. Keynes machte klar, dass sein Skeptizismus über die Effektivität der Geldpolitik eine mögliche Aussage war, keine Behauptung eines allgemeinen Grundsatzes. In der Vergangenheit, glaubte er, waren die Dinge anders gewesen. „Es liegt Evidenz vor, dass während eines Zeitabschnitts von fast hundertfünfzig Jahren der langfristige typische Zinssatz in den führenden Finanzzentren ungefähr 5 Prozent war, und der Satz für erstklassige Wechsel zwischen 3 und 3,5 Prozent; und dass diese Zinssätze bescheiden genug waren, um ein Investitionsvolumen zu ermutigen, das mit einer nicht unerträglich niedrigen Durchschnittsbeschäftigung vereinbar war." [307-308] In dieser Umgebung, glaubte er, „ein erträgliches Niveau der Beschäftigung im Durchschnitt von einem oder zwei oder drei Jahrzehnten konnte lediglich durch die Schaffung eines in Größen der Lohneinheit 37 angemessenen Geldangebots erreicht werden". [309] Mit anderen Worten, Geldpolitik hat funktioniert in der Vergangenheit - aber nicht jetzt. Nun ist es wahr, dass Keynes fälschlicherweise glaubte, dass die Bedingungen der 1930er unbegrenzt bestehen bleiben würden - dass die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals in der Tat bis zu dem Punkt fällt, dass die Euthanasie der Rentiers in Sicht ist. Ich werde kurz darauf eingehen, warum er falsch lag. Bevor ich jedoch dazu komme, lassen Sie mich über eine alternative Anschauung sprechen. Diese Anschauung stimmt mit denen überein, die sagen, dass die moderne Makroökonomie Keynes wenig verdankt. Aber eher als zu argumentieren, dass wir Keynes verdrängt haben, besagt diese Anschauung, dass wir ihn missverstanden haben. Das heißt, einige Ökonomen bestehen darauf, dass wir den wahren keynesianischen Weg verlassen haben - dass die moderne makroökonomische Theorie, welche Keynes auf ein statisches Gleichgewichtsmodell reduziert und versucht, so viel wie möglich von diesem Modell auf rationale Entscheidung zu basieren, ein Verrat an der keynesianischen Denkweise ist. Ist das richtig? Beim Thema „rationale Entscheidung" ist es wahr, dass verglichen mit irgendeiner modernen Darstellung der Makroökonomie die Allgemeine Theorie sehr wenige Erörterungen der Maximierung und eine Menge Verhaltenshypothesen enthält. Keynes' Schwerpunkt auf den nicht-rationalen Ursprung von wirtschaftlichen Verhalten lässt sich am meisten zitieren, wenn er über Finanzmarktspekulation schreibt, „wo wir unsere Intelligenz der Vorwegnahme dessen widmen, was die durchschnittliche Meinung als das Ergebnis der durchschnittlichen Meinung erwartet." [156] Aber er ist aus einer modernen Perspektive am bemerkenswertesten bei seiner Erörterung der Konsumfunktion. Versuche, das Konsumverhalten in Hinblick auf rationale Entscheidungen zu modellieren, sind eines der Hauptthemen der Makroökonomie nach Keynes. Aber Keynes' Konsumfunktion, wie in Buch III dargestellt, ist eher in psychologischer Beobachtung begründet als in intertemporaler Optimierung. Das wirft zwei Fragen auf. Erstens, lag Keynes richtig, die Maximierungstheorie zu scheuen? Zweitens, verrieten seine Nachfolger sein Vermächtnis, indem sie die Maximierung wieder einbrachten? Die Antwort auf die erste Frage ist: Es hängt davon ab. Keynes lag sicherlich damit richtig, dass es ein starkes nicht-rationales Element im wirtschaftlichen Verhalten gibt. Die Zunahme von verhaltensbasierter ökonomischer Theorie und Finanzwirtschaft ist eine verspätete Anerkennung dieser Tatsache durch das Metier. Auf der anderen Seite scheinen einige von Keynes Verallgemeinerungsversuchen über das Verhalten in wichtiger Hinsicht jetzt allzu oberflächlich und irreführend. Insbesondere argumentierte er auf psychologischem Terrain, dass die durchschnittliche Ersparnis mit dem Pro-Kopf-Einkommen steigen würde [siehe S. 97]. Es hat sich gezeigt, dass dies überhaupt nicht der Fall gewesen ist. Aber die Antwort auf die zweite Frage, würde ich behaupten, ist eindeutig nein. Ja, Keynes war ein scharfsinniger Beobachter ökonomischer Irrationalität, als Verhal- 38 tensökonom seiner Zeit voraus, der viel zu sagen hatte über Wirtschaftsdynamik. Ja, die Allgemeine Theorie ist voll von geistreichen Passagen über Investieren als ein Reise-nach-Jerusalem-Spiel, über animalische Instinkte und so weiter. Aber die Allgemeine Theorie ist in erster Linie kein Buch über die Unvorhersehbarkeit und Irrationalität von Wirtschaftssubjekten. Keynes betont die relative Stabilität der Beziehung zwischen Einkommen und Konsumausgaben; zu versuchen, diese Stabilität durch rationale Entscheidungen zu begründen, ist vielleicht starrköpfig, aber es untergräbt nicht seine Absicht. Und während sich Keynes nicht viel von der Rationalität des geschäftlichen Verhaltens hielt, war eine seiner strategischen Hauptentscheidungen, die er traf, wie ich bereits angedeutet habe, die gesamte Frage, warum Investitionen zunehmen und abnehmen, in den Hintergrund zu stellen. Was ist mit dem Gleichgewicht? Lassen Sie mich ein paar kämpferische Worte anführen: Keynes in Form eines statischen Gleichgewichtmodells zu interpretieren ist kein Verrat, da das, was Keynes vor allem entwickelte, in der Tat ein statisches Gleichgewichtmodell war. Der wesentliche Kern, der in der Allgemeinen Theorie dargelegt wurde, ist, dass die Liquiditätspräferenz den Zinssatz bestimmt; bei gegebenem Zinssatz bestimmt die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals die Höhe der Investitionen; und die Beschäftigung wird bestimmt durch den Punkt, bei dem der Wert der Produktion gleich der Summe aus Investitionen und Konsumausgaben ist. „Wenn die Konsumneigung und das Niveau neuer Investitionen gegeben sind, wird es nur ein Niveau der Beschäftigung geben, dass mit dem Gleichgewichtszustand vereinbar ist". [28] Lassen Sie mich ein Thema im Besonderen ansprechen: Hat Paul Samuelson, dessen Lehrbuch von 1948 das berühmte 45-Grad-Diagramm einführte, um den Multiplikator zu erklären, falsch dargestellt, worum es bei Keynes ging? Es gibt Kommentatoren, die leidenschaftlich darauf bestehen, dass Samuelson die Gedanken des Meisters geschändet hat. Ich jedoch kann keinen signifikanten Unterschied zwischen Samuelsons Formulierung und Keynes' eigener Gleichung des Beschäftigungsgleichgewichts erkennen, gleich dort in Kapitel 3: cp(N) - x(N) = D2 [29]. Graphisch dargestellt ähnelt Keynes' Version sehr Samuelsons Diagramm; Mengen werden in Lohneinheiten gemessen statt in konstanten Dollar und die raffinierte 45-Grad-Darstellung fehlt, aber die Logik ist genau die gleiche. Im Endeffekt ist es dann so, dass wir nun wirklich alle Keynesianer sind. Ein sehr großer Teil dessen, was moderne Makroökonomen tun, leitet sich direkt aus der Allgemeinen Theorie ab; das von Keynes eingeführte Rahmenwerk besteht bis heute sehr gut fort. Dennoch gab es wichtige Dinge, die Keynes versäumte oder verfehlte vorauszusehen. Was Keynes versäumte Die stärkste Kritik, die jemand an der Allgemeinen Theorie üben kann, ist, dass Keynes eine Episode mit einem Trend verwechselte. Er schrieb in einem Jahrzehnt, 39 als selbst ein Zinssatz nahe Null nicht niedrig genug war, um Vollbeschäftigung wiederherzustellen, und erklärte brillant die Auswirkungen dieser Tatsache insbesondere die Falle, in der sich die britische Zentralbank und die US-Notenbank selbst befanden, unfähig, Beschäftigung zu erzeugen, egal wie sehr sie versuchten, das Geldangebot zu erhöhen. Er wusste, dass die Angelegenheiten nicht immer so gewesen waren. Aber er glaubte fälschlicherweise, dass die monetäre Lage der 1930er die Norm von da an sein würde. Schauen Sie sich noch mal Abbildung 1 an, welche zeigt, was tatsächlich passierte. Japan beiseite gelassen, sind die monetären Bedingungen der 1930er nicht wieder aufgetreten. In den Vereinigten Staaten endete die Ära der übermäßig niedrigen Zinssätze in den 1950er Jahre und ist nie zurückgekehrt (obschon wir eine Japan ähnliche Erfahrung in 2002-2003 hatten.) Dennoch hatten die Vereinigten Staaten Erfolg dabei, angemessene Niveaus effektiver Nachfrage zu erzielen. Die britische Erfahrung war ähnlich. Und obwohl es in Kontinentaleuropa in großem Umfang Arbeitslosigkeit gibt, scheint diese Arbeitslosigkeit mehr mit Dingen der Angebotsseite zu tun zu haben als mit einem reinen Mangel an Nachfrage. Warum lag Keynes falsch? Ein Teil der Antwort ist, dass er die Fähigkeit der entwickelten Volkswirtschaften unterschätzte, abnehmende Grenzerträge aufzufangen. Keynes' „sanfter Tod der Rentiers" beruhte auf der Annahme, dass, sowie Kapital akkumuliert wird, profitable private Investitionsprojekte schwieriger zu finden sind, so dass die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals sinkt. In Großbritannien zwischen den Weltkriegen, mit einer heroischen Ära der Industrialisierung hinter sich, mag diese Ansicht vernünftig erscheinen. Aber nach dem zweiten Weltkrieg eröffnete eine Kombination von technischem Fortschritt und sich erholendem Bevölkerungswachstum viele neue Investitionsmöglichkeiten. Und obwohl Ben Bernanke, der neue Präsident der US-Notenbank, vor einem „weltweiten Überfluss an Ersparnissen" gewarnt hat, scheint der sanfte Tod des Rentiers nicht unmittelbar bevorzustehen. Aber es gibt einen noch wichtigeren Faktor, der die Zinssätze relativ hoch und Geldpolitik effektiv hielt: anhaltende Inflation, welche in die Erwartungen eingeschlossen wurde und sich in höheren Zinssätzen widerspiegelt, als wir haben würden, wenn die Öffentlichkeit stabile Preise erwartet hätte. Die Inflation war natürlich in den 1970er und sogar in den 1980er viel höher als heute. Jedoch spielen die Inflationserwartungen immer noch eine starke Rolle dabei, die Zinssätze sicher von Null fernzuhalten. Zum Beispiel lag zu der Zeit, als diese Abhandlung verfasst wurde, der Zinssatz einer 20-Jahres-US-Staatsanleihe bei 4,7%; der Zinssatz einer 20-Jahres Indexanleihe, deren Ertrag vor der Inflation geschützt ist, lag nur bei 2,1%. Das sagt uns, dass sogar jetzt, wenn die Inflation als niedrig betrachtet wird, das meiste des 20-Jahres-Satzes eher erwartete Inflation widerspiegelt als erwartete reale Erträge. 40 Die Ironie besteht darin, dass anhaltende Inflation, die die Allgemeine Theorie oberflächlich etwas weniger relevant für unsere Zeit erscheinen lässt als bei Abwesenheit der Inflation, zum Teil Keynes' Einfluss zugeschrieben werden kann, mit allen Vor-und Nachteilen. Als Nachteil: Der Inflationsbeginn der 1970er war teilweise in einer expansiven Geld- und Fiskalpolitik begründet, angewandt von den durch Keynes beeinflussten Regierungen mit unrealistischen Beschäftigungszielen. (Ich denke insbesondere an Edward Heath's „dash for growth" in den Großbritannien und den Burns-Nixon-Aufschwung in den USA.) Als Vorteil: Sowohl die britische Zentralbank explizit als auch die US-Notenbank implizit haben eine wohldurchdachte Strategie, um eine anhaltende niedrige aber positive Inflation zu fördern, gerade um zu verhindern, dass sie sich selbst in der Falle wieder finden, die Keynes diagnostiziert hat. Keynes sah keine Zukunft anhaltender Inflation voraus (noch tat das irgendjemand anderes zu dieser Zeit). Das hieß, dass er übertrieben pessimistisch war bezüglich der zukünftigen Aussichten für die Geldpolitik. Es hieß auch, dass er nie die durch anhaltende Inflation aufgeworfenen Politikprobleme behandelte, welche Makroökonomen in den 70er und 80er beschäftigten und einige eine Krise in der Wirtschaftstheorie verkünden ließ. (In der Tat sind die Modelle, die viele von uns benutzen, um die Persistenz der Inflation selbst angesichts von Arbeitslosigkeit zu erklären, besonders Modelle „überlappender Kontrakte", die die unkoordinierte Natur von Lohnvereinbarungen hervorheben, im Geiste recht vereinbar mit dem, was Keynes über die Lohnfestsetzung zu sagen hatte.) Aber das Versäumnis, Probleme anzusprechen, die sich niemand in den 1930er vorstellte, kann kaum als eine Schwachstelle in Keynes' Analyse betrachtet werden. Und nun, da die Inflation gesunken ist, sieht Keynes wieder höchst relevant aus. Der Nationalökonom als Retter Als intellektuelle Errungenschaft nimmt die Allgemeine Theorie einen Rang wie nur eine Handvoll anderer Arbeiten in der Volkswirtschaftslehre ein. Ich messe Wirtschaftstheorien den höchsten Wert zu, die unsere Sichtweise von der Welt verändern, so dass, sobald Leute dieser Theorien gewahr werden, sie alles anders sehen. Adam Smith tat das mit Der Wohlstand der Nationen: Plötzlich war die Volkswirtschaft nicht nur eine Ansammlung von Leuten, die erwerben und ausgeben, es war ein sich selbst regulierendes System, in dem jeder Einzelne „geleitet wird durch eine unsichtbare Hand, um ein Ergebnis zu bewirken, das nicht von ihm beabsichtigt war." Die Allgemeine Theorie spielt in derselben Liga: Plötzlich wurde die Vorstellung, dass Massenarbeitslosigkeit ein Resultat von unzureichender Nachfrage ist, lange eine Irrlehre am Rande, völlig nachvollziehbar, in der Tat offensichtlich. Was die Allgemeine Theorie wahrlich einzigartig macht, ist, dass sie überragende intellektuelle Errungenschaft mit unmittelbar praktischer Relevanz für eine weltweite Wirtschaftskrise verknüpft. Der zweite Band von Robert Skidelsys Biographie von Keynes trägt den Namen „The economist as savior", und damit ist 41 kein bisschen Übertreibung verknüpft. Bis zur Allgemeinen Theorie sahen vernünftige Leute Massenarbeitslosigkeit als ein Problem mit vielschichtigen Gründen an und keiner leichten Lösung außer den Ersatz des Marktes durch Staatskontrolle. Keynes zeigte, dass das Gegenteil der Fall war: Massenarbeitslosigkeit hat einen einfachen Grund, unzureichende Nachfrage und eine einfache Lösung, expansive Fiskalpolitik. Es wäre eine wundervolle Geschichte, wenn die Allgemeine Theorie der Welt den Weg aus der Depression gezeigt hätte. Ach, was für ein Märchen, das ist nicht ganz das, was passierte. Das gigantische Programm öffentlicher Arbeiten, das die Vollbeschäftigung wiederherstellte, ansonsten bekannt als Zweiter Weltkrieg, wurde aus Gründen in Gang gesetzt, die keinen Bezug zur makroökonomischen Theorie haben. Aber die keynesianische Theorie erklärte, warum die Kriegsausgaben das taten, was sie taten, und half der Regierung sicherzustellen, dass die Nachkriegswelt nicht in eine Depression zurückrutschte. Man kann etliche Ereignisse aufzeigen, höchst bemerkenswert Japan in den 1990er, wo depressionsähnliche Bedingungen wohl ohne die Lenkung durch keynesianische Ökonomie zurückgekommen sein dürften. Da gab es nichts mit Keynes' Leistung Vergleichbares in den Annalen der Sozialwissenschaften. Vielleicht kann es das nicht geben. Keynes hatte Recht mit dem Problem seiner Zeit: Die Weltwirtschaft hatte Probleme mit dem Magnetzünder und alles, was sie unternahm, um die Wirtschaft wieder zum Laufen zu bringen, war eine erstaunlich begrenzte, technische Lösung. Aber die meisten Wirtschaftsprobleme haben wahrscheinlich vielschichtige Gründe und keine einfachen Lösungen. Natürlich könnte ich mich irren. Vielleicht gibt es begrenzte, technische Lösungen für die Wirtschaftsprobleme der heutigen Welt, von der zögerlichen Entwicklung in Lateinamerika bis zur aufsteigenden Ungleichheit in den Vereinigten Staaten, und wir warten nur auf den nächsten Keynes, sie zu entdecken. Eines ist sicher: Wenn es einen anderen Keynes da draußen gibt, wird er oder sie jemand sein, der Keynes' wichtigste Qualitäten teilt. Keynes war ein intellektuell vollkommen Eingeweihter, der die herrschenden ökonomischen Vorstellungen seiner Zeit so gut wie jeder andere verstand. Ohne dieses Grundwissen und der Argumentationsfähigkeit, die damit einherging, wäre er nicht fähig gewesen, so eine verheerende Kritik an der wirtschaftswissenschaftlichen Orthodoxie aufzustellen. Dennoch war er zur gleichen Zeit ein waghalsiger Radikaler, bereit, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass einige der grundlegenden Annahmen der Volkswirtschaftslehre, die er gelehrt worden war, falsch waren. Diese Qualitäten erlaubten Keynes, die Ökonomen und die Welt ins Licht zu führen -denn die Allgemeine Theorie ist nicht weniger als eine epische Reise heraus aus der intellektuellen Dunkelheit. Das, so wie seine anhaltende Relevanz für die Wirtschaftspolitik, ist es, was es zu einem Buch für die Ewigkeit macht. Lesen Sie es und staunen Sie. 42 .2009 FINANZKRISE Weltwirtschaft war viel dichter am Abgrund als gedacht Die Weltwirtschaft stand nach der Lehman-Pleite viel dichter vor einer zweiten Großen Depression als bisher angenommen. Das zeigt eine neue Studie. Bislang war der Vergleich zu 1929 unter vielen Ökonomen ein Tabu. von Olaf Storbeck Arbeitslose warten 1929 während der Großen Depression vor einer Suppenküche auf eine freie Mahlzeit. Quelle: ap LONDON. Es war ein monumentaler historischer Vergleich. So verwegen, dass sich viele Ökonomen vor einem Jahr kaum trauten, ihn laut auszusprechen: Die Wirtschaftskrise, die im Herbst 2008 nach dem Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers massiv an Schärfe gewonnen hatte, könnte sich im schlimmsten Fall zu einer zweiten Großen Depression ausweiten. Einer der ersten, der es wagte, diese Parallele zu ziehen, war IWF-Chefvolkswirt Olivier Blanchard: Es bestehe die akute Gefahr einer sich selbst verstärkenden Abwärtsspirale aus Deflation, steigenden Schulden und neuen Problemen im Finanzsektor, warnte er Anfang Januar 2009. Das Risiko sei zwar klein, aber im höchsten Maße gefährlich, sagte Blanchard. Heute ist klar: Wahrscheinlich war das sogar noch deutlich untertrieben. Die Parallelen zur ersten Weltwirtschaftskrise waren weit größer, als es zu Jahresbeginn den Anschein hatte. Zu diesem Ergebnis kommt ein fünfköpfiges Forscherteam des Dubliner Trinity College und der US-Elite-Universtität Berkeley in einer neuen Studie. In einigen Bereichen war der Absturz sogar schlimmer als nach 1929. Nur der aggressiven Geld- und Fiskalpolitik ist es zu verdanken, dass uns anders als vor 80 Jahren die totale ökonomische Kernschmelze erspart geblieben ist. „Aus globaler Perspektive betrachtet hat die derzeitige Krise die Dimension einer Depression“, lautet das Fazit. Wie dramatisch die Situation war, zeigt ein Blick auf die Aktienmärkte. In den ersten zehn Monaten nach Beginn der Talfahrt halbierten sich die Kurse an den Weltbörsen. In der Großen Depression lag das Minus im gleichen Zeitraum nur bei rund zehn Prozent. Selbst die Börsenrally, die im März 2009 einsetzte, erscheint im historischen Vergleich moderat – sie hat das Ausmaß der Kursverluste auf ein Niveau reduziert, wie es zu einem vergleichbaren Zeitpunkt in der Großen Rezession vorherrschte. 43 Auch der Kollaps des Welthandels war schlimmer als 1929/30. In der Großen Depression ist der Welthandel in den ersten zwölf Monaten nach Beginn der Talfahrt im Juni 1929 um rund zehn Prozent eingebrochen – diesmal war der Absturz rund doppelt so groß. Immerhin: Seit dem Frühjahr 2009 hat sich der Welthandel stabilisiert, im Sommer ist er sogar wieder etwas gewachsen. Noch immer ist das prozentuale Minus aber deutlich größer als zum gleichen Zeitpunkt in der Großen Depression. Etwas besser sieht das Bild bei der weltweiten Industrieproduktion aus: Die ist zwar im ersten Krisenjahr genauso steil abgestürzt wie 1929/30, hat sich dann aber deutlich schneller wieder berappelt. In der ersten Weltwirtschaftskrise war die Industrieproduktion dagegen drei lange Jahre auf Talfahrt. Dass die zweite Weltwirtschaftskrise nicht in einer sich selbst verstärkenden Abwärtsspirale mündete, ist laut Studie den Notenbanken und Regierungen zu verdanken. Diese reagierten diesmal deutlich entschlossener auf die Krise als damals. So senkten vor allem die Zentralbanken in den USA und Großbritannien früh und drastisch die Leitzinsen. Vor 80 Jahren erhöhten die Notenbanken im Abschwung die Zinsen – in der „perversen Absicht, ihre Währungen zu verteidigen“, wie es in der Studie heißt. Auch die Entwicklung der Geldmenge war diesmal deutlich expansiver – unter anderem, weil es der Goldstandard damals unmöglich machte, die Wirtschaft mit Liquidität zu überschwemmen. Je früher ein Land in den 30er-Jahren den Goldstandard aufgab, desto schneller überwand es die Krise, stellen die Ökonomen fest. John Maynard Keynes als Retter Von aktiver Fiskalpolitik ließen die Regierungen damals anders als heute weitgehend die Finger. Die staatlichen Haushaltsdefizite waren auf dem Höhepunkt der Krise in den meisten Ländern kleiner als drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. „In dem Jahrzehnt, in dem Keynes seine ,Allgemeine Theorie’ schrieb, wurden seine Ideen noch nicht flächendeckend angewendet“, konstatieren die Ökonomen. In Simulationsrechnungen zeigen sie, dass eine aggressivere Geld- und Fiskalpolitik damals die Krise hätte eindämmen können. „Das weit verbreitete Argument, diese Maßnahmen seien unwirksam gewesen, können wir nicht teilen“, lautet ihr Fazit. Ohne die milliardenschweren Konjunkturpakete und die aggressive Lockerung der Geldpolitik wäre die Weltwirtschaft in der aktuellen Krise noch weit stärker eingebrochen, zeigen die Modellrechnungen. Hätte die Geld- und Wirtschaftspolitik tatenlos zugesehen, wäre die Weltwirtschaft demnach 2009 nicht um 1,1 Prozent, sondern um bis zu 3,5 Prozent geschrumpft. Aus all dem leiten die Wissenschaftler eine klare Empfehlung an die Wirtschaftspolitik ab: Die Konjunkturhilfen dürften keinesfalls zu früh zurückgefahren werden – sonst stehe die Erholung auf dem Spiel. 44