1 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. E-Book-Ausgabe: ISBN 978-3-89969-112-2 Copyright © 2011 by PRINCIPAL Verlag, Münster/Westf. Print-Ausgabe: Überarbeitete Auflage Erstausgabe: 1991 Benziger Verlag AG Zürich ISBN 3-545-25080-6 Taschenbuchausgabe: 1993 Goldmann Verlag ISBN 3-442-12444-1 ISBN 978-3-89969-085-9 Copyright © 2009 by PRINCIPAL Verlag, Münster/Westf. www.principal.de Alle Rechte vorbehalten Printed in Germany 2 Eleonore Bock Die Mystik in den Religionen der Welt PRINCIPAL VERLAG 3 Anmerkung des Verlags: Die in der Print-Ausgabe vorhandenen Leerseiten wurden in der E-Book-Ausgabe mit Rücksicht auf die Konsistenz der Seitenangaben im Register beibehalten. 4 Dem Andenken Albert Schweitzers gewidmet 5 6 Vorwort Mit diesem Buch wird der Versuch unternommen, eine leicht verständliche Einführung in ein weites Gebiet des menschlichen Geisteslebens zu geben. Das Hauptanliegen ist die Beschreibung der vier großen Religionen Hinduismus, Buddhismus, Islam und Christentum und der mit ihnen verbundenen mystischen Strömungen. Da der Begriff der »Mystik« im heutigen Sprachgebrauch überaus uneinheitlich verwendet wird, wird er auf seinen ursprünglichen Inhalt zurückgeführt und klar definiert. Dadurch ergibt sich eine Abgrenzung zu manchen anderen Erfahrungen, die oft als »mystisch« bezeichnet werden, aber außerhalb der hier gewählten Definition liegen. Die indische religiöse Denkweise kommt nicht nur im Hinduismus und Buddhismus zum Ausdruck (vom Jainismus sei abgesehen), sondern ist stark auch von den Yoga-Lehren geprägt worden, welche in einer Parallelentwicklung entstanden sind. Diese können teils als religiös gefärbte, teils als areligiöse Mystik aufgefasst werden, sofern man von den mehr technischen Anfangsstufen zu den höheren Bewusstseinsebenen vordringt. Das gewählte Thema wurde daher durch den Abschnitt »Yoga« erweitert. Eine isolierte Betrachtung des Islams und des Christentums ohne Berücksichtigung des Judaismus und der griechischen Philosophie hätte ein nur sehr unvollständiges Bild ergeben. Das Christentum hat vom Judaismus die Heilige Schrift und wesentliche Inhalte der Lehre übernommen. Es hat weiterhin in einer jahrhundertelangen Auseinandersetzung mit der griechischen Philosophie gestanden und von dieser zahlreiche Ideen und Denkmethoden entlehnt. Und schließlich wurde die mittelalterliche christliche Mystik erst durch die mystische Philosophie des Neuplatonismus eigentlich ins Leben gerufen. Der Islam entstand in einem Milieu, in dem neben den arabischen Stämmen eine starke jüdische Minderheit anwesend war, außerdem bestanden Beziehungen zum christlichen Äthiopien. So lassen sich denn auch viele jüdische und manche christliche Züge in der Religion Muhammads nachweisen. Nach der Berührung mit Byzanz hat auch der Islam sich mit der griechischen Philosophie beschäftigen müssen. Im Mittelmeerraum besteht somit ein ausgedehntes Ideengeflecht zwischen der Philosophie und den dortigen Hauptreligionen. Anscheinend hat der indische Kulturkreis kaum etwas zu diesen Entwicklungen beigetragen, wie aus dem fast völligen Fehlen von Berichten über Indien im Altertum zu schließen ist. Doch dürfte die Ausdehnung des Alexanderreiches bis nach Nordindien auch bis zu einem gewissen Grade zu 7 einem kulturellen Austausch geführt haben, der wohl in beiden Richtungen verlaufen sein wird. Die indischen Denker haben aber ihre religiösen, mystischen und philosophischen Systeme zweifellos im Wesentlichen selbstständig (und z. T. vor der Alexanderzeit) entwickelt. Das vorliegende Buch will in keinem der verschiedenen Abschnitte eine ausführliche Darstellung des behandelten Gebietes geben. Es wird vielmehr versucht, anhand von ausgewählten Beispielen die wichtigsten Entwicklungen anzudeuten. Die Ausführungen sind für den interessierten Laien gedacht; dem Fachmann können und wollen sie nichts bieten. Die Literatur der besprochenen Gebiete ist für den Einzelnen nicht mehr übersehbar. Es werden daher nur verhältnismäßig wenige Werke nach subjektiver Auswahl angeführt. Herr Dr. Syed Laik Ali und Frau Rafia Ali (Bad Vilbel), Herr A. Marck (Moledet/Israel), Frau L. Noam (St. Legier) sowie Herr W.G. Prins (Chailly sur Clarens) hatten die Güte, einzelne Kapitel kritisch durchzusehen, sind aber selbstverständlich für Mängel im Plan und in der Ausführung des Werkes nicht verantwortlich. Herr G. de Beauclair (Freiburg/Br.), Frau I. Fresenius (Wiesbaden) und Herr D. Saur (Mainz) waren in liebenswürdiger Weise anderweitig behilflich. Infolge schwerer Erkrankung konnte ich das Manuskript nicht druckfertig erstellen; diese Aufgabe übernahm mein Mann. Allen Genannten sei auch an dieser Stelle herzlich gedankt. Freiburg im Breisgau, Frühjahr 1990 E.B. Vorwort zur 2. Auflage Die Autorin konnte noch an Vorbereitungen zur 2. Auflage ihres Buches teilnehmen, aber nicht mehr aktiv daran mitarbeiten. Es wurden einige Ergänzungen angebracht - Chandogya-Upanishad VI, 1-16; Neufassung des Kapitels »Taoismus«; Suhrawardi, Lull, Margarita Porete, Granum sinapis. Die Ausführungen über Ramon Lull wurden einem unpublizierten Manuskript der Autorin entnommen. Durch Kürzungen konnte der Zuwachs des Werkes begrenzt werden. Rudolf Bock Bad Krozingen im Frühjahr 2009 8 Inhalt Vorwort 7 1. Einleitung; Definitionen der Mystik; Verhältnis von Religion und Mystik 1.1 Allgemeines 1.2 Definitionen der Mystik 15 15 17 1.3 Verhältnis von Religion und Mystik 22 1.4 Aktives oder kontemplatives Leben 23 2. Hinduismus 27 2.1 Geschichtliches 2.2 Allgemeines; Schrifttum des Hinduismus 27 29 2.3 Götter des neueren Hinduismus 35 2.4 Die wichtigsten philosophischen Systeme 2.4.1 Übersicht 36 36 2.4.2 Samkhya und Yoga 37 2.4.3 Vaisheshika und Nyaya 2.4.4 Mimamsa und Vedanta 2.5 Hinduistische Mystik und hinduistische Mystiker 39 41 44 2.5.1 Übersicht 44 2.5.2 Die Upanishaden 2.5.3 Die Bhagavadgita 45 52 2.5.4 Shankara 55 2.5.5 Ramakrishna 57 3. Yoga 62 3.1 Einführung 62 3.2 Die wichtigsten Begriffe und Techniken des Yoga 3.3 Verschiedene Yoga-Systeme 63 71 3.3.1 Übersicht 71 3.3.2 Raja-Yoga; das Yoga-Sutra des Patanjali 3.3.3 Jnana-Yoga 72 80 3.3.4 Bhakti-Yoga 3.3.5 Karma-Yoga 82 85 9 3.3.6 Kundalini-Yoga (Laya-Yoga) 3.3.7 Hatha-Yoga 88 91 3.3.8 Mantra-Yoga (Japa-Yoga) 3.3.9 Weitere Yoga-Arten 95 97 3.4 Yoga, Religion und Mystik 3.5 Yoga und der Westen 98 100 4. Buddhismus 4.1 Leben des Buddha 105 105 4.2 Die Lehre des Buddha 105 4.2.1 Allgemeines 105 4.2.2 Die vier edlen Wahrheiten 106 4.2.3 Der achtfache Pfad und die fünf Gebote; Versenkungstechniken 107 4.2.4 Philosophische Lehren 116 4.2.5 Ausbreitung des Buddhismus nach dem Tode des Buddha 120 4.3 Hinayana 121 4.3.1 Entwicklung der Lehre 121 4.3.2 Mönchsorden und Laiengemeinschaften 123 4.3.3 Schrifttum des Hinayana 124 4.4 Mahayana 125 4.4.1 Weiterentwicklung der Lehre 125 4.4.2 Die Madhyamika-Schule; Nagarjuna 130 4.4.3 Die Yogacara-Schule 134 4.4.4 Vajrayana 137 4.4.5 Entwicklung des Mahayana in China 138 4.4.6 Entwicklung des Mahayana in Japan; Zen 140 4.4.7 Entwicklung des Mahayana in Tibet; das Totenbuch 143 4.4.8 Schrifttum des Mahayana und des Vajrayana 154 5. Taoismus 158 5.1 Einführung; Konfuzius 158 5.2 Lao-tzu und das Tao-te ching 159 5.3 Chuang-tzu und sein Werk 171 5.4 Weiterentwicklung des Taoismus 176 10 6. Die griechische Philosophie; Einfluss auf Judaismus, Islam und Christentum 180 6.1 Allgemeines 180 6.2 Die Vorsokratiker und philosophische Schulen im 6./5. Jahrhundert v. Chr. 183 6.3 Die klassische Zeit der griechischen Philosophie 6.3.1 Einführung 197 197 6.3.2 Sokrates 198 6.3.3 Platon und die Akademie 6.3.4 Aristoteles und das Lykeion 200 205 6.3.5 Die Stoa 215 6.4 Mittel- und Neuplatonismus 223 6.4.1 Einführung 6.4.2 Numenios 223 225 6.4.3 Plotin (Plotinos) 227 6.4.4 Proklos 240 7. Judaismus 7.1 7.2 7.3 7.4 Geschichtliches Das religiöse Schrifttum der Juden Entwicklung der jüdischen Religion; die Propheten Jüdische Religionsphilosophie im Altertum und im Mittelalter 7.4.1 Allgemeine Weisheitsliteratur 7.4.2 Philo von Alexandria 7.4.3 Jüdische Religionsphilosophie nach Philo 7.4.4 Maimonides 7.5 Mystische Strömungen im Judaismus 7.5.1 Allgemeines 7.5.2 Merkaba-Mystik 7.5.3 Mittelalterlicher deutscher Chassidismus 7.5.4 Die Kabbala; der Sohar 7.5.5 Abulafia 7.5.6 Israel Baal Schemtow und der Chassidismus 8. Der Islam 248 248 249 255 262 262 263 268 271 283 283 284 286 288 289 293 298 8.1 Einführung 298 11 8.2 Das Leben Muhammads; die Nachfolger Muhammads 8.3 Der Koran; islamisches Recht 8.4 Islam und griechische Philosophie; Kalam 8.4.1 Al-Kindi 8.4.2 Al-Farabi (Alfarabius) 8.4.3 Die Abhandlungen der lauteren Brüder 299 304 311 312 313 313 8.4.4 Ibn Sina (Avicenna) 8.4.5 Al-Ghazzali (Alghazel) und ibn Rushd (Averroes) 8.5 Islamische Mystik 8.5.1 Allgemeines; die formative Periode des Sufismus 8.5.2 Lehren der Sufis 8.5.3 Sufi- und Derwisch-Orden 314 317 321 321 325 332 8.6 Berühmte Sufis 8.6.1 Al-Junaid 8.6.2 Al-Hallaj 8.6.3 Al-Ghazzali (Alghazel) 8.6.4 Ibn Arabi 8.6.5 Sanai 8.6.6 Attar 334 334 337 343 350 353 355 8.6.7 Rumi 8.6.8 Suhrawardi Maqtul 360 365 9. Christentum 373 9.1 Religiöse Strömungen im Römerreich in den ersten Jahrhunderten der christlichen Zeitrechnung 9.1.1 Allgemeines 373 373 9.1.2 Mysterienreligionen 374 9.1.3 Gnosis; Mandäer; Marcioniten; Manichäismus 375 9.2 Jesus von Nazareth 381 9.2.1 Die Quellen zu Leben und Lehre Jesu 381 9.2.2 Das Leben Jesu 383 9.2.3 Jesu Sendung und Aufgabe 385 9.2.4 Die Lehre 388 9.2.5 Wer war Jesus? Jesus als Mystiker 395 9.3 Entwicklung der christlichen Lehre und Bildung der Kirche nach Jesu Tod 12 400 9.3.1 Der Apostel Paulus 400 9.3.2 Die Gemeinde in Jerusalem; Missionstätigkeit; das Apostelkonzil 405 9.3.3 Erste Ausgestaltung der Lehre; Kult 407 9.3.4 Die Ausbreitung des Christentums 9.4 Entwicklung der christlichen Kirchen 408 411 9.4.1 Einführung 411 9.4.2 Kirche und Politik 411 9.4.3 Die ersten vier Konzile 412 9.4.4 Spätere ökumenische Konzile; päpstliche Konzile 419 9.4.5 Weitere Ausgestaltung der christlichen Lehre; Einbeziehung der Philosophie (Clemens von Alexandria, Origines, die drei Kappadozier, Augustinus) 425 9.4.6 Scholastik 439 9.5 Christliche Mystik 445 9.5.1 Einführung; Quellen der christlichen Mystik 445 9.5.2 Dionysios-Areopagita (Pseudo-Dionysios) 446 9.5.3 Ramon Lull (Raimundus Lullus) 460 9.5.4 Meister Eckhart 467 9.5.5 Granum sinapis 482 9.5.6 Die Beginen 484 9.5.7 Margareta Porete 484 9.5.8 Weitere christliche Mystiker 491 10. Schlusswort 514 10.1 Religiosität 10.2 Meditation und Mystik 514 520 10.2.1 Versenkungstechniken 10.2.2 Meditation 10.3 Religiöse Mystik; Religiosität des Genies Leibniz 520 523 526 10.4 Areligiöse Mystik 10.5 Carl Albrecht; Psychologie der Mystik 530 531 Register 546 13 14 1. Einleitung; Definition der Mystik; Verhältnis von Religion und Mystik 1.1Allgemeines Religion bedeutet dem Sinne nach »Bindung«. Gemeint ist damit das Verhältnis des Menschen zu übersinnlichen Mächten, von denen er sich abhängig fühlt. Angst vor Naturgewalten und Ohnmacht gegenüber Krankheit und Tod, aber auch Staunen über das Zweckmäßige in der Natur und Dankbarkeit für ihre Gaben haben wohl seit Urzeiten den Glauben an die Existenz solcher Wesenheiten hervorgerufen. Sie bestimmen das Schicksal des Menschen. Man muss ihnen für Wohltaten danken und sie um Abwendung von Unglück bitten. Die Verbindung des Einzelnen zu diesen Mächten übernehmen bestimmte Personen, die dadurch in der Gemeinschaft eine Sonderstellung erhalten: die Priester, Medizinmänner, Zauberer, Magier oder Schamanen. In allen Religionen bestehen - entweder von Anfang an oder nach einer längeren Entwicklung - festgelegte Formen, in denen sich die Religiosität der Anhänger ausdrückt. Dies sind Riten, Kult und Gottesdienstordnung. Im Allgemeinen sind die für die Ausübung der Zeremonien Verantwortlichen bestrebt, die einmal eingeführte Lehre und die Art des Gottesdienstes unverändert zu lassen. So hat sich z.B. in der katholischen Kirche ein Dogmengerüst - ähnlich den Axiomensystemen der Mathematik - herausgebildet, welches nicht mehr geändert (höchstens ergänzt) werden kann. Manche Religionen haben sich dadurch als außerordentlich beständig erwiesen und z.T. mehrere Jahrtausende überdauert. Trotzdem sind in wohl allen Religionen im Laufe der Zeit Änderungen eingetreten, die teils durch freiwilliges Übernehmen fremder Ideen, teils durch äußere Einflüsse und teils durch Fortschritte in Philosophie und Naturwissenschaften bewirkt wurden. Der zentrale Begriff jeder Religion ist der des Gottes oder des Göttlichen. Gerade dieser Begriff weist aber ganz unterschiedliche Ausprägungen auf. Zunächst kann das Göttliche in Gestalt eines konkreten Dinges, sei es ein Stein, ein Baum, ein Bild oder eine Statue, verehrt werden. Selbst bei dieser Art der Religiosität gibt es Unterschiede: Das dargestellte materielle Wesen kann als solches angebetet werden; es kann als Abbild eines Gottes aufgefasst werden, der für den Menschen unsichtbar bleibt, und auf einer abstrahierenden weiteren Ebene kann es ein Symbol für ein nicht beschreibbares Göttliches sein. Mit der zuletzt genannten Form ist bereits eine Stufe erreicht, in welcher das Göttliche nicht mehr mit allzu konkreten Eigenschaften versehen ist. Eine weitere Abstrahierung findet man in Religionen, die 15 jede Darstellung des Göttlichen ablehnen, diesem aber noch Eigenschaften zuerkennen, die menschlicher Denkweise entstammen. So wird Ahura Mazda im Zoroastrismus mit dem Licht verbunden, Gott im Judaismus mit der Gerechtigkeit und im Christentum mit der Menschenliebe. Die endgültige Abstraktion wird mit einem völlig transzendenten Gottesbegriff erreicht. Das Göttliche besitzt dann keinerlei Wesenszüge mehr, die menschlichem Vorstellungsvermögen zugänglich sind. Es ist eigenschaftslos, undenkbar und frei von jeglicher Aktivität, es ruht in sich selbst. Dieser Gottesbegriff bringt allerdings die Schwierigkeit mit sich, dass jedes Einwirken Gottes auf die Welt und jede Verbindung zwischen ihm und dem Menschen ausgeschlossen sind. Eine derartige Auffassung muss den Religionen fremd sein, die gerade die Beziehung des Menschen zu Gott betrachten und zu klären versuchen. Um die beiden gegensätzlichen Vorstellungen, die des inaktiven, ruhenden Gottes und die des aktiven Schöpfergottes, miteinander in Einklang zu bringen, werden zusätzliche Wesen eingeführt, die eine vermittelnde Rolle zwischen dem transzendenten Gott und der materiellen Welt übernehmen. Je nach Glaubensrichtung sind das »Aspekte« Gottes, geistige Prinzipien, »Emanationen«, ein »Demiurg«, Engel, »Logoi« u.a.m. In der Regel wird in einer Religion eine bestimmte Auffassung vom Göttlichen vertreten, sodass unter den Gläubigen eine weitgehend einheitliche Gottesvorstellung vorhanden sein wird. Doch lassen sich individuelle Unterschiede in der Denkweise der einzelnen Anhänger nie völlig ausschalten; manche werden einer mehr konkreten Gottesgestalt zugeneigt sein, während andere stärker einer abstrakten Idee anhängen. Die äußere Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft pflegt davon nicht beeinflusst zu werden; sie wird vor allem durch Annahme der Lehre und durch Beachten des Kultes bestimmt. So wird sich z.B. die Religiosität eines christlichen Indianers, der in der Woche zu seinen alten Göttern und sonntags zu Jesus Christus und der Jungfrau Maria betet, erheblich von der eines religionsphilosophisch geschulten Jesuiten unterscheiden. Aber beide glauben, dass Jesus der Sohn Gottes und der Messias ist. Sie stimmen in den grundlegenden Artikeln überein, und beide sind daher Christen. Die in jeder Religion vorhandenen ethischen Elemente sollen das Zusammenleben der Gläubigen ermöglichen, sie werden vom göttlichen Willen abgeleitet. Das Befolgen ihrer Regeln ergibt innere Sicherheit, es verbindet den Menschen mit dem Göttlichen. Die Vorschriften, die aus allgemeinen ethischen Auffassungen abgeleitet werden, sind natürlich je nach Religion unterschiedlich ausgebildet. 16 1.2 Definitionen der Mystik In den hier beschriebenen (und in anderen) Religionen, ferner auch außerhalb von Religionsgemeinschaften hat es immer wieder einzelne Persönlichkeiten gegeben, denen besondere seelische Erlebnisse zuteil wurden. Diese sind in Ausnahmefällen als plötzliche innere »Erleuchtung« aufgetreten, waren in der Regel aber erst das Ergebnis eines langen Ringens um letzte Wahrheiten. Die zu solchen Erlebnissen Befähigten sind die sogen. »Mystiker«, ihre Erlebnisse werden als »Mystik« bezeichnet (nach dem griechischen Wort »myein«: die Augen schließen). Es gibt verschiedene Definitionen des Begriffes »Mystik«, und es gibt sogar die Ansicht, dass eine allgemein gültige Definition dieses Begriffes überhaupt nicht möglich wäre, da seine Ausformung in jeder Religion und in jedem Kulturkreis einmalig sei. Anderseits wird aber auch die Meinung vertreten, dass alle mystischen Erlebnisse im Grunde einander gleichen und dass die Mystik die über allen Religionen stehende gemeinsame Wurzel des Religiösen ist. Im Folgenden soll versucht werden, Gemeinsamkeiten im Erleben verschiedener Mystiker herauszustellen; solche Gemeinsamkeiten lassen sich trotz aller Unterschiede im Einzelnen erkennen und zur Definition der Mystik verwenden. Fast alle Mystiker, die sich über ihre Erlebnisse geäußert haben, berichten über eine schrittweise erfolgende Änderung ihres Bewusstseins oder ihrer seelischen Struktur. Das Ergebnis ist eine Umwandlung ihres Wesens, das aus dem Alltagsleben heraus zu einer anderen, als höher empfundenen Ebene geführt wird. Fast immer wird aber auch betont, dass nur wenige diesen »mystischen Weg« bis zu den letzten Stufen zurücklegen können. Die große Mehrheit der Menschen ist zu mystischen Erfahrungen nicht befähigt oder ist nicht gewillt, die Beschwernisse dieses Weges auf sich zu nehmen. Selbst von denen, die die Begabung und den Willen dazu besitzen, bleiben viele auf einer der unteren Stufen stehen und können die letzten Erfahrungen nicht erlangen. Der mystische Weg besteht vor allem in verschiedenen Methoden und Vertiefungen der Meditation. Er kann bis zu einem gewissen Grade gelehrt werden; besonders im indischen und im islamischen Kulturkreis wird die Notwendigkeit eines geistigen Führers, eines Gurus oder Pirs, betont. Ohne dessen Hilfe und Anleitung kann der Anfänger keine Fortschritte erzielen oder sogar Schaden nehmen, er muss sich aber auf den höheren Stufen wieder von ihm lösen. Als Grundlage der Definition der Mystik soll der mystische Weg dienen, der häufig ausführlich beschrieben wird und der bei aller unterschiedlichen Anzahl und Benennung der einzelnen Stufen doch auch einige immer wiederkehrende Merkmale aufweist: 17 1) Aufgeben allen Besitzes; 2) Aufgeben aller menschlichen Bindungen; 3) Erreichen eines Zustandes der Emotionslosigkeit; 4) Erreichen eines als glückhaft empfundenen Zustandes von Ruhe und innerem Frieden; 5) Aufgeben des »Ichs«, der eigenen Persönlichkeit; 6) Einswerden von Objekt und Subjekt (Verschwinden aller Unterschiede, sogen. »Einheitserlebnis«); 7) Erreichen eines höchsten, mit den Ausdrucksmitteln der menschlichen Sprache nicht beschreibbaren Zustandes. Man findet noch zahlreiche Zwischenstufen, z.B. das Verschwinden des Zeit- und Raumgefühls, das Erlebnis von etwas »Ankommendem« oder »Umfassendem« u.a.m., auch brauchen nicht alle Stufen durchlaufen zu werden. Die obige Aufstellung dürfte jedoch die Stationen wiedergeben, die immer oder fast immer beschrieben werden. Die ersten Stufen des mystischen Weges muss jeder Mystiker zurücklegen, doch sind sie ohne weitere Schritte oder Erlebnisse noch nicht zur Charakterisierung der Mystik ausreichend. Auch der Mönch und der Asket geben Besitz und menschliche Bindungen auf, auch sie können zu Leidenschaftslosigkeit, zu innerem Frieden und zu einem Zustand der Glückseligkeit gelangen, ohne dass sie deshalb als Mystiker anzusehen wären. Auf diesen ersten Stufen des Weges treten bei manchen Meditierenden Visionen, Lichterscheinungen, das Hören von Stimmen u.dgl. auf, die - wenn sie religiös gefärbt sind - meist als mystische Ereignisse angesehen werden. Ein typisches Beispiel aus dem christlichen Bereich möge genügen: »Er (Jesus) bat mich zu glauben, daß er mich nicht vergessen habe. Er würde mich nie verlassen, aber ich müsse auch alles in meinen Kräften Stehende tun. Unser Herr sagte all dies mit großer Sanftheit und Süße. Er sprach auch weiter sehr gnadenvolle Worte, die ich nicht wiederzugeben brauche. Seine Herrlichkeit zeigte mir weiter seine große Liebe zu mir und sprach oft zu mir: Du bist mein, und ich bin dein ...« [1]. Bei derartigen Erfahrungen handelt es sich um eine tiefgläubige, schwärmerische Religiosität mit inniger Liebe zum Göttlichen, die oft noch mit Askese und Kasteiung verbunden ist. Solche Erlebnisse sind selbstverständlich immer durch die Religion, die Lebensumstände oder die philosophischen Anschauungen des Betroffenen gefärbt. Wenn man sie als Mystik ansieht oder als mystische Erfahrungen definiert, so 18 unterscheidet sich tatsächlich die Mystik jeder Religion und jeder Kultur von der Mystik aller anderen Kulturen und Religionen. Bei einer zweiten, gänzlich anderen Definition werden nur die drei letzten Stufen des oben angeführten Weges - das Aufgeben des Ichs, das Einheitserlebnis und das nicht beschreibbare letzte Erlebnis - als für die Mystik charakteristisch angesehen. Die inneren Erfahrungen auf diesen Stationen des Weges werden von Mystikern unterschiedlichen Herkommens und verschiedener Religionen im Wesentlichen übereinstimmend wiedergegeben; sie mögen in Nuancen voneinander abweichen, sind aber offenbar doch letzten Endes gleichartig. Die letzte Stufe, die mit dem Einheitserlebnis zusammenhängt, wird zwar unterschiedlich benannt: In den monotheistischen Religionen wird sie als »Vereinigung mit Gott« oder als »Vereinigung mit dem Göttlichen« (unio mystica), gelegentlich auch als »Erfahren der Nähe Gottes« bezeichnet; im Hinduismus spricht man vom Erlebnis der »Einheit des Atman mit dem Brahman« (der Einzelseele mit der Weltseele), im Buddhismus von dem »Eingehen ins Nirwana«, im Taoismus vom »Einswerden mit dem Tao«. Unterschiedliche Benennungen eines an sich nicht beschreibbaren Erlebnisses besagen aber nicht, dass ihm jeweils auch verschiedene Erfahrungen zugrunde liegen. Man kann daher annehmen, dass es sich immer um die gleichen oder doch um einander sehr ähnliche Erlebnisse handelt (allerdings lässt sich diese Annahme weder beweisen noch widerlegen). Die letzten Stufen des mystischen Weges bewirken im Erlebenden eine Bewusstseinsumwandlung; seine Lebensführung und seine Einstellung zu den Dingen des gewöhnlichen Lebens verändern sich grundlegend. Diese Umwandlung ist von Dauer, im Gegensatz zu gelegentlich beschriebenen ähnlichen, aber flüchtigen Erlebnissen mancher sensibler Personen. Der Unterschied dieser zweiten Definition gegenüber der zuerst angeführten besteht in der Wertung von Visionen u.ä. Erlebnissen: Solche Erscheinungen werden als zu überwindende Vorstufen angesehen, da sie immer etwas Ichbezogenes einer subjektiv empfindenden Persönlichkeit sind. Mystik liegt nach der zweiten Definition aber erst dann vor, wenn alle individuellen Empfindungen im Zustand der Versenkung ausgelöscht sind. Auch der Zustand innerer Freude ist nur eine Vorstufe auf dem Wege, und auch auf dieser Stufe soll der Mystiker nicht stehen bleiben, sondern soll sie fortschreitend überwinden. Der mystische Weg ist ein Weg der inneren Schau. Er wird oft von tief religiös Empfindenden, die kontemplativ veranlagt sind, beschritten; das erklärt die starke Bindung vieler Mystiker an ihre angestammte Religion. Anderseits tritt gerade in den letzten Stufen des Weges (bei der zweiten Definition der Mystik) das Religiöse weitgehend zurück. 19 Weder die Auflösung des Ichs noch das Einheitserlebnis haben im Grunde etwas mit Religion zu tun, und die letzte, unbeschreibbare Stufe kann ebenso areligiös wie religiös erlebt werden. Sie wird von religiös gebundenen Mystikern im Nachhinein wohl immer religiös gedeutet. Es gibt daher - bei Annahme der zweiten Mystik-Definition auch eine areligiöse Mystik. Die scheinbar unvereinbaren gegensätzlichen Auffassungen über das Wesen der Mystik beruhen demnach nur auf unterschiedlichen Definitionen, die beide nebeneinander stehen. Die zuerst genannte Definition umfasst einen verhältnismäßig großen Kreis von Mystikern, die meist schwärmerisch veranlagt sind und die wohl immer über die Religion zur Mystik gelangen; sie erleben ihre Religiosität in Visionen und in Unterredungen mit Gott oder mit heiligen Wesen. Die zweite Mystik-Definition ist durch wesentlich schwerer zu erreichende Stufen der Bewusstseinsumformung gekennzeichnet. Diese können in der Regel nur durch jahrelanges, intensives Bemühen unter Anleitung eines hervorragenden Lehrers gemeistert werden. Der hierfür geeignete Personenkreis ist viel kleiner, anderseits werden damit aber auch Mystiker erfasst, die auf außerreligiösem Wege zu den höchsten mystischen Erlebnissen gelangen. Nur diese schärfere (oder engere) Definition der Mystik soll im Folgenden berücksichtigt werden. Außer den erwähnten Visionen und akustischen Erlebnissen gibt es eine ganze Reihe von seelischen Erlebnissen, die nicht zur Mystik gehören: Der Rauschzustand nach Drogengenuss ruft Illusionen, Visionen und Halluzinationen hervor, die beglückend oder beängstigend sein können. Sie sind daher ich-bezogen. Beim Genuss des mexikanischen Peyote-Pilzes werden Erfahrungen der Beseitigung des Ichs als Persönlichkeit, Verschmelzen von Subjekt und Objekt und die Vereinigung des Ichs mit der Welt beschrieben [2]. Derartige Erfahrungen ähneln offenbar denen von echten Mystikern, doch sind die Begleitumstände völlig verschieden. In der mystischen Versenkung liegen anders als nach Drogengenuss völlige innere Ruhe und Beziehungslosigkeit zum Ich und zur Außenwelt vor. Weiterhin führt längerer Drogengenuss im Gegensatz zur mystischen Versenkung zu körperlicher und geistiger Zerrüttung, auch kommt es nicht zu einer Änderung des Charakters. Hypnotische Zustände unterscheiden sich von mystischer Versenkung vor allem dadurch, dass sie in der Regel durch äußere Beeinflussung herbeigeführt werden und im Hypnotisierten bestimmte Vorstellungen oder Illusionen hervorrufen. Nach dem Aufhören der Hypnose hat sich das ursprüngliche Bewusstsein der Versuchsperson nicht verändert. Die mystische Versenkung ist dagegen eine Schau in das Innere des Mystikers, sie bedingt die Selbstaufgabe und bewirkt eine bleibende Bewusstseinsänderung. 20 Etwas anderes sind hypnotische Kräfte, mit denen manche Mystiker (Yogis) dritte Personen beeinflussen können. Diese gehören zu den später zu besprechenden »außergewöhnlichen Fähigkeiten«, die bei manchen Mystikern in den höheren Versenkungsstufen auftreten sollen, die aber nur ein Nebenergebnis auf dem Wege zur höchsten Stufe darstellen. Ekstase und Trance sind schamanische Erfahrungen, die in vielen Kulturen von besonders veranlagten, oft psychisch labilen Personen erlebt werden. Sie werden gewöhnlich bewusst durch exzessive körperliche Anstrengung, z.B. durch Tanz, herbeigeführt. Dabei glaubt man oft, dass die Seele in der Ekstase den Körper verließe und sich auf eine Reise durch Himmel und Hölle begäbe, oder auch, dass ein Dämon dem Besessenen seinen Willen aufzwingen würde. Ekstase ist demnach etwas Unkontrolliertes; sie hat nichts mit mystischem Erleben zu tun, bei dem im Gegenteil höchste Konzentration vorliegt. Im Trancezustand können besondere seelische Kräfte auftreten, die zum Wahrsagen oder zu Krankenheilungen befähigen. Es gibt auch in der Mystik Beschreibungen von Trancen (vor allem im Yoga), doch werden derartige vorübergehende Zustände den niederen Stufen des Weges zugeordnet. Sie sind mit fortschreitender Bewusstseinsumwandlung zu überwinden. Der Ausdruck »Ekstase« wird häufig für die höchste mystische Versenkungsstufe gewählt, doch soll er in diesem Buch nicht hierfür angewendet werden (außer in wörtlichen Zitaten). Ohnmacht (Bewusstlosigkeit) tritt aufgrund von krankhaften körperlichen Vorgängen, seltener durch seelische Emotionen ohne willentliche Beeinflussung ein. Bis zu einem gewissen Grade kann sich dieser Zustand den Erfahrungen auf den höheren Stufen des mystischen Weges nähern. Die durch Sauerstoffmangel im Gehirn verursachte Ohnmacht lässt sich mit Zuständen vergleichen, die bei manchen Meditationstechniken mit absichtlich herabgesetzter Atmung auftreten. Ferner ist bekannt, dass aus tiefster Bewusstlosigkeit mit Annäherung an den Tod Wiedererwachte sich manchmal an ein Glücksgefühl erinnern, welches möglicherweise dem der Freude in den tieferen Stufen der Mystik ähnelt. Aber eine Ohnmacht hinterlässt keine bleibende charakterliche Veränderung, und außerdem ist das Glücksgefühl in der Mystik nur eine unwesentliche Nebenerscheinung. Immer hat es auch falsche Mystiker gegeben. Man kann sie an ihrem Bestreben nach Ansehen, Macht oder materiellen Gütern erkennen. Teils sind es Betrüger und Scharlatane, teils auch Neurotiker, die sich ihrer Krankheit nicht bewusst sind. Für diejenigen, die sich auf göttliche Eingebungen berufen, möge ein Wort des Johannes vom Kreuz angeführt werden: 21 »Eine wahrhaft demütige Seele zeichnet sich dadurch aus, daß sie sich nicht getraut, mit Gott Zwiesprache zu halten« [7]. Zuletzt möge noch auf eine häufig zu findende Verwechslung hingewiesen werden: Die Ausdrücke »Mysterium« und »mysteriös« bedeuten etwas völlig anderes als »Mystik« und »mystisch«. Mysteriös sind geheimnisvolle, unerklärliche Vorgänge, aber nicht die mystischen Erfahrungen. Mysterienreligionen gehören ebenfalls nicht zum Bereich der Mystik; ihr Grundprinzip ist die Geheimhaltung der Lehren vor allen Nichteingeweihten. Etwas völlig anderes sind Mythen: Sagen aus der Vorzeit. 1.3 Verhältnis von Religion und Mystik Der Gottesbegriff des religiös gebundenen Mystikers ist wohl immer transzendent, wie man aus der Unbeschreibbarkeit der letzten mystischen Erfahrung entnehmen kann. Gewöhnlich ergibt sich dann die Erkenntnis, dass der Gottheit nicht mit äußeren Ritualen, mit Gebeten, Schriften oder mit guten Werken gedient werden kann. So sagte z.B. Thomas v. Aquin am Ende seines Lebens: »Alles, was ich geschrieben habe, kommt mir vor wie Stroh ... Alles kommt mir vor wie Stroh - verglichen mit dem, was ich geschaut habe« [3]. Der Mystiker steht gewissermaßen über allen religiösen Vorschriften, ja sogar über allen ethischen und moralischen Gesetzen, da er ihrer nicht mehr bedarf. Wenn der Mystiker aber derartige Ansichten laut äußert, so pflegt er bei Nichtmystikern und vor allem bei den Autoritäten seiner Religionsgemeinschaft Anstoß zu erregen. Und schließlich haben sich manche Mystiker zu Äußerungen hinreißen lassen, die sich auf ihre letzte Erfahrung beziehen, die aber von gewöhnlichen Menschen nicht verstanden werden können und von ihnen als Blasphemie angesehen werden. Gemeint sind Aussagen wie »Ich bin das Licht«, »Ich bin die Wahrheit« oder letzten Endes »Ich bin Gott«. Da der Mystiker über die Lehren seiner Religion hinauszugelangen pflegt und zu ungewöhnlichen, der Häresie verdächtigen Ansichten kommt, ist in der Regel Konfliktstoff mit seiner Kirche oder Religionsgemeinschaft gegeben. Anderseits bejahen alle religiös gebundenen Mystiker ihre angestammte Religion und haben keineswegs die Absicht, sich von ihr zu lösen. Diesen Zwiespalt haben sie auf verschiedene Weise zu vermeiden oder zu beseitigen versucht: Am einfachsten ist es, über alle mystischen Erfahrungen zu schwei- 22 gen, und zweifellos sind viele Mystiker diesen Weg gegangen. Andere aber haben das Bedürfnis gespürt, ihre Erlebnisse - soweit möglich den Mitmenschen zu vermitteln, auch wenn sie sich der Gefahren bewusst waren: »Und vielleicht hätte uns die heilige Scheu dahin gebracht, über die göttliche Weisheit gar nichts zu sagen - wenn wir nicht die innerste Überzeugung gewonnen hätten, daß es nicht erlaubt ist, die Kenntnis des Göttlichen brachliegen zu lassen, wenn sie uns einmal geschenkt wurde« [4]; »Ich will es niederschreiben und darf es nicht, ich will es nicht niederschreiben und kann es doch nicht gänzlich sein lassen; so schreibe ich denn und halte ein und komme noch einmal an anderen Stellen andeutungsweise darauf zurück, und dies ist mein Verfahren« [5]. Gelegentlich gab man auch schriftliche Werke anonym heraus oder schrieb sie einem anderen Autor zu. Wieder andere Mystiker haben angeregt, die äußeren Vorschriften und Gebote ihrer Religion besonders sorgfältig einzuhalten und die Autoritäten der betr. Religionsgemeinschaft vorbehaltlos anzuerkennen, um auf diese Weise jeden Anstoß zu vermeiden. Wie weit es dem Mystiker gelingt, das Misstrauen der Autoritäten seiner Religionsgemeinschaft zu überwinden, hängt auch von dem Grad an Toleranz ab, der von diesen aufgebracht wird. Manchmal wurden die Mystiker anerkannt, manchmal wurden sie unbeachtet gelassen, manchmal widerwillig geduldet, oft aber auch verfolgt und im Extremfalle sogar hingerichtet. 1.4 Aktives oder kontemplatives Leben Schließlich sei noch das Verhältnis des Mystikers zum tätigen Leben in seiner Umwelt betrachtet, d.h. die Entscheidung zwischen kontemplativem und aktivem Leben. An sich wird er dem kontemplativen Dasein, der Versunkenheit in Meditation und Betrachtung, zuneigen. Es hat aber immer auch Mystiker gegeben, die tätig, teils lehrend, teils helfend in der Gemeinschaft verblieben sind oder die sich erst nach aktivem Wirken in die Kontemplation zurückgezogen haben: »Übt und betätigt euch also vorher in den privaten und öffentlichen Angelegenheiten des Lebens, und erst wenn ihr mittels verwandter Tugenden - Haus- und Staatsverwaltung - gute Haus- und Staatsverwalter geworden seid, so seid ihr wohl gerüstet, in ein anderes, besseres Leben 23 auszuwandern. Denn es ist gut, wenn man als eine Art von Vorübung für den vollkommeneren Kampf vor dem theoretischen Leben das praktische durchmacht« [6]. Der Übersicht halber soll der Inhalt der vorigen Ausführungen kurz zusammengefasst werden: 1. Es gibt in den verschiedensten Kulturkreisen Bestrebungen, alle materiellen Dinge und immateriellen Vorgänge als von einer Einheit ausgehend anzusehen. Diese Einheit, »das Eine«, wird entweder religiös als »Gott« oder areligiös als ein transzendentes, unfassbares Wesen ohne jede Eigenschaft angesehen. 2. Ganz vereinzelt gibt es - ebenfalls in den verschiedensten Kulturen - Menschen, die spontan ein inneres Erleben erfahren, welches sie in dieser Einheit unter Verlust ihrer Persönlichkeit aufgehen lässt. Solche Erfahrungen sind zeitlich begrenzt und der Betroffene kehrt in das normale Leben zurück, doch hat sich nach diesem sogenannten »Einheitserlebnis« sein Charakter dauerhaft verändert. 3. In indischen Yoga-Lehren sind Methoden erarbeitet worden, mit denen auch Personen, die nicht von selbst zu mystischen Erfahrungen gelangen, zu dem Einheitserlebnis hingeführt werden können. Es gibt mehrere Methoden unterschiedlichen Schwierigkeitsgrades, mit denen dies erreicht werden kann; die schwierigste ist der in Kap. 3 beschriebene Raja-Yoga (Königs-Yoga oder Königs-Weg). 4. Personen, die einen der Wege beschritten haben, werden im Folgenden als »Mystiker« bezeichnet, auch wenn sie das Einheitserlebnis nicht erreichen konnten. Bei einer Beschreibung des Lebens eines Mystikers muss daher immer vermerkt werden, wie weit er auf dem mystischen Pfad gelangte. 5. Es gibt noch andere Arten von Mystik, z.B. die Kabbala, Schamanismus u.a., deren Definitionen noch genauer beschrieben werden. Sie können auch als Mystik definiert werden, sind aber streng von der in diesem Buch behandelten Art zu unterscheiden. Texte, in denen verschiedene Arten von Mystik unterschiedslos zusammengestellt sind, können nichts zur Klärung ihres Begriffes und Wesens beitragen. 24 Anmerkungen 1 Aus der Autobiografie der Teresa von Avila, nach St.T.Katz, Mysticism and Religious Traditions; 1.Aufl., Oxford Univ. Press, Oxford 1983, S. 11. 2 Nach: P.Gerber, Die Peyote-Religion; 1.Aufl., Völkerkundemuseum der Stadt Zürich, Zürich 1980. 3 Nach: J.Pieper, Thomas von Aquin; 3.Aufl., Kösel-Verlag, München 1986, S. 30. 4 Aus: Dionysios Areopagita, Mystische Theologie und andere Schriften aus dem Griechischen übersetzt mit Einleitung und Kommentar von W.Tritsch; 1.Aufl., Beck, München 1956. 5 Rabbi Baruch Togarmi; nach: G.Scholem, Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen; Wiss. Sonderausgabe Suhrkamp, Frankfurt 1967, S. 137. 6 Nach: Philo von Alexandria, Die Werke in deutscher Übersetzung, herausgegeben von L.Cohn, I.Heinemann, M.Adler u. W.Theiler; 2.Aufl., de Gruyter, Berlin 1962/1964, Bd. VI, S.63. 7 Aus: J.Lhermite, Echte und falsche Mystiker; 1.Aufl., Räber u. Cie., Luzern 1953. Literatur Albert, Karl: Einführung in die philosophische Mystik; Wiss. Buchges., Darmstadt 1996. Almond, Ph.C.: Mystical Experience and Religious Doctrine; 1.Aufl., Mouton Publ., Berlin 1982. Lengsfeld, Peter: Mystik - Spiritualität der Zukunft; Herder, Freiburg 2005. Mensching, G.: Die Söhne Gottes. Aus den heiligen Schriften der Menschheit; K. Desch, München 1958. Schmid, Georg: Die Mystik der Weltreligionen; Kreuz-Verlag, Stuttgart 1990. Smart, N.: The Purification of Consciousness and the Negative Path. In: St.T.Katz, Mysticism and Religious Traditions; 1.Aufl., Oxford Univ. Press, Oxford 1983. Smith, M.: An Introduction to the History of Mysticism; London 1930 (Nachdr. Philo Press, Amsterdam 1973). 25 Spencer, S.: Mysticism in World Religion; 1.Aufl., P.Smith, Gloucester Mass. 1971 (Nachdr. der Ausgabe Penguin Books 1963). Stare, W.T.: Mysticism and Philosophy; 1.Aufl., Macmillan, London 1960 (Nachdr. 1980). Suzuki, D.T.: Christian and Buddhist; 1.Aufl., Greenwood Press, Westport 1975 (Nachdr. der Ausgabe Harper, New York 1957). Underhill, Evelyn: Mystik; Turm Verlag, Bietigheim o.J. (Nachdr. der Ausgabe 1928). 26 2. Hinduismus 2.1 Geschichtliches In der Zeit von etwa 1500 - 1250 v.Chr. drangen Indoarier von Nordwesten her in Vorderindien ein. Zuerst eroberten sie den Punjab, das Land, in dem fünf vom Himalaja kommende Ströme sich mit dem Indus vereinigen, und dann das Indus-Gebiet selbst. Die alte Kultur, die sie vorfanden, wurde zum Teil übernommen, zum Teil vernichtet. Später stießen sie nach Osten in die Jamuna- und Ganges-Ebenen vor und erreichten schließlich etwa 300 v.Chr. Südindien. Die Indoarier gehören dem indogermanischen Sprachstamm an. Das Wort »Hindu« ist ebenso wie das Wort »Inder« aus dem Sanskrit-Wort »Sindhu«, dem Namen des Flusses Indus, abgeleitet. Im späteren Sprachgebrauch werden die Bezeichnungen »Inder« für die Bewohner des Subkontinentes und »Hindu« als das Kennzeichen ihrer Religionszugehörigkeit verwendet. Bei der geschichtlichen Betrachtung der Hindu-Religion nimmt man gewöhnlich eine Dreiteilung vor: Die früheste Epoche bis etwa 1000 v.Chr. wird als »vedische Religion«, die anschließende als »Brahmanismus« und der ab etwa 800 n.Chr. zu datierende Zeitabschnitt als »Hinduismus« bezeichnet. Allerdings wird der zuletzt genannte Ausdruck oft (auch in dieser Zusammenstellung) als Oberbegriff für die gesamte Hindu-Religion in ihren verschiedenen zeitlichen und räumlichen Ausbildungsformen verwendet. Im Folgenden wird zur Unterscheidung der dritte Abschnitt »neuerer Hinduismus« genannt. Die vedische Religion ist die älteste Religion der Indoarier. Sie ist bereits nachweisbar, als diese Stämme noch in Afghanistan, im Punjab und im Industal siedelten. Wir lernen sie durch die Schriften des RigVeda, des ältesten Teils des Veda kennen (s.u. Upanishaden). Die Menschen dieser Zeit erhofften als Lohn eines frommen Daseins, dass sie nach dem Tode zusammen mit ihren Ahnen und mit den Göttern im Himmel weiterleben würden. Ihre weltzugewandte Haltung gipfelte in dem Wunsch, »1000 Herbste« zu leben. Doch stoßen wir bereits in den Hymnen des Rig-Veda auf ein Denken, aus dem sich der spätere Hang zu Weltentsagung und Lebensverneinung entwickelte. Diese Neigung wurde möglicherweise durch den Genuss des berauschenden Soma-Trankes, der aus einer als göttlich angesehenen Pflanze gewonnen wurde, gefördert. Der Berauschte glaubte sich allem Irdischen enthoben und deutete diesen Zustand als religiöse Erfahrung. Zu den zahlreichen vedischen Göttern zählen Varuna, der Hüter des Rechts, Mitra, der Beschützer der Freundschaft, und Vishnu. Weitere Götter sind 27 Indra, der »König der Götter« und Herr über Wind und Gewitter, ferner Agni, der Gott des Feuers, Kama, der Liebesgott, und der Sturmgott Rudra, in welchem der spätere Gott Shiva vorgebildet ist. Der Brahmanismus, die zweite Stufe der Hindu-Religion, ist gekennzeichnet durch die Annahme einer unpersönlichen obersten Gottheit. Durch starke Ritualisierung des Kultes wird die Macht der Priester gesteigert; sie stehen seitdem an der Spitze der Gesellschaft, sie vererben ihre Ämter auf ihre Nachkommen. Die Ausbildung einer priesterlichen Hierarchie verursacht eine zunehmende Schichtung des Volkes. Die Anfänge dieser Entwicklung sind bereits im Rig-Veda zu erkennen, sie verstärkt sich aber in der zweiten Periode deutlich, wie aus den Schriften dieser Zeit, den Brahmanas und den Upanishaden (s.u.), zu entnehmen ist. Durch die Letzteren gewinnt die Religion eine ganz neue Gestalt: Die frühere Richtung wird zwar in ihren Grundzügen beibehalten, und man verehrt die alten Götter weiter, doch ist das Ziel des religiösen Denkens ein völlig anderes geworden. Erstrebt wird die Erfahrung des ewig unwandelbaren Einen, des Brahman und des Atman (s.u.), durch Versenkung in das eigene Innere. Neu sind auch die Lehren von der Seelenwanderung und der Wiedergeburt, die erstmals in den Upanishaden auftreten. Um die Mitte des 6. vorchristlichen Jahrhunderts breiteten sich in Indien zwei weitere Religionen aus, die neue Lehre des Buddha und die des von Mahavira erneuerten Jainismus. Durch diese wurde der Hinduismus zeitweise stark beeinträchtigt, bis er etwa 800 n.Chr. durch Reformen erneuert wurde und nun seinerseits den Buddhismus verdrängte. Damit beginnt die dritte Entwicklungsstufe der indischen Religion, die des neueren Hinduismus. Die indische Tradition schreibt das allmähliche Verschwinden des Buddhismus im eigenen Land vor allem der erfolgreichen Tätigkeit des Brahmanen Shankara zu. Er gilt als Reformer des Hinduismus, er leitete eine erneute Hinwendung der Gläubigen zu den Göttern ein. Die brahmanische Mystik vom Einswerden der Einzelseele mit der unpersönlichen Allseele (s.u.) verliert an Geltung gegenüber der Mystik vom Einswerden der Seele mit einem persönlichen Gott. Es bilden sich Sekten, die aus der Vielzahl der Götter immer nur einen Gott bevorzugt anbeten. Man glaubt aber, dass die Götter nur verschiedene Erscheinungsformen des höchsten Gottes sind. Shiva und Vishnu werden zu Hauptgöttern, und für ihre Anhänger wird jeweils einer von ihnen zum all-einen Gott. In der Neuzeit nimmt die Bedeutung des Shaktismus, d.h. der Verehrung weiblicher Gottheiten, zu. Ferner finden Lehren und Aussprüche 28 des Ramakrishna sowie religionsphilosophische Schriften von Rabindranath Tagore, Sri Aurobindo, Radhakrishnan und anderen nicht nur in Indien, sondern auch im Abendland und in Amerika Anhänger. 2.2 Allgemeines; Schrifttum des Hinduismus In Indien bekennen sich heute etwa 300 - 400 Millionen Menschen zum Hinduismus. Unter diesen Begriff fallen jedoch ganz verschiedene Formen des religiösen Denkens und Glaubens: Naturreligionen, primitive Volksreligionen, ferner mono- und polytheistische sowie mystische Religionsarten. Man versteht demnach unter dem Ausdruck »Hinduismus« keine in sich geschlossene, einheitliche Lehre, sondern eine Zusammenfassung einer ganzen Anzahl von religiösen Denkweisen, die nebeneinander bestehen. Einem Hindu bleibt es überlassen, welche Götter er verehren und in welcher Form er die Verehrung ausüben will. Er besitzt Freiheit in Glaubensfragen. Der Hinduismus ist demnach eine dogmenfreie, gegenüber anderen Richtungen tolerante Religion, die er ohne Wertung duldet. Die Bezeichnung »Hinduismus« ist gewissermaßen ein Hilfsbegriff, der die traditionellen Religionen Indiens umfasst; auf ihn treffen im Wesentlichen die folgenden drei gemeinsamen Charakteristika zu: a) Das Kastenwesen als soziale Grundlage; b) der Glaube an die Wiedergeburt und c) die Anerkennung der Veden als Heilige Schriften. Das Kastenwesen bildete sich bei der Einwanderung der Indo-Arier in das Gangesgebiet aus; mit ein Grund für sein Entstehen war wohl der Wunsch nach Abgrenzung gegenüber den Ureinwohnern. Im Laufe der Zeit wurde es typisch für das Hindu-Wesen, es hat sich bis heute gehalten. Man bleibt zeitlebens Angehöriger einer Kaste und muss von der Geburt bis zum Tode die vorgeschriebenen Pflichten und Zeremonien erfüllen. So heiratet man z.B. nur innerhalb der eigenen Kaste und übt nur einen der Berufe aus, die für diese zugelassen sind. Nach alter Überlieferung ist die oberste Kaste die der Brahmanen; ihre Stellung als Inhaber des Priesteramtes ist unumstritten. Darauf folgt als zweite die Kriegerkaste. Der dritten Kaste gehören die Bauern und Gewerbetreibenden an, und darunter steht die vierte mit den dienenden, abhängigen Berufen. Diejenigen, die nicht zu einer Kaste oder einer der zahlreichen Unterkasten gehören, sind die Kastenlosen, die Parias. 29 Da es ein wesentliches Merkmal jeden Hindus ist, in einer Kaste geboren zu sein, kann kein Fremder in die hinduistische Religionsgemeinschaft aufgenommen werden. Vier Lebensziele sind allen Kasten gemeinsam: Das Streben nach Wohlstand, das Streben nach Liebe und Eheglück, die Einhaltung der Pflichten gegenüber der Kaste und als Wichtigstes das Streben nach Erlösung. Es gibt verschiedene Anschauungen über die Art und Weise, wie die Erlösung zu erreichen ist. Eine Möglichkeit besteht darin, in der zweiten Lebenshälfte nach der Versorgung der Familie alles aufzugeben und sich bis zum Tode in völlige Weltabgeschiedenheit zurückzuziehen. Die Wiedergeburtslehre ist mit dem Wunsch nach Erlösung aus der Kette der Geburten verknüpft. Aus dem Verhalten des Menschen und aus seinen guten oder bösen Taten ergibt sich, ob er bei der Wiedergeburt in eine höhere oder niedere Kaste gelangt. Sittlich hochstehendes Verhalten hat aber nur eine günstigere Wiedergeburt zur Folge; die endgültige Erlösung aus dem Kreislauf der Geburten kann (nach der Lehre der Upanishaden, s.u.) nur durch Weltentsagung und vollkommene Konzentration auf das Übersinnliche bewirkt werden. Dieser Glaube entspricht der alten Brahmanen-Mystik, die das Einswerden der Einzelseele (Atman) mit der Weltseele (Brahman) zum Ziel hat und als Vorbedingung die völlige Weltentrücktheit fordert. Nur dann gelangt der Mensch zu der Erkenntnis, dass er die Allseele in sich trägt. Die tiefste Schicht des Ichs, der Wesenskern, entspricht also der alles bewirkenden, doch selbst unwandelbaren Ursache in der Welt, der Weltseele. Außer »Atman« und »Brahman« nennt man dies Prinzip allen Seins und Werdens auch »Purusha«. Purusha kann demnach »Urwesen«, »höchstes Wesen« und »unsterbliches Etwas in der menschlichen Seele« bedeuten (über weitere Deutungsmöglichkeiten s.u.). Schrifttum des Hinduismus Die religiösen Schriften gelten zum Teil als Offenbarungen, die nicht auf einen Religionsgründer zurückgeführt werden, sondern heiligen Sehern mitgeteilt wurden. Sie sind Urkunden, die ewige göttliche Wahrheiten verkünden. Ihr Inhalt wurde lange Zeit nur mündlich weitergegeben und erst nach dem dritten vorchristlichen Jahrhundert schriftlich festgelegt. Die ältesten Teile dieser Heiligen Schriften datiert man auf etwa 1500 v.Chr., die endgültige Fertigstellung des Gesamtwerkes, das von den Hindus »der Veda« (Wissen) genannt wird, zog sich über eine lange Zeitspanne hin. Die Heiligen Schriften lassen sich in die vier »Samhitas« oder Sammlungen (die ältesten Texte) sowie die »Brahma- 30