Kapitel 1 Was ist Diabetes? Warum ist eine Schulung wichtig? Ziele der Diabetes-Behandlung sind das Vermeiden von : • akuten Komplikationen (wie z. B. ein Unterzucker-Schock) • einer Verschlechterung des Allgemeinzustandes und der Leistungsfähigkeit durch sehr hohe Blutzuckerwerte • Folgeschäden (wie z. B. diabetische Augenhindergrundveränderungen). Da der Blutzuckerstoffwechsel durch alles, was man tut beeinflußt Rolle der wird, sollte das richtige Verhalten in verschiedenen Situationen Schulung bei der Behand(Essen, Krankheit, Sport etc.) geschult sein. Die Schulung ist lung genauso wichtig wie die anderen Behandlungsmaßnahmen ! (s. Bild) ��� ���� ������ ����� ������������� ������������������� ������� ��������� ����������� �������� ��������� ���� ������� �������� ������� ��������� Wesen der Erkrankung Der Diabetes mellitus („Zuckerkrankheit“) ist keine einheitliche Erkrankung. Allen Diabetesformen gemeinsam ist der erhöhte Blutzucker. Neben dem erhöhten Blutzucker liegen auch zahlreiche andere Störungen, z. B. im Fettstoffwechsel und im Eiweißstoffwechsel vor. 1 Kapitel 1 Was ist Diabetes? 2 Warum ist der Blutzucker (die Glucose) so wichtig ? Der Blutzucker, die „Glucose“ ist der wichtigste Energielieferant für den Körper. Wenn die Körperzellen nicht oder nicht genug Zucker aus dem Blut aufnehmen können, ist der BZ erhöht. Rolle des Blutzuckers Vor allem das Gehirn, aber auch die roten Blutkörperchen und die Nieren können normalerweise Energie nur aus dem Blutzucker (der Glucose) gewinnen. Deshalb ist es für den Körper wichtig, auch zwischen den Mahlzeiten immer einen ausreichenden Blutzuckerspiegel zu haben. Wie gelangt die Glucose ins Blut ? Der Blutzucker, die „Glucose“, gehört zur Nährstoffgruppe der „Kohlehydrate“. Diejenigen Kohlehydrate, die aus Mehrfachzuckern bestehen, müssen im Verdauungstrakt erst durch Verdauungssäfte zu Einfachzuckern aufgespalten werden, da aus dem Dünndarm nur Einfachzucker ins Blut aufgenommen werden können. Diese Zucker treten dann durch die Darmwand ins Blut über, gelangen mit dem Blut in die Leber und dann weiter zu den anderen Organen. Wie wird der Blutzuckerspiegel reguliert ? Das wichtigste Instrument um dies zu erreichen ist das Hormon Insulin. Das Insulin, ein Eiweißkörper (in der Abbildung als Schlüssel dargestellt), wird in bestimmten Zellen der Bauchspeicheldrüse (Pankreas), die „inselförmig“ in diesem Organ verteilt sind, den sog. „Betazellen“ (β-Zellen) oder „Inselzellen“ gebildet . Bauchspeicheldrüse Bildung von Insulin in der Bauchspeicheldrüse Kapitel 1 3 Was ist Diabetes? (Die Bauchspeicheldrüse bildet auch ein weiteres Hormon, das Glucagon, ein Gegenspieler des Insulins und produziert auch große Mengen von Verdauungssäften für die Fett-, Eiweiß- und Kohlehydratverdauung, die in den Zwöffingerdarm abgegeben werden). Wenn der Blutzucker nach dem Essen ansteigt, erkennen dies die Inselzellen der Bauchspeicheldrüse (in der Abbildung als Pfeil mit Fragezeichen dargestellt) und und geben vermehrt Insulin ab. In der Leber (auch im Muskel) bewirkt Insulin, daß die Glucose in Form von Glycogen (Stärke - in der Abbildung als Zuckerwürfelberg dargestellt) gespeichert werden kann. Wenn der Blutzucker zwischen den Mahlzeiten wieder abfällt, kann in der Leber aus Glycogen wieder Glucose freigesetzt und ins Blut eingeschleust werden. ����� ���� ����� ������������������ ��� ����������� ���� ������ Das Hormon Insulin ist auch für die Einschleusung des Blutzuckers in viele Zellen (v. a. im Muskel- undFettgewebe) verantwortlich („schließt die Zellen für den Zucker auf wie ein Schlüssel das Schloß“), senkt KohlehydratStoffwechsel Kapitel 1 Was ist Diabetes? 4 also dadurch den Blutzuckerspiegel. Im Hungerzustand kann in der Leber (auch in der Niere) aus nicht zu Kohehydraten gehörenden Stoffen (wie Aminosäuren) Glucose gebildet werden (Gluconeogenese). Wann braucht der Körper Insulin ? Da das Insulin so wichtig für den Stoffwechsel ist, hat jeder Nichtdiabetiker Tag und Nacht eine kleine Menge Insulin im Blut („nahrungsunabhängiges Insulin“ oder „basales Insulin“), da der Körper ja auch im Schlaf einen Grund-Energiebedarf hat. Wenn nach dem Essen der Blutzucker ansteigt, geben die Inselzellen vermehrt Insulin ab (das „Mahlzeiteninsulin“). Wie entsteht ein Diabetes ? Ursache ist eine fehlende oder unzureichende Wirkung des Hormons Insulin. unzureichende Wirkung des Insulin Dies kann bedingt sein durch: a) eine fehlende Bildung des Insulins (vollständiger Insulinmangel) beim Typ 1 Diabetes oder b) eine unzureichendes Ansprechen der Körperzellen auf Insulin („Insulinresistenz“) beim Typ 2 Diabetes, wobei das Insulin im Vergleich zu Nicht-Diabetikern verzögert ins Blut abgegeben wird und teilweise, vor allem nach längerer Diabetesdauer, auch vermindert gebildet wird. Welche Diabetes-Formen gibt es ? Typ 1 Diabetes Bei dieser Diabetesform sind alle insulinproduzierenden Zelle in der Bauchspeichendrüse zerstört. Bei Menschen mit entsprechender Erbanlage können bestimmte Virusinfekte eine Bildung von Antikörpern auslösen, die auch gegen die Zellen in der Bauchspeicheldrüse, die das Insulin produzieren (die Betazellen) gerichtet sind und zu deren Zerstörung führen. Zerstörung der ß-Zellen beim Typ 1 Diabetes Kapitel 1 Was ist Diabetes? 5 Der Typ 1 Diabetes tritt überwiegend vor dem 35. Lebensjahr auf. In der Anfangsphase können sich die Betazellen vörübergehend erholen und die Diabetiker brauchen dann über Wochen oder Monate sehr wenig oder gar kein Insulin. Schließlich werden jedoch alle Betazellen zerstört und die Patienten müssen lebenslang Insulin spritzen. Ca. 300.000 Menschen in Deutschland sind Typ 1 Diabetiker. Typ 2 Diabetes Die Ursache dieser Diabetesform ist noch nicht vollständig geklärt. Die Körperzellen sprechen nicht so gut auf Insulin an („Insulinresistenz“) und benötigen mehr Insulin, um die Glukose aus dem Blut aufzunehmen. Deshalb muß die Bauchspeicheldrüse mehr Insulin produzieren und kann sich so im höheren Lebensalter erschöpfen Unzureichende Insulinwirkung beim Typ 2 Diabetes (die Patienten müssen dann Insulin spritzen). Beim Typ 2 Diabetes ist die Neigung zum schlechteren Ansprechen der Körperzellen auf Insulin angeboren – bis es zum Diabetes mit erhöhten Blutzuckerwerten kommt, dauert es in der Regel jedoch Jahrzehnte und das Auftreten des Diabetes wird durch bestimmte Umstände gefördert (siehe unten). Beim Typ 2 Diabetes sind die einzelnen Störungen (Unterempfindlichkeit der Körperzellen gegenüber dem körpereigenen Insulin, gestörte Ausschüttung von Insulin aus den Inselzellen der Bauchspeicheldrüse) und mit dem Diabetes zusammen auftretende Stoffwechselstörungen von Patient zu Patient sehr unterschiedlich ausgeprägt, so daß es sich eigentlich um ein uneinheitliches und kompliziertes Krankheitsbild handelt. Der Typ 2 Diabetes tritt in der Regel nach dem 40. Lebensjahr auf. Er entwickelt sich langsam und macht zunächst keine typische Symptome, so daß in 50% der Fälle die Diagnose zufällig gestellt wird. Oft stellt ein Augenarzt diabetische Augenhintergrundveränderungen fest. Ca. 5 Millionen Menschen in Deutschland sind Typ 2 Diabetiker. Typ 2b Diabetes Das Versagen der Bauchspeicheldrüse wird durch Übergewicht und Rolle des ÜberBewegungsmangel begünstigt: deshalb hat nach dem 2. Weltkrieg gewichtes der Typ 2 Diabetes so zugenommen. Somit sind die wichtigsten the- Kapitel 1 Was ist Diabetes? 6 rapeutischen Ziele Gewichtsabnahme und Steigerung der körperlichen Aktivität. Deswegen läßt sich in der Anfangsphase und über lange Zeit diese Diabetesform alleine durch Diät, Gewichtsreduktion und Bewegungstherapie alleine behandeln. Unterstützend können später zunächst vor allem die sog. „Biguanide“ und „Acarbose“ (s. Kapitel “Gundlagen der Diabetestherapie“) eingesetzt werden. Abnehmen erhöht die Chance, nie Insulin spritzen zu müssen! Es kann sogar zu einer vollständigen Normalisierung des Blutzuckers kommen. Für Typ 1 Diabetiker trifft dies nicht zu ! Zum Zeitpunkt der Diagnosestellung sind 80% der Patienten übergewichtig. Typ 2a Diabetes Gelegentlich tritt der Typ 2 Diabetes auch bei schlanken Menschen auf. Diese Menschen haben infolge einer gestörten Insulinabgabe aus der Bauchspeicheldrüse zu wenig Insulin im Blut und benötigen deshalb schon sehr früh Medikamente, die die Insulinabgabe fördern es gibt auch schlanke Typ 2 Diabetiker (z. B. die sog. „Sulfonylharnstoffe“) oder eine Kombination von Sulfonylharnstoffen und Insulin. Auslösende Umstände beim Typ 2 Diabetes • Übergewicht, Mangel an Bewegung • bestimmte Lebensumstände (Streß, Infektionen, Operationen) • bestimmte Medikamente Vererbung Am höchsten ist das Vererbungsrisiko beim Typ 2 Diabetes (bis zu 50%). Hat ein Elternteil einen Typ 1 Diabetes liegt das Erbrisiko zwischen 4 – 6%; sind beide Eltern Typ 1 Diabetiker, bei 25%. Vererbung des Diabetes Kapitel 1 Was ist Diabetes? 7 Zusammenfassung: Unterschiede zwischen Typ 1 und Typ 2 Diabetes Typ 1 Diabetes • absoluter Insulinmangel • Insulintherapie immer und lebenslang notwendig • Patienten meist normalgewichtig • Krankheitsbeginn meist vor dem 35. Lebensjahr • eher geringeres Vererbungsrisiko • auslösende Ursache: meist Virusinfekte • meist rascher Krankheitsbeginn • Neigung zur Ketonkörperbildung durch erhöhten Fettabbau, was zum „ketoazidotischen Koma“ führen kann • Merkmale des Typ 1 Diabetes oft wechselndes („labiles“) Stoffwechselverhalten, oft rasche Entgleisungen • Behandlung immer mit Insulin und Diät • Behandlungsziel: normale oder weitgehend normale Blutzuckerwerte (oft schwer zu erreichen) Typ 2 Diabetes • relativer Insulinmangel (Insulinresistenz) • am Anfang durch Gewichtsreduktion, später durch Tabletten behandelbar; Insulin meist erst nach jahrzehntelanger Krankheit notwendig • Patienten fast immer übergewichtig • Krankheitsbeginn meist nach dem 40. Lebensjahr • Vererbung spielt eine große Rolle – auslösende Ursachen: meist Übergewicht und Bewegungsmangel (aber auch Medikamente wie Kortison, bestimmte Wassermittel, „die Pille“ oder Streßfaktoren wie Operationen, Infektionen) • langsamer Krankheitsbeginn • Behandlungsmöglichkeiten: − nur Diät (Reduktionsdiät bei Übergewicht) − Diät + Tabletten − Diät + Tabletten (+ Insulin) • Behandlungsziel: weitgehend „normale“ Blutzuckerwerten, bei Merkmale des Typ 2 Diabetes Kapitel 1 8 Was ist Diabetes? älteren Patienten evtl. nicht so streng • Stoffwechselentgleisungen entwickeln sich oft langsam Weitere Diabetes-Typen „Pankreopriver Diabetes“ Bei Schädigung der gesamten Bauchspeicheldrüse (also nicht nur Diabetes bei der Betazellen) kann es durch einen teilweisen oder vollständigen Zerstörung der BauchspeichelMangel von Insulin zu einem Diabetes kommen. Darüberhinaus drüse kann durch den Mangel an Verdauungssäften, die ja durch die Bauchspeicheldrüse in den Darm abgegeben werden, zu einer unzureichenden Verwertung auch von Fetten kommen. Bei der Behandlung müssen dann oft auch Bauchspeicheldrüsenenzympräparate (z. B. Pankreon® forte) gegeben werden. Mögliche Ursachen für eine solche Schädigung der gesamten Bauchspeicheldrüse: • Bauchspeicheldrüsenentzündungen, meist durch vermehrten Alkoholkonsum oder ein Gallensteinleiden ausgelöst • operative Entfernung wegen eines Tumors oder eines Unfalls. seltenere Formen Diabetes bei hormonellen Erkrankungen (wie z. B. einer Überfunktion der Schilddrüse), durch Medikamente (z. B. Kortison), nach Infektionen (z. B. Röteln), bei verschiedenen Erbkrankheiten. Symptome des Diabetes mellitus Symptom Ursache häufiges Wasserlassen: bei hohen Blutzuckerwerten wird die Glucose über die Niere ausgeschieden und bindet dabei vermehrt Wasser – dadurch wird dem Körper Wasser entzogen und als vermehrter Urin ausge- allgemeine Symptome Kapitel 1 Was ist Diabetes? 9 schieden starker Durst: durch das vermehrte Wasserlassen trocknet der Körper aus Müdigkeit: Glucose fehlt der Zelle als Energielieferant Juckreiz: durch das Austrocknen und durch vermehrten Keimbefall der Haut schlechte Wundheilung: durch den hohen Blutzucker erhöhtes Infektionsrisiko: durch Schwächung des Immunsystems Gewichtsabnahme: Ausscheidung von Kalorien als Zucker über den Urin Diagnose des Diabetes mellitus Hier werden in der Regel 2 Laborwerte herangezogen: − der Blutzuckerwert ∗ nüchtern Diagnose durch Blutzucker- und Urinzuckerwerte ∗ nach dem Essen („postprandial“) − und der Urinzuckerwert Urinzucker Erst ab Blutzuckerwerten über 160 - 180 mg/dl („Nierenschwelle“ bei einer gesunden Niere) wird Zucker über den Urin ausgeschieden. Der Nierenschwelle Nierenschwellenwert kann sich von Person zu Person unterscheiden für Blutzucker und ist bei einer geschädigten Niere oft höher . Jedoch können sich diabetische Folgeschäden schon bei niedrigeren Blutzuckerwerten entwickeln! Die Bestimmung von Zucker im Urin gibt auch nur einen Hinweis auf den Blutzuckerstoffwechsel seit dem letzten Wasserlassen und ist kein „Augenblickswert“ wie der Blutzucker. Kapitel 1 Was ist Diabetes? 10 ���������� � ��� ������ ���� ���������� ���������� � ��� ������ ������������������ �� ���� Blutzucker Der normale Blutzucker liegt nüchtern bei 60 – 110 mg /dl (die Bezeichnung „mg/dl“ gibt an, wieviel Milligramm [mg] Glucose in 1 Deziliter [1 dl = 100 ml] enthalten sind). Nach dem Essen steigen die Blutzuckerwerte beim Gesunden maximal auf 140 mg/dl an. Die Diagnose des Typ 1 Diabetes ist wegen der meist rel. plötzlich eintretenden schwereren Symptome weniger schwierig - beim Auftreten des Typ 2 Diabetes werden jedoch nur bei ca. einem Drittel der Patienten die „klassischen“ Diabetessymptome wie vermehrtes Wasserlassen, Durst, Müdigkeit und Gewichtsabnahme beobachtet. Bei welchen Blutzuckerwerten liegt ein Diabetes vor ? Nach Empfehlungen der amerikanischen Diabetesgesellschaft wenn • jeweils zweimal der Nüchternblutzucker (d. h. nach einer 8-stündigen Fastenphase) im Kapillarblut (wird durch einen Stich in eine Fingerkuppe oder ein Ohrläppchen gewonnen) über 98 mg/dl liegt • oder der Blutzucker im Kapillarblut zweimal bei zufälliger Diagnose des Diabetes durch Blutzuckermessung Kapitel 1 Was ist Diabetes? 11 Bestimmung, unabhängig von der Nahrungsaufnahme über 200 mg/dl liegt und Symptome wie Durst, unerklärter Gewichtsverlust und vermehrtes Wasserlassen vorliegen mögliches Diabetes-Vorstadium Liegt der Nüchtern-Blutzucker > 100 mg/dl und < 110 mg/dl, handelt es sich um ein mögliches Vorstadium des Diabetes: das Stadium der sog. „gestörten Nüchtern-Glucose“ – jedoch kommt es nicht in allen Fällen zu einem Diabetes. Häufigkeit des Diabetes In Deutschland ist ca. 5% der Bevölkerung zuckerkrank. Seit dem 2. Weltkrieg hat in den Industrienationen die Zahl der Diabetiker deutlich zugenommen. Gründe sind: • durch Veränderung der Lebensweise (zunehmendes Körpergewicht, Bewegungsmangel) Zunahme des Diabetes • durch den medizinischen Fortschritt werden die Menschen älter und erleben deshalb häufiger die Ausprägung der Erbanlage zu einem Typ 1 - Diabetes • durch den medizinischen Fortschritt hat sich auch diabetische Frauen eine bessere Chance, Kinder zu bekommen So hat sich in fast allen Industrienationen 1965 – 1985 die Diabeteshäufigkeit verdoppelt. Im Jahr 2010 wird fast jeder 10. Deutsche Diabetiker sein. Nur 5 - 7% aller Diabetes-Patienten in Deutschland haben einen Typ 1 - Diabetes Zur Geschichte des Diabetes Das Wort „Diabetes mellitus“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet „honigsüßer Durchfluß“. Bereits 100 n. Chr. berichtete Aretaios : „Der Diabetes ist eine rätselhafte Erkrankung“. Im 17. Jahrhundert war erstmalig von Thomas Willis der honigsüße Geschmack des Urins beschrieben worden. Die Diagnose des seit wann ist der Diabetes bekannt? Kapitel 1 Was ist Diabetes? Diabetes mellitus durch das „Schmecken“ des Urins war damals die einzige Möglichkeit, die Krankheit zu diagnostizieren. 1889 wurden inselartige Zellformationen in der Bauchspeicheldrüse des Menschen von Paul Langerhans beschrieben, sie tragen heute seinen Namen. Langerhans wußte aber nichts über die Bedeutung dieser Inseln für den menschlichen Stoffwechsel. Mering und Minkowski erzeugten im gleichen Jahr tierexperimentell einen Diabetes mellitus indem sie die Bauchspeicheldrüse (Pankreas) entfernten. 1921 gelang es den Forschern Banting und Best, Insulin aus Bauc hspeicheldrüsengewebe zu gewinnen und dieses einem Hund, dem zuvor die Bauchspeicheldrüse entfernt wurde, zu injizieren. 1922 wurde der erste Patient mit Insulin behandelt.1960 wurde die chemische Struktur des Hormons Insulin aufgeklärt,1976 gelang erstmalig die Umwandlung von Schweineinsulin in Humaninsulin, und seit 1979 wird Humaninsulin gentechnologisch hergestellt. 12 Kapitel 2 13 Selbstkontrolle Durch die Schulung sollen Sie in die Lage versetzt werden, Ihre Stoffwechsellage selbst regelmäßig zu kontrollieren und die Meßergebnisse übersichtlich aufzuschreiben. Warum ist eine Selbstkontrolle notwendig? – Sie dient dazu • Sicherheit, Selbstvertrauen und Unabhängigkeit zu erlangen • Selbstverantwortung zu übernehmen • die Blutzuckereinstellung zu verbessern • akute Komplikationen und zwar Unterzucker (Hypoglycämie) Warum ist Selbstkontrolle wichtig? und ein diabetisches Koma zu verhindern • diabetische Folgeerkankungen zu vermindern • eine Therapieanpassung zu ermöglichen Jeder Wert der gemessen, aber nicht aufgeschrieben wurde, gilt als nicht bestimmt! Welche Kontrollen können sie selbst durchführen? • Untersuchung des Urins auf Zucker • Untersuchung des Urins auf sog. Ketonkörper (diese weisen auf eine „Stoffwechselentgleisung“ hin) • Blutzuckermessungen • Blutdruckmessungen • Bestimmung des Körpergewichtes • Untersuchung der Füße Was kann man selbst kontrollieren? Urinzuckerselbstbestimmung Der auf dem Teststreifen durch Urin hervorgerufene Farbumschlag, der mit dem Auge abgeschätzt wird, ist der Konzentration des Urinzuckers direkt proportional. Um das Testergebnis richtig zu deuten, ist es jedoch wichtig, seine Nierenschwelle zu kennen. So wird bei einer erhöhten Nierenschwelle erst bei höheren Blutzuckerwerten Zucker im Urin festgestellt. Normalerweise liegt die Nierenschwelle bei 180 mg/dl. Im Alter und bei chronischen Nierenerkrankungen ist sie erhöht. Der Urinzucker gibt einen Überblick über den Blutzuckerstoffwechsel Urinzucker Kapitel 2 14 Selbstkontrolle seit der letzten Blasenentleerung und ist nicht wie ein einzelner Blutzuckerwert, eine „Momentaufnahme“. Für wen ist die Urinzuckerbestimmung geeignet? • für durch Diät behandelte Typ 2 Diabetiker • für mit Tabletten behandelte Typ 2 Diabetiker • für Typ 2 Diabetiker mit fester Insulineinstellung • wenn keine Unterzuckerungsneigung vorliegt Die Häufigkeit der notwendigen Urinzuckerkontrollen richtet sich der Stoffwechselsituation und kann von einmal täglich bis einmal wöchentlich reichen. Die Bestimmungen sollte jeweils nüchtern vor dem Frühstück und ca. 2 Stunden nach dem Frühstück durchgeführt werden. Bei Nichtdiabetikern ist der Urin zuckerfrei. Diabetiker mit normalen (normoglycämischen) Blutzuckerwerten sind ebenfalls harnzuckerfrei. • Die Zuckerausscheidung im frisch gelassenen Morgenurin sollte immer negativ sein. • Eventuell kann bei älteren Diabetikern im Urin ca. 2 Stunden nach dem Frühstück eine geringe Zuckerausscheidung toleriert werden. • Jüngere Diabetiker sollten jedoch immer harnzuckerfrei sein. Acetonselbstkontrolle Aceton (ein „Ketonkörper“) entsteht im Organismus immer dann, wenn anstelle von Kohlehydraten überwiegend Fett verbrannt wird. Dies ist der Fall bei • Insulinmangel mit beginnender Stoffwechselentgleisung • nach längerem Hungern („Hungeraceton“) • nach länger andauernden Unterzuckerungen – so sollte z. B. auch Aceton bestimmt werden bei mogendlichen Kopfschmerzen, falls man eine unbemerkte nächtliche Unterzuckerung vermutet. Aceton im Harn Kapitel 2 Selbstkontrolle 15 Auf Aceton muß der Urin überprüft werden: • bei anhaltend erhöhtem Blutzucker (auf über 250 mg/dl´) oder bei einer deutlichen Harnzuckerausscheidung • bei Patienten mit ICT („intensivierter konventioneller Insulintherapie) bei jeder Blutzuckerspitze über 300 mg/dl • in der Schwangerschaft bei jedem Blutzucker über 180 mg/dl • bei vermehrtem, Durstgefühl oder vermehrter Harnflut • bei fieberhaften Infekten Das Aceton kann durch spezielle Teststreifen (z. B. Ketur®-Test) nachgewiesen werden. Blutzuckerselbstkontrolle Die Blutzuckerbestimmung mittels Teststreifen erfolgt durch • Beurteilung des Farbumschlages eines mit Blut benetzten Teststreifenfeldes. Die Genauigkeit ist ausreichend: der ermittelte Wert kann bis zu 20% vom „wahren“ Wert nach oben oder unten abweichen. Die Messung kann durch einen Vergleich mit einem Kontrollfeld (befindet sich auf den Testreifenpackungen) durch das Auge oder ein Meßgerät erfolgen und ist nach ca. 2 Minuten abgeschlossen. • Oder durch Geräte die Ströme messen, die in einem chemischen Prozess freigesetzt werden: bei diesen Geräten ist die Meßzeit wesentlich kürzer (12 – 40 Sekunden) – mit dem Auge kann hier jedoch nicht überprüft werden, ob der gemessene Wert glaubhaft ist und die Messung ist nicht genauer als durch das oben geschilderte Verfahren. Diese elektronischen Geräte liefern jedoch keine genaueren Werte. Der Einsatz eines Meßgerätes ist sinnvoll • wenn regelmäßig bei Kunstlicht gemessen werden muß • bei Farbsehschwäche • bei mehr als 3 – 4 täglichen Messungen. Die Blutzuckerselbstkontrolle ist notwendig bei Meßgeräte für die Blutzuckerselbstkontrolle Kapitel 2 Selbstkontrolle • intensivierter konventioneller Insulintherapie • Insulinpumpentherapie • in der Schwangerschaft • wenn Sport betrieben wird • wenn Unterzuckerungen bei Störungen der „autonomen“ Nerven unzureichend wahrgenommen werden • 16 Notwendigkeit von Blutzuckerselbstkontrollen bei Typ 2 Diabetes mit hoher Nierenschwelle Gelegentliche Blutzuckerselbstmessungen bei Typ 2 Diabetikern • Bei fieberhaften Infekten • bei körperlichem Unwohlsein, wenn als Ursache eine Unterzuckerung nicht auszuschließen ist • In nicht alltaäglichen Situationen (z. B. Urlaub, ungewohnte körperliche Belastung) Durchführung der Blutzuckermessung nach der Farbvergleichmethode 7. Hände waschen. 8. Zur Gewinnung eines Bluttropfens mit einer Lanzette in eine Fingerkuppenseite stechen. 9. Bluttropfen auf das Meßfeld geben. 10. Genau 1 Minute warten. 11. Mit Watte das Blut von Teststreifen abwischen. 12. Nach einer weiteren Minute bei gutem Licht ablesen. Auf was muß bei der Blutzuckerbestimmung noch geachtet werden? • Das Verfallsdatum der Teststreifen darf nicht abgelaufen sein. • Die Dose immer geschlossen halten und vor Frost, Feuchtigkeit und Sonnelicht schützen. • Keine Desinfektionsmittel (Alkohol) verwenden. • Ausreichend große Blutmenge auf das Testfeld geben. Nicht verschmieren. • Teststreifen und Packung müssen zusammengehören. Durchführung der Blutzuckerselbstkontrolle Kapitel 3 Unterzuckerung Als Unterzucker (Hypoglycämie) wird jeder Blutzuckerwert unter 50 mg/dl bezeichnet. Tritt zusätzlich eine Bewußtlosigkeit auf, spricht 17 Definition der Hypoglycämie man vom hypoglycämischen Schock. Symptome einer Unterzuckerungs-Symptome können auch bei Blut- Unterzuckerungszuckerwerten über 60 mg/dl auftreten, wenn symptome bei • über längere Zeit der mittlere Blutzucker hoch war und dann höheren der Blutzucker unter 100 mg/dl abfällt Blutzuckerwerten • unmittelbar vorher der Blutzucker sehr hoch war (z. B. 200 mg/dl) und dann sehr rasch, z. B. durch eine Normal-InsulinGabe abfällt. Definitionsgemäß handelt es sich in diesen Fällen nicht um eine Hypoglycämie, obwohl Unterzuckerungs-Symptome vorliegen. Jeder Diabetiker, der mit Insulin oderSulfonylharnstoffen (wie z. B. bei welcher Euglucon® behandelt wird, kann eineHypoglycämie („Hypo“) bekom- Behandlung kann es zu men. Patienten, die nur mit Acarbose (z. B. Glucobay®) und/oder UnterzuckerunMetformin (z. B. Glucophage®) behandelt werden, sind nicht durch gen kommen? Hypoglycämien gefährdet. Über eine vermehrte Ausschüttung gegenregulierender (kontrainsulinärer) Hormone (Adrenalin, Kortison, Glukagon u. a.) und durch Glukose-Neubildung aus den Stärke- (Glycogen-) Reser- Gegenregulation des Körper ven der Leber kommt es zu einem Blutzuckeranstieg. Dabei kann der Blutzucker überschießend auf sehr hohe Werte ansteigen. Hypoglycämien treten auf, wenn relativ zu viel Insulin vorhanden ist. Die häufigsten Gründe für Unterzuckerungen: • zuviel Insulin gespritzt oder zuviele Sulfonylharnstofftabletten Auslöser für Unterzuckerungen eingenommen • verstärkte körperliche Belastungen (z. B. Hausputz, Radfahren etc.) • zuwenig oder zu spät Kohlehydrate (BE) gegessen • Spritz-Eß-Abstand zu lang • nach reichlichem Alkoholgenuß (Alkohol verhindert die Gegenregulation in der Leber (s. u.) – durch Alkohol ausgelöste Kapitel 3 18 Unterzuckerung Unterzuckerungen sind besonders gefährlich, da sie oft erst in der zweiten Nachthälfte oder am späten Vormittag auftreten) Symptome der Unterzuckerungen leichte Unterzuckerungen • Schweißausbruch • Heißhunger • Herzklopfen • Kribbeln an den Lippen • leichte Konzentrationsstörungen mittelschwere bis schwere Unterzuckerungen Symptome es kommen weitere Symptome hinzu: • Zittern (u. U. am ganzen Körper) • Sehstörungen (z. B. Augenflimmern) • Aggressivität, Depression • Hilflosigkeit, Gleichgültigkeit, Angst, Verwirrtheit • keine zielgerichtete Handlungen mehr möglich • „lallende“ Sprache, „wie betrunken“ • krakelige Schrift • Ohrensausen, Gleichgewichtsstörungen, „wie durch Watte hören“ schwere Unterzuckerungen • neurologische Symptome (z. B. Halbseitenlähmung, Krampfanfälle) • Bewußtlosigkeit (dabei können die Augen offen sein, man zeigt aber keine Reaktion) gestörte Unterzuckerungswahrnehmung Die Empfindung für niedrige Blutzuckerwerte kann vor allem nach gestörte UnterzuckerungsWahrnehmung Kapitel 3 Unterzuckerung 19 langer Diabetes-Dauer vermindert sein, wenn die Ausschüttung der Gegenregulationshormone (wie Glucagon, Adrenalin, Kortisol) eingeschränkt ist. Dies führt auch zu einem schnelleren Blutzuckerabfall und einem verlangsamten Blutzuckeranstieg. Da dann evtl. wegen des Wegfalls der Warnsymptome der Patient nicht oder zu spät Kohlehydrate aufnimmt, kann es zu gefährlichen Situationen kommen. Schädigungen durch Unterzuckerungen Bei jüngeren Menschen führen leichte bis mittelschwere Unterzuckerungen zu keinen bleibenden Schäden. Bei älteren Menschen ist jede Unterzuckerung ernst zu nehmen Schädigungen durchUnterzuckerungen (verstärkte Hilflosigkeit, Gefahr einer Minderdurchblutung von Herz oder Gehirn). Bei schweren, lange anhaltenden Unterzuckerungen, vor allem wenn sie gehäuft und in kürzeren Abständen auftreten, kann es zu bleibenden Schädigungen des Gehirnes kommen (z. B. Lähmungen, Gedächtnisstörungen). Behandlung der Unterzuckerungen leichte Unterzuckerung Bei Blutzuckerwerten von 50 – 60 mg/dl zuerst den Blutzucker messen („zuerst messen, dann essen“), dann 1 – (2) „langsame“ Broteinheiten essen. Beispiele für 1 „langsame“ Broteinheit: 250 ml Mich 250 ml Joghurt, Dickmilch, Kefir 25 g Brot mit Belag 1⁄2 Brötchen mit Belag Behandlung Kapitel 3 Unterzuckerung 20 mittelschwere Unterzuckerung Bei Blutzuckerwerten von 30 – 40 mg/dl zuerst den Blutzucker messen („zuerst essen, dann messen“), dann 1 schnelle und 1 langsame Broteinheit, bei ausgeprägtem Unterzuckerungsgefühl (Blutzucker 30 – 40 mg/dl) 2 schnelle und 1 langsame Broteinheit essen Beispiele für 1 „schnelle“ Broteinheit: 12 g Traubenzucker (= 2 Täfelchen Dextro-Energen) 12 g Haushaltszucker (= 4 Stück Würfelzucker) 17g mit Zucker gesüßte Marmelade 70 g Weintrauben, 50 g Banane 100 ml Coca Cola, 130 ml Orangensaft, 130 ml Apfelsaft schwere Unterzuckerung • bei Bewußtlosigkeit den Patienten in eine stabile Linksseitenlage bringen • nie versuchen, Bewußtlosen Flüssigkeit einzuflößen (kann in die Lungen gelangen - „Aspirationsgefahr“) • falls vorhanden Glukagon in den Muskel spritzen (ist recht teuer, z. B. GlucaGen-Hypo-Kit-Novo® ca. 63.- DM, mußt erst aufgelöst werden und ist ungekühlt – gekühlt s. Verfallsdatum! – nur 18 Monate haltbar) – sind die Glycogenreserven in der Leber erschöpft, ist die blutzuckersteigernde Wirkung von Glucagon nur sehr gering • Traubenzuckertäfelchen in die Backentasche legen, Kopf zur Seite festhalten • sofort den Notarzt rufen Nicht geeignet bei Unterzucker: Diabetikersüßigkeiten, Diabetikerzucker (Sorbit, Fruchtzucker), nicht geeigSüßstoffe, Schokolade und Milchreis (wegen ihres hohen Fettgehal- nete Nahrungsmittel bei tes nur verzögerte Glukoseaufnahme ins Blut). Unterzuckerungen Kapitel 3 Unterzuckerung 21 • sofort anhalten ! • „schnelle“ BE zu sich nehmen (Cola, Zucker etc. immer griff- Verhalten im Strassenverkehr Besondere Maßnahmen Unterzuckerungen im Straßenverkehr: bereit halten !) • erst weiterfahren, wenn alle Unterzuckerungssymptome verschwunden sind ! Unterzuckerungen in der Nacht • Traubenzucker oder zuckerhaltiges Getränkt immer auf den Nachttisch stellen ganz besonders gilt das in fremder Umgebung, z. B. im Hotel ! ü Würfelzucker oder Traubenzucker muß der Diabetiker immer bei sich tragen ! ü Bei Diabetikern, die Acarbose (Glucobay®) einnehmen, hilft bei Unterzucker nur Traubenzucker ! ü Autofahrt bei den geringsten Zeichen einer Unterzuckerung sofort abbrechen ! ü Diabetikerausweis ständig mitführen ! Vorsichtsmassnahmen in der Nacht allgemeine Massnahmen Kapitel 4 22 Grundlagen der Ernährung Was ist eine gesunde Ernährung? Eine ausgewogene und gesunde Ernährung – egal ob Diabetiker oder Nichtdiabetiker sollte alle lebensnotwendigen Nährstoffe im richtigen Verhältnis zueinander enthalten, um alle lebensnotwendi- gesunde Ernährung gen Körperfunktionen zu erhalten. Die Energiezufuhr über die Nahrung sollte so bemessen sein, dass sie bei einem normalgewichtigen Menschen weder zur Gewichtsabnahme als zur Gewichtszunahme führen. Energiezufuhr Die Energieaufnahme durch die Nahrung wird im Form von Kalorien (Kilokalorien/ kcal) oder Joule (Kilojoule -> 1 kcal = 4,2 KJ ) gemessen. Die Kalorien sind eine Maßeinheit, die Auskunft darüber gibt, wie viel Energie die einzelnen Nährstoffe dem Körper liefern. Die Nährstoffe werden zur Energiegewinnung im Körper „verbrannt“ und liefern dadurch die Energie, die der Körper für bestimmte Aufgaben braucht. Fett ist der Hauptenergieträger. Ein Gramm fett liefert 9 kcal – im Vergleich liefern Kohlenhydrate und Eiweiß nur 4 kcal. Die überschüssige Energie wird im Körper als Fettdepots für Hungerzeiten angelegt. Nur in der heutigen Zeit werden diese Notdepots nur noch selten gebraucht und immer mehr Fett lagert sich im Körper ab. Dies äußert sich dann in Form von Übergewicht. Der Kalorienbedarf ist für jeden Menschen unterschiedlich. Kalorien Kapitel 4 Grundlagen der Ernährung 23 Berechnung des Kalorienbedarfs Der Kalorienbedarf setzt sich aus vielen Faktoren zusammen. Alter, Geschlecht und körperliche Aktivität sind die hauptsächlichen Faktoren. Der Energiebedarf der Körper in Ruhe braucht bezeichnet man als Grundumsatz, um alle wichtigen Körperfunktionen aufrecht zuerhalten. Der Grundumsatz berechnet sich aus: Normalgewicht x 24 Energiebedarf = Grundumsatz + Leistungszuschlag Der Leistungszuschlag berechnet sich aus der Art der körperlichen Betätigung bzw. dem Beruf. Bei einer leichten Tätigkeit wird ein Leistungszuschlag von 1/3 des Grundumsatzes gegeben, bei einer mittelschweren Arbeit um 2/3 bei einer schweren Arbeit um 3/3. Dieser Zuschlag wird zum Grundumsatz dazugerechnet. Alles zusammen ergibt den Gesamtenergiebedarf eines Menschen. Beispiel: Frau 30 Jahre, Bürofachfrau, 70 kg ( 70 x 24) + 1680/3 = 2240 kcal / Tag Normalgewicht Es gibt 2 verschiedene Methoden das Normalgewicht zu berechnen. I. BROCCA – GEWICHT: Körpergröße - 100 II. Body-Mass- Index ( BMI) 19 – 25 Der BMI errechnet das Verhältnis von Körpergröße zu der Körpermasse und gibt daher noch eine genauere Aussage über das Gewicht. Ein „ normaler BMI“ sollte zwischen 19 – 25 liegen Normalgewicht Kapitel 4 24 Grundlagen der Ernährung Als Übergewicht bezeichnet man einen BMI > 30. Heute wird nicht immer ein Normalgewicht angestrebt. Das Zauberwort heißt „Wohlfühlgewicht“. Das Wohlfühlgewicht bedeutet auch das bei diesem Körpergewicht auch noch keine Wohlfühlgewicht körperlichen Beschwerden oder Krankheiten vorliegen, die noch eine Reduktion auf ein Normalgewicht nötig machen. Nährstoffe Unsere Hauptnährstoffe oder auch Makro- oder Grundnährstoffe genannt sind Eiweiß, Fett und Kohlehydrate. Sie liefern neben speziellen Aufgaben im Körper Energie. Nährstoffe = MakronährVitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente sind die stoffe + Mirkonährstoffe sogenanntenMikronährstoffe. Sie sind lebenswichtig Prozessen in unsrem Körper beteiligt; liefern aber im Gegensatz zu den Makronährstoffen keine Energie. Eiweiß Eiweiß ist nicht nur Energielieferant ( 1g Eiweiß = 4 kcal) sondern, ist auch Bestandteil von Zellen und Gewebe, Hormone, Enzyme und Körpersekrete( z.B. Verdauungssaft) Daher wird Eiweiß nur als letzter Nährstoff zur Energiegewinnung hinzugezogen. In der Nahrung unterscheidet man tierisches und pflanzliches Eiweiß. Tierisches Eiweiß ist in: I. Fleisch, Fisch, Geflügel II. Milch und Milchprodukten III. Eier enthalten. Auch in pflanzlichen Lebensmittel ist Eiweiß enthalten z.B. in: Eiweiß = pflanzliches + tierisches Eiweiß Kapitel 4 Grundlagen der Ernährung 25 IV. Kartoffeln V. Hülsenfrüchten VI. Grünen Gemüse ( Spinat, Brokkoli) VII. Soja VIII. Getreide Optimal ist eine Mischung zwischen pflanzlichen und tierischen Eiweißen. Damit wird die Qualität des Eiweiß noch weiter erhöht. Die Eiweißzufuhr sollte 10% des Gesamtenergiebedarfs betragen. Eine zu hohe Eiweißaufnahme kann besonders beim Diabetiker zu einer Begünstigung von Nierenschäden verursachen.. Deshalb ist es wichtig die Fleischportionen immer etwas kleiner zu halten, vielleicht 1-2 x in der Woche einen fleischlosen Tag einzulegen. Fettarme Milch und Milchprodukte bevorzugen, mageres Fleisch, Vollkornprodukte, Fisch. Fett Fett ist der Hauptnährstoff mit dem höchsten Energiegehalt. Ein Gramm Fett liefert 9 kcal. Um Kalorien zu sparen, sollte jeder Fett sparen. Fett kommt in pflanzlichen und tierischen Lebensmitteln vor. Die tierischen Lebensmittel wie Butter, Schmalz, Fleisch, Fisch, enthalten neben dem Fett auch Fettbegleitstoffe, z. B Cholesterin. Menschen die auf das Cholesterin achten sollten daher die Fettzufuhr über tierische Lebensmittel so gering wie möglich halten. Die pflanzlichen Fette wie Öl, Margarine enthalten kein Cholesterin, besitzen aber einen ähnlich hohen Fettgehalt wie Butter oder Schmalz. Für eine ausgewogene Ernährung sollte der Fettgehalt bei 60g Fett / Tag liegen. Um dies zu erreichen sollte man besonders auf das versteckte Fett tierische Fette, pflanzliche Fette Kapitel 4 26 Grundlagen der Ernährung in Wurst, Käse, Schokolade, Nüsse, usw. achten. Ein hilfreiches Mittel ist die Fettangabe auf der Packung. versteckte Fette wünschenswerter Fettgehalt arm) liegen. in NahrungsDer Fettgehalt bei Käse soll in der Regel 40- 45% Fett i. Tr. nicht mitteln überschreiten. Bei Milch und Milchprodukten sollte der Fettgehalt bei 1,5% Fett (fett- Bei Fleisch, Wurst, Fisch oder Geflügel sollten immer die fettarmen Lebensmittel verwendetet werden, d h. durchwachsene Fleischstücke, oder Wurst mit Fettrand, Streichwurst, Aal, Gans oder Ente nur in fettreiche Nahrungsmittel Ausnahmefällen essen. Auch der Fettgehalt von Nüssen und Schokolade ist nicht zu unterschätzen. Abends lieber ein Stück Obst oder Gemüse als Chips, Nüsse oder Schokolage essen. Auf ein ausgewogenes Verhältnis von gesättigten, einfachungesättigten und mehrfachungesättigten Fettsäuren ist zu achten, d.h. lieber Fisch statt Fleisch, besser Pflanzenöl und Margarine (OPTIMAL Halbfettmargarine) als Butter: gesättigte-, einfachungesättigte-, mehrfachungesättigte Nahrungsmittel Tipp: 20g (1EL) als Brotaufstrich 20g als Brat – und Kochfett 20g versteckt in Käse, Fleisch, Wurst, Kohlehydrate Die Hauptfunktion der Kohlenhydrate ist die Energiegewinnung. Ein Gramm Kohlehydrate liefert 4 kcal. Einige Bereiche im Körper können nur Energie aus Kohlenhydraten verwenden. Sogar der Körper kann Kohlenhydrate in Form von Glykogen im Kohlehydrate Muskel und in der Leber speichern, so daß bei besonderer Belastung der Körper direkt und kurzfristig Energie bekommt. Unsere Nahrung sollte sich aus 50% Kohlenhydrate zusammensetzen. Besonders die komplexen Kohlenhydrate wie Stärke sollen einen Großteil der Nahrung bestehen. Kapitel 4 Grundlagen der Ernährung 27 Ballaststoffe Ballaststoffe sind Stärkeprodukte, Pflanzenfasern, die der Körper nicht verwenden kann. Ballaststoffe lassen den Blutzucker nur sehr minimal ansteigen. Sie sind besonders in Vollkornprodukten, Obst, Hülsenfrüchten und kaum Blutzuckeranstieg durch Ballaststoffe Salt enthalten. Kohlenhydrate und der Blutzuckerspiegel EINFACHZUCKER Die einfachsten Formen der Kohlehydrate ist der Einfachzucker; Traubenzucker oder Fruchtzucker genannt. Diese können z.T. schon im Mund vom Körper aufgenommen werden und schießen sofort im Blut und erhöhen dort direkt den Blutzuckerspiegel. Daher ist Traubenzucker nur ratsam bei einer Hypoglycämie. Blutzuckeranstieg: rasant durch Einfachzucker schnell durch Zweifachzukker langsam durch Stärke ZWEIFACHZUCKER Unter dem Zweifachzucker versteht man zwei verbundene Einfachzucker. Der bekannteste Zweifachzucker ist der Haushaltszucker, daneben gibt es noch den Milchzucker und den Malzzucker. Zur Spaltung der Zweifachzucker braucht der Körper auch einen geringen Aufwand. Diese Zuckerarten lassen also den Blutzucker auch schnell ansteigen. Der Milchzucker bildet dort eine Aufnahme. Durch das Eiweiß und Fettgehalt in der Milch und Milchprodukten kann der Zucker vom Körper langsamer aufgenommen werden. Außerdem hat der Milchzucker eine wesentlich geringere blutzuckersteigende Wirkung als der Haushaltszucker. Der Malzzucker zeigt seine Wirkung meist nur im Bier. wegen des Fettgehaltes langsamerer Blutzuckeranstieg durch Milchprodukte Kapitel 4 Grundlagen der Ernährung 28 STÄRKE Der größte Anteil der Kohlenhydrate besteht aus Stärke. Stärke ist ein Gebilde aus vielen einzelnen Einfachzucker. Der Körper muss vor ihrer Verwertung die Stärke erst in Einfachzucker spalten. Diese Aufspaltung kostete viel Zeit und als Folge steigt der Blutzuckerspiegel nur langsam und gleichmäßig. Stärke ist enthalten in Gemüse, Getreide, Kartoffeln, Reis, ... DAS HEISST: IX. EINFACHZUCKER schießt ins Blut (Traubenzucker, Fruchtzucker) X. ZWEIFACHZUCKER strömt ins Blut (Haushaltszucker, Milchzucker, Malzzucker) XI. STÄRKE sickert ins Blut BERECHNUNGSEINHEIT Die Berechnungseinheit hat viele Namen. Sie wird als Broteinheit (BE), als Kohlenhydrateinheit (KE) oder Kohlenhydrateinheit (KHE) bezeichnet. Die Broteinheit diente viele Jahre als Grundgerüst jeder Diabetesdiät. Heute ist sie nur noch eine Schätzeinheit (1 BE = 10 – 12g KH) Die BE-Berechnung ist auch nur noch für insulinbehandelten Diabetiker relevant. Für Diabetiker mit medikamentöser Einstellung oder Berechnungseinheiten einer Einstellung nur mit Diät ist eine Einschätzung der Kalorien wesentlich wichtiger, da sie oft übergewichtig sind. Reduktionskost Ziel der Reduktionskost ist es, bei übergewichtigem Diabetiker eine Gewichtsreduktion herbei zu führen. Hierbei muss weniger Energie zugeführt werden, als der Körper braucht. Eine Kalorienreduktion um 500 kcal lässt das Gewicht um 500g Reduktionskost Kapitel 4 Grundlagen der Ernährung 29 pro Woche sinken. Die Gewichtsreduktion sollte eine langfristige Ernährungs- und Lebensumstellung zu Folge haben, um eine dauerhafte Gewichtsabnahme oder Gewichtkontinuität zu erhalten. Daher muss bei diese Patienten nicht auf den BE-Gehalt geachtet werden, sondern nur eine im Einzelfall festgelegte individuelle Kalorienzahl. Süßstoffe Süßstoffe sind kalorienfreie Süßungsmittel, die den Blutzuckerspiegel nicht beeinflussen. Ihre Süßkraft ist 200- 500 mal höher als der von Haushaltszucker. Süßstoffe steigern nicht den Blutzucker Bei der Verwendung der Süßstoffe ist zu achten das diese z.T. nicht hitzestabil sind und daher erst nach dem Kochen verwendet werden können. Zuckeraustauschstoffe Zuckeraustauschstoffe sind Ersatzprodukte für Zucker. Sie liefern die gleiche Energie wie Zucker, einige auch etwas geringere Energie Zuckeraustauschstoffe und sind in geringen Mengen nicht insulinpflichtig. Nachteile sind das größere Mengen Zuckeraustauschstoffe abführend wirken können. Zuckeraustauschstoffe sind hitzestabil und können sehr gut zum Backen und Einkochen verwendet werden. Getränke Für Diabetiker geeignete Getränke sind: Mineralwasser, ungesüßte oder mit Süßstoff gesüßter Kaffee und/ oder Tee, Diätlimonaden (Cola light, Sprite light), stark verdünnte Obstsäfte, geeignete und ungeeignete Getränke für Diabetiker Kapitel 4 Grundlagen der Ernährung Für Diabetiker ungeeignete Getränke sind: Gezuckerte Getränke, Fruchtsäfte, Alkohol: Für Diabetiker gelten die gleichen Vorsichtsmaßnahmen beim Alkoholkonsum wie für die Allgemeinbevölkerung. Der Diabetiker muss allerdings achten, dass Alkohol eine wichtiger Energielieferant und eine wesentliche Quelle für Überernährung. Ebenso entsteht bei erhöhtem Alkoholkonsum eine große Unterzuckerungsgefahr. Daher nicht nüchtern Alkohol konsumieren. Geeignete alkoholische Getränke sind: XII. trockene Weine und Sekte, XIII. Schnaps, Whiskey, XIV. Diabetikerbiere Ungeeignete alkoholische Getränke: XV. Liköre XVI. süße Weine und Sekt XVII. Bier 30 Kapitel 5 31 Insulinhandhabung Ungenauigkeiten und Fehler im Umgang mit Insulin sind die häufigsten Ursachen unerwarteter Stoffwechselschwankungen. Durch die Beachtung der folgenden Hinweise können solche Probleme vermieden werden. Aufbewahrung Die im Gebrauch befindliche Ampulle Insulin kann bis zu 6 Wochen lang aufbewahrt werden, jedoch ohne direkte Sonnen- oder Kälteeinwirkung. Nie auf oder in die Nähe der Heizung legen. Der Insulinvorrat wird am besten im Butter- oder Gemüsefach aufbewahrt. Keinesfalls darf Insulin im Eisfach deponiert werden. wie kann Insulin aufbewahrt werden? Transport bei Reisen – im Flugzeug Insulin immer im Handgepäck bei sich führen: Koffer kann verloren gehen; Frachtraum oft zu kalt was ist bei Reisen zu – beim Skifahren Insulin am Körper tragen beachten? – beim Badeurlaub Insulin nicht mit an den Strand nehmen – bei Urlaubsfahrten mit dem überhitzten PKW Insulin an der kühlsten Stelle aufbewahren – im Hotel kann der Insulinvorrat vorübergehend bei Zimmertemperatur gelagert werden Verfallsdatum Insulin hat ein Verfallsdatum, das auf jedem Fläschchen bzw. jeder Ampulle aufgedruckt ist. Nach Ablauf des Verfallsdatums ist die Wirkung des Insulins nicht mehr garantiert und sollte nicht weiter verwendet werden. Aufziehen von Insulin in Einmalspritze – Rollen Sie das Fläschchen mit dem trüben Insulin zuerst zwischen Ihren Händen, um den Verzögerungswirkstoff und das Insulin gut miteinander zu vermischen. Klares Insulin braucht nicht gerollt zu werden. – Ziehen Sie mit der Einmalspritze die gewünschten Einheiten zunächst als Luft auf. Stechen Sie nun die Nadel senkrecht durch den Stopfen der auf dem Tisch stehenden Flasche und drücken wo steht das Verfallsdatum? wie wird Insulin in einer Einmalspritze aufgezogen? Kapitel 5 Insulinhandhabung 32 Sie die Luft hinein. – Jetzt sind Flasche und Spritze umzudrehen; das Insulin kann langsam aus der nach oben gehaltenen Ampulle bis ca. 5 Einheiten über die gewünschte Menge hinaus in die Injektionsspritze aufgezogen werden. – Luftbläschen durch leichtes Klopfen an die Spritze nach oben bringen und mit dem überschüssigen Insulin in das Insulinfläschchen zurückspritzen. Wenn zu viele Luftbläschen vorhanden sind, noch einmal neu aufziehen. – Dosis jetzt exakt einstellen. Einmalspritzen mit eingeschweißter Kanüle können bis zu 3x benutzt werden. Pen / Injektionshilfen Zur Erleichterung der Insulininjektion wurden die Pen‘s entwickelt. Sie haben ungefähr die Größe eines Füllfederhalters und sind ähnlich aufgebaut. Das Aufziehen der Spritze entfällt, Probleme mit Luftbläschen in der Spritze gibt es nicht und auch die Nadeln können durch Gummipartikel nicht verstopfen. Es gibt auch Einmalpens, die besonders für Sehbehinderte oder ältere Menschen geeignet sind. Dabei entfällt auch der Patronenwechsel. Vorbereitung des Pen zur Injektion Nach jedem Patronenwechsel müssen soviele I.E. (Einheiten) abgespritzt werden, bis die Kolbenstange Kontakt zur eingelegten Patrone hat. Bei diesem Vorgang den Pen senkrecht halten. Pens: - Vorteile - Injektionstechnik - Wechsel der Nadel Wechsel der Pennadel Pennadeln sollten ca. zweimal pro Woche gewechselt werden, da sie schnell stumpf werden und dadurch der Einstich schmerzhafter wird. Insulinkonzentrationen Nahezu alle Insuline werden auch für Pens angeboten. Zu beachten ist allerdings, daß die Konzentration des Insulins in Penpatronen stärker ist als die in Insulinfläschchen. U 40 Insulin ist in Insulinfläschchen abgefüllt - U 100 Insulin ist in Penpatronen abgefüllt. U was ist U 40und U 100Insulin? Kapitel 5 Insulinhandhabung 33 40 bedeutet, daß in 1ml Lösung 40 I.E. Insulin enthalten sind. U 100 bedeutet gleichermaßen, daß in 1ml Lösung 100 I.E. Insulin enthalten sind. Dementsprechend gibt es Einmalspritzen, die für U 40 und U 100 Insuline geeicht sind. Diese dürfen nie verwechselt werden. Diabetiker, die Pens benutzen, sollten U 100 Einmalspritzen besitzen, um im Falle eines defekten Pen ihr Insulin aus der Patrone aufziehen zu können. Spritztechnik Das Insulin wird ins Unterhautfettgewebe injiziert. – Mit Zeigefinger und Daumen wird eine Hautfalte abgehoben – In diese Hautfalte wird in einem Winkel von 45 bis 90 Grad einge- wie wird Insustochen und das Insulin durch Herunterdrücken des Spritzenkol- lin gespritzt? bens gespritzt. – Danach sollte bei festgehaltener Hautfalte noch ca. 10 Sekunden gewartet, danach erst die Hautfalte losgelassen und anschließend die Nadel aus der Spritzstelle entfernt werden, damit kein Insulin zurückfließt. eine Hautdesinfektion vor Eine Desinfektion der Haut vor der Injektion ist bei ausreichender dem Spritzen Körperhygiene unnötig. ist nicht notwendig! Spritzregionen Insulin kann in die Bauchhaut, in die Gesäßhaut und in die Oberschenkelhaut gespritzt werden. Allerdings wird Insulin aus den verschiedenen Körperregionen unterschiedlich rasch aufgenommen. Am schnellsten erfolgt die Resorption aus der Bauchhaut, weshalb hier vor allem das Normalinsulin gespritzt werden sollte. Die langsame Aufnahme des Verzögerungsinsulins wird durch eine Injektion in den Oberschenkel begünstigt. Zur selben Tageszeit muß das Insulin immer in die selbe Region (Bauch oder Oberschenkel) gespritzt werden. Die Injektionsstellen innerhalb der Region sollten jedesmal gewechselt werden, um Verhärtungen vorzubeugen. Dabei nicht in bestehende Hautveränderungen, -verhärtungen, Muttermale und Narbengewebe injizieren. Nach der Insulingabe kein heißes Vollbad oder einen Saunagang nehmen. Dies würde durch die Wärmeeinwirkung, zu einer sehr raschen Aufnahme des Insulins und damit zur Unterzuckerungsgefahr führen. was ist beim Spritzen in verschiedene Körperregionen zu beachten? was muß nach dem Spritzen beachtet werden? Kapitel 5 6 Grundlagen der Diabetestherapie 34 Ziele der Behandlung Um zu wissen, wie der Diabetes behandelt werden sollte, müssen wir an die Behandlungsziele denken: • kurzfristige (akute) Komplikationen wie Unterzuckerungen Hauptziele der und Blutzuckerentgleisungen (starke länger anhaltende Diabetestherapie Überzuckerungen) vermeiden • „mittelfristige Komplikationen“ (Symptome eines schlecht eingestellten Diabetes wie Durst, Infektionsneigung und Leistungsabnahme) sollten nicht auftreten • langfristige Komplikationen (Folgekrankheiten d. h. Schäden an Blutgefäßen, Augen, Nieren, Nerven, Füßen) verhindern Behandlung des Typ 1 Diabetes Beim Typ 1 Diabetes produziert die Bauchspeicheldrüse kein Insulin mehr, da die insulinproduzierenden Zellen zugrundegegangen sind. Deshalb geht es beim Typ 1 Diabetes eigentlich nur darum, die Funktion der menschlichen Bauchspeicheldrüse bei der Insulinpruduktion nachzuahmen. Dies wird durch die Insulintherapie erreicht. Wenn Besonderheibeim Typ 1 Diabetiker die Blutzuckerwerte zwischen ca. 80 – 160 ten beim Typ 1 Diabetes mg/dl liegen und das HbA 1c unter 7 liegt ist die Einstellung gut (sofern es hierunter nicht zu einer Gewichtszunahme kommt!), dann ist für „ihn die Welt in Ordnung“. Das Einhalten einer Diabetes-Diät und Empfehlungen zur körperlichen Bewegung sind nur notwendig, da die Insulinproduktion und -ausschüttung der menschlichen Bauchspeicheldrüse derzeit noch nicht gut genug nachgeahmt werden können. Behandlung des Typ 2 Diabetes Hier ist die Situation ganz anders! Hier liegt nämlich eine Erbanlage vor, die „Insulinresistenz“, wobei oft „metaboliweitere Störungen auftreten die man dann zusammen als „metaboli- sches Syndrom“ beim sches Syndom“ bezeichnet. Das metabolische Syndrom umfaßt Typ 2 Diabetes • Insulinresistenz und Diabetes mellitus • Übergewicht mit Neigung zur „Bauchfettsucht“ • erhöhter Blutdruck • erhöhte Blutfette Kapitel 6 Grundlagen der Diabetestherapie 35 Es soll erreicht werden, daß diese Erbanlagen sich möglichst gering ausprägen (d.h. zum Vorschein kommen). Dies kann in erster Linie geschehen durch: • Gewichtsabnahme und • Steigerung der körperlichen Aktivität weil ja in höherem Alter durch Übergewicht und Bewegungsmangel diese Erbanlagen erst zum Vorschein gekommen sind. Wenn eine Diabetes-Diät und eine vermehrte Bewegung nicht ausreichen, um eine ausreichende Blutzuckersenkung zu erzielen, müssen auch Medikamente eingesetzt werden. Neben der „Insulinresistenz“ hat der Typ 2 Diabetiker eine zweite Störung: anders als beim Gesunden gibt die Bauchspeicheldrüse nach dem Essen das Insulin nur verzögert ab. Da der Typ 2 Diabetiker oft noch einen ausreichenden Insulin-Grundspiegel („basales Insulin“) hat, reicht es oft aus, die Bauchspeicheldrüse nur bei der Abgabe des Mahlzeiteninsulins zu unterstützen - dies kann z. B. Störung der schnellen Insulinausschüttung nach dem Essen beim Typ 2 Diabetes durch Spritzen von Normalinsulin zu den Mahlzeiten geschehen. Ernährung Um die Insulinresistenz zu durchbrechen spielt beim Typ 2 Diabetes eine richtige Ernährung eine noch größere Rolle als beim Typ 1 Diabetes ! In diesem Zusammenhang ist es auch günstiger, die Kohlehydratmenge eher auf 6 kleine, als auf 3 große Mahlzeiten zu verteilen: dann kommen nämlich nicht so viele Kohlenhydrate auf einmal ins Blut und der Transport in die Zellen funktioniert besser. Aus dem Rolle der Ernährung beim Typ 2 Diabetes gleichen Grunde müssen Kohlenhydrate, die sehr schnell ins Blut gelangen wie z. B. Haushaltszucker, Cola, normale Limonaden etc. gemieden werden. Prinzip der Behandlung des Typ 2 Diabetes Nach heutigen Erkenntnissen muß durch die Behandlung • der Blutzucker möglichst normal sein und es dabei • zu keiner Gewichtszunahme kommen • und die anderen Stoffwechselprobleme (erhöhte Blutfette, Bluthochdruck) günstig beeinflußt werden. Richtlinien bei der Behandlung des Typ 2 Diabetes Kapitel 6 Grundlagen der Diabetestherapie 36 Dies kann - wenn Diät und vermehrte Bewegung nicht ausreichen durch verschiedene Medikamente erreicht werden, die nachfolgend aufgeführt werden. Medikamente die den Insulinspiegel im Blut erhöhen Sulfonylharnstoffe (z. B. Euglucon) Sie bewirken eine vermehrte Insulinfreisetzung durch die Betazellen. Nach langjähriger Behandlung mit Sulfonylharnstoffen kann sich die Betazelle erschöpfen, so daß dann eine Insulintherapie notwendig wird. Hauptvertreter ist das Glibenclamid (Euglucon® - Maximaldosis 3 SulfonylharnTabletten, meist 2 morgends und 1 abends). Eine neueres Medika- stoffe z. B. Euglument ist das Glimepirid (Amaryl®), das nur einmal am Tag gegeben con werden muß und sich geringer bei gestörter Nierenfunktion ansammelt. Bei Glimepirid (Amaryl®) treten seltener stärkere Unterzuckerungen auf. Häufigste Nebenwirkung der Sulfonylharnstoffe ist die Unterzuckerung – um dies zu vermeiden, müssen alle Mahlzeiten zum richtigen Zeitpunkt eingenommen werden und es muß immer eine „Not-BE“, z. B. Dextro-Energen® zur Hand sein ! Glibenclamid (z. B. Euglucon®) sollte 15 - 30 Minuten vor dem Essen, Glimepirid (Amaryl®) unmittelbar vor dem Essen (z. B. Frühstück) eingenommen werden. Glinide (z. B. Novonorm®) Sie führen auch zu einer vermehrten Insulinfreisetzung, wobei die Wirkung nur kurzfristig anhält, so daß die Tabletten jeweils direkt Glinide, vor einer Hauptmahlzeit eingenommen werden sollen (Prinzip: „1 z. B. Novo Hauptmahlzeit – 1 Tablette, keine Hauptmahlzeit – keine Tablette“). norm Im Gegensatz zu den Sulfonylharnstoffen können Mahlzeiten ausgelassen werden. Beim Auslassen einer Mahlzeit ist das Unterzuckerungsrisiko nur sehr gering. Einige dieser Mittel sammeln sich bei Nierenstörungen nicht an, dürfen bei Leberschäden aber nur mit Vorsicht verwendet werden. Kapitel 6 Grundlagen der Diabetestherapie 37 Insuline Die verschiedenen Insuline unterscheiden sich durch ihre „Wirkprofile“ hinsichtlich • Wirkungsbeginn • Wirkungsmaximum • Wirkungsdauer Wirkungsverlauf der Insuline Die Wirkungsweise hängt bei allen Insulinen von der gespritzten Menge ab: je höher die Dosis ist, desto ausgeprägter ist das Wirkungsmaximum und desto länger die Insulinwirkung. Normalinsulin („Alt-Insulin“) Wirkungseintritt nach ca. 15 – 30 Minuten, Wirkungsmaximum nach ca. 2 Stunden, Wirkungsdauer ca. 4 – 6 Stunden (Achtung: kleine Normalinsulin Mengen wirken kürzer als große Mengen). Alle Normalinsuline der einzelnen Firmen habe eine vergleichbare Wirkung und sind deshalb austauschbar. Kurz wirksame Analog-Insuline (z. B. Humalog) Hier wurde das menschliche Insulinmolekül verändert - dadurch ist die Aufnahme aus dem Unterhautfettgewebe so beschleunigt , sodaß die Wirkung sofort eintritt. Deshalb muß ein Spritz-Eß-Abstand nicht mehr eingehalten werden (in Einzelfällen kann dieses Insulin sogar nach dem Essen gespritzt werden). Die Wirkung ist so kurz, daß kurz wirksame Analog-Insuline - z. B. Humalogâ auch bei Zwischenmahlzeiten (die wegen der kurzen Wirkdauer auch wegfallen können) Lispro-Insulin notwendig ist. Verzögerungsinsuline Verzögeringsinsuline bestehen aus Normalinsulin, dem Verzöge- Verzögerungsrungsstoffe beigemischt weren. Verzögerungsinsuline beginnen erst Insuline ca. 1,5 Stunden nach dem Spritzen zu wirken. Langwirksame Analog-Insuline (z. B. Lantus) Lantus liegt in einer klaren Lösung vor, so daß ein Aufmischen nicht mehr notwendig ist. Wegen der langen Wirkdauer ist eine Einmalgabe am Tag möglich. lang wirksame Analog-Insuline - z. B. Lantus Kapitel 6 Grundlagen der Diabetestherapie 38 Mischinsuline Mischinsuline sind Mischungen aus Normal- und Verzögerungs-Insu- Mischinsuline lin. Der Normal-Insulin Anteil liegt bei den einzelnen Präparaten zwischen 10 und 50%. Formen der Insulintherapie Im Prinzip kann man 3 Formen unterscheiden: • konventionelle Insulintherapie: Die Insulinmenge bleibt jeden Tag gleich, meist werden morgends und abends je eine Spritze eines Mischinsulins (mit einem kurzwirksamen und einem langwirksamen Anteil) gegeben. Es muß zu festen Zeiten gegessen werden, Zwischenmahlzeiten sind notwendig um Unterzuckerungen zu vermeiden • Trennung der Zufuhr des nahrungsunabhängigen Insulins („Basalinsulin“) vom Mahlzeiteninsulin durch konventionelle und intensivierte Insulintherapie - mehrmalige s. c. Injektionen oder - eine Insulinpumpe (nur in ganz seltenen Fällen beim Typ 2 Diabetes) Dies wird auch als eine „intensivierte konventionelle Therapie“ (= „ICT“) bezeichnet: dabei wird spätabends gegen 22h und morgens gegen 7h ein „mahlzeitenunabhängiges“ langwirksames Basalinsulin und zu den Mahlzeiten ein kurzwirksames Normalinsulin („Bolusinsulin“) gegeben • Injektion nur von mahlzeitenbezogenem Insulin, sofern der Insulin nur zu Körper noch genug nahrungsunabhängiges Insulin beim Typ den Mahlzeiten 2 Diabetes bildet Medikamente die den Insulinspiegel im Blut nicht erhöhen Biguanide (Metformin, z. B. Glucophage®) Sie verbessern die Glukoseaufnahme an der Muskelzelle ohne daß Biguanide, mehr Insulin freigesetzt wird, blockieren die Glukoseneubildung (Glu- z. B. Glucophage coneogenese) in der Leber, senken Cholesterin und Triglyceride und vermindern den Appetit – wirken also günstig beim „metabolischen Syndrom“. Biguanide verursachen keine Unterzuckerungen. Grundlagen der Diabetestherapie Kapitel 6 39 In der Regel wird die Behandlung mit 850 mg Metformin morgens begonnen und nach drei bis vier Tagen weitere 850 mg am Abend verabreicht. Ebenso wie Acarbose soll Metformin zu den Mahlzeiten und nicht auf nüchternen Magen eingenommen werden, da sonst Übelkeit und Magendruck auftreten können. Mehr als dreimal 850 mg werden in der Regel nicht vertragen. Gegenanzeigen: Einschränkung der Nierenfunktion (Kreatinin > 1,2 mg/dl), Leberschäden, schwere Kreislauferkrankungen, Reduktionsdiäten mit weniger als 1000 kcal/Tag; sollen während fieberhafter Infekte nicht eingenommen werden (dann Einnahmepause). α-Glucosidase-Hemmer (z. B. Acarbose - Glucobayoder Miglitol - Diastabol ) Bremsen vorübergehend die Aufspaltung von Stärke im Darm – so wird die Stärke langsamer in Glukose umgewandelt und der Blutzuckeransteig nach dem Essen verläuft langsamer und gleichmäßiger. Es kommt jedoch nicht zu einer Gewichtsabnahme, da die Kohlehydrate dann durch Abbau über Fettsäuren verwertet werden. Um den einzigen Nachteil dieser Mittel – oft sehr störende Blähungen – zu vermeiden oder zu vermindern, sollte die Anfangsdosis dieser Mittel niedrig sein und nur langsam (um jeweils 50 mg pro Woche, evtl. bis zu einer Höchstdosis von 3 x 100 mg täglich) gesteigert werden. Es gilt hier die sog. „Einer-Regel“: Erstbehandlung beginnt mit einer Einmalgabe von 50 mg Acarbose oder Miglitol täglich in der ersten Woche mit dem ersten Bissen zum ersten Frühstück. Die Einnahme muß also jeweils mit dem ersten Bissen einer Mahlzeit erfolgen – bei späterer Einnahme sind diese Medikamente wirkungslos. Die Acarbose alleine verursacht keine Unterzuckerungen. Sollten unter einer Kombinationstherapie mit anderen Medikamenten eine Unterzuckerung auftreten, darf nur Glukose, z. B. DextroEnergen eingenommen werden. Nach neueren Erkenntnissen sind diese Medikamente jedoch bei der Acarbose Glucobay oder Miglitol Diastabol Kapitel 6 Grundlagen der Diabetestherapie 40 Verhütung von Folgeschäden weitaus weniger wirksam, als man sich früher erhofft hatte. Glitazone (z. B. Avandia) Die Glitazone verbessern die Insulin-Empfindlichkeit der Zellen – sie führen nicht zu einer vermehrten Bildung von Insulin. Die Glitazone haben nur wenig Nebenwirkungen – bei Lebererkrankungen oder Herzschwäche sollen sie nicht eingesetzt werden. Da diese Mittel erst im Jahr 2000 in Deutschland zugelassen wurden, liegen breite Erfahrungen noch nicht vor. Die Anfangsdosis von Avandia liegt bei Glitazone, z.B. Avandia oder Actos 4 mg / Tag und kann nach 8 Wochen auf 8 mg / Tag gesteigert werden. Der Erfolg der Behandlung kann erst nach 4 – 8 Wochen ausreichend beurteilt werden. Avandia oder Actos können zusammen mit Mahlzeiten oder auch nüchtern eingenommen werden. Kombinationstherapie Im Prinzip können alle Medikamente und Insulin gemeinsam eingesetzt werden. Eine Kombinationstherapie ist auch günstig, da bei den einzelnen Medikamenten dann nicht die Oberdosis eingesetzt werden muß und deshalb die Nebenwirkungsrate geringer ist. Des- Vorteile einer Kombination verschiedener Medikamente halb wird heute eine Kombinationsbehandlung früh begonnen. Beim metabolischen Syndrom ist, wenn eine Diät alleine nicht mehr ausreichend ist, eine anfängliche Behandlung mit Biguaniden und Acarbose sehr günstig. Zusammenfassend kann gesagt werden, daß Grundlage der Behandlung des Typ 2 Diabetes die Ernährungs- und Bewegungstherapie ist. Falls diese nicht ausreichen, können in der Anfangsphase des Typ Therapie2 Diabetes, in der ja vermehrt körpereigenes Insulin vorhanden ist, richtlinien Medikamente eingesetzt werden, die nicht zu einer vermehrten Bildung körpereigenen Insulins führen, eingesetzt werden (v. a. Metformin). Kapitel 6 Grundlagen der Diabetestherapie In späteren Stadien (da der Typ 2 Diabetes oft sehr spät entdeckt wird, können Spätstadien schon bald nach der Entdeckung des Diabetes vorliegen!), wenn die Spiegel des körpereigenen Insulins im Blut normal oder (infolge einer Erschöpfung der Bauchspeicheldrüse) vermindert sind müssen auch Medikamente, die den Insulinspiegel im Blut erhöhen (Sulfonylharnstoffe, Repaglinide) und/oder Insulin selbst eingesetzt werden. Es muß immer darauf geachtet werden, daß nicht nur der erhöhte Blutzucker behandelt wird, sondern auch die anderen Störungen, die meist zusammen mit dem Typ 2 Diabetes auftreten und für Folgeerkrankungen mitverantwortlich sind (Fettstoffwechselstörung, Bluthochdruck). 41 Kapitel 7 Insulin-Dosisanpassung 42 Die folgenden Ausführungen gelten vor allem für diejenigen Diabetiker, die selbst ihren Blutzucker messen und mit Normal-Insulin ihre Insulin-Dosis anpassen, d. h. bei zu hohen Werten mehr Insulin spritzen und bei zu niedrigen Werten weniger Insulin spritzen, aber auch für die, die nur gelegentliche Blutzucker-Korrekturen durch Insulin durchführen. Die Therapieform, die durch Gabe eines langwirksamen „basalen“ Insulins und eines kurz wirksamen „Bolus-Insulins“ zu den Mahlzeiten versucht das Wirken einer gesunden Bauchspeichedrüse nachzuahmen, nennt man „Intensivierte Conventionelle Insulintherapie“ (ICT) Durch eine einmalige (meist gegen 22 Uhr) oder zweimalige (um 22 Uhr und um 7 Uhr) Gabe von eines langwirksamen „Basal-“ (Depot-) Insulins wird versucht, den mahlzeitenunabhängigen Insulin-Grundbedarf abzudecken. Durch Gabe von Normal-Insulin zu den Mahlzeiten („Bolus-Insulin“) soll der mahlzeitenabhängige Bedarf abgedeckt werden. Durch eine solche Therapie haben die Diabetiker mehr Freiheiten bezüglich des Zeitpunktes der Mahlzeiten und der Menge der einzelnen Mahlzeiten - außerdem ist eine bessere Blutzucker-Einstellung bei sehr schwankenden Werten möglich. Jedoch müssen sie 4 – 5x täglich Insulin injizieren und vor jeder Mahlzeit und vor dem Zubettgehen den Blutzucker kontrollieren. intensivierte konventionelle Insulintherapie Kapitel 7 Insulin-Dosisanpassung 43 Überprüfung der Basal-Insulin-Dosis Die Basal-Insulin-Tagesmenge kann dadurch überprüft werden, daß morgens die übliche Basal-Insulin-Menge gespritzt wird und danach während des ganzen Tages nichts gegessen wird, also auch kein Bolus-Insulin gespritzt wird. Unter der Voraussetzung daß der Ausgangs-Blutzucker im Normbereich (80 - 120 mg/dl) lag ist die Menge des basalen Insulins ausreichend, wenn auch während des restlichen Tages der Blutzucker während des Fastens bei 80 - 120 mg/dl liegt. Da der basale Insulinbedarf von vielen Faktoren (Körpergewicht, körperlliche Aktivität, Infekte, Streßsituationen wie Operationen und hormonellen Situationen wie der Regelblutung) beeinflußt wird, bleibt er nicht immer gleich und sollte deshalb gelegentlich überprüft werden. Größen für die Dosisanpassung des Bolus-Insulins Zur Durchführung der Insulindosisanpassung bei der Intensivierten Insulintherapie sollte man folgende Größen kennen: • den Ziel-Blutzuckerwert • den Korrekturfaktor • den BE-Faktor • den Spritz-Eß-Abstand a) Zielblutzuckerwerte Dabei sollte erst zusammen mit dem Arzt festgelegt werden, welche Blutzuckerwerte erreicht werden sollen. Meist werden folgende Werte angestrebt: − Nüchtern-Blutzucker: 80 – 120 mg/dl − Blutzucker nach dem Essen: 140 – 160 mg/dl Jedoch können, wenn besondere Situationen vorliegen, z. B. eine schwere diabetische Augenhintergrundveränderung oder wenn z. B. Ziel-Blutzuckerwerte Kapitel 7 Insulin-Dosisanpassung 44 ein Schlaganfall oder Herzinfarkt droht, andere Zielwerte angestrebt werden – dies muß mit dem Arzt besprochen werden ! b) Korrekturfaktor Wenn der Blutzucker-Ausgangswert höher oder niedriger als der Wert der vorliegen sollte (meist 80 – 120 mg/dl – es gibt jedoch Ausnahmen !) ist, muß man etwas mehr oder etwas weniger Insulin spritzen. Oder: hohe Blutzuckerwerte nach dem Essen sollen „heruntergespritzt“ werden. Diese Insulinmenge wird über einen sog. „Korrekturfaktor“ berechnet. Dabei ist zu bedenken, daß Korrektur bei zu hohen oder zu niedrigen Blutzuckerwerten − Patienten die mehr Insulin täglich brauchen (mehr als 40 E / Tag) weniger empfindlich auf Insulin ansprechen und mehr zum Korrigieren spritzen müssen − Patienten die weniger Insulin tagsüber brauchen (weniger als 40 E täglich) empfindlicher auf Insulin ansprechen und weniger zum Korrigieren spritzen müssen. − tagsüber der Körper weniger empfindlich auf Insulin anspricht und nachts empfindlicher: d. h. tagsüber braucht man mehr Insulin zum Korrigieren als nachts. niedriger Insulinbedarf (weniger als 40 E / Tag) − tagsüber: 1 E senkt den Blutzucker um 30 mg/dl − nachts: 1 E senkt den Blutzucker um 60 mg/dl höherer Insulinbedarf (mehr als 40 E / Tag) − tagsüber: 1 E senkt den Blutzucker um 20 mg/dl − nachts: 1 E senkt den BZ um 40 mg/dl Korrekturregeln für • Tag und Nacht • hohen und niedrigen Insulinbedarf Nach Gabe von Normal-Insulin muß man 2 Stunden warten bis man erneut korrigiert, nach der Gabe von Lys-Pro-Insulin 1 Stunde – wenn man nicht so lange wartet sinkt der Blutzucker evtl. noch weiter und wenn man dann schon wieder Insulin spritzt, kann es zu Unterzuckerungen kommen. Zeitspanne bis zu einer erneuten Korrektur Kapitel 7 45 Insulin-Dosisanpassung c) BE-Faktor Bei bestimmten Behandlungsformen des Diabetes (bei der „Intensivierten Konventionellen Insulintherapie“ oder beim alleinigen Einsatz von Normal- oder Lys-Pro-Insulin) erfolgt die Insulingabe vor „BE-Faktor“ den Mahlzeiten in Abhängigkeit von der Kohlehydratmenge, die man essen will – es muß der sogenannte „BE-Faktor“ bestimmt werden, d. h. wieviele E Insulin man pro BE spritzen muß. Dabei ist noch zu berücksichtigen, daß jeder Mensch etwas unterschiedlich auf Insulin anspricht und daß der Körper morgends, da noch viele Hormon-Gegenspieler des Insulins (wie Kortisol, Katecholamine) im Blut sind, etwas schlechter auf Insulin anspricht. Um die Mittagszeit und vor allem wieder nachts ist der Körper wieder insulinempfindlicher. Die folgenden Zahlen können nur als Anhaltspunkte dienen und müssen bei jedem Menschen individuell bestimmt werden: morgends: 1,5 - 3 E Normal-Insulin pro BE mittags: 0,5 - 1,5 E Normal-Insulin pro BE abends: 1,0 - 2,5 E Normal-Insulin pro BE BE-Faktoren bei verschiedenen Tageszeiten d) Spritz-Eß-Abstand Wenn Normal-Insulin unter die Haut injiziert wird, dauert es eine gewisse Weile bis es wirkt; Lispro-Insulin wirkt hingegen sofort. Das muß bei der Entscheidung, wann man bei Mahlzeiten Insulin spritzten soll („Spritz-Eß-Abstand“ oder „SEA“) berücksichtigt werden. Der Spritz-Eß-Abstand (SEA) ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich und hängt auch von der Tageszeit, während der gegessen wird ab: morgends, wenn der Körper weniger gut auf Insulin anspricht, wird Spritz-Eßoft ein längerer SEA benötigt als mittags. Wenn der Blutzucker vor Abstand dem Essen eher niedrig ist, verkürzt man den Spritz-Eß-Abstand um eine Unterzuckerung zu vermeiden; wenn der Blutzucker vor dem Essen zu hoch ist, wartet man bis zum Insulinspritzen etwas länger, damit das Insulin bei Beginn des Essens schon voll wirkt. Wartezeiten über 60 Minuten sollte es jedoch nicht geben ! Die folgenden Empfehlungen für den SEA bei Normal- und LisproInsulin müssen jedoch bei jedem Diabetiker immer wieder überprüft werden: Kapitel 7 Insulin-Dosisanpassung Die Blutzuckerwerte 2 Stunden nach dem Essen können durch Veränderungen des Spritz-Eßabstandes verbessert werden. Obwohl bei Lispro-Insulin kein Spritz-Eßabstand eingehalten werden muß, kann bei erhöhten Blutzuckerwerten eine Blutzuckersenkung durch einen Spritz-Eßabstand erreicht werden. Auch der Injektionsort spielt eine Rolle: durch Injektion in die Bauchdecke wird eine schnellere Blutzuckersenkende Wirkung erreicht als bei Injektionen in andere Körperregionen. 46 Kapitel 8 Insulin-Dosisanpassung bei körperlicher Aktivität, Krankheit, Sport 47 Vorteile regelmäßiger körperlicher Aktivität • Verbesserung des Blutzuckers • Steigerung der Insulinempfindlichkeit (d. h. Insulin wirkt besser) • Cholesterin und Neutralfette im Blut sinken, das „gute“ (HDL-) Cholesterin steigt an • Gewichtsabnahme • ein erhöhter Blutdruck sinkt • Verbesserung des Wohlbefindens Vorteile vermehrter körperlicher Aktivität Vorsicht bei Sport • bei Herzkranzgefäßverkalkung (koronarer Herzkrankheit) • Herzmuskelschwäche • Bluthochdruck, insbesondere wenn dieser noch nicht gut eingestellt ist • wegen einer Blutungsgefahr sollten Diabetiker mit stärkeren diabetischen Augenhintergrundveränderungen (diabetischer Retinopathie) stärkere Anstrengungen meiden (den Augenarzt fragen !!) wann man bei Sport / vermehrter körperlicher Aktivität vorsichtig sein muß Ab dem 40. Lebensjahr ist vor allem, wenn der Diabetes schon lange besteht, vor sportlichen Aktivitäten eine Herz-Kreislauf-Untersuchung angezeigt. Auswirkungen auf den Körper • Abfall des Blutzuckers, jedoch nur sofern ausreichend Insulin vorhanden ist • wenn nicht ausreichend Insulin vorhanden ist kommt es, obwohl der Blutzucker ja schon erhöht ist, zu einer vermehrten Glukoseneubildung in der Leber und zu einem weiteren Anstieg des Blutzuckers ! Deshalb haben schlecht eingestellte Diabetiker (Blutzucker über 250 mg/dl) keinen Nutzen vom Sport – im Gegenteil, die Stoffwechsellage verschlechtert sich noch ! • nach langanhaltender Muskelarbeit können Unterzuckerungen noch Stunden nach Beendigung der körperlichen Aktivität auftreten ! Auswirkungen von Sport / vermehrter körperlicher Aktivität auf den Körper Kapitel 8 • Insulin-Dosisanpassung bei körperlicher Aktivität, Krankheit, Sport 48 bei Untrainierten ist der blutzuckersenkende Effekt meist nur gering Geeignete und ungeeignete Sportarten Ausdauersportarten sind geeignet; Kraftsport kann den Stoffwechsel eher verschlechtern. Sportarten, die im Falle zu einer Unterzuckerung zur Eigen- oder Fremdgefährdung führen können, sollten nicht ausgeübt werden. geeignet − z. B. Radfahren, Wandern, Gymnastik, Skilanglauf für Diabetiker geeignete und ungeeignete Sportarten weniger geeignet − z. B. Kraftsport, Bodybuilding, Geräteturnen nicht geeignet − z. B. Klettern, Motorsport, Klettern, Tauchen Tips und Vorsichtsmaßnahmen allgemein • Traubenzucker (z. B. Dextro-Energen) als „Not-BE“ immer bereithalten ! • Diabetiker-Ausweis bei sich tragen • sportliche Aktivität möglichst vorher planen • Begleiter/Sportkameraden über den Diabetes und über allgemeine Vorsichtsmassnahmen Maßnahmen bei Unterzuckerungen informieren Vorhersehbare vermehrte körperliche Belastungen oder sportliche Aktivitäten sollten zusammen mit dem Hausarzt geplant werden. Nachstehend einige Empfehlungen: Stoffwechselanpassung bei normalem Ausgangs-Blutzucker • bei Kurzzeitbelastungen (bis 1 Std.) wie Radfahren, Schwimmen pro 30 Minuten Aktivität 1 BE langsam resorbierbarer Kohlehydrate • bei längeren Belastungen (mehr als 1 Stunde) eine zusätzliche schneller wirkende BE während der Aktivität sowie 1 – 2 langsam wirkende BE nach Beendigung Stoffwechselanpassung bei normalem Ausgangs-Blutzucker Kapitel 8 • Insulin-Dosisanpassung bei körperlicher Aktivität, Krankheit, Sport 49 bei Dauerbelastung wie Tageswanderung, Skilauf, Radtour − morgendliche Insulindosis um 50% reduzieren − 2 – 3 langsame BE pro 60 Minuten − 2 – 3 langsame BE zusätzlich zum Abendessen essen und eventuell auch die abendliche Insulindosis reduzieren − Blutzucker engmaschig kontrollieren Stoffwechselanpassung bei erhöhtem Ausgangs-Blutzucker Stoffwechselanpassung bei erhöhtem Ausgangs-Blutzucker Zusammenfassend kann gesagt werden: − Ausdauersportarten wirken sich auf den Stoffwechsel günstig aus, jedoch nur, wenn der Blutzucker ausreichend gut eingestellt ist − Vorsicht bei Vorschädigung des Herz- Kreislaufsystems und bei schweren diabetischen Augenhindergrundveränderungen − es gibt geeignete, weniger geeignete und nicht geeignete Sportarten für Diabetiker − bei sportlichen Aktivitäten sind Vorsichtsmaßnahmen zu beachten; es muß daran gedacht werden, daß durch den Sport der Blutzucker absinkt und es muß bedacht werden, daß Unterzuckerungen noch Stunden nach Beendigung der sportlichen Aktivitäten auftreten können ⇒ sportliche Aktivtäten sollten – evtl. in Rücksprache mit dem Arzt – geplant werden ! Maßnahmen beim Autofahren • vor jeder Fahrt erst den Blutzucker messen • bei niedrigem Blutzucker erst essen • bei Unterzuckerungen sofort anhalten und „schnelle“ Kohlen- Vorsichtsmassnahmen beim Autofahren Kapitel 8 Insulin-Dosisanpassung bei körperlicher Aktivität, Krankheit, Sport 50 hydrate (Traubenzucker) zu sich nehmen • längere Fahrten nicht alleine fahren • keine längeren Nachtfahrten • Diabetikerausweis, ausreichend Insulin und Teststreifen und Traubenzucker mitnehmen Fieber / Infektionen Es droht immer eine Stoffwechselentgleisung. • der Insulinbedarf ist erhöht: nie Insulin weglassen, mindestens die übliche Menge spritzen, auch wenn nichts gegessen wird • häufigere Blutzucker-Kontrollen • Blutzucker-Korrekturen mit Normal-Insulin • evtl. die Basal-Insulin-Menge erhöhen • den üblichen Kostplan möglichst einhalten, wenn dies nicht Blutzuckerstoffwechsel bei Fieber / Infektionen möglich ist, Kohlenhydrate in Form von Fruchtsäften zu sich nehmen • viel trinken, um den Flüssigkeitsverlust durch das Fieber auszugleichen Erbrechen / Durchfall • bei insulinspritzenden Diabetikern können evtl. Unterzuckerungen auftreten, da die Kohlehydrate aus dem Darm nicht ins Blut aufgenommen werden können • bei mit Tabletten behandelten Diabetikern kann es evtl. durch unzureichende Aufnahme der Tablettenwirkstoffe aus dem Darm ins Blut zu Überzuckerungen kommen (es sind jedoch auch Unterzuckerungen möglich !!) • die Kohlehydrate als Fruchtsäfte oder leicht verdauliche Nahrungsmittel (z. B. Haferflocken, Griesbrei, Obst) zu sich nehmen • häufigere Selbstkontrollen • Blutzuckerkorrekturen mit „schnellen BE“ bzw. Normal-Insulin (auch bei mit Tabletten behandelten Diabetikern) • mehr trinken Blutzuckerstoffwechsel bei Erbrechen / Durchfall Kapitel 8 Insulin-Dosisanpassung bei körperlicher Aktivität, Krankheit, Sport 51 Operationen / Krankenhausaufenthalte Durch folgende Umstände kommt es zu einem vermehrten Insulinbedarf: • • • in diesen Situationen steigen die Streßhormon-Spiegel (wie Blutzuckervon Kortisol, Katecholaminen), die Gegenspieler des Insulins stoffwechsel bei Operatiosind, an und es kommt zum Blutzuckeranstieg nen / Krankenverminderte körperliche Aktivität hausaufenthalten evtl. auftretendes Fieber Deshalb ist oft eine Erhöhung der Insulindosis notwendig und mit Tabletten behandelte Diabetiker müssen oft vorübergehend auf Insulin eingestellt werden. Kapitel 9 52 Diabetes und Soziales Wegen möglicher Leistungseinschränkungen, zu denen der Diabetes mellitus führen kann, gibt es einerseits Bestimmungen, die Diabetiker in der Berufswahl und im Straßenverkehr einschränken können und auch mögliche zwischenmenschliche Probleme aber auf der anderen Seite auch Möglichkeiten und Regelungen zum Ausgleich dieser sozialen Nachteile ! Ursachen der möglichen Leistungseinschränkung durch den Diabetes Durch folgende Umstände kann die Leistungsfähigkeit der Diabetiker eingeschränkt sein: • durch akute (v. a.Unterzuckerungen), „mittelfristige“ (z.B. Lei- • stungsminderung bei schlecht eingestelltem Diabetes) und langfristige Komplikationen (Diabetes-Folgeerkrankungen) durch die Stoffwechselführung z. B. Notwendigkeit von Blutzucker-Kontrollen auch am Arbeitsplatz, Notwendigkeit von möglichst regelmäßigen Mahlzeiten und einer regelmäßigen Lebensweise Allgemeine Ratschläge öffentlichen Leben zum Verhalten im Um Probleme von vorneherein zu vermeiden, sollte der Diabetiker • offen zu seiner Erkrankung stehen • seine Mitmenschen ggf. über seine Erkrankung informieren • das Entgegenkommen seiner Mitmenschen „nicht überstrapazieren“ und die Erkrankung nicht unberechtigterweise als Arument für Sonderregelungen nutzen • sich nicht als Außenseiter sehen. allgemeine Ratschläge Berufswahl für Diabetiker nicht geeignete Berufe Wegen geltender Sicherheitsvorschriften und Unfallverhütungsvorschriften sind insulinspritzende Diabetiker wegen der Unterzuckerungsgefahr von bestimmten Berufen ausgeschlossen: • Berufe mit Absturzgefahr (z. B. Dachdecker, Zimmermann) für Diabetiker geeignete und ungeeignete Berufe Kapitel 9 • • • Diabetes und Soziales 53 Berufe, die dem gewerblichen Personentransport dienen (wie Lokomotivführer, Pilot, Busfahrer) Berufe, die eine verantwortliche Überwachungsfunktion beinhalten (z. B. Schrankenwärter) oder mit dem Gebrauch von Waffen verbunden sind (Polizist, Soldat, privater Wachdienst) - so gelten in Deutschland Diabetiker, unabhängig vom Schweregrad ihrer Erkrankung, als nicht wehr- oder zivildienstfähig. für Diabetiker nicht empfehlenswerte Berufe – Alle Berufe, die eine zuverlässige, regelmäßige Stoffwechselführung nicht gewährleisten, z. B. mit • nicht vorhersehbaren starken körperlichen Belastungen (z. B. „Fahradboten“) • unregelmäßigen Essenszeiten • Schichtarbeit mit kurzfristig wechselnden Schichten • unregelmäßigem Tagesablauf – Berufe, bei denen man starker Hitze oder großem Überdruck ausgesetzt werden kann (wegen einer möglichen Verschlechterung diabetischer Augenhintergrundveränderungen) oder bei denen man mit bestimmten chemischen Substanzen (Gefahr einer Nervenschädigung) oder verstärkt Infektionserregern in Kontakt kommen kann. Neuere Behandlungsmethoden, wie die „intensivierte konventionelle Insulintherapie“ können jedoch einen flexibleren Tagesablauf ermöglichen und es so auch auch Diabetikern erlauben, Berufe unter diesen für sie nicht so günstigen Bedingungen auszuüben. Evtl. muß aber doch ein Arbeitsplatzwechsel empfohlen werden, was in Zeiten großer Arbeitslosigkeit schwer ist – oft kann man durch Gespräche mit dem Arbeitgeber und dem Betriebsarzt eine günstige Lösung finden. Öffentlicher Dienst Für die Einstellung im öffentlichen Dienst gelten folgende Bedingungen: es muß sichergestellt werden, daß • keine Folgeschäden an Augen oder Nieren vorliegen • eine gute Stoffwechselführung vorliegt • regelmäßige ärztliche und Selbstkontrollen nachweisbar sind Voraussetzungen für eine Einstellung in den Öffentlichen Dienst Kapitel 9 Diabetes und Soziales 54 • die angestrebte Tätigkeit keine Eigen-oder Selbstgefährdung durch Unterzuckerungen beinhaltet Bei Schwerbehinderten ist die Übernahme in ein Beamtenverhältnis auf Lebenszeit möglich, wenn anzunehmen ist, daß sie nicht vor Ablauf von 10 Jahren dienstunfähig werden. Bei einer Bewerbung muß ein Diabetes nicht angegeben werden. Ob der Arbeitgeber bei Einstellung davon in Kenntnis gesetzt werden muß, ist umstritten. Führerschein Neuere Untersuchungen belegen, daß in Deutschland das Unfallsrisiko von insulinbehandelten Diabetikern nicht über dem Durchschnitt liegt. Wegen der Unterzuckerungsgefahr gelten jedoch folgende Regelungen, die 1996 an EU-Richtlinien angepasst wurden: • Nur durch Diät oder orale Antidiabetika eingestellte Diabetiker können jedes Fahrzeug führen, sofern durch einen Arzt und den Diabetiker selbst regelmäßige Stoffwechselkontrollen durchgeführt werden • Diabetiker müssen in Hinblick auf Unterzuckerungen geschult sein und keine schwere Folgeerkrankungen wie schwere diabetische Augenhintergundsveränderungen aufweisen • insulinspritzende Diabetiker dürfen Fahrzeuge über 3,5t (jetzt Führerschein Klasse C - früher hatte die alte Klasse 2 erst ab 7,5t Geltung) sowie Fahrzeuge zur Fahrgastbeförderung (Taxi, Bus - jetzt Klasse D für Omnibusse mit mehr als 8 Plätzen) wegen der Unterzuckerungsgefahr nicht fahren. Neuerdings dürfen in sehr außergewöhnlichen Fällen und bei einem entsprechenden ärztlichen Gutachten mit Insulin eingestellte Diabetiker auch eine Fahrerlaubnis der Klasse C oder D haben. • schwer einstellbare Diabetiker mit Neigung zu Unterzuckerungen dürfen kein KFZ führen, vor allem, wenn die Unterzuckerungen nicht oder nur vermindert wahrgenommen werden • während einer Insulin-Neueinstellung ist die Fahrtüchtigkeit nicht gegeben Ein Arzt ist nicht verpflichtet eine Verkehrsuntüchtigkeit an die Straßenverkehrsbehörde zu melden, da in Deutschland die Schwei- Beschränkungen beim Führerschein Kapitel 9 Diabetes und Soziales 55 gepflicht als höheres Rechtsgut angesehen wird. Der Arzt muß den Patienten über eine mögliche Verkehrsuntüchtikgeit aufklären und diese Aufklärung schriftlich festhalten. Grad der Behinderung (GdB) Nach dem Schwerbehindertengesetz („Gesetz zur Sicherung der Anerkennung Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft“) einer Schwerbehinderung ist behindert, wer über 6 Monate durch einen krankhaften körperlichen, gesitigen oder seelischen Zustand behindert ist. Bei Diabetikern wird der Grad der Behinderung (vor 1986 als „MdE“, Minderung der Erwerbsfähigkeit bezeichnet) folgendermaßen festgelegt: Ø durch Diät und Tabletten, die nicht zu einer Unterzuckerung führen, wie Biguanide oder Acarbose ausreichend einstellbarer Stoffwechsel, ohne Komplikationen ................... 10% Ø durch Diät und Sulfonylharnstoffe (und evtl. zusätzliche andere „Zuckertabletten) ausreichend einstellbarer Diabetes .................. 20% Ø durch Diät und „Zukcertabletten“ und Insulin ausreichend einstellbarer Diabetes, ohne Komplikationen ........................................... 30% Ø durch Diät und Insulin gut einstellbarer Diabetes, ohne Komplikationen .................. 40% Ø mit Insulin schwer einstellbar (häufig bei Kindern) auch gelegentliche Unterzuckerungen ................ 50% Häufige, ausgeprägte Unterzuckerungen und Folgeschäden sind zusätzlich zu bewerten. So ist bei schweren häufigen Unterzuckerungen, vor allem, wenn eine Unfähigkeit besteht, solche rechtzeitig zu bemerken, eine MdE bis 100% durchaus möglich. Um einen Schwerbehindertenausweis zu erlangen, muß der GdB mindestens 50% betzragen. Dieser Status bringt bestimmte Vorteile, z. B. können steuerliche Erleichterungen gewährt werden, der Jahresurlaub wird länger und v. a. besteht ein verstärkter Kündigungsschutz am Arbeitsplatz. Vorteile bei einem Schwerbehindertenstatus Kapitel 9 Diabetes und Soziales 56 Arbeitgeber sind ab einer bestimmten Betriebsgröße verpflichtet, 5% der Arbeitsplätze an Schwerbehinderte zu vergeben und müssen für jeden nicht entsprechend besetzten Arbeitsplatz eine Abgabe entrichten - aus diesen Gründen sind schwerbehinderte Diabetiker bei entsprechender Eignung für Arbeitgeber durchaus interessant. Bei einem GdB von 30 – 50% kann ein Antrag auf Gleichstellung gestellt werden. Das kann geschehen, wenn aufgrund der Behinderung ein geeigneter Arbeitsplatz nicht erlangt oder behalten werden kann. Gleichgestellten kann – wie Schwerbehinderten – nur mit Zustimmung der Hauptfürsorgestelle gekündig werden. Ein Anspruch auf Zusatzurlaub besteht nicht. Zur Erlangung der Anerkennung als „Schwerbeschädigter“ muß ein schwerbehinderte Diabetiker können für Arbeitgeber interessant sein ! Antrag beim Sozialamt gestellt werden. Am besten gibt man seinem Hausarzt eine Kopie des Antrages, da das Sozialamt immer Informationen beim Hausarzt einholt. Der alleinige Anerkennung als Schwerbehinderter nach dem Schwerbehindertengesetz reicht nicht zur Erlangung einer Erwerbs- oder Erwerbsunfähigkeitsrente aus. Die vorzeitige Altersrente ab dem 60. Lebensjahr ist nach einer Versichertenzeit von über 35 Jahren möglich. Nach dem Schwerbehindertengesetz können zusätzlich bestimmte Merkmale mit dem Anrecht auf zusätzliche Vergünstigungen in den Schwerbehindertenausweis eingetragen werden, z B. „G“ (erheblich gehbehindert). Nicht jedem Diabetiker ist die Antragsstellung nach dem Schwerbehindertengesetz zu empfehlen – z. B. bei jungen Diabetikern, die am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn stehen, muß dies wegen möglicher Diskriminierungen gut überlegt werden. es ist nicht immer empfehlenswert, einen Schwerbehindertenstatus anzustreben ! Steuerermäßigung Diabetiker können jährliche Pauschalbeträge gewährt bekommen, wenn Ø der GdB mehr als 45% beträgt oder Ø bei einem GdB von 25 – 44% äußerliche Behinderungen erkennbar sind. Die Höhe der Pauschbeträge richtet sich nach dem GdB. Für Kinder und Jugendliche kann ein jährlicher Pauschbetrag (DM Steuerermässigungen Kapitel 9 Diabetes und Soziales 57 7.200,- 1996) steuerlich abgesetzt werden, wenn vom Versorgungsamt „Hilflosigkeit“ im Sinne des EStG bescheinigt wird, was bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres, in Ausnahmefällen bis zum 18. Lebensjahr) erfolgt (gewertet wird dabei nicht der gesundheitliche Zustand, sondern die laufenden Blutzuckerkontrollen, die Zubereitung der Mahlzeiten und die Überwachung der körperlichen Aktivitäten, um gesundheitliche Schäden durch Unterzuckerungen zu vermeiden). Literatur zum Thema o Malcherszyk L, Fink H (1999) Diabetes & Soziales (2. überarb. Aufl.) Kirchheim, Mainz o Nuber G (1999) Diabetes Journal – Das Buch. Kirchheim, Mainz Literaturhinweise o Lewerenz H, Friedel B (1999) „Begutachtungs-Leitlinien zur Kraffahreigung“ des gemeinsamen Beirates für Verkehrsmedizin und Verkehrspsychologie beim Bundesministerium für Verkehr und beim Bundesministerium für Gesundheit o kostenlose umfangreiche Broschüren des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung (1999) – jeweils telefon. bestellen unter 0180 – 5151510 − Ratgeber für behinderte Menschen (Diabetiker !) − Die Rente − Sozialhilfe − Berufsbildungswerke o weitere aktuelle Informationen u. a. über den Ausschuß Soziales der DDG (Deutsche Diabetes Gesellschaft) und dessen Stellungsnahmen und Empfehlungen Potenzstörungen Etwa jeder 2. männliche Diabetiker leidet, oft schon nach einer 5 – 10-jährigen Diabetesdauer unter einer verminderten Versteifbarkeit des Gliedes (Erektionsstörung). Ursache kann u. a. eine Störung der autonomen Nerven, gel. auch eine Verkalkung kleiner Blutgefäße sein. Jedoch können auch andere Ursachen als der Diabetes vorliegen (z. B. psychische Ursachen, Nebenwirkung von Medikamenten, Alkohol) – deshalb sollte eine Abklärung durch einen Urologen erfolgen. Potenzstörungen bei Männern Kapitel 9 Diabetes und Soziales Therapeutische Möglichkeiten: • Viagra - darf jedoch u. a. nicht bei schweren Herzerkrankungen (Angina pectoris), bei starkem Bluthochdruck und zusammen mit bestimmten Medikamenten (nitroglycerinhaltige Herzmittel wie z. B. MonoMack Depot) eingenommen werden dann kommt evtl. eine Behandlung mit • einer Vakuumpumpe • oder eine bestimmte Spritzenbehandlung (SKAT-Methode = Schwellkörperautoinjektionstherapie) infrage. 58 Kapitel 10 Folgeerkrankungen 59 Akute Komplikationen des Diabetes mellitus (Über- und Unterzuckerungen) können sofort oder in kurzer Zeit zu bedrohlichen Situationen führen. Durch dauerhafte (über Jahre bestehende), evtl. nur mäßige Blutzuckererhöhungen können Schäden vor allem an Augen, Nieren, Nerven sowie Herz und großen Blutgefäßen, die „diabetischen Folgeerkrankungen“ entstehen. Die Schädigungen an den Augen, Nieren und teilweise auch der Nerven entstehen durch diabetische Veränderungen an den a) kleinen Blutgefäßen (Mikroangiopathie). Die Veränderungen an Herz und Schlagadern entstehen durch Schädigung an b) großen Blutgefäßen (Makroangiopathie), die allerdings nicht nur durch Blutzuckererhöhungen, sondern auch durch andere Risikofaktoren wie hohe Blutfette, Bluthochdruck und Rauchen bedingt sein können und somit auch bei Nichtdiabetikern auftreten. Für eine vermehrte Erkrankungshäufigkeit und eine geringere Lebenserwartung von Diabetikern sind vor allem die Veränderungen an den großen Blutgefäßen („Makroangiopathie“ oder Arteriosklerose) verantwortlich. Diese Veränderungen können durch die Behandlung der anderen Risikofaktoren (erhöhte Blutfetten, Bluthochdruck, Rauchen) sogar noch wirksamer als nur durch eine gute Blutzuckereinstellung verhindert werden. Die Erfahrung zeigt, daß manche Diabetiker mit guter Blutzuckereinstellung frühzeitig Folgekrankheiten bekommen und andere mit schlechterer Blutzuckereinstellung kaum Komplikationen entwickeln. Es spielen dabei sicher weitere (v. a. erbliche) Faktoren eine Rolle. Da man aber nicht feststellen kann, ob man trotz schlechterer Blutzuckereinstellung später einmal kaum Folgeschäden erleiden wird, muß die Forderung nach einer möglichst guten Blutzuckereinstellung für alle gelten. Das ist ähnlich wie beim Rauchen: nicht alle Raucher bekommen einen Lungenkrebs, ihr Lungenkrebsrisiko ist aber deutlich erhöht. Folgeerkrankungen durch Schädigung der Blutgefäße Kapitel 10 Folgeerkrankungen 60 Diabetische Mikroangiopathie Die diabetische Mikroangiopathie führt also zu Veränderungen, die bei manchen Organen (Augen, Nieren) nur bei Diabetikern auftreten und betrifft die • diabetischen Nervenschädigungen („Neuropathie“) • diabetischen Augenhintergrundveränderungen („Retinopathie“) • und die diabetische Nierenschädigungen („Nephropathie“) Die wichtigste Ursache ist dabei Dauer und Ausmaß der Blutzuckererhöhung. Neuropathie Es kann das „bewußte Nervensystem“ und zwar die Nerven, die die Empfindungen von Haut und Bewegungsorganen leiten (sensible Polyneuropathie), weniger die Nerven, die Bewegungen von Mus- Schädigung des Nervensystems keln des Bewegungsapparates leiten (motorische Polyneuropathie) vermitteln betroffen sein. Es kann aber auch das „autonome (ungewußte) Nervensytem“ (die willkürliche „Eingeweidenerven“) betroffen sein, das die Empfindungen, aber und unwillkürliche Nerven auch die Bewegungen der Inneren Organe vermittelt, betroffen sein. Die Nervenstörung entsteht über eine Schädigung kleiner Blutgefäße, die die Nerven durchbluten, aber auch durch eine Schädigung der Nerven selbst. Da die gleichen Nervenstörungen auch durch andere Umstände bedingt sein können (z. B. Alkohol, Nierenschäden, Medikamente, Gifte, eigenständige Nervenerkrankungen) ist eine nervenärztliche Abklärung angezeigt. Eine gewisse Besserung kann evtl. bei guter Blutzuckereinstellung, aber nur langsam (nach mehr als 1 Jahr) eintreten. Eine Besserung durch Medikamente ist umstritten. Es müssen weitere Stoffe, die die Nerven schädigen können (vor allem Alkohol) gemieden werden. Durch verschiedene Medikamente können die Beschwerden in den verschiedenen betroffenen Regionen/Organen gelindert werden, auch wenn dadurch die Ursachen nicht beseitigt werden. Behandlung von Nervenschädigungen Kapitel 10 Folgeerkrankungen 61 Einteilung nach betroffenen Körperteilen/Organen: Arme, Beine (meist: „Sensible periphere Neuropathie“) Meist strumpf- oder sockenförmige Empfindungsstörungen, EmpfindungsTaubheitsgefühl, Schmerzen („burning feet“), wobei letztere oft vor störungen, allem nachts auftreten und sich beim Laufen bessern. Die Beschwer- meist an Beinen/Füssen den schreiten von „unten nach oben“ fort. Diagnose und Verlaufsbeobachtung sind durch Testung des Vibrationsempfindens mit der Stimmgabel, der Sehnenreflexe mit dem Reflexhammer und mit Temperaturelementen möglich. Autonome Neuropathie (Nerven der Inneren Organe) a) Herz- Kreislaufsystem Symptome: Herzrhythmusstörungen, fehlende Schmerzen bei Durchblutungsstörungen der Herzkranzgefäße und beim Herzinfarkt („stummer Herzinfarkt“), vermehrter Blutdruckabfall beim Aufstehen, Schädigung von Herz-Kreislauf-Nerven Veränderung des normalen Blutdruckrhyhthmus. b) Magen- Darm-Trakt Symptome: Magenentleerungsstörung (evtl. mit Völlegefühl, frühes Sättigungsgefühl, Schmerzen – kann aber auch fehlen! – es können Unterzuckerungen nach dem Essen auftreten; Therapie: Medika- Magenentleerungsstörung mente, evtl. sogar durch einen „Magenschrittmacher“), Neigung zu Durchfall oder Verstopfung. Durch eine Magenentleerungsstörung kann die Blutzuckereinstellung erheblich erschwert sein c) Nieren, ableitende Harnwege, Geschlechtsorgane Symptome: Blasenentleerungsstörungen, Impotenz Harnwege, Geschlechtsorgane Kapitel 10 Folgeerkrankungen 62 d) Unterzuckerungswahrnehmungsstörung Durch eine unzureichende gegenseitige Infromation der hormonproduzierenden Drüsen kann es z. B. zu einer verzögerten Streßhormonausschüttung bei Unterzuckerungen kommen. Manch- gestörte UnterzuckerungsWahrnehmung mal können dann Unterzuckerungen „schlagartig“, ohne Vorwarnung auftreten – in diesen Fällen dürfen Diabetiker nicht mehr selbst Autofahren. e) Haut Symptome: vermindertes Schwitzen oder vermehrter Hautstörungen Schweißausbruch beim Essen, vermehrte Hautdurchblutung, Wassersammlung in der Haut (Achtung: hat oft andere Ursachen !) Diabetische Augenhintergrundveränderungen (diabetische Retinopathie) Diabetiker haben ein 10 – 20faches höheres Erblindungsrisiko als Nicht-Diabetiker. Diabetesbedingte Veränderungen können in allen Augenabschnitten auftreten. Bei längerer (mehr als 20jähriger) Diabetesdauer haben 60 - 80% der Typ 2 - Diabetiker (und 80 - 95% der Typ 1 - Diabetiker) Netzhautschäden durch den Diabetes. Die Wände der Haargefäße sind verdickt, können so zu einer schlechteren Versorgung der Netzhaut mit Sauerstoff führen. Um dies auszugleichen wird über Botenstoffe die Bildung neuer Blutgefäße angeregt und es entstehen dabei zunächst kleine traubenförmige Aussackungen („Mikroaneurysmen“) - Stadium I der diabetischen Netzhautschädigung. Es können dann Blutungen auftreten (Stadium II) und in diese Blutungsherde können neugebildete Blutgefäße einwachsen (Stadium III), wobei es zu Glaskörperblutungen und zur Netzhautablösung kommen kann. Vor allem in den Anfangsstadien geht die diabetische Netzhautschädigung noch nicht mit einer Verminderung des Sehvermögens einher und wird deshalb nicht bemerkt. Dies kann aber auch selbst in fort- Entstehung und Behandlung von diabetischen Augenhintergrundveränderungen Kapitel 10 Folgeerkrankungen 63 geschrittenen Stadien der Fall sein ! Unterzuckerungen und starke Blutdruckerhöhungen können zu plötzlichen Einblutungen in den Augapfel führen. Eine gute Blutzuckereinstellung (möglichst auf Normalwerte) hat einen günstigen Einfluß auf den Verlauf, der durch Medikamente nicht sicher aufgehalten werden kann. Wichtig ist auch die gleichzeitige Behandlung eines Bluthochdruckes und einer Fettstoffwechselstörung. Paradoxerweise kann eine plötzliche Absenkung eines vorher stark erhöhten HbA1c-Wertes anfänglich den Verlauf einer diabetischen Retinopathie beschleunigen. Durch eine Verödung „unwichtiger“ Netzhautabschnitte mittels Laserstrahlen kann die Bildung von Botenstoffen, die zu Gefäßwucherungen führt, zum Stillstand gebracht werden. Netzhautblutungen und –Ablösungen können so verhindert werden. Deshalb ist eine mindestens einmal jährliche augenärztliche Untersuchung der Diabetiker dringend notwendig (wenn schon diabetische Augenhintergrundsveränderungen vorhanden sind, in kürzeren Abständen). augenärztliche Kontrolluntersuchungen ! Anmerkung: „Sehstörungen bei Insulingabe“ Wenn bei bisher schlecht eingestellten Diabetikern die Stoffwechsel- vorüberlage verbessert wird, ändert sich die Zuckerkonzentration im gehendeSehstörungen bei Glaskörper langsamer als im Blut – deshalb kann es zu besserer Blutvorübergehenden Sehstörungen kommen, die bis zu 14 Tagen zuckereinanhalten können. Also: bei einer Blutzuckerneueinstellung bzw. bes- stellung seren Einstellung erst 2 Wochen warten, bis eine neue Brille angepaßt wird ! Diabetische Nierenveränderungen (diabetische Nephropathie) Wie der Augenhintergrund können die Nieren über Veränderungen der kleinsten Blutgefäße geschädigt werden. Jährlich werden ca. 4000 Diabetiker neu dialysepflichtig. Eine beginnende diabetische Nierenschädigung kann man über Kapitel 10 Folgeerkrankungen 64 die Ausscheidung geringer Mengen von Eiweiß über den Urin (Mikroalbuminurie) erkennen. Hierzu gibt es spezielle Teststreifen (z. B. Micral-Test, Bestimmung im Morgenurin). Jedoch kann ein positiver Mikroalbumin-Test auch andere Ursachen (wie körperliche Aktivität, Fieber, Harnwegsinfekte, Bluthochdruck) als eine frühe diabetische Nierenveränderung haben, und ist evtl. nur vorübergehend positiv. Deshalb sind mindestens 2 Bestätigungsunt ersuchungen notwendig. Nur etwa ein Drittel der Diabetiker mit pos. Mikroalbumin-Test entwickelt eine diabetische Nierenschädigung. Vor allem im einem Anfangstadium der diabetischen Nierenschädigung kann durch • eine Blutzuckereinstellung auf Normalwerte • Blutdrucksenkung auf Werte unter 140/95 mmHg (Blutdruckselbstmessungen !) • Verminderung des Eiweißgehaltes in der Nahrung (auf weni- Verhinderung von Nierenschädigungen ger als 60 g/Tag) • bestimmte Medikamente (sog. ACE-Hemmer, wie z. B. Delix) das Fortschreiten aufgehalten werden. Da Insulin und Zuckertabletten über die Niere ausgeschieden werden, kann es bei einer Nierenschädigung zu Unterzuckerungen kommen. Makroangiopathie (Arteriosklerose = Blutgefäßverkalkung) Die Makroangiopathie ist die häufigste chronische Komplikation bei Diabetikern und Haupttodesursache. Im Gegensatz zur Mikroangiopathie unterscheiden sich die Veränderungen nicht von denen bei Nicht-Diabetikern - jedoch im Vergleich mit Nicht-Diabetikern • beginnt die Arteriosklerose früher • ist stärker ausgeprägt • weniger umschrieben sondern „diffus“ (d. h. weniger einengend, betrifft eher längere Gefäßabschnitte); bevorzugt sind dabei die kleineren und mittleren Gefäße • ist das Erkrankungsrisiko bei Frauen mit Diabetes stärker erhöht als bei Männern. Besonderheiten der Arteriosklerose bei Diabetikern Kapitel 10 Folgeerkrankungen 65 Neben dem erhöhten Blutzucker spielen noch andere Faktoren eine Rolle. • Fettstoffwechselstörung • Bluthochdruck • Hyperinsulinismus (= erhöhter Insulinspiegel im Blut) infolge eines verminderten Ansprechens der Zellen auf Insulin (Insulinresistenz) • Übergewicht und Bewegungsmangel • Nikotin • eine erbliche Veranlagung Ursache der Blutgefäßverkalkungen Mehr als 80% der Typ 2 Diabetiker weisen eine Kombination mehrerer dieser Faktoren auf, wobei man von einem „metabolischen Syndrom“ spricht. Die Behandlung der einzelnen Störungen kann die Entwicklung einer Makroangiopathie bremsen: ü Bluthochdruck ist beim Typ 2 Diabetes im Gegensatz zum Typ 1 Diabetes bei Diagnosestellung häufig schon vorhanden. Neue Studien haben gezeigt daß eine Senkung des Blutdruckes bei Diabetikern auf niedrige Werte (bei älteren am besten auf 130/85 mmHg, bei jüngeren auf 120/80 mmHg) zu einer dramatischen Abnahme von Herz-Kreislauferkrankungen Behandlung des Bluthochdrucks und Todesfällen führt. Für den Diabetiker gibt es dabei keinen unteren Grenzwert: er hat auch noch von einem Absenken des „unteren Blutdruckwertes“ auf 60 mmHg einen Nutzen. Diese Maßnahme ist bezüglich der Folgeerkankungen fast wirkungsvoller als die Blutzuckersenkung. Bei den meisten Patienten ist eine Kombination verschiedener Hochdruckmittel notwendig. Eine Blutdruckselbstmessung ist zum Erreichen dieser Ziele sinnvoll. ü Fettstoffwechselstörung Die Fette sind bei Diabetikern so verändert, daß sie mehr zur Gefäßverkalkung als bei Nicht-Diabetikern führen. Der Typ 2 Diabetiker hat bei Diagnosestellung meist schon eine zumindest beginnende Herzkranzgefäßverkalkung. Deshalb muß ein Diabetiker mit einer Fettstoffwechselstörung so wie Behandlung der Fettstoffwechselstörung Kapitel 10 Folgeerkrankungen 66 ein Nicht-Diabetiker behandelt werden, der bereits einen Herzinfarkt hatte: das LDL-Cholesterin muß auf < 100 mg/dl gesenkt werden ! Die Neutralfette („Triglyceride“) sollen bei < 150 mg/dl. liegen. Oft sind dazu Medikamente notwendig. Die oben angeführten Risikofaktoren bestehen schon bevor der Patient diabetisch wird (d.h. erhöhte Blutzuckerwerte hat) und führen zur Verkalkung der großen Blutgefäße (Makroangiopathie) mit einer möglichen Entwicklung einer Herzkranzgefäßverkalkung, einer Verkalkung der Hirngefäße oder der Gefäße von Armen und Beinen. ü Blutzucker In dem Augenblick, wo der Patient diabetisch wird kommt noch das Risiko einer Verkalkung der kleinsten Blutgefäße (Mikroangiopathie) mit möglicher Schädigung von Nerven, Augen und Nieren hinzu. Die Entwicklung der Mikroangiopathie kann durch eine gute Blutzuckereinstellung vermindert werden. Es hat sich in letzter Zeit herausgestellt, daß möglicherweise Blutzuckerspitzen nach dem Essen ein besonderer Risikofaktor für die Makroangiopathie zu sein scheinen – solche Blutzuckerspitzen können mit einem normalen HbA1c-Wert einhergehen, da nur 1 – 2 Stunden anhaltende Blutzuckererhöhungen nicht das HbA1c beeinflussen. Koronare Herzkrankheit Bei Diabetikern kann die Schmerzreaktion des Herzmuskels auf eine Minderdurchblutung (der „Herzschmerz“ oder Angina pectoris) vermindert sein oder fehlen („stumme“ Minderdurchblutung). Im Vergleich zu Nicht-Diabetikern kommt es häufiger auch zu einer Herzmuskelschwäche und die Sterblichkeit beim Herzinfarkt ist größer. Durch eine Schädigung der unwillkürlichen Herznerven treten häufiger auch Herzrhythmusstörungen auf. Zerebralsklerose Kann zum Schlaganfall (Apoplex) führen. Das Ausmaß der Schlaganfälle ist größer und dauerhafte Schädigungen sind Verkalkung von Herzkranzund Gehirngefäßen Kapitel 10 Folgeerkrankungen 67 häufiger als bei Nicht-Diabetikern bei doppelt so hoher Sterblichkeit. Hauptrisikofaktor ist der Bluthochdruck. Arterielle Verschlußkrankheit der Beine Sog. „Schaufensterkrankheit“: durch die Durchblutungsstörungen kommt es beim Gehen zu Schmerzen, so daß die Patienten immer „Schaufensterwieder stehen bleiben müssen. Bei Diabetikern sind vor allem Blut- Krankheit“ gefäße im Unterschenkelbereich betroffen. Ein besonderes Problem: Das „Diabetische Fußsyndrom“ Das diabetische Fußsyndrom, auch kurz „diabetischer Fuß“ genannt, ist eine Folgeerkrankung eines schlecht eingestellten Diabetes und besteht aus mehreren Symptomen, d. h. aus verschiedenen gleichzeitig auftretenden Krankheitszeichen. Drei Faktoren treffen bei der Ausbildung des diabetischen Fußsyndroms oft zusammen: 1. Die Polyneuropathie, d. h. die Schädigung der Nerven durch bestehenden Diabetes 2. Die Durchblutungsstörung der Gefäße in den Beinen. 3. Eine zusätzlich eintretende bakterielle Infektion in einer Wunde Durch die Nervenschädigung (Polyneuropathie) ist das Schmerzempfinden gestört oder ganz ausgefallen, so dass durch Druck, Stoß und Hitze sehr leicht Wunden entstehen können, die aber aufgrund der Schmerzunempfindlichkeit lange nicht bemerkt werden. Diese Wunden können dann infolge der schlechten Durchblutung nicht gut heilen, und durch zusätzliche Besiedelung von Bakterien, d. h. durch eine Infektion, kommt es zu einer Wundheilungsstörung. Die Infektion kann sowohl die oberflächlichen Haut- und Gewebeschichten betreffen als auch die darunter liegenden Gelenke und sogar sogar bis zum Knochen reichen. wie entsteht ein „diabetischer Fuß“ ? Kapitel 10 Folgeerkrankungen 68 Typische Zeichen der Nervenschädigung: · Warme, trockene, rosige, gut durchblutete Haut · Verhornung der Fußsohle · Pilzerkrankung am Nagel · Ausbildung von Druckstellen Entwicklung von Plattfüßen und anderen Veränderungen des Fußgewölbes · Schwellung im Bereich des Sprunggelenkes · Sensibilitätsstörungen mit Ameisenkribbeln und Taubheitsgefühl · Mißempfindungen in den Füßen, z. B. wird Kälte wahrgenommen, obwohl bei der Betastung die Füße warm sind · Unsicherheiten beim Gehen Zeichen einer · Besonders in Ruhe auftretende Schmerzen. Meist treten die diabetischen Nervenstörung Schmerzen nachts auf und sind brennend. Der Schmerz wird an den Füßen gemindert, wenn der Betroffene sich bewegt oder wenn die Füße gekühlt werden · Bei fortgeschrittenem Stadium werden Schmerzen fast gar nicht mehr wahrgenommen, was ein besonderes Problem darstellt, da weder zu enges Schuhwerk noch zugefügte Verletzungen und Wunden gespürt werden. Anders sieht es bei den Anzeichen der Durchblutungsstörung aus: · Die Füße sind kalt · Der Puls im Bereich des Mittelfußes ist nur schwach spürbar · Die Haut ist durch die Durchblutungsstörung blaß, manchmal sogar Zeichen einer diabetischen · Schmerzen stellen sich ein im Bereich der Waden beim Gehen Durchblutungsstörung der ein Füßen · Es kommt zu Krämpfen im Bereich der Wadenmuskulatur leicht bläulich verfärbt. · Die genannten Wadenschmerzen und Krämpfe mildern sich oder hören auf, wenn das Gehen unterbrochen wird. Man spricht auch von der sogenannten „Schaufensterkrankheit“. · In Ruhe und im Liegen bessern sich die Schmerzen · Verletzungen, Druckstellen und Wunden im Bereich der Füße sind schmerzhaft. Kapitel 10 69 Folgeerkrankungen Tips für gesunde Füße beim Diabetes mellitus: Gute Fußpflege bedeutet: - täglich waschen - gut abtrocknen - täglich cremen (Zehenzwischenräume aussparen, damit keine feuchte Kammer entsteht) - Bimsstein verwenden (damit keine Hornhautplatten entstehen) - abgerundete Feile (bei regelmäßiger Anwendung reicht eine Feile zum Kürzen der Zehennägel) - Baumwollstrümpfe - tägliche Fußinspektion Merkmale einer guten Fußpflege bei Diabetikern - gesunde Schuhe Vorsicht ist geboten: - keine Wärmeflaschen oder Heizkissen - keine Hornhautpflaster (sie enthalten ätzende Stoffe, die zu Verletzungen führen können) - nicht barfuß gehen (Verletzungsgefahr wegen der Gefühlsstörung) - nicht zu heiß baden (Wassertemperatur mit dem Thermometer messen, da oft das Temperaturempfinden gestört ist) - nicht Rauchen - keine spitzen oder scharfen Pflegeinstrumente wovor man sich hüten sollte - keine engen Schuhe Wann paßt der Schuh ? - nackten Fuß auf ein Stück Pappe stellen — den Umriß aufzeichnen und als Schablone ausschneiden — diese Schablome in den Schuh einlegen oder auf die Sohle legen: wenn die Schablone nicht passt, ist der Schuh zu klein - sind Ausbeulungen erkennbar ? - sind Innennähte fühlbar ? - sind die Sohlen abgelaufen ? - faltige Innensohle ? - tägliche Schuhinspektion auf Fremdkörper ! Merkmale eines guten Schuhes für Diabetiker Kapitel 10 Folgeerkrankungen Medizinische Fußpflege - Entfernen übermäßiger Verhornungen - Entfernen von Hühneraugen - Entfernen von eingewachsenen Zehennägeln 70 Aufgaben einer guten Fußpflege bei Diabetikern - Kürzen der Nägel Was soll man bei der Behandlung nicht machen (lassen) ? - selbst behandeln - „Finger weg !“ - abwarten: „sofort zum Arzt !“ - also nicht erst beim nächsten Termin - der diabetische Fuß ist ein Notfall wie der Herzschmerz - zuerst „operieren lassen“ - „abgeschnitten ist schneller als nachgewachsen“ - zu frühe Belastung - „Druckentlastung !“ - Salben etc. - systematisches Schaffen der Voraussetzungen für eine Wundheilung was durch den Arzt sorgfältig geplant werden muß und evtl. Wochen, ja sogar Monate dauern kann auf was bei der ärztlichen Versorgung geachtet werden muß