Presseforum EMO Hannover 2007 06 Computertomographie (Interview) Interview Computertomograph: Konkurrenz für die Koordinatenmessmaschine? Vom OP in die Fabrik - Medizintechnik erobert die Fertigungstechnik Zeit ist Mangelware beim Entwickeln von Automobilteilen. Den Prozess begleiten Messvorgänge, die vor allem bei Sicherheitsteilen viel Zeit und Geld kosten. Für den Automobilzulieferer Delphi entstand daher ein maßgeschneiderter Computertomograph (CT), dank dem sich aufwändige Messvorgänge von Wochen auf Stunden verkürzen. Projektmanager Peter Knauff berichtet über seine Erfahrungen mit einem aus der Medizintechnik stammenden Verfahren, das auch auf der EMO Hannover 2007 ein wichtiges Thema ist. Herr Knauff, was produziert Ihr Arbeitgeber? Peter Knauff, CT-Projektleiter bei der Delphi Deutschland GmbH, Wuppertal: Delphi entwickelt in Wuppertal Automobilelektronik und die dazu passenden Verbindungselemente. Dabei handelt es sich um sehr filigrane und komplex geformte Teile, die mit Spritzgießformen aus dem eigenen Werkzeugbau entstehen. Zum Vergleich der Ergebnisse des Spritzgießens zerlegen wir Probeteile aufwändig in Einzelstücke, um sie dann manuell auf 3D-Koordinatenmessmaschinen zu vermessen. Doch dieser Prozess dauert besonders bei Hohlkörpern sehr lange, denn sie müssen zersägt und dann einzeln abgetastet werden. Je nach Komplexität – etwa beim Vermessen von Bauteilen mit hunderten von Qualitätsmerkmalen – dauert dieser Vorgang sogar Wochen. Wie kam der Computertomograph ins Spiel? Die CT-Technik kommt in der Produktion schon länger zum Einsatz: So werden beispielsweise sämtliche Formel-1-Motoren mit dieser Technik durchleuchtet, um etwa Lunker (Lufteinschlüsse) und nicht gewollte Wandstärkenunterschiede in den Druckgussbauteilen zu entdecken. Mit dieser Strukturanalyse kann aber niemand vergleichen, ob ein gefertigtes Bauteil mit dem digitalen CAD-Entwurf übereinstimmt und wo es von den Sollwerten abweicht. Sie ließen sich also eine eigene CT-Anlage bauen? Ja, wir starteten zusammen mit der YXLON International CT Development GmbH aus Hattingen die Entwicklung eines CT, der in erster Linie Bauteile exakt vermessen soll. Dieses 3D-Abbild sollte dann mit dem CAD-Entwurf einem digitalen Soll-Ist-Vergleich 1/4 Presseforum EMO Hannover 2007 06 Computertomographie (Interview) unterzogen werden, der auf Mikrometer exakt Abweichungen aufzeigt. Gleichzeitig ist aber auch eine Vermessung möglich, aus der Delphi die von den Automobilherstellern bevorzugte Tabellenform erstellt. Im Jahr 2005 ging der Neuling in die Erprobungsphase. Der Wuppertaler CT besteht im Wesentlichen aus vier Elementen: Detektor, Strahlenquelle, Objektträger und Manipulator. Der Manipulator besteht aus einem schweren Granitblock, der für die erforderliche Präzision der beweglichen Achsen sorgt. Die Präzision entspricht der einer Koordinatenmessmaschine, die im Mikrometerbereich arbeitet. Wie arbeitet die Anlage, welche Erfahrungen machten Sie? Jedes vermessene Detail des Bauteils wird als numerischer Wert mit dem CAD-Modell verglichen. Je größer die Differenz ausfällt, desto intensiver markiert die Software die Abweichungen mit Hilfe einer Farbskala. Das Validieren eines komplexen Bauteils verkürzt sich auf diese Weise mit dem CT um bis zu 70 Prozent. Das ist bares Geld für unseren Arbeitgeber. Welche Werkstücke lassen sich vermessen? Knauff: Die CT-Anlage misst maximal 240 mal 240 mal 240 mm große Werkstücke zum Beispiel aus Kunststoff, Aluminium, Gummi, Stahl oder Eisen. Die Anlage kann aber auch größere Bauteile durch schrittweises Scannen und späteres Zusammenfügen der Daten vermessen. Die maximale Bauteildicke nimmt mit der Festigkeit des Materials ab. Tiefziehstahl lässt sich beispielsweise bis zu einer Wanddicke von 3,0 bis 4,0 mm durchleuchten. Wo sind die Grenzen? Je niedriger die Strahlungsenergie ausfällt, desto besser kann der CT ein Bauteil darstellen. Wenn die Strahlungsleistung sehr hoch ist, dann sehe ich zwar noch den Aufbau und die Struktur eines Gussteiles, aber nicht mehr den Bruchteile von Millimetern großen Lunker. Hochfeste Stähle jenseits von 1 000 MPa lassen sich nur bei sehr kleinen Bauteilen durchleuchten. Wie bewältigen Sie die beim Messen entstehenden hohen Datenmengen? Beim Messen mit 1 400 Bildern pro Umdrehung fallen in der Tat enorme Datenmengen an: Selbst ein sehr kleines Bauteil wie die Einspritzdüse erzeugt bereits eine Punktwolke mit 18 Gigabyte. Um die enorme Datenmenge zu bewältigen, kommt es in meiner Abteilung zu einem Dreischicht-Betrieb der besonderen Art: Die sechs Mitarbeiter messen im Zwei-Schicht-Betrieb, während nachts dann mehrere, 2/4 Presseforum EMO Hannover 2007 06 Computertomographie (Interview) miteinander vernetzte Computer die tagsüber angefallenen Daten berechnen und in 3D-Bilder umwandeln. Wie kommt die Technik im Werkzeugbau am? Sehr gut. Ich ‚zerschneide’ auf dem Bildschirm ein Bauteil innerhalb von weniger als einer halben Stunde in 0,2 mm hauchdünne Scheibchen, um den Füllgrad zu untersuchen und Formenbauer so auf mögliche Prozessfehler hinzuweisen. Das Verfahren eignet sich also für alle Bauteile, bei denen mögliche Volumendefekte wie Lunker auftreten können. Sogar Risse lassen sich damit manchmal noch erkennen. Warum dauerte es so lange, bis Sie den staatlichen Segen durch den Nachweis der Messmittelfähigkeit erhielten? Ein CT lässt sich nicht so einfach wie andere Anlagen überprüfen, in dem Sie beispielsweise ein geeichtes Prüfmittel vermessen. Weil physikalisch bedingt die Messergebnisse von Werkstoff zu Werkstoff und von Bauteil zu Bauteil variieren, helfen sich Hersteller zum Beispiel mit dem Vergleich der Ergebnisse mit anderen Systemen oder durch Einscannen so genannter ‚Normalien’. Was halten Sie von dieser Methode? Ich sehe als legitime Methode an, wenn Hersteller die jeweiligen Parameter oder die benutzten Hilfsmittel der Messergebnisse auch exakt angeben würden. Allerdings vermisse ich hier manchmal die wissenschaftliche und statistisch fundierte Genauigkeit. Daher setzen wir stattdessen auf eine statistische Untersuchung nur für die eigenen Produkte. Und wie ist der Stand der Dinge bei der Zulassung der CT-Anlage als Messmittel für ihre in Wuppertal-Ronsdorf gefertigten Produkte? Die entsprechenden statistischen Untersuchungen (GR&R und MSA) sind erfolgreich mit sehr viel versprechenden Ergebnissen abgeschlossen worden. Wir sind im Moment in der Diskussion mit der Zertifizierungstelle, in unserem Falle ist das der TÜV Nord, um die nächsten Schritte abzustimmen. Ziel ist es, den Computertomographen, unter bestimmten Einsatzbedingungen und zu definierten Prüfaufgaben, als Messmittel zu zulassen. 3/4 Presseforum EMO Hannover 2007 06 Computertomographie (Interview) Firmen-Profil In Wuppertal befinden sich am Stammsitz der Delphi Deutschland GmbH, einer Tochter des bekannten amerikanischen Automobilzulieferkonzerns Delphi (weltweit 177 000 Mitarbeiter, 26,9 Mrd. US-Dollar Umsatz – in Europa: 50 000 Mitarbeiter, 5,4 Mrd. Euro Umsatz), die beiden Zentren für Systementwicklung und Technologie. Im Kunden-Technologie-Zentrum arbeiten 1 200 Mitarbeiter aus 30 Nationen. Etwa jeder Zweite ist ein Ingenieur, der Entwicklungsaufgaben übernimmt. An einem zweiten Standort in Wuppertal-Ronsdorf arbeiten weitere 300 Mitarbeiter im Werkzeugbau, Prozessengineering und Technikum. ((Bildunterschriften)) ((106-01-106-02 DELPHI-Knauff.jpg)) Peter Knauff, CT-Projektleiter bei der Delphi Deutschland GmbH, Wuppertal: „Das Validieren eines komplexen Bauteils verkürzt sich auf diese Weise mit dem CT um bis zu 70 Prozent. Das ist bares Geld für unseren Arbeitgeber.“ Foto: Delphi, Wuppertal, Fecht, Gelsenkirchen ((106-04 – 106-08 DELPHI-Bauteilentwicklung.jpg)) Messen mit dem Computertomographen (von links): Die CT-Anlage röntgt ein Kunststoffspritzgussteil. Aus einzelnen Röntgenaufnahmen entstehen eine dreidimensionale Punktwolke und eine echte 3D-CAD-Abbildung. Fotos: Delphi, Wuppertal ((106-09 und 106-10 DELPHI-Computertomograph.jpg)) Pilotanwendung: Der Automobilzulieferer Delphi besitzt eine neue CT-Anlage, die das Validieren von Bauteilen um bis zu 70 Prozent reduziert. Foto: Delphi, Wuppertal ((106-11 DELPHI-Prinzip)) Funktionsprinzip: Bei der industriellen Computertomographie in Wuppertal dreht sich das Werkstück und nicht − wie bei der Medizintechnik − die Messeinrichtung. Foto: Delphi, Wuppertal Ansprechpartner: Delphi Deutschland GmbH Thomas Aurich Unternehmenskommunikation Vorm Eichholz 1 42119 Wuppertal DEUTSCHLAND Tel. +49 202291-2115 Fax +49 202291-2903 [email protected] www.delphi.com 4/4