Die Krieger der Apokalypse ie Bilder sollen wirken, und sie wirken auch, in diesem Krieg der Bilder. Köpfe werden abgeschlagen, Köpfe von Menschen, Köpfe von Statuen. Museen werden geplündert, antike Stätten niedergewalzt. Die Bilder gehen um die Welt. Es ist eine kalkulierte Eskalation, die der „Islamische Staat“ betreibt. Vielleicht entfalten die Bilder der Scherben sogar mehr Wirkung als die Bilder der Hinrichtungen, weil man sie überall im Fernsehen sehen kann, ohne sie im Internet aufstöbern zu müssen, und weil man sie verstehen kann, anders als die Hinrichtungsaufnahmen, die als Taten des Irrsinns sich einer rationalen Erfassung entziehen. Wir können nicht nur in der Gegenwart töten, das sagen diese Bilder, wir können auch die Vergangenheit vernichten: Wir sind die Herren über Zeit und damit über Raum. Expansion auch in die vierte Dimension, das ist das Ziel des Kalifats. „Monster“, heißt es nun in der Weltpresse, „Barbaren“, „Tabubruch“. Aber ist das, was der IS tut, ein irrationales Wüten gegen die Moderne, ihr ureigenes Projekt Mittelalter? Oder ist es vielmehr ein rationaler Plan, ein konsequenter Propagandatrick, um den Westen hineinzuziehen in diesen Endkampf – wie es die Apokalyptiker des IS sehen? Für David Pinault, einen US-amerikanischen Professor für Islamwissenschaft an der Universität von Santa Clara, sind es vor allem „Rekrutierungsvideos“, die die Islamisten im Kampf gegen die Gottlosen motivieren sollen. Und sie sollen beim Gegner Zorn schaffen, Wut und wohl auch Angst. Ein Dschihadist, der mit einem Hammer auf eine mesopotamische Statue einschlägt oder mit einem Bohrer einen geflügelten Stier aus Ninive zerstört, vernichte damit die Wiege der Menschheit, heißt es immer wieder. Und das stimmt. Aber es stimmt auch, dass das alles nicht erst im Februar 2015 begonnen hat und auch nicht 2013, als der IS auf dem Radar der westlichen Medien auftauchte. Es begann am 20. März 2003, als die „Koalition der Willigen“ unter amerikanischer Führung den Irak angriff: Erst dieser Krieg ohne Legitimation schuf den „failed state“ Irak, in dessen Ruinen die Bedrohung von heute entstand. Nur im Vakuum der Macht wuchs die Wut der Islamisten. Der Krieg gegen den Terror schuf den heutigen Terror des IS. Und es ist wohl auch so, dass damals erst amerikanische und später polnische Truppen Verwüstungen anrichteten in der antiken Stadt Babylon südlich von Bagdad, zweifellos auch eine „Wiege der Menschheit“, als dort ein Militärlager errichtet wurde und antike Straßen niedergewalzt wurden, als die Rotoren von Hubschraubern Tempel zum Einsturz brachten. „Schauen Sie sich diesen Boden an“, sagte 2008 Maitham Hamza, der Direktor des komplett entleerten Museums von Babylon, „überall hier gibt es antike Fundstücke. Die Amerikaner packten einfach alles in ihre Sandsäcke.“ Sandsäcke, prall gefüllt mit archäologisch wertvoller Erde, mit denen sie ihre Basis für 2000 Soldaten befestigten und sicherten. Man nannte das Camp in Babylon damals auch „die Hängenden Gärten von Halliburton“, weil dieses inzwischen berüchtigte Militärunternehmen für das Lager verantwortlich war. Nebukadnezar herrschte in Babylon im 6. Jahrhundert vor Christus, dann kamen 2600 Jahre später amerikanische Soldaten und sprayten „Miss you, Smoothy!“ an die Wände. D 114 DER SPIEGEL 12 / 2015 „Ignoranz und Dummheit“, so beschreibt John Curtis, Leiter der Abteilung Middle East im British Museum, das, was dort passierte. „Das wäre so, als ob man ein Militärlager rund um die Großen Pyramiden in Ägypten anlegen würde oder um Stonehenge in England“, so fasst es ein Bericht des British Museum zusammen. Und erst als Luftaufnahmen die riesigen Ausmaße des Lagers zeigten, wurden, so sagt es Curtis, „die Militärs nervös und entschieden, wieder zu gehen“. Einen „Akt kultureller Barbarei“ nannte es der „Guardian“ – bis heute ist all das sehr viel weniger publik als der terroristische Vandalismus des IS. Es hatte Warnungen gegeben: Da war zum Beispiel eine Gruppe von Archäologen, die schon vor dem Irakkrieg feststellte, dass hier 8000 Jahre Menschheitsgeschichte in Gefahr seien. Im Januar 2003 traf sich deshalb eine Delegation aus Wissenschaftlern, Museumsdirektoren, Kunstsammlern und Kunsthändlern mit Mitarbeitern des Pentagon, um für den Schutz der Ausgrabungsstätten zu werben. Es gab aber auch andere Interessen: Ashton Hawkins vom American Council for Cultural Property sagte schon 2002, dass die „rechtmäßige Verteilung von Kulturgütern durch den Markt“ der beste Weg sei, diese Güter zu schützen. „Diese Art IS-Krieger im Museum von Mossul FOTO: DPA Essay Die Truppen des „Islamischen Staats“ sind keine Monster aus dem Mittelalter. Von Georg Diez Wissenschaft von Gerede“, warnte damals Dominique Collon vom British Museum, „ermutigt Plünderungen.“ So kam es: Zwischen dem 10. und dem 12. April 2003 brannte die Nationalbibliothek von Bagdad, 70 Prozent der Bestände der Universitätsbibliothek von Basra und ein Drittel der Bestände der Universitätsbibliothek von Mossul wurden zerstört. Allein aus dem Nationalmuseum in Bagdad wurden in diesen Tagen etwa 15 000 Objekte gestohlen, Schmuck, Keramik, Skulpturen, eine weltberühmte Maske aus Marmor aus dem Jahr 3100 vor Christus, vor allem, so die Vermutung, von professionellen Dieben, im Auftrag von Kunsthändlern. „Stuff happens“, sagte Donald Rumsfeld, so etwas passiere eben, „die Freiheit ist unordentlich.“ Zehn Milliarden Dollar, so hoch soll der Schaden sein, der durch Kunstraub im Irak entstanden ist. britische Philosoph John Gray, der den IS eine „durch und durch moderne Bewegung“ nennt, eine Art Start-up des Terrors mit klar umrissenem Business-Modell. „Es ist nichts zufällig oder irrational an der Gewalt des IS“, schreibt die britische Religionswissenschaftlerin Karen Armstrong, die bei der Terrororganisation „keine atavistische Rückkehr zu einer primitiven Vergangenheit“ beobachten kann. Das Vorgehen des IS, auch bei der Zerstörung von antiken Kulturstätten, wäre demnach mehr als die reine Tat, es gäbe eine Taktik, die dahintersteckt, eine Eskalation um der Eskalation willen: weniger eine Botschaft aus dem 6. Jahrhundert und mehr ein militärisches Programm, das der weiteren Eroberung dient oder der Chance, endlich den Westen in den großen Endkampf zu ziehen. Schließlich ist die Logik des as damals passierte, war ein Verstoß gegen die Genfer IS, die Logik des Kalifats, das sie Konvention und gegen die Haager Kriegsordnung. Die gegründet haben, der dauernde Truppen der Koalition gegen Saddam Hussein taten Kampf – es ist nicht vorgesehen, nichts, um die Plünderungen zu verhindern – und so wurden dass die Expansion zur Ruhe etwa aus dem Museum von Mossul, wo nun auch der IS wütete, kommt. 16 assyrische Bronzereliefs aus dem 9. Jahrhundert vor Christus Der Journalist Graeme Wood gestohlen. Drei Mitglieder des Cultural Property Advisory Comjedenfalls hat dies in seinem Armittee des Weißen Hauses traten damals aus Protest zurück. Ein tikel „What ISIS Really Wants“ für die amerikanische Zeitschrift paar Berichte, viel mehr passierte nicht. „Solange die Briten und „The Atlantic“ so beschrieben: Der Kalif hätte seinen Job verdie Amerikaner die Anarchie leugnen, die sie im Irak hinterlassen fehlt, wenn er irgendwann einfach aufhörte zu marschieren und haben“, schrieb der „Guardian“-Kolumnist Simon Jenkins 2007, zu morden. Politik, Frieden, nationale Grenzen, Wahlen, all das „so lange müssen sie auch deren verheerende Nebenwirkungen sei nichts, was das Kalifat und dessen Auslegung des Islam ausleugnen.“ mache – wozu wohl, wie sich jetzt zeigt, auch die Zerstörungen Der IS ist einer dieser Nebenwirkungen, und es sind auch eben welthistorischer Schätze in Mossul und Nimrud gehören und keine Monster aus dem Mittelalter. Im Gegenteil, sagt etwa der erst recht die Unterwerfung der Welt unter die Gesetze der Scharia. Eine umfassende Bedrohung sieht auch der deutsch-iranische Schriftsteller Navid Kermani, der im vergangenen Jahr für eine dreiteilige Serie im SPIEGEL den Irak bereiste: Die Art und Weise, wie die Welt diesen Konflikt mit dem IS betrachtet, stehe in keinem Verhältnis dazu, was dieser Konflikt wirklich bedeute. All das zeigt sich an den Zerstörungen: Da ist ein planvoller nihilistischer Terror am Werk, vorangetrieben von einer Organisation, die in keinster Weise breite Unterstützung sucht oder gar irgendeine Art von Sympathie. Man müsse dabei, schreibt Wood, vor allem die apokalyptische Sehnsucht von ISIS ernst nehmen – es geht in dem Kampf gegen „Rom“, so sagen sie es. FOTO: SCOTT PETERSON / GETTY IMAGES W Ein nihilistischer Terror, der keine Unterstützung sucht oder gar irgendeine Art von Sympathie. ll das muss man mitbedenken, wenn man das Wüten gegen die Kunst verstehen will. Den Westen wiederum führt das zum jetzigen Zeitpunkt in ein Dilemma: Wenn man nicht eingreift, wenn man keine Truppen schickt, wird es immer schlimmer – aber eigentlich ist es schon viel zu spät, um dort noch einzugreifen. Denn das ist der Stand: Weil der Westen den Irak angegriffen hat, hat er einen „failed state“ produziert; weil der Westen in Syrien nicht eingegriffen hat, hat er einen zweiten „failed state“ produziert. Aber nach so vielen falschen und gescheiterten Kriegen, vom Irak bis Libyen, ist die Öffentlichkeit nicht bereit, den einen richtigen Krieg zu kämpfen. Genügt es also, wenn der Westen Waffen an die Kurden schickt und die irakische Armee hochrüstet? Die willkürlichen Grenzen und die falschen Versprechen nach dem Ersten Weltkrieg durch die Kolonialmächte. Die Unterstützung des wahhabitischen Regimes von Saudi-Arabien, das den weltweiten Terror wesentlich finanziert. Die fatalen Folgen der Fehlreaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001. All das steckt in diesen Bildern der Zerstörung. Sie sind mehr als nur eine Horde von verrückten Vandalen. Aber was machen wir, wenn die irakische Armee es nicht schafft, sie in diesen Tagen und Wochen zu besiegen? Dann muss der Westen darüber nach■ denken, ob er seine Fehler nicht selbst ausbügeln muss. A US-Haubitze vor dem Nationalmuseum in Bagdad 2003 DER SPIEGEL 12 / 2015 115