Geh nicht wählen! [Aufruf der „Brot & Spiele – Geh nicht wählen“ Kampagne] GEH NICHT WÄHLEN Es ist wieder einmal soweit: die Bundes- und Landtagswahlen stehen vor der Tür. Mit der Abgabe ihrer Stimmen legitimieren die Wähler Staat, Nation und Kapitalismus. Dies nehmen wir zum Anlass unserer Kritik. Im Folgenden werden wir grundlegende Aspekte zur Bedeutung von Wahlen und Hintergründe für den Freudentaumel um das „Superwahljahr 2009“ beleuchten. Gerade in Zeiten einer besonders wahrnehmbaren Wirtschaftskrise wird eben diese gern für Wahlversprechen der Politiker genutzt. Auf Plakaten, Infoständen oder im Fernsehen: Überall sind die neuen und altbekannten Superhelden und ihre Versprechen präsent. Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, gegen konstruierte und tatsächliche Missstände rigoros vorzugehen. Die krisengeschüttelten Bürger finden das dann gar nicht so schlecht – obwohl sie doch vor vier Jahren erst den viel versprechendsten Kandidaten gewählt hatten, und sich nicht wirklich etwas verändert hat… Mit anderen Worten: der Staat plus seine Superheldenpolitiker gilt als Retter in der Krisennot. In der Vorstellung vieler Menschen ist der Staat eine Kontrollinstanz, welche die unschönen Auswüchse des Kapitalismus, also z.B. die Krise, einschränken soll. Dabei ist der kapitalistische Normalvollzug bereits die Katastrophe, dessen politische und institutionelle Form der bürgerliche Staat ist. Dieser schafft die Rahmenbedingungen, um die dem Kapitalismus eigene Konkurrenz zu gewährleisten. In Krisenzeiten wird schnell die Parole ausgegeben, für das „Gemeinwohl“ den Gürtel enger zu schnallen. „Gemeinwohl“ ist aber nichts anderes als das Wohlergehen der Volkswirtschaft und so werden die Individuen zur Enthaltsamkeit für Staatszwecke mobilisiert. Der Staat ist kein Gegenspieler des Kapitalismus – im Gegenteil: sein Interesse ist es, dass das System fortbesteht! Im Kapitalismus tritt das bürgerliche Individuum als Privatproduzent auf den Markt und muss, um zu überleben, seine Ware in Form von Arbeitskraft anbieten. Dabei bedarf es einer Instanz, welche Gleichheit, Freiheit und vor allem den reibungslosen Ablauf dieses Tausches sichert. Hier kommt der Staat und sein bürgerliches Recht ins Spiel. Neben dem bestehenden Arbeitszwang ist die immerwährende Konkurrenz unter den Mitgliedern der Gesellschaft ein Kennzeichen des kapitalistischen Systems. Das Entscheidende ist, aus Geld immer mehr Geld zu machen und einen größeren gesellschaftlich ungleichverteilten Reichtum zu produzieren. Schlussendlich erscheinen Leistungszwang, Hierarchie und Ausbeutung als naturgegebene Bestimmungen des Menschen. Aber in Wahrheit sind sie Ausdruck der kapitalistischen Verwertungslogik, in der die existentiellen Bedürfnisse der Menschen systematisch missachtet und verletzt werden. Verzweiflung, Armut und Existenzängste entstehen nicht durch einen „HeuschreckenKapitalismus“ oder nur durch böse Manager, sondern dadurch, wie die kapitalistische Gesellschaft Menschen organisiert. Dies lässt einzig den Schluss zu, Kapitalismus grundlegend abzulehnen! Die Konsequenz ist es, der demokratisch-kapitalistischen Politik unsere Stimme nicht zu geben. Denn jener „verdanken“ wir den Fortgang des Systems und seiner Schädigungen an uns. Wählen zu gehen bedeutet, dem demokratisch-kapitalistischen System zuzustimmen oder es zumindest zu akzeptieren. Denn Fakt ist: Es gibt keine ernsthafte Wahl. Warum also sonntags nicht ausschlafen? Oder stimmen wir über die ins Recht gesetzte kapitalistische Produktionsweise oder gar die Herrschaftsordnung ab? Am Ende wird höchstens das Personal gewechselt. Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass sich soziale Schädigungen durch den Wechsel des demokratischen Personals beheben lassen (einschließlich Reformisten wie beispielsweise der Partei Die Linke, die sich den Anschein von Widerstand geben). Politiker vertreten Meinungen, selten Interessen – und wenn sie letzteres tun, dann mitnichten von denen, die sie massenhaft wählen. Durch demokratische Prozesse, wie z.B. Wahlen, suggeriert man dem Volk Teilhabemöglichkeiten. Tatsächlich dienen Demokratie und Nationalismus dem bürgerlichen Staat nur als Rechtfertigungsinstrumente seiner Herrschaft. Seit der französischen Revolution scheinen sich individuelles Freiheitsstreben und nationale Autonomie zu decken. Doch die Proklamation von Partizipationsrechten erwies sich schnell als bloßes Argument zur Durchsetzung nationaler Souveränität in einem bürgerlichen politischen Konzept, in dem Nation und Demokratie als untrennbar angesehen wurden. Die Nation setzte sich – gegen die tatsächliche Befreiung der Menschen – durch und wurde in Form der völkerrechtlichen Selbstbestimmung zum Prinzip der Außenpolitik und damit zur Rechtfertigung der Konkurrenz und wechselseitigen Unterwerfung der Nationen untereinander. Die bürgerliche Revolution bedeutete nicht die erkämpfenswerte Begründung individueller Freiheit, sondern die Ausrufung und Etablierung des nationalen Zwangskollektivs und der damit verbundenen Selbstidentifikation des Volkes als Nation mit dem Staate und der daraus resultierenden Legitimierung der ganzen Macht- und Herrschaftsapparatur. Mit der Mobilisierung der Bürger mit all ihren Energien für die Staatszwecke erlangt der national und demokratisch legitimierte Staat eine unvergleichliche Allmacht, in der sich das Volk Kriege, Siege und Niederlagen gleichermaßen als Nation anrechnet. Der deutsche Militarismus allerdings, mit „der Scham von Versailles“ und der Katastrophe des Holocausts, ist für den bürgerlichen deutschen Nationalismus kein positiver Bezugspunkt – im Gegensatz zu Goethe, Schiller und Wagner. Damit eine politische Herrschaft besteht, muss das Handeln ihrer Apparatur legitim erscheinen. Jede Form des Nationalismus, Unterordnung und Integration, Normen und Gesetze verleihen dem kapitalistischen System die Rechtfertigung, welche die zentrale Wirklichkeit und Wirkungsmöglichkeit des Herrschaftssystems garantiert. Gegenüber der Apparatur, welche Soldaten oder Polizisten befiehlt, die wiederum bereit sind, Befehlen Gehorsam zu leisten, muss eine innere Bereitschaft der Individuen treten, das System anzuerkennen. Auch Verwaltungsapparate und Gerichte können nur deshalb erfolgreich funktionieren, weil Menschen diese kollektiv akzeptieren. Wer ernsthaft an der Überwindung der Verhältnisse interessiert ist, kommt an der Delegitimation bürgerlicher Ideologien, Werte, Konstrukte und ihrer Akteure nicht vorbei. Zusammengefasst: Um Macht nach Innen und Außen durchzusetzen und zu erhalten, muss die staatliche Herrschaft den Menschen legitim erscheinen. Das geschieht über die Konstrukte „Nation“ und „Demokratie“, welche Staat und Volk miteinander verknüpfen. Durch den demokratischen Akt des Wählens werden Staat und Herrschaft als rechtmäßig anerkannt. Dies bedeutet für uns: Nichtwählen als Delegitimation dessen, ist ein individueller emanzipatorischer Akt. Wir alle haben eine eigene Verantwortung an gesellschaftlichen Prozessen, wir alle können unseren Teil dazu beitragen, mit den bestehenden Verhältnisse zu brechen. Uns geht es um eine radikale Kritik und die daraus folgende Ablehnung des bestehenden kapitalistischen Systems und dem Rattenschwanz namens Demokratie, Staat, Nation sowie allen Verhältnissen, in denen der Mensch „ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“! Die logische Konsequenz daraus sind weder Reformen noch sich irgendwie anders auf den ganzen Mist einzulassen! Wir rufen dazu auf, Nichtwählen zu gehen! Es ist nicht so, dass wir Nichtwählen weil uns Politik nicht interessiert, sondern gerade weil! Brot & Spiele, Juli 2009