Der Tod als Thema der Waldpädagogik

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Kann der Tod ein Thema der Waldpädagogik sein?
8.11.10
Der Totensonntag ist den evangelischen Kirchen Deutschlands ein
Gedenktag für die Verstorbenen. Er fällt auf den letzten Sonntag des
Kirchenjahres und damit heuer auf den 21. November.
Betrifft uns das für die Waldpädagogik? Kann oder sollte es gar auch
Gegenstand der waldbezogenen Umweltbildung sein, jene Gelassenheit zu
vermitteln, die lehrt, dass das Vergehen ebenso wie das Entstehen zum
Zusammenhang des Werdens gehört …?
Traditionelle herbstliche Försterwanderungen zum Thema Vergehen & Entstehen
Seit nunmehr 35 Jahren führe ich nun schon Försterwanderungen durch.
Besonders im Herbst, wenn „bunte Blätter fallen, raue Nebel wallen …“ und sich dann schon bald die erste dünne
Schneedecke über den stiller gewordenen Wald ausbreitet, habe ich seither stets thematisiert und an vielen
Beispielen aufgezeigt: in der Natur gehört zum Leben immer auch das Sterben, dem stets wieder junges Dasein
und neue Hoffnung folgt.
Das dabei manchmal von mir zitierte Herbstgedicht von EMANUEL GEIBEL drückt diese Stimmung ganz besonders
gut aus:
Ich sah den Wald sich färben,
Die Luft war grau und stumm;
Mir war betrübt zum Sterben,
Und wußt' es kaum, warum.
Durchs Feld vom Herbstgestäude
Hertrieb das dürre Laub;
Da dacht' ich: deine Freude
Ward so des Windes Raub.
Dein Lenz, der blütenvolle,
Dein reicher Sommer schwand;
An die gefrorne Scholle
Bist du nun festgebannt.
Da plötzlich floß ein klares
Getön’ in Lüften hoch:
Ein Wandervogel war es,
Der nach dem Süden zog.
Ach, wie der Schlag der Schwingen,
Das Lied ins Ohr mir kam,
Fühlt' ich's wie Trost mir dringen
Zum Herzen wundersam.
Es mahnt' aus heller Kehle
Mich ja der flücht'ge Gast:
Vergiß, o Menschenseele,
Nicht, daß du Flügel hast.
Was ist das - der Tod?
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Der Tod ist der Verlust der für ein Lebewesen typischen Lebensfunktionen. Es gelangt damit zu seinem Ende und
hört auf, zu existieren. Den Übergang vom Leben zum Tod nennen wir Sterben.
So sehr uns das Ableben von Tieren sowie Pflanzen verständlich und akzeptabel erscheint, so problematisch ist
es wohl für Lebewesen, die sich selbst für die „Krone der Schöpfung“ halten, zu akzeptieren, einmal selbst auf die
„letzte Reise“ gehen zu müssen.
Zu den Grundfragen der Philosophie gehört neben „Woher kommen wir?“ und „Wer sind wir?“ daher nicht von
ungefähr auch „Wohin gehen wir?“. Hinsichtlich der Konsequenzen des endlichen Besuchs von „Freund Hein“
lassen sich heute vier weltanschauliche Grundhaltungen unterscheiden:
1.
2.
3.
4.
Der Tod ist das endgültige Ende unserer körperlichen und geistigen Existenz.
Der Tod ist nur eine Phase, die schließlich zu einem neuen individuellen Leben führt.
Der Tod ist der Übergang in einen anderen Seinszustand.
Leben und Tod sind indifferent.
Die Verdrängung des Todes in der Moderne und ihre Ursachen
In den modernen Industriestaaten wird der direkte Umgang mit dem menschlichen Sterben immer seltener, weil
es häufig nicht mehr im Kreise der Familie eintritt, sondern im Krankenhaus oder Altenheim, und der
Entschlafene daraufhin von einem professionellen Bestatter übernommen wird. Und: Kriege werden gottlob
weitab entfernt von uns geführt …
„Schlafes großer Bruder“ wird auch deshalb mehr und mehr ein Tabuthema, weil der hedonistische „Zeitgeist“ der
vergangenen Jahrzehnte zu krassem Egoismus, verbreiteter Kinderlosigkeit, Verfall von „Wir-Tugenden“ …
geführt hat.
Das Ergebnis ist (auch): Man versteht den Tod nicht mehr, will nichts mit ihm zu tun haben und weigert sich, ihn
auch nur zur Kenntnis zu nehmen. Er wirkt … geradezu peinlich!
Statt das Einmal-Sterben-Müssen als
- stärksten möglichen Antrieb zum einem bewussten, verantwortungsvoll geführten Leben wahrzunehmen,
- Grundlage menschlicher Solidarität und Ansporn für das Familien-gründen sowie Kinder-in-die-Welt-setzen
zu akzeptieren, die das von uns selbst Begonnene einmal fortsetzen sollen,
- Motivation zu nehmen, Werke schaffen, die uns dereinst überleben (welcher Förster denkt da nicht an das
Bäume-Pflanzen) und ohne die Freude und Begeisterung ohne Tiefe sind,
fühlen sich viel Zeitgenossen heute angehalten, das Todesgefühl als Unfug zu verdrängen. Sie verplempern ihr
Dasein mit ziellosem Konsumismus und der hastigen Suche nach sinnentleerten Vergnügungen aller Art:
„Shoppen gehen“, Dauersitzungen vor der „Glotze“, Partytourismus …
Ohne nun in den gegenteiligen Ruf „Es lebe der Tod!“ einfallen zu wollen, aber:
in dieser Verdrängung der Endlichkeit menschlichen Daseins kann eine der Ursachen für die Verflachung fast
allen anderen Erlebens, für die Unrast, Aufgeregtheit, Anspannung, Ruhelosigkeit … unserer Zeit gesehen
werden.
Sollten wir Förster hier „gegenhalten“ …
Wäre es daher nicht angemessen, als nachhaltig (also langfristig = in Generationen) denkende Förster im
Rahmen der Waldpädagogik zu versuchen, den Menschen am Beispiel Wald auch jene Gelassenheit zu
vermitteln, die lehrt, dass das Vergehen ebenso wie das Entstehen zum Zusammenhang des Werdens
gehört …? Näheres zu diesem Sinnzusammenhang können Sie auch hier lesen.
… zum Beispiel mit dem Friedwald-Thema?
Vor einigen Jahren hatte ich Gelegenheit, mich der Gedankenverbindung Wald - Mensch - Tod an einem
interessanten Beispiel zu nähern. Zu jenem Zeitpunkt sollte in der Dubrow, einem Waldgebiet südöstlich von
Berlin, das mir seit den 1970-ern Heimat geworden ist und in dem auch das von mir bewohnte Forsthaus
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Frauensee liegt, ein Bestattungs- oder Friedwald entstehen.
Die Idee ist bald darauf im Gestrüpp bürokratischer Vorschriften erstickt, war mir aber Gelegenheit, mich mit
dieser Thematik einmal näher zu befassen und sie auch mit Waldbesuchern zu diskutieren.
Ich stellte dabei fest: eine letzte Ruhestätte an den Wurzeln große Bäume - das ist für viele Menschen ein
tröstlicher Gedanke. Schließlich wusste schon MICHELANGELO BUONARROTI: "Frieden findet man (eigentlich) nur
in den Wäldern". Warum sollte das nicht umso mehr für den „ewigen Frieden“ gelten?
Nicht dass solche Waldbestattungen etwas ganz Neues sind: die Beisetzung unter Bäumen hat speziell bei
Forstleuten eine lange Tradition und galt hier oft als große Ehrung von Meistern ihres Faches.
So ruht etwa der forstliche Klassiker und Gründer der Tharandter Forstakademie HEINRICH COTTA in einem alten
Buchenbestand oberhalb der sächsischen Forststadt. Wie oft bin ich als Forststudent gemeinsam mit
Kommilitonen an sein das Grab gelaufen, um dort seiner zu gedenken und auf dem Jagdhorn das „große Halali“
anzustimmen.
Auch der große Forstästhetiker HEINRICH VON SALISCH oder der „waldbauende“ Chirurg AUGUST BIER wurden in
den von ihnen betreuten Wäldern bestattet, in Siehdichum bei Eisenhüttenstadt kenne ich einen kleinen
Försterfriedhof unter uralten Baumriesen ...
Der diesem Herkommen entsprungenen, in den 1990-ern entwickelten Friedwald-Idee liegt der Wunsch zu
Grunde, dass die materielle Hülle des Verstorbenen durch Urnen-Bestattung zwischen den Wurzeln eines alten
Begräbnisbaums in den Naturkreislauf zurück gelangen kann. Dadurch wird gleichsam Unsterblichkeit zum
Ausdruck gebracht wird: der Tote lebt nach eigenem Verständnis sowie für die Hinterbliebenen in einem Wesen
von Größe, Dauer- und Standhaftigkeit fort. „Alt wie ein Baum möchte ich werden“ – auf solche Weise kann
dieser Wunsch als Vision ein wenig in Erfüllung gehen!
Ein derartiger Wald-Ort der Ruhe, Besinnung und des Trostes vermag der trauernden Familie und den Freunden
des Toten bei der Überwindung ihres Kummers wirksam zu helfen. Wer weiß denn wirklich, ob die Meise, die hier
im nächsten Frühling fröhlich zu uns herab pinkt, nicht vom guten Geist des Verstorbenen beseelt ist …
Einfach mal versuchen!
Mit oder ohne Friedwald-Beispiel:
die leicht melancholisch-nachdenklich wirkende Stimmung eines spätherbstlichen Tages im Wald, dessen Stille
nur vom Rufen der Krähen oder dem Rätschen des Eichelhähers durchbrochen wird, sollte uns waldpädagogisch
tätige Forstleute, Mitglieder der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald … gerade in Beachtung des nahenden
Totensonntags ermutigen, auch einmal die Assoziation Wald - Mensch - Tod zum Gegenstand einer
Försterwanderung, eines Familienwaldtages, Walderlebnis- oder Waldprojekttages zu machen!
Für eine Diskussion dieses Vorschlags wäre ich dankbar.
Klaus Radestock
[email protected]
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