Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft Bildungsprozesse und Sozialisation Prof. Dr. Sascha Liebermann Herbstsemester 2015/2016 Laurens Hoschützky Bonn den 17.11.15 Sitzungsprotokoll vom 16.11.15 Anmerkungen zum Protokoll vom 9.11.15 Es kam erneut die Frage der Unterscheidung von universales und kulturspezifisches Verhalten auf; wobei universales Verhalten etwas bezeichnet, das in allen Kulturkreisen auftritt und kulturspezifisch, dass sich etwas von Kultur zu Kultur unterscheidet. Ein Beispiel für ein universales Verhalten ist die Kultur des Schenkens, auch Schenkökonomie genannt. Der Akt des Schenkens ist ein universelles Zeichen für die Wertschätzung des Gegenübers und die Anerkennung dessen als Selbstzweck. Dabei ist der Akt an sich wichtiger als die Gabe, die geschenkt wird. Der französische Ethnologe Marcel Mauss zeigte am Beispiel des nordamerikanischen Eingeborenenstammes der Kwakiutl, wie diese Kultur des Schenkens auch einen zerstörerischen Charakter annehmen kann. Bei einem rituellen Schenkungsfest, dem Potlatch, wurden, zu Feier eines wichtigen Ereignisses, die anwesenden Gäste vom Gastgeber beschenkt; und je wertvoller die Gaben waren, desto höher wurde das Ansehen des Gastgebers. Mit der Zeit uferte dies jedoch in einem Wettstreit aus, bei dem jeder den anderen mit immer wertvolleren Geschenken zu übertrumpfen zu versuchte. Der eigentliche Sinn hinter dem Schenkungsakt wurde nicht beachtet. Als Beispiel für kulturelle Unterschiede wurde der Akt der Begrüßung genannt. Der Akt an sich ist universal. Überall auf der Welt grüßen sich die Menschen. Aber die Formen der Begrüßungen unterscheiden sich kulturabhängig von einander: Verbeugung in z.B Japan und Südkorea, Händeschütteln in z.B Deutschland oder das Küssen in Frankreich und Spanien. Nicht nur die Begrüßungen sind von Kultur zu Kultur unterschiedlich; auch die Regeln des Helfens, die das Verhalten in bestimmten Situationen regeln, unterscheiden sich sichtlich. Wenn jemand in Nordamerika an einer Straße steht, ratlos,weil er den Weg zu seinem Ziel nicht kennt, kommt nach nur kürzester Zeit jemand, der sich erkundigt, wie man dem Suchenden helfen könnte. In Deutschland wird erwartet, dass man das Suchen nach Hilfe signalisiert, um diese auch zu bekommen. Wenn man sich in einer anderen Kultur bewegt als seiner eigenen, kann es leicht zu Missverständnissen und befremdlichen Gefühlen kommen; dann kann sogar ein freundlich gemeintes Angebot zu helfen schon aufdringlich sein. Um mit diesem Unverständnissen umzugehen kommt es oft zu Stereotypisierung. Stereotypen sind, ebenso wie Vorurteile, nicht von vorne herein in einem negativen Kontext zu Betrachten. In erster Linie sind beides nur Vereinfachungen und verallgemeinerte Verhaltensweisen, um einen besseren und sichereren Umgang mit fremden Kulturen bzw. Personen aus anderen Kulturen ermöglichen sollen. Im Zusammenhang mit der Stereotypisierung kam der Begriff der Ethnomethodologie auf. Dabei handelt es sich um eine Ausrichtung der Soziologie, die sich mit dem Verhaltensweisen und den Methoden, die von einer Gruppe oder Gesellschaft verwendet werden um Situationen des alltäglichen Lebens zu bewältigen, beschäftigt. Für diese Wissenschaft typisch sind die Krisenexperimente, in denen Personen in eine Situation gebracht, in denen gesellschaftliche Normen missachtet und dann die Reaktionen der Testpersonen beobachtet werden. Die Ethnomethodologie hat auch ihren Weg in die Unterhaltungsindustrie gefunden. Bei Bühnenstücke wie „Who's Afraid of Virginia Woolf?“ von Edward Albee oder Yasmina Rezas „Le Dieu du carnage“ oder Fernsehserien wie „Verstehen Sie Spaß“ oder „Schlag den Raab“ ist der Zuschauer in der Rolle des Beobachters und schaut zur Unterhaltung zu wie Menschen in Krisensituationen reagieren. Des weiteren wurde erneut die Triade und die Dynamiken ihrer drei Dyaden thematisiert. Wichtig ist der egalitäre Charakter der Elternbeziehung, eins der Merkmale durch die sie sich von Mutter-Kind und der Vater-Kind-Beziehung unterscheidet. Aus dieser Gleichheitsbeziehung entsteht das Verständnis des Kindes für die spätere politische Demokratie. Als nächstes ging es um Normvorstellungen in der Kindheitserziehung. Die zwei Fragen, die sich gegenüberstehen, sind: 1. Was ist für ein Kind normal? 2. Wie sollte ein Kind sein/Was ist für ein Kind erstrebenswert? Als Beispiel dafür wurden die Lutschgewohnheiten von Kleinkindern genannt. Wer sagt wie lange ein Kind am Daumen oder an einem Schnuller nuckeln darf? Wie lange ist es für ein Kind normal noch zu nuckeln? Oder auch die Frage wann ein Kind anfängt zu laufen bzw. die Eltern der Meinung sind es sei alt genug um nicht mehr getragen zu werden. Es fallen dann Sprüche wie: „Ne, ne, du kannst doch selber Laufen; ich muss dich nicht tragen. Die Möglichkeit, dass das Kind vlt. nur nach Nähe sucht geht dabei unter. Durch die Frage einer Mitstudentin viel das Beispiel eines Kindes, das hinfällt und anfängt zu weinen. Das Weinen des Kindes zeigt dessen Überforderung, die entsteht weil die Erwartung des Kindes an die Welt nicht erfüllt wurden. Dem Kind fehlt die Routine um mit der Situation umzugehen. Jetzt stellt sich die Frage: „Wie reagiert man in dieser Situation?“. Sollte man ihm sofort helfen und es tröstet? Oder hat das Kind zu lernen sich zusammen zu reißen und selbstständig aufstehen? Die Frage konnte in der Sitzung nicht geklärt werden. Nach der Besprechung des Protokolls wurde als Beispiel für ein kulturelles Normsystem, in dem die Individualförderung der Kinder nicht im Mittelpunkt steht, der Stamm der Nso in Westkamerun genannt. In diesem Stamm bekommt jedes Mitglied eine bestimmte Position und Aufgabe zugewiesen, über deren Verteilung nicht diskutiert wird. Babys werden in den Alltag eingebunden und sind bei Aktivitäten mit dabei. Dies geschieht um die Kinder möglichst früh in die Stammesstruktur einzubinden. Die Babys werden durch die proximale Strategie erzogen. Das bedeutet Kleinkindern werden nah am Körper auf dem Rücken getragen und stehen somit im ständigen Körperkontakt. Die Mutter ist immer nah beim Kind um es zu stillen wenn es unruhig wird; das Stillen mit der Muttermilch ist ein wichtiges Zeichen der Zugehörigkeit zum Stamm. Zudem hat das Kind regelmäßigen Kontakt zu einer Bezugspersonen, die alle in diffusen Sozialbeziehungen zu ihm stehen; Geschwister, Tanten und auch Nachbarn. Diese werden durch beobachten und imitieren des Verhalten der Mutter zu Babysittern „ausgebildet“, die sich um das Kind kümmern können um die Mutter zu entlasten und das Kind in die Gemeinschaft einzufügen. In unserer Kultur dagegen zählen auch Erzieher in Kindertagesstätten als Bezugspersonen der Kinder, zu denen sie an sich eine spezifische Sozialbeziehung haben, welche von den Kindern jedoch nicht als solche wahrgenommen wird, da sie nicht zwischen diffus und spezifisch unterscheiden. Frauen des Nso-Stammes wurden Videos von deutschen Müttern und ihren Kinder gezeigt. Sie waren entsetzt über den Umgang der Mütter mit den Kindern. So wahren sie sicher, dass das Liegen des Kindes auf dem Boden schlecht für dessen körperliche Entwicklung sei und verstanden nicht warum die Mütter nicht sofort zu ihren Kindern gingen und sie stillten, sobald diese unruhig wurden.