Präventive Aspekte der Kieferorthopädie - IZZ-ON

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12. IZZ-presseforum, 21. Juli 2006, Freiburg
Z a h n m e d i z i n
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T h e o r i e
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P r a x i s
Universitätsklinik für Zahn-, Mund und Kieferheilkunde Freiburg
2.
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Neubeschreibung einer präventionsorientierten modernen
Zahnheilkunde
Präventive Aspekte der Kieferorthopädie
(Es gilt das gesprochene Wort)
von Professor Dr. Irmtrud Jonas,
Ärztliche Direktorin der
Abteilung für Kieferorthopädie
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Die Kieferorthopädie ist ein Fachgebiet der Zahn-, Mund- und
Kieferheilkunde, das der Prävention schon immer einen hohen Stellenwert
zugeordnet hat. In den Richtlinien des Bundesausschusses der Zahnärzte
und Krankenkassen für die kieferorthopädische Behandlung in der ab
01.01.2004 gültigen Fassung heißt es: „Zur vertragszahnärztlichen
Versorgung gehört die kieferorthopädische Behandlung, wenn durch eine
Kiefer- oder Zahnfehlstellung die Funktion des Beißens, Kauens, der
Artikulation der Sprache oder eine andere Funktion, wie z. B.
Nasenatmung, der Mundschluss oder die Gelenkfunktion, erheblich
beeinträchtigt ist bzw. beeinträchtigt zu werden droht…“ Die Prävention
betrifft die letzte Aussage dieser Richtlinie und zwar die „drohende
Beeinträchtigung“ der zuvor aufgezählten Funktionen.
Inwieweit kann die Kieferorthopädie hier sinnvoll Prävention betreiben?
Häufig wird in diesem Zusammenhang gerade auf die frühe
kieferorthopädische Behandlung Bezug genommen, d. h. die Behandlung
vor dem Einsetzen des Zahnwechsels in den Stützzonen.
Diese frühe Behandlung kann theoretisch unterteilt werden in
- präventive Maßnahmen
- aktive kieferorthopädische Behandlung.
Praktisch sind diese beiden Intentionen jedoch nicht klar voneinander zu
trennen, da mit Hilfe der Frühbehandlung nicht nur einer Fehlentwicklung
des Gebisses sondern auch der Verstärkung einer bereits vorhandenen
Anomalie entgegengewirkt werden soll. Im Folgenden soll anhand von
Beispielen erläutert werden, welche Indikationen für eine solche
präventive Frühbehandlung bestehen. Einer der Schwerpunkte liegt auf
dem Abstellen von schlechten Angewohnheiten.
Zu den häufigsten Dyskinesien zählt die Lutschgewohnheit (z. B. Daumen,
Finger, Bettzipfel, Schnuller). Ob eine solche Lutschgewohnheit tatsächlich
zu einer Zahnfehlstellung führt, ist unter anderem abhängig von der Dauer,
Intensität und Art des Lutschens. Die Entwicklung von Funktionsstörungen,
Fehl- oder Parafunktionen, die erst sekundär aus dem Lutschhabit
entstehen, ist häufig schädlicher als das primäre Habit. Dazu zählen das
Lippenbeißen, Lippensaugen, Zungenpressen, anomales Schlucken.
Mögliche Folgen dieser sekundären Fehlfunktionen sind:
- ein offener Biss
- der Steilstand der Unterkieferfrontzähne
- die lückige Protrusion der Oberkieferfrontzähne
- eine Rücklage des Unterkiefers.
Das ständige Beißen auf der Unterlippe bzw. ihre Einlagerung zwischen die
Frontzähne des Ober- und Unterkiefers ist eine weitere häufige Dyskinesie.
Dadurch können folgende Probleme auftreten:
- eine deutliche Vergrößerung der sagittalen Frontzahnstufe
- ein dorsaler Zwangsbiss, der später zu erheblichen
Kiefergelenksproblemen führen kann.
Ein falsches Schluckmuster kann erheblichen negativen Einfluss auf die
weitere Gebissentwicklung nehmen. Spätestens mit 4 Jahren sollte das
Schlucken nicht mehr durch einen Kontakt zwischen Zunge und Lippe
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ausgelöst werden, sondern in ein reifes Schluckmuster mit
Molarenkontakten übergegangen sein. Setzt diese Umstellung nicht von
alleine ein, besteht die Gefahr, dass durch die Zungeneinlagerung ein
offener Biss entsteht.
Viele Kinder sind Mundatmer. Mögliche Folgen einer ständigen
Mundatmung sind:
- entzündliche Veränderungen der Gingiva
- erhöhte Kariesanfälligkeit
- häufige Schwellungen des lymphatischen Rachenrings
- oberer Schmalkiefer mit hohem Gaumen
- lateraler Kreuzbiss
- Progenie durch tiefe, anteriore Zungenlage.
Auch hier besteht Handlungsbedarf von kieferorthopädischer Seite,
nachdem ein Hals-Nasen-Ohrenarzt die anatomische Mundatmung
ausgeschlossen hat, um die dramatischen Folgen gar nicht erst auftreten
zu lassen.
Bei den therapeutischen Möglichkeiten zum Abstellen von
Lutschgewohnheiten sind die psychologischen Methoden wie Ablenkung,
das Ausmalen eines Sonne-Regenkalenders oder das Aufmalen von
Gesichtern auf den Lutschfinger den rabiateren Methoden wie
Handschuhe, zugenähte Ärmeln oder Daumexol vorzuziehen. Nach
frühzeitigem Abgewöhnen des Lutschens (gute Prognose bis zum 4.
Lebensjahr) kann es noch zu einem Selbstausgleich der Zahnfehlstellungen
kommen. Ein Standardverfahren ist die Behandlung mit der
Mundvorhofplatte (mögl. individuell hergestellt). Natürlich gibt es weitere
Plattenapparaturen, die präventiv im Sinne der Abschirmtherapie
eingesetzt werden können.
Bei manchen Kindern ist präventive Kieferorthopädie angezeigt, weil
vorzeitige Milchzahnverluste die normale Kieferentwicklung stark
beeinträchtigen können. Hier kommt das Einsetzen eines
herausnehmbaren Lückenhalters in Frage, der die Möglichkeit bietet, die
Lücke in allen drei Dimensionen zu halten.
Es gibt auch Kieferfehlstellungen, die schon sehr früh auftreten und
aufgrund ihrer Progredienz (der weiteren Ausprägung im Laufe des
Wachstums) frühzeitig behandelt werden sollten. Dazu gehören der offene
Biss, die Progenie sowie der ausgeprägte Distalbiss. Hier liegt der
präventive Aspekt darin, dass eine weitere Verschlechterung durch
sekundär aufgelagerte Dyskinesien verhindert werden soll. Außerdem wird
einer im Erwachsenenalter sonst unumgänglichen chirurgischen Korrektur
der Fehlstellung vorgebeugt.
Abschließend bleibt zu erwähnen, dass auch die reguläre
kieferorthopädische Behandlung in der späten Phase des Zahnwechsels
häufig eine präventive Maßnahme ist. So dient beispielsweise die
Beseitigung eines traumatisierenden gingival abgestützten tiefen Bisses der
Vermeidung von Rezessionen und später vielleicht drohendem Zahnverlust
in der Oberkieferfront.
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