Bericht Justizabteilung

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Botschaft des Regierungsrats des
Kantons Aargau an den Grossen Rat
vom 29. Oktober 2003
03.311
Justizreform 2
Organisationsanalyse / Gesamtbericht mit Leitsätzen
-2-
Sehr geehrte Frau Präsidentin
Sehr geehrte Damen und Herren
Im Auftrag des Grossen Rats wurde von einem externen Beratungsunternehmen eine unabhängige Studie erstellt. Inhaltlich ging es darum, die Gerichts- und Verwaltungsbehörden,
insbesondere das Obergericht, im Sinne einer Organisationsberatung auf die Verbesserung
der Strukturen und Verwaltungsabläufe zu überprüfen. Der Regierungsrat erstattet Ihnen dazu folgenden Bericht:
Zusammenfassung
Auch die Gerichte müssen über ein leistungsfähiges Management verfügen, damit sie effizient arbeiten können. Die Justizreform 2 hat das Ziel, eine leistungsfähige Justiz zu sichern,
die ihre Aufgaben, nämlich Rechtssicherheit zu garantieren und Rechtsfrieden zu schaffen,
auch in Zukunft auf hohem Niveau erfüllen kann. Primär wegen des verfassungsrechtlichen
Grundsatzes der richterlichen Unabhängigkeit beansprucht die Justiz im Vergleich zur Verwaltung allerdings eine etwas andere Stellung. Mit der vorgesehenen Strukturreform wird
das Justizmanagement den aktuellen Bedürfnissen angepasst und verbessert. Die durch den
Grossen Rat veranlasste unabhängige Studie hat Verbesserungsmöglichkeiten aufgezeigt.
Im Rahmen der Einführung der WOV im Kanton Aargau wurden und werden die Abläufe und
Strukturen verfeinert. Mit den vorgeschlagenen Massnahmen und Veränderungen erhält der
Kanton Aargau ein modernes Justizmanagement und damit verbunden - im Rahmen der jeweils durch das Parlament zur Verfügung gestellten Mittel - auch eine leistungsfähige Justiz.
Teil I: Allgemeines
Ausgangslage
Im Gesamtbericht vom 27. Oktober 1999 orientierte der Regierungsrat über erste Auswirkungen der Justizreform 1 und über den weiteren Reformbedarf. Er zeigte dabei auch die
Möglichkeiten und Grenzen einer Justizreform auf, stellte das Projekt Justizreform 2 vor
und informierte über den Zeitplan und die mutmasslichen Kosten. Als Grundlage für die weiteren Reformvorschläge waren Leitsätze erarbeitet worden. Der Grosse Rat nahm am 9. Mai
2000 vom Bericht Kenntnis, stimmte den Leitsätzen zu und beschloss den folgenden zusätzlichen Leitsatz Nr. 12:
"Eine unabhängige Studie hat die Gerichts- und Verwaltungsbehörden, insbesondere das Obergericht,
im Sinne einer Organisationsberatung auf die Verbesserung der Strukturen und Verwaltungsabläufe
zu überprüfen. Dem Grossen Rat ist gestützt auf diese Studie Bericht und Antrag zu stellen".
Der Auftrag für die Organisationsanalyse wurde der PricewaterhouseCoopers AG, Bern
(PWC) erteilt. Diese legte ihren Schlussbericht Ende Oktober 2001 vor. Nach Durchführung
eines erweiterten Mitberichtsverfahrens und dessen Auswertung nahm die Gesamtprojektleitung Justizreform 2 zu allen 50 Massnahmen und Empfehlungen im PWC-Bericht zuhanden des Departements des Innern und des Regierungsrats Stellung. Am 15. Mai 2002 verabschiedete der Regierungsrat die Botschaft an den Grossen Rat.
-3-
Die Justizkommission behandelte die Botschaft am 15. und 22. August 2002. Mehrere Kommissionsmitglieder stellten sich auf den Standpunkt, dass eine Beschlussfassung des Grossen Rats zu 50 Massnahmen und Empfehlungen im PWC-Bericht schwierig wäre. Die Justizkommission beschloss deshalb, den Regierungsrat einzuladen, einen Zusatzbericht zur
Botschaft mit weiteren konkreten Entscheidungsgrundlagen auszuarbeiten. Der Vorsteher
des Departements des Innern und die Justizkommission kamen in der Folge einvernehmlich
zum Schluss, dass anstelle der Botschaft vom 15. Mai 2002 ein Gesamtbericht ausgearbeitet
werden soll. Dieses Vorgehen werde es dem Grossen Rat ermöglichen, von den Ergebnissen der Organisationsanalyse Kenntnis zu nehmen und Leitsätze für die Umsetzung von prioritären Massnahmen zu beschliessen.
Am 28. Januar 2003 beschloss der Regierungsrat, das Geschäft (02.133) "Justizreform; Organisationsanalyse; Massnahmen und Empfehlungen; Weiterbearbeitung und Umsetzung"
zurückzuziehen. Das Büro des Grossen Rats stimmte diesem Rückzug zu.
Ergebnisse der Organisationsanalyse
Im PWC-Bericht vom 17. Oktober 2001 wurde u.a. festgehalten, in der aargauischen Justiz
werde grundsätzlich gute Arbeit geleistet und die verfügbaren Ressourcen würden effizient
eingesetzt; die Verbesserungsmöglichkeiten seien aber zahlreich, namentlich in den Bereichen Führungsstrukturen, Kommunikation und Aufsicht über die Justiz. Die 50 Massnahmen
und Empfehlungen im PWC-Bericht lassen sich in fünf Hauptstossrichtungen gliedern:
- Neue Leitungsstrukturen für die Justiz im Kanton Aargau insgesamt sowie für das Obergericht und für die Spezialverwaltungsgerichte
- Neuordnung der Aufsicht über die Justiz
- Konzept für die Personalführung und für die Personalentwicklung
- Konzept für die interne und externe Information und Verbesserung der externen Kommunikation
- Überprüfung der Strukturen der Bezirksgerichte (optimale Grösse, Lastenausgleich, Spezialisierung, Stellvertretung, Zusammenlegung)
Weiterbearbeitung und Umsetzung
Vordringlich sind Änderungen und Verbesserungen in den Bereichen Leitungsstrukturen und
Organisation der Aufsicht über die Justizbehörden. In zweiter Priorität werden die Konzepte
für die Personalführung und Personalentwicklung, für die interne und externe Information
sowie für die externe Kommunikation bearbeitet. Im Rahmen eines eigenen Projekts sollen in
einem spätern Zeitpunkt die Strukturen der Bezirksgerichte überprüft werden.
-4-
Teil II: Konzept und Leitsätze
Die Folgerungen aus der Organisationsanalyse, die bisherigen Ergebnisse des Projekts Justizreform 2 und die Bearbeitung der Thematik "WOV in der Aargauer Justiz" haben deutlich
gezeigt, dass insbesondere die Leitungsstrukturen für die Justiz im Aargau und die direkte
Aufsicht über die Justiz neu zu ordnen sind. Dabei sollen - kurz zusammengefasst - folgende
Grundsätze gelten:
- Gleich wie der Grosse Rat und der Regierungsrat hat die Justiz die Aufgabe, sich im
Rahmen von Verfassung und Gesetz selber zu führen, zu verwalten und zu beaufsichtigen.
- Für die Wahlen der Richterinnen und Richter ist das Volk bzw. der Grosse Rat zuständig.
Der Grosse Rat übt auch die von der Verfassung vorgesehene Oberaufsicht über die Gerichte aus.
Gemäss diesen Grundsätzen wird folgendes Konzept vorgeschlagen:
Leitungsstruktur für die Justiz im Aargau
Nach der heutigen Regelung (§ 96 KV) ist die Justizverwaltung Sache der Gerichte. Die Geschäftsleitung obliegt dem Präsidenten und dem Vizepräsidenten des Obergerichts sowie
der Verwaltungskommission.
Neu vorgeschlagen wird ein Leitungsorgan, das fünf Mitglieder umfasst: Obergericht
(2, inkl. Präsidium), Spezialverwaltungsgericht (1), Bezirksgerichte (2). Das Leitungsorgan ist
das oberste Führungsorgan der Aargauer Justiz. Es führt das Obergericht, das Spezialverwaltungsgericht, die Bezirksgerichte, die Konkursämter und die Anwaltskommission über die
Steuerungsbereiche.
Die Neuordnung der Leitungsstrukturen und der Aufsicht ermöglichen es der Aargauer Justiz, die Gerichte insgesamt straffer zu führen und die grösser und anspruchsvoller gewordenen Aufgaben qualitativ gut und in einzelnen Bereichen innert kürzerer Fristen zu erfüllen. Es
wird eine vordringliche Aufgabe des neuen Leitungsorgans sein, für Gerichte, bei denen die
Verfahrensdauer übermässig lang ist, Leistungsvorgaben festzulegen, und deren Erfüllung
durch die Aufsichtskommission kontrollieren zu lassen.
Neuordnung der Aufsicht
Die heutige Ausgestaltung der Justizaufsicht ist mit Mängeln behaftet: Die Zuweisung von direkten Aufsichtskompetenzen (insbesondere Dienstaufsicht) über das Obergericht an den
Grossen Rat in den §§ 82 Abs. 1, 84 und 85 GOG verträgt sich mit den §§ 80, 95 und 96 KV
nur bedingt, denn die Kantonsverfassung weist dem Parlament in erster Linie die Oberaufsicht zu. Neu vorgeschlagen wird eine Aufsichtskommission, die sieben Mitglieder umfasst
(je eine Vertretung des Obergerichts, des Spezialverwaltungsgerichts, der Bezirksgerichte,
der Justizverwaltung und der Konkursämter sowie zwei Fachpersonen aus dem Bereich Finanz- und Personalwesen).
-5-
Struktur und Aufgaben der Justizverwaltung
Der Grosse Rat hat am 9. Mai 2000 folgendem Leitsatz zugestimmt: Die Justizverwaltung ist
als Führungsinstrument für die gesamte Justiz im Kanton weiter zu stärken (Leitsatz 10
Abs. 3). Es wird vorgeschlagen, für die Justizverwaltung das bestehende Modell auszubauen.
Struktur und Leitung des Obergerichts
Das Obergericht umfasst heute fünf Justizeinheiten: Zivilgericht, Handelsgericht, Strafgericht,
Sozialversicherungsgericht und Verwaltungsgericht. Die Leitung des Gesamtobergerichts obliegt dem Obergerichtspräsidenten und dem Vizepräsidenten sowie der Verwaltungskommission. Neu vorgeschlagen wird die Schaffung einer Geschäftsleitung für das Obergericht, die
fünf Mitglieder umfasst (die Präsidenten der fünf Justizeinheiten).
Struktur und Leitung der Spezialverwaltungsgerichte
Heute bestehen fünf eigenständige Spezialverwaltungsgerichte: Steuerrekursgericht, Schätzungskommission nach Baugesetz, Landwirtschaftliche Rekurskommission, Rekursgericht
im Ausländerrecht, Personalrekursgericht.
Der Grosse Rat hat am 9. Mai 2000 folgendem Leitsatz zugestimmt: Zur Entlastung des
Obergerichts und einzelner Verwaltungsbehörden ist für die Verwaltungsrechtspflege ein
Kantonales Spezialverwaltungsgericht zu schaffen. (Leitsatz 8, Abs. 3). Neu vorgeschlagen
wird die Schaffung eines Kantonalen Spezialverwaltungsgerichts mit verschiedenen Kammern unter Einsetzung einer Geschäftsleitung.
Finanzielle und personelle Konsequenzen
Eine Neuorganisation und die Umsetzung der Massnahmen aus dem PWC Bericht sind nicht
ohne zusätzliche Kosten zu erreichen. Für die Erfüllung der in den letzten Jahren angestiegenen Aufgabenfülle wurden nur unzureichend Ressourcen zugesprochen. Eine Umlagerung
ist nicht möglich, da bei den Justizbehörden keine Aufgaben weggefallen sind, sondern immer wieder neue hinzukommen oder aber prozessrechtliche Verfahren so ausgebaut werden, dass der Aufwand erhöht wird.
Die vorgeschlagenen Massnahmen führen zu einem zusätzlichen Personalbedarf von
7,65 Stellen, davon 1 Richter/in, 5,8 Fachpersonal und 0,85 Kanzleipersonal. Dadurch werden jährlich wiederkehrende Mehrkosten von rund 1,45 Millionen Franken entstehen. Diese
Mehrkosten sollen durch eine Erhöhung der Gerichtsgebühren aufgefangen werden.
Weiteres Vorgehen
Die Schaffung einer neuen Führungsorganisation für die gesamte Justiz sowie die Neuregelung der Aufsicht bedingt eine Teilrevision der Kantonsverfassung sowie eine Totalrevision
des Gerichtsorganisationsgesetzes und des Gerichtsorganisationsdekrets.
-6-
Die Umsetzung erfolgt im Rahmen des Projekts Justizreform 2. Die neue Führungsorganisation wird voraussichtlich auf 2007 umgesetzt werden können. Entsprechend sind auch die
zusätzlichen Stellen und Ausgaben sowie die Mehreinnahmen durch Gebührenerhöhungen
ab 2007 in den Finanzplan aufzunehmen. Der definitive Realisierungszeitpunkt ist von der
Entwicklung des kantonalen Finanzhaushalts abhängig.
-7-
Inhaltsverzeichnis
I.
II.
Allgemeiner Teil
8
1.
Ausgangslage
1.1 Justizreformen 1 und 2
1.2 Gesamtbericht vom 27. Oktober 1999
1.3 Auftrag des Grossen Rats
1.4 Entwicklung im Bereich WOV
8
8
8
9
11
2.
Ergebnisse der Organisationsanalyse
2.1 Allgemeine Erkenntnisse
2.2 Massnahmen und Empfehlungen
12
12
14
3.
Weiterbearbeitung und Umsetzung
3.1 Prioritäre Massnahmen und Empfehlungen
3.2 Übrige Bereiche
15
15
16
Konzept und Leitsätze
17
4.
Leitungsstruktur für die Justiz im Kanton Aargau
4.1 Heutige Regelung und Organisation
4.2 Empfehlungen PWC
4.3 Neue Regelung und Organisation
4.4 Leitsätze
17
17
18
19
28
5.
Neuordnung der Aufsicht
5.1 Heutige Regelung und Organisation
5.2 Empfehlungen PWC
5.3 Neue Regelung und Organisation
5.4 Leitsätze
28
28
30
30
34
6.
Struktur und Aufgaben der Justizverwaltung
6.1 Heutige Regelung und Organisation
6.2 Empfehlungen PWC
6.3 Neue Regelung und Organisation
6.4 Leitsätze
34
34
36
36
39
7.
Struktur und Leitung des Obergerichts
7.1 Heutige Regelung und Organisation
7.2 Empfehlungen PWC
7.3 Neue Regelung und Organisation
7.4 Leitsätze
39
39
40
41
43
8.
Struktur und Leitung der Spezialverwaltungsgerichte
8.1 Heutige Regelung und Organisation
8.2 Empfehlungen PWC
8.3 Neue Regelung und Organisation
8.4 Leitsätze
43
43
44
44
46
9.
Finanzielle und personelle Konsequenzen
9.1 Überblick
9.2 Leitsätze
47
47
49
10.
Weiteres Vorgehen
49
Antrag:
50
-8-
I.
Allgemeiner Teil
1.
Ausgangslage
1.1
Justizreformen 1 und 2
Mit dem Gesetz und dem Dekret über Massnahmen zur Erneuerung der Justiz, die beide auf
den 1. März 1998 in Kraft getreten sind, konnte eine erste Etappe der Reform der aargauischen Gerichte abgeschlossen werden (Justizreform 1). Der Grosse Rat hat den Regierungsrat mit dem Regierungsprogramm 1997/2001 beauftragt, "weitere Massnahmen zur Effektivitätssteigerung1 und damit zur Entlastung der Gerichte und der verwaltungsinternen
Rechtspflege" zu prüfen.
Am 16. Dezember 1998 hat der Regierungsrat den Auftrag und die Organisation für das Projekt Justiz- und Verwaltungsrechtspflegereform, 2. Etappe, festgelegt (Justizreform 2).
Die Projektorganisation umfasst ein Leitungsorgan (Vorsitz: Vorsteher des Departements
des Innern, Mitglieder: Oberrichter Rudolf Schmid, Obergerichtspräsident und alt Oberrichter
Werner Huber, Gesamtprojektleiter), die Gesamtprojektleitung als operativ tätiges Organ
(Vorsitz: alt Oberrichter Werner Huber, Gesamtprojektleiter, Mitglieder: Urs Hodel, Leiter Justizverwaltung und Stefan Roth, Leiter Justizabteilung) sowie derzeit sieben Teilprojektgruppen (Bereiche: Gerichtsorganisation, Strafrechtspflege, Verwaltungsrechtspflege, Rechtspflege in Sozialversicherungssachen, Ausführungsgesetzgebung zum SchKG, Anwaltsrecht, Gebühren und Entschädigungen).
1.2
Gesamtbericht vom 27. Oktober 1999
Im Gesamtbericht vom 27. Oktober 1999 (Botschaft Nr. 99.343/GR 99.343-1) orientierte der
Regierungsrat über erste Auswirkungen der Justizreform 1 und über den weiteren Reformbedarf. Er zeigte dabei auch die Möglichkeiten und Grenzen einer Justizreform auf, stellte
das Projekt Justizreform 2 vor und informierte über den Zeitplan und die mutmasslichen Kosten.
1
Effizienz und Effektivität sind Begriffe aus dem Wirtschaftsleben. Sie stehen für Wirksamkeit, Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit. Die Begriffe Effizienz und Effektivität sind nicht allein Zielvorgaben des Wirtschaftslebens. Auch eine funktionierende Justiz kommt ohne diese Eigenschaften nicht aus. Das Recht kann
seine Aufgaben nur dann erfüllen wenn es durch eine leistungsfähige und effizient arbeitende Justiz umgesetzt wird. Die Justiz hat zu gewährleisten, dass die Bürgerinnen und Bürger ihr "gutes Recht" bekommen.
Gutes Recht ist regelmässig auch schnelles Recht. Was gutes Recht im Einzelfall ist, darüber lässt sich immer
streiten. Je nach Ausgang des Verfahrens wird die eine oder die andere Partei zufrieden sein. Dies sollte man
bedenken, wenn über die Qualität der Entscheide diskutiert wird. Ohne das notwendige Handwerkszeug, die
nötigen Mitarbeiter und eine vernünftige Planung und Organisation der Arbeitsprozesse ist eine effektive Justizarbeit nicht möglich.
Die Effektivität ist eine Relation, die angibt, in welchem Mass ein Ziel erreicht wird. Die Effektivität macht keine Aussage darüber, auf welchem Weg ein Ziel angestrebt wird. Die höchste Effektivität ist gegeben, wenn
das Ziel erreicht wird.
Die Effizienz ist eine Relation, die angibt, mit welchem Aufwand ein Ziel angestrebt wird. Die Effizienz macht
keine Aussage darüber, ob das Ziel erreicht wird.
Die Qualität eines Entscheides hängt nicht unbedingt von der Akzeptanz der betroffenen Parteien ab, sondern in erster Linie von der Beständigkeit bei oberen Gerichtsinstanzen.
-9-
Als Grundlage für die weiteren Reformvorschläge waren Leitsätze für die inhaltliche Ausrichtung und für die Koordination der Arbeit aller Teilprojektgruppen erarbeitet worden.
1.3
Auftrag des Grossen Rats
Bei der Behandlung des Gesamtberichts beschloss der Grosse Rat am 9. Mai 2000 auf Antrag der Justizkommission den folgenden zusätzlichen Leitsatz Nr. 12:
"Eine unabhängige Studie hat die Gerichts- und Verwaltungsbehörden, insbesondere das
Obergericht, im Sinne einer Organisationsberatung auf die Verbesserung der Strukturen und
Verwaltungsabläufe zu überprüfen. Dem Grossen Rat ist gestützt auf diese Studie Bericht
und Antrag zu stellen".
1.3.1
Bearbeitung des Auftrags
Die Umschreibung des Auftrags wurde durch die Gesamtprojektleitung Justizreform 2 vorbereitet und anschliessend durch das Departement des Innern mit einer Delegation der Justizkommission bereinigt.
Der Regierungsrat bewilligte für die Durchführung der Organisationsanalyse einen Verpflichtungskredit von Fr. 250'000.00. Aufgrund von Zusatzaufträgen im Verlaufe der Analyse
musste der Verpflichtungskredit auf Fr. 300'000.00 erhöht werden.
Die Ausschreibung des Auftrags erfolgte im offenen Verfahren am 1. November 2000. Die
eingereichten zwölf Offerten wurden Mitte Januar 2001 durch einen "Kontaktausschuss"
überprüft (Vorsteher des Departements des Innern, zwei Mitglieder der Justizkommission,
Präsident des Obergerichts und Projektleiter Justizreform 2). Den Zuschlag erhielt die PricewaterhouseCoopers AG, Bern (PWC). Besonders ins Gewicht fiel bei diesem Entscheid der
Umstand, dass PWC Ende der neunziger Jahre eine Evaluation der weit gefassten Justizreform im Kanton Bern durchgeführt hatte. Die erwähnte Aufgabe im Kanton Bern stellte ähnliche Anforderungen an die Beratungsfachleute wie der Auftrag im Kanton Aargau.
Für die Durchführung der Analyse wurde folgende Projektorganisation festgelegt:
- Kontaktausschuss als Steuerungsorgan (Vorsteher des Departements des Innern, zwei
Mitglieder der Justizkommission, Präsident des Obergerichts und Projektleiter Justizreform)
- Gesamtprojektleitung Justizreform als operative Projektleitung (Projektleiter Justizreform,
Leiter Justizverwaltung, Chef Justizabteilung des Departements des Innern)
- Kontaktgruppe als "Echoorgan" (Vertretungen der Gerichte und des Rechtsdiensts des
Regierungsrats)
- 10 -
Die Analyse wurde in folgenden Etappen durchgeführt:
- Informationsveranstaltung am 27. April 2001 für alle interessierten Mitarbeitenden der
Justiz und der einbezogenen Verwaltungsstellen.
- Interviews mit dreissig Gruppen (mehr als 100 Personen). Befragt wurden u.a. Mitarbeitende bzw. Vertretungen der Gerichte, der Bezirksämter, der Justizkommission und des
Anwaltsverbands.
- Besprechung der Überprüfungsergebnisse mit der Kontaktgruppe am 17. September
2001 und mit dem Kontaktausschuss in einer Klausurtagung am 21./22. September 2001.
- Informationsveranstaltung (Kreis der Teilnehmenden wie am 27. April 2001) über die Ergebnisse der Organisationsanalyse und erste Präsentation des Schlussberichts am
20. Oktober 2001.
- Erweitertes Mitberichtsverfahren bis Ende Dezember 2001 zu den Massnahmen/Empfehlungen von PWC (Adressatenkreis: Obergericht, Präsidenten der Spezialverwaltungsund der Bezirksgerichte, Friedensrichterverband, Anwaltsverband, alle Departemente,
Rechtsdienst des Regierungsrats und Finanzverwaltung).
1.3.2
Weiterleitung der Ergebnisse an den Regierungsrat und an den Grossen Rat
- Auswertung der Mitberichte durch die Gesamtprojektleitung Justizreform 2 und Stellungnahme zu allen Massnahmen und Empfehlungen im PWC-Bericht zuhanden des Departements des Innern und des Regierungsrats im ersten Quartal 2002.
- Behandlung des PWC-Berichts und Stellungnahme zu den Massnahmen und Empfehlungen durch den Regierungsrat; Verabschiedung der Botschaft an den Grossen Rat am
15. Mai 2002
- Behandlung der Botschaft durch die Justizkommission am 15. und 22. August 2002. Mehrere Kommissionsmitglieder stellten sich auf den Standpunkt, dass eine Beschlussfassung des Grossen Rats zu 50 Massnahmen und Empfehlungen im PWC-Bericht schwierig wäre. Die Justizkommission beschloss deshalb, den Regierungsrat einzuladen, einen
Zusatzbericht zur Botschaft mit weiteren konkreten Entscheidungsgrundlagen auszuarbeiten.
- Der Vorsteher des Departements des Innern und die Justizkommission kamen in der Folge einvernehmlich zum Schluss, dass anstelle der Botschaft vom 15. Mai 2002 ein Gesamtbericht ausgearbeitet werden soll. Dieses Vorgehen werde es dem Grossen Rat ermöglichen, von den Ergebnissen der Organisationsanalyse Kenntnis zu nehmen und Leitsätze für die Umsetzung von prioritären Massnahmen zu beschliessen.
- Am 28. Januar 2003 beschloss der Regierungsrat, das Geschäft (02.133) "Justizreform;
Organisationsanalyse; Massnahmen und Empfehlungen; Weiterbearbeitung und Umsetzung" unter Vorbehalt der Zustimmung des Büros des Grossen Rats gemäss § 51 GVG
zurückzuziehen. Das Büro des Grossen Rats stimmte diesem Rückzug zu.
- 11 -
1.3.3
Organisationsanalyse und Weiterbearbeitung Justizreform 2
Die Erteilung des Auftrags für eine externe Organisationsanalyse führte in einigen Bereichen
zu einem Unterbruch der Arbeiten im Rahmen des Projekts Justizreform 2. Weiter geführt
und abgeschlossen wurde die Teilrevision der Strafprozessordnung (in Kraft gesetzt auf den
1. Januar 2003). Für die Revision des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege und für
die Ausführungsgesetzgebung zum SchKG liegen ausformulierte Gesetzesentwürfe vor. Im
Bereich des Anwaltsrechts hat der Grosse Rat eine Teilrevision des Anwaltstarifs beschlossen, die am 1. Januar 2004 in Kraft treten wird. Die Botschaft für ein neues Anwaltsgesetz
hat der Regierungsrat verabschiedet. Weit fortgeschritten sind auch die Arbeiten für eine
Gesamtrevision der Gerichtsorganisation.
Die Teilergebnisse aus dem Projekt Justizreform 2 standen der PWC zur Verfügung.
1.4
Entwicklung im Bereich WOV
Zuhanden der Justizverwaltung erstattete die PuMaConsult GmbH, Bern, im August 2002 ein
Gutachten zum Thema "Möglichkeiten und Grenzen von WOV in der Aargauer Justiz". Die
Zusammenfassung im Gutachten lautet:
a)
WOV steht in einem gewissen Spannungsverhältnis zu bedeutenden rechtsstaatlichen
Garantien. Dies betrifft insbesondere die richterliche Unabhängigkeit, andere Verfahrensgarantien und das Legalitätsprinzip.
b)
Das in der Verfassung verankerte Selbstverwaltungsrecht der Justiz (§ 96 Abs. 1 KV)
und das Recht zum Aufstellen des eigenen Voranschlags (§ 88 Gerichtsorganisationsgesetz) stärkt die richterliche Unabhängigkeit und entspricht gleichzeitig auch der WOVPhilosophie.
c)
Die WOV-Führungsmethodik kann im Kanton Aargau mit Einschränkungen bzw. Änderungen auch auf die Justiz Anwendung finden.
d)
Das im Rahmen der Justizreform 2 in der Organisationsanalyse detailliert dargestellte
optimierte Strukturmodell für die Aargauer Justiz ist sowohl aus staatsrechtlicher Sicht
wie auch aus der Sicht von WOV unbedenklich.
Aus staatsrechtlicher Sicht ist es notwendig, für die Einführung der WOV in der Aargauer
Justiz auf der Basis der allgemeinen WOV-Grundsätze ein Führungsmodell zu entwickeln,
das den Besonderheiten der Justiz Rechnung trägt.
- 12 -
Vom Grundsatz her könnte ein solches Führungsmodell wie folgt aussehen:
Grosser Rat
politische Steuerung
Leitungsorgan der Gerichte
betriebliche Steuerung
Gerichte und Konkursämter
Globalbudget mit Leistungsauftrag
2.
2.1
Ergebnisse der Organisationsanalyse
Allgemeine Erkenntnisse
PWC hat innert der festgelegten, relativ kurzen Frist eine umfangreiche Untersuchung über
die Strukturen und Verwaltungsabläufe bei den Gerichtsbehörden und bei einigen mit Rechtsprechungsaufgaben betrauten Verwaltungsbehörden (Rechtsdienste) unseres Kantons
durchgeführt. Aus dem Schlussbericht geht im Wesentlichen folgendes hervor:
- In der aargauischen Justiz wird grundsätzlich gute Arbeit geleistet; die verfügbaren Ressourcen werden im Vergleich zu andern Kantonen effizient eingesetzt.
- Die Verbesserungsmöglichkeiten sind zahlreich, namentlich in den Bereichen Führungsstrukturen, Kommunikation und Aufsicht über die Justiz.
- Die Zusammenarbeit zwischen Justizbehörden, Regierungsrat und Grosser Rat (Justizkommission) ist zu klären und zu verbessern.
- Für eine effiziente und speditive Erfüllung der übertragenen Aufgaben sind zusätzliche,
zahlenmässig noch festzulegende Stellen zu schaffen
Diese Folgerungen decken sich in den meisten wesentlichen Punkten mit den bisherigen Ergebnissen aus dem Projekt Justizreform 2 und mit anderen internen und externen Abklärungen:
- 13 -
Allgemein beurteilt arbeiten die aargauischen Gerichte mit guter bis sehr guter Qualität. Das
zeigen u.a. die Statistiken über die Fälle, die an das Bundesgericht weiter gezogen werden
und ebenso die in der jährlich erscheinenden Publikation "Aargauische Gerichts- und Verwaltungsentscheide" veröffentlichten Urteile. Dass gelegentlich auch Urteile gefällt werden, die
den gesetzlichen Vorgaben und der Rechtsprechung des Bundesgerichts nicht entsprechen,
und die dann in der Öffentlichkeit breit kritisiert werden, ist bei einer Zahl von jährlich rund
16'000 Verfahren vor dem Obergericht, den fünf Spezialverwaltungsgerichten und den elf
Bezirksgerichten nicht zu vermeiden.
Ein Mangel - und für die Betroffenen in der Regel eine sehr grosse Belastung - ist die übermässig lange Verfahrensdauer bei einzelnen Spruchkörpern. Dieser Umstand hängt wesentlich mit den seit langer Zeit stark angestiegenen Fallzahlen zusammen. Zugenommen haben
auch die Komplexität vieler Streitsachen und die Ansprüche der Rechtsuchenden. Negativ
wirken sich hier auch die ungenügenden Personalressourcen aus. Darauf hat die Justiz in
früheren Berichten - mit ausführlicher Begründung - wiederholt hingewiesen.
Bemerkenswert ist auch die Entwicklung der Kosten, welche die aargauische Justiz verursacht. Gemäss den Angaben der eidgenössischen Finanzverwaltung belegt der Kanton Aargau im Bereich der Ausgabensteigerung für die Rechtsprechung in Franken pro Kopf der
Bevölkerung in den Jahren 1980 bis 2000 den dritten Platz, d.h. der Kanton Aargau weist die
drittkleinste Ausgabensteigerung aus. Weitere Hinweise mit dem entsprechenden Zahlenmaterial wurden dem Grossen Rat bereits mit der Botschaft des Regierungsrats an den
Grossen Rat Nr. 6873 vom 15. Februar 1995 unterbreitet.
Auf Grund dieser Darlegungen kann nicht erwartet werden, dass sich im Justizbereich heute
Stellen abbauen und Reduktionen im Gesamtbudget erreichen lassen. Im Gegenteil: Soll die
aargauische Justiz ihre Aufgaben weiterhin qualitativ gut erfüllen und die Fälle im Zukunft mit
kürzeren Behandlungsfristen erledigen können, müssen kurz- und mittelfristig zusätzliche
Personalstellen bewilligt werden. Wegen der gegenwärtigen Lage im Finanzhaushalt des
Kantons wird dabei ein strenger Massstab anzulegen sein. Es ist aber zu beachten, dass die
Justiz bezüglich Personal- und Sachressourcen - gleich wie etwa die Schulen, die Spitäler,
der öffentliche Verkehr und die Polizei - weiterhin zu den typischen Wachstumsbereichen
des Kantons gehört.
Eine nachhaltige Aufgabe der Justizbehörden wird es sein, die Wachstumsraten in Grenzen
zu halten. Aber auch der Gesetzgeber ist hier gefordert. Ein erster Schritt ist getan, indem
beim Erlass neuer und bei der Abänderung bestehender Rechtsschutzbestimmungen durch
den Grossen Rat stets auch die strukturellen und personellen Auswirkungen für die Rechtsprechungsorgane aufzuzeigen sind (vgl. den Beschluss des Grossen Rats vom 9. Mai
2000, Leitsatz 9).
- 14 -
2.2
Massnahmen und Empfehlungen
Die 50 Massnahmen und Empfehlungen im PWC-Bericht lassen sich in fünf Hauptstossrichtungen gliedern:
- Neue Leitungsstrukturen für die Justiz im Kanton Aargau insgesamt sowie für das Obergericht und für die Spezialverwaltungsgerichte
Die heutigen Strukturen und Organisation sowie die Aufgabenzuteilung im Bereich des
Obergerichts sind ein zentraler Punkt der Ergebnisse aus der Organisationsanalyse. Zahlreiche Massnahmen betreffen die organisatorischen und personellen Verflechtungen im
Aufgabengebiet des Justizmanagements. Einerseits sollen die neuen Strukturen und die
Organisation eine Entflechtung zwischen den Aufgabenbereichen Rechtsprechung und
Justizmanagement erlauben, andererseits sollen die Interessen von anderen Gerichtsbehörden im Leitungsgremium ebenfalls vertreten sein. (PWC-Bericht, S. 88)
- Neuordnung der Aufsicht über die Justiz
Die Aufgaben der Justizkommission sind in der Gesetzgebung sehr allgemein umschrieben. Eine präzise Zuweisung der Aufgaben im Sinne einer Aufsichts-, Steuerungs- und
Unterstützungsfunktion ist nicht vorhanden. - Aus externer Sicht erschweren die organisatorischen, aufgabenmässigen und personellen Verflechtungen der Inspektionskommission
eine ziel- und problemlösungsorientierte Aufgabenerfüllung erheblich und sind für Aussenstehende nicht transparent nachvollziehbar. (PWC-Bericht, S. 86 und 91)
- Konzept für die Personalführung und für die Personalentwicklung
Die Führungsproblematik und das Personalmanagement waren zentrale Themen in den
Interviews. Sämtliche Befragten auf allen Stufen waren sich einig, dass hier diverse Verbesserungsmassnahmen ergriffen werden müssen. Ein grosses Anliegen ist es auch,
dass für Führungstätigkeiten genügend Ressourcen zur Verfügung stehen. In der aargauischen Justiz fehlt ein gesamtheitliches Personalmanagementkonzept, das sich einerseits
mit einer langfristigen Zielfindung und -festlegung für die Personalpolitik und andererseits
mit der Koordination der einzelnen Personalfunktionen und -prozesse befasst. (PWCBericht, S. 112 ff. und 118).
- Konzept für die interne und externe Information und Verbesserung der externen Kommunikation
Die Kommunikation innerhalb der Justizorganisation ist auf verschiedenen Ebenen verbesserungsfähig. Es sollten Massnahmen zur Verbesserung der Kommunikationskultur
ergriffen werden. Zur Zeit fehlt der Justiz im Kanton Aargau ein Medienkonzept, welches
zu einem professionellen Umgang mit den Medien führen kann, die internen Abläufe im
Umgang mit Anfragen und Informationen definiert und die verantwortlichen Ansprechpersonen bezeichnet. (PWC-Bericht, S. 105 f.).
- 15 -
- Überprüfung der Strukturen der Bezirksgerichte (optimale Grösse; Lastenausgleich; Spezialisierung; Stellvertretung, Zusammenlegung)
Die strukturelle Situation bei den Bezirksgerichten ist, bedingt durch die unterschiedliche
Grösse der Bezirke, sehr heterogen. In allen Gerichten mit nur einem Gerichtspräsidenten
ist eine echte Stellvertretung nicht gewährleistet. Die Meinungen zu einer gewissen Regionalisierung der Bezirksgerichte sind sehr kontrovers. (PWC-Bericht, S. 96 f.).
Weitere Massnahmen und Empfehlungen betreffen u.a. den Geschäftsverkehr zwischen Justizbehörden, Regierungsrat und Grossem Rat, die Bereiche Richterwahlen, Organisation Bezirksgericht Baden, Schaffung eines Gerichtsschreiber-Pools, Fallzuteilung durch ein Punktierungssystem und Einführung der WOV in der Justiz.
Die Liste aller 50 Massnahmen und Empfehlungen liegt dieser Botschaft als Beilage 1 bei.
Die vollständige PWC-Organisationsanalyse kann bei der Justizverwaltung bezogen oder unter www.ag.ch/de/pub/justizmanagement/justizverwaltung/projekte.htm herunter geladen
werden.
3.
3.1
Weiterbearbeitung und Umsetzung
Prioritäre Massnahmen und Empfehlungen
Vordringlich sind Änderungen und Verbesserungen in den Bereichen Leitungsstrukturen
und Organisation der Aufsicht über die Justizbehörden.
Für die Justiz im Kanton Aargau besteht kein eigentliches Führungsorgan. Wohl wurde die
Verwaltungskommission des Obergerichts im Rahmen der Justizreform 1 gestärkt. Diese
Kommission ist jedoch aus verschiedenen Gründen (u.a. wegen ihrer starken Verflechtung
mit dem Obergericht) noch nicht in der Lage, Führungsaufgaben vollumfänglich und ausgewogen über die ganze Justiz wahrnehmen zu können. Eine merkliche Verbesserung lässt
sich nur durch eine grundlegende Neuorganisation der Führung erreichen. Es erstaunt denn
auch nicht, dass rund ein Drittel der Massnahmen und Empfehlungen im PWC-Bericht den
Bereich Leitungsstrukturen für die Justiz im Aargau insgesamt sowie für das Obergericht und
die Spezialverwaltungsgerichte betreffen; es sind die Massnahmen und Empfehlungen Ziffern 1, 3, 5, 7, 8, 9, 16, 22, 23, 24, 25, 27, 29, 32 und 37. Die Umsetzung dieser Massnahmen setzt, wie im Folgenden aufgezeigt wird (vgl. Abschnitt II, Ziffern 1 bis 5), die Revision
verschiedener Verfassungs-, Gesetzes- und Dekretsbestimmungen voraus.
Die Aufsicht, die der Grosse Rat bzw. dessen Justizkommission über die Justiz ausübt, hat
in jüngster Zeit zu erheblichen, zum Teil systembedingten Spannungen zwischen Vertreterinnen und Vertretern der beiden Staatsgewalten geführt. Hier besteht ebenfalls dringender
Reformbedarf, der die Revision von Verfassungs- und Gesetzesbestimmungen nach sich
zieht. Im PWC-Bericht sind dazu Massnahmen und Empfehlungen unter den Ziffern 3 und 6
enthalten.
- 16 -
3.2
Übrige Bereiche
Verstärkung einzelner Bereiche der Justizverwaltung
In zweiter Priorität werden die Konzepte für die Personalführung und Personalentwicklung, für die interne und externe Information sowie für die externe Kommunikation bearbeitet. Diese Konzepte erfordern keine umfangreichen Gesetzesrevisionen. Notwendig sind
in einzelnen Bereichen jedoch Ausführungsbestimmungen auf Verordnungsstufe. Sie sollen,
nach Klärung der Leitungsstrukturen, unter Beizug von Fachleuten bearbeitet werden. Soweit in diesem Zusammenhang zusätzliches Personal notwendig ist, werden entsprechende
Begehren dem Grossen Rat zusammen mit dem Voranschlag 2004 unterbreitet. Der Bericht
der Firma PWC hat namentlich festgestellt, dass in den Bereichen Informatik- und Personalmanagement sowie Information, dringender Nachholbedarf für drei Stellen besteht.
Bezirksgerichte
Im Rahmen eines eigenen Projekts sollen die Strukturen der Bezirksgerichte in einem
spätern Zeitpunkt, nach Neuordnung der Leitungsstrukturen für die Justiz insgesamt und für
die kantonalen Gerichte, überprüft werden. Auf der Basis der allgemeinen WOV-Führungsmethodik wird jedoch schon jetzt für alle Bezirksgerichte eine Optimierung der Betriebsführung, welche die Besonderheiten der Justiz berücksichtigt, in die Wege geleitet.
Bei der Überprüfung der betrieblichen Führungsmöglichkeiten hat sich ergeben, dass vorläufig jedes Bezirksgericht eine eigene Führungseinheit bilden soll. Im Sinne einer Koordination
ist die bereits bestehende Gerichtspräsidentenkonferenz ein Koordinationsinstrument für die
elf Gerichte.
Eine Entlastung der Gerichtspräsidenten in den Bezirken Aarau, Lenzburg und Zofingen ist
inzwischen eingeleitet worden. Nachdem der Grosse Rat den Begehren der Justizbehörden
im Rahmen des Voranschlags 2003 entsprochen hat, wurde dem Grossen Rat kürzlich eine
Botschaft für die notwendigen Rechtsgrundlagen zugeleitet. Dieser hat der Vorlage am
26. August 2003 zugestimmt. Die Wahltermine sind bereits festgelegt.
Auf Stufe der Gerichtsschreiber und des Kanzleipersonals ist bei einzelnen Bezirksgerichten
eine Erhöhung des Personalbestands zur Behebung des schon seit längerer Zeit bestehenden Ressourcenmangels erforderlich. Entsprechende Begehren werden dem Grossen Rat
zusammen mit dem Voranschlag unterbreitet.
- 17 -
II.
Konzept und Leitsätze
4.
Leitungsstruktur für die Justiz im Kanton Aargau
4.1
Heutige Regelung und Organisation
Gemäss § 96 KV ist die Justizverwaltung2 Sache der Gerichte. Das Obergericht vertritt dabei die Gerichte im Verkehr mit andern Behörden. Dieser Grundsatz ist auf Gesetzesstufe
wie folgt konkretisiert:
Die Geschäftsleitung obliegt dem Präsidenten und dem Vizepräsidenten des Obergerichts
sowie der Verwaltungskommission (§ 54 Abs. 1 GOG). Die Verwaltungskommission ist das
geschäftsführende Organ des Obergerichts und der gesamten aargauischen Justiz. Sie vertritt die Justiz im Verkehr mit anderen Behörden (§ 54 Abs. 2 GOG).
Präsident und Vizepräsident des Obergerichts werden vom Grossen Rat auf vier Jahre gewählt (§ 3 Abs. 2 GOG). Die Verwaltungskommission besteht aus fünf bis sieben Mitgliedern,
die vom Obergericht aus dem Kreis der voll- und teilamtlichen Oberrichter gewählt werden.
Ihr gehören der Präsident und der Vizepräsident des Obergerichts als Präsident und Vizepräsident sowie drei bis fünf weitere Oberrichter an (§§ 2 und 35 Abs. 1 GOD). Der Leiter der
Justizverwaltung amtet als Sekretär (§ 35 Abs. 2 GOD). Er bereitet die Geschäfte der Verwaltungskommission vor und stellt in der Regel Antrag (§ 37 Abs. 3 GOD).
Die Verwaltungskommission erledigt die Geschäfte der Justizverwaltung, soweit nicht eine
andere Kommission oder eine Kammer zuständig ist (§ 36 Abs. 1 GOD). Sie entscheidet u.a.
in den Bereichen Ausstand von Oberrichtern, Entbindung vom Amtsgeheimnis und Streitigkeiten über die Zuständigkeit zwischen Kammern und Kommissionen (§ 36 Abs. 2 GOD). Die
Verwaltungskommission hat eine weitreichende Zuständigkeit. U.a. sind ihr zugeordnet: Erlass von Reglementen und Weisungen, Wahlen, Zuweisung der Richter zu den Kammern
und Kommissionen, Wahl oder Anstellung von Mitarbeitenden, Disziplinarsachen, Zusammenstellung des Voranschlags aller richterlichen Behörden und der Konkursämter sowie
Prüfung der Jahresrechnungen (§ 36 Abs. 3 GOD). Die Verwaltungskommission kann die Erledigung bestimmter Geschäfte einer anderen Kommission oder einer Kammer übertragen (§
36 Abs. 4 GOD).
Die heutige Organisation ist mit Mängeln behaftet:
- Die Verwaltungskommission ist beim Obergericht angesiedelt und umfasst ausschliesslich
Oberrichter und Oberrichterinnen. Die Spezialverwaltungsgerichte und die Bezirksgerichte
sind in diesem Organ nicht vertreten. Die Eingliederung in die obere kantonale Gerichtsinstanz ist wenig geeignet, die Probleme der Justizbehörden aus übergeordneter Sicht
und unter gleichwertiger Berücksichtigung aller betroffenen Behörden zu beurteilen.
2
Der Begriff Justizverwaltung hat eine doppelte Bedeutung: Einerseits versteht man darunter das
Justizmanagement als funktionalen Begriff. Anderseits ist damit eine Organisationseinheit des
Obergerichts gemeint, nämlich die mit dem Generalsekretariat eines Departements vergleichbare
Justizverwaltung.
- 18 -
- Die Kernkompetenz von Richtern ist das Urteilen und nicht das Führen. In der Regel fehlen in der Verwaltungskommission Richter mit besonderer Führungserfahrung und entsprechender Ausbildung.
- Rechtsprechungs- und Verwaltungstätigkeit bei der Verwaltungskommission und der Inspektionskommission sind zu wenig weitgehend entflochten.
- Für die anspruchsvolle Aufgabe, die Justiz insgesamt zu führen, genügen die Ressourcen
nicht. Die Richter, welche in der Verwaltungskommission mitwirken, sind für diese Arbeit
von ihren Rechtsprechungsaufgaben nicht ausreichend entlastet.
- Die Aufteilung der Aufgaben und der Kompetenzen zwischen Verwaltungskommission
und Justizverwaltung entspricht nicht einer konsequenten Trennung zwischen strategischer und operativer Führung.
- Dem Obergericht ist durch die Verfassung eine Führungsaufgabe zugewiesen; es fehlen
dazu aber ausreichend konkretisierende Ausführungserlasse und die notwendigen Ressourcen.
- Eine eigentliche Führung im Sinne von Strategieentwicklung, Überprüfung der Aufbauorganisation, Geschäftsplanungs-/Controlling-Prozesse, Mitarbeiterführung, Personalbeschaffung und -förderung findet infolge des Mangels an Personalressourcen nur in minimalem Umfange statt.
4.2
Empfehlungen PWC
In der PWC-Organisationsanalyse wird u.a. empfohlen:
- Die Reorganisation und der Aufbau eines Justizmanagements soll in einem separaten
Organisationsentwicklungsprojekt durchgeführt werden (Massnahme und Empfehlung
[ME] 1).
- Das neu zu schaffende Leitungsorgan der Justiz ist nicht mehr direkt im Obergericht angesiedelt, sondern wird als strategische Einheit über sämtlichen Gerichtsbehörden stehen. Im Leitungsorgan sind mindestens das Obergericht, die Spezialverwaltungsgerichte
und die Bezirksgerichte vertreten. Der Obergerichtspräsident ist Vorsitzender des Leitungsorgans. Die einzelnen Gerichte und die Justizverwaltung sind dem Leitungsorgan
unterstellt. Die Verwaltungskommission wird aufgehoben. Für die wahrzunehmenden Aufgaben sind die entsprechenden Personalkapazitäten zu definieren (ME 5; vgl. unten auch
ME 23, wo für die Leitungsaufgabe von einem Pensum von mindestens 50 Prozent ausgegangen wird).
- Die Erwartungen an die Führungsfunktionen in der Justiz müssen für alle Gerichte klar definiert werden: Inhalte; Aufgaben; Verantwortung; Kompetenzen. Für Führungs- und Aufsichtspersonen sind entsprechende Weiterbildungen zu organisieren. Die Kapazitäten für
die Aufgaben sind transparent zu ordnen und je nach Erwartungen und Ausprägungen zu
dimensionieren (ME 22).
- 19 -
-
Das Obergerichtspräsidium bzw. das Präsidium des Leitungsorgans hat drei Aufgaben zu
erfüllen:
· Vertretung der Justiz gegen aussen und gegen innen
· Führungsaufgaben (Vorsitz im Leitungsorgan)
· Rechtsprechungsaufgaben
Der Rechtsprechungsanteil sollte einen Beschäftigungsgradanteil von 50 % nicht übersteigen (ME 23).
- Die Entscheidung über die Ressourcenzuteilung muss eine Aufgabe des Leitungsorgans
sein (ME 29).
4.3
4.3.1
Neue Regelung und Organisation
Lösungsvorschlag
Die Stellung der dritten Gewalt:
Die Aargauer Justiz bildet neben Exekutive und Legislative die dritte Gewalt (Judikative). Zur
Sicherstellung der richterlichen Unabhängigkeit weist die Aargauer Justiz gegenüber dem
Grossen Rat und der Regierung (inkl. Verwaltung) eine relativ weit gehende Selbständigkeit
auf. Hinzu kommt das in der Verfassung verankerte Selbstverwaltungsrecht (§ 96 Abs. 1 KV)
der Aargauer Justiz und das Recht, den eigenen Voranschlag zu erstellen (§ 88 GOG).
Im Rahmen der Bundesgesetzgebung erlässt der Grosse Rat die Vorschriften für die Rechtsprechung auf kantonaler Ebene. Jährlich legt er mit dem Voranschlag den finanziellen
Rahmen für die Steuerungsbereiche der Justiz fest. Die Justizbehörden stellen dem Grossen
Rat Antrag zum Budget und zum Aufgaben- und Finanzplan; sie vertreten beide Instrumente
selber in der grossrätlichen Debatte. Im weiteren nimmt der Grosse Rat (Kommission für
Justiz) die Oberaufsicht über die Aargauer Justiz wahr (§ 80 KV).
Gegenüber der Aargauer Justiz nimmt der Regierungsrat keine direkten Führungsaufgaben
wahr. Er nimmt weder materiell noch finanziell Einfluss auf die Judikative. Er kann dem Grossen Rat abweichende Anträge zum Budget, zum Aufgaben- und Finanzplan sowie zum Jahresbericht der Aargauer Justiz unterbreiten.
Der Regierungsrat legt die Rahmenbedingungen für die Verwaltungsführung in den Departementen fest. Sie gelten auch für die Aargauer Justiz, insbesondere in den Bereichen Personalgesetzgebung, Informatikstrategie, Grundsätze der Haushaltsführung und Immobilienmanagement, soweit das in der Verfassung verankerte Selbstverwaltungsrecht der Justizbehörden dies zulässt.
- 20 -
Grundsätze der künftigen Führungsorganisation:
- Die künftige Führungsorganisation der Aargauer Justiz beachtet die rechtsstaatlichen Garantien wie richterliche Unabhängigkeit, Verfahrensgarantien und Legalitätsprinzip. Diese
Garantien prägen sowohl das Aussenverhältnis zwischen der Aargauer Justiz und dem
Grossen Rat bzw. der Regierung als auch das Innenverhältnis zwischen den einzelnen
Gerichtsbehörden.
- Im Innenverhältnis der Aargauer Justiz ist die richterliche Unabhängigkeit ebenfalls als
oberster Grundsatz zu beachten. Er schliesst die materielle Einflussnahme von Führungsorganen der Aargauer Justiz auf den Einzelfall aus.
- Das oberste Führungsorgan der Aargauer Justiz ist das Leitungsorgan.
- Das Leitungsorgan führt das Obergericht, das Spezialverwaltungsgericht, die Bezirksgerichte, die Konkursämter und die Anwaltskommission über die Steuerungsbereiche. Die
materielle Einflussnahme auf Einzelverfahren ist von der Führungsaufgabe des Leitungsorgans ausgeschlossen.
- Das Leitungsorgan führt die Friedensrichter nicht über Steuerungsbereiche, sondern wie
bisher über rein finanzielle Vorgaben.
- Die oberste Führungsstruktur besteht aus dem Leitungsorgan, der Justizverwaltung als
geschäftsführendes Organ bzw. als Stab und aus der Aufsichtskommission.
- Das Obergericht, das Spezialverwaltungsgericht und die Konkursämter werden je von
einer Geschäftsleitung geführt.
- Die Bezirksgerichte verfügen je über eine eigene Geschäftsleitung.
- Die Friedensrichter haben keine gemeinsame Führungsebene. Die Justizverwaltung
nimmt gegenüber den Friedensrichtern die finanzielle Steuerung wahr. Jeder Friedensrichter steht unter der Aufsicht des Leitungsorgans.
Vgl. dazu auch den Leitsatz 8 Abs. 1 gemäss Grossratsbeschluss vom 9. Mai 2000:
"Für die Justizbehörden ist eine einfache und übersichtliche Gesamtstruktur festzulegen."
(LS 8/1)
- 21 -
Neue Führungsstruktur bei den Justizbehörden:
Kanton Aargau JB
Leitungsorgan
Justizverwaltung / Aufsichtskommission
Geschäftsleitung Obergericht
Zivilgericht
Geschäftsleitung Spezialverwaltungsgericht
Steuerrekursgericht
Geschäftsleitung
Konkursämter
Geschäftsführender GP
Aarau
Friedensrichter 1
Amtsstelle Baden
Amtsstelle Brugg
Strafgericht
.....
Handelsgericht
Schätzungskommission
nach Baugesetz
Verwaltungsgericht
Landwirtschaftliche
Rekurskommission
.....
.....
.....
Versicherungsgericht
Schuldbetreibungsund Konkurskommission
Kammer für
Vormundschaftswesen
PuMaConsult GmbH ©
Rekursgericht im
Ausländerrecht
Personalrekursgericht
Geschäftsführender GP
Zurzach
Amtsstelle Oberentfelden
.....
.....
.....
Friedensrichter 50
Anwaltskommission
- 22 -
Zusammensetzung
Fünf Mitglieder
-
Oberrichter oder Oberrichterin als Präsident bzw. Präsidentin
-
Vertretungen des Obergerichts (1), des Spezialverwaltungsgerichts (1) und der Bezirksgerichte (2).
-
Leiter der Justizverwaltung als Stabschef (mit beratender Stimme).
Für die Behandlung bestimmter Geschäfte können beratende Fachleute beigezogen werden.
Wahlgremium
-
Der Präsident bzw. die Präsidentin wird durch die vollund teilamtlichen Richter und Richterinnen des Obergerichts, des Spezialverwaltungsgerichts und der Bezirksgerichte sowie durch den leitenden Konkursbeamten gewählt.
-
Die Vertretungen des Obergerichts, des Spezialverwaltungsgerichts und der Bezirksgerichte werden von diesen selbst bestimmt (voll- und teilamtliche Richter).
Amtsdauer
Vier Jahre; zulässig ist eine Wiederwahl (max. acht Jahre
Tätigkeit im Leitungsorgan)
Leitung
Präsidium bzw. Vizepräsidium
Hauptaufgaben
-
Vertretung der Justizbehörden nach aussen, insbesondere gegenüber Regierungsrat, Grosser Rat und
Justizkommission
-
Führung und Leitung der Justizbehörden
-
Direkte Aufsicht über die Gerichte, Friedensrichter und
teilweise auch gegenüber den Konkursämtern
-
Disziplinarentscheide (Entlassung während der Amtsperiode und zeitlich beschränkte Einstellungen im Amt)
gegen Richterinnen und Richter auf Antrag der Aufsichtskommission (vgl. dazu auch die Bemerkungen
zum Vorschlag "Richterrat" unter Ziff. 2.3.1 unten)
-
Festlegung von Leistungsvorgaben inkl. Kontrolle und
Anordnung von Massnahmen
-
Gesamtbudget und -jahresrechnung
-
Ressourcen (Personal und Sachmittel)
-
Jahresbericht
-
Vorlagen an den Grossen Rat
-
Vernehmlassungen und Mitberichte
-
Öffentlichkeitsarbeit
- 23 -
Bemerkungen zu Organisation und Aufgaben des Leitungsorgans:
- Bereits die geltende Kantonsverfassung (§ 96 Abs. 1 KV) weist dem Obergericht im Bereich der Justizverwaltung eine Führungsrolle zu, indem das Obergericht die Gerichte im
Verkehr mit anderen Behörden vertritt. Von dieser Rollenverteilung soll insofern nicht radikal abgewichen werden, als dass das Präsidium des Leitungsorgans ausdrücklich einem
Mitglied des Obergerichts vorbehalten ist.
Für diese Lösung sprechen auch praktische Gründe: Es ist davon auszugehen, dass der
Präsident des neuen Leitungsorgans einen wesentlichen Teil seiner Arbeitszeit mit Führungsarbeit beschäftigt sein wird (ca. 50 %). Fehlt dieses Pensum bei einem Bezirksgericht oder beim Spezialverwaltungsgericht, so wäre ein Ausgleich viel schwieriger zu organisieren, als beim Obergericht, welches über insgesamt 1’900 % Oberrichterkapazität
verfügt.
- Aus der Überlegung heraus, dass sich die Justizbehörden in erster Linie selber führen sollen, ist das Leitungsorgan ausschliesslich mit Richterinnen und Richtern (sowie einem
Vertreter des Konkurswesens) besetzt. Das für eine erfolgreiche Führung zusätzlich erforderliche Know-how im Bereich Betriebswirtschaft, Finanzen, Controlling, Personalwesen etc. wird einerseits durch die Aufsichtskommission und anderseits durch die Justizverwaltung bereitgestellt.
- Als Leistungseinkäuferin ist das Leitungsorgan (heute die Verwaltungskommission) inskünftig für die Erfüllung der Produktgruppenbudgets gegenüber Volk und Parlament verantwortlich. Zusammen mit den Gerichten nimmt es die planerischen Vorarbeiten für die
Produktgruppenbudgets wahr. Es schliesst - auf der Basis der verabschiedeten parlamentarischen Vorgaben - die Kontrakte mit den einzelnen Gerichten ab und verteilt das Globalbudget auf diese Leistungsersteller. Es sichert ein kohärentes und umfassendes Berichts- und Kontrollwesen (mittels Koordination der Kontrakte und inhaltlichen Vorgaben)
und besorgt zusammen mit den Gerichten die Umsetzung der Wirkungskontrolle.
Varianten für die Zusammensetzung des Leitungsorgans
Im Rahmen der Bearbeitung des vorliegenden Gesamtberichts wurde vom Obergericht vorgebracht, eine personelle Trennung von Leitungsorgan für die gesamte Justiz und Geschäftsleitung des Obergerichts sei zu aufwändig und daher nicht opportun. Die Verwaltungskommission als Leitungsorgan für alle Justizbereiche sei beizubehalten. Die Behandlung von Geschäften, die alle Justizbehörden betreffen, sei einer "erweiterten Verwaltungskommission" zu übertragen, bestehend aus einem Dreierausschuss des Obergerichts (Obergerichtspräsident, Vizepräsident und ein weiteres Mitglied der Verwaltungskommission) sowie je einem Vertreter der Präsidenten der Bezirksgerichte und der Spezialverwaltungsgerichte.
Dieses Modell widerspricht der deutlichen PWC-Empfehlung [ME 5], wonach das neu zu
schaffende Leitungsorgan der Justiz nicht mehr direkt im Obergericht angesiedelt, sondern
als strategische Einheit über sämtliche Gerichtsbehörden gestellt werden soll.
- 24 -
4.3.2
Effizienz- und Qualitätsgewinne
Wenn hier (und auch in den nächsten Kapiteln) von Effizienz- und Qualitätsgewinnen die
Rede ist, muss klargestellt werden, dass mit den vorgeschlagenen Massnahmen schwergewichtig eine Verbesserung der Effizienz erreicht werden soll. Wie bereits im Allgemeinen Teil
erwähnt (vgl. Teil I, Ziff. 2.1), arbeiten die aargauischen Gerichte mit guter bis sehr guter
Qualität. Eine Qualitätsverbesserung der richterlichen Arbeit wird zwar ebenfalls angestrebt,
aber nicht mit höchster Priorität.
Das mit Abstand grösste Problem der Justizbehörden ist heute die Leistungsfähigkeit oder
anders ausgedrückt, die übermässig lange Verfahrensdauer bei einzelnen Spruchkörpern.
Als aktuelle Beispiele können u.a. genannt werden: Eheschutzverfahren beim Obergericht,
Bau- und Planungsverfahren beim Verwaltungsgericht und Beschwerden im Bereich der Invalidenrenten beim Versicherungsgericht. Die verschiedenen, vorgeschlagenen Massnahmen zielen somit in erster Linie auf eine Leistungssteigerung hin.
Die neue Leitungsstruktur für die Justiz im Kanton Aargau bringt folgende Effizienz- und
Qualitätsgewinne:
- Als oberstes Organ der Justiz ist das Leitungsorgan zuständig für die Verteilung der Ressourcen (Personal und Sachmittel) an die verschiedenen Justizeinheiten aller Ebenen und
zwar sowohl bei der Erstellung des Budgets als auch während des Jahrs. Bei ungleicher
Entwicklung der Geschäftslast kann das Leitungsorgan frühzeitig und gegenüber heute
wesentlich flexibler mit einem Ressourcenausgleich unter den verschiedenen Gerichten
reagieren und damit die Gesamtbelastung optimaler verteilen. Das Leitungsorgan kann
somit wirkungsvoll verhindern, dass - wie in den letzten Jahren passiert - einzelne
Spruchkörper in der Geschäftsflut buchstäblich ertrinken und nahezu handlungsunfähig
werden.
- Das Leitungsorgan ist verantwortlich für den Aufbau und Betrieb eines umfassenden Controllings3 über sämtliche Aufgaben (Ziele, Kennzahlen, Berichte und laufende Steuerung)
der ihm unterstellten Gerichtseinheiten. Diese Führungsinstrumente dienen einerseits der
Steuerung des oben erwähnten Ressourcenausgleichs unter den Gerichten und sorgen
anderseits dafür, dass leistungsorientiertes Denken auch in der Justiz besser verankert
wird. Erfahrungsgemäss wirkt bereits die Tatsache, dass Verfahrensabläufe überprüft und
die Verfahrensdauer gemessen wird, leistungssteigernd und damit verfahrensbeschleunigend.
3
Das Controlling dient der Planung und der Steuerung. Es handelt sich um eine systematische Verbindung
zwischen Budget, Produktdefinition, Leistungsvereinbarung, Leistungsmessung und Qualitätskontrolle. Das
Hauptcontrolling (Sammeln und Aufbereiten von führungsrelevanten Daten) erfolgt in erster Linie durch die
Justizverwaltung. Die einzelnen Führungsebenen (Leitungsorgan, Geschäftsleitungen der Gerichte bzw. Justizeinheiten) beurteilen die Resultate und treffen Massnahmen, um die von der übergeordneten Führungsebene vorgegebenen Ziele erreichen zu können.
- 25 -
- Die Entflechtung der Führung der Justiz und der Führung des Obergerichts bringt eine
zusätzliche Stärkung der richterlichen Unabhängigkeit, weil auch innerhalb der Justiz eine
klarere Trennung zwischen Rechtsaufsicht und Geschäftsführungsaufsicht erreicht wird.
Gleichzeitig werden die Gerichte von ihren bisherigen Aufsichtsaufgaben entlastet (z.B.
Beaufsichtigung der Friedensrichter durch die Gerichtspräsidenten, Beaufsichtigung der
Bezirksgerichte durch das Obergericht).
-
Die Zusammensetzung des obersten Führungsorgans mit Vertretern sämtlicher Gerichtsebenen steigert gegenüber heute zudem die Akzeptanz der vom Leitungsorgan getroffenen Massnahmen.
Die Schaffung einer obersten Leitung wird zu einer spürbaren Effizienzsteigerung bei der
Justiz insgesamt führen. Die neue Leitung wird mit entsprechenden Führungsinstrumenten
ausgestattet und erhält die Kompetenz, Massnahmen anzuordnen. Sie ist gegenüber Parlament und Volk verantwortlich für das Funktionieren der Justiz.
Die Einsetzung einer obersten Führungsebene bringt jedoch erst einen Teilgewinn: Um erfolgreich führen zu können, bedarf das Leitungsorgan verantwortlicher Ansprechpartner bei
den Gerichtseinheiten. Auch diese sind bei der Schaffung einer neuen Führungsstruktur mit
einzubeziehen. Es ist daher unabdingbar, dass auch das Obergericht und die bestehenden
Spezialverwaltungsgerichte mit einer entsprechenden Leitung ausgestattet werden (vgl. unten Ziff. 4, Struktur und Leitung Obergericht, sowie Ziff. 5, Struktur und Leitung des Spezialverwaltungsgerichts).
Zu beachten ist auch, dass mit der Schaffung des neuen Leitungsorgans Richterkapazitäten
absorbiert werden, die auszugleichen sind. Darüber hinaus muss die Aufsicht über die Justiz
insgesamt angepasst und eine minimale logistische Unterstützung bereit gestellt werden
(vgl. dazu unten Ziff. 2, Neuordnung der Aufsicht, sowie Ziff. 3, Struktur und Aufgaben der
Justizverwaltung).
4.3.3
Massnahmen für die Umsetzung
Die Umsetzung soll im Rahmen des Projekts "Justizreform 2" (Teilprojektgruppe Gerichtsorganisation) und unter Berücksichtigung der Ergebnisse aus dem Projekt "WOV in der Justiz",
erfolgen. Ein besonderes Organisationsentwicklungsprojekt ist nicht vorzusehen (vgl. die anders lautende Empfehlung im PWC-Bericht [ME 1]).
Die Schaffung des neu vorgeschlagenen Leitungsorgans setzt eine Anpassung der Kantonsverfassung (KV) sowie eine umfassende Revision der Gerichtsorganisationsgesetzgebung
voraus.
Damit das neue Leitungsorgan seine Aufgaben gemäss Ziffer 1.3.1 erfüllen kann, müssen
die entsprechenden Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Sinnvollerweise werden die
benötigten Ressourcen zur Hauptsache in der Justizverwaltung und in der neu zu schaffenden Aufsichtskommission bereitgestellt. Notwendig sind Personalressourcen auch in den Bereichen Finanzwesen, Controlling, Information sowie im juristischen Bereich (vgl. dazu die
Ausführungen in Ziff. 3 unten).
- 26 -
Die neue Führungsstruktur besteht aus dem Leitungsorgan, der Justizverwaltung als geschäftsführendes Organ bzw. als Stab und aus der Aufsichtskommission. Organisatorisch
ergibt sich die folgende Gliederung:
Kanton Aargau JB
Leitungsorgan
Justizverwaltung
- als Stabsorgan
- als geschäftsführendes Organ
GL OG
GL SpezVwG
Aufsichtskommission
Geschäftsführender GP
Aarau
Friedensrichter 1
Geschäftsführender GP
Zurzach
Friedensrichter 50
GL
Konkursämter
Anwaltskommission
PuMaConsult GmbH ©
Für die Führung des neuen Leitungsorgans (Präsidium und Vizepräsidium) wird ein zusätzliches Stellenpensum von 40 % benötigt. Der Einsatz des Obergerichtspräsidenten für die
Vertretung der Interessen der Gesamtjustiz beläuft sich heute auf ca. 20 - 25 %. Dabei können nicht alle notwendigen Aufgaben mit der gebührenden Aufmerksamkeit und Sorgfalt verfolgt werden, da die Ressourcen dazu fehlen.
Die übrigen Ressourcen werden durch die Justizverwaltung zur Verfügung gestellt. Diese
sind aber noch nicht im erforderlichen Masse vorhanden und müssen erst noch bewilligt
werden (vgl. auch Ziffer 3.3).
Als Hauptaufgaben sind insbesondere zu erwähnen:
auf Präsidiumsebene:
- Führen des Leitungsorgans
- Vorbereitung der Geschäfte des Leitungsorgans
- Umsetzung der Beschlüsse des Leitungsorgans zusammen mit dem Leiter Justizverwaltung
- 27 -
- Vertretung der Justiz gegenüber Grossem Rat, Kommissionen, Regierungsrat und anderen Gremien
auf Sachbearbeiterebene:
- Aufbereiten der Geschäfte für das Leitungsorgan
- Vornahme von Abklärungen für das Leitungsorgan, den Präsidenten und den Vizepräsidenten des Leitungsorgans, des Leiters Justizverwaltung etc.
- Mitberichte und Vernehmlassungen verfassen und damit verbunden Abklärungen treffen
- Mithilfe bei der Erstellung der Budgets, Aufgaben- und Finanzplanung und der Jahresberichte
- Protokollführung im Leitungsorgan
- Vorbereiten der Leistungsvorgaben für die Gerichte und deren Kontrolle
- Vorbereiten der Reglemente (Verordnungsrecht der Justiz nach KV) und Kreischreiben
Zusammengefasst ergibt sich der folgende Zusatzbedarf für das Leitungsorgan und die Justizverwaltung:
Ressourcenbedarf Soll
Ressourceneinsatz IST
Zusatzbedarf
 Obergerichtspräsident 20 %
 Präsidien 40 %
 Fachpersonen 100 %
 Jurist/in 25 %
 Jurist/in 75 %
 Kanzlei 50 %
 Kanzlei 20 %
 Kanzlei 30 %
Leitungsorgan:
 Präsidium 60 %
Justizverwaltung:
- 28 -
4.4
Leitsätze
Vorbemerkung:
Damit bereits auf Stufe Gesamtbericht eine enge Verknüpfung von Aufgaben und Ressourcen erfolgt, werden die finanziellen und personellen Konsequenzen der vorgeschlagenen
Massnahmen ebenfalls in Form von Leitsätzen ausgewiesen. Jeder einzelnen Massnahme
ist ein entsprechender Leitsatz zugeordnet. Im Leitsatz 17 wird der Gesamtbetrag der Bruttomehrkosten festgehalten.
1.
Für die Justiz im Kanton Aargau wird ein neues Leitungsorgan geschaffen, das Vertretungen des Obergerichts, des Spezialverwaltungsgerichts, der Bezirksgerichte und der
Justizverwaltung (beratende Stimme) umfasst.
2.
Das Leitungsorgan vertritt die Justiz im Kanton Aargau nach aussen, übt die direkte
Aufsicht über alle Gerichte und die administrative Aufsicht über die Konkursämter aus
und führt diese mit Leistungsvorgaben, insbesondere in Bezug auf die Verfahrensdauer.
Das Leitungsorgan ist verantwortlich für den Aufbau und Betrieb eines umfassenden
Controllings über sämtliche Aufgaben (Ziele, Kennzahlen, Berichte und laufende Steuerung).
3.
Für das Präsidium und das Vizepräsidium ist ein zusätzliches Stellenpensum von 40 %
mit jährlich wiederkehrenden Kosten von Fr. 130'000.004 notwendig.
5.
Neuordnung der Aufsicht
5.1
5.1.1
Heutige Regelung und Organisation
Direkte Aufsicht und Oberaufsicht über die Gerichte
Der Grundsatz der Gewaltenteilung verlangt neben der organisatorischen und personellen
Gewaltenteilung die gegenseitige Gewaltenhemmung, um ein Gleichgewicht zwischen den
Gewalten herzustellen (checks and balances). Mittel hierfür ist die Aufsicht; sie soll das unabhängige Funktionieren der Justiz sicherstellen. Bei der Ausgestaltung der Aufsicht ist zwischen Organaufsicht, welche die Justiz als Ganzes umfasst, und der Dienstaufsicht, welche
die einzelnen Personen betrifft, zu unterscheiden. Die Aufsicht ist in Oberaufsicht (politisch,
demokratisch motiviert, ohne Weisungsmöglichkeit) und direkte Aufsicht (kontrollierend,
eingreifend, mit Weisungsmöglichkeit) zu unterteilen. Gegenstand der Justizaufsicht ist das
administrative Funktionieren der Justiz (Abläufe, Organisation, Zielerreichung, Mitteleinsatz
etc.), mithin die Tätigkeit, die nicht Rechtsprechung ist. Die Kontrolle über die materielle
Rechtsprechung wird durch Rechtsmittelmöglichkeiten sichergestellt.
4
Lohn plus 40 % Gemeinkostenzuschlag
- 29 -
5.1.2
Heutige Regelung
In Art. 95 KV wird die richterliche Unabhängigkeit auf Verfassungsstufe garantiert; Art. 96 KV
berechtigt und verpflichtet die Gerichte zur Selbstverwaltung. Den Aspekt der Gewaltenhemmung berücksichtigt § 80 KV, der dem Grossen Rat die parlamentarische Oberaufsicht
auch über die Gerichte zuweist.
Der Gesetzgeber hat diese Vorgaben der Verfassung im GOG konkretisiert und spricht dort
auch im Kontrollverhältnis Grosser Rat - Obergericht von (direkter) Aufsicht, was verfassungsrechtlich fraglich sein kann. Die geltende Regelung stellt sich systematisiert wie folgt
dar:
Gericht
Direkte Aufsicht
Oberaufsicht
Obergericht
Grosser Rat (§ 82 GOG)
Grosser Rat (§ 80 KV)
Spezialverwaltungsgericht
Grosser Rat
Grosser Rat (§ 80 KV)
(nicht geregelt)
Bezirksgericht
Obergericht
(§§ 75 und 86 GOG)
 Inspektionskommission
(§ 32 GOD)
Friedensrichter
Grosser Rat (§80 KV; § 82 Abs. 2
GOG)
 Justizkommission
(§ 20 GO)
Bezirksgerichtspräsident
Obergericht
(§ 68 GOG)
(§ 68 Abs. 2 GOG)
 Inspektionskommission
(§ 32 Abs. 1 GOD)
Grosser Rat (§80 KV; § 82 Abs. 2 GOG
 Justizkommission (§ 20 GO)
Die heutige Ausgestaltung der Justizaufsicht ist mit Mängeln behaftet:
- Die Zuweisung von direkten Aufsichtskompetenzen (insbesondere Dienstaufsicht) über
das Obergericht an den Grossen Rat in den §§ 82 Abs. 1, 84 und 85 GOG verträgt sich
mit den §§ 80, 95 und 96 KV nur bedingt, denn die Kantonsverfassung weist dem Parlament in erster Linie die Oberaufsicht zu.
- Gewaltenteilung und richterliche Unabhängigkeit sind durch die praktizierte direkte Aufsicht des Grossen Rats über das Obergericht, insbesondere durch die (disziplinarische)
Dienstaufsicht, in Frage gestellt. Die vom Grossen Rat beziehungsweise durch die Justizkommission ausgeübte direkte Aufsicht über das Obergericht und die fünf Spezialverwaltungsgerichte führt immer wieder zu erheblichen Spannungen zwischen den Vertretungen
der beiden Gewalten.
- Für die Behandlung von Disziplinarfällen fehlen die gesetzlichen Grundlagen, insbesondere Verfahrensbestimmungen, nahezu vollständig.
- 30 -
- Die direkte Aufsicht des Obergerichts über die elf Bezirksgerichte, wahrgenommen durch
die Inspektionskommission, belastet das Verhältnis zwischen dem Obergericht und den
Bezirksgerichten erheblich; die heutige Regelung erweist sich als zu hierarchisch. Unglücklich ist auch, dass Rechtsmittelinstanz und Aufsichtsbehörde zusammenfallen; die
beiden Funktionen werden wechselseitig negativ beeinflusst.
- Die Akzeptanz der Aufsichtsentscheide ist wegen der personellen Zusammensetzung der
Inspektionskommission (ausschliesslich Oberrichter) unbefriedigend.
- Die Inspektionskommission als Aufsichtsinstanz ist vom Fachwissen her zu einseitig ausgerichtet.
5.2
Empfehlungen PWC
In der PWC-Organisationsanalyse wird u.a. empfohlen:
- Die Aufgaben und Kompetenzen der Kommission für Justiz sind unter Einbezug der Ergebnisse der Parlamentsreform klar zu regeln. (ME 3)
- Die Aufsichtskommission als Ausschuss des Leitungsorgans übt die Aufsicht über alle
Gerichtsorganisationen aus. Die heutige Inspektionskommission wird aufgelöst. (ME 6)
5.3
5.3.1
Neue Regelung und Organisation
Lösungsvorschlag
Schaffung einer Aufsichtskommission
Sämtliche (direkten) Justizaufsichtsfunktionen werden dem Leitungsorgan übertragen; die
Oberaufsicht verbleibt verfassungskonform beim Grossen Rat. Das Leitungsorgan ist berechtigt, eine Aufsichtskommission zu bestimmen, welche die direkte Aufsicht stellvertretend
für das Leitungsorgan wahrnimmt. Diese Kommission ist als Unterstützung und gleichzeitige
Entlastung des Leitungsorgans zu bestellen. Es müssen u.a. auch Fachpersonen aus den
Bereichen Finanz- und Personalwesen als Mitglieder aufgenommen werden. Bei der Erfüllung der Aufgaben ist eine enge Zusammenarbeit mit der Justizverwaltung notwendig. Es ist
daher sinnvoll, dass in der neuen Aufsichtskommission eine Vertretung der Justizverwaltung
mitwirkt.
- 31 -
Die Aufsichtskommission verfügt über keine abschliessenden Entscheidungskompetenzen.
Sie berichtet dem Leitungsorgan über die Ergebnisse der Aufsichtstätigkeit und stellt Anträge
bezüglich notwendiger Massnahmen (inkl. Disziplinarmassnahmen).
Zusammensetzung
7 Mitglieder (je eine Vertretung des Obergerichts, des
Spezialverwaltungsgerichts, der Bezirksgerichte, der Justizverwaltung und der Konkursämter sowie zwei Fachpersonen aus dem Bereich Finanz- und Personalwesen)
Wahlgremium
Leitungsorgan der Justiz
Amtsdauer
Vier Jahre; Wiederwahl ist zulässig (jedoch max. acht Jahre Tätigkeit in der Aufsichtskommission).
Leitung
Präsidium (vom Leitungsorgan bestimmt)
Hauptaufgaben
Die Aufsichtskommission nimmt im Auftrag des Leitungsorgans die interne Aufsicht über die Gerichtsbehörden, die
Konkursämter (soweit bundesrechtlich zulässig) und die
Anwaltskommission wahr. Die Aufsicht beinhaltet die Kontrolle von folgenden Bereichen:
-
Zielerreichung in den Steuerungsbereichen (Einhaltung der Leistungsvorgaben)
-
Allgemeine Führung der einzelnen Gerichte, der Konkursämter und der Anwaltskommission
-
Amtspflichtverletzungen, Rechtsverzögerung etc.
-
Einsatz von Finanzen, Personal, Raum und Informatik
Bemerkungen zu Organisation und Aufgaben der Aufsichtskommission:
- Die Aufsichtskommission wird ihre Arbeit in Ausschüssen bzw. Delegationen wahrnehmen, ähnlich, wie heute die Justizkommission ihre Aufsichtstätigkeit gegenüber den Gerichten wahrnimmt.
- In Übereinstimmung zu den eigentlichen Führungsorganen der Justiz (Leitungsorgan, Geschäftsleitungen des Obergerichts, des Spezialverwaltungsgerichts, der Bezirksgerichte
und der Konkursämter) ist auch für die Aufsichtskommission eine Amtsdauer von vier Jahren vorgesehen. Von einer verkürzten Amtsdauer von nur einem oder zwei Jahren, wie
sie in der Privatwirtschaft für Kontrollorgane häufig üblich ist, wird abgesehen.
Geeignete Personen können bis zu acht Jahren Mitglied der Aufsichtskommission sein,
müssen jedoch nach vier Jahren in ihrem Amt bestätigt werden.
- 32 -
Rechtsschutz im Disziplinarverfahren
Grundsätzlich sind für sämtliches Personal der Justizbehörden das Personalgesetz und dessen Ausführungserlasse anwendbar. Eine besondere Gruppe bilden dabei die vom Volk oder
vom Grossen Rat gewählten Richter. Diese werden nicht, wie das übrige Personal, angestellt, sondern auf eine bestimmte Amtszeit gewählt. Im Falle von groben Amtspflichtverletzungen sind besondere Disziplinarmassnahmen vorgesehen (§ 35 und 36 PersG). Zu diesen
Massnahmen gehören beispielsweise der Verweis, die Versetzung ins Provisorium und die
Entlassung aus dem Amt. Von Gesetzes wegen stehen die entsprechenden Befugnisse der
Aufsichtsbehörde zu.
Mit der Übertragung sämtlicher (direkten) Justizaufsichtsfunktionen an das neue Leitungsorgan wird automatisch letzteres zuständig für den Entscheid über Disziplinarmassnahmen.
Der Entscheid des Leitungsorgans kann für die betroffene Richterin oder den betroffenen
Richter sehr weitreichende Folgen haben. Aus diesem Grund (und auch mit Blick auf die
Entwicklungen im Anwendungsbereich von Art. 6 Ziff. 1 EMRK betreffend gerichtlicher
Rechtsschutz im öffentlichen Dienst) ist es notwendig, dass der Entscheid des Leitungsorgans bei einem ordentlichen Gericht angefochten werden kann. Es liegt nahe, hierfür das
bestehende Personalrekursgericht (künftig integriert ins kantonale Spezialverwaltungsgericht) als zuständig zu erklären.
Variante "Richterrat"
Bei der Bearbeitung des vorliegenden Gesamtberichts wurde vom Obergericht vorgeschlagen, die Disziplinaraufsicht, welche sich künftig über alle Richterinnen und Richter im Kanton
erstrecken soll, von der allgemeinen Führungs- und Aufsichtstätigkeit des Leitungsorgans zu
trennen und einem separaten Aufsichtsorgan zu übertragen. Denkbar sei die Schaffung
eines Richterrats (ähnlich dem "conseil supérieur de la magistrature" des Kantons Genf oder
dem "consiglio della magistrature" des Kantons Tessin).
Dieser Vorschlag ist namentlich aus folgenden Gründen nicht aufgenommen worden: Das
Problem der Disziplinaraufsicht in der Justiz soll ohne Schaffung eines zusätzlichen neuen
Organs gelöst werden. Allfälligen Befangenheitsvorwürfen gegenüber einzelnen Mitgliedern
des Leitungsorgans kann mit Ausstandsregelungen begegnet werden. Weil der vorgeschlagene Richterrat wegen des kleinen Zuständigkeitsbereichs - es wären einzig disziplinarische
Entlassungen während der Amtsperiode und zeitlich beschränkte Einstellungen im Amt betroffen - nur selten zum Einsatz käme, wäre es für dieses Organ schwierig, eine breit abgestützte Rechtsprechung zu entwickeln.
5.3.2
Effizienz- und Qualitätsgewinne
Durch die Entflechtung der Aufsichtskompetenzen und die Konzentration der Aufsicht beim
Leitungsorgan beziehungsweise der Aufsichtskommission erfolgt eine Professionalisierung
der Aufsichtsausübung im Justizbereich. Die folgenden Vorteile sind zu nennen:
- Die Beaufsichtigung aller Gerichte durch eine (unpolitische) Kollegialbehörde.
- 33 -
- Entlastung der Justizkommission von der direkten Aufsicht über das Obergericht und die
Spezialverwaltungsgerichte.
- Erhöhung der Akzeptanz von Aufsichtsentscheiden bei den betroffenen Richterinnen und
Richtern.
- Professionalisierung der Aufsicht und rechtsgleiche Anwendung von Aufsichtsrecht.
- Möglichkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes bei einem bestehenden, ordentlichen Gericht. Keine Ausnahmegerichte mehr.
5.3.3
Massnahmen für die Umsetzung
Für die Aufsichtskommission (Präsidium und Vizepräsidium) wird ein zusätzliches Stellenpensum von 50 % benötigt. Der Einsatz des heutigen Präsidenten der Inspektionskommission für die Beaufsichtigung der Bezirksgerichte beläuft sich auf 2-5 %. Neu hinzu kommen
zusätzliche Aufsichtsfunktionen, die bisher von anderen Organisationen übernommen worden sind, namentlich durch den Grossen Rat, die Gerichtspräsidenten etc.
Die übrigen Ressourcen werden durch die Justizverwaltung zur Verfügung gestellt. Diese
sind aber noch nicht im erforderlichen Masse vorhanden und müssen erst noch bewilligt
werden (vgl. Ziffer 3.3.).
Als Hauptaufgaben sind insbesondere zu erwähnen:
auf Präsidiumsebene:
- Führen der Aufsichtskommission
- Vorbereitung der Geschäfte der Aufsichtskommission
- Umsetzung der Beschlüsse der Aufsichtskommission zusammen mit dem Leiter Justizverwaltung
auf Sachbearbeiterebene:
- Aufbereiten der Geschäfte für die Aufsichtskommission
- Vornahme von Abklärungen für die Aufsichtskommission, den Präsidenten und Vizepräsidenten etc.
- Berichte und Vernehmlassungen verfassen und damit verbunden Abklärungen treffen
- Protokollführung
Zusammengefasst ergibt sich der folgende Zusatzbedarf für die neue Aufsichtskommission
des Leitungsorgans und die Justizverwaltung:
Ressourcenbedarf Soll
Ressourceneinsatz IST
Zusatzbedarf
 Präsident Insp. kommission 2-5 %
 Präsident 50 %
Aufsichtskommission:
 Präsident 50 %
Externe Mitglieder
Entschädigungskosten
- 34 -
Ressourcenbedarf Soll
Ressourceneinsatz IST
Zusatzbedarf
 Fachpersonen 100 %
 Jurist/in 25 %
 Jurist/in 75 %
 Kanzlei 50 %
 Kanzlei 15 %
 Kanzlei 35 %
Justizverwaltung:
5.4
4.
Leitsätze
Die Oberaufsicht über die aargauische Justiz wird vom Grossen Rat, die direkte Aufsicht durch das Leitungsorgan ausgeübt.
Disziplinarentscheide des Leitungsorgans sind an das kantonale Spezialverwaltungsgericht weiterziehbar.
5.
Das Leitungsorgan wählt eine Aufsichtskommission, bestehend aus einer Vertretung
des Obergerichts, des Spezialverwaltungsgerichts, der Bezirksgerichte, der Justizverwaltung und der Konkursämter sowie zwei Fachpersonen aus dem Bereich Finanzund Personalwesen.
6.
Die Aufsichtskommission nimmt im Auftrag des Leitungsorgans die interne Aufsicht
über die Gerichtsbehörden, die Konkursämter und die Anwaltskommission wahr. Sie
überprüft namentlich die Einhaltung der Leistungsvorgaben, die Führung der einzelnen
Justizeinheiten sowie den wirtschaftlichen Einsatz von Finanzen, Personal, Raum und
Informatik.
Sie berichtet dem Leitungsorgan über die Ergebnisse der Aufsichtstätigkeit und stellt
Anträge bezüglich notwendiger Massnahmen.
7.
6.
6.1
Für das Präsidium ist ein zusätzliches Stellenpensum von 50 % mit jährlich wiederkehrenden Kosten von Fr. 160'000.00 notwendig.
Struktur und Aufgaben der Justizverwaltung
Heutige Regelung und Organisation
Aufgrund der in den Grundzügen umschriebenen Aufgaben in den Gesetzen und den Folgeerlassen erfüllt die Justizverwaltung Aufgaben, die mit dem Generalsekretariat eines Departements bzw. der Staatskanzlei verglichen werden können.
- 35 -
In den nachstehend aufgeführten Aufgabenbereichen (für die gesamte Justiz) werden heute
folgende Ressourcen eingesetzt (Ist-Zustand):
Aufgabenbereiche
im Einsatz stehende Ressourcen
-
Verwaltungskommission
- 100 % Leiter Justizverwaltung
-
Inspektionskommission
- 100 % Juristenpensum
-
Anwaltskommission
- 100 % Kanzleipensum
-
Belange des Obergerichtspräsidenten, des
Vizepräsidenten und des Leiters Justizverwaltung
-
Spezialaufgaben, Abklärungen etc.
-
allg. Belange der Justizverwaltung
-
adm. Personalwesen für die gesamte Justiz
- 50 % Stellenpensum
-
zentrales Rechnungswesen (ZRS)
- 100 % Stellenpensum
-
zentrales Inkasso und Verlustscheinbewirt- - 150 % Stellenpensum
schaftung (teilw. auch für die Verwaltung)
-
Informatikbetreuung für die gesamte Justiz - 75 % Stellenpensum Informatikführung-/(insgesamt 200 Stellenprozent)
planung und Projektleitungen
- 125 % Stellenpensum Informatiksupport
-
Obergerichtskasse
- 150 % Fachpersonal
-
Obergerichtsbibliothek
- 100 % Fachpersonal
-
Weibeldienst
- 20 %
Total
1'070 %
Die Rechtsgrundlagen finden sich in der Verfassung, im Gerichtsorganisationsgesetz, im Gerichtsorganisationsdekret und in weiteren Gesetzen mit den entsprechenden Ausführungserlassen.
Die heutige Organisation ist mit Mängeln behaftet:
- Die Aufgaben der Justizverwaltung, namentlich in den Bereichen Informatik, Personal, Finanzen und Planung, sind in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen. Die Hauptursachen liegen in den gesteigerten Anforderungen an die Qualität und Menge der zu erfüllenden Aufgaben, der Einführung von neuen Informatikmitteln, der Ausdehnung der zu betreuenden Mitarbeitenden etc. Eine Ressourcenanpassung erfolgte nicht, ebenso wenig
konnten durch den Verzicht auf einzelne Aufgaben oder ähnliche Massnahmen entsprechende interne Umlagerungen vorgenommen werden. Wie bereits im Bericht der PWC
festgestellt worden ist, sind auch ohne neue Führungsstruktur sofortige Anpassungen der
Ressourcen in den Bereichen Personalmanagement, Informatik und Information notwendig (vgl. ME 37).
- 36 -
- Die Zuweisung der Aufgaben und Ressourcen an die Justizverwaltung ist zu wenig genau
festgelegt, so namentlich im Bereich des Weisungsrechts in administrativen Belangen zur
Durchsetzung der Beschlüsse der Verwaltungskommission etc.
6.2
Empfehlungen PWC
In der PWC-Organisationsanalyse wird u.a. empfohlen:
- Die Justizverwaltung ist dem Leitungsorgan direkt unterstellt. (ME 5)
- Mit den entsprechenden Kompetenzen ausgestattet, soll die Justizverwaltung als in allen
administrativen Belangen geschäftsführendes Organ gestärkt werden. In einem ersten
Schritt müssen die operativ auszuführenden Aufgaben und die Kompetenzen der Justizverwaltung klar umschrieben werden. (ME 8)
- Der Leiter der Justizverwaltung ist dem Präsidenten des Leitungsorgans direkt unterstellt.
(ME 8)
- Für die Wahrnehmung der Geschäftsleitungsaufgaben der Gerichtsbehörden hat die Justizverwaltung den entsprechenden Support zu bieten. (ME 8)
- Zur transparenten Abstimmung von Personalaufgaben zwischen der Justizverwaltung
(Unterstützungs-, Steuerungs- und administrative Aufgaben) und den Gerichtsbehörden
wird eine Aufgabenteilung (gemäss konkreten Vorschlägen im PWC-Bericht; vgl.
Ziff. 3.4.1) empfohlen. (ME 27)
- Die neue Justizverwaltung ist verantwortlich für die operative Steuerung der gesamten
Justiz (Stabs- und Führungsaufgaben). Sie soll namentlich die Kompetenz erhalten, bei
Bedarf Ressourcenverschiebungen in Absprache mit den verantwortlichen Gerichtspräsidenten vorzunehmen. (ME 29)
6.3
6.3.1
Neue Regelung und Organisation
Lösungsvorschlag
Ausbau des bestehenden Modells
Mit der Umsetzung der WOV und ihrer betriebswirtschaftlichen Komponenten steigen die Anforderungen an die Führung der Gerichte. Die Aufgaben des Justizmanagements sind in der
Vergangenheit stark gewachsen. Im Zuge der weiteren Modernisierung der Gerichte werden
sie sich quantitativ und qualitativ erheblich erweitern. Die Aufgaben können wie folgt umschrieben werden:
- Aufbau und Beschrieb eines ganzheitlichen Controllings.
- Verantwortung für Aufbau- und Ablauforganisation, Kommunikation, Zusammenarbeit und
Projektmanagement.
- Erstellen und Bewirtschaften des Budgets für die gesamte Justiz.
- 37 -
- Planung, Einführung, Betrieb und Weiterentwicklung der Informations- und Kommunikationstechnik.
- Erarbeitung von Grundsätzen des Personalmanagements, der Personalentwicklung sowie
der Aus- und Weiterbildung.
- Personalgewinnung, Personalführung und Personaleinsatzplanung des nicht richterlichen
Personals, Abstimmung mit der Planung der Geschäftsverteilung mit dem Leitungsorgan.
Diese Aufgaben erfordern Fachwissen und entsprechende Ressourcen. Sie können heute
nur teilweise wahrgenommen werden, da die entsprechenden Ressourcen fehlen. Dort wo
sie wahrgenommen werden können, werden sie auch mit grosser Kompetenz, Verantwortung und Einsatzbereitschaft geleistet.
Die Justizverwaltung muss gegenüber dem bisherigen Zustand gestärkt und mit klaren Kompetenzen versehen werden und sie muss bei den Entscheidungsprozessen in den einzelnen
Geschäftsleitungen soweit nötig und sinnvoll miteinbezogen werden. Dies ist möglich, indem
ein Vertretung der Justizverwaltung in den jeweiligen Geschäftsleitungen Einsitz nimmt.
Zur weitgehenden Entlastung der Richterinnen und Richter von administrativen Aufgaben ist
eine effiziente Justizverwaltung erforderlich; die Justizverwaltung muss ein Team von Fachleuten umfassen, namentlich für die Bereiche Organisation, Personal, Datenverarbeitung, Finanzen, Öffentlichkeitsarbeit, Archivierung sowie Planung des Raum- und Materialbedarfs.
Die notwendigen Ressourcen sind zur Verfügung zu stellen.
Vgl. dazu den folgenden Leitsatz 10 Abs. 3 gemäss Grossratsbeschluss vom 9. Mai 2000
"Die Justizverwaltung ist als Führungsinstrument für die gesamte Justiz im Kanton weiter zu
stärken." (LS 10/3)
Die Justizverwaltung wird von einem Leiter geführt. Sie wird als Stabs- wie auch als geschäftsführendes Organ für das Leitungsorgan, das Obergericht, das Spezialverwaltungsgericht, die Bezirksgerichte und die Konkursämter ausgebildet. Es wird in den folgenden Bereichen gearbeitet:
- Als Stab des Leitungsorgans: Vorbereitung der Beschlüsse.
- Als geschäftsführendes Organ: Führungsaufgaben gegenüber den Gerichtsbehörden, den
Konkursämtern und der Anwaltskommission innerhalb der Vorgaben des Leitungsorgans.
- 38 -
6.3.2
Effizienz- und Qualitätsgewinne
- Bessere und transparentere Aufteilung der Aufgaben und Kompetenzen zwischen dem
neu zu schaffenden Leitungsorgan für die Justiz und den Geschäftsleitungen der Gerichte
einerseits und der Justizverwaltung andererseits ergeben u.a. folgende Effizienz- und
Qualitätsgewinne:
· bessere Unterstützung des Betriebs der Informatikmittel
· qualitativ bessere Personalarbeit
· Optimierung und Erhalt des Know-hows des Personals
- Entlastung des Leitungsorgans und der richterlichen Behörden von administrativen Belangen.
6.3.3
Massnahmen für die Umsetzung
Die Justizverwaltung unterstützt mit personellen Ressourcen das neue Leitungsorgan, die
Aufsichtskommission, das Obergericht sowie das Spezialverwaltungsgericht und kann ihre
eigenen, gewachsenen Aufgaben quantitativ und qualitativ besser wahrnehmen. Dafür sind,
zusätzlich zu den kurzfristig notwendigen drei Stellen gemäss Ziff. I.3.2 oben, nachstehend
aufgeführte Ressourcen (Soll) notwendig. Die Stellen müssen mit dem Aufbau der neuen
Leitungsstruktur der Justiz geschaffen werden:
Ressourcenbedarf Soll
Ressourceneinsatz IST
Zusatzbedarf
Mehrkosten:
Unterstützung Leitungsorgan:

Fachpersonen 100 %

Jurist/in 25 %

Jurist/in 75 %
Fr.
120'000.00

Kanzlei 50 %

Kanzlei 20 %

Kanzlei 30 %
Fr.
30'000.00
Fr.
100'000.00
Unterstützung der Aufsichtskommission:

Externe Mitglieder

Fachpersonen 100 %

Jurist/in 25 %

Jurist/in 75 %
Fr.
120'000.00

Kanzlei 50 %

Kanzlei 15 %

Kanzlei 35 %
Fr.
35'000.00

Jurist/in 20 %

Jurist/in 30 %
Fr.
48’000.00

Kanzlei 20 %
Fr.
20’000.00
Unterstützung der Geschäftsleitung Obergericht:

Fachperson 50 %

Kanzlei 20 %
- 39 -
Ressourcenbedarf Soll
Ressourceneinsatz IST
Zusatzbedarf
Mehrkosten:
Verstärkung Justizverwaltung:

Finanzwesen

Fachperson 100 %
Fr.
160'000.00

Controllingwesen

Fachperson 100 %
Fr.
160'000.00

Projektleitungen,
Fachbeurteilungen,
Gebäude-, Büro- und
Projektmanagement

Jurist / Betriebswirtschaf- Fr.
ter 100 %
160'000.00

Rückforderungen (Inkasso)

Fachperson 100 %
Fr.
160'000.00
Fr.
1'113’000.00

Fachpersonal 150 %
insgesamt 550%
Total
6.4
665 %
Leitsätze
8.
Die Justizverwaltung wird als Führungsinstrument für die gesamte Justiz im Kanton
Aargau verstärkt.
9.
Die Justizverwaltung unterstützt das Leitungsorgan, die Aufsichtskommission, die Geschäftsleitung des Obergerichts und die Gerichte sowie die Konkursämter in den Bereichen Führung, Finanzen, Personal, Controlling, Administration, Infrastruktur, Information und Rechtsdienst.
10.
Für die Unterstützung der neuen Führungsstruktur sind bei der Justizverwaltung zusätzliche Stellenpensen von 665 % mit jährlich wiederkehrenden Kosten von
Fr. 1'113'000.00 notwendig.
7.
Struktur und Leitung des Obergerichts
7.1
Heutige Regelung und Organisation
Das Obergericht umfasst heute fünf Justizeinheiten: Zivilgericht, Handelsgericht, Strafgericht,
Sozialversicherungsgericht und Verwaltungsgericht.
Die heutigen Strukturen haben sich im Laufe der Jahrzehnte ergeben. Das ursprüngliche
Obergericht befasste sich mit dem traditionellen Zivil- und Strafrecht. Im Laufe der Zeit kamen neue Aufgaben dazu. Heute gibt es zusätzlich ein Verwaltungsgericht, ein Handelsgericht und ein Versicherungsgericht. Die Organisation der einzelnen Justizeinheiten sowie die
Modalitäten der Richterwahlen unterscheiden sich, zum Teil sachlich begründet, zum Teil
eher zufällig, vom ursprünglichen Obergericht. Die organisationsrechtlichen Bestimmungen
finden sich heute im Gerichtsorganisationsgesetz (Zivil- und Strafgericht), in der Zivilprozessordnung (Handelsgericht), im Verwaltungsrechtspflegegesetz (Verwaltungsgericht) sowie im Gerichtsorganisationsdekret.
- 40 -
Die Leitung des Gesamtobergerichts obliegt heute dem Obergerichtspräsidenten und dem
Vizepräsidenten sowie der Verwaltungskommission.
Die heutige Organisation ist mit folgenden Mängeln behaftet:
- Der Obergerichtspräsident trägt nicht nur die Verantwortung für die Leitung des Obergerichts, sondern generell für die gesamte Justiz. Es besteht die Gefahr von Interessenkonflikten.
- Mangels personeller Ressourcen ist es dem Obergerichtspräsidenten nicht möglich, die
erforderliche Zeit für die Führungsarbeit einzusetzen.
7.2
Empfehlungen PWC
In der PWC-Organisationsanalyse wird u.a. empfohlen:
- Für die Wahrnehmung der operativen Führungsaufgaben des Obergerichts ist eine Geschäftsleitung einzusetzen. In der Geschäftsleitung sollen neben dem Präsidenten und
dem Vizepräsidenten je eine Vertretung der Justizeinheiten und der Obergerichtsschreiber vertreten sein. (ME 24)
- Die Geschäftsleitung sollte u.a. folgende wichtige Aufgaben wahrnehmen: Personalfragen, Geschäftsverteilung, Jahresbericht, Vollzug und Überwachung. (ME 24)
- Zu einer der Hauptführungsaufgaben der neuen Geschäftsleitung des Obergerichts gehört
der personelle Ressourcenausgleich unter den einzelnen Kammern. (ME 32)
- 41 -
7.3
7.3.1
Neue Regelung und Organisation
Lösungsvorschlag
Schaffung einer Geschäftsleitung für das Obergericht
Zusammensetzung
-
-
Präsidenten jeder Justizeinheit (Zivilgericht, Strafgericht, Handelsgericht, Sozialversicherungsgericht und
Verwaltungsgericht). Total fünf Mitglieder.
Leiter Justizverwaltung oder eine Vertretung der Justizverwaltung (mit beratender Stimme).
Wahlgremium
Die Präsidenten der Justizeinheiten werden durch die vollund teilamtlichen Richterinnen und Richter des Obergerichts gewählt.
Amtsdauer
Vier Jahre (keine Wiederwahl)
Leitung
Die Geschäftsleitung konstituiert sich selbst.
Hauptaufgaben
-
Erarbeiten der Leistungsvorgaben zu Handen des Leitungsorgans
Kontrolle der Leistungsvorgaben und Anordnen von
Massnahmen
Zuteilung der Richterinnen und Richter sowie des übrigen Personals an die Justizeinheiten
Erstellung des Voranschlags zu Handen des Leitungsorgans
Überprüfung der Jahresrechnung zu Handen des Leitungsorgans
Jahresbericht
Kreisschreiben und Erlasse des Obergerichts im Bereich der Rechtsprechung
Bemerkungen zu Organisation und Aufgaben der Geschäftsleitung Obergericht:
- Die Mitgliedschaft in der Geschäftsleitung des Obergerichts soll auf eine Amtsdauer von
vier Jahren, ohne Möglichkeit der Wiederwahl, beschränkt werden. Dies führt zu einer
insgesamt die Effektivität steigernden Rotation in der Geschäftsleitung und damit auch bei
den Präsidien der Justizeinheiten.
7.3.2
Effizienz- und Qualitätsgewinne
- Die Geschäftsleitung des Obergerichts ist verantwortlicher Ansprechpartner des Leitungsorgans. Sie setzt die Vorgaben der obersten Führung um und unterstützt damit die Zielerreichung.
- 42 -
- Die Geschäftsleitung ist zuständig für die Verteilung der Ressourcen (Personal und
Sachmittel) innerhalb des Obergerichts. Bei ungleicher Entwicklung der Geschäftslast
kann sie frühzeitig und gegenüber heute wesentlich flexibler mit einem Ressourcenausgleich unter den verschiedenen Justizeinheiten des Obergerichts reagieren und damit die
Gesamtbelastung optimaler verteilen.
- Straffere Führung der einzelnen Justizeinheiten mit Leistungsaufträgen, Berichtswesen
und umfassendem Controlling.
- Im Gegensatz zur heutigen Verwaltungskommission ist die neue Geschäftsleitung ein Organ, das sich ausschliesslich mit den Belangen des Obergerichts befassen kann.
- Entlastung von Aufsichtsaufgaben; die nicht in der Geschäftsleitung vertretenen Richter
können sich voll auf die Rechtsprechung konzentrieren.
7.3.3
Massnahmen für die Umsetzung
Für die Führung der Geschäftsleitung des Obergerichts (Präsidium und Vizepräsidium) wird
ein Stellenpensum von 20 % benötigt. Der Einsatz des Obergerichtspräsidenten für die Belange des Obergerichts beläuft sich heute auf 10 %.
Die übrigen Ressourcen werden durch die Justizverwaltung zur Verfügung gestellt. Diese
sind aber noch nicht im erforderlichen Masse vorhanden und müssen erst noch bewilligt
werden (vgl. auch Ziffer 3.3).
Als Hauptaufgaben der Geschäftsleitung sind insbesondere zu erwähnen:
auf Präsidiumsebene:
- Führen des Obergerichts
- Vorbereitung und Leitung der Sitzungen der Geschäftsleitung
- Umsetzung der Beschlüsse der Geschäftsleitung
- Jahresbericht des Obergerichts
- Publikation von Gerichtsentscheiden
- Personaleinsatz und Personalbetreuung
auf Sachbearbeiterebene:
- Aufbereiten der Geschäfte für die Geschäftsleitung
- Abklärungen für das Präsidium der Geschäftsleitung
- Bearbeitung von Kreisschreiben für die Rechtsprechung
- Berichte und Vernehmlassungen verfassen und die damit verbundenen Abklärungen vornehmen
- Erarbeitung der Grundlagen für die Festlegung von Leistungsvorgaben
- Protokollführung in der Geschäftsleitung
- 43 -
Zusammengefasst ergibt sich der folgende Zusatzbedarf für die Geschäftsleitung des Obergerichts:
Ressourcenbedarf Soll
Ressourceneinsatz IST
Zusatzbedarf

Obergerichtspräsident 10 %

Präsident 10 %

Jurist/in 20 %

Jurist/in 30 %

Kanzlei 20 %
Geschäftsleitung Obergericht:

Präsident 20 %
Justizverwaltung:

Fachperson 50 %

Kanzlei 20 %
7.4
Leitsätze
11.
Für das Obergericht wird eine Geschäftsleitung eingesetzt, die aus den Präsidentinnen
und Präsidenten des Zivilgerichts, Strafgerichts, Handelsgerichts, Sozialversicherungsgerichts und Verwaltungsgerichts und einer Vertretung der Justizverwaltung (mit
beratender Stimme) besteht.
12.
Die Geschäftsleitung des Obergerichts erledigt alle Verwaltungshandlungen für das
Obergericht und führt die einzelnen Justizeinheiten mit Leistungsvorgaben, insbesondere im Hinblick auf die Verfahrensdauer.
Die Geschäftsleitung ist verantwortlich für den Aufbau und Betrieb eines umfassenden
Controllings (Ziele, Kennzahlen, Berichte und laufende Steuerung) über sämtliche Aufgaben des Obergerichts.
13.
8.
8.1
Für das Präsidium der Geschäftsleitung ist ein zusätzliches Stellenpensum von 10 %
mit jährlich wiederkehrenden Kosten von Fr. 32'000.00 notwendig.
Struktur und Leitung der Spezialverwaltungsgerichte
Heutige Regelung und Organisation
Es bestehen fünf eigenständige Spezialverwaltungsgerichte: Steuerrekursgericht, Schätzungskommission nach Baugesetz, Landwirtschaftliche Rekurskommission, Rekursgericht
im Ausländerrecht, Personalrekursgericht.
Die Organisation der einzelnen Spezialverwaltungsgerichte ist in diversen Einzelerlassen geregelt, namentlich im Baugesetz, im Landwirtschaftsgesetz, im Einführungsgesetz zum Ausländerrecht, im Steuergesetz, im Personalgesetz, im Verwaltungsrechtspflegegesetz sowie
im Gerichtsorganisationsgesetz.
- 44 -
Grundsätzlich ist jedes Gericht selbständig. Wichtige Entscheide werden aber durch die Präsidentenkonferenz (informelle Geschäftsleitung) gefällt.
Die heutige Organisation ist mit Mängeln behaftet:
- Richterinnen und Richter werden durch die Wahl einem der fünf Gerichte zugewiesen.
Eine gegenseitige Stellvertretung der Präsidenten und ein Einsatz der nebenamtlichen
Fachrichter in verschiedenen Gerichten ist nur durch Beschluss des Grossen Rats möglich. Dadurch ist eine flexibler Einsatz der Richterinnen und Richter analog zum Obergericht nicht möglich.
- Jedes Gericht hat seine eigene Kanzlei und sein eigenes Rechnungswesen.
8.2
Empfehlungen PWC
In der PWC-Organisationsanalyse wird u.a. empfohlen:
- Eine Zusammenlegung der fünf Gerichte zu einem Kantonalen Spezialverwaltungsgericht
scheint aus heutiger Sicht nicht unbedingt notwendig, wenn die informelle Führungssituation und der gegenseitige freiwillige Support institutionalisiert werden. (ME 9)
- Die informelle Geschäftsleitung soll durch eine formelle Geschäftsleitung abgelöst werden. (ME 9)
- Eine Stellvertretungsregelung ist für alle Präsidenten zu definieren. (ME 9)
- Im Bereich Gerichtsschreiber und Kanzleimitarbeitende muss eine gewisse Durchlässigkeit geschaffen werden. (ME 9)
- Die Kapazitäten für die Wahrnehmung der Geschäftsleitungsaufgaben sind zu definieren.
(ME 25)
- Eine generelle Personalaufstockung ist nicht erforderlich. (ME 33)
8.3
8.3.1
Neue Regelung und Organisation
Lösungsvorschlag
Schaffung eines Kantonalen Spezialverwaltungsgerichts mit verschiedenen Kammern unter Einsetzung einer Geschäftsleitung.
Vgl. dazu den folgenden Leitsatz 8 Abs. 3 gemäss Grossratsbeschluss vom 9. Mai 2000:
"Zur Entlastung des Obergerichts und einzelner Verwaltungsbehörden ist für die Verwaltungsrechtspflege ein Kantonales Spezialverwaltungsgericht zu schaffen." (LS 8/3)
- 45 -
Die Struktur aller Gerichte im Aargau wird einfacher und übersichtlicher, wenn Obergericht
und Spezialverwaltungsgerichte grundsätzlich gleich strukturiert sind. Die Zusammenlegung
der bestehenden fünf Gerichte bietet den Vorteil, dass das Gebilde "Spezialverwaltungsgericht" homogener erscheint und dessen Zuständigkeiten einfacher geregelt werden können.
Ausserdem ist davon auszugehen, dass die Führungsstruktur einfacher und straffer ausgestaltet werden kann. Die von der PWC vorgeschlagenen Einzelmassnahmen verfolgen zwar
das gleiche Ziel wie die Zusammenlegung, sind aber zuwenig konsequent.
Schaffung einer Geschäftsleitung:
Zusammensetzung
-
Kammerpräsidenten
-
Vertretung der Justizverwaltung (mit beratender Stimme).
Wahlgremium
Die Kammerpräsidenten werden vom Grossen Rat gewählt (damit bestimmt der Grosse Rat indirekt auch die
Zusammensetzung der Geschäftsleitung).
Amtsdauer
Keine Amtszeitbeschränkung
Leitung
Die Geschäftsleitung konstituiert sich selbst.
Hauptaufgaben
-
Erarbeiten der Leistungsvorgaben zu Handen des Leitungsorgans
-
Kontrolle der Leistungsvorgaben und Anordnen von
Massnahmen
-
Zuteilung der Richterinnen und Richter sowie des übrigen Personals an die Kammern
-
Erstellung des Budgets zu Handen des Leitungsorgans
-
Überprüfung der Jahresrechnung zu Handen des Leitungsorgans
-
Jahresbericht
Bemerkungen zu Organisation und Aufgaben der Geschäftsleitung Spezialverwaltungsgericht:
- An den bestehenden fünf Spezialverwaltungsgerichten sind derzeit vier voll- bzw. teilamtliche, vom Grossen Rat gewählte Richter tätig. Mit dem Zusammenschluss zu einem Spezialverwaltungsgericht mit Kammernsystem werden die bisherigen Präsidenten der einzelnen Gerichte zu Kammerpräsidenten, ebenfalls vom Grossen Rat gewählt. Die übrigen
Richter sind sowohl heute als auch inskünftig nebenamtlich tätig. Es liegt auf der Hand,
dass die Geschäftsleitung des neuen Spezialverwaltungsgerichts sich aus den Kammernpräsidenten zusammensetzt.
- 46 -
- Eine Amtszeitbeschränkung ist unter diesen Rahmenbedingungen nicht notwendig. Die
Mitgliedschaft in der Geschäftsleitung dauert so lange, wie das Richteramt selbst.
8.3.2
Effizienz- und Qualitätsgewinne
- Die Geschäftsleitung des Spezialverwaltungsgerichts ist verantwortlicher Ansprechpartner
des Leitungsorgans. Sie setzt die Vorgaben der obersten Führung um und unterstützt
damit die Zielerreichung.
- Die Geschäftsleitung ist zuständig für den Einsatz der Richterinnen und Richter in den
einzelnen Kammern und für die Verteilung der weiteren Ressourcen (übriges Personal
und Sachmittel) innerhalb des Spezialverwaltungsgerichts. Bei ungleicher Entwicklung der
Geschäftslast kann sie frühzeitig und gegenüber heute wesentlich flexibler mit einem
Ressourcenausgleich unter den verschiedenen Kammern reagieren und damit die Gesamtbelastung optimaler verteilen.
- Straffere Führung der einzelnen Kammern mit Leistungsaufträgen, Berichtswesen und
umfassendem Controlling.
- Ein Gericht mit Kammern, gemeinsamer Kanzlei und einem Rechnungswesen ist einfacher zu leiten (nur eine Ansprechperson, eine Buchhaltung etc.). Fehlerquellen werden
reduziert.
8.3.3
Massnahmen für die Umsetzung
Für die Führung der neuen Geschäftsleitung des Spezialverwaltungsgerichts (Präsidium)
wird im Rahmen des bestehenden Stellenplans ein Stellenpensum von 10 % eingesetzt.
8.4
Leitsätze
14.
Die bestehenden fünf Spezialverwaltungsgerichte werden zu einem Kantonalen Spezialverwaltungsgericht mit Kammern sowie mit einer zentralen Kanzlei und zentraler
Rechnungsführung zusammengefasst.
15.
Für das Kantonale Spezialverwaltungsgericht wird eine Geschäftsleitung, bestehend
aus den Kammerpräsidenten, eingesetzt.
16.
Die Geschäftsleitung des Spezialverwaltungsgerichts führt die einzelnen Kammern mit
Leistungsvorgaben, insbesondere im Hinblick auf die Verfahrensdauer.
Die Geschäftsleitung ist verantwortlich für den Aufbau und Betrieb eines umfassenden
Controllings (Ziele, Kennzahlen, Berichte und laufende Steuerung) über sämtliche Aufgaben des Spezialverwaltungsgerichts.
- 47 -
9.
9.1
Finanzielle und personelle Konsequenzen
Überblick
Eine Neuorganisation und die Umsetzung der Massnahmen aus dem PWC Bericht sind nicht
ohne zusätzliche Kosten zu erreichen. Für die Erfüllung der in den letzten Jahren angestiegenen Aufgabenfülle wurden nur unzureichend Ressourcen zugesprochen. Eine Umlagerung
ist nicht möglich, da bei den Justizbehörden keine Aufgaben weggefallen sind, sondern immer wieder neue hinzukommen oder aber prozessrechtliche Verfahren so ausgebaut werden, dass der Aufwand damit erhöht wird. Damit die Judikative ihren verfassungsmässigen
Auftrag in hoher Qualität und zeitgerecht erfüllen kann, müssen ihr die notwendigen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Gemäss geltendem Staatsrecht und konstanter
Rechtsprechung des Bundesgerichts sind die politischen Behörden verpflichtet, der dritten
Gewalt die notwendigen Ressourcen zur Verfügung zu stellen.
Die Massnahmen gemäss den Ziffern 1 bis 5 ergeben insgesamt den folgenden Personalbedarf und die entsprechenden jährlich wiederkehrenden Mehrkosten (Lohn plus Gemeinkostenzuschlag 40 %):
Leitungsstruktur Gesamtjustiz
Ressourcenbedarf Soll
Ressourceneinsatz IST
Zusatzbedarf
Mehrkosten
 (Vice)Präsidium 60 %
Obergerichtspräsident 20 %
Präsidium 40 %
Fr.
128'000.00
 Fachpersonen 100 %
Jurist/in 25 %
Jurist/in 75 %
Fr.
120'000.00
 Kanzlei 50 %
Kanzlei 20 %
Kanzlei 30 %
Fr.
30'000.00
 Präsident 50 %
Präsident Inspektionskommission 5 %
Präsident 50 %
Fr.
160’000.00
 Externe Mitglieder
--
Fr.
100'000.00
 Fachpersonen 100 %
Jurist/in 25 %
Jurist/in 75 %
Fr.
120'000.00
 Kanzlei 50 %
Kanzlei 15 %
Kanzlei 35 %
Fr.
35'000.00
Fachpersonen 150 %
Fachpersonal 400 %
Fr.
640'000.00
Fr.
1'333’000.00
Leitungsorgan:
Aufsichtskommission:
Justizverwaltung:
Finanz- und Controllingwesen, Projektleitungen, Fachbeurteilungen, Gebäude-,
Büro- und Projektmanagement sowie Rückforderungen (Inkasso)
insgesamt 550 %
Total Kosten
- 48 -
Leitungsstruktur Obergericht
Ressourcenbedarf Soll
Ressourceneinsatz IST
Zusatzbedarf
Mehrkosten
 Präsident 20 %
Obergerichtspräsident 10 %
Präsident 10 %
Fr.
32'000.00
 Fachperson 50 %
Jurist/in 20 %
Jurist/in 30 %
Fr.
48'000.00
 Kanzlei 20 %
--
Kanzlei 20 %
Fr.
20'000.00
Fr.
100’000.00
Geschäftsleitung Obergericht:
Total Kosten
Zusammengefasst ergibt sich ein zusätzlicher Personalbedarf von 7.65 Stellen, davon
1 Richter/in, 5.8 Fachpersonal (Jurist/in, Betriebswirtschafter/in) und 0.85 Kanzleipersonal.
Dadurch werden jährlich wiederkehrende Mehrkosten von rund 1,45 Millionen Franken entstehen (Leitsatz 17).
Die Neuordnung der Leitungsstrukturen und der Aufsicht ermöglichen es der Aargauer Justiz, die Gerichte insgesamt straffer zu führen und die grösser und anspruchsvoller geordneten Aufgaben qualitativ gut und innert kürzerer Fristen zu erfüllen.
Es wird eine vordringliche Aufgabe des neuen Leitungsorgans sein, für Gerichte, bei denen
die Dauer einzelner Verfahren übermässig lang ist, Leistungsvorgaben festzulegen, und deren Erfüllung durch die Aufsichtskommission kontrollieren zu lassen. Damit und durch eine
flexiblere Verteilung der Personalressourcen wird es gelingen, die Dauer der Verfahren in
den oft und mit Recht kritisierten Bereichen, zu verkürzen (Leitsatz 18).
Im Jahre 2002 betrugen die Ausgaben des Obergerichts, der Spezialverwaltungsgerichte,
der Bezirksgerichte und der Friedensrichter gemäss Staatsrechnung rund 50 Mio. Franken.
Demgegenüber stehen Einnahmen von rund 14 Mio. Franken. Der Kostendeckungsgrad beträgt demnach knapp 30 %, wobei hier verschiedene kalkulatorische Kosten noch nicht berücksichtigt sind. Da die Gerichte heute noch keine Kostenleistungsrechnung führen, kann
der effektive Kostendeckungsgrad nur ungefähr geschätzt werden. Er dürfte deutlich unter
30 % liegen.
Die Einnahmen der Gerichte bestehen grösstenteils aus den Gerichtsgebühren (gestützt auf
das Verfahrenskostendekret) und den Kanzleigebühren. Mit punktuellen Anpassungen einzelner Gebührenpositionen (vorwiegend im Bereich des Zivilrechts) sollen die durch die neue
Leitungsstruktur verursachten Mehrkosten ausgeglichen werden (Leitsatz 19).
Die Stellen und Kredite sind nach Schaffung der Rechtsgrundlagen für die neue Führungsorganisation mit den Voranschlägen zu beantragen und zu bewilligen (Leitsatz 20).
- 49 -
9.2
Leitsätze
17.
Für die Strukturreform gemäss dem Bericht der Firma PricewaterhouseCoopers AG
(Einführung eines Leitungsorgans, einer Aufsichtkommission und einer Geschäftsleitung für das Obergericht sowie die Verstärkung der Justizverwaltung) ist mit jährlich
wiederkehrenden Kosten von rund 1.45 Mio. Franken zu rechnen.
18.
Für Gerichte, bei denen die Dauer einzelner Verfahren übermässig lang ist, wird das
Leitungsorgan mit erster Priorität Massnahmen treffen. Die Einhaltung der angeordneten Massnahmen ist durch die Aufsichtskommission zu kontrollieren.
19.
Die Gebührenansätze im Verfahrenskostendekret werden angehoben, damit sich der
Kostendeckungsgrad der Justiz trotz Mehraufwand insgesamt nicht vermindert.
20.
Die Stellen und Kredite sind nach Schaffung der Rechtsgrundlagen für die neue Führungsorganisation mit den Voranschlägen zu beantragen und zu bewilligen.
10.
Weiteres Vorgehen
Die Schaffung einer neuen Führungsorganisation für die gesamte Justiz sowie die Neuregelung der Aufsicht bedingt eine Teilrevision der Kantonsverfassung sowie eine Totalrevision
des Gerichtsorganisationsgesetzes und des Gerichtsorganisationsdekrets.
In einer ersten Phase ist gestützt auf die vom Grossen Rat beschlossenen Leitsätze ein
Normkonzept zu erarbeiten. Das Normkonzept verfeinert die aus den Leitsätzen fliessende
Hauptstossrichtung und bildet die Grundlage für die anschliessende Entwurfsphase.
Zeitplan:
2004
Aktivität
Normkonzept
Vernehmlassungsentwurf
Vernehmlassung / Auswertung
GR 1. Lesung
GR 2. Lesung
Referendumsfrist
Inkrafttreten
Q1
Q2
xx
xx
2005
Q3
Q4
Q1
xx
xx
xx
Q2
Q3
xx
xx
2006
Q4
Q1
xx
xx
Q2
Q3
xx
xx
2007
Q4
Q1
Q2
Q3
Q4
xx
xx
Die neue Führungsorganisation wird voraussichtlich auf 2007 umgesetzt werden können.
Entsprechend sind auch die zusätzlichen Stellen und Ausgaben sowie die Mehreinnahmen
durch Gebührenerhöhungen ab 2007 in den Finanzplan aufzunehmen. Der Zeitpunkt, in welchem die zusätzlichen Ressourcen bewilligt werden können, ist von der Entwicklung des
kantonalen Finanzhaushalts abhängig.
- 50 -
Leitsatz
21.
Der Zeitpunkt für die Bewilligung der zusätzlichen Ressourcen hängt von der Entwicklung des kantonalen Finanzhaushalts ab.
Gestützt auf den vorliegenden Bericht stellen wir Ihnen folgenden
Antrag:
1.
Von den Massnahmen und Empfehlungen der Organisationsanalyse der PWC und der Stellungnahme des Regierungsrats wird Kenntnis genommen.
2.
Den folgenden Leitsätzen zu den prioritären Massnahmen und Empfehlungen wird zugestimmt:
Leitungsstruktur für die Justiz im Kanton Aargau:
1.
Für die Justiz im Kanton Aargau wird ein neues Leitungsorgan geschaffen, das Vertretungen des Obergerichts, des Spezialverwaltungsgerichts, der Bezirksgerichte und der
Justizverwaltung (beratende Stimme) umfasst.
2.
Das Leitungsorgan vertritt die Justiz im Kanton Aargau nach aussen, übt die direkte
Aufsicht über alle Gerichte und die administrative Aufsicht über die Konkursämter aus
und führt diese mit Leistungsvorgaben, insbesondere in Bezug auf die Verfahrensdauer.
Das Leitungsorgan ist verantwortlich für den Aufbau und Betrieb eines umfassenden
Controllings über sämtliche Aufgaben (Ziele, Kennzahlen, Berichte und laufende Steuerung).
3.
Für das Präsidium und das Vizepräsidium ist ein zusätzliches Stellenpensum von 40 %
mit jährlich wiederkehrenden Kosten von Fr. 130'000.00 notwendig.
- 51 -
Neuordnung der Aufsicht:
4.
Die Oberaufsicht über die aargauische Justiz wird vom Grossen Rat, die direkte Aufsicht durch das Leitungsorgan ausgeübt.
Disziplinarentscheide des Leitungsorgans sind an das kantonale Spezialverwaltungsgericht weiterziehbar.
5.
Das Leitungsorgan wählt eine Aufsichtskommission, bestehend aus einer Vertretung
des Obergerichts, des Spezialverwaltungsgerichts, der Bezirksgerichte, der Justizverwaltung und der Konkursämter sowie zwei Fachpersonen aus dem Bereich Finanzund Personalwesen.
6.
Die Aufsichtskommission nimmt im Auftrag des Leitungsorgans die interne Aufsicht
über die Gerichtsbehörden, die Konkursämter und die Anwaltskommission wahr. Sie
überprüft namentlich die Einhaltung der Leistungsvorgaben, die Führung der einzelnen
Justizeinheiten sowie den wirtschaftlichen Einsatz von Finanzen, Personal, Raum und
Informatik.
Sie berichtet dem Leitungsorgan über die Ergebnisse der Aufsichtstätigkeit und stellt
Anträge bezüglich notwendiger Massnahmen.
7.
Für das Präsidium ist ein zusätzliches Stellenpensum von 50 % mit jährlich wiederkehrenden Kosten von Fr. 160'000.00 notwendig.
Struktur und Aufgaben der Justizverwaltung:
8.
Die Justizverwaltung wird als Führungsinstrument für die gesamte Justiz im Kanton
Aargau verstärkt.
9.
Die Justizverwaltung unterstützt das Leitungsorgan, die Aufsichtskommission, die Geschäftsleitung des Obergerichts und die Gerichte sowie die Konkursämter in den Bereichen Führung, Finanzen, Personal, Controlling, Administration, Infrastruktur, Information und Rechtsdienst.
10.
Für die Unterstützung der neuen Führungsstruktur sind bei der Justizverwaltung zusätzliche Stellenpensen von 665 % mit jährlich wiederkehrenden Kosten von
Fr. 1'133'000.00 notwendig.
Struktur und Leitung des Obergerichts:
11.
Für das Obergericht wird eine Geschäftsleitung eingesetzt, die aus den Präsidentinnen
und Präsidenten des Zivilgerichts, Strafgerichts, Handelsgerichts, Sozialversicherungsgerichts und Verwaltungsgerichts und einer Vertretung der Justizverwaltung (mit
beratender Stimme) besteht.
- 52 -
12.
Die Geschäftsleitung des Obergerichts erledigt alle Verwaltungshandlungen für das
Obergericht und führt die einzelnen Justizeinheiten mit Leistungsvorgaben, insbesondere im Hinblick auf die Verfahrensdauer.
Die Geschäftsleitung ist verantwortlich für den Aufbau und Betrieb eines umfassenden
Controllings (Ziele, Kennzahlen, Berichte und laufende Steuerung) über sämtliche Aufgaben des Obergerichts.
13.
Für das Präsidium der Geschäftsleitung ist ein zusätzliches Stellenpensum von 10 %
mit jährlich wiederkehrenden Kosten von Fr. 32'000.00 notwendig.
Struktur und Leitung der Spezialverwaltungsgerichte
14.
Die bestehenden fünf Spezialverwaltungsgerichte werden zu einem Kantonalen Spezialverwaltungsgericht mit Kammern sowie mit einer zentralen Kanzlei und zentraler
Rechnungsführung zusammengefasst.
15.
Für das Kantonale Spezialverwaltungsgericht wird eine Geschäftsleitung, bestehend
aus den Kammerpräsidenten, eingesetzt.
16.
Die Geschäftsleitung des Spezialverwaltungsgerichts führt die einzelnen Kammern mit
Leistungsvorgaben, insbesondere im Hinblick auf die Verfahrensdauer.
Die Geschäftsleitung ist verantwortlich für den Aufbau und Betrieb eines umfassenden
Controllings (Ziele, Kennzahlen, Berichte und laufende Steuerung) über sämtliche Aufgaben des Spezialverwaltungsgerichts.
Finanzielle und personelle Konsequenzen:
17.
Für die Strukturreform gemäss dem Bericht der Firma PricewaterhouseCoopers AG
(Einführung eines Leitungsorgans, einer Aufsichtkommission und einer Geschäftsleitung für das Obergericht sowie die Verstärkung der Justizverwaltung) ist mit jährlich
wiederkehrenden Kosten von rund 1.45 Mio. Franken zu rechnen.
18.
Für Gerichte, bei denen die Dauer einzelner Verfahren übermässig lang ist, wird das
Leitungsorgan mit erster Priorität Massnahmen treffen. Die Einhaltung der angeordneten Massnahmen ist durch die Aufsichtskommission zu kontrollieren.
19.
Die Gebührenansätze im Verfahrenskostendekret werden angehoben, damit sich der
Kostendeckungsgrad der Justiz trotz Mehraufwand insgesamt nicht vermindert.
20.
Die Stellen und Kredite sind nach Schaffung der Rechtsgrundlagen für die neue Führungsorganisation mit den Voranschlägen zu beantragen und zu bewilligen.
21.
Der Zeitpunkt für die Bewilligung der zusätzlichen Ressourcen hängt von der Entwicklung des kantonalen Finanzhaushalts ab.
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Aarau, 29. Oktober 2003
IM NAMEN DES REGIERUNGSRATS
Landammann:
Peter C. Beyeler
Staatsschreiber:
Marc Pfirter
Beilage:
 Massnahmen und Empfehlungen der Organisationsanalyse mit Stellungnahme Regierungsrat
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