1 Predigt am Sonntag Judika: Gen 22,1-13 1 Nach diesen Geschichten versuchte Gott Abraham und sprach zu ihm: Abraham! Und er antwortete: Hier bin ich. 2 Und er sprach: Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast, und geh hin in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde. 3 Da stand Abraham früh am Morgen auf und gürtete seinen Esel und nahm mit sich zwei Knechte und seinen Sohn Isaak und spaltete Holz zum Brandopfer, machte sich auf und ging hin an den Ort, von dem ihm Gott gesagt hatte. 4 Am dritten Tage hob Abraham seine Augen auf und sah die Stätte von ferne. 5 Und Abraham sprach zu seinen Knechten: Bleibt ihr hier mit dem Esel. Ich und der Knabe wollen dorthin gehen, und wenn wir angebetet haben, wollen wir wieder zu euch kommen. 6 Und Abraham nahm das Holz zum Brandopfer und legte es auf seinen Sohn Isaak. Er aber nahm das Feuer und das Messer in seine Hand; und gingen die beiden miteinander. 7 Da sprach Isaak zu seinem Vater Abraham: Mein Vater! Abraham antwortete: Hier bin ich, mein Sohn. Und er sprach: Siehe, hier ist Feuer und Holz; wo ist aber das Schaf zum Brandopfer? 8 Abraham antwortete: Mein Sohn, Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer. Und gingen die beiden miteinander. 9 Und als sie an die Stätte kamen, die ihm Gott gesagt hatte, baute Abraham dort einen Altar und legte das Holz darauf und band seinen Sohn Isaak, legte ihn auf den Altar oben auf das Holz 10 und reckte seine Hand aus und fasste das Messer, dass er seinen Sohn schlachtete. 11 Da rief ihn der Engel des HERRN vom Himmel und sprach: Abraham! Abraham! Er antwortete: Hier bin ich. 12 Er sprach: Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts; denn nun weiß ich, dass du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen. 13 Da hob Abraham seine Augen auf und sah einen Widder hinter sich im Gestrüpp mit seinen Hörnern hängen und ging hin und nahm den Widder und opferte ihn zum Brandopfer an seines Sohnes statt. Liebe Gemeinde! Der heutige Predigttext ist für uns heutige Hörer eine einzige Zumutung. Hier geht es um eine Hingabe, die schon übermenschlich anmutet und die nicht wenige Menschen auch verängstigt, irritiert oder abstößt. Aber bevor ich in die heutige Geschichte einsteige möchte ich Sie einmal bitten, zu überlegen: Welche Erfahrungen haben Sie in Ihrem bisherigen Leben mit Gott schon gemacht und: Wie würden Sie ganz persönlich den Satz vollenden: Gott ist für mich wie…! 2 Und jetzt bringen wir unser Gottesbild einmal mit dem Gott dieser Abrahamsgeschichte zusammen! Was ist das für ein Gott, der so etwas Unmenschliches von Abraham verlangt? Passt der in das Bild, das Sie von Gott haben? Kann das der gleiche Gott sein, von dem wir so viel Liebevolles und Gnädiges hören? –Hier scheint es ja so, als spiele er auf gemeine Weise mit den Gefühlen seines treuen Dieners Abraham. Nicht wenige Zeitgenossen wollten diese Geschichte aus den verschiedensten Gründen schon aus der Bibel streichen, weil sie nicht ins Bild passt. Aber da gibt es ein Problem: Sie steht nun mal in der Bibel und wir sollten nicht vorschnell Unbequemes ablehnen, sondern vielmehr genauer hinschauen und fragen warum diese Geschichte in der Bibel stehen könnte und was sie auch uns heute noch zu sagen hat. Schauen wir also noch einmal etwas genauer hin: 1 Nach diesen Geschichten versuchte Gott Abraham und sprach zu ihm: Abraham! Und er antwortete: Hier bin ich. Diese Geschichte ist keine Erstbegegnung zwischen Gott und Abraham. Gott und Abraham sind schon einen langen Weg miteinander gegangen. Es fängt damit an, dass Gott Abraham auffordert, seine Heimat zu verlassen. Er, Gott, werde ihm ein neues Land geben und ihn zu einem großen Volk machen. Allein auf diese Zusage Gottes hin, ohne die geringste Garantie, macht Abraham sich auf den Weg. Und Abraham hat Erfahrungen mit Gott gemacht; er hat erlebt, dass Vertrauen sich lohnt und Gott am Ende alles gut macht. Aber jetzt? Jetzt soll er von Gott auf die Probe gestellt werden. Wenn ich mir diese Versuchung vorstelle bekommt für mich die Vaterunserbitte „führe uns nicht in Versuchung“ noch einmal eine ganz neue Brisanz. 2 Und Gott sprach: Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast, und geh hin in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde. Jetzt scheint Gott sich auf einmal gegen seine eigene Verheißung zu stellen: Wie kann Abraham der Stammvater eines großen Volkes werden, wenn er Isaak töten soll? Für heutige Ohren klingt das unerhört und erinnert mich fast an die islamischen Selbstmordattentäter, die teilweise auch schon ihre Kinder opfern im Namen ihres Gottes sich und andere zu töten. Gott sei dank ist das bei uns heute unvorstellbar geworden. Und wenn heute einer ernsthaft käme und erzählte: „Du, Gott hat mir gesagt, ich soll ihm meinen Sohn opfern!“ Der wäre wohl schneller in der Psychiatrie und hätte das Jugendamt auf dem Hals, als man sich das vorstellen kann. Kein Wunder, dass vielen Theologen und Bibelkritikern diese Geschichte nicht gefällt und sie sie am liebsten rauswerfen würden. Imanuel Kant hat sogar die These aufgestellt, dass es sich hier bei diesem unmoralischen Auftrag an Abraham gar nicht um den Gott Israels handeln kann. Andere Ausleger verlagern diese Geschichte in einen Traum und meinen dass Abraham das nur geträumt habe. 3 Seltsam ist nur: Alle regen sich auf und suchen Ausflüchte, nur von Abraham hören wir keine Klage, keine Aufregung und keinen Widerspruch: "Dieses Opfer ist mir von Gott auftragen worden", würde Abraham antworten. Kann man vor Gott fliehen? Jona hat es versucht. Sie kennen sicherlich seine Geschichte. Nein, vor Gott kann man nicht fliehen. "Und nähme ich die Flügel der Morgenröte und flöhe zum äußersten Meer, so wärst du doch da. Und bettete ich mich bei den Toten, so wärst du auch da!", das weiß Abraham und er hat die Stimme Gottes ja schon öfter gehört. Er weiß wer ihn da ruft! "Wenn Gott es so will, dann muss ich meinen Sohn geben, auch meinen einzigen", so würde Abraham antworten. Wir haben in diesem Text eine Urgeschichte vor uns. Hier wird eine Grunderfahrung angesprochen, die sich immer und immer wiederholt. "Der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen, der Name des Herrn sei gelobt", so sagt es Hiob, als er seine Kinder und all seine Habe verliert. Aber ist es nicht schon hart genug für uns wenn Gott uns nimmt, was wir lieben. Kann er wirklich verlangen, dass ich selbst meinen Sohn opfere? Abraham gehorcht. Wortlos. Wir hören nichts von dem, was in ihm vorgehen mag. Geschildert wird nur, dass er sich mit Isaak aufmacht zum vorbestimmten Berg. Drei Tage lang in Richtung Tod, in Richtung Ende aller Zukunft auch für Abraham. So ist es Gottes Wille und wieder wird deutlich, wie hart das Vaterunser sein kann: „Dein Wille geschehe!“ Und doch klingt in den Abschiedsworten, die Abraham an die zurückbleibenden Knechte richtet so etwas wie eine trotzige Hoffnung: „wenn wir angebetet haben, wollen wir wieder zu euch kommen.“ Wie kann er das sagen? Lüge? Ausrede? – Für mich stecken in diesen wenigen Worten die ganze Hoffnung, das ganze Vertrauen das Abraham trotz aller widrigen Umstände und aller Aussichtslosigkeit bewahrt. Abraham versteht Gott nicht. Gottes Vernunft ist höher als unsere menschliche Vernunft. Aber er hat schon oftmals in seiner gemeinsamen Vorgeschichte mit Gott erfahren, dass Gott auch wenn wir Menschen denken, es gibt keinen Ausweg, doch noch eine Möglichkeit hat. Abraham, der noch nicht wissen kann wie diese Geschichte ausgehen wird, vertraut darauf, dass Gott auch hier einen Weg finden wird seine Verheißung wahr werden zu lassen. Und in diesem Vertrauen geht er seinen Weg und hofft… Die letzte Strecke gehen die beiden allein. Jeder trägt einen Teil der Lasten. „So gingen die beiden miteinander". Einmal kommt es zu einem Gespräch. Isaak fragt nach dem fehlenden Schaf zum Brandopfer. Abraham antwortet: „Mein Sohn, Gott wird sich ein Schaf zum Brandopfer ersehen." Auch hier kann man die untergründige Spannung spüren: das schlichte Vertrauen des Sohnes und die hoffnungsvolle Ratlosigkeit des Vaters. Seine Antwort klingt ausweichend. Vielleicht will er den Sohn liebevoll 4 beruhigen? Schonen? Die Antwort enthält allerdings für mich auch hier eher etwas von einer verzweifelten Hoffnung, entgegen allem Augenschein. In höchster Bedrängnis hofft Abraham weiter auf den Gott, der ihm vertraut ist seit der Trennung von Heimat und Verwandtschaft und der auf diesem Wege immer wieder seine Verheißung erneuert hat. Wenn Abraham sich jetzt aber mit seiner Zukunft - mit Isaak - aufgeben muss, dann doch mit einer verzweifelten Hoffnung auf den Gott, der es immer wieder gut mit ihm meinte: „Gott wird sich ein Schaf zum Brandopfer ersehen." Interessant dabei ist, dass Isaak, selbst noch das Holz auf die Schulter geladen wird, auf dem er geopfert werden soll. Und der Vater trägt Feuer und Messer, Feuer und Schwert, die Symbole der Macht. 9 Und als sie an die Stätte kamen, die ihm Gott gesagt hatte, baute Abraham dort einen Altar und legte das Holz darauf und band seinen Sohn Isaak, legte ihn auf den Altar oben auf das Holz 10 und reckte seine Hand aus und fasste das Messer, dass er seinen Sohn opferte. (Wörtlich eigentlich: schlachtete.) Furchtbar! – Und doch auch heute noch traurige Realität, wenn ich an den Islamischen Staat denke oder auch an Zustände in Nigeria oder im Südsudan. Oder denken wir ans dritte Reich: Auch dort wurden zahlreiche jüdische Kinder unschuldig getötet! Für das Judentum ist dieser gebundene Isaak daher besonders wichtig geworden. Hilflos und gefesselt muss er erdulden was kommt. In ihm konnten die Juden sich in Zeiten der Verfolgung wiedererkennen. Isaak wurde zum Bild der unschuldig Leidenden, all der vielen, die später verfolgt wurden und wegen ihres Glaubens wirklich starben. Das griechische Wort für Ganzopfer heißt Holocaust. Die Geschichte von Isaaks Bindung wird bis heute regelmäßig im SynagogenGottesdienst gelesen. Der Vater ist bereit, ihn zu opfern. Doch Gott will dieses Opfer nicht: »Abraham, Abraham! Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts!« An jedem Neujahrstag wird das Schofar, das Widderhorn geblasen, in Erinnerung an den Widder, der Isaak vom Messer des Vaters errettete. Gott befreit Isaak aus den Fesseln des Todes. Gott macht seine Verheißung wahr: er will im Unterschied zu vielen Religionen und Kulten zur Zeit Abrahams eben keine Opfer, sondern Leben. Und Abraham hat durch sein schon fast übermenschliches Vertrauen in Gottes Versprechen und Verheißung Gottes Willen erfüllt. Und so verlangt Gott vom Menschen und Stammvater Abraham zwar fast, aber doch nicht dasselbe, was er 2000 Jahre später dann bereit war selbst zu tun, nämlich seinen einzigen und geliebten Sohn zu opfern. Jesus zum Lamm Gottes zu machen, das wegen unserer Schuld sterben muss. Und wenn wir nochmal nachspüren, wie schwer dies für Abraham gewesen sein muss und wie es uns mit dieser Vorstellung geht, dann können wir vielleicht auch etwas 5 besser nachempfinden was hier Gott für uns bereit war zu tun! Auch Jesus wurde das Holz auf die Schultern gelegt und der Sohn ging treu und im Vertrauen den Weg, den der Vater für ihn vorgesehen hatte. Und nach drei schweren Tagen des Todes zeigte Gott auch hier seine Macht, die unmögliches möglich werden lassen kann. Er weckte Jesus von den Toten auf und zeigte sich als Gott des Lebens. Der Berg Morija, an dem Isaak geopfert werden sollte ist übrigens ebenfalls in Jerusalem, in Sichtweite des Kreuzigungsberges Golgatha! Gott zeigt uns in dieser Geschichte deutlich, dass er keine Menschenopfer will. Und seit Christi Tod und Auferstehung braucht es auch keine Tieropfer mehr, denn mit seinem Sohn hat Gott uns alles gegeben und ist alles an Opfer erbracht, was je erbracht werden kann. Was Gott von uns möchte ist unser Vertrauen. Unser Vertrauen in seine Liebe und seine Verheißung, auch gegen jeden Anschein. Unser Vertrauen in seine unbegrenzten Möglichkeiten, auch wenn wir Gottes Wege oft nicht verstehen und uns sein Wille oft an den Rand der menschlichen Möglichkeiten oder gar Verzweiflung bringt. Aber dieses Vertrauen, diese trotzige Hoffnung, die im Glauben an Gott nie stirbt, das ist es, was vor Gott gilt: Vertrauen, dass er es letztlich gut mit uns meint und dass er auch gegen jeden Anschein weiß, was er tut. Auch und gerade, wenn wir das nicht immer wissen oder erklären können. Und genau darin besteht die Bewährung Abrahams. Darin, dass er alles, was sein Leben ausmacht, Gott völlig überlässt - und dies in der ungeheuren Spannung des Nicht-Wissens über das, was am Ende des Weges geschehen wird. Auch wir müssen heute manchmal die Erfahrung machen, dass uns vertraute Überzeugungen abhanden kommen. Manchmal zerbricht auch ein bislang selbstverständliches Gottvertrauen und eine selbstverständliche Selbstgewissheit. Da leben wir fromm und mit viel Gottvertrauen und werden dennoch schwer krank. Oder ein lieber Angehöriger stirbt plötzlich, ein Unfall reißt uns aus dem normalen Alltag oder ein Partnerschaftsproblem stellt unsere heile Welt auf den Kopf. Probleme nehmen uns gefangen und binden unsere Kraft und Freiheit, wie den Isaak auf dem Opferaltar und wir fragen: Kann das Gottes Willen sein? Was läuft schief, was habe ich getan, warum greift Gott nicht ein, warum muss ich das alles erdulden? Nun, keinem von uns hat Gott ein sorgen- und beschwerdefreies Leben versprochen. Und wenn wir uns die großen Glaubensvorbilder der Bibel anschauen, so hatten die alle genug Probleme und genug zu leiden und zu ertragen. Aber es blieb immer dieses mächtige und hoffnungsstiftende Vertrauen in den vertrauenswürdigen, ja sogar liebenden Gott. Paulus hat dafür sehr deutliche Worte gefunden: (Rö 8) 31 Was wollen wir nun hierzu sagen? Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein? 32 Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben - wie sollte er uns 6 mit ihm nicht alles schenken? 38 Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, 39 weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn. Alte Glaubensgewissheiten können schnell einmal durch neue Erfahrungen radikal in Frage gestellt werden. Und auch wir sind dann herausgefordert uns trotzig und hoffnungsvoll auf den Weg zu machen zu neuer Lebensund Glaubensgewissheit. Was können wir für unsere Wege von Abraham lernen? Schauen wir uns noch einmal seinen Weg an. Am Anfang steht ein „Hier bin ich". Eine Bereitschaft, sich anreden zu lassen und auf den Weg zu machen. Abraham geht selbst diesen schweren Weg. Der Weg ist lang und dauert mehrere Tage. Also: Geduld haben! Sich Zeit nehmen. Das bisherige Tempo der Lebensführung zurücknehmen, ent-schleunigen, schweigen und Gottes Wort suchen. Sich zurückerinnern an bisherige Glaubenserfahrungen mit Gott. Und daraus können dann wichtige Impulse kommen auf die Fragen: Worauf ist Verlass? Worauf kann ich hoffen? Was muss ich loslassen? Aber auch: Was wird aus mir/uns? Allerdings: Antworten sind meist nicht gleich zur Hand. Oft auch nicht durch angestrengtes Nachdenken und psychische oder körperliche Arbeit. Abraham überlässt sich ganz und gar der Sorge Gottes. Fast naiv mutet diese Haltung an. Und zugleich steckt in ihr das Wagnis, die ungeheure Spannung das Nicht-Wissen zu ertragen und zu warten. Warten lernen auf neue Einsichten. Etwa diese: Unsere Zukunft ist kein verfügbarer Besitz, sondern freies Geschenk Gottes. Aber es ist Gottes Zukunft von und mit Gott! Möge uns dieses Vertrauen Abrahams Vorbild und Mutmacher sein auf unserem Glaubens- und Lebensweg! Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen. Pfr. Gunter Bareis, Kirchbergstr. 18, 74348 Lauffen a.N.