Kreatives Potenzial der Mitarbeiter wecken Interview mit Professor Dr. Gerald Hüther, Göttingen Herr Professor Hüther, warum entsteht manchmal der Eindruck, dass die besten Ideen in der Kaffeeküche und nicht im Büro entstehen? Eine neue Idee entsteht ja dadurch, dass es einem gelingt, möglichst viele der im Gehirn angelegten neuronalen Netzwerke und synaptischen Verschaltungsmuster gleichzeitig so zu aktivieren, dass zwischen diesen Mustern neue Verbindungen und Verknüpfungen hergestellt werden können. Das geht nicht auf Knopfdruck, und auch nicht, indem man sich besonders anstrengt. Das funktioniert auch nicht, wenn man unter Druck gesetzt wird, wenn man zu viel Stress oder gar Angst hat. Da fällt man immer nur in die alten, bewährten Denkmuster zurück. Das passiert auch automatisch überall dort, wo man allzuleicht in die alten Routinen zurückfällt, etwa im Büro. Besser funktioniert das bei einem Spaziergang oder eben in der Kaffeeküche. Welche Rahmenbedingungen sollten also gegeben sein, damit die Mitarbeiter kreativ sind – egal ob sie der F&E-Abteilung angehören oder ob es um Verbesserungen der täglichen Prozesse geht? Neue, bessere Lösungen sucht man nur dann, wenn man dafür einen triftigen Grund hat. Mitarbeiter müssten also hinreichend unzufrieden darüber sein, wie es im Augenblick läuft und sie müssten das Gefühl haben, dass es auf ihre innovativen Ideen ankommt, wenn es besser werden soll. Dazu müssten sie sich mit ihrer Arbeit und ihrem Unternehmen identifizieren können, und ihre Bemühungen müssten entsprechend unterstützt und gewertschätzt werden. Die Unternehmenskultur und der Führungsstil müssten also darauf ausgerichtet werden, das kreative Potential der Mitarbeiter zu stärken, statt es zu unterdrücken. Diejenigen Unternehmen, in denen das gelungen ist, erkennt man meist schon an der Pforte, beim Empfang. "Think rooms" oder "Sozialräume" oder wie sie auch immer heißen, in denen gemütliche Möbel stehen, ein paar Zeitschriften liegen und in die der Chef nicht kontrollierend hereinplatzt, können demnach echte Brutstätten für unternehmerischen Mehrwert sein? Solche Brutstätten erzeugen keine Kreativität, sie bieten aber Gelegenheit für kreative Austauschprozesse, wenn das Klima stimmt: Wenn dort Mitarbeiter zusammenkommen, die motiviert sind, gemeinsam nach neuen Lösungen zu suchen. Welche Bedeutung haben Fortbildungen für das innovative Potenzial der Mitarbeiter? Die Qualität und damit auch der Wert neuer Ideen hängt ja ganz entscheidend vom Wissen, vom Kenntnisstand und den Erfahrungen ab, über die ein Mitarbeiter verfügt. Wer mehr weiß, kann auch mehr miteinander verknüpfen. Insofern sind Fortbildungen der Nährboden, auf dem brauchbare innovative Ideen entstehen können. Interview Prof. Hüther 1 Und wie kann ein Unternehmer sein Team am besten motivieren, kreativ zu sein? Warum ist ein Mensch kreativ? Alle Menschen kommen mit einer unglaublichen Entdeckerfreude und Gestaltungslust zur Welt, die aber später, in der Schule, während der Ausbildung und im Berufsleben leider allzuleicht verschwindet. Das liegt aber nicht am Gehirn, sondern an den oftmals negativen Erfahrungen, die diese Menschen machen und die ihnen ihre Lust am Entdecken und Gestalten rauben: zu hohe Erwartungen, zu viel Druck, zu wenig Unterstützung, Anerkennung und Wertschätzung. „Supportive Leadership“ heißt die neue Führungskultur, mit der es gelingen kann, das kreative Potenzial der Mitarbeiter wiederzuerwecken. Ein „Supportive Leader“ vermittelt seinen Mitarbeitern das Gefühl, dass es auf jeden einzelnen ankommt, dass jeder mit seinen Ideen gebraucht wird. Das heißt also, der Mitarbeiter muss sich das Problem wirklich zu eigen machen, um es mit einem neuen Ansatz lösen zu wollen? Das ist vielleicht die wichtigste neue Erkenntnis der Hirnforschung: Entscheidend für das, was im Gehirn eines Menschen passiert, sind nicht die objektiven Gegebenheiten, sondern deren subjektive Bewertung. Es geht also um innere Einstellungen, um Haltungen. Welche Bedeutung hat dabei Ihrer Ansicht nach die viel beschworene Teamarbeit? Teamarbeit ist großartig und kann unglaubliche innovative Potentiale freisetzen, wenn alle Mitglieder des Teams mit der gleichen Begeisterung und mit ähnlichen inneren Einstellungen und Haltungen ans Werk gehen. Da das aber nur selten der Fall ist und man all das nicht so leicht herstellen oder gar anordnen kann, führen die unterschiedlichen Interessen der Mitarbeiter vieler Teams allzuleicht zu erheblichen Reibungsverlusten. Wenn Sie einer Runde von Unternehmern drei "goldene Regeln" an die Hand geben sollten, was zu tun ist, damit Mitarbeiter kreativ oder innovativ sind, Prozesse verbessern und ähnliches, welche drei Regeln wären das? Eine „goldene Regel“ reicht, und deren Umsetzung ist schon schwer genug: Alles, was die Beziehungsfähigkeit der Mitarbeiter (zu sich selbst, zu anderen Mitarbeitern, zum Unternehmen) stärkt, ist gut fürs Hirn und gut für das betreffende Unternehmen. Sehr geehrter Herr Professor Hüther, ich bedanke mich für das Gespräch. Prof. Dr. Gerald Hüther ist Neurobiologe und leitet die Zentralstelle für Neurobiologische Präventionsforschung der Psychiatrischen Klinik der Universität Göttingen und des Instituts für Public Health der Universität Mannheim/Heidelberg. Wissenschaftlich befasst er sich mit dem Einfluss früher Erfahrungen auf die Hirnentwicklung, mit den Auswirkungen von Angst und Stress und der Bedeutung emotionaler Reaktionen. Er ist Autor zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen und populärwissenschaftlicher Darstellungen. Weitere Informationen und Bildmaterial: www.tech-transfer.info Kontakt für Journalisten: Heike Jordan Tel. 0551/376459 mobil 0172/5126377 (während der Messetage) Interview Prof. Hüther 2