Evolution im Reagenzglas

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Angew. Chem. 2001, 113 (18), 3503 – 3505
Nr. 18/2001
Evolution im Reagenzglas
Enzymoptimierung durch genetische Selektion
Alle Lebewesen unterliegen dem langsamen und kontinuierlichen Prozess der Evolution.
In sich wiederholenden Zyklen von Mutation, Selektion und Vervielfältigung reichern sich so
neue Merkmale, die einen Vorteil unter den vorherrschenden Umweltbedingungen verschaffen, in einer Population von Organismen an. Auch die Züchtung von Pflanzen und Tieren mit
nützlichen Eigenschaften ist im Prinzip nichts anderes als eine vom Menschen gelenkte Evolution. „In neuerer Zeit haben Biologen und Chemiker nun begonnen, die Eigenschaften einzelner Moleküle an Stelle ganzer Organismen mit evolutionären Strategien gezielt zu verändern,“ berichtet Donald Hilvert, Chemiker an der ETH Zürich.
Wie funktioniert die „Evolution im Reagenzglas“ und was bringt sie? Hilvert erläutert
das an einem Beispiel: Zusammen mit seinen Mitarbeitern Sean Taylor und Peter Kast hat er
genetisch veränderte Hefe- und Kolibakterienstämme erzeugt, denen ein wichtiges Enzym
fehlt, die so genannte Chorismat-Mutase. Das Enzym katalysiert eine für die Biosynthese
aromatischer Aminosäuren essentielle Reaktion. Diese Mikroorganismen sind daher nur lebensfähig, wenn ihnen die fehlenden aromatischen Aminosäuren von außen zugefüttert werden. In die defekten Zellen schleusen die Forscher verschiedene, zufällig mutierte ChorismatMutase-Gene ein. In einem Medium, das keine aromatischen Aminosäuren enthält, überleben
und vermehren sich dann nur die Zellen, die eine funktionstüchtige Variante erwischt haben.
Eine sehr große Zahl an Mutanten lässt sich so parallel auf Funktionstüchtigkeit untersuchen.
Auf diese Weise findet man zum Beispiel heraus, welche Strukturelemente des Enzyms empfindlich auf Veränderungen der Sequenz reagieren, oder welche Bausteine des an der Reaktion beteiligten aktiven Zentrums des Enzyms sind. Wichtige Erkenntnisse über die Zusammenhänge zwischen Struktur und Funktion von Enzymen werden so gewonnen.
Erkenntnisgewinn ist aber nicht alles. Evolutionäre Methoden eignen sich auch zum Design neuartigen Enzyme. Hilvert: „Die eigentliche darwinistische Evolution besteht aus vielen
Zyklen von Mutation und Selektion. Dieser Prozess kann im Labor nachgeahmt werden, um
die Eigenschaften eines Enzyms gezielt für eine praktische Anwendung maßzuschneidern.
Beispielsweise kann die Selektivität eines Enzyms verändert werden, so dass es andere Substanzen als Substrat akzeptiert – interessant vor allem für die enzymatische („grüne“) Produktion von Chemikalien, die nicht zum Repertoire des natürlichen Enzyms gehören.“
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