Männer im Aufbruch

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Männer im Aufbruch. Theorie und Praxis
Mein Name ist Gerd Humbert, von Beruf bin ich Religionspädagoge und
Sozialtherapeut und seit drei Jahren Gleichstellungsbeauftragter der
evangelischen Kirche der Pfalz. Gemeinsam mit einer Kollegin verantworte ich
die Gleichstellung von Frauen und Männern in unserer Landeskirche. Das
mache ich mit einer halben Stelle.
Gemeinsam mit meiner Frau, die auch Teilzeit arbeitet, bin ich für den
Haushalt und die Erziehung unserer beiden Töchter zuständig.
Ohne die Großeltern und ohne finanzielle Rücklagen wäre dieses Modell
schwierig zu verwirklichen.
Punktuell bin ich als selbständiger Berater und Gender Trainer tätig.
Die Gleichberechtigung von Frauen und Männern kenne ich seit meiner
Kindheit.
In dem kleinen Winzerbetrieb meiner Eltern haben mein Vater und meine
Mutter Arbeiten und Entscheidungen gemeinsam getragen.
Mein Vater war bei jedem Mittagessen anwesend. Wollte ich etwas
Besonderes tun, musste ich darum kämpfen. Das hat mich geärgert, aber
auch mein Rückrad gestärkt.
Ich hatte das Glück, dass ein anwesender und zugewandter Vater für mich da
war.
So viel zu meiner Person.
In meinem Vortrag werde ich zunächst darstellen, wie Männer mit Gesundheit
(1.), Gewalt (2.)und Arbeit (3.)um gehen.
Aus meiner Sicht sind das die wichtigsten drei Bereiche, die Mannsein prägen.
In einem nächsten Schritt gehe ich auf Erklärungen (4.) ein, wie ein Mann zum
Mann wird,
und im letzten Teil werde ich Perspektiven (5.) aufzeigen und darstellen, wo
schon ein Aufbruch stattfindet.
Wenn ich ”die Männer” in meinem Vortrag beschreibe, hat das keine
Allgemeingültigkeit für alle Männer. ”Die Männer” gibt es nicht. In jedem
Geschlecht finden wir eine Vielzahl von unterschiedlichen Rollen, die
gleichwertig nebeneinander stehen. So werden sie sich, liebe Zuhörerrinnen
und Zuhörer an ganz verschiedenen Punkten angesprochen fühlen oder nicht.
Wenn ich an einigen Stellen die Frauen nicht explizit erwähne, so geschieht
das deswegen, weil mein Vortrag sich besonders mit der Situation der Männer
befasst.
Ich stelle deswegen an den Anfang meiner Ausführungen, dass bei allen
Sachverhalten auch die Bedeutung der Frauen berücksichtigt werden muss.
1. Männer und Gesundheit
Zum Thema Gesundheit stelle ich ihnen jetzt Dieter vor:
Eigentlich hätte Dieter längst tot sein müssen. Der Bluthochdruck des
übergewichtigen Eisenbiegers mit dem hochroten Kopf und den schwitzenden
Hängebacken war so hoch, dass das Messgerät ans Ende der Skala knallte.
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Außerdem hatte Dieter Zucker und einen Herzfehler. Obwohl er sich schon
lange elend fühlte, ständig schwitzte und unter Schwindel und Sehstörungen
litt, war er seit 20 Jahren nicht mehr beim Arzt gewesen.
Seine Medizin waren die 30 Humpen Bier, die er sich jede Woche in seiner
Stammkneipe hinter die Binde goss. Der Gerstensaft dämpfte seine Angst, er
könnte ernstlich krank sein.
Es hätte nicht mehr lange gedauert und der 31-jährige Koloss wäre mit einem
Glas Bier in der Hand von Barhocker gekippt und tot umgefallen.
Wegen eines Arbeitsunfalls musste er ins Krankenhaus. Dort blieb er erst mal
für längere Zeit. So viel zu Dieter.
Viele Männer treiben ähnlichen Raubbau mit ihrer Gesundheit. In Deutschland
werden sie heute durchschnittlich 74 Jahre alt, Frauen dagegen etwas mehr
als 80.
Über sechs Jahre Unterschied in der Lebenserwartung.
Das reizt zum genaueren Hinschauen.
Schon im Kindesalter zeigt sich ein deutlicher Unterschied zwischen den
Geschlechtern. Jungen werden häufiger ärztlich behandelt.
Die Sterblichkeitsrate infolge eines gewaltsamen Todes durch Verletzungen
oder Unfälle liegt bei Jungen deutlich höher.
Bei legalen und illegalen Drogen führen Männer die Statistik an.
Sie neigen stärker zu sexuellem Risikoverhalten und die Todesrate bei Aids
liegt sehr viel höher.
Erwachsene Männer haben ein höheres Risiko an bösartigen Tumoren und an
Erkrankungen des Kreislaufsystems zu sterben.
Diese Beispiele sind ein Hinweis darauf, dass Männer ein nachlässiges
Verhältnis zu ihrem Körper haben.
Trotzdem behandeln viele Männer ihren Körper wie eine Maschine, die
funktionieren muss, aber keine besondere Pflege braucht.
Es geht ums Durchhalten, um Kampf, um Sieg oder Niederlage.
Körperliche Beschwerden und Signale werden nicht beachtet. Leichte bis
mittlere Schmerzen und erste Symptome einer Krankheit einfach übergangen
Männlichkeit und Gesundheit scheinen einfach unverträglich miteinander zu
sein, wie zwei ungleiche Brüder, die sich aus dem Weg gehen und sich nicht
akzeptieren können.
Das hängt auch mit gesellschaftlichen Erwartungen an männliches Verhalten
zusammen, die als sieben männliche Pflichten beschrieben werden.
Ich bin um so männlicher,
1. Je weniger Schlaf ich benötige,
2. Je mehr Schmerzen ich ertragen kann,
3. Je mehr Alkohol ich vertrage,
4. Je weniger ich mich darum kümmere, was ich esse,
5. Je weniger ich jemanden um Hilfe bitte und von jemanden abhängig bin,
6. Je weniger ich auf meinen Körper achte,
7. Je mehr ich meine Gefühle kontrolliere und unterdrücke,
Diese Normen der traditionellen Männlichkeit machen das Mannsein zu einer
hochriskanten Lebensform. Mannsein bedeutet Kontraproduktivität bezüglich
der Gesundheit. Dieser Sachverhalt wird durch folgendes Zitat zugespitzt:
”Krank bin ich erst, wenn ich tot bin!”
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Das Problem verschärft sich dadurch, dass Männer selten Rat und Hilfe
annehmen.
Sie gelten als schwierige Patienten, weil sie kommunikativ nur schwer zu
erreichen sind und oft gar nicht spüren, oder nicht wahrhaben wollen, was mit
ihnen los ist.
Viele Männer befinden sich in einem Tiefschlaf der Gefühle, einer Mischung
aus 1. emotionaler Unerreichbarkeit (Ich lasse niemanden richtig an mich
ran.), aus 2. sozialer Isolation (Einen wirklich persönlichen Freund, mit dem ich
über alles reden kann, habe ich nicht.) und aus 3. ständiger Selbstkontrolle
(Niemand sieht, wenn es mir wirklich mal schlecht geht.)
Indem Männer nicht mehr wahrnehmen was sie fühlen, sind sie sich auch nicht
mehr sicher, was sie wirklich wollen.
Die stillgelegten Gefühle lassen weder intensiven Schmerz noch Freude
empfinden. Männer neigen dazu, sich zu vernachlässigen und werden
depressiv.
Sie haben kein Gespür mehr für sich und andere.
Kommt dann doch mal etwas hoch, wird es mit Alkohol oder anderen
Suchtmitteln sofort wieder runtergespült.
2. Männer und Gewalt
Knapp 80 % aller Verurteilungen wegen körperlicher Gewalt betreffen Männer
und 70 % der Opfer von Gewalttaten sind Männer. Über 95 % aller
Gefängnisinsassen sind Männer.
Kriminalstatistiken sprechen eine kalte Sprache. Seit Mitte der achtziger Jahre
hat die Zahl gewaltsamer Verbrechen stark zugenommen. Verantwortlich dafür
sind zum größten Teil männliche Täter.
”Eine derart ausgeprägte Dominanz der Männer bei der Gewaltkriminalität hat
die Polizei zuvor noch nie gemessen”, stellt der bekannte Kriminologe und
frühere niedersächsische Justizminister Christian Pfeiffer fest.
”Nicht Gewalt und Kriminalität bedrohen unsere Gesellschaftsordnung,” sagt
der Soziologieprofessor Dieter Otten, ”sondern die Männer”.
Krieg, Bürgerkrieg und Terrorismus bilden nur die spektakuläre Spitze eines
ewigen Eisberges, der ohne männliche Aggression längst dahinschmelzen
würde.
Darunter befindet sich ein breites Fundament an alltäglicher Gewalt.
Sie reicht von der Züchtigung wehrloser Kinder und erzwungenem Sex im
Intimfeld der Familie bis zum weltweiten Geschäft mit Kinderpornografie und
dem internationalen Frauen- und Mädchenhandel, als einer Form von Gewalt
gegen Frauen, die immer mehr ansteigt.
Amoklauf, bis zur Schreckenstat von Erfurt fälschlicherweise für eine
amerikanische Erscheinung gehalten, ist ein rein männliches Phänomen.
”Während man Frauen attestieren kann”, so Dieter Otten angesichts seiner
Statistiken, ”dass sie auf ganz wunderbare Wiese harmlos sind, muss die
Gesellschaft damit leben, dass ein harter Kern von Männern, vielleicht drei bis
vier Prozent, kriminell ist.”
Das sehen wir schon bei der Jugendkriminalität bzw. der Jugend- und
Schulgewalt. Wir haben keine Jugendgewaltproblem sondern ein
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Jungengewaltproblem. Gewalt hat ein männliches Gesicht, sekundiert ein
große Frauenzeitschrift.
Der Soziologe Walter Hollstein schätzt die Kosten für ”fehlgeleitetes” Ausleben
traditioneller Männlichkeit auf 15 Milliarden Euro im Jahr.
Und nicht nur der materielle Schaden ist immens. Männergewalt vergiftet das
soziale Miteinander.
Gibt es Erklärungen für diesen eklatante Unterschied zwischen den
Geschlechtern? Versagt die Erziehung in Elternhaus, in der Schule? Sind die
Medien schuld? Oder liegt es schlichtweg an den Genen?
Der einzige Unterschied zwischen Mann und Frau lässt sich an den
Geschlechtschromosomen festmachen. Ansonsten sind sie in genetischer
Hinsicht gleich. Eine kausale Kette von den Genen über das Gehirn bis zur
Gewalt lässt sich beim besten Willen nicht konstruieren.
Wenn überhaupt, dann liegen Ursache und Wirkung so weit auseinander,
dass Umwelt und Erziehung vielfältig in das Räderwerk eingreifen.
Kein Mann wir als Täter geboren. Der Natural Born Killer ist eine Erfindung der
Medien. Nicht Veranlagung, sondern eine Vielzahl äußerer Umstände, die uns
prägen und beeinflussen führen schließlich zur Untat.
3. Männer und Beruf
Männer werden sehr stark durch Arbeit und Beruf geprägt. ”Der Mann wird
durch seinen Beruf erst zum Menschen.” sagt Hegel. Und bis heute trifft das
auf die meisten Männer zu. Sie schöpfen den Großteil ihres Lebenssinns aus
der Berufsarbeit.
Was allerdings nicht heißt, dass Männer mehr arbeiten als Frauen. Weltweit
leisten die Frauen mehr als zwei Drittel der Arbeit. Männer arbeiten auch in
Mitteleuropa weniger als Frauen. Aber in der bezahlten Arbeit, der Berufsarbeit
sind Männer vorne. Und wenn es um die gut bezahlten Jobs geht, drängen sie
sich im wahrsten Sinne des Wortes an die Spitze. Nur knapp 5% der TopPositionen sind mit Frauen besetzt, umgekehrt formuliert: 20 mal mehr Männer
als Frauen sind im oberen Management und verdienen Spitzengehälter.
Zurück zu den Normalverdienern: Vollwertiges Mitglied einer Gesellschaft ist
nur, wer einer geregelten Arbeit nachgeht.
Der Beruf gibt dem Mann vieles, manchem alles: Einkommen, Struktur, Sinn,
Kontakte, Anerkennung, Standortbestimmung und Selbstwertgefühl.
Die hier aufgezählten Funktionen hat Berufsarbeit aber nicht für jeden Mann.
Tatsächlich sind viele in ihrem Beruf erschreckend einsam.
Das Arbeitsklima ist geprägt von Abgrenzung und einem rauen Umgangston,
der persönlichen Regungen wenig Raum lässt.
Die Kollegen sind nicht unfreundlich zueinander, aber man zeigt eben wenig
Gefühlsregungen: Schließlich geht es ja um die Arbeit - Privatklatsch ist
Weibersache.
Fällt dieses wichtigste Gut im Männerleben dann mal weg, durch
Arbeitslosigkeit oder im Rentenalter, so ist das für viele Männer eine
persönliche Katastrophe, denn sie haben nicht nur ihren Job und ihre
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materielle Einkommensquelle verloren, sondern fast alles was ihnen wichtig
ist.
Wie wir wissen, wird in unserer Gesellschaft Arbeit immer weniger.
In Großstädten wie Berlin können immer weniger Männer, auf das Privileg
einer vollen Stelle zurückgreifen.
Weiterhin werden die traditionell den Männern zugeschriebenen
Eigenschaften, die etwas mit körperlicher Kraft zu tun haben in der sich neu
bildenden Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft immer weniger
gebraucht.
Diese Entwicklung bringt einen weiteren Einbruch in der Männergesellschaft
mit sich.
Zwischen den psychischen Grundbedürfnissen und dem traditionellen
Männlichkeitsmuster scheint sich eine Zwickmühle - in der Männer stecken aufzutun:
Wenn ein Mann die vorgeschriebenen traditionellen Rollenerfordernisse erfüllt,
kommen seine menschlichen Grundbedürfnisse zu kurz; gibt er diesen
Bedürfnissen nach, wird er möglicherweise für unmännlich gehalten oder
betrachtet sich selbst so.
Muss der alte Hit der deutschen Band ”Die Ärzte”, ”Männer sind Schweine”
umgeschrieben werden in ”Männer sind arme Schweine?”
Rutschen Männer immer tiefer in die Krise?
Sie kümmern sich nicht um ihre Gesundheit.
Sie sind Täter von Gewalt und gleichzeitig deren Opfer.
Sie verpassen den Wandel in der Arbeitsgesellschaft.
Männer sind zwar immer noch das privilegierte Geschlecht, aber die
Machtseite hat auch ihre Ohnmachtseiten.
4. Erklärungen
Wie wird ein Mann zum Mann? Was ist zur Sozialisation des Mannes zu
sagen?
Der Begriff des ”Andersseins” ist hier wichtig.
Zum einen meint der Begriff, dass Jungen ein anderes Geschlecht haben als
ihre Mutter. Wenn der Junge sein Anderssein erkennt wird er die Identifikation
mit der Mutter und die Nähe zu ihr aufgeben. In dieser schmerzhaften
Abgrenzung von der Mutter muss er dann zum Mann werden.
Dabei sucht er die Identifikation mit seinem Vater,
der aber oft gar nicht oder nur physisch z.B. als Strafinstanz vorhanden ist.
Das wird den Bedürfnissen des Jungen nach Kontakt und Beziehung nicht
annähernd gerecht.
Auch in den weiteren Entwicklungsphasen, im Kindergarten und in der
Grundschulen begegnen dem Jungen keine Männer, sondern fast nur Frauen.
Für seine Orientierung und Identifikation zieht er sich jetzt klischeehafte
Männlichkeitsmodelle, Vorbilder aus den Medien oder eigene Fantasien heran.
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Wird dieses Dilemma nur unzureichend durch Vaterersatzfiguren von
irgendwoher gelöst, so kann es zu Brüchen im der weiteren Entwicklung
kommen.
Diese Entwicklung könnte man mit den passenden Worten zwischen
”Größenwahn und Selbstzweifel” beschreiben.
Zum einen wird versuchet, den klassischen Rollenvorgaben nachzustreben,
die angeblich Sicherheit vermitteln.
Zum anderen spüren viele Jungen tief innen, dass ihnen das nicht entspricht.
Diese Spannung kostet viel Kraft, beunruhigt körperlich wie seelisch und kann
krank machen.
Vom sogenannten gesunden und starken Geschlecht kann nicht gesprochen
werden.
Zwischen 0 und 15 Jahren erkranken Jungen viel häufiger als Mädchen.
Die Selbstmordrate ist dreimal so hoch.
Doppelt so viel Jungen sind hyperaktive Kinder und haben
Aufmerksamkeitsstörungen.
Jungen bleiben häufiger sitzen und bilden die Mehrheit auf Sonderschulen.
Erziehungsberatungsstellen versorgen 2/3 Jungen und 1/3 Mädchen.
5. Perspektiven und Ausbrüche: Männer im Aufbruch
Welche Konsequenzen ziehen Männer und Frauen aus all diesen negativen
Fakten und welche Perspektiven haben sie für die Zukunft?
Ganz allmählich wandeln sich die Anforderungen an Jungen.
Der spannende Punkt scheint zu sein, dass man sich mit der Definition von
Erziehungszielen für Jungen deutlich schwerer tut als mit den
Erziehungszielen für Mädchen. Ihr Rollenbild hat sich erweitert. Mädchen
dürfen heute prinzipiell alles, ja es ist sogar erwünscht, dass sie sich Bereich
erobern, die noch vor wenigen Jahren als “typisch männlich” galten.
Umgekehrt funktioniert das nicht so.
Das Rollenbild der Jungen erscheint zunächst einmal beschnitten.
”Typisch männlich” wird schnell als Macho gebrandmarkt und negativ
sanktioniert.
Was aber statt dessen? Für die meisten Jungs sind die sogenannten weichen
Fähigkeiten,
die
”soft
skills”
wie
Kommunikationsfähigkeit,
Einfühlungsvermögen, usw. zunächst einmal wenig attraktiv.
Und - mal ehrlich - wenn Jungen sich wie Mädchen verhielten, würden sich die
meisten Eltern immer noch Sorgen machen und von ihren männlichen
Altersgenossen würden Jungs teilweise Hohn und Spott ernten.
Die verschiedenen Umfelder, Familie, Schule, Gleichaltrigengruppe, Verein
usw. konfrontieren Jungen oft mit widersprüchlichen Erwartungen.
Ihren wirklichen individuellen Bedürfnissen wird nicht Rechnung getragen.
Wenn Jungs beispielsweise im Kindergarten auffallen, wird gesagt: ”So sind
sie halt, die Jungs.” Dabei wird es belassen.
Wenn sie dann z.B. schlechter vorbereitet in die Schule starten, braucht man
sich nicht zu wundern.
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Häufig fehlen Konzepte für die pädagogische Arbeit mit Jungen oder es
fehlen einfach die Möglichkeiten zum Ausleben ihres Bewegungsdranges und
ihrer Abenteuerlust.
Hier sind die Räume, die sie, sehr verehrte Damen und Herren, in ihren
Vereinen und Organisationen den Jungs anbieten, oft die einzigen
Bewegungsräume, die es noch gibt und die dann eine sehr positive Einwirkung
auf die Jungenentwicklung haben können.
Vor allem Männer und natürlich auch Frauen, die Jungs trainieren oder
betreuen,
brauchen
ein
großes
Verantwortungsbewusstsein
und
Einfühlungsvermögen für die Jungen und Mädchen, die ihnen anvertraut
werden und die in ihrer Persönlichkeit so verschieden sind.
Entscheidend für Jungen ist, zu lernen, dass es viele verschiedene
Möglichkeiten des Jungenseins und Mannseins gibt.
Ein Junge, der ”soft” sein möchte, der sich auch im Spiel mit Mädchen
wohlfühlt, muss das sein dürfen, ohne gehänselt oder als unmännlich isoliert
zu werden.
Ein Junge der Aktion macht und sich mit seinen Ellbogen oder auch mal mit
den Fäusten durchsetzt, darf das auch.
Die verschiedensten Facetten des Jungen- und Mannseins stehen
gleichberechtigt nebeneinander.
Auch bei den Männern und Vätern finden interessante Entwicklungen und
Aufbrüche statt.
Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen, dass 1/5 der gesamten Männer ”neue
Männer” sind. Ein nicht unerhebliches Potential.
Sie unterstützen die Berufstätigkeit ihrer Partnerin, haben eine gewachsene
Sensibilität im zwischenmenschlichen Bereich und den Wunsch nach aktiver
Vaterschaft. Das sind sogar 2/3 aller Männer.
Männer nutzen biographisch fruchtbare Momente im Leben, um ihre
Persönlichkeit weiter zu entwickeln. Solche Momente finden wir in
Liebebeziehungen, bei neuer Vaterschaft, in der Lebensmitte, im Alter und in
Krisen. Auch tiefe persönliche Beziehungen zu anderen Männern wirken hier
sehr hilfreich.
In der Reduzierung ihrer Erwerbsarbeit zugunsten der Familienarbeit sehen
viele Männer eine Bereicherung für sich und die Familie.
Kompetente Männerforscher vermuten, dass die Zahl der Väter, die im
Erziehungszeit gehen längst von 2% (momentan offiziell geltender Wert) auf 4
% gestiegen ist. In den Statistiken sind Studenten, Arbeitlose oder
Selbständige nicht mit aufgenommen.
Die Väterforschung sieht die neue gleichberechtigte Dreierkonstellation, Vater
- Mutter - Kind als positive Entwicklung.
Väter sind anders als Mütter. Sie fördern anders die Entwicklung der
Selbständigkeit.
Wenn Kinder mit ihren Vätern das Draußen erkunden, lernen sie sich selbst
und ihren eigenen Kräften zu trauen.
Väter trainieren die Motorik ihrer Kinder ganz anders. Sie werfen z.B. das Baby
hoch und manche Mutter guckt total entsetzt. Wir kennen das alle.
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Väter fördern Kreativität und Spielverhalten, ganz besonders, wenn sie selbst
noch wie Kinder sein können.
Ein neuer Entwurf von Väterlichkeit zwischen liebevollem Umgang und klaren
Grenzen fördert das soziale Verhalten und die Stabilität.
Jedoch klafft zwischen dem Wunsch nach aktiver Vaterschaft und der
Wirklichkeit eine große Lücke. Es zeigt sich nämlich, dass Männer, die
Elternzeit nehmen wollen zunehmend ein Vereinbarkeitsproblem haben.
Neben der Einkommenssituation der Familien werden vor allem Blockaden auf
betrieblicher Ebene als zentrales Hindernis für Elternzeit gesehen.
Dennoch wurde bei einer Untersuchung von 25 Elternpaaren, die ein
partnerschaftliches Lebensmodell mit einer Teilung von Familien- und
Berufsarbeit leben, von den Sozialforschern Döge und Grottian
herausgefunden,
dass trotz des komplizierten Arrangements von Kinderbetreuung und
Teilzeitstellen,
trotz der mangelnden Unterstützung von staatlicher und betrieblicher Seite,
alle ihre jetzige Lebenssituation als zufriedener und glücklicher beschreiben.
Folgendes Fazit wird gezogen:
- Vordringlich ist die Sensibilisierung der Unternehmensleitungen für die
Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
- Es müssen mehr Männer dafür gewonnen werden, Arbeit und Beruf zu
teilen. Empfohlen wird eine Männer - Kampagne die ein öffentliches Signal
setzen soll (Werbespott, Lesebuch, Kampagne in Unternehmen zeigt Männer
in Teilzeit.)
- Teilzeit ist finanziell so zu flankieren, dass von zwei halben Stellen auch eine
Familie zu finanzieren ist.
- Die flexible öffentliche Kinderbetreuung ist auszubauen, um den erhöhten
Koordinationsaufwand auszugleichen. (Weg vom Kindergeld, hin
zur
Finanzierung der Betreuung).
Ich ergänze von meiner Seite:
- Wir brauchen die Abschaffung des Ehegattensplittings, das indirekt die Frau
aus den Arbeitmarkt drängt.
- Wir brauchen mehr Männer in Frauenberufen und mehr Frauen in
Leitungspositionen.
- Wir brauchen einen Männergesundheitsbericht, wie es schon seit Jahren
einen Frauengesundheitsbericht gibt.
Mein Schlusswort an die Männer:
Wir Männer orientieren uns nicht nur an unseren Defiziten, sondern auch an
unseren Chancen und Ressourcen.
Es ist wichtig, die Leistungen und Fähigkeiten von Männern anzuerkennen.
Wir gewinnen, wenn wir uns auf ungelebte Bedürfnisse und Gefühle besinnen.
Wir brauchen die Bedeutung und Anerkennung der Väter und das Recht des
Mannes auf Familie.
Wir brauchen weniger Macht und weniger Arbeit für Männer, die dafür mehr
vom Leben haben.
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Wir brauchen Stärke statt Gewalt. D.h. Männer bekennen sich bewusst zu
männlicher Stärke, die gestaltet. Gerade deshalb sind Männer gegen
zerstörerische Männergewalt.
Mein Schlusswort an Frauen und Männer:
Wie schon zu Beginn gesagt, es gibt nicht die Frauen und die Männer. Es gibt
in jedem Geschlecht eine Vielzahl von unterschiedlichen Facetten.
Das führt zu einer Aufweichung von starren Männlich- und
Weiblichkeitsvorstellungen.
Wir brauchen mehr Wahlfreiheit für Frauen und Männer
und eine Politik, die es ganz normal werden lässt, dass auch ein Mann
Erziehungszeit nimmt.
Oder dass Männer darüber sprechen können, wie oft sie Opfer sind - zum
Beispiel von Gewalt.
Auf der anderen Seite will ich aber auch, dass Frauen wählen können, ob sie
in die Erwerbsarbeit gehen oder nicht.
Das heißt, dass jede Frau und jeder Mann die eigene Biografie so
unterschiedlich wählen kann, wie sie bzw. er es will.
Das Können des einzelnen Geschlechts gibt immer nur ein Teilantwort.
Wir können nur dann eine bessere Welt aufbauen, wenn wir die besonderen
Gaben beider Geschlechter, Männer und Frauen, gemeinsam nutzen.
Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit.
Gerd Humbert
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