Selbstbehandlung mit homöopathischen Arzneien 1 Die Klassische Homöopathie ist ein eigenständiges, sehr umfangreiches Therapieverfahren mit strengen Regeln, die man kennen und einhalten muss, um wirklich heilen zu können. Deshalb eignet sie sich nicht für eine Selbstbehandlung. Als eine alternative Therapie ohne künstlich hergestellte chemische Substanzen gilt die Homöopathie vielen Menschen als eine Art Naturheilkunde, bzw. als eine Therapie ohne Nebenwirkungen und deshalb problemlos jederzeit selbst anzuwenden. Aber falsch angewendet, können auch homöopathische Arzneimittel unerwünschte Effekte erzielen. Mit Klassischer Homöopathie haben solche Vorstellungen ohnehin nichts zu tun. Die Einnahme von homöopathischen Arzneimitteln stellt noch lange keine Klassische Homöopathische Therapie dar. Aber nur als solche ist die Homöopathie wirklich eine Alternative zur Schulmedizin. Ein Mittel wirkt nicht dadurch homöopathisch, dass es in kleinsten Dosen eingenommen wird, sondern erst durch seine richtige Anwendung. Diese Anwendung beruht unter anderem auf dem fundamentalen Wirkprinzip der Klassischen Homöopathie, dem Ähnlichkeitsgesetz. Nur wenn ein Arzneimittel ähnlich zum umfangreichen Krankheitsbild des Patienten ist, kann es homöopathisch wirken. Es ist ein weit verbreiteter Irrglaube, homöopathische Arzneimittel hätten per se keine Nebenwirkungen. Ob diese entstehen oder nicht, darüber entscheiden • • • • die Richtigkeit der Auswahl des Arzneistoffes nach dem Ähnlichkeitsgesetz, die richtige Potenz, die richtige Dosierung sowie die richtigen Intervalle zwischen den einzelnen Gaben. Das muss jeweils für jeden Kranken individuell abgestimmt werden. Um all das zu leisten, bedarf es einer langjährigen Ausbildung, über die ein Kranker, der sich selbst behandeln will, gar nicht verfügen kann. Zudem fehlt ihm die therapeutische Distanz zu sich selbst. Die unvoreingenommene, vorurteilslose Beobachtung des Kranken aber gehört zu den wichtigsten Elementen der homöopathischen Behandlung. Aus diesem Grunde behandeln auch Therapeuten sich nicht selbst! In der Selbstbehandlung sind sehr leicht Irrtümer möglich. Probiert jemand ein Mittel und es ist in seinem Fall nicht geeignet oder falsch dosiert, kann es nicht nur nicht wirken, sondern den Zustand sogar verschlimmern. Neue Beschwerden können auftreten, die Krankheit wird weiter fortschreiten. Ein ausgebildeter Therapeut wird eine ausführliche Anamnese (Erhebung der Krankengeschichte) aufnehmen und dabei auch die geistige und seelische Befindlichkeit einbeziehen, gegebenenfalls alle klinischen Befunde und Untersuchungsergebnisse hinzuziehen. Außerdem ist noch wichtig, ob es sich um einen akuten oder chronischen Zustand handelt, da deren Behandlung jeweils nach verschiedenen Strategien erfolgen muss. Ein Beispiel aus der Praxis Ein fünfjähriges Kind wird wegen Neurodermitis vorgestellt. Die Eltern hatten ihr Kind bei seinen häufigen Mittelohrentzündungen mit Pulsatilla behandelt und damit auch immer wieder Erfolge gehabt, das heißt, dass die Mittelohrentzündungen jedes Mal Selbstbehandlung mit homöopathischen Arzneien 2 zurückgingen. So hatten sie auch wegen des Hautausschlages einige Mittel versucht, aber ohne Erfolg. Sie mussten sogar feststellen, dass es ihrem Kind insgesamt immer schlechter ging. Nach umfangreicher Anamnese – bei der auch noch weitere behandlungswürdige Symptome zu Tage traten - verordnete der Therapeut Calcium carbonicum. Daraufhin besserte sich nicht nur der Hautausschlag, sondern auch die Anfälligkeit für Mittelohrentzündungen wurde behoben. Es gibt mehrere Ebenen für die Ähnlichkeit. Pulsatilla war akut für die Ohrenentzündungen das ähnliche Mittel. Calcium carbonicum war bei dem Kind dem ganzen Beschwerdebild ähnlich. Es konnte grundlegende Besserung bringen, weil es zu der Gesamtheit der Beschwerden ähnlich wirkte. Die gut gemeinten Versuche der Eltern, angeregt durch die vorläufigen Erfolge mit Pulsatilla, mit verschiedenen Mitteln die Neurodermitis anzugehen, führten nicht zum Ziel. Zusätzlich verschlechterten die unpassenden neuen Mittel, als eine Art Nebenwirkung den seelischen Zustand des Kindes. Klassische Homöopathie kann keine Selbsttherapie sein Die Klassische Homöopathie hat hochwirksame Arzneien. Sie eignet sich deshalb nicht zur Selbstbehandlung. Die Auswahl eines Homöotherapeutikums lediglich nach klinischen Diagnosen – zum Beispiel bei Bronchitis eines der „Hustenmittel“ oder der „Fiebermittel“ etc. – kann, wenn überhaupt, nur vorübergehend die akuten Erscheinungen einer Krankheit zum Verschwinden bringen. Die Anfälligkeit bleibt, und die Symptome kommen wieder, eventuell an anderer Stelle. Leider wird der Büchermarkt im Zuge der Popularität der Homöopathie mit Ratgebern überschwemmt, welche die wahre Reichweite der Homöopathie nicht erkennen lassen. Meist suggerieren sie eine Nebenwirkungsfreiheit homöopathischer Arzneimittel und verleiten zu einer Selbstbehandlung, die immer oberflächlich bleiben muss. Dem Leser werden scheinbar verschiedene Anwendungsbereiche angeboten unter Buchtiteln wie: „So behandle ich meine Kinder homöopathisch“ oder „Homöopathie für Frauen“. Es gibt aber nur eine Homöopathie, und sie verordnet jeweils nach der individuellen Gesamtheit der Symptome und nicht nach Alter und Geschlecht. Die Grundregeln der Homöopathie erscheinen einfach, die Anwendung mit all ihren Konsequenzen ist kompliziert und lässt sich nicht durch das Lesen einiger Bücher erlernen. Die Reise- oder Notfallapotheke Aus diesem Grund müssen auch die so genannten homöopathischen Notfall- oder Reiseapotheken und Ratgeber kritisch betrachtet werden. Auf Reisen oder bei sonstigen Notfällen gelten natürlich die selben Gesetzmäßigkeiten für eine Behandlung mit homöopathischen Mitteln. Auch die Entscheidung, ob eine Verletzung oder Erkrankung behandlungsbedürftig ist, kann nur ein Therapeut treffen. Wer sich in klassisch homöopathischer Behandlung befindet, sollte kein Homöopathikum nehmen, ohne sich vorher mit seinem Therapeuten abgesprochen zu haben. Denn bestimmte Arzneimittel können mit anderen in Wechselbeziehungen treten und damit die Wirkung des Konstitutionsmittels stören. Die intensive Mitarbeit des Patienten an seiner Heilung im Rahmen einer klassisch homöopathischen Behandlung ist unverzichtbar, eine Selbstbehandlung mit homöopathischen Mitteln jedoch gefährdet den Heilungserfolg. aus der Patientenzeitschrift „Globuli“ II-2001 des Homöopathie-Forum