Zahnheilkunde Analgosedierung in der Zahnarztpraxis Bei manchen Angstpatienten ist eine aufwendige Anfangssanierung der Zähne dringend nötig. Die Zeit, vor der zahnärztlichen Behandlung Ängste abzubauen, steht in diesen Fällen nicht zur Verfügung. Diesen Patienten kann der Zahnarzt eine Analgosedierung anbieten. Da der Patient so die Behandlung nicht bewusst miterleben muss, wird er diese Möglichkeit meist akzeptieren. Im Folgenden wird der Ablauf einer Behandlung mit Analgosedierung aufgezeigt. Hierbei wird besonderes Augenmerk auf die Auswahl der Patienten, die Patientenkommunikation und die Medikation gelegt. In jeder Praxis besteht ein Teil der Klientel aus Angstpatienten. Schätzungen sprechen von einem Anteil zwischen 15 und 20 Prozent an der Gesamtbevölkerung. Damit ist es eine wichtige Aufgabe des Zahnarztes, für diese Patientengruppe adäquate und Erfolg versprechende Behandlungsmöglichkeiten bzw. -bedingungen zu schaffen. Besonders Erfolg verheißend für eine Langzeitbehandlungsfähigkeit solcher Patienten sind suggestive Verfahren, wie zum Beispiel die medizinische Hypnose. Auch die Zusammenarbeit mit erfahrenen Psychologen und Psychotherapeuten kann die Compliance verbessern. Beides ist in der Ordination des Autors eine lange geübte und äußerst bewährte Praxis. Es kann jedoch vorkommen, dass Patienten einen solchen Weg zunächst ablehnen und trotzdem versorgt werden möchten. Auch ein solcher Patient bringt den nötigen Vertrauensvorschuss mit und erwartet vom Behandler, dass dieser eine Lösung parat hält. In meiner Praxis hat sich für diese Situation die Analgosedierung als hilfreiches Mittel für eine notwendige und nicht mehr aufschiebbare Therapie etabliert. Allerdings ist eine Analgosedierung nur für den absoluten „Notfall“ geeignet. Eine dauerhafte Therapie mittels Sedierung – gleichwohl von einigen Patienten gewünscht – ist wohl kein sinnvoller Ansatz in der Angstbegegnung. Fallbeispiel Herr B., 38 Jahre alt, stellte sich Anfang dieses Jahres auf Empfehlung eines 2m Freundes in meiner Praxis vor. Vor jeder Behandlung steht, wie sicher in jeder Praxis, ein anamnestisches Gespräch. Allerdings zeigten sich schnell im Verlauf des Gespräches aufgrund der übertriebenen Beredsamkeit des Patienten, aber auch durch vielfältige nonverbale Signale, erste Anzeichen für ein angstbesetztes bis phobisches Verhalten. Darauf direkt und unvermittelt angesprochen, räumte der Patient ein, seit zehn Jahren nicht mehr in zahnärztlicher Behandlung gewesen zu sein. In meiner Praxis ist es üblich, solchen Patienten mehr Zeit einzuräumen, um ihre subjektive Wahrnehmung der Angst, aber auch deren Ursachen zu reflektieren und über die Wünsche der Patienten an die kommende Behandlung zu sprechen. Dieser Schritt der Vertrauensbildung ist unabdingbar, um sich des Wohlwollens des Patienten zu versichern. Erfahrungsgemäß erleben solche Patienten gerade diese Möglichkeit des Erstgesprächs als befreiend und konstruktiv. Dadurch wird eine entsprechende Folgetherapie überhaupt erst möglich. Auf die routinemäßig geäußerte Frage, „Angenommen, Sie dürften einen Wunsch äußern, wie würde die Behandlung ablaufen?“, antwortete Herr B. wie viele ängstliche Patienten: „Am liebsten hätte ich eine ,Holzhammernarkose‘ und würde dann aufwachen und alles wäre erledigt und mein Gebiss wäre wieder heil!“ In der Folge des Gespräches wird nun erklärt, dass eine solche Möglichkeit zunächst besteht, aber auf Dauer sicher nicht die Angst vor der zahnärztlichen Behandlung beseitigen kann und man dies zu einem Christian Bittner 1988–1993 Studium der Zahnmedizin an der Med. Hochschule Erfurt 1993–1995 Assistenzzahnarzt in Mühlhausen und Bad Homburg Seit 1995 tätig in freier Niederlassung in Salzgitter-Bad Dozent und Supervisor der Deutschen Gesellschaft für Hypnose (DGH) Tätigkeitsschwerpunkte: Hypnose, Akupunktur, ästhetische Zahnmedizin, Implantologie Neben der zahnärztlichen Arbeit Vorsitzender im Prüfungsausschuss für ZFA in Salzgitter, darüber hinaus Mitarbeit im regionalen interdisziplinären Schmerzkreis späteren Zeitpunkt nochmals besprechen müsste. Dem Patienten wird vorgeschlagen, den ersten Teil der notwendigen Behandlung (professionelle Zahnreinigung, Extraktionen, Füllungslegung) unter Analgosedierung durchzuführen. Diese Möglichkeit sagt dem Patienten spontan zu. Zur Vorbereitung dieses Termins muss sich der Patient bei seinem Hausarzt vorstellen, damit dieser die Möglichkeit eines solchen medikamentös begleiteten Eingriffes prüfen kann. Zur Minimierung des allgemeinen Risikos in der Praxis empfiehlt es sich, nur anamnestisch gesunde Patienten auf diese Art zu behandeln. Vorbereitende Maßnahmen Neben der Konsultation des Hausarztes gehört zur Vorbereitung auch eine weitere Anamnese in der Zahnarztpraxis bezüglich des Körpergewichts (wichtig für die Maximaldosisberechnung), bestehender Leber-, Lungen- und Herzerkrankungen sowie Drogengewohnheiten des Pa- mZMK (22) 6/06 Zahnheilkunde tienten (Drogenkonsum wird erfahrungsgemäß verschwiegen). Letztere sind zur Risikominimierung unabdingbare Parameter. Die Anwendung eines entsprechenden Anamnesebogens erleichtert dieses Verfahren. In meiner Praxis wird die Analgosedierung mit Dormicum (Wirkstoff: Midazolam) durchgeführt. Um eine gut gesteuerte Medikamentenapplikation durchführen zu können, kommt nur eine intravenöse Gabe in Frage. Dazu wird dem Patienten eine Verweilkanüle in eine periphere Vene gelegt (Hand, Ellenbeuge) und gesichert (Abb. 1). Nötige Desinfektionsmaßnahmen werden als bekannt vorausgesetzt. Zur dauerhaften Spülung wird eine Infusion mit isotoner Kochsalzlösung angelegt. Diese Art der Medikamentenapplikation sichert ganz nebenbei auch, dass der Behandler sich regelmäßig in der venösen Punktion übt, was bei einem eventuell in der Praxis auftretenden allgemeinen Notfall nur von Vorteil sein kann. Über einen entsprechenden Zugang an der Verweilkanüle wird dann letztlich das sedierende Medikament verabreicht. Da der Patient in der Behandlungssituation nicht geschäftsfähig ist, müssen im Vorfeld alle zahnärztlichen Behandlungsschritte abgesprochen, vereinbart und selbstverständlich alle Übereinkünfte auch dokumentiert sein. Auch muss aufgrund der fehlenden Verkehrstüchtigkeit des Patienten sichergestellt sein, dass er abgeholt wird. Wir verlangen routinemäßig die Nennung einer volljährigen Person, die nach der Behandlung informiert werden soll und den Patienten dann abholt. Auch diese wird über wichtige Aspekte aufgeklärt, wenn sie den Patienten abholt. Um die Sicherheit und die bessere Steuerbarkeit so hoch wie möglich zu halten, wird vor der Applikation das Medikament, welches in 1-ml-Ampullen (entspricht 5 mg Wirkstoff) vorgehalten wird, mit zwei Ampullen isotoner Kochsalzlösung (je 2 ml) verdünnt, sodass schließlich 5 ml Lösung mit 5 mg Wirkstoff Midazolam vorliegen (Abb. 2). Auch für Abb. 2: Isotone Kochsalzlösung. die sofortige Dokumentation und Kontrolle der bereits applizierten Wirkstoffmenge ist dies von Vorteil. Gilt doch die Faustregel: „Soviel applizierte ml-Lösung, soviel mg Midazolam“. Eine Verdünnung ist aber auch aufgrund einiger pharmakologischer Besonderheiten von Midazolam und den daraus erwachsenden möglichen Risiken anzuraten. Pharmakologische Aspekte Abb. 1: Die Sedierung erfolgt intravenös. ZMK (22) 6/06m net sich durch eine aufgrund rascher Verstoffwechselung verhältnismäßig geringe Wirkdauer aus. Es verfügt über einen schlafinduzierenden und sedierenden Effekt von hoher Intensität. Darum ist bei der Applikation eine langsame und ruhige Gabe angezeigt. Darüber hinaus wirkt es angst- und krampflösend sowie muskelrelaxierend. Weiterhin zeichnet es sich durch den Eintritt einer anterograden Amnesie bei intravenöser Gabe aus, d. h. der Patient wird sich an Aspekte des Eingriffes nicht oder nur schwerlich erinnern. Des Weiteren ist von einer großen Abweichung in der individuellen Graduierung der Wirkdauer und Intensität auszugehen. Deshalb sollte unter ambulanten Bedingungen eine Dosierung über 0,1 mg/ kg Körpergewicht unterbleiben. Vor Beginn der Behandlung muss unbedingt nochmals das Vorhandensein ausreichender Mengen der benötigten Medikamente überprüft werden. Neben Dormicum und 0,9-%iger Kochsalzlösung muss auch stets eine ausreichende Menge des Midazolam-Antidots gewährleistet sein, beispielsweise Anexate (Wirkstoff: Flumazenil) (Abb. 3). Aufgrund des Risikomanagements im Vorfeld, aber auch während des Eingriffes, kam dieses Me- Vor Anwendung jedes Medikamentes muss sich der Behandler über die pharmakologischen Aspekte und die zu erwartenden Risiken informieren, etwa anhand der zugehörigen Fachinformationen. Midazolam ist ein Abkömmling der Imidazobenzodiazepin-Gruppe. Es zeich- Abb. 3: Die Medikamentenmenge ist immer zu prüfen. dikament in meiner Praxis noch nie zur Anwendung, muss aber stets bereitstehen. Alle Sedierungen werden in meiner Praxis unter Pulsoxymetrie und Blutdruckkontrolle durchgeführt, die Vitalparameter des Patienten werden ständig kontrolliert (Abb. 4). Diese Aufgaben versieht während des gesamten Eingriffs eine entsprechend geschulte Mitarbeiterin. Wäh- m3 Zahnheilkunde rend des gesamten Termins darf sie den Behandlungsraum nicht verlassen. Darüber hinaus sind alle Maßnahmen des Notfallmanagements erforderlich, wie die Bereithaltung eines Notfallkoffers, geklärte Zuständigkeiten im Team bei einem Notfall etc. Alle Aspekte des Notfallmanagements müssen regelmäßig aufgefrischt und geübt werden. eingehenden professionellen Zahnreinigung, der Erhebung des parodontalen Status, der Entfernung von sechs nicht erhaltungswürdigen Zähnen sowie der Sanierung aller Quadranten (zehn Füllungen). Ein Nachdosieren erfolgt nicht auf Wunsch des Patienten, sondern lediglich bei deutlichem Nachlassen der Wirkintensität. Dies ist vor allem deshalb wichtig, da die subjektiven Wahrnehmungen des Patienten stark von den objektiv vorhandenen Reaktionen abweichen können und Patienten einen amnestischen und somnolenten Zustand auch während der Behandlung regelmäßig fordern. Der Behandler darf nicht nachgeben, da die Maximaldosis nicht überschritten werden darf und interpersonelle Schwankungen berücksichtigt werden müssen. Abschluss der Behandlung Abb. 4: Die Patienten werden ständig überwacht. Praktischer Ablauf Etwa 10–15 Minuten vor Beginn der zahnärztlichen Behandlung wird eine Anfangsdosis von 2 mg Midazolam appliziert. Während dieser Gabe wird fortlaufend mit dem Patienten geredet, um erste Veränderungen zu erfassen, die einen Wirkungseintritt anzeigen. Hier seien Wortfindungsstörungen (Aphasie), verlangsamte Reaktion, aber auch beginnende Müdigkeit erwähnt. Danach wird mit 1-mg-Dosen, die ebenfalls sehr langsam appliziert werden, titriert. Die maximale Dosis beträgt 0,1 mg/kg Körpergewicht. Erfahrungsgemäß zeigen sich innerhalb kurzer Zeit entsprechende Müdigkeitsphänomene bis hin zum Einschlafen des Patienten. Auf Ansprache wird der Patient jedoch bei richtiger Dosierung spontan wieder wach. In diesem Zustand ist er wie oben erwähnt nicht geschäftsfähig. Ist die gewünschte Dosis verabreicht, wird die übliche Lokalanästhesie gegeben. Nach Wirkungseintritt wird wie gewohnt mit der zahnärztlichen Behandlung begonnen. Diese bestand bei Herrn B. wie im Vorfeld besprochen und abgestimmt in einer 4m Wie oben beschrieben zeichnet sich Midazolam durch eine geringe Wirkdauer aus. Nichtsdestotrotz bemühen wir uns auch nach Abschluss der zahnärztlichen Behandlung um eine hohe Sicherheit für den Patienten. Nach Behandlungsende bleibt der Patient in der Praxis, bis die Sedierung keine Wirkung mehr zeigt. Die zuvor benannte Aufsichtsperson wird informiert und bei deren Eintreffen in der Praxis über das postoperative Verhalten – wie der Patient bereits im Vorgespräch – aufgeklärt. Insbesondere wird darauf hingewiesen, dass der Patient 24 Stunden keine Maschinen und Fahrzeuge jeglicher Art bedienen darf und nicht allein am Straßenverkehr teilnehmen kann. Diese Zeitspanne mag übertrieben erscheinen, sichert aber die forensische Unangreifbarkeit des Behandlers. Eine Nachkontrolle und Befragung sowie Erläuterung der durchgeführten Behandlung erfolgt am Folgetag und verstärkt die vertrauensvolle Bindung zwischen Therapeut und Patient. Herr B. gibt dabei an, nur „peripher etwas mitbekommen zu haben“. Zwischenzeitlich ist der Patient durch hypnotherapeutische Aufarbeitung angstfrei. Weiterführende Behandlungen, wie die notwendige Zahnersatzversorgung, wurden ohne besonderen Aufwand, d. h. wie beim „Normalpatien- ten“, durchgeführt. Zur Sicherung des Erfolges wurde Herr B. in ein regelmäßiges engmaschiges Recall übernommen. Zusammenfassung Eine Eingangssanierung eines Angstpatienten stellt den Behandler vor logistische, medizinische und psychologische Aufgaben. Manchmal ist aufgrund des Status quo eine anfängliche aufwendigere, wenn auch richtige und nötige, Ursachenforschung vor zahnärztlichem Behandlungsbeginn kontraindiziert. Um einen guten Anfangsrapport zwischen Behandler und Patient zu sichern, ist deshalb bei strenger Auswahl und Indikationsbegrenzung eine Analgosedierung ein risikoarmes, gutes therapeutisches Hilfsmittel. Eine Aufarbeitung und Angstbegegnung im psychotherapeutischen Sinne kann sie jedoch nicht ersetzen. Korrespondenzadresse: ZA Christian Bittner Hinter dem Salze 10 38259 Salzgitter E-Mail: [email protected] mZMK (22) 6/06