Junkies der Politikverflechtung

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Junkies der Politikverflechtung
Warum der Berg „Föderalismuskommission“ kreiste und nicht einmal eine Maus gebar
Kann man den Föderalismus mit seinen eigenen Mitteln kurieren? Die vom Bundestag und vom
Bundesrat eingesetzte Föderalismus- oder Bundesstaatskommission hat kurz vor Weihnachten
erneut versagt. Schon im Herbst hatte sie es versäumt, einen Zwischenbericht vorzulegen.
Diese „Kommission“ konstituierte sich am 7. November 2003. Ihr gehören 56 ordentliche und
eine gleiche Zahl stellvertretender Mitglieder an. Der Name „Kommission“ ist hierfür wohl
kaum treffend. Es ist eine Versammlung: 16 Vertreter des Bundesrats - damit ja auch jedes
Bundesland dabei ist - und entsprechend 16 Mitglieder des Bundestages gehören ihr an. Dazu
kommen Vertreter der Bundesregierung, der längst ins Abseits des Bundesstaates geratenen
Landtage, der ebenfalls machtlosen kommunalen Spitzenverbände sowie 12 Sachverständige,
unter denen sich so „unabhängige“ Experten wie die früheren Bundesminister Edzard SchmidtJortzig (FDP) und Rupert Scholz (CDU) befinden. Diese alle mussten ihre Vorschläge ständig
vorbesprechen, Diskussionen in der „Kommission” wiederum rückkoppeln. Sie durften dabei die
Interessen jener Institutionen nicht aus den Augen verlieren, die sie nominiert hatten. Es wurde
eine „Kommission“
genannte
Versammlung
eingesetzt,
welche
das
Grundübel
des
bundesdeutschen Föderalismus – die vom Politikwissenschaftler Fritz W. Scharpf so genannte
„Politikverflechtungsfalle” - mit der Methode eben der Politikverflechtung beseitigen sollte.
Warum hatte die Bundesregierung – so fragten sich einige von Anfang an - keinen Entwurf zur
Änderung des Grundgesetztes vorgelegt, um aus der Falle herauszukommen? Warum förderte
die
Regierung
stattdessen
die
Einsetzung
eines
Monstergremiums
wie
die
Bundesstaatskommission?
Nach dem vorläufigen und vom Bundeskanzler geförderten Scheitern jeglicher Reformen scheint
die Antwort klar zu sein: Die Regierung will eigentlich gar keine Reform. Für sie ist es nicht
schlecht, dass sie auf den „Vetospieler“ Bundesrat hinweisen kann, wenn sie wieder einmal mit
einem
Vorhaben
scheitert.
Für
die
Bundesregierung
sind
die
Beteiligung
an
„Gemeinschaftsaufgaben“ wie bei den Hochschulen, an Mischfinanzierungen wie bei der Kultur,
an der Verantwortung für die innere Sicherheit nicht schlecht, denn da kann sie überall in die
Länder hineinregieren. Und von diesen Möglichkeiten macht die Bundesregierung nicht erst seit
dem Amtsantritt von Gerhard Schröder kräftigen Gebrauch.
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Das ist ein Paradoxon des gelebten Föderalismus in Deutschland: Dass die Ministerpräsidenten
der Länder einerseits den Bundesrat als nationale Bühne benutzen und den Eindruck erwecken,
als wären sie alle 16 große Staatsmänner und die Chefs von 16 Nebenregierungen auf gleicher
Augenhöhe mit der Bundesregierung und dass die Bundesregierung andererseits über
Gemeinschaftsaufgaben, Mischfinanzierungen und Rahmengesetze die Länder auf ihren eigenen
Gebieten kujoniert. Die Leidtragen sind neben den nicht mehr durchschauenden Bürgern die
Landesparlamente und der Bundestag. Denn die Landesparlamente haben in Bundesratssachen
und bei Staatsverträgen praktisch nichts zu sagen, und der Bundestag kann beschließen, was er
will: Wenn es dem bürokratisch abgeschirmten Bundesrat nicht passt, ist das alles wertlos.
So kommt es, dass die Ministerpräsidenten im Bundesrat das große Wort über Bundespolitik
führen, während die Ministerialbürokratie des Bundes es einem Bundesland vorschreibt, ob es an
der Universität X eine neue Fakultät aufmachen darf oder nicht.
Selbst da, wo der Bund den Ländern Leine gelassen hat, hatte er sie als nützliche Idioten benutzt:
Wo einige Länder aus purer Finanznot danach lechzten, die Rechte der Beamten zu beschneiden,
ließ der Bund sie gewähren und ersparte sich den Ärger mit der entsprechenden Lobby.
Was soll da eine Kommission? Regierung und Bundesrat sind schließlich als Verfassungsorgane
dazu geschaffen, Reformen in Gang zu setzen, wenn diese notwendig sind! Also hätte die
Bundesregierung eine Grundgesetzänderung initiieren können, welche die Aufgaben von Bund
und Ländern säuberlich trennt, den Ländern Eigenverantwortung gibt, das Finanzaufkommen
gerecht – das heißt auch an der wirtschaftlichen Leistungsstärke orientiert – verteilt und den
Anteil der im Bundesrat zustimmungspflichtigen Gesetze auf das Allernotwendigste reduziert.
Die Bundesregierung hätte vorschlagen können, die horizontalen und vertikalen Finanzströme
zwischen den Ländern und dem Bund zurückzudrängen und einen Konkurrenzföderalismus zu
schaffen, bei dem die stärkste Region die größten Vorteile hätte und die schwächste sich eben
anstrengen müsste.
Ja, die Bundesregierung hätte sogar noch weiter gehen können: Sie hätte anregen können, das auf
dem ganzen Erdenball einmalige Unikum Bundesrat, wo Regierungsvertreter über Gesetze
abstimmen, abzuschaffen und statt dessen eine wirkliche zweite Kammer einzusetzen, deren
Mitglieder vom Volke zu wählen wären: Modelle dafür gibt es genug in der Welt.
All das hat die Bundesregierung nicht getan. Sie hat es nicht getan, weil sie
1.vordergründig eine Reform des Föderalismus nicht will weil
2
2. ihre Akteure - ebenso wie die Kollegen in den Ländern - nicht anders können als in den
Kategorien der Politikverflechtung zu denken und zu handeln. Die Mitglieder unserer
Bundesregierung und die Ministerpräsidenten: Sie sind Junkies des Gebens und Nehmens, des
Konsenses unter Politiker und sie scheuen den offenen Konflikt wie die Pest.
Deshalb haben sie die Monsterkommission eingesetzt: Deshalb hat der Berg gekreist und noch
nicht einmal eine Maus geboren.
Diese Maus wenigstens schien im Wachsen, denn lange galt unter Experten als sicher, dass die
Kommission nicht viel, aber immerhin dies beschließen würde: Änderungen oder Streichungen
der
Grundgesetzartikel
84
(Verfahrens-
und
Organisationsrecht
der
Länder),
75
(Rahmengesetzgebung), 91 a und b (Gemeinschaftsaufgaben), 23 (Europa) und 22
(Bundeshauptstadt Berlin). Durch den Einsatz der Hebammen Franz Müntefering und Edmund
Stoiber schien daraus zu werden, dass der Bundesrat zurückgedrängt würde, den Ländern keine
Kosten vom Bund oktroyiert werden könnten, das Beamtenrecht geändert, Zuständigkeiten und
Finanzen neu geregelt, das Umweltrecht dem Bund zugeschlagen würde und die Länder zu einer
Europa-Solidarität verpflichtet worden wären. Dazu ist es jetzt nicht gekommen.
Viele erwarten, dass eine Maus solcher Art nach einem Moratorium doch das Licht der Welt
erblicken werde. Manche wünschen, dass Bundespräsident Horst Köhler – der die Vorteile
angelsächsischer Konfliktkulturen verinnerlicht hat – einen Weg weist.
Wäre eine kleine Reform zu begrüßen oder zu befürchten? Zu erhoffen wäre sie, weil es einige
notwendige Korrekturen an unserer Verfassungswirklichkeit gäbe. Zu befürchten wäre sie, weil
die „politische Klasse“ genannte Gemeinschaft der Junkies des Politikverflechtung weiterhin
ihren Stoff erhielte und Deutschland benebelte anstatt die Kräfte des offenen politischen
Konfliktes und der ökonomischen Konkurrenz als Quellen von Innovation, Fortschritt und
wachsendem Wohlstand frei zu setzen.
Jürgen Dittberner
(Der Autor ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Potsdam. 19-12-04)
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