Dr. J. Reinhardt Sommersemester 2014 Theoretikum zur Vorlesung Theoretische Physik II für Lehramtskandidaten Lösungen zu Blatt 12 Aufgabe 1 Im geschlossenen Stromkreis addieren sich die Spannungen zu Null (Kirchhoffsche Maschenregel), also UL + UR + UC = 0, wobei die Spannungen wie durch die Pfeile angedeutet “in gleicher Richtung” definiert sein müssen. Für die Spannungen an den drei Bauelementen gilt UL = L I˙ , UR = R I , UC = I(t) UC Q . C UL UR Hierbei muss sorgfältig auf konsistente Vorzeichen geachtet werden. Wir zählen den Strom als positiv, wenn er wie eingezeichnet entgegen dem Uhrzeigersinn fließt. Am Widerstand fliesst der Strom in diese Richtung, wenn das Potential am linken Anschluss positiver ist als am rechten, was einer positiven Spannung UR entsprechend der Pfeilrichung entspricht. Ebenso bewirkt ein anwachsender Strom (I˙ > 0) eine positive Spannung am “unteren” Spulenende. Wir benutzen als abhängige Variable die Kondensatorspannung UC . Der Strom lässt sich durch deren Zeitableitung ausdrücken, I = Q̇ = C U̇C . Damit folgt die Differentialgleichung LC ÜC + RC U̇C + UC = 0 ÜC + 2β U̇C + ω02UC = 0 oder wobei wir die Abkürzungen 1 LC eingeführt haben. Die gefundene lineare Differentialgleichung zweiter Ordnung ist identisch mit der des gedämpften harmonischen Oszillators aus der Mechanik-Vorlesung! Von dort wissen wir, dass es sich bei ω0 um die Eigenfrequenz (Kreisfrequenz) der ungedämpften Schwingung und bei β um die Dämpfungskonstante handelt. Wir rekapitulieren nun die aus der Mechanik bekannten Lösungen. Generell lassen sich lineare homogene Differentialgleichungen mit konstanten Koeffizienten durch einen Exponentialansatz UC (t) = A eλt lösen. Der Koeffizient λ bestimmt sich aus der charakteristischen Gleichung“ ” λ2 + 2βλ + ω02 = 0 2β = R L und ω0 = √ also q λ = −β ± β 2 − ω02 1 Das Vorzeichen unter der Wurzel entscheidet r über das Verhalten der Lösung. 4L a) Schwache Dämpfung: β < ω0 oder R < C In diesem Fall ist λ = −β ± i ω komplex, was zu Schwingungen führt. Mit r q 1 R2 ω = ω02 − β 2 = − 2 LC 4L ergibt sich für die allgemeine Lösung der Differentialgleichung die Linearkombination von zwei Fundamentallösungen UC (t) = A e−βt eiωt + B e−βt e−iωt . Die Anfangsbedingung lautet UC (0) = U0 und U̇C (0) = 1 1 Q̇(0) = I(0) = 0 . C C Dies führt nach kurzer Rechnung auf die Koeffizienten A= 1 2 −i β U0 2ω und B = 1 2 +i β U0 2ω woraus mit der Eulerschen Formel für die Exponentialfunktion folgt h 1 β iωt 1 β −iωt i −βt UC (t) = U0 e e + e −i +i 2 2ω 2 2ω β = U0 e−βt cos(ωt) + sin(ωt) . ω Noch kompakter lässt sich die Lösung durch Umformung mittels cos(ωt+ϕ) = cos(ωt) cos ϕ− sin(ωt) sin ϕ schreiben: UC (t) = U0 ω0 −βt e sin(ωt + ϕ) ω mit der Phasenverschiebung ϕ = −arcsin(β/ω). Die Lösung beschreibt eine exponentiell gedämpfte harmonische Schwingung. Durch Differentiation der Kondensatorspannung folgt die Stromstärke h i β −βt −βt I(t) = Q̇ = C U̇C = CU0 −β e (cos(ωt) + sin(ωt)) + e (−ω sin(ωt) + β cos(ωt)) ω h i 2 β = CU0 e−βt (−β + β) cos(ωt) + (− − ω) sin(ωt) ω 1 −βt ω02 −βt e sin(ωt) . = −CU0 e sin(ωt) = −U0 ω ωL Auch die Stromstärke folgt einer gedämpften Oszillation. Stromstärke und Kondensatorspannung sind gegeneinander um ϕ phasenverschoben. Der Betrag von I wächst zunächst an, geht dann aber auch mit Oszillationen exponentiell gegen Null. r 4L b) Starke Dämpfung: β > ω0 oder R > C 2 p Der Exponent λ = −β ± γ mit γ = β 2 − ω02 ist reell. Die Lösung aus a) kann übernommen werden indem man ersetzt iω → γ d.h. ω → −iγ: h 1 β γt 1 β −γt i . UC (t) = U0 e−βt e + e + − 2 2γ 2 2γ Die Spannung fällt exponentiell ab ohne zu oszillieren. Für den Strom folgt mit sin(ix) = ex − e−x ei(ix) − e−i(ix) =i = i sinh x 2i 2 das Resultat 1 −βt 1 e−βt sinh(−iγt) = −U0 e sinh(γt) . −iγL γL r 4L c) Aperiodischer Grenzfall: β = ω0 oder R = C Die Lösung kann man durch den Grenzübergang γ → 0 aus dem Fall b) erhalten (oder durch ω → 0 aus Fall a)). Taylorentwicklung der Exponentialfunktionen bis zur ersten Ordnung liefert h 1 β γt 1 β −γt i UC (t) = lim U0 e−βt e + e + − γ→0 2 2γ 2 2γ i h β −βt 1 (1 + γt + 1 − γt) + (1 + γt − 1 + γt) = U0 e 2 2γ −βt = U0 e (1 + βt) . I(t) = −U0 Zur Diskussion der Energiebilanz beschränken wir uns der Einfachheit halber auf den Fall schwacher Dämpfung, β ≪ ω0 . In der Näherung schwacher Dämpfung können Beiträge proportional β vernachlässigt werden. Für die Energie im Kondensator folgt 1 1 WC (t) = CUC2 (t) ≃ CU02 e−2βt cos2 (ωt) 2 2 und für die Energie in der Spule mit ω 2 ≃ ω02 = 1/(LC) 1 U2 1 1 WL (t) = LI 2 (t) = L 2 0 2 e−2βt sin2 (ωt) ≃ CU02 e−2βt sin2 (ωt) . 2 2 ω L 2 Die elektromagnetische Gesamtenergie 1 Wem (t) = WC (t) + WL (t) ≃ CU02 e−2βt 2 nimmt also stetig ab. Die Energie pendelt periodisch zwischen dem elektrischen Feld im Kondensator und dem magnetischen Feld in der Spule hin und her (ganz analog zum Wechsel zwischen potentieller und kinetischer Energie beim mechanischen Oszillator). Die “verlorengegangene” Energie wird im Widerstand in Joulesche Wärme umgewandelt, nämlich Z Z t Z t C 2 t ′ −2βt′ ′ ′ ′ ′ 2 ′ dt e sin2 (ωt′ ) . WR (t) = dt UR (t )I(t ) = R dt I (t ) ≃ R U0 L 0 0 0 3 Im betrachteten Fall schwacher Dämpfung (β ≪ ω) fällt die Exponentialfunktion langsam ab. Dann ist es eine gute Näherung, die schnell oszillierende Funktion sin2 (ωt′ ) im Integranden einfach durch ihrem Mittelwert 1/2 zu ersetzen, mit dem Resultat Z C 1 1 1 C 2 1 t ′ −2βt′ dt e = R U02 (1 − e−2βt ) = CU02 (1 − e−2βt ) . WR (t) ≃ R U0 L 2 0 L 2 2β 2 1 Also ist die Energieerhaltung erfüllt: W = Wem + WR = CU02 = const. Zu diesem 2 Ergebnis kommt man mit etwas mehr Rechenaufwand natürlich auch ohne die Näherung schwacher Dämpfung. Aufgabe 2 a) Wir nehmen an, dass der gesamte Magnetfluss im Eisenkern verläuft und dass die Feldstärke dort überall (ungefähr) den konstanten Wert H besitzt. Dieser Wert lässt sich dann ~ ×H ~ = ~j berechnen indem aus dem Ampereschen Gesetz ∇ man über eine “Stokes-Schleife” C integriert, die rundherum durch den Eisenkern verläuft und beide Spulenwicklungen umschlingt (gestrichelte Linie). Damit ergibt sich I Z ~ dF~ · ~j d~r · H = F✷ C −→ H I1 I2 n1 n2 C 1 H = (I1 n1 + I2 n2 ) ℓ Hier ist ℓ die “Eisenlänge” des Transformators, also die Länge der Integrationskurve C. Die Vorzeichen hängen davon ab, in welcher Richtung die Spulen gewickelt sind. Wir haben hier einen gegenläufigen Drehsinn angenommen. Der resultierende Magnetfluss im Eisenjoch ist Z ~ = µr µ0 HFQ = µr µ0 FQ (I1 n1 + I2 n2 ) Φ= dF~ · B ℓ FQ wenn wir eine konstante Querschnittsfläche FQ des Eisenkerns annehmen. Für die induzierten Spannungen ergibt sich nach dem Faradayschen Induktionsgesetz dΦ µr µ0 FQ dI2 µr µ0 FQ dI1 = −n21 − n1 n2 dt ℓ dt ℓ dt µr µ0 FQ dI1 dΦ 2 µr µ0 FQ dI2 = −n1 n2 − n2 = −n2 dt ℓ dt ℓ dt U1ind = −n1 U2ind woraus man die Werte der Induktionskoeffizienten abliest: L11 = n21 µr µ0 FQ ℓ , L22 = n22 µr µ0 FQ ℓ , L12 = L21 = n1 n2 Damit sind die behaupteten Beziehungen bewiesen: n2 L22 = 22 L11 n1 , L12 = p L11 L22 . 4 µr µ0 FQ . ℓ Man beachte aber, dass dieser Zusammenhang zwischen den Induktivitäten nur für eine “starke magnetische Kopplung” der Spulen gilt, wenn also der gesamte Magnetfluss durch beide Spulen gemeinsam geht (keine Streufelder). b) Die in den beiden Transformatorwicklungen induzierten Spannungen lauten U1ind = −L11 I˙1 − L12 I˙2 , U2ind = −L21 I˙1 − L22 I˙2 . Auf der Primärseite ist U1ind das Negative der angelegten Spannung U1 , im Sekundärkreis gilt mit der Maschenregel und dem Ohmschen Gesetz U2ind + RI2 = 0. Damit lauten die Differentialgleichungen des Transformators mit ohmscher Last auf der Sekundärseite L11 I˙1 + L12 I˙2 = U1 (t) , L12 I˙1 + L22 I˙2 + RI2 = 0 . Wir suchen nun nach Lösungen, die mit der Frequenz ω periodisch oszillieren. Dazu machen wir den komplexen Ansatz U1 (t) = U0 eiωt , I1 (t) = i1 eiωt , I2 (t) = i2 eiωt wobei i1 und i2 konstante und womöglich komplexe (bei Phasenverschiebung) Zahlen sein sollen. Physikalisch relevant ist nur der Realteil der komplexen Lösungen: Re I1 (t) und Re I2 (t). Da die Differentialgleichungen reell und linear sind, werden die Real- und Imaginärteile nicht vermischt, daher kann man auch mit den komplexen Funktionen arbeiten und am Schluss der Rechnung den Realteil verwenden. Mit dem Ansatz reduzieren sich die Differentialgleichungen sich zu einem zeitunabhängigen System algebraischer linearer Gleichungen mit komplexen Koeffizienten: L11 iωi1 + L12 iωi2 = U0 , L12 iωi1 + L22 iωi2 + R i2 = 0 . Zur Lösung dieses Gleichungssystems können wir z.B. die zweite Gleichung nach i1 auflösen i1 = − iωL22 + R i2 iωL12 und dieses Resultat in die erste Gleichung einsetzen iωL22 + R + L12 iω i2 = U0 . −L11 iω iωL12 Damit ergibt sich für den Sekundärstrom das Resultat i2 = − L12 U0 n2 U0 L12 =− , 2 U0 = − R L11 R n1 L11 R + iω(L11 L22 − L12 ) | {z } =0 wobei die Ergebnisse aus a) für die Selbst- und Gegeninduktivitäten benutzt wurden. Die physikalischen Lösungen für Strom und Spannung im Sekundärkreis sind also I2 (t) = − U1 (t) n2 R n1 , U2 (t) = RI2 (t) = −U1 (t) 5 n2 . n1 Das heisst also: Die Spannung im Sekundärkreis unterscheidet sich von der Primärspannung einfach um einen konstanten Faktor, der dem Verhältnis zwischen den Windungszahlen entspricht (das Übersetzungsverhältnis n2 /n1 ). Zu diesem Ergebnis gelangt man auch ohne komplizierte Rechnung, denn bei gleichem Magnetfluss in beiden Wicklungen unterscheiden sind die induzierten Spannungen ja nur durch die Windungszahl. Beachtet man noch, dass im Primärkreis für die angelegte Spannung gilt U1 = −U1ind so folgt das Resultat sofort. Zur Ermittlung des Stroms im Primärkreis ist etwas Rechenarbeit erforderlich. Wir setzen das Ergebnis für i2 in die Formel für i1 ein: i1 = − iωL22 + R U0 L12 U0 − = (ωL22 − iR) . iωL12 R L11 RωL11 Umschreiben der komplexen Zahl ωL22 − iR in Polardarstellung liefert schließlich q U0 R . i1 = ω 2 L222 + R2 e−iδ mit δ = arctan RωL11 ωL22 Der Primärstrom ist also gegenüber der Primärspannung U1 (t) = U0 cos(ωt) um einen Winkel δ phasenverschoben: q U0 ReI1 (t) = ω 2 L222 + R2 cos(ωt − δ) . RωL11 Im Grenzfall eines unbelasteten Transformators R → ∞ ergibt sich δ → π/2. Es fließt U0 sin(ωt) wie bei einer einzelnen Spule mit Induktivität ein Leerlaufstrom ReI1 (t) = − ωL11 L = L11 ; die offene Sekundärwicklung spielt keine Rolle. Im entgegengesetzten Grenzfall R → 0 verschwindet die Phasenverschiebung, δ → 0. Die Phasenverschiebung spielt eine wichtige Rolle für die Energiebilanz: Die vom Primärkreis des Transformators aufgenommene elektrische Leistung P1 = U1 I1 wird maximal für δ = 0 und verschwindet (im zeitlichen Mittel!) für δ = π/2, wenn also auf der Sekundärseite kein Verbraucher angeschlossen ist. 6