1 EINLEITUNG

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1. Einleitung
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EINLEITUNG
1.1
Problemstellung
Die Diskussion um einen möglichen Klimawandel und seinen Folgen steht nicht zuletzt nach Inkrafttreten
des Kyoto-Protokolls am 16. Februar 2005 (BMU 2005) im Mittelpunkt des wissenschaftlichen und politischen Interesses. In seinem Third Assessment Report fasst das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) wesentliche Erkenntnisse bezüglich der zurückliegenden, gegenwärtigen und zukünftigen
Klimaentwicklung zusammen (WATSON 2001). Danach lässt sich im globalen Maßstab seit Beginn des 20.
Jahrhunderts eine Erhöhung der bodennahen Lufttemperatur um durchschnittlich 0,6° C (Abb. 1.1) (HANSEN ET AL. 1999; JONES ET AL. 1999; PETERSON ET AL. 1999) sowie eine Umverteilung der Niederschläge
(JONES ET AL. 1999; HULME ET AL. 1998) feststellen. Die möglichen Ursachen, speziell der anthropogene
Anteil an einer globalen Klimaveränderung, wurden in jüngster Zeit kontrovers diskutiert. Doch besteht in
der Klimaforschung mittlerweile weitestgehend Einigkeit darüber, dass eine globale Erwärmung um 0,6°
C in einem erdgeschichtlich kurzen Zeitraum von etwa 100 Jahren über das Ausmaß natürlicher Schwankungen weit hinausgeht. Somit hat vor allem der Mensch durch die Verstärkung des natürlichen Treibhauseffektes die Klimaentwicklung der letzten Jahrhunderte maßgeblich beeinflusst (vgl. HOUGHTON ET
Abbildung 1.1: Jährliche Anomalien der global gemittelten Lufttemperatur gegenüber dem Referenzintervall 1961 - 1990 (Quelle: JONES ET AL. 1999).
AL.
2001; CUBASCH & KASANG 2000; GRAßL 1999). Neben den globalen Klimaveränderungen ist vor
allem der Betrachtung regionaler Strukturen besondere Bedeutung beizumessen, da sich hier der Klimawandel nicht nur zeitlich und räumlich sehr heterogen darstellt, sondern hinsichtlich der Bewertung von
Ursachen, Ausmaß und Folgen in Wechselwirkung mit weiteren Faktoren, wie dem Wasserhaushalt oder
der Landnutzung tritt. Gegenüber dem globalen Mittelwert lässt sich für Deutschland eine stärkere Erwärmung im 20. Jahrhundert um 0,9° C feststellen. Ebenfalls signifikant, aber räumlich differenzierter, ist
der Trend der Niederschlagsentwicklung. Vor allem im Westen und Süden des Landes haben die Winterniederschläge deutlich zugenommen. Demgegenüber zeigt sich im Sommerhalbjahr, insbesondere für die
kontinental geprägten Gebiete Ostdeutschlands, eher eine Niederschlagsabnahme (RAPP 2000).
Die Abschätzung einer zukünftigen regionalklimatischen Entwicklung erfolgt unter Einsatz verschiedener
„downscaling“-Konzepte, um über Beziehungen zwischen kleinräumigen Klimavariablen und den Ergebnissen globaler Klimamodellberechnungen regionale Klimaszenarien (ENKE & SPEKAT 1997; BÜRGER
1996; BÁRDOSSY 1994) für verschiedene SRES-Szenarien (Special Report on Emission Scenarios)
(HOUGHTON ET AL. 2001) zu entwickeln. Regionale Szenarien wurden bisher in Deutschland weniger
flächendeckend, als vielmehr für einzelne Bundesländer oder Flusseinzugsgebiete erstellt. So liegen für
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1. Einleitung
den ostdeutschen Raum Klimaprognosen für Sachsen (ENKE ET AL. 2001), Thüringen (TLUG 2004), Brandenburg (GERSTENGARBE 2003) sowie das Elbe-Einzugsgebiet (WECHSUNG & BECKER o.J.) seit jüngster
Zeit vor, in denen von einem Temperaturanstieg um etwa 2° C und einem Niederschlagsrückgang, vor
allem im Sommerhalbjahr, ausgegangen wird. In der Spannweite ihrer Ergebnisse und demzufolge dem
möglichen Ausmaß regionaler Klimaänderungen unterscheiden sich die Untersuchungen jedoch beträchtlich und zeigen somit zugleich die methodisch begründeten Unsicherheiten regionaler Klimaszenarienmodelle auf.
Neben den Erkenntnissen zu Ursachen und Ausmaß von Klimaänderungen stehen jedoch vielmehr die
Folgewirkungen für diejenigen Bereiche im Mittelpunkt des Interesses, welche in direkter Wechselwirkung zum Klimasystem stehen. Hierzu zählt das komplexe Wirkungsgefüge zwischen Klimawandel,
Landnutzungsänderungen und Wasserkreislauf, in dem Veränderungen einer dieser Kompartimente
tiefgreifende Auswirkungen auf die anderen Teilbereiche haben können.
Das trifft vor allem auf das Bundesland Sachsen-Anhalt zu, für das diesbezügliche Untersuchungen bisher
nicht existieren und somit ein Informationsdefizit hinsichtlich regionalem Klimawandel und seinen Folgewirkungen vorliegt. Dabei lässt der Beziehungskomplex aus naturräumlicher und klimatischhydrologischer Situation zum einen und des sich seit Beginn der 90-er Jahre des 20. Jahrhunderts vollziehenden Landnutzungswandels andererseits für große Teile des Bundeslandes spezielle Ausprägungen
klimatischer Veränderungen mit den entsprechenden Folgen für den regionalen Wasserhaushalt erwarten.
Vor allem in Hinblick auf die Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie, welche den Schutz und die
Verbesserung der aquatischen Ökosysteme sowie die Herstellung eines guten Gewässerzustandes zum
Ziel hat (VON KEITZ & SCHMALHOLZ 2002), ist bezüglich der qualitativen und quantitativen Sicherung der
Ressource „Wasser“ ein hohes Konfliktpotential vorhanden. Demgegenüber steht das wasserwirtschaftlich-ökonomische Interesse an einer ausreichenden Wasserverfügbarkeit, z.B. für die Trink- und Abwasserversorgung, die landwirtschaftliche Bewässerung oder den Betrieb wasserwirtschaftlicher Anlagen, bei
einem perspektivisch geringeren Wasserdargebot.
Dies gilt in besonderem Maße für das östliche Harzvorland, das, bedingt durch die Leewirkung des Harzes, zu den trockensten Regionen Mitteleuropas zählt (BMBF 2000). Speziell das Einzugsgebiet der Querne/Weida weist durch die klimatischen Eigenschaften, in Verbindung mit einer intensiven
Flächennutzung, eine angespannte Wasserhaushaltssituation auf, die sich bereits gegenwärtig in einer
langjährig defizitären Wasserbilanz widerspiegelt. Demgegenüber befindet sich der Ostharz mit dem
Flusseinzugsgebiet der Wipper sowohl nutzungsbedingt als auch klimatisch und hydrologisch in einer
Gunstsituation.
Aus den unterschiedlichen Rahmenbedingungen in den Einzugsgebieten von Querne/Weida und Wipper,
als die Landschaftseinheiten von Ostharz und Harzvorland repräsentierende Teilräume, ergibt sich die
Möglichkeit, Klimaänderungen und ihre hydrologischen Folgewirkungen hinsichtlich Ursache und Ausmaß zu untersuchen. Insofern können durch einen vergleichenden Ansatz die zu erwartende unterschiedliche Sensibilität der hydrologischen Systeme gegenüber klimabedingten Veränderungen analysiert und
Problemregionen anschließend detailliert betrachtet werden.
Als eine solche lässt sich vor allem der im Kern des Mitteldeutschen Trockengebietes gelegene ehemalige
Salzige See charakterisieren, für den in diesem Zusammenhang ein wesentlicher Forschungs- und Handlungsbedarf besteht. Eine mögliche Wiederentstehung des Gewässers würde, trotz der Herstellung eines
quasi natürlichen Zustandes, von einem Prozess des Landnutzungswandels begleitet sein. Dieser bedeutet
einen Eingriff in den regionalen Wasserhaushalt, den es, unter Berücksichtigung der nutzungsabhängigen
und hydrologisch-ökologischen hohen Ansprüche an die Wasser- und Stoffhaushaltssituation des Gewässers und seines Einzugsgebietes, zu untersuchen gilt.
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1. Einleitung
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt wird die Diskussion um die geplante Wiederentstehung des Salzigen Sees
weniger durch ökologische oder hydrologische Sachfragen, als vielmehr durch finanzielle und politische
Zwänge bestimmt. Davon unabhängig war das Gebiet in den letzten Jahren Gegenstand zahlreicher planungsrelevanter Grundlagenuntersuchungen. Neben ökologisch-biologischen Schwerpunkten standen
insbesondere hydrologische Fragestellungen (vgl. PFÜTZNER ET AL. 1996; PFÜTZNER 1997; ARGE HPIBAH 1998) sowie Untersuchungen zum Wasser- und Stoffhaushalt im Vordergrund (SCHMIDT & FRÜHAUF 2002). Obwohl der Salzige See und sein Einzugsgebiet hinsichtlich der Wechselwirkungen zwischen
Nutzungswandel und Wasserhaushaltssituation ein praxisnahes Untersuchungsfeld darstellen, wurden die
zukünftigen Wasserbilanzverhältnisse in seinem Umfeld sowohl unter gegenwärtigen als auch unter
klimatisch veränderten Rahmenbedingungen bisher nur am Rande (ARGE HPI-BAH 1998; DWD 1998) oder
in zeitlich und räumlich begrenzter Auflösung betrachtet (BENDEL 1997; PFÜTZNER 1997; KUSSMANN
1999). Eine detaillierte Untersuchung der zukünftigen hydrologischen Verhältnisse, auch unter Verwendung von regionalen Klimaszenarien, erscheint vor allem in Hinblick auf die bereits gegenwärtig angespannte Wasserhaushaltssituation dieser Region nicht nur sinnvoll, sondern zwingend erforderlich.
1.2
Zielsetzung und Aufbau der Arbeit
Ausgehend von den im einleitenden Kapitel vorgestellten Informationsdefiziten bezüglich der Wechselwirkungen zwischen den Komponenten Klima, Hydrologie und Landnutzung ergibt sich als vorrangiges
Ziel der Arbeit, klimabedingte Veränderungen des Wasser- und Stoffhaushaltes zu untersuchen. Dies
erfolgt durch Anwendung eines vergleichenden Ansatzes, unter dem Blickwinkel der gegenwärtigen
naturräumlichen Verhältnisse und eines zu erwartenden Nutzungswandels. Dabei gilt es zum einen, das
Ausmaß klimatischer und hydrologischer Veränderungen abzuschätzen, das sich aus den verschiedenen
methodischen Ansätzen der verwendeten Klimaszenarienmodelle ergibt. Weiterhin wird unter planungsrelevanten Gesichtspunkten untersucht, welche gegenwärtigen und zukünftigen Problemfelder aus der
möglichen Wiederentstehung des ehemaligen Salzigen Sees für die regionale Wasserbilanzsituation entstehen können.
Wesentliche Teilziele und der sich daraus ableitende Aufbau der Arbeit lassen sich durch das in Abb. 1.2
dargestellte Schema zusammenfassen.
Grundlage des vergleichenden Ansatzes ist die Betrachtung der Flusseinzugsgebiete Querne/Weida und
Wipper, welche sich sowohl in ihrem naturräumlichen Inventar als auch ihrer Flächennutzung maßgeblich
voneinander unterscheiden. Ziel ist es zunächst, das Ausmaß klimabedingter Folgewirkungen für die
Komponenten Wasserhaushalt und Gewässerabfluss in Abhängigkeit von den Gebietseigenschaften zu
untersuchen, um darauf aufbauend, das Gefährdungspotential beider Einzugsgebiete gegenüber einer
möglichen Klimaveränderung vergleichend zu analysieren. Hierzu werden, unter Verwendung des Modellierungssystems ARC-EGMO (PFÜTZNER 2002), zunächst GIS-basierte hydrologische Modelle erstellt,
auf deren Grundlage in einem ersten Schritt die Bewertung des hydrologischen „Ist-Zustandes“ in den
Untersuchungsgebieten durchgeführt wird. Anschließend erfolgt die Anwendung der Modelle sowohl auf
vereinfachte (WIGLEY ET AL. 2000) als auch komplexe (GERSTENGARBE & WERNER 2003a; REIMER ET
AL. 2003) regionale Klimaszenarien. Dies ermöglicht neben den eigentlichen Untersuchungen zu den
Auswirkungen auf die hydrologischen Systeme die mit den Klimaszenarienmodellen und deren methodischen Ansätzen verbundenen Unsicherheiten abschätzen, bewerten und die Modellergebnisse diesbezüglich interpretieren zu können.
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1. Einleitung
Abbildung 1.2: Schematische Darstellung des inhaltlichen Aufbaus und wesentlicher Teilziele der Arbeit
Neben der Betrachtung der hydrologischen Folgewirkungen des Klimawandels und seiner naturraumabhängigen Ausprägung bildet die Integration langfristiger Planungsvorhaben und demnach die Untersuchung der Wechselwirkungen zwischen Klima- und Landnutzungsänderungen einen weiteren
wesentlichen Schwerpunkt der Arbeit. Hierzu wird ein Teilgebiet ausgewählt, welches aufgrund seiner
bereits gegenwärtig angespannten Wasserhaushaltssituation und dem zu erwartenden Eingriff in sein
hydrologisches System ein außerordentliches Konfliktpotential aufzuweisen hat. So erfordert die mögliche
Wiederentstehung des Salzigen Sees im unteren Einzugsgebiet der Querne/Weida sowohl für gegenwärtige klimatische und hydrologische Verhältnisse als auch unter dem Blickwinkel einer möglichen Klimaänderung eine detaillierte Wasserhaushaltsbilanzierung. Unter Berücksichtigung der an den Salzigen See und
sein Umfeld gestellten vielfältigen Ansprüche wird ein Wasserbilanzmodell entwickelt und auf verschiedene Bilanzierungsvarianten angewandt. Ziel ist die Abschätzung der Bilanzsicherheit des Salzigen Sees
und der Salza. Daraus ableitend werden sowohl unter gegebenen als auch veränderten klimatischen Bedingungen Aussagen zur Unterschreitungshäufigkeit der hydrologischen Grenzwerte innerhalb ausgewählter Betrachtungszeiträume getroffen. Dies ermöglicht, Planungs- und Handlungsempfehlungen
hinsichtlich der Realisierbarkeit der Wiederentstehung des Gewässers abzuleiten. Unter Einbindung
vorliegender Untersuchungsergebnisse (FRÜHAUF & SCHMIDT 1999) wird abschließend eine Abschätzung
der Stoffhaushaltshaltssituation für den Salzigen See und sein Einzugsgebiet, vor allem in Hinblick auf
eine klimabedingte Veränderung des Landschaftswasserhaushaltes, vorgenommen.
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1. Einleitung
Aus den dargestellten themenorientierten Schwerpunkten der Arbeit lassen sich folgende wesentliche
Fragestellungen ableiten, die im Rahmen der vorliegenden Arbeit beantwortet werden:
• Wie lassen sich die Untersuchungsgebiete bezüglich ihrer gegenwärtigen hydrologischen Eigenschaften charakterisieren?
• Welche Auswirkungen hat ein möglicher Klimawandel auf das hydrologische System beider Untersuchungsräume und welche Unterschiede sind bei der nutzungs- und naturraumabhängigen Sensitivität
gegenüber Veränderungen der natürlichen (klimatischen) Randbedingungen zu erwarten?
• Wie lassen sich Vor- und Nachteile der eingebundenen regionalen Klimaszenarien vergleichend beschreiben? Wie können ihre Unsicherheiten, insbesondere in Bezug auf die Eignung für Fragen der
Wasserverfügbarkeit, quantitativ bewertet und welche Schlussfolgerungen daraus für die Szenarienmodellgüte gezogen werden?
• Welche Teilräume weisen ein besonders ausgeprägtes Konfliktpotential in Bezug auf die Sicherung
der Ressource „Wasser“ auf?
• Welche hydrologischen und ökologischen Wechselwirkungen sind im Zusammenhang mit der möglichen Wiederentstehung des Salzigen Sees und der gegenwärtigen Wasserhaushaltssituation zu erwarten?
• Wie stellt sich unter rezenten und veränderten klimatischen Verhältnissen die Wasserbilanzsituation
des Salzigen Sees dar und welche Konflikt- und Handlungsfelder leiten sich für das Gebiet daraus ab?
• Welche Veränderungen der stofflichen Gewässerbelastung sind, auch und vor allem im Hinblick auf
die Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie, unter veränderten klimatischen und hydrologischen
Bedingungen zu erwarten?
• Welche Schlussfolgerungen können aus den gewonnenen Erkenntnissen gezogen und welche perspektivischen Handlungsempfehlungen für die Untersuchungsgebiete gegeben werden?
Aus den sehr vielfältigen Fragekomplexen lassen sich Zielstellung und gleichzeitig Wert der Arbeit erkennen, der nicht in der Entwicklung neuer, sondern vielmehr in der integrativen Verknüpfung und Anwendung vorhandener Methoden liegt. Dabei kann, auf Grundlage einer vergleichenden Betrachtung
naturräumlich unterschiedlich ausgestatteter und durch verschiedene Landnutzungen geprägter Flusseinzugsgebiete, auf Problemregionen orientiert und für diese dynamisch und praxisrelevant die hydrologischen Folgewirkungen des Klimawandels untersucht werden.
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