Da sitze ich und Seh, wie Samira untersucht wird. Das ernste Gesicht des Arztes, eine leise Vorahnung. Ist etwa mit ihr? Der zweite Arzt kommt. Die besorgten Gesichter. Die Diagnose. Bodenloser Raum breitet sich aus. Nein, nicht sie. Ich brauche Zeit, Zeit um die Antwort zu finden, Zeit, mich zu finden, zu spüren. Die lange Fahrt in UKE. Ich halte sie ganz fest an meinem Herzen. Ich muß sie spüren, ganz fest. Ich kann sie nicht wieder hergeben. Ich liebe sie. So stark! Ohnmächtig sehe ich zu, wie wir uns dem Krankenhaus nähern. Klingeln, warten. Eine Ärztin kommt und nimmt uns Samira weg. Nein, ich will nicht, habe keine Kraft mich zu wehren, fühle mich wie in einem bösen Traum. Samira wird ausgezogen und wird wieder untersucht. Die ganzen medizinischen Wörter schwirren mir im Kopf, ich verstehe gar nichts mehr. 2 Ärzte, 3 Ärzte. Es wird gefachsimpelt, keiner spricht zu uns. Samira liegt im Intensivbettchen, traue mich nicht sie anzufassen. Will sie auf den Arm nehmen, alle Kabel von ihr reißen und wegrennen. Weg. Weg von hier. Nur mit ihr allein sein. Der Oberarzt kommt. Ein nüchternes Gespräch, die Tränen rennen, meine Kraft ist dahin. Schreie! Ich höre, wie Samira leidet, wieder Schreie, mein Herz blutet. Ich will zu ihr. Will sie im Arm halten, will sie stillen, will meine ganze Familie um mich scharren. Worte kommen nicht an, ziehen vorbei. Wir haben eine Nacht Zeit darüber nachzudenken, wie wir uns entscheiden wollen. Reicht das, für diese schwere Entscheidung? Kann sie nicht einer für mich abnehmen? Samira liegt im Bettchen. Sie ist so weit weg von mir. Ich will sie noch mal im Arm halten, stillen. Sie ist zu schwach dafür. Kann ich das nicht besser beurteilen? Ich will sie mitnehmen, halten. Nimm alles hin, kann mich nicht mehr wehren. Die Schwester kommt mit einem Fläschchen Beba Milch an. Es tut mir in der Seele weh, das zu sehen. In mir ist alles leer. Heinz verliert seine Fassung. Sein Kopf liegt dicht bei Dir, er fängt an zu weinen. Ich streichle ihn über den Rücken, merke, wie es ihn innerlich zerreißt. Kurze Zeit später kämpft er wieder um seine Fassung. Wir gehen und nehmen ihr Kissen mit, wo ich sie die ganze Zeit gehalten habe. Fühle mich kraftlos, haltlos, allein. Die Tränen fließen. Ich rufe meine Hebamme Andrea an. Sie ist schockiert, sprachlos. Damit hat sie nicht gerechnet. Wir auch nicht. Sie bietet an nochmals vorbeizuschauen, ich lehne ab. Will allein sein. Stille, die Entscheidung liegt in der Luft. Tod. Unwiderruflich. So oder so. Die Schreie hallen in mir nach, welche? Meine oder Samira´s ? Ich lasse das Gespräch Revue passieren. Sie haben drei Möglichkeiten. Samira wird auf eine Herztransplantationsliste gesetzt. Die mittlere Wartezeit beträgt 4 Monate. Sie müßte allerdings die Zeit hier im Krankenhaus bleiben, da sie das Medikament benötigt, welches den Kurzschluß im Herzen offen hält. Ich überdenke diese Möglichkeit. 4 Monate, sie im Krankenhaus, wir zu Hause, und was ist mit ihrer Schwester? Sabrina wird Samira nie besuchen dürfen, und ihre Eltern wären immer in Gedanken bei Samira. Und muß nicht einer dafür sterben, daß Samira leben darf? Tod für Leben? Was für ein Leben? Immer Tabletten schlucken? Lebensqualität oder Quantität, das ist hier die Frage. Die andere Möglichkeit sie operieren zu lassen, nur diese Sache steckt noch in den Kinderschuhen. Keine genauen Angaben, nur vage Vermutungen. Und dann die Schwerste!! Der Natur ihren Lauf zu lassen. Sie sterben zu lassen. Die Bilder und Antworten und Eindrücke schwirren in meinem Kopf. Ich kann keinen klaren Gedanken mehr fassen. Ist das nicht eine unmenschliche Entscheidung, die wir treffen müssen? Meine Kräfte sind am Ende, ich fühle mich so leer, so allein. Ich will sie nicht leiden lassen, sie soll wenn, in Frieden sterben. Kann das nicht einer für uns entscheiden? Wo bleibe ich? Meine Arme tun mir weh. Mein ganzer Körper schmerzt. Wir holen Sabrina von ihrer Oma ab. Sie schläft. Wir sprechen mit Oma. Sie versucht Haltung zu bewahren, nur ganz gelingt ihr es nicht. Ich trage Sabrina zum Auto. Muß meine schmerzenden Arme füllen. Mir wird schwindlig. Ich brauche Hilfe! Woher? Ein großes schwarzes Loch tut sich vor mir auf. Erinnerungen tauchen auf. Als wäre es gestern gewesen. Der positive Schwangerschaftstest. Die große Freude, bald sind wir eine richtige Familie. Die Schwangerschaft genieße ich in vollen Zügen. Ich bin glücklich und strahle. Jeder sieht mir mein Glück an. Mir geht es diesmal auch super. Ich habe viel Zeit mit dem Wesen in meinem Bauch. Ich rede viel mit ihm. Die Zukunft wird in den allerschönsten Farben gemalt. Dieses Kind wird die Krönung unserer Ehe. Ein Teil von mir. Es ist mir so nah, ich kenne dieses Wesen ganz genau. Wir spielen miteinander. Überall war es mit dabei, so präsent, jeder freute sich mit uns. Sabrina freute sich auf das Baby, sie verteilte die Spielsachen im Kinderzimmer, sie bestimmte, wo das Kinderbett hin kommen soll. Keine Spur von Eifersucht. Und dieses alles sollte zerplatzen wie eine Seifenblase? Nein, alles in mir schreit Nein. Ich will fliehen, es geht nicht. Ich bin gefangen. Die Nacht ist kurz. Was wollen wir tun? Ist dort keiner, der uns helfen kann? Ich kann diese Entscheidung nicht treffen, ist sie schon getroffen? Nur, wie sieht der Weg dahin aus? Was wäre, wenn? Jede Möglichkeit hat ihren Schatten. Ich bin zerrissen. Bete. Ich gebe mein Leben für sie. Ein neues Kind? Nein, ich will Samira behalten. Ich kenne sie so gut. Jede Regung habe ich von Dir gespürt, jeden Schluckauf. Wußte, wie ich Dich beruhige, wußte, was Dir gut tat. Der Wecker reißt mich aus meinen Träumen. Die Brüste schmerzen. Nein, nicht noch das! Ich will keine Milch geben. Ich habe so gerne gestillt getan. Und nun? Ich fühle mich gefangen in meinem Körper, wie ein Löwe im Käfig. Das Telefon klingelt. Der Kinderkardiologe möchte wissen, wie wir uns entschieden haben. Für den Tod. ,,Wirklich? Sie sind sehr stark.“ Mein Stolz wird gestreichelt. Stark! Stark? Nein, ein Wunder soll geschehen. Ich kann diese Kind nicht hergeben. ,,Sie haben die richtige Entscheidung getroffen“. Wofür? Für wen? Nicht für mich! Chaos, die Gefühle in mir fahren munter Karussell. Ich nehme Sabrina fest in den Arm. Wie sieht unsere Zukunft jetzt aus? Bunt wie vorher? Nein, schwarz. Wie soll ich es Sabrina sagen, daß ihre Schwester sterben wird? Wer gibt mir die Antwort? Ich rufe meine Frauenärztin an, ich brauche ein Rezept für eine Milchpumpe. ,,Warum?“ ,,Weil mein Kind im Krankenhaus liegt und ich nicht mit aufgenommen werden kann.“ Es wird fertiggemacht. Sie schicken es mir zu. Ich bin froh, das erledigt zu haben. Wir bringen Sabrina zur Oma. „Bringt Ihr das Baby wieder mit?“ Ich bin fassungslos. Die Tränen schnüren mir die Kehle zu. Ich kann dazu nichts sagen. Wir geben Mama diesmal die Schlüssel, damit sie abends Sabrina ins Bett bringen kann. Heinz und ich fahren ins UKE. Die Fahrt will nicht enden. Ich will zu meinem Kind. Wir halten uns ganz fest. Tränen verschleiern meinen Blick. Heinz paßt auf, das ich nicht falle. Ich stolpere vor mich hin. Endlich angekommen. Ich sehe Samira mit Magensonde. Warum? Mit Schnuller. Alles in mir schreit. Sie sollte keinen Schnuller haben. Ich nehme sie aus dem Wärmebettchen. Es fängt an zu piepen. Eine Schwester kommt. Wir möchten das nächste Mal doch bitte warten, und Bescheid sagen, wenn wir sie rausnehmen. Ich habe keine Kraft mich zu wehren. Ich halte sie ganz fest. Sie öffnet die Augen. ,,Hallo Mäuschen, deine Mama ist da.“ Was für eine Mutter, die sich gegen das Leben entscheidet, die kein krankes Kind will. ,,Wer sagt es den Ärzten?“ Ich kann es nicht. Die Tränen rollen die Wangen runter. Samira wird unruhig. Ich lege sie an. Spüre, wie sie trinkt. Mein Herz springt ihr entgegen. Mit großen Augen sieht sie mich an. Wie lange noch? Ich bin müde. Vor 53 Stunden habe ich Dich geboren. Erlebe es nochmals. Loslassen, das war das Wort, welches ich die ganze Zeit gedacht habe. In den Wehenpausen habe ich mit Dir gesprochen, habe Dir erzählt, das Deine große Schwester auf die wartet. Die Wehen werden sehr heftig und kommen schnell. Ich will aus der Badewanne raus. Wie ich draußen bin beruhigt sich alles. Ich habe Zeit ein wenig zu verschnaufen. Ein irrer Druck lag auf dem Becken, denn die Fruchtblase war noch intakt. Wie ein aufgestauter Wasserballon platzte die Blase. Das Wasser lief an meinen Beinen herunter. Und dann ging es Schlag auf Schlag. Kurze Zeit später war der Muttermund vollständig eröffnet. Die Preßwehen setzen ein. Da Dein Köpfchen so fest auf das Steißbein drückte, habe ich mich auf den Gebärhocker gesetzt. Allerdings ziemlich schief, denn Birgit sagte zu Heinz: „halte sie fest, das Baby kommt jetzt.“ Und schwupp, warst Du da. Ich habe Dich auf den Bauch gezogen und bin mit Dir ins Bett gekrochen. Endlich warst Du da. Unser Mädchen. Du bekamst den Namen SAMIRA LORRAINE. Ich war so stolz auf mich, die Geburt ohne Medikamente geschafft zu haben. Nun waren wir komplett. Du warst schon ziemlich durstig, denn wie ich Dich angelegt hatte, hast Du sofort die Brust ausgetrunken. Mein Glück war grenzenlos. Ich konnte mich nicht satt sehen an Dir. Du warst so vollkommen. Und eine irrsinnige Matte von schwarzen Haaren auf dem Kopf. Das Du so klein warst, hat mich überhaupt nicht gestört, 45 cm und 2880 g. Ich fand es reicht aus. Die Wehen, sie klingen jetzt nach, wie Du so trinkst. Erst dieses unbeschreibliche Glück und nun diese tiefe Traurigkeit, Dich wieder hergeben zu müssen. Ich will es nicht. Könnte ich Dich doch wieder in meinen Bauch legen, da warst Du ganz dicht bei mir, in mir. Da konnte Dir nichts geschehen. Leider geht das nicht. Ich traue mich nicht, mit Dir zu sprechen. Dir vorzusingen, wie ich es immer getan habe. Warum? Die Ärzte kommen. Hören unsere Entscheidung. Nicken, können es verstehen, kein Wort dagegen. Ich bin erstaunt, das habe ich nicht erwartet. „Sie dürfen Samira mit nach Hause nehmen.“ Wozu? Zum Sterben? Nein! Dazu habe ich keine Kraft. Der Chefarzt spricht mit uns. „Was können wir für Sie tun, damit Sie mit dieser Entscheidung leben können?“ Leben? Hat das noch einen Sinn? Wofür? Sabrina! Meine Große, die so selbständig ist, und mich manchmal schon nicht mehr braucht. Ist es das? Hält mich das? Ich weiß es nicht. Ich will weg, weg von diesem Ort, alleine sein, mit Samira. „ Was wollen Sie denn machen, wenn Samira tot ist? Sie können eine Autopsie veranlassen, wenn sie hier im Krankenhaus sterben sollte.“ Dieser Gedanke verursacht mir eine Gänsehaut. Sie aufmachen lassen? Nee. Nachher steht in diesem Bericht, ihre Tochter Samira wäre eine gute Kandidatin für die Norwood Op´s gewesen. Nein, wem nützt denn das noch etwas. Tut mir leid, kein Bedarf. „Wir können aber eine Chromosomenanalyse anfertigen lassen. Damit Sie sicher sein können, das dieser Herzfehler nicht erblich ist. Und Sie mit Zuversicht in eine eventuelle neue Schwangerschaft gehen können. Ich wiederhole gerne das Angebot, das Sie Samira mit nach Hause nehmen dürfen.“ Was? Nee! Keine Tote zu Hause. Abends ins Bett gelegt, morgens tot. Nein, das schaffe ich nicht, kann ich nicht. Sie soll dort bleiben. Am nächsten Tag soll das Medikament abgestellt werden. „Wie lange wird Samira noch leben?“ Achselzucken, ratlose Gesichter. Tage, Wochen? „Der Ductus ist noch ganz weit offen, da fällt die Prognose schwer.“ Wieviel Kraft habe ich noch um all dieses durchzustehen? Ich habe den Halt verloren. Schwebe im Raum. Streichle Samira übers Gesicht. Sie lächelt. Ihre Wangen sind naß. Weint sie auch? Nein es sind meine Tränen, die auf sie fallen. Vergesse Raum und Zeit. Heinz sorgt dafür, das wir essen gehen können, sonst klappe ich noch zusammen. Ich kann das Essen nicht richtig genießen. Muß mich zu jedem Bissen zwingen. Auf den Weg zurück sprechen wir über die Möglichkeit Samira mit nach Hause zu nehmen. Was ist, wenn sie einen Todeskampf hat? Wenn sie nach Luft schnappen wird? Kann ich das ertragen? Habe ich dafür die Stärke? Nein. Ich weiß auch nicht, ob ich die Wohnung jemals wieder betreten kann, wenn Samira dort stirbt. Als wir wieder dort sind, nehme ich Samira wieder auf den Arm. „Kleine Maus, kannst Du mir nicht die Antwort geben?“ Deine Finger umschließen meine Hand. Suchen sie auch Halt? Samira schläft, und ich merke, das ich langsam den Milcheinschuß habe. Auf der Station haben sie leider keine Milchpumpe. Ich gehe auf die Frühchenintensiv. Dort saßen zwei Mütter mit ihren Baby. Ich fragte, wegen der Milchpumpe, aber beide rieten mir von dieser dort ab, denn der Sog wäre nicht so gut. Sie fragten mich, wann ich denn mein Baby bekommen habe und ich sagt am 30. November. „Und in der wievielten Schwangerschaftswoche?“ „In der 41.“ In dem Moment war es mit meiner Fassung vorbei. Ich fing an zu heulen. Simone, sie hatte Zwillinge, nahm mich nur in den Arm. Ich erzählte ihr das Samira sterben wird. Die Stimmung in dem Zimmer war sehr merkwürdig in diesem Moment. Die Schwester schickte mich dann auf die Herzintensiv, wo wohl auch eine Milchpumpe ist. Ich wurde in ein Zimmer geführt, wo gerade eine Mutter am Stillen war und ein anderes Baby lag verkabelt im Bett. Ich sah in dem Moment Samira dort liegen. Nein, das will ich nicht. Durch den ganzen Streß hatte ich nur 20 ml Milch. Aber ich sagte mir, besser als gar nichts. Wie ich dann wieder auf unserer Station war, war ich schweißgebadet. Ich habe der Schwester die Flasche gegeben und habe sie gebeten, dieses Samira heute nacht zu geben. Neben Samira lag noch Tamara. Die Pastorin sprach gerade mit der Mutter. Daraufhin kam sie noch zu uns, obwohl ich keine Lust auf einen Theologen hatte. Sie war allerdings ganz nett, was ich nicht erwartet hatte. Ich erzählte ihr, das Samira sterben wird, und wie wir zu diesem Entschluß gekommen sind. Sie hörte nur zu, und das half am meisten. Sie fragte, ob wir Samira taufen lassen wollen. Ich habe das abgelehnt. „Es wäre hier im Krankenhaus möglich.“ Nein, nicht noch mehr Aufregung. Meine Hormone machten eh` schon mit mir, was sie wollten. Außerdem bin ich der Meinung, die Taufe ist nur für die Kinder für den Fall, falls den Eltern mal was passieren sollte, und Paten da sind, die sie dann aufnehmen können. Und da sicher ist, das Samira uns nicht überleben wird, sah ich darin keine Veranlassung. Ich hadere mit dem Schicksal. Habe ich nicht schon im Leben genug durchgemacht? Muß das jetzt noch sein? Wir fahren nach Hause. Mama wartet. Einige Anrufe. Ich überlege, mit wem ich sprechen will. Ich rufe Alex an. Viel bringe ich nicht heraus. Ich breche in Tränen aus. Sie versteht die Welt nicht mehr. „Ihr werdet es schaffen!“ Dran glauben kann ich nicht. Ich darf sie jederzeit anrufen. Das tut gut, das zu wissen. Gibt es ein Leben nach Samira? Ohne sie? Ich kann es mir nicht vorstellen. Sehe alles nur verschwommen. Frau Dr. Beer-Witt ruft an, und fragt, was los ist. Ich erzähle ihr, das Samira sterben wird, weil nur die linke Herzanlage da ist aber nicht weitergewachsen. Sie fehlt praktisch. Das nette Wort dafür ist Hypoplastisches Linksherzsyndrom. Sie wußte nicht, was sie sagen sollte. Sie hat alle Ultraschallbilder kontrolliert. Sie hat nichts gefunden. Sie wünschte uns noch ganz viel Kraft und sagte uns, wenn wir was brauchen, dann sollten wir uns melden. Später kommt Andrea vorbei. Sie hat Tränen in den Augen. Wir reden lange miteinander. Ich habe den vollen Milcheinschuß. Sie hat Salbeitee und ein homöopathisches Mittel dabei. Abstillen? Nein, ich habe so gerne gestillt und Samira soll das Beste bekommen, solange es möglich ist. Nur wozu? Wie lange noch? Sie wird sowieso sterben. Sterben? Ich soll dieses Geschöpf weiter loslassen? Kann ich das? Ich wollte..... ja, nur einfach Mutter sein. Mit allem was dazugehört. Aber nicht so. Nur auf Zeit, und keiner kann mir sagen, wie lange noch. Mein Körper zeigt mir, das ich Mutter bin. Wie lange noch? Ich habe eine sehr unruhige Nacht. Ich mache mir nachts einen Quarkwickel, weil meine Brüste so schmerzen. Ich träume davon, Samira mit nach Hause zu nehmen. Ich wache auf. Brauche Zeit um mich zu orientieren. Ich will mein Baby. Will wieder ganz werden. Die Seele soll wieder heil werden. Das Frühstück verläuft still. Esse, weil Heinz es mir sagt. Kriege nichts mehr richtig hin. Ich gehe in die Apotheke und besorge mir eine Milchpumpe. Der Apotheker fragt, wie lange ich sie brauche. Da sagte ich, es kommt darauf an, wie lange unser Kind noch leben wird. Er wurde käsig im Gesicht. Zu Hause mache ich mir erstmal noch einen Quarkwickel. Ich sage Heinz, er möchte mir dann bitte die Milchpumpe mitbringen, wenn er nachkommt. Ich fahre heute erstmal alleine zu Samira. Denn für Sabrina wollen wir ein Stück Alltag aufrecht erhalten. Daher fährt Heinz mit ihr in die Elternschule, wo heute ihre Kindergruppe ist. Im Bus sehe ich all die glücklichen Schwangere. Ich bin neidisch. Eine Frau mit Kinderwagen will in den Bus steigen. Ich schau sie nur an. Sie bittet um Hilfe. Ich schaue weg. Warum darf sie ihr Baby behalten und ich nicht? Die Tränen fließen. Mein Körper schmerzt. Ich bin schlapp. Ich halte das Fell ganz fest. Wir hatten es extra für Dich gekauft. Jedes Kind soll sein eigenes Fell haben. Es soll Dich wärmen. Dich oder mich? Die Kälte, die in meinem Herzen ist, kann es nicht erreichen. Ich renne auf Station. Diese Prozedur, Händewaschen, Kittel anziehen, Hände desinfizieren. Es kann mir heute nicht schnell genug gehen. Dein Anblick mit der Magensonde und mit den ganzen Kabeln macht mir zu schaffen. Ich sag der Schwester, das ich da bin. Nehme Dich auf den Arm. Die Schwester guckt. Sie ist das kleine Monchichi der Station, weil sie so viele Haare hat. Ich lächle. Spiele mit dem Gedanken, ihr ein Büschel abzuschneiden. Zur Erinnerung. Schiebe diesen Gedanken sofort beiseite. Ich habe den Fotoapparat dabei. Ich will noch einige machen. Aber der Apparat nimmt keine Einstellung an. Ich krieg die Krise. Darf ich von meinem Kind noch nicht mal Fotos haben? Ich will Samira ganz dicht bei mir spüren. Ich ziehe mein Oberteil aus. Lege sie mir an die Brust. Baue ihr ein kleines Nest mit ihrer Decke und dem Fell. Halte Dich ganz fest. Das Fell wärmt, mich und Dich. Du trinkst in aller Ruhe. Die Gedanken ziehen ihre Kreise. Eine Stimme in mir sagt, nimm sie mit. Mein Verstand sagt nein. Mein Herz schreit. In mir tobt ein Ringkampf. Soll ich, soll ich nicht? Wer wird gewinnen, Herz oder Verstand. Es ist heute sehr unruhig auf der Station. Ich kann dieses ganze gepiepe nicht mehr hören. In dem Moment piept auch der Monitor von Samira. Ich habe die Nase voll. Ich nehme das Kabelbündel und ziehe einmal kräftig. Alle sind ab. Eine Schwester kommt gleich angelaufen. Sie guckt mich an. „Mir ist der Strang runtergefallen.“ „Ist schon okay. Sie haben ja Samira im Arm und dann werden Sie sich schon melden, wenn etwas ist.“ Puh, das ist geschafft. Wenigstens ein paar Kabel weniger. Ich kann Dich gleich ganz anders genießen. Du schläfst, auf meiner Brust. Es ist so schön. Ich habe Dich ganz nah bei mir. Ich nicke kurz ein. Ich träume. Mein Herz und mein Verstand haben Gestalt angenommen. Sie stehen in einem Boxring und fechten ihren Kampf aus. Das Herz argumentiert, der Verstand argumentiert. Unentschieden. Ich wache auf. Ich habe Angst. Wie soll es weitergehen? Wie lange wird es noch dauern? Und wenn ich sie mit nach Hause nehme, wie sieht es dann aus? Was soll ich denn machen, wenn Du stirbst? Wie soll ich das ertragen? Und wer kann uns zur Seite stehen? Werden wir dann alleine sein? Wie soll ich es Sabrina klar machen? Die Gedanken und Fragen fahren Karussell. Kann ich das alles tragen? Ja, ich muß. Ich muß hier raus. Ich brauche Ruhe, und die kann ich nur zu Hause finden. Ich gehe raus um mit Andrea zu telefonieren. Sie erzählt mir, sie hat von mir geträumt, ich würde Samira mit nach Hause nehmen. Ich sage ihr, das dieses auch so sein wird. Ich muß nur noch Heinz davon überzeugen. In mir klart sich alles auf, als ob ein Schleier von mir gezogen wurde. Andrea will sich um alles kümmern und gibt uns dann heute abend Bescheid. Ich fühle mich erleichtert. Ich gehe in der Kantine etwas essen. Zwinge mich regelrecht dazu. Komme etwas zu Ruhe. Die frische Luft kann ich nicht richtig genießen, da ich weiß, das Samira auch keine frische Luft bekommt. Nur diese Klimaanlagen Luft. Ich gehe wieder auf Station. Die Ärztin steht am Bett von Samira. „Sie müssen während der Schwangerschaft sehr ausgeglichen gewesen sein. Das Kind ist so ruhig und selbstzufrieden. Das spiegelt sich jedenfalls wieder.“ Und da erzählte ich, daß ich es auch war und jede Sekunde mit ihr genossen habe. „Ich werde Samira mit nach Hause nehmen.“ „Das ist eine weise Entscheidung.“ Ich bespreche mit ihr, daß das Medikament bis morgen früh dran bleibt und erst dann abgestellt wird, wenn wir da sind. Ich bin froh. Mein Herz frohlockt. Ich habe noch Zeit. Zeit mit Dir. Ich brauche Erinnerungen, und die kann ich nur zu Hause sammeln, denn hier ist das nicht zu machen. Es ist zu unruhig. Ruhe, Stille, Familienleben. Der Chefarzt des Herztransplantationszentrums wolle noch mit uns reden. Was will der denn noch ? Ich will nichts mehr hören, habe mich doch schon entschieden. Ich will nur noch Samira schnappen und weg. Ich glaube er hat meine innere Haltung gespürt. „Warum wollen Sie denn keine Herztransplantation machen lassen?“ Dumme Frage. „Ich will nicht, das Samira ein Leben lang Tabletten schlucken muß. Für mich ist es nur ein Austausch von Krankheiten. Das Herz wird zwar funktionieren, aber wie lange? Und wie sieht das Leben dann aus? Nee.“ Er sieht mich ratlos an. Ich glaube, langsam merkt er, das er bei uns nicht weiterkommt. Er geht mir auf den Geist. Endlich geht er. Allerdings ohne Gruß, war klar. Keine schnelle Mark gemacht. Nicht mit uns. Schwester Susanne kommt zu uns. Sie will sich verabschieden. „ Ich findet es sehr mutig, das Sie sich für Lebensqualität und nicht Quantität entschieden haben. Ich wünsche Ihnen noch ganz viel Kraft. Und noch eine schöne gemeinsame Zeit, mit Samira.“ Eine Träne läuft an ihrer Wange runter. Mir sitzt ein ganz großer Kloß im Hals. Ich kann nur Danke sagen. In mir steigt langsam ein Gefühl der Ruhe auf. Ich bespreche noch mit Heinz, wie wir alles machen werden. Abends kommt die Psychologin. Sie hört sich die Geschichte an. „Sie sind sehr starke Eltern.“ Wirklich? „ Sie haben eine mutige Entscheidung getroffen.“ Mutig fühle ich mich aber überhaupt nicht. Samira liegt in meinem Arm und trinkt an der Brust. Sie ist wach. Bleib hier. Starke Eltern! Wäre es nicht einfacher, sie operieren zu lassen? Dann wäre sie weiter bei uns! Nur wie? Würde sie nicht unendlich leiden? Die Psychologin gibt uns ihre Telefonnummer, wo wir sie erreichen können. Ich bin froh, das sich so viele Menschen um uns Sorgen machen. Aber noch keiner hat uns gesagt, was danach kommt. Leere. Die Ärztin kommt noch mal. „Sie haben eine mutige Entscheidung getroffen. Ich finde Sie sind ganz starke Eltern, und wenn Sie noch Fragen oder Hilfe brauchen, können Sie jederzeit hier anrufen. Ich würde mich auch freuen, wenn Sie sich noch mal melden, wie alles so gegangen ist.“ Ich bedanke mich. Wir fahren nach Hause. Mutig? Stark? Ich weiß es nicht. Ich finde keine Antwort. Ich fühle mich jedenfalls im Moment nicht so. Eher kraftlos, müde, erschöpft. Ich will mich hinlegen und nur noch schlafen. Es ist gut, daß Oma bei uns zu Hause ist, so brauchen wir Sabrina nicht noch abholen, und sie liegt schon in ihrem Bett. Ich glaube, sie merkt, wie es mir geht. Ich gebe ihr einen Kuß und sie legt ihr Arme um meinen Hals. Wir werden Deine Schwester nicht mehr lange bei uns haben. Aber ich glaube, das bekommt Sabrina nicht mehr mit. Sie ist schon wieder im Land der Träume. Sie tut mir so leid. Auch für sie wird die folgende Zeit sehr schwer. Ich hoffe, ich habe die Kraft, ihr einigermaßen eine Stützte zu sein. Ich rufe Andrea an, das ich wieder zu Hause bin. Sie kommt gleich vorbei. Sie nimmt uns einfach in den Arm. Es tut so gut. Sie gibt uns die Privatnummer von Dr. Römhild. Wir sollen uns, morgen, wenn wir mit Samira zu Hause sind gleich bei ihm melden. Sie schaut, ob mit der Rückbildung und mit dem Wochenfluß okay ist. Wir unterhalten uns noch sehr lange. Sie verspricht uns, jederzeit vorbeizukommen, wenn etwas ist. Andrea hat auch mit Dr. Römhild ganz lange gesprochen. Samira wird keinen Todeskampf haben. Der Ductus wird sich langsam verschließen und sie wird ganz sanft hinüber gleiten. Sie erzählte uns auch von den Verwaisten Eltern. Sie hätte dort angerufen, und die wären ganz nett gewesen. Sie schicken ihr Infomaterial zu, welches sie uns dann gibt. Ich war froh, das sich jemand um uns kümmerte. Abends telefonierte ich mit Verwandten und engen Freunden. Jeder war schockiert. In die Firma schickte ich ein Fax, damit auch sie Bescheid wußten. Diese Nacht war für mich sehr ruhig. Ich habe ganz gut geschlafen, ich war schon erstaunt darüber, vielleicht hat mich das doch sehr belastet, das Samira eventuell im Krankenhaus sterben könnte, während wir nicht dabei waren. Ich war sehr früh wach, was mich ein wenig erstaunte, denn ich bin ziemlich kaputt. Ich rief gleich im Krankenhaus an, wie es Samira geht. Sie erzählten, sie wäre nochmals abgesaugt worden und hätte dann ganz ruhig geschlafen, ich meinte, da reden sie aber von Tamara und nicht von Samira. „Oh, Entschuldigung. Samira geht es ganz gut. Sie hat ganz ruhig geschlafen.“ Ich sagte, das ich wohl so gegen 1o Uhr kommen werde. Ich wollte voraus fahren, denn Heinz wollte noch mit Sabrina zu Mama, um sie dort abzugeben. Ich fuhr ins UKE. Ich bin froh, wenn ich diesen Gang nicht mehr lang gehen muß. In der Tasche habe ich Deine Sachen. Ich kann es noch nicht fassen, es ist wahr, ich nehme Dich mit nach Hause, mein Herz macht Luftsprünge. Auf der Station wurde ich schon erwartet. Samira ist schon soweit fertig. Ich war erstaunt, habe nicht damit gerechnet, das sie deswegen vorgezogen wird. Ich nahm Samira auf den Arm. Die Ärztin kam. „Wenn Sie soweit sind, werden die Kanülen gezogen.“ Ich stillte sie erstmal in Ruhe. „Du hast dabei richtig geschmatzt. Schmeckt Dir diese Milch besser, als die abgepumpt?“ Ich sah auf dem Nachtschrank wieder eine Beba Flasche. Wo ist denn die abgepumte Milch? Ich schau in der Akte nach, ob sie die in der Nacht bekommen hat. Es sah nicht danach aus. Ich fragte eine Schwester. „Die Milch war schon gefroren, und wir haben sie nicht so schnell aufgetaut bekommen. Tut mir leid.“ Na klasse, dann hätte ich ja nicht abpumpen brauchen. Aber das berührt mich im Moment nicht so stark. „Mäuschen, ich nehme Dich mit nach Hause, Deine Schwester wartet auf Dich. Der Papa kommt dann, wenn wir fertig sind und holt uns ab. Deine Oma ist auch noch da. Und Andrea freut sich auch, Dich wieder zu sehen. Wir werden uns noch eine schöne Zeit machen. Du wirst schon sehen, und vielleicht sieht Gott dann, das wir Dich ganz doll lieb haben und läßt ein Wunder geschehen.“ Ich gebe ihr einen Kuß auf die Wange. Ich war voller Hoffnung. Ich sagte der Schwester, das ich so weit bin. Die Pflaster von den Kanülen habe ich schon etwas angelöst, damit es Dir nicht so weh tut. Einige Minuten später ist alles ab. Du liegst da wie ein ganz zufriedenes Baby und schaust mich mit großen Augen an. In der Zwischenzeit habe ich Heinz angerufen, das er uns abholen kann. Er war auch erstaunt, das wir schon fertig sind. „Ach mein Engelchen, wie lange werde ich Dich noch haben?“ Ich ziehe Dich an. In meinen Gedanken ist der Wunsch Dich noch einmal zu baden. Und Fotos mit Sabrina und Dir zu machen. Hoffentlich bleibt dafür noch Zeit. Ich ziehe Dir den Strampler an, den auch Sabrina das Erste Mal getragen hat. Erinnerungen daran tauchen auf. Die Strampler im Albatinen Krankenhaus waren so groß. Daher hatte Heinz diesen Strampler mitgebracht. Sabrina sah darin gleich ganz anders aus. Es war die Sylvesternacht. Die Väter durften bis nach Mitternacht bleiben. Heinz schlief mit Sabrina auf der Brust ein und wartete auf das neue Jahr. Wir waren so unendlich glücklich. Und wie waren wir es erst, als Du endlich geboren warst und in meinen Armen lagst. Ich bin richtig über mich hinausgewachsen. Ich habe Deine Schwangerschaft so sehr genießen können, weil ich vom Job freigestellt wurde. Ich bekam mein volles Gehalt und konnte mich so auf Dich einlassen. Was für einen Spaß hatte ich mit Dir. Besonders in den letzten Wochen. Ich war Mitte November noch auf einem Seminar. Heinz wollte unbedingt mit, weil er Angst hatte, Du würdest dann vielleicht kommen und er wäre nicht dabei. Aber ich wußte, das Du Dir genauso Zeit lassen wirst, wie Deine Schwester, die hat mich auch 12 Tage warten lassen. Und vor dem 06. Dezember habe ich auch nicht mit Dir gerechnet. Jeder hat teilgenommen an unserem Glück. Es war auch in keinster Weise zu übersehen. Ich war so stolz auf meinen Bauch, und dem kleinen Wesen, was da so munter strampelte. Ich habe aber auch gut auf uns aufgepaßt. Die Kundalini Meditation hat mich allerdings ziemlich gefordert. Ich hatte auf einmal Wehen, was ich nicht so witzig fand. Wie dann aber die Ruhephase kam, hat sich alles ganz schnell entspannt. Am nächsten Morgen habe ich das Fred erzählt. Er wechselte sofort die Farbe. „Mach keinen Ärger, ich weiß nicht, was ich machen soll.“ Ich konnte ihn aber beruhigen, das ich schon wüßte, was ich tun müßte. Da war er doch beruhigt. Die Dynamische habe ich dann allerdings nicht mitgemacht, denn heraufbeschwören wollte ich Deine Geburt ja nun auch nicht. Wir haben noch alle zusammen ein Mantra für Dich gesungen. Es war so schön. Am letzten Abend habe wir noch ganz viel getanzt. Nach Techno Musik. Ich habe mich so gehen lassen, das mich eine Frau von hinten anklopfte, und meinte ich wolle das Kind doch nicht hier bekommen. Aber ich wußte, was ich mir zumuten konnte und was nicht. Und Du hast Dich ziemlich gut gefühlt, dort in Deinen eigenem Schwimmigpool geschaukelt zu werden. Ich habe dann mit Fred gewettet, das Du erst am 06. Dezember geboren wirst. „Wir werden noch zum Seminar gehen, danach mit Euch zusammen essen gehen, und dann ins Geburtshaus fahren.“ Fred meinte, wenn wir das wirklich so schaffen, dann wird er mir einen riesengroßen Salat ausgeben. Wer hatte geahnt, das alles ganz anders kommen wird. Wie ein Film läuft alles vor meinem geistigen Auge vorbei. Als wäre es erst gestern gewesen. Das Putzteam kommt. Ich nehme Dich auf den Arm und gehe mit Dir auf den Flur. Die Mutter von Tamara spricht mich an. „Schön, das Sie nach Hause können, dann ist der Alptraum für Sie ja vorbei.“ Da meinte ich, „Im Gegenteil, er fängt jetzt erst an, denn wir nehmen Samira mit nach Hause, damit sie in Frieden sterben kann. Aber leider kann uns keiner sagen, wie lange es dauern wird.“ Sie meinte, es wäre ziemlich mutig, das so zu entscheiden. Tamara ist nun fast ein halbes Jahr alt und sie ist noch nicht einen Tag zu Hause gewesen. Es zerrt ganz schön. Denn sie hat auch noch Familie zu Hause und kommt noch nicht mal aus Hamburg. Ich konnte sie ganz gut verstehen, mich schlauchten diese Tage auch ganz schön, und ich bin froh, nun zu Hause etwas mehr Ruhe zu bekommen. Ich legte Dich dann ins Bett um die ganzen Sachen einzupacken. Ich bekam von der Schwester noch Flaschensauger. Die Ärztin kam und gab mir noch zwei Briefe. Einen für uns und einen für Dr. Römhild. Er wollte noch Magensonden haben, für alle Fälle. „Ich wünsche Ihnen viel Kraft und noch eine schöne Zeit mit Samira. Wenn Sie Lust haben, können Sie jederzeit hier anrufen.“ Ich bedankte mich für alles. Nun warst Du offiziell entlassen. Kurze Zeit später kam auch Heinz. Er drängelte ein wenig, denn Sabrina ist unten und macht einen Aufstand. So verließen wir das UKE. Sabrina hat sich so gefreut, Dich wieder zu sehen. Sie wollte Dich am liebsten gleich auf den Arm nehmen. Aber ich konnte Dich nicht schon wieder hergeben. Die Fahrt nach Hause verlief ruhig. Ich hielt Dich im Arm, denn sonst hätten wir nicht alle im Auto Platz gehabt. Ich habe mir vorgestellt, ich komme nach einer schönen Geburt aus dem Krankenhaus mit einem gesunden Baby. Nur leider konnte ich diesen Gedanken nicht lange aufrecht erhalten. Schade. Wie wir angekommen waren, haben wir erstmal alle zusammen Kaffee getrunken, Du lagst im Maxi Cossi und hast uns mit Deinen großen Augen beobachtet. Ich rief dann Andrea an, das wir da sind. Sie wolle in zwei Stunden vorbeikommen. Bei Dr. Römhild sind wir sofort durchgestellt worden. Er wolle heute abend gleich nach der Sprechstunde kommen, es sei denn, es wäre etwas dringendes. Ich verneinte und sagte ihm, das ich mich auf heute abend freue. Dann rief Jutta an, sie würde Samira gerne nochmals sehen. Ich hatte nichts dagegen. Sie wollte so gegen 16 Uhr kommen. Ich wollte mich hinlegen, mit Samira, und Heinz wollte dann mit Sabrina zur Oma. Sie machte ein riesiges Theater. Sie wolle bei uns bleiben. Sie wolle nicht weg. Ich war zu kaputt um mich zu wehren und habe einfach die Schlafzimmertür zu gemacht. Ich legte Samira an und darüber sind wir dann beide eingeschlafen. Ich sah dann zwei ganz große Engel ins Schlafzimmer kommen, sie schauten uns an und fragten mich:,, Kannst Du Samira loslassen?“ Mein Herz zerriß und ich sagte ja, darauf sagten mir die Engel:,, Sie wird wieder zu Euch kommen!“ Schauten uns nochmals an und gingen. Ich wußte nicht, war das nun echt oder nur ein Traum. Und diese Antwort kann ich mir noch immer nicht geben, denn es war sehr real. Wie Heinz wiederkam, habe ich gar nicht mitbekommen. Er hat dann ein paar Fotos gemacht. Es war irgendwie eine ruhige Atmosphäre in der Wohnung. Ich habe das Gefühl, es geht mit ihr zu Ende. In mir schreit alles. Ich bin noch nicht so weit. Ich brauche noch Zeit um mich mit diesen Gedanken anzufreunden. Anzufreunden? Ist das überhaupt möglich? Bin ich dazu überhaupt in der Lage? Andrea kommt. Wir sitzen still im Schlafzimmer, ich habe das Gefühl, wir halten Totenwache. Ich drücke sie ganz fest an mich. Sie atmet ganz ruhig. Sie wird wohl doch noch eine Weile bei uns bleiben. Ich nehme sie auf den Arm und gehe mit ihr ins Wohnzimmer. Dort habe ich durchgehend die CD gespielt, die wir auch bei der Geburt an hatten, Andrea saß nur da und hörte zu. Mein Klagen, mein Fragen. Ich merkte auch, das es für sie nicht so einfach ist. Tränen liefen ihr die Wange runter. Sie sagte mir, worauf ich jetzt bei mir achten muß, besonders auch wegen dem Wochenfluß und auch wegen der Gebärmutterrückbildung. Die läuft nicht ganz normal. Aber die Dammnaht ist in Ordnung. Wir haben noch einen Tee zusammen getrunken, und dann ist sie auch gegangen.. Jutta kam. Samira wurde wieder munter, als ob gar nichts gewesen wäre. Es war so still. Sie konnte es auch nicht fassen. Sie nahm Samira auf den Arm. Heinz machte ein Foto von uns. Sabrina versucht dann gleich wieder den Clown zu spielen. Ich hätte sie schütteln können. Ich wollte nur nicht so rumschreien, das sie etwas ruhiger sein soll, vielleicht merkte sie, das ich es nur halbherzig sagte und hörte deswegen nicht auf. Jutta hat Samira eine Kerze mitgebracht und Sabrina eine Kugel. Mit meiner Fassung war es ganz schnell vorbei. Die Tränen liefen wie ein Wasserfall. Jutta nahm mich nur in den Arm, und das reichte mir schon. Sie blieb nicht so lange. Ich habe dann Sabrina ins Bett gebracht und war auch froh, wie sie endlich schlief. Kurz danach kam Dr. Römhild. Er hat uns nochmals alles erklärt. Samira wird in eine Art Narkoseschlaf fallen, denn dadurch das sich der Kohlendioxidgehalt im Blut erhöht, verursacht er diese Narkose. Und sie wird nicht eine Sekunde leiden. Die Magensonden hat er sich mitgeben lassen, für den Fall, das sie zu schwach wird zu trinken, aber er möchte es ungern machen. Es wäre besser, der Natur ihren Lauf zu lassen. Ich stimmte ihn damit überein. Er war einfach nur da, und hörte zu. Er wollte Samira nicht untersuchen, denn das muß ja nicht sein. Ich wußte schon immer, das er ein toller Kinderarzt ist, aber auch so menschlich. Er blieb ca. eine dreiviertel Stunde. Wenn was ist, können wir jederzeit bei ihm zu Hause anrufen, er legt das Telefon extra an sein Bett. Und auch wenn tagsüber etwas ist, sollen wir in der Praxis anrufen, die haben alle die Order bekommen uns sofort durchzustellen. Und er wäre dann in ca. 10 Minuten da. Da müssen dann die anderen halt mal Verständnis zeigen. Diese Sicherheit tut gut. Zu wissen, da ist immer einer erreichbar. Wie Dr. Römhild weg war, haben wir Samira auch Bettfertig gemacht. Sie wurde nochmals gestillt und kam dann in ihren Stubenwagen. Heinz machte noch einige Fotos. Sie sah aus, als würde sie im Schlaf lächeln. Ich fühlte mich nur leer. Kaputt. Ich konnte mir keine richtige Ruhe gönnen, ich könnte ja sonst etwas verpassen. Und dieses Gefühl sollte mich noch eine ganze Weile verfolgen. Wir zündeten lauter Kerzen an. Leise lief das Kyrie im Hintergrund und Heinz und ich hielten uns nur ganz fest im Arm. Wir machten uns Gedanken, wie wir die Geburts-und Todesanzeige schreiben. Nichts ist mehr so, wie wir es uns vorgestellt haben. Wir hatten vom Geburtshaus die Genehmigung bekommen, deren Logo für die Geburtsanzeige zu benutzten. Ich fand es so schön. Ein schwangere Frau geht ins Geburtshaus hinein und kommt mit zerzausten Haaren und dem Baby zufrieden heraus. Ich wollte dann das Haus an zwei Seiten öffnen, so daß man das Haus aufklappen kann. Und dahinter sollte das Foto von Samira hinein. Ich hatte dies die ganze Zeit nicht vorbereitet, weil ich auch nicht wußte, ob wir das Baby wirklich im Geburtshaus bekommen werden. Aber das Papier war schon vorbereitet und auch die Umschläge mit den Adressen waren schon fertig. Nun wollte ich aber diese Anzeige nicht mehr. Sie wäre nicht so passend gewesen. Wir fingen an zu dichten, zu überlegen. Weit kamen wir nicht, denn ich war unendlich müde. Wir legten uns hin. Einige Zeit später hörte ich Samira quengeln. Ich nahm sie hoch und legte mich mit ihr auf die Matratze, die wir ins Schlafzimmer gelegt hatten, denn mit einem Baby aufs Hochbett krabbeln, wollte ich nicht. Samira trank sehr unruhig, als wäre sie am Verhungern, und schluckte dabei noch ganz viel Luft. Diese tat ihr dann weh und es war eine schreckliche Nacht. Ich lief mit ihr rum, nur sie wollte sich nicht beruhigen. Heinz nahm sie dann. Ich pumpte Milch ab. In der Hoffnung, das sie damit besser zurecht kommt. Irgendwann schlief sie dann ein. Aber es knacke beim atmen und daher war ich mir sicher, lange wird es nicht mehr dauern. Wir haben uns dann die Nachtwache geteilt. So das wir wenigstens etwas Schlaf bekamen. Mit so einer Nacht habe ich nicht gerechnet. Diese war so ganz anders wie unsere erste Nacht mit Dir. Meine Gedanken schweifen dahin. Andrea hat uns da noch darauf hingewiesen, daß Du keine Mahlzeit verschlafen darfst, weil Du so klein bist, und viele machen das. Du kamst brav alle drei Stunden. Ich habe Dich dann noch ein Weilchen im Arm gehalten, um mit Dir zu schmusen. Ich habe es so sehr genossen. Und Schlaf habe ich auch bekommen. Sabrina gehörte noch nicht zu den Frühaufstehern, so das wir erst gegen 10 Uhr gemeinsam auf gestanden sind. Ich habe ein paar Bilder gemacht von meiner kleinen Familie. Ich habe mich so richtig gut gefühlt und auch Sabrina war stolz auf ihre kleine Schwester. Ich hatte mich auf alle möglichen Eifersuchtsanfälle eingestellt und war um so erleichterter, das es ausblieb. Wir haben in aller Ruhe gefrühstückt. Heinz hat sich dann Sabrina geschnappt, um mit ihr zu Oma zu fahren, um mir ein wenig Ruhe zu gönnen. Außerdem wolle er noch zum Zahnarzt. Kurz nachdem die beiden weg waren, kam Andrea. Ich hatte mich schon gefreut. Sie untersuchte Samira und da fiel ihr ein graues Munddreieck auf. Sie bat mich, doch bitte bei unserem Kinderarzt anzurufen, ob er heute noch einen Hausbesuch machen könnte, denn das hätte sie doch gerne abgeklärt. Ich rief bei Dr. Römhild an. Er hätte schon so viele Hausbesuche für heute abend, ob wir nicht vorbeikommen könnten. Ich fragte wann, denn Samira mußt noch fertiggemacht werden. Ja in einer Stunde. Ich klärte das mit Andrea. In dem Moment rief die Praxis wieder an. Dr. Römhild war selber am Apparat. Andrea sprach mit ihm und erzählte ihm, was sie beunruhigte. Ich kann mich an dieses Gespräch gar nicht mehr richtig erinnern. Ich glaube ich stand in dem Moment schon unter Schock. Ich solle Samira fertigmachen und dann könnte ich in die Praxis kommen, ich müßte auch nicht warten. Andrea merkte wohl, was in mir vorging. Sie bot mir ihre Hilfe an, ich lehnte sie ab. Ich komme alleine klar. Ich versuchte Heinz zu erreichen. Er war wohl schon auf dem Weg zum Zahnarzt. Ich habe eine Nachricht hinterlassen, er möchte bitte sofort zu Hause anrufen. Ich stillte Samira. Ich hatte das Gefühl, etwas schnürt mir die Kehle zu. Ich suchte, ob wir noch Geld im Hause hatten. Nichts. Wie konnte es anders sein. Ich nahm Samira und hoffte, das unten ein Taxi steht, wo ich mit Karte zahlen konnte. Das war leider nicht der Fall. So mußte ich mit dem Kind noch zum Geldautomaten. Langsam bekam ich keine Luft mehr. Der Schweiß rann mir den Rücken runter. Wo sollte ich in der Bank das Kind hinlegen? Im Zweifelsfalle auf den Fußboden. Da kann sie wenigstens nicht runterfallen. Gut, das war nun auch erledigt. Wieder zum Taxistand. Ab zu Dr. Römhild. Ich fühlte mich so unendlich allein. Ich hielt Samira ganz fest. Der Taxifahrer konnte nicht ganz an die Praxis fahren, so mußte ich noch ein ganzes Stück laufen. Ich wurde gleich ins Untersuchungszimmer gebracht. Dr. Römhild untersuchte sie ganz genau. Dann schaute er mich besorgt an. In der Zwischenzeit war auch Heinz gekommen. Dr. Römhild hört bei Samira ein Herzgeräusch. Es hätte aber noch nichts zu bedeuten. Er möchte nur, das sich ein Kardiologe dieses nochmals anschaut. Er ging raus, um mit dem Kardiologen zu sprechen, wann wir am besten dort hin können, es ging sofort. Dr. Römhild erklärte uns den Weg. Langsam bekam ich Angst, auch wenn er so hoffnungsvoll tat. Eine leise Stimme meldet sich, Du wirst Samira nicht mehr lange haben. Ich wollte diese Stimme aber nicht hören und ignorierte sie. Im Wartezimmer von Dr. Renz mußten wir warten. Es waren allerdings keine anderen Kinder da. Das irritierte mich ein wenig. Wir wurden aufgerufen, bei Samira sollte ein EKG geschrieben werden. Die Arzthelferin schaute sehr merkwürdig, wie sie das EKG sah. Dann versuchte sie bei Samira die Sauerstoffsättigung zu finden. An der Hand hatte sie Glück, allerdings bei den Füßen, wollte es ihr nicht gelingen. Samira wurde unruhig. Sie hatte Hunger. Ich stillte sie . Aber ich glaube sie hat meine Unruhe gespürt, und wollte nicht so richtig trinken. Wir wurden in ein anderes Zimmer geführt, wo wir dann auf Dr. Renz warten sollten. Samira nuckelte noch etwas an der Brust, aber so recht wollte sie nicht. Ich legte sie auf ihr Kissen. Knuddelte und schmuste mit ihr. Du hast uns mit ganz großen Augen angeguckt. Wußtest Du schon, was auf Dich zu kommt? Wir wurden in das Ultraschallzimmer geführt. Und von diesem Moment an nahm das Schicksal seinen Lauf. Ich kam mir vor wie hypnotisiert. Ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Mir wurde der Boden unter den Füßen weggezogen. Ich fühlte mich wie in einem luftleeren Raum. Wie lange werde ich diese Erinnerungen mich noch quälen? Aber so hatte ich wenigstens eine schöne Erinnerung. Und wenn es nur eine Nacht war, in der wir eine glückliche Familie waren. Wir sind alle ein wenig gerädert, als Sabrina sagt, das die Sonne schon aufgegangen ist. Heinz macht Frühstück. Samira schläft. Es ist so still. Sonst war immer so viel Leben in unserem Haus. Und nun schwebt der Schwarze Schleier des Todes über unser Wohnung. Ich glaube Sabrina merkt, was los ist. Ich fahre sie an, sie soll endlich ihre Klappe halten, ihre Schwester wird sterben. Im nächsten Moment tat es mir unendlich leid, das gesagt zu haben, aber ich fühle mich zerrissen. Kein Halt mehr. Ich gehe zu Samira, nehme sie auf den Arm. Lege sie in ihren Autositz, damit sie zugucken kann, wie wir essen. Ich pumpe die Milch ab, denn ich merke, das Samira zu schwach ist, an der Brust zu trinken. Sie bekommt jetzt die Milch aus der Flasche. Fred ruft an, er möchte uns gerne besuchen kommen, ob wir was dagegen haben. Nein, ich habe nichts dagegen, im Gegenteil, ich freue mich sogar, das zeigt doch, das sie diese Stunde mit uns teilen wollen. Eine halbe Stunde später sind Jutta und Fred da. Fred hat heilige Asche von Amma mitgebracht. Für uns, wenn ich das Gefühl habe, jetzt kann ich sie gebrauchen. Entweder für Samira, oder für uns. Fred ist so gerührt. Er nimmt Samira auf den Arm. Er kann seine Tränen nicht mehr zurück halten. Es tut so gut zu sehen, das er nicht nur um Haltung bemüht ist. Warum muß dieses süße Wesen wieder gehen? Wenn ich die Antwort hätte, würde es mir vielleicht etwas besser gehen. Er sagt noch, man kann alles noch so übergeordnet sehen, der Schmerz und die Traurigkeit sind trotzdem da. Ich sprach ihn darauf an, das ich gerne am Samstag kurz zum Seminar kommen würde. Entweder mit oder ohne Kind. Er war damit einverstanden, wir verabredeten so gegen 17:30 Uhr. Jutta hatte uns noch eine Meister Quintessenz mitgebracht. Sie ist von Lao Tsu und Kwan Yin. Sie steht für inneren Frieden, Vertrauen, und dem Bewußtsein von der Unsterblichkeit der Seele und von der Liebe als Urkraft. Ich fand es sehr schade, als die beiden gingen. Später kommt Mama um uns ein wenig zu unterstützen. Ich bin froh, das sie da ist. Ich gebe ihr Samira in den Arm. Sie gibt ihr die Flasche. Ich mache Fotos. Wie sie sich wohl fühlt, Samira ist jetzt das Zweite ihrer Enkelkinder welches sterben wird. Ist das nicht schwer, so etwas zu sehen? Mir tut es so leid, sie um ihre Großmutterzeit betrogen zu haben. Sie hat sich ja auch so mit uns gefreut, und nun dieses. Mama spricht nicht viel, sie sagt nur, das sie es gut findet, das wir uns so entschieden haben, denn wenn man an Stefanie denkt, wie lange sie noch gelitten hat. Da ist es doch besser so, wo wir dann wissen, sie wird nicht leiden. Nur ich zweifle manchmal, ob es die richtige Entscheidung war. Ich will sie nicht wieder hergeben. Das Bild mit Oma ist so friedlich. Ich versuch Samira mit offenen Augen zu fotografieren. Ich finde sie hat so schöne Augen. Und davon muß ich unbedingt ein Foto haben. Ich habe noch einige Fotos mit Sabrina und Samira gemacht. Damit Sabrina auch etwas hat. Sie hält Samira so zärtlich in den Armen, so liebevoll. Ich finde es so schade, das die beiden nichts voneinander mehr haben. Meine große, noch so klein, mußt aber schon das größte Leid dieser Welt erfahren. Heinz beschließt mit Sabrina auf den Spielplatz zu gehen. So habe ich wieder etwas Zeit für uns beide. Ich ziehe Samira aus, weil ich sie waschen will. Das mit dem Baden will ich schon gar nicht mehr. Ihre Ausscheidung wird schon weniger. Da die Windeln so groß sind nehme ich eine Unterhose und klebe da eine Slipeinlage rein. Ich kann ja öfters gucken. Ich mache noch eine ganze Menge Fotos mit ihr. Ich überlege, ob ich ihr noch eine Strähne abschneiden soll. Ich entscheide mich dagegen. Ich brauche aber irgend etwas von ihr. Daraufhin hole ich unser Stempelkissen, drücke die beiden Füße von ihr darauf und dann aufs Papier. In Regenbogenfarben. Nun sind ihre Füße bunt. Ich lache bei dem Gedanken, ich mach noch ein Foto von ihr, wie sie nur im Body da liegt. Mein kleiner Proper. Ich bin schon stolz darauf, wie gut sie gebaut ist, trotz ihrer 45 cm. Abends kommt Andrea. Viel reden tun wir nicht miteinander. Sie glaubt aber auch, das es wohl nicht mehr so lange dauern wird. Dr. Römhild und Andrea überschneiden sich heute. So lernen sie sich auch mal kennen, denn sie haben nur per Telefon miteinander gesprochen. Andrea bleibt nicht mehr lange. Heinz bringt Sabrina ins Bett. Heute will sie aber nicht so recht. Sie merkt, das was in der Luft liegt, und sie will halt nichts verpassen. Dr. Römhild sagt, das wir Samira eine Magensonde legen könnten, aber wenn wir das weiterhin so schaffen, wäre es ihm lieber, der Natur ihren Lauf zu lassen und hauptsächlich dafür zu sorgen, das sie keine trockene Kehle bekommt, denn das wäre nicht so nett. Aber er war erstaunt, wie schnell es doch schlechter geworden ist. Samira ist auch schon in diesen Narkoseschlaf drinne, sie wird also nicht mehr leiden. Das beruhigt mich ungemein. Heinz und ich beschließen Samira nicht eine Sekunde mehr alleine zu lassen. Wir schlafen wieder in Etappen. Als ich bei Samira schlafe, merke ich, das sie sich richtig an mich festhält. ,,Willst Du doch nicht weg? Gefällt es Dir so gut? Fällt es Dir schwer zu gehen? Ich würde alles dafür geben, wenn Du hier bleiben könntest.“ Aber meine Hoffnung sind so geschrumpft . Ich glaube, ein Wunder wird nicht mehr geschehen. Ich verstehe die Welt nicht mehr, warum muß mir das Liebste genommen werden, was ich habe? Was habe ich denn verbrochen, daß das uns passieren muß? Ich hadere mit Gott. „Wenn Du Samira sterben läßt, will ich nichts mehr von Dir wissen.“ Das ist doch sadistisch, eine Mutter so leiden zu lassen. Und wozu soll das gut sein? Die Tränen laufen wieder. Ich lasse Heinz schlafen, einer von uns muß sich schließlich noch um Sabrina kümmern. Ich schlafe ein. Jede Regung von Samira und jedes Geräusch und ich bin wieder wach. Deine Händchen sind so kalt. Das kommt wegen der schlechten Durchblutung. Ich versuche Dich zu wärmen. Heinz löst mich ab. Aber trotzdem kann ich nicht in Ruhe schlafen, habe Angst, ich bekomme den letzten Moment nicht von ihr mit. Endlich ist die Nacht vorbei. Sabrina kommt, sie hat Hunger. Heinz steht auf und macht Frühstück. Ich halte Samira im Arm, merke, das es langsam zu Ende geht. Ihr Atem wird unregelmäßig. Heinz merkt, was los ist. Er kommt. Samira macht die Augen auf. Schaut erst mich und dann Heinz an. Sie lächelt. Ausgerechnet in diesem Moment muß ich auf Toilette. Ich gebe Heinz Samira. Geh` aufs Klo. Wie ich wieder das Schlafzimmer betrete, merke ich, das etwas anders ist. Heinz schaut mich an und sagt, ich könnte Dr. Römhild anrufen. NEIN!!!! Ich nehme Samira auf den Arm. Sie atmet noch zweimal. Dann ist sie tot. Ich kann es nicht fassen. Ich bin am Ende. Nein, nein, nein. Ich zerbreche. Die Tränen lassen sich nicht mehr stoppen. Ich wickle Samira in ihre Decke. Ich kann sie nicht loslassen, nicht hinlegen. Ich halte sie im Arm. Ich rufe Dr. Römhild an. Er ist im Moment nicht da. Ich spreche auf den Anrufbeantworter. Ich mache alles mechanisch. Alles ohne Gefühl. In mir ist alles nur noch chaotisch. Heinz ruft seinen Bruder Uwe an. Er fragt, ob er Sabrina heute nehmen kann. Damit sie nicht mitbekommen muß, wie Samira abgeholt wird. Es geht in Ordnung. Sie wollen noch frühstücken, und dann kommt Uwe vorbei, um sie abzuholen. Ich bin erleichtert, eine Sorge weniger. Ich rufe Andrea an, sage, das Samira gestorben ist. Sie will gleich vorbeikommen. Irgendwie schaffen wir es ein wenig zu frühstücken. Es war schon eine ganz merkwürdige Stimmung. Ich halte Samira im Arm. Durch meine Körperwärme wird ihre Haut wieder wärmer, wie trügerisch. Wir machen das letzte Foto von ihr. Es ist auch das letzte Foto auf dem Film. Andrea kommt. Läßt sich alles von uns erzählen. Ist nur da. In ihrer Gegenwart werde ich auch wieder ruhiger. Sabrina hibbelt durch die Wohnung, als wäre nichts passiert. Ich packe ihr ein paar Dinge zusammen. Kurze Zeit später ist auch Uwe da. Er umarmt erst Heinz. Sehr lange. Heinz weinte. Dann nahm Uwe mich in den Arm. Da ich allerdings noch Samira im Arm hatte zwang ich ihn dazu sie sich anzukucken. Ich habe bis heute noch keine Reaktion, wie er sich in dem Moment gefühlt hat. Sabrina freute sich auf Clemens und ich war froh, wie der Wirbelwind weg war. Nun konnte ich Samira auch Heinz geben. Ich machte uns einen Tee. Ich brauchte was warmes. Es kroch eine Kälte in mir auf, die langsam von mir ganz Besitz ergriff. Ich machte die CD wieder an und zündete die Kerze an. Ich holte die Sachen, die Samira an haben sollte. Heinz zog sie aus. In dem Moment kam Dr. Römhild. Er untersuchte Samira. Heinz wusch sie. Dann konnte er nicht weiter. Ich zog sie dann wieder an. Sie bekam einen weißen Strampler und darüber ein Kleidchen, was ich für sie gekauft hatte, welches sie Weihnachten beim Familientreffen tragen sollte. Es war Winni Puuh und Ferkel drauf, die im Schnee spielten. Sie sah so schön aus. Wir wickelten sie wieder in ihre Decke. Dr. Römhild sagte noch, soviel Wärme würde er jedem wünschen. Ich brach fast kein Ton raus. Nur wie sollte es jetzt weitergehen? Wir mußten einen Beerdigungsunternehmer anrufen. Der Vater von Beate, meine Chefin, ist Beerdigungsunternehmer und sie hatte schon mit ihm gesprochen, denn in diesen Dingen kenne ich mich überhaupt nicht aus. Ich rief also an. Er war ganz nett am Telefon. Fragte, ob wir uns schon Gedanken gemacht hätten. Ich wollte, das sie verbrannt wird und das sie dann ein Urnenfach bekommt, so etwas würde es aber hier nicht geben. Sie würden gegen 15/ 16 Uhr kommen. Und am nächsten Tag würde jemand vorbeischauen, um alles mit uns zu besprechen. Gut. Ich hatte ja auch keine Ahnung, wie man es sonst hätte machen können. Dr. Römhild fragte, ob es okay für uns ist, wenn sie erst so spät kommen. Wir nickten nur. Von mir aus bräuchten sie gar nicht kommen. Denn dann wäre Samira noch bei uns. Kurze Zeit später ging er dann auch, nach dem er uns fragte, ob er nun gehen könnte. Andrea blieb noch etwas. Gegen 14 Uhr ist sie dann auch gegangen. Ich hatte Samira im Arm. Es tat so weh zu sehen, das sie bald nicht mehr hier ist. In mir staut sich alles auf. Das Atmen fällt mir schwer. Mein geliebtes Baby. Warum mußte’s Du gehen? Wir haben uns doch so sehr auf Dich gefreut. Wie gut, das die CD lief, denn die Stille hätte ich nicht ertragen können. Um 15:30 Uhr waren sie da. Sie kamen zu zweit. Wie klein doch dieser Sarg ist. Er wurde geöffnet, und das Unterteil wurde aufs Sofa gestellt. Wir wurden gefragt, ob wir ein kleines Kissen hätten oder ähnliches. Wir haben ein mein Seidentuch genommen, wo ich sonst meine Tarot Karten eingewickelt hatte. Dort stand Frieden, Liebe und Freiheit drauf. Damit legte Heinz den Sarg aus. Nachdem ich Samira noch geküßt hatte, legte ich sie hinein. Wir haben dann eine Weile dort gestanden. Wir haben sie beide nochmals geküßt. Ich habe das Stofftier, welches Samira von Marcus geschenkt bekommen hat, mit hineingelegt. Sie sah so friedlich und ruhig aus. Als würde sie schlafen. Dann wurde der Sarg geschlossen. Die beiden Herren deckten den Sarg mit einer dunkelroten Samtdecke ab und verabschiedeten sich. Sie ist weg. Ich habe nur noch geheult. Heinz und ich haben uns nur noch fest gehalten. Ein Teil von uns fehlte. Diese Leere, sie ist einfach unbeschreiblich. Wir überlegten, was wir machen sollten. Ich habe dann einige Anrufe gemacht. Besonders den Verwandten habe ich gesagt, das Samira nun gestorben ist. Es tat gut, die Geschichte einige Male zu erzählen. Es regnete. Wie passend. Auch der Himmel weinte. Wir waren am überlegen, ob wir trotzdem zum Seminar rüber gehen sollen. Wir haben uns dann dafür entschieden, dieses zu machen. Ich hatte das Gefühl, die Wände kommen mir immer näher und fangen an mich zu erdrücken. Ich war daher froh, die Jacke anzuziehen, und raus zu kommen. Es war gerade Pause. Einige saßen im Vorraum und haben geraucht. Wir wurden schon erwartet. Werner kam auf uns zu. Genauso Klaus. Wir brauchten nichts sagen, jeder verstand. Sie machten das einzig richtige. Sie nahmen uns in den Arm und trösteten uns. Jeder hatte Tränen in den Augen. Fred hatte es schon angedeutet, das wir kommen werden, und hat ganz kurz erzählt, was mit Samira los war. Wir gingen rein. Es war eine richtig gute Übung. Wir erzählten unsere Geschichte. Wir bekamen viele tröstende Worte. Es tat gut, soviel Verständnis zu bekommen. Wir setzten uns alle in den Kreis. Ich hatte einen Engel und die Fußabdrücke von Samira mit. Wir stellten diese Dinge mit einer Kerze in die Mitte. Fred erzählte, das Samira gestorben ist. Wir sangen zusammen das Halleluja. Werner hielt mich im Arm. Die Tränen rannten wie ein Wasserfall. Ich bekam fast keinen Ton raus. Als sich der Knoten löste, konnte ich auch mitsingen. Ich habe meinen ganzen Schmerz in dieses Lied gelegt. Es tat so unendlich gut. Wie das Lied zuende war, entstand eine Pause. Fred fragte, ob jemand etwas zu uns sagen möchte. ,, Die kleine Seele versteht gar nicht, warum wir so weinen, da, wo sie jetzt ist, wäre es doch so schön.“ ,, Die Seele hat Euch einmal gefunden, sie wird Euch auch noch ein zweites Mal finden.“ ,, Auch wenn ihr vor lauter Schmerz und Traurigkeit im Moment gar nicht sehen könnt, was das alles zu bedeuten hat, es hat einen Sinn und ihr werdet dadurch sehr stark hervor gehen.“ ,, Samira wird zu Euch wiederkommen. Ihr habt ihr so viel Liebe gegeben, wo manche Eltern ein Leben lang für brauchen, das habt ihr in 9 Monaten und 6 Tagen gegeben. Das hat ihr so gut gefallen, das sie das wieder erleben möchte.“ Diese Sätze haben mir so gut getan. Ich traute mich nicht, es auszusprechen, das ich hoffe, das Samira wieder zu uns kommen wird. Wir haben dann noch zusammen zwei Lieder getanzt. Ich mußte meinen Körper spüren. Danach haben Heinz und ich aber beschlossen, wieder nach Hause zu gehen, denn Sabrina kann ja auch jeden Moment wiederkommen. Fred hat uns mit den Worten verabschiedet, die Seele will wiederkommen, also mal rann. Ich habe nur geantwortet, hey, ich habe einen Dammschnitt. Das geht noch gar nicht. Elke gab uns noch einen Brief mit. Jeder nahm uns noch einmal in den Arm und wünschten uns ganz viel Kraft für die Zeit, die nun auf uns zukommen wird. Ich war froh, das wir uns dafür entschieden haben, nochmals zu kommen. In dem Moment wurde mir bewußt, was der Satz bedeutet, geteiltes Leid ist halbes Leid. Wir haben dort eine ganze Menge dagelassen. Zu Hause herrschte eine richtige totenstille. In mir war alles leer. Ich kam mir vor wie in Trance zu sein. Heinz und ich legten uns gemeinsam auf die Matratze, wo ich die ganze Zeit mit Samira lag. Wir haben uns ganz fest gehalten, und darüber sind wir eingeschlafen. Das Telefon hätte ich fast überhört. Es war Uwe. Er fragte, ob Sabrina bei denen schlafen könnte, Clemens würde sich freuen. Ich hatte nichts dagegen. Ich legte mich sofort wieder hin. Allerdings jetzt wieder in unserem Hochbett. Das Kissen von Samira lag zwischen uns. Die Decke hatte ich ganz fest im Arm um meine schmerzenden Arme zu füllen. Erst wollten wir die mit in den Sarg legen. Aber im letzten Moment habe ich mich dagegen entschieden. Sie roch noch so sehr nach Samira. Als hätte ich sie selber im Arm. Ich fiel in einen traumlosen und tiefen Schlaf. Bis zum nächsten Tag. Uwe weckte uns. Er wollte Sabrina mit zum historischen Markt nach Lüneburg nehmen, und er würde sie dann abends vorbeibringen. Okay. Dieser Tag war schrecklich. Der 2. Advent. Wir konnten die zweite Kerze nicht anmachen. Es erinnerte uns daran, wie glücklich wir doch am 1. Advent waren. Um 7:45 Uhr war Samira geboren. Wie stolz und erleichtert war ich. 5 ¾ Stunden. Bei Sabrina waren es 56 Stunden. Und diese Geburt war der krasse Gegensatz. Ich war so glücklich das ich dieses Wesen endlich im Arm hielt. Drei Stunden später fuhren wir nach Hause. Du warst die ganze Zeit über wach. Du hast Dir mit großen Augen die Welt angeguckt. Wir haben Mama und Sabrina schon angerufen, das wir bald kommen. Nichts konnte mir dann schnell genug gehen. Wie Samira untersucht wurde, habe ich mich gewaschen und angezogen. Ich wollte nach Hause. Was war das für ein herrlicher Empfang. Sabrina stand an der Tür. Samira hatte Sabrina nämlich einen Teddy mitgebracht. (Wo ich die letzten Stiche schnell im Geburtshaus gemacht habe.) Sie freute sich so sehr ihre kleine Schwester zu sehen. Ich bekam dann eine Matratze in die Stube gelegt, wo ich mich dann hinlegen konnte. Heinz holte schnell Brötchen, denn eigentlich wollte Marcus welche mitbringen, aber er hatte verschlafen und kam später. Wir frühstückten in aller Ruhe. Die erste Kerze leuchtete. Mein Sonntagskind. Ich hätte die ganze Welt umarmen können. Nach dem Frühstück habe ich mich hingelegt. Samira wollte gestillt werden. Und dann hatte ich meine beiden Mädchen im Arm. Samira links und Sabrina rechts. Diese Hochgefühle, diese Freude ist einfach nicht zu beschreiben. Sabrina konnte sich nur dazu überreden lassen, mich etwas schlafen zu lassen, weil Marcus da war, und die drei dann Plätzchen backen wollten. So hatte jeder seinen Spaß. Ich schmuste mit Samira. Ich konnte mich an diesem kleinen Wesen einfach nicht satt sehen. Sie war genau richtig. Das sie so klein war machte mir überhaupt nichts aus. Im Gegenteil. So hatte ich doch länger etwas von der Babyzeit. Ich war einfach stolz. Du hast mich mit großen Augen angeschaut. Aber nach der ganzen Aufregung sind auch Dir die Augen dann zugefallen. Und so haben wir gemeinsam unser erstes Nickerchen gemacht. Im Traum habe ich mir die kommende Zeit ganz schön ausgemalt. Ich hatte alles soweit organisiert, das ich mich auf ein schönes und entspannendes Wochenbett freute. Abends hat Tanja angerufen, sie hat sich so mit uns gefreut. Außer der Familie wollten wir keinen anrufen, denn wir fanden, das hat noch Zeit. Andrea kam dann auch. Sie hat sich so gefreut, das alles so glatt ging. Sie hat mir noch ein paar Hinweise gegeben, weil Samira halt so klein ist, muß sie alle drei Stunden gestillt werden, denn diese kleinen verschlafen sehr schnell mal eine Mahlzeit. Und das wäre für sie nicht so gut. Ich bekam noch einen Tee, denn ich trinken sollte wegen der Gelbsucht, damit nicht erst eine entsteht. Sonst war sie sehr zufrieden. Wir auch. Wir haben es uns bei Kerzenschein ganz gemütlich gemacht. Und von dieser hohen Wolke sind wir gefallen. Und das war noch lange nicht das Ende. Der Herr von Beerdigungsinstiut war sehr nett. Was wir denn wünschen würden. Ich habe ihm von meiner Idee erzählt. So etwas gibt es hier in Deutschland nicht. Ja, und wenn wir sie trotzdem verbrennen lassen? Erstens müßte sie ein Amtsarzt nochmals untersuchen, denn es müßte kontrolliert werden, ob alles so seine Richtigkeit hat. Denn wenn sie erstmal verbrannt ist, kann man nichts mehr nachvollziehen, und zweitens, es würde sich wohl bis nach den Feiertagen hinziehen. Alles in mir sträubte sich bei dem Gedanken, Samira wird nochmals von jemanden angefaßt. Berührt, ausgezogen, untersucht. Nein. Wir haben sie in den Sarg gelegt, wir wissen, wie sie dort liegt, sie soll keiner mehr anfassen. Dann lieber eine normale Beerdigung. Was für Wünsche wir denn hätten hinsichtlich der Trauerfeier. Ich wollte keine Gottesdienst. Eine Grabrede ja, aber wer soll die halten. Herr Eckardt bot an, daß das auch einer von ihnen machen könnte. Nein, darum kümmere ich mich, auch um den Sargschmuck. Wir gaben ihm die Geburtsurkunde und den Totenschein von Samira. Wie makaber. Er wolle in den nächsten Tagen anrufen, und wenn noch von unserer Seite her Fragen sind, könnten wir auch jederzeit anrufen. Wie er weg war habe ich nur geheult. Nichts ist mehr, wie es war. Alles ist so farblos, so leer. Wie war ich froh, wie Sabrina wieder da war, mit ihrer fröhlichen Art hat sie die Stille in dieser Wohnung vertrieben. Sie fragte, wo Samira ist. Ich sagte ihr, das Samira ein Engel war und sie wieder zu den Engeln zurückgegangen ist. Sie weinte. Mein Baby. Ich habe sie ganz fest in den Arm genommen. Wir weinten alle gemeinsam. Ja, unser Baby ist wieder weg. Und ich vermisse sie so schrecklich. Ich will sie wiederhaben, will meine Familie wieder glücklich sehen, keine Tränen mehr, keine gedämpfte Stimmung. Raus. Ich will raus hier. Ich kann nicht. Jede Bewegung kostet Kraft. Nichts ist mehr wie vorher, kann es nicht fassen. Mein Verstand versagt, kann mir keine Antworten geben. Keiner kann es. Jetzt geht es nur noch ums überleben. Für Sabrina. Schritt für Schritt, Tag für Tag. Nachdem Sabrina im Bett ist setzen wir uns gemeinsam hin und singen für Samira ein Mantra. Für Wahrheit, Licht und Unsterblichkeit. Dieses Mantra hilft der Seele bei wichtigen Übergängen: von diesem Leben zum nächsten; um ein neues Kind in diese Welt hineinzugeleiten; um einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen. Für uns, für Samira. Damit sie einen leichteren Übergang hat und für uns, damit wir mit unserer Trauer fertig werden. Dies wurde für vierzig Abende unser Ritual. Es tat so gut, etwas gemeinsames zu tun. Gleich danach gingen wir ins Bett. Wir waren sehr müde. Langsam machen sich die Tage mit wenig schlaf bemerkbar. Ich bin nur froh, das Sabrina nicht zu den Frühaufstehern zählt. Wir haben uns vorgenommen, mit ihr mal über den Weihnachtsmarkt zu gehen. Damit sie wenigstens etwas von der Weihnachtszeit hat. Oh Gott, wieso können sich diese ganzen Menschen nur so auf die Weihnachtszeit freuen. Am liebsten hätte ich jedem lachendem Gesicht gesagt, eh, unser Baby ist gestorben. Wir haben die Filme beim Fotografen abgegeben. Ich hatte Angst, mit diesen Negativen könnte etwas geschehen, und das hätte ich nicht noch zusätzlich ertragen können, so haben wir dann gedacht, sie sind dann in den richtigen Händen. Ich war froh, wie wir wieder nach Hause gingen. Auch wenn es dort nicht besser war. Aber diese Menschen konnte ich nicht ertragen. Mittags rief der Beerdigungsunternehmer an. Die Unterlagen für die Beerdigung sind bestellt. Jetzt hängt es von den Behörden ab, wann wir Samira beerdigen können. Ich versuchte die Telefonnummer von Axel, meinem Pastor aus der Stader Gemeinde rauszubekommen. Denn ich dachte, wenn einer die Grabrede hält, dann nur er. Wir sind nicht so fest in einer Gemeinde eingebunden, das ich da jemand anderen fragen könnte. Und von unseren Freunden hätte nicht einer diese Aufgabe übernehmen können. Endlich hatte ich sie. Nun mußte ich nur noch anrufen. Nur noch anrufen. Ich habe lange überlegt, was ich Axel sagen sollte, wie ich es sagen sollte. Die richtige Lösung ist mir nicht eingefallen. Daraufhin dachte ich, mal sehen, was kommt. Ich bekam noch Grandenfrist, denn es meldete sich keiner. Also später noch mal. Ich habe das Gefühl, ich stehe unter Schock. Irgendeine Kraft in mir macht diese Arbeiten für mich. Ich werde geführt. Als stehe ich neben mir und beobachte, was mein anderer Teil erledigt. Andrea ermahnt uns, wir sollen ganz gut auf uns aufpassen. Ich frage mich, wie das gehen soll. Die Brüste schmerzen. Die Milch läuft reichlich. Und leider klappt es nicht so gut mit dem Ausstreichen. Das bedeutet für mich, ich muß abpumpen. Wenn ich sehe, wie die Milch in den Behälter fließt, wird fast schlecht. Dann diese Milch wegzukippen. Es ist wie ein kleiner Weltuntergang für mich. Mein Körper zeigt die ganze Bandbreite dessen, das ich vor 8 Tagen ein Kind geboren habe. Nur wo ist es, das Baby? Tod. Es liegt ca. 500 Meter von uns entfernt. Ich sehne mich nach Samira. Andrea möchte mir die Abstilltabletten nicht so gerne gehen. Sie würden mich noch mehr in ein psychisches Loch werfen. Daher brauche ich Geduld, denn mit dem Salbeitee und dem Homöopathischen Mittel dauert etwas länger, ist aber sanfter. Ich hoffe, das ich die Kraft dazu habe. Wie gut, das ich Heinz habe. Er paßt auf mich auf. Hält mir den Rücken frei. Er geht mit Sabrina raus. Damit ich ruhe habe. Damit ich zwischendurch immer mal schlafen kann. Ich brauche diese Zeit. Merke, ich fahre nur auf halber Kraft. Abends im Bett denke ich, wieder ein Tag geschafft. Wie sieht es morgen aus, werde ich auch diesen Tag schaffen? Zweifel tauchen auf. Weine mich in den Schlaf. Das aufstehen fällt mir schwer. Als wäre jedes Gelenk in mir eingerostet. An meinem Oberkörper kleben zwei riesige Behälter, die gemolken werden wollen. Je mehr Milch ich abpumpe, desto mehr Wut steigt in mir auf. Ich fühle mich betrogen, betrogen um mein Wochenbett, betrogen um die Zeit mit Samira. Unter der Dusche lasse ich die Tränen fließen. Will nicht wieder raus. Diese heiße Dusche scheucht die Kälte aus mir raus, aber nur kurze Zeit. Leider. Ich friere, nicht weil es so kalt es, nein, eine innere Kälte, sie kriecht ganz langsam in mir rauf. Und ich kann es nicht verhindern. Ich rufe Axel an. Es fällt mir schwer die Tränen zurückzuhalten, kämpfe um meine Fassung. Frage, ob er die Grabrede machen würde, merke, wie es ihm sichtlich schwer fällt. Aber er sagt ja. Ein Stein fällt mir vom Herzen. Wieder ein Stück weiter. Ich soll ihn anrufen, wenn ich wüßte wann die Beisetzung wäre, denn er könne nur dann und dann. Ich sagte, ich glaube, daß das klar gehen wird. Ich rufe beim Beerdigungsunternehmer an. Sie wollten uns auch gerade anrufen. Wir könnten uns am 10. Dezember das Grab von Samira anschauen. Es wäre ein Kinderreihengrab auf dem Friedhof Diebsteich. Sie hätten uns angemeldet und wir sollten es uns angucken und uns dann wieder melden. Alles in mir schreit, nein, ich will mir keinen Platz für sie anschauen, ich will sie wiederhaben. Ich will mein Baby zurück. Diese Entgültigkeit macht sich langsam in mir breit. Nur ganz kann ich das noch nicht akzeptieren. Will es nicht akzeptieren. Andrea gibt mir heute Bescheid, das ich trotzdem Anspruch auf den vollen Mutterschutz habe. Wozu? Ich brauche ihn doch nicht, ich kann doch ruhig wieder arbeiten gehen, als wäre nichts gewesen. Vielleicht fällt es mir dann leichter, darüber weg zu kommen. Unser Ritual abends gibt mir ganz viel Kraft. Einen tiefen Frieden. Weine mich in den Schlaf. Halte die Decke ganz fest an meinen Bauch gedrückt, um dieses große Loch, welches sich dort befindet etwas zu stopfen. Heute haben wir uns den Platz für Samira angeguckt. Die Sonne schien, nur es war bitterkalt, wie in meinem Herzen. Es ist ein schöner Platz. Mein erster Gedanke war, oh, dann ist Samira nie alleine, sondern mit den anderen Kindern zusammen. Dann kann sie mit denen spielen. Nur dieses Grab werden wir nur 20 Jahre haben, und es kann auch nicht verlängert werden. Aber komischerweise stört es mich in keinster Weise. Ich denke an die Zukunft. Merke aber auch, das Samira ihren Platz hier nicht hat, sondern bei uns zu Hause, und ich merke, wie mir das Grab jetzt schon nicht so wichtig ist. Trotzdem zerreißt es mir das Herz zu wissen, das sie bald in dieser kalten Erde liegen wird. So dunkel, so allein. Wie gut, das Du wenigstens ein Stofftier hast. Manchmal hoffe ich immer noch, daß das alles nur ein böser Alptraum ist, und ich jeden Moment von Samira´s Weinen geweckt werde. Wie wir beim Beerdigungsinstitut anrufen, bekommen wir auch gleich den Termin für die Beisetzung. Abends, nachdem Sabrina im Bett ist, schreiben und drucken wir die Karten. Nun müssen nur noch die Fotos drauf und dann weg. Sabrina ist unausstehlich. Sie trotzt, sie schmeißt mit Dingen um sich. Mich will sie nicht eine Minute alleine lassen. Merke, das sie an meinen Nerven zerrt. Sie will sich aber auch nicht so richtig beruhigen lassen. Es tut mir so weh zu sehen, wie sie leidet. Ich glaube, das sie nicht weiß, was für ein Gefühl sie quält, denn so eins kennt sie ja noch nicht, und dann diese ganze Traurigkeit im Hause. Für sie ist ja auch eine Welt zusammengebrochen. Wie sehr hat sie sich auf das Baby gefreut. Und nun ist es weg. Erst dieses große Glück und dann diese unendliche Traurigkeit. Und dann ist die Mama noch nicht mal für sie richtig da. Ich habe keine Kraft für sie. Bin selber am Ende. Sie hat eine bessere Mutter verdient. Eine die sich nicht nur um sich kümmert. Ich weiß, das ich diese Aufgabe im Moment nur auf Heinz abschiebe, nur ich brauche alle letzten Kraftreserven für mich, für die Beisetzung. Sonst klappe ich vorher noch zusammen. Und das nützt nun keinem. Ich muß stark sein, für mich. Ich rufe Maren an, sie ist Heilpraktikerin. Ich bitte sie, ob sie nicht für Sabrina ein homöopathisches Mittel raussuchen kann. Damit es für sie etwas einfacher wird. Alex macht mir eine Bachblütenmischung fertig. Im Bett fühle ich mich nur noch taub und leer. Der Bauch ist wie aufgebläht. Ein leichtes ziehen macht sich bemerkbar. Der Wochenfluss will mal wieder nicht so richtig laufen. Ich beschließe, wieder Tagebuch zu schreiben, ich muß meine Gefühle und Gedanken sortieren. Und ich weiß, das mir früher das Schreiben immer gut getan hat. Ich brauche lange, um einzuschlafen, irgendwie ist eine sehr große Unruhe in mir, die mich nicht einschlafen läßt. Andrea bringt am nächsten Tag den Wochenfluß wieder zum Laufen. Ein Gespräch, viele Tränen. Sie ermahnt mich nochmals, gut auf mich aufzupassen, mir Ruhe zu gönnen. Ich sage ihr, das ich das nicht so kann. Ich habe dabei ein schlechtes Gewissen. Ich habe doch kein Baby mehr, dann brauche ich mich doch nicht zu schonen. Ich fühle mich betrogen, um mein Wochenbett und um die Babyzeit mit Samira. Leider fährt Andrea heute weg, aber Birgit, die auch bei der Geburt dabei war, hat die Vertretung übernommen. Wenn etwas ist, soll ich mich bei ihr melden. Sie würde sich aber auch noch melden, da sie ja auch bei der Geburt dabei war, und wollte daher noch mit uns sprechen. Der Termin der Beerdigung rückt näher, und mir schlecht bei diesem Gedanken. Ich habe schon richtige Horrorvorstellungen. Wie soll ich diesen Tag bloß überstehen. Die Todesanzeigen mit der Einladung zur Beerdigung sind weg. Ich bin ja gespannt, wer alles kommen wird. Einige werden auch erst dadurch erfahren, was passiert ist. Es tut mir auch leid, einigen es so zu sagen, denn ich habe einfach nicht mehr die Kraft, alle anzurufen. Paradoxerweise waren auch heute die Sterbeurkunden von Samira im Briefkasten. Es fühlt sich so endgültig an, so leer. Ich würde alles dafür machen, wenn sie wieder zurück käme. Heinz und ich haben uns heute entschlossen, Sabrina nicht mit auf die Beerdigung zu nehmen. Ich glaube, für sie ist es einfach besser. Wir werden später dann hingehen und eine Kerze darzustellen. Außerdem leidet sie schon genug daran, das Samira nicht mehr da ist. Ich glaube, für sie ist es auch einfach zu schwer zu begreifen, erst Samira weg und nun diese große Trauer der Eltern. Das ist für Sabrina bestimmt nicht so leicht zu begreifen. Wir haben Bea gefragt, ob Sabrina dahin darf. Kein Problem. Alice freut sich schon. So hat sie auch noch etwas von dem Tag. Heinz will nach der Beerdigung wieder arbeiten, wie kann er bloß? Hat er Samira nicht geliebt, kann er so schnell wieder auf normal umschalten? Ich werde nie wieder arbeiten können. Dafür ist der Schmerz einfach zu groß. Samira ist jetzt eine Woche tot. Eine Woche, die Milch läuft noch, allerdings schon um einiges weniger. Wie gut, daß das nun mit dem Ausstreichen klappt, so brauche ich nur noch gelegentlich abpumpen. Ich komme damit eher klar, wenn das T-Shirt vollgelaufen ist, als wenn ich die Muttermilch wegkippen muß. Heinz hat mir heute Freiraum geschaffen, in dem er mit Sabrina zu Oma gegangen ist, so hatte ich Ruhe, denn Sabrina dreht im Moment ziemlich auf, ist sehr weinerlich und das bringt mich dann auch wieder auf die Palme. Aber ich bin sehr froh, das ich sie habe, denn durch ihr ansteckendes Lachen zeigt sie uns, das Leben geht weiter, auch wenn ich manchmal nicht daran glauben kann. Ich habe angefangen die Rescue Tropfen von Bach zu nehmen, damit ich wieder etwas besser über die Runden komme, vor allen Dingen, das ich die Beerdigung gut hinter mich bringen kann. Bei Birgit habe ich auch angerufen, leider war nur der Anrufbeantworter an. Mal sehen, ob sie sich wieder meldet. Wie ich hier so ganz alleine war, habe ich das Mantra ganz alleine gesungen. Ich habe Dich ganz stark gespürt und gerochen. Bist Du schon wieder in Wartestellung, willst Du auch wieder zu uns zurück kommen? Gib mir nur etwas Zeit. Ich will zwar auch wieder ganz schnell ein neues Baby, aber ich weiß, das ich auch einen teil der Trauer verarbeitet haben muß, sonst nehme ich die ganze Angst mit in die nächste Schwangerschaft, und das wäre nicht so schön, denn dann würdest Du die ganze Liebe, die ich bei Dir hatte, mit der Angst überschatten und ich glaube, das ist für uns beide nicht so schön. Ich werde vor allen Dingen den Chromosomentest abwarten, aber ich glaube, da wird nichts sein, denn Sabrina ist ja auch vollkommen gesund. Wie Heinz und ich heute abend das Mantra gesungen haben, durchströmte uns ein unbeschreibliches Glücksgefühl. Ich hätte diesen Moment am liebsten eingefroren, nur leider geht das ja nicht. Es war wie Balsam für mein blutendes Herz. 3. Advent. Die Kerzen brennen und mein Herz zerreißt. Diese Adventszeit ist das schlimmste, was wir jetzt noch zusätzlich ertragen müssen. Wenn die Beerdigung nicht so spät ist, hätte ich mir Heinz und Sabrina geschnappt, und wäre in den Süden geflogen, wo mich nichts so sehr an diese Stimmung zu Hause erinnert. Klar, Samira würde ich auch da vermissen, aber diese Weihnachtszeit mit ihrem Friede, Freude, Eierkuchen Stimmung wäre dort nicht so schlimm. Glaube ich jedenfalls, aber leider geht es ja nicht und wir müssen da halt durch. Die ersten Bestätigungen für die Beerdigung sind eingetroffen, Steffi kommt, mit Tanja und Melanie. Die beiden wollten von sich aus mit und dann ist es auch okay, außerdem sind die beiden in einem Alter, wo man ihnen vieles besser erklären kann. Birgit hat sich auch gemeldet. Ihr wird ganz anders, wenn sie an Weihnachten denkt und dann an uns, daß das nun auch noch sein muß. Aber wer denkt denn vorher an so etwas. Wir haben uns sehr lange unterhalten, ich fand das ganz schön. Sie hat uns auch eingeladen, wenn wir wollen, ins Geburtshaus zum Ort der Geburt, wo die Welt noch in Ordnung war. Ich habe ihr gesagt, das mein Bedürfnis dazu im Moment nicht so groß ist, aber später vielleicht, denn ich würde gerne mein nächstes Kind dort wieder bekommen. Andrea war auch da. Es tut so gut, sie zu haben, ich kann mich bei ihr sehr gut öffnen und auch alles fragen, was mich so bedrückt. Ich habe ihr die Todesanzeige gegeben und auch fürs Geburtshaus. Sie wird auch zur Beerdigung kommen und sie fragte, ob sie noch irgend etwas machen kann. Ja, einen Kuchen backen, so brauche ich mich nicht darum auch zu kümmern. Noch drei Tage. Ich habe schon einen Teil der Babysachen wieder in die Kisten eingeräumt. Sabrina guckte ganz bedrückt. Sie konnte es nicht verstehen, was nun los ist. Es tut mir in der Seele so weh, sie auch noch so leiden zu sehen. Sie bekommt nun ein homöopathisches Mittel. Ich hoffe, es hilft ihr. Das Wegräumen der Sachen hat mich ganz schön Kraft gekostet. Wieder ein Abschied mehr. Langsam sieht es hier so aus, als wäre sie nie hier gewesen. Alles ist so wie vorher. Nur in der Stube erinnern einige Dinge an Samira. Besonders der Altar, wo immer eine Kerze brennt. Ein Licht für Samira. Ich habe ziemlich viel deswegen geweint, manchmal staune ich doch, wieviel Tränen in einem sein können. Andrea hat auch für mich ein homöopathisches Mittel rausgesucht, denn damit ich die Beerdigung auch überstehe. Und welches mir auch etwas bei meiner Trauer hilft. Heinz Familie kommt fast vollständig zur Beerdigung. Von meiner wird sich keiner blicken lassen. War ja auch nicht anders zu erwarten. Nur das meine Mutter mich in diesem Moment im Stich läßt, hätte ich nicht gedacht. Das verschlimmert den Schmerz noch mehr. In mir formte sich der Gedanke, Samira einen Brief zu schreiben, den ich dann vorlesen werde. Mal sehen. Heute habe ich die restlichen Babysachen weggeräumt. Es tut so weh, zu wissen, Samira wird diese Sachen niemals tragen. Niemals mit weiteren Erinnerungen füllen. Ausgerechnet heute bekomme ich von der DKMS Bescheid, das ich eventuell für eine Knochenmarkspende in Frage komme. Muß das jetzt sein? Ist es nicht zu egoistisch, wenn ich jetzt nein sage, ich kann es nicht? Auch mit dem Gedanken, da wird dann eventuell einer sterben, weil er das Lebensrettende Knochenmark nicht bekommen wird? Sucht euch bitte einen anderen, aber im Moment schaffe ich es nicht. Außerdem habe ich dabei ein sehr ungutes Gefühl, das mir dabei was passieren könnte, oder ich nicht mehr aus der Narkose aufwachen werde, und das Risiko ist mir zu groß. Ich hoffe, sie werden dafür Verständnis haben. Andrea hat mir heute gesagt, das auch Birgit und Agnes bei der Beerdigung dabei sein werden. Ich finde das toll. Das soviel Resonanz vom Geburtshaus kommt, hätte ich nicht gedacht. Aber ich finde das schön. 17.12.97 Die Beerdigung. Ein sehr kaltes, aber trockenes Wetter. Ich fühle mich, als hätte ich Fieber. Aber es ist nicht. Kann der Körper einem so einen Streich spielen? Scheinbar. Den Brief habe ich noch ins Reine geschrieben. Alex war früher da. Heinz hatte in der Zwischenzeit Sabrina zu Bea gebracht, denn wenn erstmal einige da sind, dann will sie nicht gehen, denn dann hat sie das Gefühl etwas zu verpassen, und für eine Diskussion mit ihr habe ich keine Kraft. Ich habe das Sarggesteck abgeholt. Es ist sehr schön geworden. Apricofarbende Rosen und weißes Schleierkraut. In der Mitte ein kleiner Engel. Genau, wie ich es mir gewünscht hatte. Es kamen noch Heike und Oma, die Heinz ja mitgebracht hat, dann Steffi mit den Kindern. Na ja, es wird wohl eine kleine Beerdigung werden. Wir wollten eigentlich zu Fuß gehen, aber es war so kalt, das wir doch das Auto vorgezogen haben. Und in der Kapelle erlebten wir eine Überraschung. Es waren so viele da. Vor allen Dingen einige, mit denen wir gar nicht gerechnet haben. Andrea, Agnes, Birgit und Diana, die Hebammen vom Geburtshaus. Andrea, Monika und Beate meine Arbeitskollegen. Alex, Petra mit Merlin, unsere Freunde. Susanne, Maren, Steffi, Melanie, Tanja, Dorothee und Werner von unserem spirituellen Kreis. Mama, Heike, Uwe und Erik, Heinz Geschwister. Dr. Römhild, unser Kinderarzt und Axel unser Pastor. Axel hat eine sehr schöne Grabrede gehalten. Zuerst hat er seine Sprachlosigkeit eingestanden, das er auch keine Antwort dafür hat, warum ein so kleiner Mensch sterben muß. Und dann hat er den Bibelspruch genommen, die Trauernden werden getröstet werden. Er hat das so schön gemacht. Danach habe ich meinen Brief vorgelesen. Samira, in Liebe haben wir Dich empfangen. Voller Freude war die Zeit der Erwartung. Du warst früh so präsent, immer da. Ein Teil der Familie. Jeder Gedanke drehte sich nur um Dich. Das Warten wurde lang. Wir malten uns die Zukunft in den schönsten Farben aus. Dann war er da, der langersehnte Augenblick. Nach einer wunderschönen Geburt hielten wir Dich im Arm. Du, unser Engel, unser strahlender Stern. Unser Herz sprudelte über vor grenzenlosem Glück. Ein Traum war wahr. Liebe sprach auch jedem Blick, Zärtlichkeit aus jeder Geste. Glaube, Liebe, Hoffnung, sie zerplatzte wie eine Seifenblase. Ein schwerer Herzfehler, den wir nie erahnt haben. Eine Entscheidung mußte getroffen werden, eine schwere, aber die einzig Richtige. Unser Herz zerriß. Wir füllten die letzten 6 Tage mit unserer ganzen Liebe und übersprießender Zärtlichkeit. Wir gaben Dir alles, was in unserer Macht stand. Unser ganzes Herz war offen. Trotz allem beten, allem hoffen, aller Liebe, Du gingst von uns. Es bleibt eine große Lücke, viel Schmerz und viel Traurigkeit. Ein blutendes Herz. Aber auch dieser Schmerz wird vergehen, mit der Zeit. Und dann wird die Lücke sich füllen, mit all den schönen Erinnerungen, die wir mit Dir in dieser kurzen Zeit erfahren haben. Samira, hab Dank, das wir diese überprießende Liebe mit Dir spüren, sehen und erfahren durften. Du wirst für immer einen besonderen Platz in unserem Herzen haben, Du, unser Engel, unser strahlender Stern. Es fiel mir sehr schwer, das vorzulesen. Mein Herzblut steckte in diesem Brief. Aber ich war froh und erleichtert, als ich es geschafft hatte. Vieles an diesem Tag kam mir schon so unwirklich vor. Danach wollten wir eigentlich das Halleluja gemeinsam singen und dann einen Lichterkreis bilden, aber die 6 C° Minus krochen uns langsam an den Beinen hoch und wir haben es vorgezogen, lieber nach Hause zu fahren. Dort haben wir noch ein wenig Zeit gemeinsam verbracht. Nur die Stimmung war nicht danach, das Lied hier zu singen. Es war auch so sehr schön. Wir haben sogar gelacht. Ich war einfach erleichtert, diesen Tag überstanden zu haben. Später holte Heinz Sabrina dann wieder ab. Ich war froh, sie in meinen Armen zu spüren. Ich mußte diese Leere füllen, aber Sabrina ist nur äußerlich. Und in mir ist diese leere und ich weiß nicht, wie sie füllen soll. Kann mir das keiner sagen?