Die spanische Blaue Division an der Ostfront, 19

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Felix Gossler: Rezension von: Xosé M. Núñez Seixas: Die spanische
Blaue Division an der Ostfront, 1941-1945. Zwischen
Kriegserfahrung und Erinnerung, Münster: Aschendorff 2016, in
sehepunkte 17 (2017), Nr. 3 [15.03.2017],
URL:http://www.sehepunkte.de/2017/03/29447.html
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sehepunkte 17 (2017), Nr. 3
Xosé M. Núñez Seixas: Die spanische Blaue
Division an der Ostfront, 1941-1945
Wer waren die spanischen Soldaten, die im September 1941 zusammen
mit der Wehrmacht an die Ostfront zogen? Stellte die Blaue Division, wie
oft behauptet, einen Ausnahmefall unter den verbündeten Streitkräften
dar? Boten diese Soldaten Zivilisten und Juden in ihrem Einflussbereich
wirklich Schutz vor der Brutalität der Deutschen, und was ist von den
schriftlichen Darstellungen dazu zu halten? Diese Fragen greift Núñez
Seixas im vorliegenden Werk auf, um den sozialen und biographischen
Rahmen zu untersuchen, in dem sich die Soldaten der Blauen Division
bewegten.
Basierend auf einer Vielzahl von Quellen wie Feldpostbriefen, Akten der
Wehrmacht, Memoirenliteratur und Fotografien spürt der Autor diesen
Themen nach. Gleichzeitig bettet er die Historie dieser Division Rekrutierungsprozess, Fahrt nach Deutschland, Ausbildung, Weg an die
Front, Kämpfe im Norden der Ostfront, Ablösung und Rückführung nach
Spanien, das Verbleiben einiger Kämpfer in den Reihen der Wehrmacht,
Erinnerung sowie Nachkriegserinnerung - in den jeweiligen historischen
Kontext ein.
Núñez Seixas kann zeigen, dass die Blaue Division kein homogenes
Gebilde aus antikommunistischen Armeesoldaten und Falangisten war,
die gen Osten zogen, um das christliche Abendland vor den "asiatischen
Horden" zu schützen, wie das offizielle spanische Narrativ nach dem
Ende des Zweiten Weltkriegs lautete. Vielmehr waren Sozialstruktur und
Intentionen der Soldaten so vielfältig und unterschiedlich, wie es die
Dialekte und Identitäten auf der Iberischen Halbinsel noch heute sind.
Núñez Seixas zeigt anhand von Statistiken die soziopolitische Vielfalt der
Einheit auf. So gab es neben Studenten, Beamten, regulären Freiwilligen,
Arbeitslosen, Veteranen des Spanischen Bürgerkriegs sowie ehemaligen
Afrika-Kämpfern und untergetauchten Kommunisten, die zur Roten
Armee stoßen wollten, auch eine kleine Gruppe mit anderen Motiven:
Kriminelle und Gefängnisinsassen, die ihre Akte zu bereinigen suchten.
Der Nationalsozialismus fand in vielen Freiwilligen der Blauen Division
dankbare Sympathisanten - dankbar dafür, an der Seite der Wehrmacht
marschieren zu dürfen. Anhand des faschistischen Überbaus, sofern man
im Falle Franco-Spaniens von diesem Begriff sprechen kann, wird
erläutert, wie sehr sich die Affinität Spaniens für den NS-Staat von einem
direkten Bündnis mit Hitler unterschied. Gleichzeitig fielen die alten
Feindbilder des zurückliegenden Spanischen Bürgerkriegs auf genügend
Nährboden, um im Zusammenspiel mit Francos außenpolitischer
Zielsetzung, eine militärische Expedition zu ermöglichen, die als letzte
militärische Expedition Spaniens bis heute in der Erinnerungskultur des
spanischen Heeres verankert ist.
Die Spanier kamen erst nach Beginn des Unternehmens "Barbarossa", im
Herbst 1941, an die Front; sie waren daher nicht mehr Teil der schnellen
Angriffsoperationen zu Beginn des Ostfeldzugs. Da Hitler diesen Krieg
zum Kampf zweier Weltanschauungen erklärt hatte, wird auch die Frage
aufgeworfen, welche Rolle die Blaue Division im Vernichtungskrieg an
der Ostfront spielte. Núñez Seixas weist darauf hin, dass auch diese
Einheit, entgegen vieler Darstellungen in den Memoiren der Soldaten,
Teil dieser Form des Krieges wurde, wenn auch nicht in dem Maße wie
andere Truppenteile verbündeter Staaten. So gab es durchaus Übergriffe
gegen die russische Zivilbevölkerung durch spanische Soldaten, was
wiederum dem gängigen Narrativ der Verbrüderung mit den russischen
Bauern widerspricht. Der Autor zeigt auf, dass auch diese Männer der
Radikalisierung und den extremen Einflüssen des Krieges gegen die
Sowjetunion ausgesetzt waren, welche Gewaltakte gegen Zivilisten
begünstigten - nicht zuletzt im Kampf gegen die Partisanen hinter der
Front, auch wenn der Partisanenkampf im Norden der Ostfront nicht die
Ausmaße annahm, die an anderen Abschnitten zu beobachten waren.
Auch wird die Frage nach einer möglichen Beteiligung spanischer
Truppen am Holocaust gestellt. Die Suche nach einer Antwort zeigt
gleichzeitig die Schwierigkeit auf, die darin besteht, die antisemitische
Einstellung im Weltbild der Divisionsangehörigen zu erfassen und zu
verorten; Núñez Seixas spricht von einem "Antisemitismus ohne Juden".
Als Quellen dafür zieht der Autor Feldpostbriefe, Auszüge aus der
Memoirenliteratur und Frontzeitungen heran. Er weist nach, dass der
spanische Antisemitismus als Ausdruck antijüdischer Tradition im Sinne
eines katholisch-traditionalistischen Weltbilds unter den Soldaten der
Blauen Division durchaus verbreitet war. Jedoch unterschied sich diese
Art des Antisemitismus grundlegend vom eliminatorischen
Antisemitismus der Nationalsozialisten, auch wenn sich in den Reihen
der Blauen Division begeisterte Bewunderer der brutalen rassistischen
Neuordnung durch Hitlerdeutschland befanden. Die Quellen geben
Auskunft darüber, dass es den spanischen Soldaten unmöglich war, sich
den Eindrücken und Folgen der nationalsozialistischen Rassenpolitik zu
entziehen, auch wenn die Frage danach in den Memoiren größtenteils
ausgespart blieb. So wurden viele der Soldaten bereits im Herbst 1941
bei ihrem Marsch durch die besetzten Gebiete an die Front Zeugen der
nationalsozialistischen Herrschaftspraxis.
Vielfach werden die widersprüchlichen Reaktionen dieser Männer
deutlich, die Mitleid für die Juden empfanden, aber auch den eigenen
Antisemitismus konservierten - und trotzdem vom Ausmaß der deutschen
Brutalität schockiert waren. So scheint es in der Blauen Division trotz
einer breiten Affinität für das 'Dritte Reich' nicht viele Männer gegeben
zu haben, die in den Sog der nationalsozialistischen
Vernichtungsideologie gerieten.
Vielmehr war es die Imagination des "roten Spanien" und daran
anknüpfend die Idee einer jüdisch-bolschewistischen Verschwörung als
Triebfeder des Kommunismus, die bei vielen Soldaten Hass auf die
Sowjetunion erzeugte. Gleichwohl reproduzierten und bestätigten sich
die Vorurteile vor Ort. Die Sowjetunion war für die spanischen Soldaten
schmutzig, die Menschen waren gedankenleere Hüllen ohne religiöse
Werte, die Soldaten der Roten Armee fanatische Barbaren - alles
scheinbare Resultate der kommunistischen Herrschaft. Die vorhandenen
"Russlandbilder" in den Köpfen dieser Männer wurden bestätigt und
knüpften an bereits existierende, im Spanischen Bürgerkrieg neu
aufgeladene Stereotype und die diesbezügliche Propaganda an.
Von Vorurteilen und Stereotypen geprägt war auch das Verhältnis
zwischen Spaniern und Deutschen, wobei erstere auch neue Erfahrungen
machten, die sich von ihrem Weltbild stark unterschieden. So zeigten
sich die Spanier bei ihrer Ankunft im Ausbildungslager Grafenwöhr
erstaunt über die vergleichsweise großen Freiheiten deutscher Frauen
und über das enge Verhältnis zwischen Mannschaften und Offizieren in
der Wehrmacht, das es im spanischen Militär so nicht gab. Das Stereotyp
des kühlen und brutalen Deutschen hielt erst nach Ende des Krieges
verstärkt Einzug in die Darstellungen, was auf den Versuch
zurückzuführen ist, sich von den Verbrechen der Wehrmacht und der
Waffen-SS zu distanzieren, nur um gleichzeitig, getreu dem Motto "einen
Kameraden verrät man nicht", keine direkte Kritik an der verbündeten
Truppe zu üben.
Die Fronterfahrung im Krieg gegen die Sowjetunion wurde breit und
facettenreich in die militärische Erinnerungskultur Spaniens eingefügt mit Auswirkungen, die sich bis heute beobachten lassen. Paradoxerweise
hatten die Erzählungen vieler Kriegsteilnehmer eine überraschende
Folge, die sich auch in vergleichbaren Darstellungen italienischer
Soldaten finden lässt: Obwohl man sich auf der Seite der Verlierer
wiederfand, hatte man doch einen moralischen Sieg zu verbuchen. Im
Fall der Blauen Division hatte dieser angebliche moralische Sieg zwei
Aspekte: Zum einen wurde Hitler durch die Entsendung der Blauen
Division zufriedengestellt und Spanien damit geschützt, zum anderen
hatte Spanien sich am Kampf gegen den Kommunismus beteiligt, woraus
sich - unter den Vorzeichen des Kalten Krieges - der eigene Status eines
besiegten Siegers, ableiten ließ.
Xosé Manoel Núñez Seixas ist einer der besten Kenner der Materie. Er
hat bereits mehr als ein Dutzend Beiträge zum Thema veröffentlicht, ehe
er die vorliegende Monographie abschloss. Entstanden ist dabei ein
umfassendes Werk, das weit mehr ist als nur eine Zusammenstellung
vorheriger Publikationen - ein Buch, an dem sich weitere Forschungen
orientieren werden.
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