Oktober 2007

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Reden ist Silber, Schweigen ist Gold!
(Oktober 2007)
Vom Umgang mit der Schweigepflicht in Hauskreisen
Pastorin Anke Wiedekind
Eigentlich sollte es eine kurze und knackige Austauschrunde werden. Aber Monika und Frank
haben Stress mit ihrem pubertierenden Sohn, den sie beim Kiffen erwischt haben, Dorothee
hat die Vermutung, dass ihr Freund ein Verhältnis mit einer anderen hat und Dirk hat einen
dummen Fehler bei seiner Arbeit gemacht, der ihn möglicherweise seinen Kopf, mindestens
aber einen Teil seiner Karriere kosten wird.
Hauskreise sollen geschützte Räume sein, in denen Menschen über ihr Leben reden können,
ihren Alltag mit Gott in Verbindung bringen und Unterstützung bekommen. Vielleicht keinen
professionellen Rat, aber doch zumindest ein aufmunterndes „Das wird schon!“ Oder einen
Segen. Oder ein Gebet. Damit dies auch passiert, besprechen wir in unseren Hauskreisen
Hauskreisregeln. Das klingt ein bisschen streng, hilft aber ungemein. Eine Regel z.B. lautet:
„Alles, was wir im Hauskreis besprechen, bleibt unter uns. Nichts dringt nach außen.“ Eine
andere: „Wir erwarten, dass sich jeder Hauskreisteilnehmer öffnet und Persönliches in den
Hauskreis mit einfließen lässt.“ Das Ergebnis sind solche Abende, an denen man eine
Viertelstunde für die Austauschrunde einplant, sich tatsächlich aber Lebenskrise nach
Lebenskrise offenbart und der Hauskreis zur Selbsthilfegruppe mutiert.
Hauskreise haben seelsorgerliche Aufgaben
Wenn Jesus Menschen eine neue Familie verheißt, sobald sie in seine Nachfolge treten, so ist
diese Familie nirgends eher zu finden als in Hauskreisen. Hauskreise bieten ein Netz von
Beziehungen, in die ein Mensch sich fallen lassen kann und sich aufgehoben weiß. Dort kann
auf individuelle Fragen und Bedürfnisse eingegangen werden und tatsächlich auch auf
schwierige seelsorgerliche Situationen reagiert werden. Hauskreise in unserer Gemeinde
haben Menschen in lebensbedrohlichen Krankheiten bis in den Tod hinein begleitet, über
Liebeskummer hinweg geholfen, in Phasen der Orientierungslosigkeit Wegweisung
vermittelt. Normalerweise rollen diese Fragen auf den Gemeindepfarrer zu. Doch jeder
Pfarrer einer aufblühenden Gemeinde ist überfordert von den seelsorgerlichen Anfragen, die
an ihn herangetragen werden, und muss sich immer wieder im Einzelfall entscheiden, ob er
seine Ressourcen in die seelsorgerliche Einzelbetreuung steckt, oder ob er ein System aufbaut,
das das Potenzial hat, Menschen aufzufangen und ihnen in schwierigen Situationen Halt zu
bieten. Versteht sich ein Pfarrer als Gemeindeaufbauer, so muss er sich für das multiplikative
System entscheiden: die Hauskreise. Damit kommen Hauskreisen zwangsläufig
seelsorgerliche Aufgaben zu, ja, sie werden zur ersten Anlaufstellen von Menschen, die sich
in Schwierigkeiten befinden. Freilich ersetzen Hauskreise keinen Seelsorger oder
Therapeuten, sondern können in wirklichen Problemfällen immer nur als Ergänzung zu
professioneller Hilfe gesehen werden, jedoch als Ergänzung sind sie von unschätzbarem Wert,
weil sie der genuine Ort sind, aus dem heraus sich seelsorgerliche Beziehungen entwickeln.
Kaum ein Mensch geht von sich heraus auf einen Seelsorger zu und sagt: „Du, ich brauche
Seelsorge.“ Sondern natürlicherweise bespricht man sich erstmal mit vertrauen Menschen und
bekommt von ihnen einen guten Tipp, an wen man sich wenden kann.
Diskretion will gelernt sein
Kommen wir zum Eingangsbeispiel zurück. Dieser Abend war gespickt mit vertraulichen, ja
teilweise pikanten Informationen. Wenn das nach draußen dringt...! Es ist wichtig, an einem
solchen Abend die Gemeinschaft nochmals auf ihre Verschwiegenheit einzuschwören. Denn
Diskretion ist ein hohes Gut und Grundvoraussetzung dafür, dass sich Vertrauen ausbildet und
Menschen überhaupt mal den Mund aufmachen und etwas von sich preisgeben. Sie ist nicht
vorauszusetzen, im Gegenteil: Tratsch ist in Gemeinden häufig an der Tagesordnung und tarnt
sich oftmals verräterisch fromm, z. B. in Form von Gebetsanliegen: „Weißt du schon, der XY
geht es in ihrer Ehe so schlecht, ich glaube, wir sollten mal für sie beten.“ Diskretion will
gelernt sein und braucht Verhandlung und Absprachen. Der eine informiert seinen Hauskreis
darüber, dass er im Krankenhaus liegt und hofft, dass dieser es möglichst vielen weitererzählt,
damit der Besuch gesichert ist. Ein anderer will genau das nicht. Grundsätzlich sollte jede
Information, die nach außen dringt, mit dem Betroffenen besprochen sein: „Wäre es dir eine
Hilfe, wenn ich dein Anliegen in unser Gebetsteam mitnehme? Auch dort gilt
Schweigepflicht.“ Oder: „Ich weiß einen guten Seelsorger. Soll ich ihm mal von dir erzählen
und den Kontakt herstellen?“ „Dürfen wir unseren Ehepartnern davon erzählen?“ In manchen
Fällen sollte man Sprachregelungen absprechen, um eine Person nicht durch eine unachtsame
Formulierung ungewollt zu diskreditieren. Je klarer solche Absprachen formuliert sind, desto
eher gelingt es, die Intimsphäre des Hauskreises zu wahren und mögliche Konfliktfelder zu
umschiffen. Wichtig dabei ist, dass die Teilnehmer eines Hauskreise verstehen, dass sie durch
ihre Diskretion den Hauskreis zu einem Ort der Geborgenheit machen, den auch sie in
Anspruch nehmen können, wenn sie es brauchen.
Wenn die Schweigepflicht zum Problem wird...
Manchmal jedoch kann die Schweigepflicht zu einem Problem werden. Folgen wir mal
unseren Hauskreisteilnehmern auf dem Nachhauseweg. Da entspinnt sich möglicherweise
folgendes Gespräch: „Hey, wenn der Sohn von Monika und Frank.... Du weißt doch, der ist
mit der Laura befreundet und die mit unserer Tochter.... Meinst du nicht, wir sollten der Sache
mal großflächig nachgehen und vielleicht....“ Man muss sich klar machen, dass das
Beziehungsnetz eines Hauskreises nicht an der Tür des Hauskreises endet. D. h. es ist
wahrscheinlich, dass einem in einem Hauskreis vertrauliche Informationen begegnen, die in
anderem Zusammenhang von Bedeutung sind, einen manchmal sogar wirklich persönlich
tangieren. Manchmal auch konflikthaft tangieren, weil man – und da verlassen wir jetzt die
Grenzen unseres Beispiels – mit dem Verhalten der Person nicht einverstanden ist und / oder
dadurch negative Konsequenzen in Kauf nehmen muss bzw. nachhaltig in Konflikte gestürzt
wird. Was tun?
Hier gibt die Bibel klugen Rat. In Matthäus 18 ist das Vorgehen in solchen Fällen in einem
Dreierschritt beschrieben. Schritt 1 besagt, das direkte und offene Gespräch zu suchen: „Wir
haben von euren Schwierigkeiten mit eurem Sohn gehört und befürchten, dass unsere Tochter
da mitreingezogen wird. Wollen wir uns da absprechen und kooperieren, wie wir vorgehen?
So können wir uns gegenseitig und unseren Kindern besser helfen.“ Meistens klären sich die
Dinge, so angesprochen, schon, und es ist nicht nötig, mit Dritten darüber zu reden. Die
nächste Eskalationsstufe ist, eine weitere Person zu dem Gespräch mit hinzu zu nehmen.
Auch dieser Schritt verletzt die Schweigepflicht nicht, wenn diese Person das Vertrauen
beider genießt und ebenfalls schweigen kann. Eine andere Variante dieses Schritts besteht
darin, dass ein Hauskreisleiter die Hilfe eines Coaches in Anspruch nimmt. Ebenfalls eine
absolut legitime Möglichkeit, die sich in den Grenzen der Diskretion bewegt, wenn die
Vorgehensweise von vorne herein bekannt ist. D.h. der Hauskreisleiter müsste von Anfang an
kommunizieren: „Ich bespreche meine Arbeit mit einem Coach. Der kennt euch namentlich,
teilweise auch persönlich, aber er wahrt das Prinzip der Vertraulichkeit. Seht ihn als ein
unsichtbares Mitglied unseres Hauskreises, als eine Art graue Eminenz an, die uns mit ihrer
Weisheit dient.“ Der nächste Schritt – und dies ist tatsächlich der letzte Schritt in einer langen
Kette von Eskalationsmöglichkeiten – ist, den Fall einer größeren Öffentlichkeit zu
unterbreiten, mit der Bitte um Hilfe. Noch einmal: diesen Schritt geht man, wenn gar nichts
anderes mehr geht. Dann und nur dann, immer in dem Wissen, dass man Vertrauen aufs Spiel
setzt, Beziehungen gefährdet oder gar zerstört.
Ohne liebevolle Beziehungen keine Lebensveränderungen.
Eine letzte Lanze breche ich für die Verschwiegenheit in Hauskreisen. Hauskreise sind der
Ort, an dem Lebensveränderungen stattfinden. Die Therapieforschung interessiert sich seit
Jahren dafür, was Lebensveränderungen bei Menschen auslöst. Und natürlich ringt jeder
Therapiemethode darum, diejenige zu sein, welche am erfolgreichsten Menschen verändert.
Das Ergebnis der Forschung ist kompromittierend für alle Methodiker: nicht die Methode
entscheidet über Therapieerfolg, sondern einzig und allein die vertrauensvolle Beziehung zum
Therapeuten. Auf den Hauskreis übertragen, heißt das: wenn in einem Hauskreis liebevolle
vertrauensvolle Beziehungen gelebt werden, werden Menschen sich von Gott berühren und
verändern lassen, werden mehr und mehr eintauchen in die Sphären seines Reiches und Jesus
ähnlicher werden. Und dafür lohnt es sich doch zu schweigen, oder?
Pastorin Anke Wiedekind
Ev. Andreasgemeinde Niederhöchstadt
E-Mail: [email protected]
Homepage: www.andreasgemeinde.de
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