LESERFORUM Freie Presse Mittwoch, 14. Januar 2015 LESEROBMANN Für die Menschen REINHARD OLDEWEME TELEFON: 0371 656-65666 (10-12 Uhr) TELEFAX: 0371 656-17041 E-MAIL: [email protected] E ine Woche nach den schrecklichen Ereignissen in Paris fällt es mir immer noch schwer, mein Denken und Handeln nicht davon beeinflussen zu lassen, dass dieser Terrorakt mich persönlich tief getroffen hat. Auch wenn es mir schwerfällt, meine Gefühlslage an diesem Tag und auch heute richtig zu begreifen und in Worte zu fassen, so will ich es doch versuchen, weil ich von etwas berichten möchte, was ich mit Lesern erlebt habe. Ich war und bin schockiert und unsagbar traurig angesichts des Terroraktes gegen die französische Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“, bei dem von zwei Attentätern zwölf Menschen getötet und mehrere Personen schwer verletzt wurden, sowie der Geiselnahme zwei Tage später in dem jüdischen Supermarkt, bei der vier Personen ums Leben kamen. An diesem Mittwochabend ließ ein Gedanke mich nicht zur Ruhe kommen, von dieser mir Angst machenden Vorahnung konnte ich mich nicht befreien, ich habe diese Frage nicht mehr aus dem Kopf bekommen, sie mir unentwegt gestellt: Was erwartet mich am nächsten Tag am Telefon und im Mailpostfach an Meinungen und Kommentaren von Lesern? Werden sie diesen schrecklichen Terrorakt in Paris dazu nutzen wollen und entsprechende Versuche starten, den in jüngster Zeit vielerorts geschürten Ängsten vor einer vermeintlich drohenden Islamisierung unser Landes noch mehr Nahrung zu geben? Nur die eine Antwort auf diese Frage hat mich bewogen, dieses Thema in meiner Kolumne aufzugreifen. Denn ich wollte sie nicht für mich behalten, sie mit Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, teilen. Denn was ich am Telefon erlebt habe und im Mailpostfach lesen konnte, ist für mich eine gute Nachricht. Sie gibt Anlass zu der Hoffnung, dass bei dieser seit Wochen kontrovers und vor allem mit viel emotionaler Wucht geführten Debatte der gesunde Menschenverstand und das Vertrauen auf ein menschliches Miteinander eine Chance erhalten, zumindest nicht aus den Augen verloren zu werden. Meine Zuversicht, dass dies der Fall sein wird, ist ungebrochen, auch wenn ich gestehen muss, dass das für mich auch eine Woche nach dem grausamen Terrorakt in Paris – wenn überhaupt – nur ein kleiner Trost sein kann. Denn meine Nachricht lautet: Es gab keinen einzigen Anruf, kein Leser hat mir eine Mail geschrieben, in der dieses grausame Geschehen genutzt wurde, um beispielsweise für die Richtigkeit der Thesen von antiislamischen Bewegungen seine Stimme zu erheben. Die Trauer und das Mitgefühl für die Opfer des schrecklichen Anschlags und ihre Hinterbliebenen hat derartige Stimmen für kurze Zeit verstummen lassen. Weil ich an einer Schnittstelle innerhalb dieser Debatte sitze und von beiden Seiten viele Meinungsbeiträge erhalte, nehme ich mir das Recht, dies anzumahnen: Denken wir immer zuerst an die Menschen, an ihr Leid, an ihre Ängste und Hoffnungen – unabhängig von ihrer Herkunft und ihrer Konfession. Das verstehe ich unter Mitmenschlichkeit. HINWEIS Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe sinnwahrend zu bearbeiten. Leserbriefe geben stets die Meinung ihres Verfassers und nicht die der Redaktion wieder. E-Mails müssen die vollständige Adresse enthalten. Anonyme Zuschriften werden grundsätzlich nicht veröffentlicht. Briefkasten Freie Presse, Ressort Chef vom Dienst Postfach 261 09002 Chemnitz. Fax: 0371/656-17041 E-Mail: [email protected] Seite B1 Schwerer Schlag gegen Meinungsfreiheit kennbar sein – und sie muss einen satirisch zu betrachtenden Wahrheitsgehalt haben. Das alles erfordert ein gewisses Niveau; ein Niveau, das die französische Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ und auch deren dänisches Satire-Pendant „Jyllands-Posten“ mit ihren Mohammedkarikaturen unbestritten haben. Nun ist es einfach, als Nichtgläubiger festzustellen, dass gläubige Menschen Satire aushalten müssen. Aber erstens sind Glaubensrichtlinien nicht übertragbar, und das heißt, wenn ich nicht gläubig bin, darf ich mich darüber lustig machen, – und zweitens gibt es den Tatbestand der Gotteslästerung in Frankreich per Gesetz wohl nicht. Albrecht Krenbauer, Chemnitz Zu den Berichten und Kommentaren über die schrecklichen Terrorakte in Paris haben uns viele Leserbriefe erreicht. Dies sind Auszüge aus einer ersten Auswahl davon. Einschläge kommen näher Die Zeit ist meiner Meinung nach längst überfällig für Diskussion und Umgang mit dem komplexen Herrschaftssystem Islam. Die Einschläge kommen immer näher, Frankreich ist mit diesem Problem schon stärker konfrontiert, weil die Masseneinwanderung in dem Land schon viel früher begann, bedingt durch die Kolonialzeit. Auch die Tatsache, dass mit der Einwanderung beziehungsweise Asyl im Wesentlichen das Konfliktpotenzial nun auch hier ankommt, sind doch überwiegend die Ankommenden aus diesem Kulturkreis beziehungsweise seinem Einfluss. Bedingt durch die Abschottung des Ostens waren die damit verbundenen Probleme im Osten kaum bekannt. Dass unsere Politiker das nun nachholen wollen, stößt bei vielen Mitbürgern zu Recht auf Unverständnis. Wilfried Schmidt, Chemnitz Wir selbst sind verantwortlich Die Terroranschläge von Paris finden weltweite Verurteilung. Auch seitens der Politiker. Keiner von diesen hat jedoch den Mut zu sagen, sie selbst seien die eigentlich Schuldigen an diesen Verbrechen. Wir selbst haben den Krieg in die Länder wie Irak, Libyen, Syrien usw. getragen und damit die Grundlage für den Terror gegen uns geschaffen. Wir selbst sind dafür verantwortlich, dass sich Millionen Menschen auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung befinden und zum Großteil vermeintliche Sicherheit bei uns suchen. Doch hier werden sie oft als Menschen zweiter Klasse behandelt, ohne Perspektive, ohne Zukunft, und einige wenige setzen sich mit Gewalt zur Wehr. Wir selbst sind verantwortlich dafür, dass Unmengen Waffen hergestellt und verkauft werden, um den Konzernen höchste Profite zu garantieren, was letztlich jedoch der Ausbreitung des Terrors weltweit förderlich ist. Mit fadenscheinigen Begründungen will man uns – dem Volk – verdeutlichen, dass „humanitäre Auslandseinsätze“ erforderlich sind. Sieht man genauer Beim Schweigemarsch in Paris trugen Teilnehmer auch einen überdimensionalen Bleistift als Symbol für die Freiheit FOTO: FREDRIK VON ERICHSEN/DPA der Feder auf ihren Schultern. hin, dann will man uns die Kriegsnotwendigkeit begründen. Von den Forderungen der 80er-Jahre nach „Frieden schaffen ohne Waffen“ sind die Politiker mit ihren Handlungen heute weit entfernt, auch wenn sie immer wieder beteuern, alles für den Frieden zu tun. Dietmar Hänel, Flöha Zu Recht auf Defizite hinweisen Die schrecklichen Ereignisse in Frankreich lassen Politiker, Integrations- und Kommunikationswissenschaftler sowie Vertreter verschiedenster Islamverbände gebetsmühlenartig postulieren, dass der Islam friedfertig ist – zumindest 90 Prozent der Muslime bejahen die westliche Lebensweise. Die restlichen zehn Prozent stellen mit 40.000 Personen in Deutschland und davon rund 500 Gefährdern allerdings ein Potenzial dar, die den Islam als Religion mit politischem (!) Anspruch betrachten und die westliche Lebensweise offenbar ablehnen. Sie sind offenbar auch bereit, das mit Terror zu unterstreichen. Ohne Frage kann man der Freund eines Mos- lems sein, nicht aber ein Freund dieser unaufgeklärten Religion mit einem Hasspotenzial, das die Welt erschüttert. Es ist meiner Ansicht nach mithin das legitime Recht aller Demokraten, auf Defizite im Umgang mit Gefährdern hinzuweisen. Es ist deshalb auch dem Bildungsbürgertum schwer vermittelbar, wenn Justizminister Maas die Vorratsdatensammlung ablehnt und den Ermittlungsbehörden ein wichtiges Instrument versagt. Brauchen wir in Deutschland erst einen Anschlag? Wen wundert es, dass Bürgerbewegungen oder Parteien rechts der CSU entstehen, die die etablierten Parteien dann bis ins Mark erschüttern. Achim Tröger, Zwickau Davor nicht Augen verschließen Im Artikel „Beim Freitagsgebet in Chemnitz“ wird meiner Ansicht nach unter anderem zum Ausdruck gebracht, der Terror in Frankreich werde fälschlicherweise dem Islam zugeschrieben. Auf der nächsten Seite wird das widerlegt. Im Artikel „El Kaida will mit Terror im Westen ein Lebenszeichen setzen“ wird geschrieben, dass ein Attentäter Religionsunterricht im Jemen erhalten hat. Auch ohne diese Feststellung ist jedem klar denkenden Zeitgenossen deutlich, dass nicht nur diese, sondern auch IS, El Kaida oder Boko Haram ihre Motivation aus dem Koran beziehen. Bei weitem nicht jeder Moslem ist ein Islamist oder gefährlich. Sie wollen wie alle in Frieden leben. Doch die allermeisten Terroristen sind Moslems. Wer vor Realitäten die Augen verschließt, übertüncht nur Probleme oder fördert sie sogar. Mehr Sicherheit wird nicht durch neue Gesetze oder mehr Polizei auf den Straßen erzeugt. Die Muslime müssen zuerst selbst mit dem Problem des Dschihadismus und gewaltbereiten Islamismus aufräumen. Wenn der Islam eine friedliebende Religion ist, dürfte das kein Problem sein. Günter Schlag, Auerbach/E. Einfach nur für Nichtgläubige Zum Artikel „Man muss es aushalten!“: Natürlich muss Satire gut gemacht sein, sie muss als solche er- Frage: Was das vermeidbar? Zweifelsohne ist dieser Anschlag ein schwerer Schlag gegen die Meinungsfreiheit in ihrer höchsten Form, doch stellt sich einem die Frage: War das vermeidbar? In Reportagen war öfters zu vernehmen, dass Geheimdienste verschiedener Nationen die Attentäter von Paris als höchst terrorverdächtig einstuften, da sie bei Al Kaida und Islamischer Staat ausgebildet wurden und dort als Söldner dienten. Warum folgt man solch bekannten Individuen nicht auf Schritt und Tritt und lässt diese wissen: Wir beobachten euch? Stattdessen lässt man ihnen die Möglichkeit, sich mit Waffen auszurüsten und Anschläge zu planen. Steffen Schubert, Klingenthal Vor allem nach Ursachen suchen Bei allem Entsetzen über diese Ereignisse: Aber wo bleibt die Frage nach den Ursachen für Terror? Es kann kein Zufall sein, wenn Terrorakte überall auf der Welt nur kurz für Aufmerksamkeit sorgen, aber keine politische Wertung erhalten oder diese sogar verschwiegen wird. Tucholsky ist in seinem Geburtsjahr angesagt, vor allem mit Zitaten, die ins Raster passen. Wer wüsste nicht, wie vieles unerwünscht ist. Das Lied der Meinungs- und Pressefreiheit tönen und damit Religionen zu diffamieren und die aufgeheizte Situation noch zu schüren, ist etwas anderes und benutzt wieder mal die Religion, missbraucht sie im Interesse ganz anderer Kräfte. Schon ertönt, dass der Islam (laut einer Studie) nicht nur in weiten Teilen der nichtmuslimischen Bevölkerung in Deutschland als bedrohlich wahrgenommen. Ist nun die christliche Religion wieder die einzige und beste? Roland Winkler, Aue Kein Thema nur für Phrasen und Parolen Die Diskussion über die Pegida-Bewegung ist noch lange nicht abgeschlossen. Die große Zahl der Leserbriefe ist ein Beleg dafür. Dies ist eine weitere Auswahl an Meinungen. Echte Patrioten sicher nicht An den Leserbriefen ist zu erkennen, dass bei den Pegida-Aktionen gelebte Politik und plumpe Parolen zu verzeichnen sind. Sicher kann man an den Zuständen, Parteien, Politikern, Aussagen und Entscheidungen Kritik üben, eine Demokratie muss das aushalten können. Diese Kritiken sollten aber sachlich, konkret, fundiert und mit Respekt sowie vor allen Dingen friedlich vorgetragen werden. Falschmeldungen, verdrehte Tatsachen, Lügen, Unkenntnis und das Schüren von Ängsten sind fehl am Platz. Das hat mit gelebter Demokratie wenig zu tun. Die „europäischen Patrioten“ gehören zum Volk, und unsere Demokratie muss auch sie aushalten können. Jedoch europäische Patrioten sind sie mit Sicherheit nicht. Wenn Pegida den Ruf „Wir sind das Volk“ benutzt, missbraucht sie diese Parole populistisch, denn sie stand in einem anderen Kontext und war Bestandteil einer friedlichen Revolution und einem Ruf nach Freiheit. Bei den Organisatoren der Pegida stehen aber Parolen mit teilweise schon pogromartigem Charakter im Vordergrund. Helmut Kunz, Gersdorf Fragen sind durchaus erlaubt Erschreckend, wie hier die Moralkeule geschwungen wird. Nichts gegen Moral und Empathie, wenn sie nicht nur dazu dienen, Sachlichkeit zu verhindern und Kritikern ein schlechtes Gewissen zu bereiten. Die Regierung will aufklären, sagt aber nichts Konkretes. Zu erkennen ist, dass die Zahl der Asylbewerber auf unabsehbare Zeit in die Höhe schnellt. Laut Uno-Flüchtlingshilfe sind 51 Millionen Menschen auf der Flucht. „Deutschland für alle“ oder dürfen wir auch Immigration verweigern? Heißt Asyl auch Daueraufenthalt? Lassen sich Menschen aus Abraham Lincoln (1809 bis 1865) hätte zur Pegida Folgendes gesagt: Man kann wohl allen Menschen einige Zeit Angst vor dem Islam einreden, und man kann einigen Menschen allezeit Angst vor dem Islam einreden. Aber man kann niemals allen Menschen alle Zeit Angst vor dem Islam einreden. Martin Böttger, Zwickau Die Pegida-Bewegung in Dresden sorgt für Zündstoff. FOTO: H. SCHMIDT/DPA fremden Kulturen mehrheitlich in eine Industriegesellschaft integrieren? Man muss nicht für Pegida sein, um diese Fragen stellen zu dürfen. Denn das ach so reiche Deutschland erleben manche eben nicht so reich. Wer also die Gesellschaft nicht spalten möchte, kann diesem Thema nicht nur Phrasen widmen. Jürgen Schuffenhauser, Chemnitz Frei nach Abraham Lincoln Der große amerikanische Präsident Asylverfahren beschleunigen Das Asylrecht konsequent und zeitnah durchsetzen, politisch Verfolgte genießen Asylrecht, daran darf nicht gerüttelt werden, das ist geltendes Recht und moralische Pflicht. Es gibt aber keine Rechtsnorm, die regelt, dass die Ausländerbehörden sich über Jahre Zeit lassen müssen, um zu entscheiden, ob dem Asylbegehren eines Bewerbers entsprochen werden kann oder nicht. Das Verzögern der Entscheidung ist in meinen Augen eine Form der Menschenrechtsverletzung. Diese muss abgeschafft werden. Eine Beschleunigung der Asylverfahren hätte eine weitere positive Folge. Die Wohlstandsflüchtlinge, die gibt es, auch wenn das manche es leugnen, könn- ten schneller abgeschoben werden. Rudolf Müller, Aue Mehr Politik für die Menschen Da ist die Rede von Unterwanderung durch Rechte, von Volksverhetzung usw. Etwas Wahres ist da sicher dran. Man kann aber auf keinen Fall über 17.000 Menschen pauschal dem rechten Spektrum zuordnen. Die große Mehrheit der Demonstranten will ihren Unmut über die Regierungspolitik zum Ausdruck bringen. Sie haben zwischen den Wahlen dazu nur eine Möglichkeit – auf die Straße gehen. Volksbefragungen zu Themen, die das Volk unmittelbar betreffen, gibt es nicht, weil die Politik Ergebnisse mehr fürchtet als der Teufel das Weihwasser. Das Volk fordert eine klare Regelung zu allen mit der Asylpolitik zusammenhängenden Fragen. Als Antwort der Politiker hört man nur: „Wir müssen den Menschen unsere Politik besser erläutern.“ Viel einfacher wäre es, Politik für die Menschen zu betreiben, dann brauchte man nichts erklären und Pegida hätte keinen Zulauf. Frank Ludwig, Adorf