Predigttext Lukas 18,9-14: (Luther-Übersetzung) Predigtreihe zu unbekannten Gleichnissen aus dem Lukasevangelium (3/5) Predigt vom Reformationssonntag, 4. November 2012 über Lukas 18,9-14: „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“ Das Bild wird aus Urheberrechtsgründen in der Online-Version entfernt. 9 Er sagte aber zu einigen, die sich anmassten, fromm zu sein, und verachteten die andern, dies Gleichnis: 10 Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. 11 Der Pharisäer stand für sich und betete so: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner. 12 Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme. 13 Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig! 14 Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden. Predigt Liebi Gmeind Ums Jahr 1513 in Wittenberg z‘Dütschland: E junge Mönch und Doktor vo de Theologie isch vo Zwiifle zerrisse. Er gspürt, dass er Gott ned cha gnüege. Er gspürt, dass er sündig isch und Gottes Zorn verdient het. Er merkt, dass er so vor Gott ned cha bestoh. Er fragt sich: „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“ Dä jung Mönch isch de Martin Luther gsi, de später Reformator vo de Chile. S’Nochedenke über Gott het ihn zu Frage und Glaubenszwiifel gfüehrt. Er het gwüsst, dass er schuldig isch vor Gott und kei Gnad verdient het. Und darum het er sich gfragt: „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“ Zwar het er d’Antworte vo sinere Ziit scho kennt: Wer sich d’Gnad vo Gott wott erarbeite, dä söll gueti Werch tue. Und wer s’Gfüehl het, dass das noni längt, dä cha sich en Ablassbrief chaufe. Zu dere Ziit het de Ablasshandel floriert: Päpstlichi Gsandti sind dur s’ganze Land zoge und händ Ablassbriefe verchauft. Das Ablasswese het folgendermasse funktioniert: Die viele Heilige vo de vergangene Jahrhundert händ es sones guets Lebe gfüehrt, dass sie „überschüssigi“ gueti Werch toh händ. Das heisst: Sie händ no meh gmacht, als eigentlich nötig gsi wär, zum sich de Himmel z’verdiene. Und vo dene überschüssige guete Werch chöne jetz alli andere Mensche, also die „Normalsterbliche“ profitiere. Wer gnueg Geld het, cha en Ablassbrief chaufe und so sini Ziit im Fegfüür verchürze. Und mit em Geld, wo me dodefür zahlt het, het de Papst de Petersdom z’Rom baue. De Martin Luther het die Möglichkeit vom Ablass kennt. Aber sie het ihn ned befriediget. Denn i de Bible het er weder vom Ablass no vo überschüssige guete Werch öppis glese. De Martin Luther isch überzügt gsi: Die guete Werch vo de Heilige nütze mir nüt. Ich stoh ganz eleigge vor Gott. Und darum heisst d’Frag: „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“ Au s’Gliichnis, wo Jesus verzellt het, git en Antwort uf die Frag: „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“ Es git sogar ned nur ei Antwort, sondern zwei Antworte: D’Antwort vom Pharisäer und d’Antwort vom Zöllner. Föhnd mir bim Pharisäer aa. D’Pharisäer sind e jüdischi Gruppierig gsi, wo s’Gsetz sehr gnau kennt und streng befolgt het. Sie sind so streng gsi, dass sie sogar no meh gmacht händ, als vorgschriebe gsi wär. So au de Pharisäer im Gliichnis: Er seit vo sich selber, dass er zweimal i de Woche fastet (V.12). Vorgschriebe gsi isch aber nur eimal faste im ganze Jahr (Lev 16,29ff). De Pharisäer het also öppe hundertmal meh gfastet als vorgschriebe. Wiiter seit de Pharisäer vo sich, dass er vo allem, was er iinimmt, de zeht Teil abgit (V.12). Au das isch meh gsi als s’Gsetz befiehlt. Wenn de Pharisäer uf em Märt zum Biispiel Gmües kauft het, so hätt er eigentlich dodevo de zeht Teil nümm müesse abgäh, wil das bereits de Verchöifer gmacht het. Aber de Pharisäer het’s trotzdem toh, zur Sicherheit! So händ d’Pharisäer dur ihri piinlich genaui Gsetzeserfüllig nach ihrere Meinig chönne sicher sii, dass sie i Himmel chöme, beziehigswiis, dass sie e gnädige Gott händ. De Pharisäer het sich also als gerecht chönne aaluege. Aber isch er das würklich gsi? Am Pharisäer sis Gebet isch es Dankgebet: „Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme.“ (V.11f) De Pharisäer danket Gott – erstens für das, won er selber isch, und zweitens für das, won er tuet. 1. Er danket für das, won er isch. De Pharisäer vergliicht sich mit de Räuber, de Ehebrecher und au dem Zöllner, wo zuefällig grad zur gliiche Ziit wien er im Tempel am Bätte isch. Er danket Gott, dass er besser isch als die. Das Gebet erschiint öis zu Recht als hochmüetig. Allerdings isch es zu dere Ziit unter de Rabbiner ned unüblich gsi, so z’bätte. Es bekannts rabbinisches Gebet us dere Ziit luutet folgendermasse: „Gepriesen sei der Herr, der mich nicht als einen Heiden geschaffen hat, denn alle Heiden sind nichts vor ihm. Gepriesen sei er, dass er mich nicht als Frau geschaffen hat, denn Frauen sind nicht unter der Forderung, das Gesetz zu erfüllen. Gepriesen sei er, dass er mich nicht gemacht hat als ungebildeten Mann, denn der ungebildete Mann ist nicht darauf bedacht, Sünden zu vermeiden.“ (Rabbi Jehuda, Tosephta Berakot VII, 18; 2. Jh. n.Chr.; zitiert nach Eduard Lohse, Umwelt des Neuen Testaments, S.108) Mir gsehnd also: Die Gebetsart vom Pharisäer, wo öis doch sehr befremdet, isch nüt unbekannts gsi. De Pharisäer isch us sinere Sicht überzügt, dass er besser isch als alli andere, und danket Gott defür. I Tat und Wahrheit isch es natürlich nur e Selbstbeweihröicherig, was de Pharisäer da macht. Wie wenn mir öis selber uf d’Schultere chlopfe. 2. De Pharisäer danket für das, won er tuet. Ebe: Für sini guete Werch, für sini Gsetzeserfüllig, wo no über das usegoht, won er muess tue. Ich frage mich: Muess me für das danke? Ja, cha me für das überhaupt danke? Es isch ja en eigeni Leistig, wo de Pharisäer vollbracht het. Und er isch erst no stolz druuf. Sini üsser Gsetzlichkeit macht de Pharisäer blind für sini Sünde. Es isch ja mit Sicherheit so, dass au de Pharisäer ned perfekt isch! Mir gsehnd das scho i dem Gliichnis: De Pharisäer denkt und redet schlecht über anderi Mensche. Dodemit wird er selber schuldig vor Gott und vor sine Mitmensche. Au er hätt Vergebig nötig, aber er merkt’s ned. „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“ De Pharisäer würd zur Antwort gäh: Dur das, won ich bi und dur das, won ich tue: Dur mis Sii und mini Leistig. Andersch goht’s ned. Ganz andersch de Zöllner im Gliichnis: D’Zöllner sind de krassist Gegesatz zu de Pharisäer gsi, wo me sich het chönne vorstelle bi de Jude. Sie händ als grossi Sünder gulte. Denn sie händ erstens mit de römische Bsatzigsmacht zämegschaffet, mit de Heide also, und händ zweitens viel Geld i ihri eiget Täsche gwirtschaftet. Darum het me d’Zöllner ghasst. Interessant isch, dass Jesus mit em Matthäus selber en ehemalige Zöllner unter sine Jünger gha het. Jesus het d’Problem vo de Zöllner kennt. Trotz sim wenig fromme Lebenswandel chunnt au de Zöllner wie de Pharisäer i Tempel cho bätte. Aber er isch kei routinierte Bätter. Er weiss gar ned recht, wien er söll aafoh. Sini Gebetshaltig zeigt: Er schämt sich und het Angst vor Gott. Er getraut sich ned, zu Gott ufz’luege. Er schloht sich a d’Brust, wie wenn er i grosser Truur wär. Am Zöllner sis Gebet isch es Bittgebet. Er bittet churz und bündig: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“ (V.13) De Zöllner het erkennt: 1. Erstens: Dass er e Sünder isch. Die Erkenntnis isch ihm ned schwer gfalle. Denn es händ’s ihm ja alli gseit oder indirekt z’verstoh gäh, inklusive de Pharisäer, wo gliichziitig mit ihm am Bätte isch. Wie andersch isch es hüt! Die meiste Lüüt halte sich hützutags ned für Sünder. Zwar sind sie sich bewusst, dass sie immer wieder Fehler mache, aber das dunkt sie ned so schlimm. Denn es macht ja jede Fehler. Und s’Wort „Sünd“ isch sowieso praktisch verschwunde us öisem Sprachgebruuch. 2. Zweitens erkennt de Zöllner, dass Gott ihm cha vergäh. Au wenn er theologisch über kei grossi Bildig verfüegt und sicher nur e Bruchteil weiss vo dem, wo de Pharisäer weiss, trotzdem isch sich de Zöllner sicher: Wenn nöime Gnad und Vergebig z’finde isch, denn bi Gott. Au das Wüsse chunnt de Gsellschaft hüt abhande. S’Problem vo de Schuld wird hüt andersch glöst: Dur Verdränge oder durs Iirede, dass es ned so schlimm isch. Dass aber Gott für d’Vergebig zueständig isch, isch vielne Mensche unbekannt. De Zöllner aber vertraut Gott. I sinere Verzwiiflig lieferet er sich ganz Gott us. Sini Wort züüge vomne uniigschränkte Vertraue uf dä, wo als einzige ihm cha helfe. „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“ De Zöllner würd zur Antwort gäh: Mini einzig Chance isch, dass i Gott ganz vertraue, denn ich selber cha nüt vorwiise vor Gott. A dere Stell bricht s’Gliichnis ab. Jesus seit dezue: „Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener.“ (V.14) Also: De Zöllner isch vo Gott grecht gsproche worde, de Pharisäer ned. Oder andersch gseit: De Zöllner het Gottes Gnad erfahre. De Martin Luther het wie de Zöllner erkennt: Uf mini Werch chan i mir gar nüt iibilde. Sie mache mich ned gerecht vor Gott. Gott isch gnädig, wenn mir öis ihm usliefere und ihm vertraue. Glaube heisst vertraue. Jesus Christus, wo das Gliichnis verzellt het, het selber die nötig Vergebig erwirkt dur si Tod am Chrüüz. „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“ Eleigge dur de Glaube, sola fide, wie de Luther gseit het, ned dur d’Werch oder dur d’Leistig. Das isch die wichtig Erkenntnis gsi vom Reformator, wo denn e ganzi Lawine vo Ernöierige usglöst het im wiitere Verlauf vo de Reformationsgschicht. Hützutags sind mir Reformierti hüüfig meilewiit entfernt vo dene Erkenntnis vo de Reformation. I Gspräch stell ich ned selte fest, dass vieli ganz normali, traditionelli Gmeindsglieder ehner amne Leistigsdenke verhaftet sind. Es isch hüt nümm klar, was die wesentliche Grundlage vom reformierte Glaube sind. Umkehrt glaube viel Katholike reformierter als Reformierti. Ich halte’s für wichtig, dass mir öis immer wieder zruggbsinne uf die wichtige erste Erkenntniss vo de Reformation. Für das isch ja au de alljährlich Reformationssonntig da. Zwei Buebe händ einisch gmeinsam e Bootsfahrt uf emne grosse Fluss unternoh. Da sind sie in e gfährliche Strudel grate. Ihres Boot isch mit unheimlicher Chraft umenandgwirblet worde. Die beide Buebe händ um ihres Lebe kämpft und händ um Hilf grüeft. Vom Ufer us isch de Unfall beobachtet worde. Do sind Manne änegrennt und händ es längs Rettigsseili i Fluss grüehrt. Beidi Buebe händ i ihrere Todesangst nach emne Halt gsuecht. Der eint Bueb het sich as Boot klammeret, doch er isch mit em Boot i d’Töifi abezoge worde und isch vertrunke. Der ander het nach em Seili griffe und isch so as rettende Ufer zoge worde. Nur s’Seili isch de richtig Halt gsi. S’Boot isch vom Wasser verschlückt worde. Es längt ned, sich am eigete Lebensschiff festz’halte. Es längt ned, sich uf die eigete Leistige und guete Werch z’verloh. Gott streckt öis i Jesus Christus sini rettend Hand entgege. Es isch d’Hand vo de Gnad. Mit öisere Hand, de Hand vom Glaube, chöne mir Gottes Hand ergriife. So het’s de Zöllner im Gliichnis gmacht, so het’s de Martin Luther gmacht, aber au scho vor und denn au nach ihm Millione vo andere Mensche. D’Gnad vo Gott und öise Glaube – das isch de richtig Halt im Lebe. Amen Pfarrer Christian Bieri