1 Einführung Die Bearbeitung des Themas „Theorie der Menschwerdung von Rosemarie Rizzo Parse“ erwies sich Eingangs als sehr schwierig. Dies lag in erster Linie daran, dass schon der grundsätzliche Denkansatz für die Referenten, die aus der hier üblichen Praxis kommen, zumindest sehr gewöhnungsbedürftig war. Erst die bewusst fälschliche Projektion der Theorie auf eine abgehoben esoterische Ebene eröffnete einen Zugang zur grundsätzlichen Denkweise der Theoretikerin. Zugegebener Weise wurde ihr damit unrecht getan. Tatsächlich wird nach einem erneuten Umdenken ein durchaus praktischer Bezug möglich, der mit Esoterik nichts zu tun hat. 2 Beruflicher Werdegang von Rizzo Parse Rosemarie Rizzo Parse absolvierte ihre Pflegeausbildung in Pittsburgh, wo sie auch ihren Magister und den Doktor in Krankenpflege und höherer Ausbildung erwarb. Ihre Theoire Mensch-Leben-Gesundheit stellte sie in den 60er und 70er Jahren auf. Zu dieser Zeit war sie Dekanin der Krankpflegeschule an der Duquense University in Pittsburgh. Zur Zeit ist Rosemarie Rizzo Parse Präsidentin der von ihr gegründeten Discovery International, Inc. Dies ist eine Organisation, die versucht, mittels Beratungsdiensten, Seminaren und Gesundheitsanleitungen, die Pflegewissenschaft zu fördern. Außerdem ist sie Professorin für akademische Krankenpflege und Koordinatorin des Zentrums für Pflegeforschung am Hunter College der City University in New York und Herausgeberin der Zeitschrift Nursing Science Quarterly. 3 Klassifikation der Theorie Rizzo Parse schlug 1987 vor, alle Pflegetheorien auf einer paradigmatischen Ebene in zwei große Gruppen einzuteilen, nämlich Theorien, die dem totaly paradigm, und welche die dem simultaneity paradigm zugeordnet sind. Ein Paradigma definiert Rizzo Parse als “ein Weltbild über ein Phänomen, das für eine Disziplin von Interesse ist.“ (van Kampen: 25). Der Unterschied zwischen den beiden Paradigmen sieht Rizzo Parse darin, dass beim man environment totaly paradigm das Ganze, oder die zu untersuchende Einheit als Summe seiner Einzelteile, im simultaniety paradigm das Ganze als mehr als nur die Summe seiner Teile gesehen wird. Das man environmental totaly paradigm wird als ganzheitliches, das simultaniety paradigm als einheitliches Paradigma übersetzt. 3.1 Grundannahmen des ganzheitlichen Paradigmas Im ganzheitlichen Paradigma wird der Mensch als ein bio-psycho-sozio-spiritueller Organismus angesehen, der den unterschiedlichsten Umwelteinflüssen ausgesetzt ist und auf diese in unterschiedlicher Art und Weise reagiert. Ziel dieses Paradigmas beseht darin, dass der Mensch versucht ein Gleichgewichtszustand, d.h. sich möglichst optimal an seine Unweltbedingungen anzupassen, oder diese so zu verändern, dass eine Anpassung möglich ist. Gesundheit definiert sich nach diesem Modell also als ein Zustand des Wohlbefindens, den der Mensch dann erreicht hat, wenn er sich so weit wie möglich an die Umwelt angepasst hat.. Seine Ursprünge findet dieser Ansatz bei Maslow (1970) , Descartes (1960) und Newton (1934). Modelle, die diesem ganzheitlichen Paradigma folgen sind z. B. die Theorien von Peplau, Johnson, Neumann, Orem. 3.2 Grundannahmen des einheitlichen Paradigmas In diesem Paradigma wird der Mensch als offenes System betrachtet, das in einem rhythmisch gegenseitigen Interaktionsprozess mit seiner Umwelt steht. Die Einheitlichkeit kann also nicht durch die Betrachtung seiner Einzelteile gesehen werden. Gesundheit wird definiert als ein Prozess in dem sich der Mensch entfaltet, und nicht als ein Zustand. Gesundheit ist demnach einfach die Art und Weise, wie der Mensch sein persönliches Leben erlebt. Die optimale Gesundheit gibt es in diesem Paradigma nicht. Seine Ursprünge finden sich z. B. bei Sartre (1963), Einstein (1946). Modelle im Sinne des einheitlichen Paradigma werden auch als systemische Modelle bezeichnet. Modelle in der Tradition des einheitlichen Paradigmas sind z.B. die Theorien von Rogers und Rizzo Parse. 4. Schlüsselbegriffe: Eine Theorie umfasst eine Reihe von aufeinander bezogenen Begriffe die auf der selben Ebene des Diskurses formuliert werden und Phänomene einer Disziplin beschreiben, erklären oder vorhersagen sollen. Eine Annahme hingegen enthält eine Aussage über das in Frage stehende Phänomen einer Disziplin. Sie wird auf der höchsten Abstraktionsstufe der philosophischen Ebene des Diskurses formuliert und enthält eine Reihe von Grundüberzeugungen, welche die Theoretikerin oder der Theoretiker für wahr hält. 2 Rizzo Parse verwendet 9 Annahmen. Ein Begriff wiederum enthält einen abstrakten Gedanken, der seinen Ausdruck in einem Wort oder in einem kurzen Satz findet und auf der theoretischen Ebene des Diskurses formuliert wird. Begriffe sind Bausteine einer Theorie. Rizzo Parse verwendet im Kern hiervon 9. Ein Prinzip ist eine Aussage, die ein Phänomen erklärt, indem zwei oder mehrere theoretische Begriffe zusammengefügt und auf der theoretischen Ebene des Diskurses ausgedrückt werden. Rizzo Parse verwendet 3. Eine These schließlich ist eine Aussage, die zwei oder mehrere Begriffe der Prinzipien miteinander verbindet und so eine Leitlinie für Forschung und Praxis hergibt. Thesen werden auf der empirischen Ebene des Diskurse formuliert. (Mischo-Kelling:114) 5 Rosemarie Rizzo Parses Theorie der Menschwerdung Parses Theorie hat in ihrer Ursprünglichen Fassung Mensch, Leben, Gesundheit 1981 als Schlüsselbegriffe verwendet. Später 1992 hat sie ihr praktisch unverändertes Werk in „Die Theorie des menschlichen Werdens umbenannt. Dies liegt lediglich daran, dass der Sprachgebrauch des Wortes „man“ im Englischen, der ursprünglich im Titel genannt war, sich von der Bedeutung „mankind“ (Menschheit) in „male gender“ (männliches Geschlecht) gewandelt hat. Derart verfälscht musste Parse zwangsläufig eine Anpassung durchführen, um auch weiterhin ihre allgemein gültige Theorie schon dem Titel nach darstellen zu können. (Mischo-Kelling:115) Rizzo Parses Theorie des menschlichen Werdens ist eine humanwissenschaftliche Theorie, das bedeutet, sie bezieht sich auf die gemeinsamen Erfahrungen der Menschen mit der Welt. Da es sich bei Parses Theorie um eine Pflegetheorie mit humanwissenschaftlicher Denkrichtung handelt, folgt daraus die Überzeugung, dass der Mensch beim Hervorbringen von Gesundheit an der Welt teilhat. Menschen leben ihre Gesundheit, die ein Gebilde von persönlichen Werten des einzelnen Individuums darstellt. Diese Werte sind das Wesentliche. Die Krankenschwester tritt unter dem Blickwinkel der anderen Person (der sie gegenübersteht) in deren Wertewelt ein. 3 5.1 Neun Annahmen Parses Theorie stützt sich auf neun Annahmen von denen sich vier auf den Menschen selbst, und fünf sich auf die Gesundheit beziehen. Diese neun Annahmen selbst sind philosophische Grundannahmen welche sie aus der von Rogers für die Pflege entwickelten theoretischen Grundlegung und aus Sätzen der ExistentialPhänomenologie hergeleitet. Die vier auf den Menschen selbst bezogenen Grundannahmen definieren den Menschen als ein offenes Wesen, das sich im wechselseitigen Austausch mit der Umwelt befindet, in diesem Verhältnis gestaltet er mit anderen beständig Beziehungsmuster. Er lebt im selben Moment auf multidimensionalen Ebenen der Welt und ist frei, die Wege seines Werdens zu wählen, indem er seiner Situation einen Sinn gibt. Seine Möglichkeiten liegen in den für Wert gehaltenen Hoffnungen und Träumen, die ein Mensch in seinem Leben verwirklichen möchte. So lauten die ersten vier Annahmen: 1. Der Mensch koexistiert, derweil er mit der Umwelt rhythmische Beziehungsmuster entwirft. 2. Der Mensch ist ein offenes Wesen und frei in der Wahl, Situationen einen Sinn zu geben und Verantwortung für Entscheidungen zu tragen 3. Der Mensch ist eine lebendige Einheit, als die er unaufhörlich Beziehungsmuster mitgestaltet. 4. Der Mensch übersteigt (transzendiert) sich in Übereinstimmung mit seinen Möglichkeiten Die anderen fünf Annahmen bestimmen Gesundheit als einen Prozess des Werdens, der vom Menschen erfahren, gemeinsam durch den wechselseitigen Einfluss von Mensch und Umwelt konstruiert und als ein Muster von Wertpräferenzen hervorgebracht wird. Jede Annahme beinhaltet die Synthese von Begriffen, die so gegenübergestellt werden, dass sie die Grundlage für ein neues Denkergebnis, hier die Theorie vom menschlichen Werden schaffen. 5. Gesundheit ist ein offener, vom Menschen erfahrbarer und erlebbarer Prozess des Werdens. 6. Gesundheit ist ein sich rhythmisch in der Wechselbeziehung von Mensch und Umwelt aufbauender Prozess. 4 7. Gesundheit kommt in den Ausdrucksformen eines Menschen zum Vorschein, in denen er Wertepräferenzen vermittelt. 8. Gesundheit ist ein intersubjektiver Prozess des Selbstüberschreitens (Transzendierens) in Übereinstimmung mit dem (Menschen-) möglichen. 9. Gesundheit bedeutet eines ganzen Menschen negentropische Entfaltung. Soweit zu den neun Grundannahmen. 5.2 Drei Grundannahmen 1985 wurden eine Reihe von Grundannahmen über das Konstrukt „Mensch-LebenGesundheit“ vorgelegt. Diese lauten: 1. Mensch- Leben- Gesundheit bedeutet, den Sinn von Lebenssituationen im intersubjektiven Prozess, in dem Wertpräferenzen übermittelt werden, frei auszulegen. 2. Mensch- Leben- Gesundheit heißt, rhythmische Beziehungsmuster in einem Austausch mit der Umwelt zu gestalten. (Co-creating) 3. Mensch- Leben- Gesundheit ein in vielfältiger Weise gemeinsames Transzendieren in dem sich entfaltenden (Menschen-) möglichen. (Co-Transzending) Zu 1. Der Mensch befindet sich im steten Austausch untereinander. Er bewertet bestimmte Situationen individuell, wodurch sich seine Wertmaßstäbe wiederspiegeln. Die gleiche Ausgangssituation erfährt bei verschiedenen Betrachtern unterschiedliche Bewertungen. Jeder sieht es anders, weil er die Situation individuell betrachtet, gefiltert, bewertet und am Ende womöglich mit eigenen Worten wiedergibt. Zu 2. Die Menschen gestalten zusammen mit der Umwelt das Verhaltensmuster eines jeden. Mensch und Umwelt unterscheiden sich voneinander, doch zugleich ist ein jeder Mensch MitgestalterIn in der Entfaltung eines anderen Menschen. Einfaches Beispiel: Verhalten wir uns jederzeit in Anwesenheit bestimmter Personen genauso wie in der Anwesenheit anderer Personen oder etwa wenn wir alleine sind? Unser Verhalten hängt immer bewusst oder unbewusst von anderen ab. Daraus resultiert, andere beeinflussen bewusst/ unbewusst zugleich auch immer die Menschen in ihrer Umgebung. Rhythmischer Austausch mit der Natur an einem einfachen Beispiel beschrieben: Die Jahreszeiten geben den Rhythmus von Aussaat und Ernte vor. Zu 3. Der Mensch überschreitet sich dann, wenn Träume zu Wirklichkeiten werden. CoTranszending bedeutet, sich zusammen mit anderen und der Umwelt multi-dimensional über 5 sich selbst hinaus zu entwickeln. Multidimensional bezieht sich auf unterschiedliche Dimensionen der Welt, welche der Mensch gleichzeitig erfährt. Wichtig ist bei diesem Begriff die Vorstellung, etwas explizit unausgesprochenes zu wissen. Der Mensch wählt seine Möglichkeiten zum kleinen Teil explizit, reflektiert, überwiegend jedoch präreflektiert. Dennoch birgt jede Entscheidung ein großes Maß an Möglichkeiten, die er durch sie verwirft oder eben gerade bevorzugt, es sind also in jeder Situation viele Möglichkeiten verborgen. Was sich letztlich entfaltet, tritt durch die Wechselbeziehung des Mensch Umwelt Prozesses in Erscheinung. Die Träume, die durch das Gemeinsame Gestalt annehmen, sind das Mögliche. (Mischo-Kelling:117) Das bedeutendste Unterscheidungsmerkmal, durch das sich diese Theorie von anderen abhebt, ist die Überzeugung, dass der Mensch sich im Austausch mit der Umwelt entfaltet und an der Mitgestaltung individueller Gesundheit dadurch teilhat, dass er selbst über die Freiheit verfügt, Situationen einen Sinn zuzuschreiben und Bedeutungen zu vermitteln, welche seinen Werten entsprechen und Träumen und Hoffnungen wiederspiegeln. (Mischo-Kelling:118) Ihre klarste Grenze findet diese Theorie allerdings konsequenter Weise dort, wo ein Austausch des Menschen mit seiner Umwelt und besonders mit anderen Menschen nicht möglich ist. 5.3 Drei Prinzipien Die drei Hauptthemen in der philosophischen Annahme von Rizzo Parse: Jede diese Annahme führt zu einem eigenen Prinzip der Parse Theorie des menschlichen Werdens. Die Prinzipien werden auf der theoretischen Ebene des Diskurses formuliert. Sie verkörpern die Überzeugungen, die ihren Ausdruck in den Grundannahmen gefunden haben. 1. Bedeutung (Sinngebung) 2. Rhythmizität 3. Co- Transzendenz Das erste Prinzip: Multidimensionale Sinngebung heißt, Wirklichkeit durch das Versprachlichen von Wertungen und Vorstellungen (bzw. Imaginationen) mitzugestalten. Dieses Prinzip verbindet die Begriffe Vorstellen 6 Werten Versprachlichen Vorstellungen beziehen sich auf Wissen. Wissen ist offen und verborgen vorhanden. Jeder Mensch schafft sich seine Wirklichkeit, indem er darüber nachdenkt (reflektiert) oder ohne darüber bisher nachgedacht zu haben (präreflektiert). Neues Wissen und neue Erfahrungen werden im Rahmen des vorhandenen kritisch reflektierten Wissens oder unkritisch nicht reflektierten Glaubens gefiltert. Dieses neue Wissen wird durch die Wertung in vorhandenes assimiliert und eingeordnet. Hierbei versucht der Mensch die ihm wertvollen Anschauungen zu bestätigen. Ist das neue Wissen dergestalt, dass es nicht mit vorhandenem Wissen zu vereinbaren ist, so kann es durch einen Reflexion zu neuem Wissen werden, was auch zu einer Veränderung der Wahrnehmung, der individuellen Wirklichkeit und damit zu einer Veränderung der Filter führt. Versprachlichung wiederum ist ein Akt des Menschen, sein Wissen, was gleichbedeutend mit seiner persönlichen Wirklichkeit ist, nach außen zu tragen. Versprachlichung geschieht etwa mittels sprechen und sich bewegen, aber auch durch schreiben und schweigen. Auch die Art der Ausdrucksweise spiegelt zu jedem Zeitpunkt die inneren Werte desjenigen wieder, der etwas ausdrücken will. Der Mensch wählt entsprechend seiner Wirklichkeit (also seinen Filtern) die ihm geeignet erscheinende Ausdrucksform. Das zweite Prinzip: Rhythmische Beziehungsmuster mitzugestalten bedeutet, die paradoxe Einheit von... Enthüllen / Verbergen, Ermöglichen / Begrenzen und Verbinden / Trennen ...zu leben basierend auf der Grundvorstellung, dass in der Mensch-Umwelt stets etwas ausgetauscht wird. Enthüllen / Verbergen gehört zu den rhythmischen Beziehungsmustern die der Mensch lebt. Es bedeutet, dass man nicht alles von sich selbst preisgeben kann und auch nicht will. Indem der Mensch etwas von sich preisgibt, verhüllt er etwas anderes von sich. Der Mensch ist also ein sich öffnendes Geheimnis, das sich stets neu schafft. Ermöglichen / Begrenzen ist ebenfalls ein rhythmisches Beziehungsmuster. Da in jeder unserer noch so kleinen Entscheidungen eine Unendlichkeit von Möglichkeiten liegt, hat jede dieser Entscheidungen eine Vielzahl von Auswirkungen. Entscheidet sich ein 7 Mensch für das eine, kann er sich nicht gleichzeitig für das andere entscheiden. So besteht jeder Weg aus der Ermöglichung von weiteren Entscheidungen, ist aber auch mit der Eingrenzung verbunden, einen anderen Weg, den man nicht gegangen ist, nicht gehen zu können. Verbinden / Trennen ist eine rhythmische Bewegung des sich Näherns und Entfernens. Indem ein Mensch sich dem einen Phänomen nähert, entfernt sie sich zwangsläufig von dem anderen. Beides geschieht stets simultan. Die drei rhythmischen Beziehungsmuster sind ihrem Wesen nach paradox. Tatsächlich bilden sie jedoch keine Gegensätze, sondern sind stets zwei Seiten ein und des selben Rhythmus, die zu jedem Zeitpunkt miteinander koexistieren (coexist). Das dritte Prinzip: Gemeinsam in das mögliche zu transzendieren bedeutet ein Erstarken zu einzigartigen (Lebens-) Weisen, die im Prozess der Umwandlung entstehen. Das beinhaltet die Begriffe Erstarken (powering) Entstehenlassen (Originating) Umwandeln (Transforming) welche aus den Grundannahmen hervorgehen. Menschen verändern sich unaufhörlich. Die Veränderung ist ein sich Bewegen von dem Hier und Jetzt auf das Noch- Nicht hin. Erstarken ist die drängend- widerstrebende und spannungsgeladene Kraft im zwischenmenschlichen Übereinklang. (Mischo-Kelling:119) Das Drängend-Widerstrebende ist ein in allen Mensch - zu - Mensch Beziehungen allgegenwärtiger Rhythmus. Dieser treibt die Menschen an, birgt aber auch enormes Konfliktpotential. Konflikte wiederum beinhalten die Möglichkeit zur Weiterentwicklung durch Hinzugewinnung neuer Erkenntnisse, auf der Suche nach einem neuen Rhythmus, im Streben nach Einklang zwischen DrängenWiderstreben, der durch den Konflikt verändert wurde. So ist ein im täglichen Leben unvermeidbarer Konflikt potentiell nicht schädlich, sondern eine nützliche Chance. Entstehenlassen heißt etwas neu zu gestalten. Unverwechselbare Lebensmuster treten aus der Verbindung von Menschen und Projekten hervor. Die Verbindungen selbst sind nicht ungewöhnlich, jedoch zeigt sich in der Lebensweise, in der die Verbindung von jedem Individuum mit Leben erfüllt werden, eine Einmaligkeit. Man ist dadurch einmalig, dass man in bestimmten engen Beziehungen oder in schöpferischen Unternehmungen unersetzlich ist. (Mischo-Kelling: 120) 8 Umwandeln bedeutet das Verändern der Veränderung. Die Mensch – Umwelt – Beziehung unterliegt einer ständigen Veränderung. Diese Veränderungen gehen immer vom einfachen zum komplexen. Der Umwandlungsprozess wird dadurch erkennbar, dass das gewohnte in einem neuen Licht erscheint. Der Blick verändert sich und erhellt das neue. (vgl. MischoKelling:120) Diese erhält neun Hauptbegriffe, aus jedem der Prinzipien. Die Prinzipien besehen also zusammenfassend aus diesen 9 Begriffen: 1. Prinzip 2. Prinzip 3. Prinzip Vorstellen Enthüllen/ Verbergen Erstarken Werten Ermöglichen/ Begrenzen Entstehenlassen Versprachlichen Verbinden/ Trennen Umwandeln 6 Forschungsmethodologie 6.1 Untersuchungsgegenstand „Im Mittelpunkt des Forschungsinteresses steht nach Parse...die wissenschaftliche Erforschung menschlicher Erfahrungen (lived experiences).“ (van Kampen: 63) Es werden gelebte Erfahrungen bzw. Erlebnisse oder alltägliche Erfahrungen wie z. B. Freude. Leiden Hoffnung oder das Treffen von Entscheidungen erforscht. Dies kann sowohl bei Einzelpersonen als auch bei Gruppen oder Familien geschehen. Die Teilnahme der zu Untersuchenden Person ist freiwillig. Voraussetzung ist aber, dass sich die zu beforschenden Personen in der zu untersuchenden Situation befinden. 6.2 Methodik Zu den methodischen Schritten des Forschungsprozesses gehören die Auswahl der TeilnehmerInnen, der engagierte Dialog, die Extraktion-Synthese und die heuristische Interpretation. Auswahl der TeilnehmerInnen Die ForschungsteilnehmerInnen müssen im Stande sein ihre gelebter Erfahrungen authentisch zu berichten. Bei der Anzahl der TeilnehmerInnen wird auf die Redundanz geachtet. 9 Engagierter Dialog Die Forschungsdaten werden mit Hilfe des „engagierten Dialogs“ gesammelt. Es handelt sich hierbei um ein intensives Gespräch zwischen ForscherIn und TeilnehmerIn. Dies ist kein Interview im eigentlichen Sinn, sondern ein Sich-einlassen-können des Forschers und auf ihm geschilderten Probleme in „wahrer Präsenz“. Diese Gespräche werden auf Tonband mitgeschnitten. Extraktion und Synthese Hier wird der Dialog zwischen ForscherIn und TeilnehmerIn ausgewertet und zwar mit den subjektiven Eindrücken des Forschers. Es wird versucht, die gewonnen Erkenntnisse und Daten mittels kreativer Begriffsbildung auf höhere Ebenen zu bringen. Dies stellt eine Art Abstraktion dar und geschieht „unter konsequenter Beachtung der Folgerichtigkeit, d.h. der Regeln semantischer Konsistenz“ (Mischo-Kelling:127) Heuristische Interpretation In diesem letzten Schritt wird versucht die Begriffe noch weiter zu abstrahieren und diese dann mit der Theorie zu verbinden um diese dann als Grundlage für weitere Forschungen verwenden zu können. (vgl. Fawcett:138) 7 Praxismethodologie Die Praxismethodologie umfasst im wesentlichen drei Dimensionen. (Mischo-Kelling:121) Sinerhellen Synchronisieren von Rhythmen und Transzendenz Sinnerhellen Hierbei wird versucht die Probleme des Patienten zu beleuchten. Dies geschieht dadurch, dass der Patient sein Problem oder seine Situation genau beschreibt und die Pflegeperson ebenfalls ihre Gedanken und Gefühle mitteilt. Es wird bereits hierdurch ein neues Licht auf die Situation geworfen. 10 Synchronisieren von Rhythmen Hierbei versucht die Pflegekraft sich wahrhaftig auf den Patienten einzulassen und die Konflikte und deren Rhythmen nachzuempfinden. Die Pflegekraft versucht nicht den Rhythmus des Patienten zu stören, glätten passt sich dem von dem Patienten vorgegebenen Rhythmus an. Transzendenz Indem der Patient Transzendenz mobilisiert, versucht er über die bestehenden Probleme und Konflikte hinaus nach Lösungs- und Bewältigungsmöglichkeiten zu suchen. Die Pflegekraft stellt einen unterstützenden Faktor dar, wobei die Initiative immer vom Patienten ausgeht. Ziel ist es also unter Einbezug vorhandener Ressourcen dem Patienten Wege zu eröffnen die zur Verwirklichung seiner Träume dienen. 8.1 Erstes Praxisbeispiel „Herr Jones, ein 82jähriger Mann, lag auf einer Station für Akutkranke. Er war rege, schien aber häufig „herumzufummeln“, indem er durch die Ärmel seines Schlafanzugs an seinen Armen zerrte. Die Pflegekräfte, die Herrn Jones seit einigen Tagen pflegten, schrieben in den Pflegebericht, dass er „sich kratze, herumfummle und außerordentlich nervös sei“. Deshalb verlangten sie vom Arzt eine Verordnung für ein Beruhigungsmittel. Nachdem die Pflegekraft, die nach Parse pflegte, den Pflegebericht gelesen hatte, besuchte sie den Patienten am anderen Tag. Auch sie bemerkte, dass er an seinen Schlafanzugärmeln zupfte. Sie setzte sich zu ihm, unterhielt sich mit ihm und fragte ihn: „Herr Jones, können Sie mir etwas über ihre Gewohnheit, an den Schlafanzugärmeln zu zupfen, sagen? Er antwortete: „Ja, ich bin es nicht gewohnt, diese Schlafanzüge zu tragen, die vorne keine Knöpfe und außerdem kurze Ärmel haben. Zu Hause trage ich immer langärmelige Pyjamas. Hier friere ich an den Armen.“ Frau Jones, die gerade zu Besuch war, sagte: „Ich kann dir deinen Pyjama mit den langen Ärmeln mitbringen.“ Das machte sie, und seitdem stellte man nicht mehr fest, dass Herr Jones „an seinem Schlafanzug fummelte und zupfte.““ 8.2 Zweites Praxisbeispiel Frau Thomson sagte, „dass sie nicht sicher sei, ob sie den Mut aufbringe, ihren Töchtern im Teenageralter zu sagen, dass sie Brustkrebs habe. Die nach Parse handelnde Pflegekraft besprach die Lage eingehend mit der Patientin. Dennoch blieb Frau Thompson sehr besorgt und verunsichert darüber, wie sie wohl einen Weg finden könne, sich ihren Töchtern 11 anzuvertrauen. Andere Pflegekräfte, die in althergebrachter Weise pflegten, brachten der Patientin Broschüren und rieten ihr, diese auch ihren Töchtern zu geben, damit die eine Selbstuntersuchung ihrer Brust in Erwägung ziehen könnten. Eine Pflegekraft bot sich an, selbst die Töchter zu informieren. Eine andere versprach, dabei zu bleiben, wenn Frau Thompson den Töchtern von ihrem Brustkrebs berichten würde. Frau Thompson sagte, eine Schwester habe ihr sogar geraten, einfach zu sagen „Kinder, ich habe Brustkrebs“, und sie habe versprochen, dabei zu sein, wenn Frau Thompson ihren Töchtern diese Nachricht mitteilen würde. Im Unterschied zu diesen pflegerischen Aktionen nahm sich die nach Parse handelnde Pflegekraft Zeit für Frau Thompson, unterhielt sich mit ihr und fragte sie, wie sie sich denn die Reaktion ihrer Töchter auf diese Nachricht vorstelle. Ausführlich sprach sie über verschiedene Herangehensmöglichkeiten und bat Frau Thompson, sich einmal vorzustellen, wie sie ihren Töchtern die Nachricht mitteilen würde. Frau Thompson fing an, sich auszumalen, wie sie mit ihren Töchtern sprechen würde. Dabei sah sie sich selbst weinen und auch ihre Tochter in Tränen ausbrechen. Dann stellte sie sich vor, wie sie ruhiger würde, aber immer noch bei der Mitteilung dieser schwierigen Nachricht mit ihren Kindern weinte. Wie sie später sagte, hätte sie gerade dadurch, dass sie sich vorstellte, wie sie sich verhalten würde, Kraft gesammelt. Sie war sich sicher, dass ihre Töchter, wie schon früher bei anderen schwierigen Nachrichten auch dieses Mal sehr hilfreich und teilnahmsvoll sein würden. Ein paar Wochen später erzählte Frau Thompson der Pflegekraft, die nach Parse vorgegangen war, dass alles überraschen gut gegangen sei, und sie dankte ihr für die Anregung, den Gesprächsverlauf vor dem eigentlichen Gespräch mit ihren Töchtern erst einmal in der Phantasie durchzuspielen. 9 Literaturverzeichnis Fawcett, Jaqueline (1999): Spezifische Theorien der Pflege im Überblick; S. 125-145; Bern Marriner-Tomey, Ann (1992): Pflegetheoretikerinnen und ihr Werk; S.271-287; Basel Mischo-Kelling, Maria; Wittneben, Karin (1995): Pflegebildung und Pflegetheorien; S. 114132 u. 194-196; München Van Kampen, Norbert (1998): Eine kritische Rezeption amerikanischer Pflegemodelle; S. 1971 u. 197-199; Frankfurt am Main 12