Der Wahlausgang in Italien und die Aufgaben der Linkssozialisten Ein Diskussionsbeitrag von Harri Grünberg Politische Glaubwürdigkeit muss sowohl in Italien als auch in Deutschland erhalten bleiben. Die Linke links von der Sozialdemokratie hat in Europa erneut eine schmerzliche Niederlage einstecken müssen. Nach Frankreich und Spanien hat sie jetzt auch in Italien einen heftigen Rückschlag erlitten. Über Italiens Linke ist wahrlich ein politischer Tsunami hinweggerollt und hat sie von der politischen Landschaft weggespült. Die Entwicklung der LINKEN in Deutschland, der Sozialistischen Partei in den Niederlanden und von Synaspismos in Griechenland bildet zurzeit die Ausnahme im europäischen Kontext. Die Ursachen für die Niederlagen sind in den jeweiligen Ländern unterschiedlich und vielfältig. Aber sie haben einen gemeinsamen Trend: Wir haben überall dort verloren, wo wir an Mitte-Links-Regierungen teilnahmen, die zwar soziale Reformen im Rahmen neoliberaler Politik versprachen, aber die Versprechungen nicht einhielten. Dies musste ins Zentrum jeder Analyse von Wahlniederlagen gerückt werden gleichgültig ob in Rom, Madrid oder Berlin. Warum haben Regierungsbeteiligung oder auch die Duldung wie im Falle Spaniens, wo auch ein Regierungsbeitritt geplant war, zum Verlust der Glaubwürdigkeit geführt? Zunächst hatten die Linken von den wachsenden sozialen Auseinandersetzungen profitiert; als sie aber als Juniorpartner in Mitte-Links-Regierungen die in sie gesetzten Hoffnungen nicht einlösen konnten, verloren sie ihre Glaubwürdigkeit. Das gilt aktuell ebenso für Italien. Glaubwürdigkeit könnten wir aber auch dann verlieren, wenn wir auf die Wünsche unserer Wählerinnen und Wähler nach einem Politikwechsel sektiererisch reagieren und eine Regierungsbeteiligung kategorisch ablehnen. Wenn in einer Gesellschaft der Wunsch nach Wandel groß ist, darf die Linke ohne überzeugende Argumente eine Regierungsbeteiligung nicht verweigern. Tut sie es dennoch, kann sie von ihren Wählerinnen und Wählern ebenfalls abgestraft werden. Diese Variante ist aber zurzeit hypothetisch, da uns keine Erfahrungen darüber vorliegen. Die Diskussion über den Wahlausgang innerhalb der italienischen Linken. Nach den Wahlen hat Rifundazione Comunista (PRC) unter dem Druck der Basis die für das Debakel verantwortliche Leitung zum Rücktritt gezwungen. Nach Einschätzung der neuen Mehrheit innerhalb der Leitung der PRC hat die Linke Italiens bei den Senats- und Parlamentswahlen eine Niederlage von historischem Ausmaß einstecken müssen. Nicht nur, dass die Rechte jetzt das Land regiert; schlimmer noch: Zum ersten Mal in der italienischen Nachkriegsgeschichte ist die Linke nicht mehr auf nationaler Ebene parlamentarisch vertreten. Sie hat 3 Millionen ihrer WählerInnen verloren. Weit über 40 Prozent der Wählerinnen und Wähler der Rifundazione fehlte die Motivation, überhaupt zur Wahl zu gehen. Andere wanderten nach rechts (15-20 Prozent) und wählten die Lega Nord. Ein weiterer Teil von etwa 40 Prozent erlag dem medialen Druck, der davor warnte, eine „verlorene Stimme“ abzugeben. Sie wählten die sozialdemokratisch ausgerichtete Demokratische Partei. 1 Hinzu kommt, dass sich bei den Gemeindewahlen der Rechtsruck fortsetzte. In Rom wählte sogar die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler einen Neofaschisten zum Bürgermeister. 2006 hatten die linken Parteien zusammen noch 10,2 Prozent auf sich vereint. Diesmal waren es nur noch 3,6 Prozent, die für das neue Bündnis der Linken (Die Linke/Regenbogen) stimmten. Dieses Bündnis hatte in seinem Parteiprogramm auf die starke antikapitalistische und kommunistische Tradition verzichtet und war in den Wahlkampf gezogen ohne jene historischen Symbole von Hammer und Sichel, die für große Teile der linken Wählerschaft identitätsstiftende Bedeutung haben. Die italienische Entwicklung stellt eine große Niederlage für die Gesamtheit der Europäischen Linken dar. Wir müssen uns mit der Frage befassen, wie wir auf europäischer Ebene erfolgreich sein können, wie wir in die nächste Europawahl hineingehen und welche Perspektiven die europäische Linkspartei besitzt. Die Ursachen der Wahlniederlagen müssen ohne Vorbehalte und gründlich untersucht werden, damit wir mögliche Gefahren für die Partei DIE LINKE und andere Linksparteien in Europa erkennen. Im Kern stehen dabei die Fragen: Welchen Nutzen hat eine in der Regierung eingebundene Linke für ihre Wählerinnen und Wähler? Und welche Gefahren gehen für die Linke von einer Regierungsbeteiligung aus? Und nicht zuletzt stellt sich die Frage, wer das Subjekt ist, an das sich die Linke wendet. Erst wenn wir diese Fragen hinreichend genau analysiert und beantwortet haben, können wir entscheiden, ob ein Regierungseintritt für die Menschen, die wir vertreten, von Nutzen sein kann. Was die Beteiligung an der italienischen Mitte-Links-Regierung betrifft, so war sie für Rifundazione ein schwerer Fehler. Der Regierungseintritt gründete auf der im Wesentlichen falschen Prämisse, die Mitte-Links-Regierung werde auf sozialen Druck positiv antworten. Das tat sie nicht: Die Politik von Prodi konnte weder die präkarisierten Schichten ansprechen noch die Arbeiter des Nordens; sie stieß mit ihrer Kriegspolitik in Afghanistan die sozialen Bewegungen von sich weg. Heftiger Streit infolge des Wahldebakels In Rifundazione ist ein heftiger Streit um die Orientierung der Partei ausgebrochen. Bei der jetzigen Debatte geht es auch darum, ob es künftig noch eine antikapitalistische Linke im Lande geben wird. Eine solche muss offen sein für gesellschaftliche Veränderungen – und sie muss linkem Handeln einen adäquaten neuen organisatorischen Rahmen bieten. Zugleich sollte sie auch an der kommunistische Tradition anknüpfen, für die es immer noch einen Massenanhang gibt. Die Alternative dazu ist, Rifundazione in einem neuen, programmatisch diffusen Projekt der Linken aufgehen zu lassen, dessen Ausrichtung unklar ist und dessen Antikapitalismus sich lediglich auf eine andere Form der Gestaltung der Globalisierung reduziert. Für diesen Weg steht das Projekt, das das Wahlbündnis Linke/Regenbogen in eine neue Einheitspartei der Linken umwandeln will. Die frühere Leitungsmehrheit der PRC vertritt diese Linie. Die italienischen Grünen und linksdemokratischen Bündnispartner aus der Regenbogenkoalition sind sicherlich kein Garant für eine klare antikapitalistische Orientierung. 2 In einem Interview in der PRC Zeitung Liberazione äußerte sich schon 2007 die große alte Dame der italienischen Linken, Rossana Rossandra, sehr kritisch über das neue Linksbündnis Regenbogen, das gerade im Prozess des Entstehens war. Sie warf dem Linksbündnis vor, Themen wie den alltägliche Kapitalismus und die Globalisierung nicht ernst genug zu nehmen. Damals schon stellte sie die Frage, ob das neue Bündnis antikapitalistisch sei oder ob es nur einen Selbstzweck verfolge, nämlich die Beteiligung an der Regierungskoalition nicht zu gefährden. Ursachen für die Niederlage Für die Niederlage gibt es verschiedene Ursachen. Eine Ursache, wenn auch keine entscheidende, liegt in der kurzen Zeit, die das neue Bündnis hatte, um sich den Wählern zu präsentieren. Schwerer wiegt, dass die traditionellen Wählerinnen beider kommunistischer Parteien ein massives Identitätsproblem hatten: Sie konnten sich in dem profillosen neuen Bündnis Links/Regenbogen nicht wiederfinden und blieben am Wahltag zu großen Teilen zu Hause (s.o.). Ein weiterer Grund: Die reformistische Führung der PD (Partito Democratico, früher KP Italiens) griff die Kampagne der Medien auf, eine nützliche Stimme zur Verhinderung von Berlusconi könne der abgeben, der für die sozialdemokratisch ausgerichtete Demokratische Partei stimme. Die Führung der DP hat dabei voll auf die Karte gesetzt, die Linke aus dem Parlament herauszuhalten. Letztlich hat also auch die Demokratische Partei den Rechtsruck in Italien mitzuverantworten. Zusätzlich wirkte, aber nicht mehr entscheidend, die Kampagne der Medien und der beiden großen Parteienblöcke für ein Zweiparteiensystem in Italien. Ein solches System wünschen sich die Herrschenden in Italien, denn es schließt die Linke aus und erleichtert dadurch den neoliberalen Umbau Italiens. Die Institutionen sollen von sozialem Druck abgeschirmt und gegen alle Möglichkeiten einer grundlegenden politischen Veränderung des Landes immunisiert werden. Die Demokratische Partei, die vom linken Regenbogen-Bündnis während des Wahlkampfes geschont wurde, weil sie trotz ihrer anderen Taktik als erneuter, sicherer Koalitionspartner angesehen wurde, spielte aber ein trickreiches Spiel mit der Kampagne der „verlorenen Stimme“. Während es augenzwinkernd dem Regenbogen die Fortsetzung der zerbrochenen Koalition nach den Wahlen signalisierte, setzte sie insgeheim auf eine Verdrängung der Linken aus dem Parlament. Dies erkannte die Führung der RegenbogenKoalition erst sehr spät. Die Linke in Italien konnte nicht ihren Wählerinnen und Wählern den Nutzen der Regierungsbeteiligung beweisen. „Sie war unfähig, auf die wichtigsten sozialen Fragen des Landes eine Antwort zu geben.“ (Mehrheitsdokument der Nationalen Leitung von Rifundazione Comunista vom 19./20. April 2008). 2006 hatte das „linke“ Lager über Berlusconi gesiegt. An die Regierungsbildung, an der sich auch Rifundazione beteiligte, waren viele Hoffnungen geknüpft, so vor allem, dass mit Berlusconi auch seine Wirtschafts- und Sozialpolitik enden werde. Diese Hoffnung wurde nicht eingelöst. Die neue Mehrheit im Leitungsorgan von Rifundazione kommt zu dem Ergebnis, dass „die Regierung und ihre bestimmende Mehrheit in ihren konkreten Maßnahmen die in sie gesetzten Hoffnungen nach einer anderen Wirtschaft- und Sozialpolitik nicht entsprochen haben. Im Gegenteil, sie haben den Forderungen der Mächtigen nach weiteren 3 sozialen Einschnitten nachgegeben: ob in der Steuerpolitik, der Weigerung, im Kampf gegen die Armut die Profite der Unternehmer zu besteuern, der Nichtumsetzung weiterer Maßnahmen, um die Gesellschaft aus der Umklammerung der Religion zu befreien, um nur einige Beispiele zu nennen. Es zeigte sich, dass die Regierung Prodi zwar druckempfindlich gegenüber den Mächtigen, insbesondere dem Unternehmerverband und der Kirche reagierte, aber druckunempfindlich gegenüber dem linken Teil der Gesellschaft war. Unsere politischen Handlungen haben sich als unwirksam erwiesen, und in diesem Kontext setzte sich allmählich die Wahrnehmung durch, dass die Linke von keinem Nutzen für die Gesellschaft sei. So hat sich eine scharfe Krise in unserer Beziehung zur Gesellschaft entwickelt, deren Tiefe wir nicht erfasst haben. Wir haben nicht erkannt, dass sich unsere Beziehung zur Gesellschaft grundlegend veränderte. Wir haben die Verbindungen insbesondere zu den sozialen Bewegungen und deren Kämpfen verloren. Es war offenkundig, dass die Regierungsbeteiligung nicht von Nutzen war; wir konnten - als Erfahrung der letzten 15 Jahre – die Chance, durch die Regierungsbeteiligung die Politik des Landes grundlegend zu verändern, nicht in die Realität umsetzen. Unser Verbleiben innerhalb der Regierung wandelte sich zu einem Problem, sowohl für uns als auch für die breiten sozialen Bewegungen.“ Die Linke/Regenbogenbündnis „Sinistrarcobaleno“ Die neue Leitungsmehrheit von Rifundazione kritisiert auch die Form, „in der wir uns zu den Wahlen präsentierten“. Gemeint ist hier das Wahlbündnis „Sinistrarcobaleno“, Die Linke/Regenbogen, mit dem die Linke antrat. Dieses Wahlbündnis umfasste die beiden Kommunistischen Parteien, Partito Rifundazione Comunista (PRC- Partei der Kommunistischen Neugründung) und Partito dei Comunisti Italiani (Partei der Kommunisten Italiens), hervorgegangen aus einer Abspaltung von Rifundazione; die Grünen und eine linken Abspaltung der Linksdemokraten DS (jetzt Demokratische Partei PD). Hauptpunkte der Kritik waren: - die Art und Weise, wie das Bündnis zustande kam; es wurde nicht nur den Mitgliedern von Rifundazione von oben herab verordnet, es funktionierte schlecht und war vor allem durch politische Schwäche gekennzeichnet. - Der früheren Spitze der Partei um Bertinotti wird außerdem vorgeworfen: „Es war das Produkt politischer Spitzen, die nicht in der Lage waren, in ihrer Politik der tiefen sozialen Krise des Landes zu entsprechen.“ So das Mehrheitspapier der Leitung von Rifundazione. Das Regenbogen-Bündnis nahm mehr und mehr den Charakter einer sozialdemokratischen Zweitvariante an, die auf jeden Fall auf eine weitere Regierungsbeteiligung abonniert sein wollte. Dieses Bündnis war nicht das Produkt einer breiten sozialen Bewegung. Im Unterschied zur LINKEN in Deutschland. Ihrer Gründung vorangegangen war der Widerstand gegen die Hartz IV-Gesetzgebung unter Rot-Grün. Gegen diese Politik hatten sich neben der PDS auch viele Gewerkschafter und Sozialdemokraten engagiert, die später die WASG bildeten, eine der beiden Quellparteien der heutigen Partei DIE LINKE. In Italien aber war das Regenbogenbündnis nur das Ergebnis einer Vereinbarung der Spitzen der beteiligten Parteien. Hinsichtlich ihres politischen Profils war es ein Schritt nach rechts, verglichen mit der 15-jährigen politischen Tradition und Geschichte von Rifundazione als einer radikalen Kraft. Das Bündnis wurde in seiner 4 Programmatik auf die gewünschte Fortsetzung der Mitte-Links-Regierung ausgerichtet. Als die Basis der PRC der Parteispitze den Vorwurf machte, dass das Wahlbündnis nur von Wenigen beschlossen und der Partei aufgezwungen wurde, war das dann der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Dieser Vorwurf einer mangelnden demokratischen Sensibilität auf Seiten der Leitung von Rifundazione bezog sich auf den Kongress von Venedig 2006. Dort stimmten 59 Prozent der Delegierten für eine Koalitionsbeteiligung, 41 Prozent dagegen. Diese 41 Prozent wurden aber aus dem engeren Leitungsgremium, dem Nationalen Sekretariat der Partei (zu vergleichen mit dem Präsidium der Partei Die Linke.), herausgehalten. Kein einziges Mitglied dieser substanziellen Minderheit war dort vertreten. „Statt diese große Minderheit in die Leitung der Partei einzubeziehen, wurde sie arrogant ausgegrenzt“ (aus dem Papier der Befürworter der Anträge I, II, III und IV des Kongresses in Venedig 2006, das der Vorstandsitzung von Rifundazione am 19/20 April vorgelegt wurde.). Negative Regierungsbeteiligung, undemokratisches Zustandekommen eines neuen Wahlbündnisses unter Ausblendung der immer noch relevanten kommunistischen Tradition, mangelnde innerparteiliche Demokratie mit der Folge wachsender Demotivierung der Mitglieder sowie die Kampagne der „verlorenen Stimmen“ - das alles zusammen führte dazu, dass letztlich linke Stimmen in alle Richtungen verloren gingen. Spürbar wurde der Stimmungsumschwung unter früher treuen Wählerinnen und Wählern der Rifundazione, die sagten: „Ihr, die Parteien, seid ja alle gleich. Alle brecht ihr Wahlversprechen.“ Wähler und Wählerinnen, die zur PD übergingen, sagten sich: Die Programmatik von PD und Linksbündnis unterscheiden sich nicht groß voneinander. Damit die Stimme nicht verloren geht, wähle ich gleich das Original. Verloren hat die Linke auch in Richtung der rechten und fremdenfeindlichen Lega Nord. Dazu sagt Rifundazione, „dass es sich um proletarische Stimmen handelt, die sich durch die Linke und ihr politisches Wirken nicht mehr verteidigt fühlt“. Sie versprächen sich nichts mehr von den großen politischen Entwürfen und sagen: „Lasst zumindest in unserem näheren Umkreis die Dinge erhalten oder gar verbessern.“ Die Lega Nord verspricht, wenn Norditalien mehr regionale Autonomie hätte oder gar unabhängig wäre, könnten die knappen Finanzmittel im Norden ausgegeben werden, statt den Süden mitschleppen zu müssen. Dann wäre die Lage jener armen und vom sozialen Abstieg bedrohten Menschen im Norden schlagartig besser. Ausblick Zwar ist sich eine große Mehrheit im Vorstand von Rifundazione über die Ursachen der Niederlage einig; das gilt aber nicht für die Frage, welche Schritte einzuleiten sind, um die Partei wieder auf die Beine zu stellen. Hier ringen im Wesentlichen drei Strömungen um den künftigen Kurs der Partei: Die frühere Mehrheit und jetzige Minderheit, die dem Kurs von Fausto Bertinotti folgt, möchte lieber heute als morgen Rifundazione im Regenbogenbündnis als neue Einheitspartei der italienischen Linken aufgehen sehen. Dafür arbeiten sie. Sollte sie auf dem nächsten Außerordentlichen Kongress im Juli keine Mehrheit bekommen, was sehr 5 wahrscheinlich ist, dann besteht die Gefahr, dass ihr Fortbestand in der Rifundazione infrage gestellt ist. Denn dieser Flügel ist der Auffassung, dass sich die alten kommunistischen Identitäten in Italien aufgelöst haben. Er glaubt, dass etwas Neues aufgebaut werden muss, weil das kommunistische Spektrum zu eng geworden ist, um eine glaubwürdige Alternative zur heutigen kapitalistischen Globalisierung zu bieten. Nach seiner Auffassung wäre es die Aufgabe von Rifundazione, den Prozess der Sammlung der Linken zu organisieren, um schließlich in dieser neuen Einheitspartei aufzugehen. Aber dieses Bündnis hat bisher gezögert, sich auf einer eindeutig antikapitalistischen Grundlage zu bewegen. Eine andere Strömung ist die jetzige Mehrheit im Vorstand, die man als das Zentrum der Partei bezeichnen kann. Sie hat bis zum Wahldesaster den Kurs von Fausto Bertinotti mitgetragen. Sie möchte an der Existenz von Rifundazione festhalten und die Linke durch eine Stärkung von Rifundazione wieder aufbauen. Die Partei soll als zentrales politisches Projekt der Linken für die heutigen und künftigen Kämpfe gestärkt werden. Sie kämpft darum, die Desorientierung zu überwinden, die von leitenden Persönlichkeiten der Partei während des Wahlkampfes ausgelöst wurde, als sie eine Auflösung von Rifundazione das Wort redeten. „Diese Phase liegt jetzt hinter uns“, stellen diese Vertreter fest. Aber es bleibt festzuhalten, dass Rifundazione ein wesentliches, aber nicht das alleinige Element darstellt, die Linke in Italien zu reorganisieren. Der Wert dieser Linken muss in den künftigen sozialen Auseinandersetzungen erneut unter Beweis gestellt werden. Indem man aktiv in diese Kämpfe eingreift, wird sich die Form herausbilden, in der man die Linke in Italien unter einem organisatorischen und programmatischen Dach sammeln kann. Eine dritte Strömung in Rifundazione geht von der Vereinigung aller Kommunisten aus. Diese Initiative wird hauptsächlich von der PdCI, der Partei der italienischen Kommunisten, propagiert, hat aber auch innerhalb der Rifundazione einen Widerhall. Diese Strömung geht davon aus, dass sich die kommunistische Identität in Italien keinesfalls in Auflösung befindet, im Gegenteil. Die Tatsache, dass klassische Wählerinnen beider kommunistischen Parteien zuhause geblieben sind, wird dafür als Beweis vorgebracht. Mit Sicherheit wird es in dieser Konstellation sehr schwer sein, die Einheit von Rifundazione aufrecht zu erhalten. Diese Einheit hat aber nur einen Sinn, wenn die früheren Wählerinnen und Wähler der kommunistischen Parteien zurück gewonnen und motiviert werden können. Dabei darf künftigen Optionen für eine neue linke Partei nicht die Tür zugeschlagen werden. Dies wird nur möglich sein, die Mitwirkung an der Mitte-Links-Regierung einer umfassenden Selbstkritik unterzogen wird. Die Partei braucht eine klare antikapitalistische Ausrichtung, eine demokratische Neustrukturierung und eine neue Führung. Wenn die Partei ihre Glaubwürdigkeit zurückgewinnen will, muss sie klar machen, dass mit ihr keine Politik des sozialen Abbaus zu machen ist - ebenso wenig wie Kriegseinsätze in Afghanistan. Das ist die Voraussetzung. Das Regenbogenbündnis hat mit seiner seichten, unklaren antikapitalistischen Ausrichtung den Test nicht bestanden. 6 Einige Schlussfolgerunge für die deutsche Debatte Für uns steht die Frage im Mittelpunkt, welche Gefahren von einer Beteilung der LINKEN in einer „Mitte-Links-Regierung“ für unsere Partei ausgehen können. Diese Debatte muss geführt werden und sie hat schon in Teilen der LINKEN begonnen. Einige verengen allerdings diese Diskussion von vornherein auf die Frage nach Beteiligung an einer Mitte-Links-Regierung – sozusagen eine „Flucht nach vorn“, um die Deutungshoheit über dieses Thema zu erlangen. Sie wollen sich und die Partei mit Blick auf die Bundestagswahlen 2009 auf eine Koalitionsübereinkunft mit SPD und Grünen festlegen. Doch die italienischen Erfahrungen sollten uns eine Warnung sein! Die Beteiligung an einer Mitte-Links-Koalition könnte uns genauso in eine Katastrophe führen, wie sie die Rifundazione abstürzen ließ. Es geht hier nicht um das theoretische Prinzip, ob eine solche Konstellation denkbar oder grundsätzlich abzulehnen ist. Eine Mitte-Links-Regierung kann unter spezifischen Umständen von Vorteil sein, wenn sie den Menschen Fortschritte bringt und wir im positiven Sinne als fortschrittliche, gestaltende Kraft wahrgenommen werden können; wenn wir innerhalb des global agierenden Kapitalismus Pflöcke setzen können, seine Inhumanität eindämmen, seine ungezügelte Vorherrschaft beschneiden und soziale Rechte für die Mehrheit der Bevölkerung verstärken können. Für all dies fehlen heute jedoch die Voraussetzungen! Schauen wir uns die Rahmenbedingungen an, unter denen wir heute als linke Partei wirken. Alles deutet darauf hin, dass wir auf das Ende des kurzen Wirtschaftsaufschwungs der vergangenen zwei Jahre zusteuern. Ein Aufschwung, von dem die Mehrheit der Lohnabhängigen nichts spürte. Wir steuern auf eine internationale Krise zu, von der niemand weiß, welche Ausmaße sie haben wird. Diese Krise nimmt ihren Ausgangpunkt in der Hypothekenkrise der USA und von dort vernehmen wir zunehmende Hektik, bisweilen panische Hilferufe. Das Finanzsystem ist in Unordnung geraten und manche Experten sprechen davon, dass es sich nicht nur um eine konjunkturelle Delle handelt. Diese neue Krise der kapitalistischen Globalisierung kann zu verschiedenen Reaktionen führen. Sie kann verheerende Auswirkungen haben. Denn um sie im Sinne einer Profitmaximierung zu lösen, kann es zu neuen, skrupellosen Angriffen auf die Schwächsten in der Gesellschaft kommen. Eine neue Runde des verschärften Sozialabbaus und der Privatisierung öffentlichen Eigentums würde dann auf die Tagesordnung gesetzt. In der Arbeitswelt stünde eine weitere Runde der Produktivitätserhöhung in den Betrieben, insbesondere in den exportorientierten, im Mittelpunkt. Druck auf die Löhne, auf gewerkschaftliche Rechte wie z.B. kollektive Tarifverträge, neue Massenentlassungen sind dann von Seiten der Unternehmer zu erwarten. Mit einem medialen Trommelfeuer der Indoktrinierung - wie z.B. durch die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft - würden die Menschen wieder glauben gemacht, dass Lohnverzicht, Rentenkürzungen usw. geeignet sind, Arbeitsplätze zu erhalten. Die Folge wäre eine weitere Verarmung und Präkarisierung der Arbeitermittelschichten, wie wir dies bereits verschärft in den USA erleben können. Mit einem solchen Szenario wäre eine Mitte-Links-Regierung in Deutschland 2009 womöglich konfrontiert Eine alternative Politik, um der Krise der kapitalistischen Globalisierung gegenzusteuern, muss davon ausgehen, dass die regulierende Hand des Staates 7 gestärkt wird. Der Staat muss in die Ökonomie eingreifen und binnenwirtschaftliche Entwicklungen begünstigen. Zurzeit erleben wir eine Rückkehr des Staates in seine Verantwortung, wirtschaftliche Prozesse zu regulieren. Er tut dies aber vor allem in eine Richtung, zugunsten der Wirtschaft, um eine drohende Illiquidität der Banken abzuwenden - und tut es mit öffentlichen Geldern. Schon die Einleitung einer klassischen keynesianischen Wirtschaftspolitik wäre im Zeitalter der Globalisierung die eigentliche Erfolgsgrundlage einer Mitte-Links-Regierung. Es bedarf aber einer massiven öffentlichen Debatte, der antikapitalistischen Mobilisierung breiter Teile der Gesellschaft und vor allem ein Umschwenken in der Politik der Sozialdemokraten und Grünen, um innerhalb der Wirtschaft die Basis für das Umdenken in Richtung Keynesianismus zu schaffen. Doch SPD und Grüne müssten zuvor das neoliberale Wahnfieber ausgeschwitzt haben. Dies wäre die notwendige Grundlage, auf der sich eine erfolgreiche Mitte-Links-Politik aufbauen ließe. Rifundazione hatte die Illusion, dass sie die führende Kraft innerhalb der Regierung Prodi sein würde. Hören wir uns an, was der frühere Vorsitzende der PRC und enge Kampfgefährte von Bertinotti über die Gründe des Scheiterns von Rifundazione innerhalb der Mitte-Links-Koalition zu sagen hatte: „Ich sehe drei wesentliche Gründe für unsere Niederlage. Zwei davon sind objektiv und eine nicht unbedeutende ist subjektiver Natur. Als erste würde ich das Auseinanderfallen zwischen den Wünschen der Menschen nennen, nachdem Berlusconi 2006 abgewählt wurde und den Resultaten, welche die Mitte-Links-Regierung hervorbrachte. Der Sieg über Berlusconi 2006 war mit einer diffusen, aber starken Hoffnung auf generelle Veränderung der Richtung der Politik in unserem Land verknüpft. In der politischen Praxis der Regierung ist es ins Gegenteilige umgekippt. Größere Mobilisierungen der sozialen Bewegungen begleiteten am Anfang unsere Regierungsarbeit. Hier seien drei Beispiele genannt, wo wir auf unterschiedlicher Ebene Protagonisten dieser Mobilisierungen waren, so die Bewegung gegen Armut, die gegen die US-Basis in Vicenza, und die gay pride-Mobilisierung. Wir haben versucht, die Forderungen dieser Bewegung in die Regierungsarbeit aufzunehmen und fanden uns dort vor einer Mauer der Ablehnung. Insbesondere bei den Forderungen gegen Armut und gegen Krieg. Dies hat Enttäuschung erzeugt und entfremdete uns von unsere sozialen Basis.“ Es wäre vermessen zu glauben, dass sich in Deutschland nicht wiederholen könnte, was der Linken in Italien passiert ist. Wir als Linke in Deutschland sollten vom Wahlausgang in Berlin 2006 gewarnt sein, als uns fast die Hälfte unserer Wählerinnen und Wähler verloren ging. Dies spricht, wie bereits erwähnt, nicht prinzipiell gegen Regierungsbeteiligungen. Aber wir müssen ein klareres strategisches Szenario herausarbeiten, unter welchen Prämissen ein Regierungsbeitritt sinnvoll ist. Und da muss man nüchtern feststellen, dass aus heutiger Sicht nichts für eine Regierungsteilnahme 2009 spricht. Denn unser primärer Anspruch ist nicht, die schlechte Realität bloß zu gestalten, sondern sie zu verändern. Wir müssen aus der Opposition heraus für die Beseitigung des Neoliberalismus arbeiten. Und wir können das auch, in dem wir dazu beitragen, dass sich das gesellschaftliche Bewusstsein wandelt und die neoliberale Hegemonie abgelehnt wird. Hier ist in Deutschland schon einiges in Bewegung geraten. 8 Einige Reflexionen: Mitte-Links-Regierung oder Linksregierung? In der Partei DIE LINKE wird in der Debatte über eine Regierungsbeteiligung immer wieder auf das Modell der Mitte-Links-Regierung zurückgegriffen, wie auch in diesem Beitrag geschehen. Damit wird aber die Debatte verengt. Denn es gibt auch andere Modelle, wie z.B. das einer Linksregierung. Hinter ihr steht ein anderes programmatisches Konzept. Eine Mitte-Linksregierung bildet sich aus der Übereinkunft linker Parteien mit Parteien der Mitte, die oft eine Fraktion des herrschenden Kapitals darstellen. Es ist eine Regierung des Kompromisses, die jeweils die aktuelle Interessenslage der Kapitalseite berücksichtigt. Es ist die auf Regierungsebene institutionalisierte Zusammenarbeit von Kapital und Arbeit. In Zeiten der wirtschaftlichen Prosperität, wie in der Ära von Willi Brandt, als SPD und FDP regierten, war dieser Typus von Mitte-Links-Allianz durchaus in der Lage, den Forderungen nach ökonomischen und sozialen Reformen nachzukommen. Der regulierte Kapitalismus ließ sich mit den Interessen des Kapitals vereinbaren. Die heutige Situation ist völlig anders. Eine Regierung unter Beteiligung der Linken muss für einen re-regulierten Kapitalismus kämpfen, muss für die Entwicklung der Binnennachfrage (mit allen sozialen Folgerungen) eintreten, wenn sie nicht die eigenen Wählerinnen und Wähler enttäuschen will. Dafür muss der Staat über mehr Einnahmen verfügen, die er nur durch eine stärkere Besteuerung des großen Kapitals besorgen kann. Gleichzeitig muss er ein Vernunftbündnis mit den kleinen und mittleren Betrieben schließen. Dies setzt seine Bereitschaft voraus, den Konflikt mit den globalen Industrieunternehmen, die von der neoliberalen Globalisierung profitieren, durchzustehen. Die italienische Erfahrung hat gezeigt, dass die MitteLinks-Regierung ein untaugliches Werkzeug war, um eine Politik der sozialen Gerechtigkeit durchzusetzen und die Macht des Großkapitals zu beschneiden. Als Rifundazione in die Regierung ging, verkannte sie, dass die ehemaligen Christdemokraten auch nach der Fusion mit den ehemaligen Kommunisten zur DP eine klassische bürgerliche Partei geblieben ist, die die Interessen eines Sektors des italienischen Kapitals vertritt. Und diese Interessen brachte die Demokratische Partei im Mitte-Links-Bündnis vor allem zur Geltung. Das Ergebnis war, dass Rifundazione in der Regierung die Durchsetzung einer italienischen Variante von Hartz IV nicht verhindern konnte. Hier war überhaupt kein Spielraum für linke Politik. Wir benötigen daher ein anderes strategisches Konzept mit einem anderen Regierungsmodell: Potentielle Partner der deutschen LINKEN können auf Bundesebene nur SPD und Grüne sein. Beide sind Parteien, die ideologisch die kapitalistische Gesellschaft „als das Ende der Geschichte“ betrachten. Dass Teile der SPD-Basis und Wähler immer noch an der geschichtlichen Tradition der SPD festhalten, Partei der Arbeitnehmer zu sein, zeigte die jüngste Krise dieser Partei und ihr Niedergang nach Hartz IV. Bündnis90/Die Grünen ist eine typische Mittelschichten-Partei. Sie reagiert weit weniger empfindlich als die SPD auf sozialen Druck. Sie ist aber immer noch keine organische Partei des Kapitals. Eine massive antikapitalistische Mobilisierung unserer Gesellschaft würde wahrscheinlich nicht spurlos an diesen Parteien vorübergehen und in der Basis dieser Parteien auf Echo stoßen. 9 Wir müssen uns entscheiden, ob wir bei unseren strategischen Überlegungen von einem politischen Konzept der Mitte-Links-Regierungen ausgehen oder ob wir ein Konzept des gesellschaftlichen und wirtschaftspolitischen Paradigmenwechsels wollen – mit klaren anti-neoliberalen, anti-kapitalistischen Vorstellungen von Regierungspolitik. Das wäre nicht das Konzept einer Mitte-Links-Regierung sondern das einer Linksregierung. Doch die beiden in Frage stehenden Parteien lassen zurzeit nicht erkennen, dass sie willens und fähig sind, die Paradigmen des Neoliberalismus in der Gesellschaft zu verändern und seine Hegemonie zu brechen. Erst wenn aus der Gesellschaft selbst ein entsprechender Druck auf SPD und Grüne ausgeübt wird, wenn die Mehrheit der Bevölkerung nachdrücklich anti-kapitalistische Veränderungen einfordert, wird es eine tragfähige Basis für eine Linksregierung geben. DIE LINKE wird im Wesentlichen durch konsequente Oppositionsarbeit und mit langem Atem auf solche Veränderungen im Bewusstsein der Bevölkerung hinwirken müssen. 10