RAUM I DIE WALLFAHRT. EIN RITUELLER WEG DER LÄUTERUNG UND DER ERKENNTNIS A PEREGRINACIÓN. UN CAMIÑO RITUAL DE PURIFICACIÓN E COÑECEMENTO Pilgern hat sich für uns in eine gefühlsselige Erinnerung an die Orte, die unser Leben und unsere Erinnerung beeinflusst haben, gewandelt. Aber diese Wallfahrt stimmt mit einem religiösen Phänomen im wahrsten Sinne des Wortes überein. Eigentlich erweisen sich alle Formen des Kultes als eine Art Verbindung mit dem Geheiligten. Es gibt sogar Hinweise auf prähistorische Wallfahrten: Von ihnen zeugen Aufzeichnungen in der mesopotamischen sowie ägyptischen und griechischen Kultur. Im christlichen und muslimischen Mittelalter erreicht die Wallfahrt einen Höhepunkt, der bis in die heutigen Tage fortdauert, ebenso wie die Reisen zu den heiligen Orten Indiens oder Chinas. Die Wallfahrt ist ein ritueller Weg, den man allein oder gemeinschaftlich zurücklegt zum Zwecke der Läuterung, der Vervollkommnung oder der Erlösung. Aus dieser religiösen Erfahrung ergeben sich eine Reihe von Verbindungen: Ein unheiliger Ort wird mit einer überirdischen Kraft verknüpft, ein einzelner Reisender verbindet sich mit einer Gemeinschaft und der reale Pilger wird dank der Erfüllung seines Strebens geläutert. Diese Relationen sind es, die die Wallfahrt von anderen Wegstrecken oder Reisen unterscheiden. Damit eine Pilgerfahrt also überhaupt möglich wird, müssen zumindest ein Ort, eine Strecke, die für ein heiliges und physisches Opfer stehen kann und ein geheiligter Zweck vorhanden sein. Der heilige Ort kann verschiedene Formen annehmen: Es kann sowohl ein Baum, eine Quelle, ein Berg als auch irgendeine Stadt oder ein Gotteshaus, in dem Reliquien verehrt werden, sein; ein sichtbarer Punkt für den Kontakt zwischen Menschlichem und Göttlichem. Aber schon auf dem Weg, der eine Metapher des irdischen Lebens darstellt, beginnt ein wahrnehmbarer persönlicher Wandel aufgrund einer Reihe von Riten, die im Moment der Ankunft ihren Höhepunkt erreichen. Dort, wo der Pilger sein Ziel erreicht hat, verwandelt er sich in einen neuen Menschen. Diese Karte ist das Ergebnis einer noch andauernden Forschungsarbeit, die 2003 im Pilgermuseum begonnen wurde. Es handelt sich darum, die verschiedenen Wallfahrtsorte und –wege, die es in der Welt gibt, zu lokalisieren: Ihre Kultorte und –objekte, ihre Feste, ihre Rituale, ihre Geschichte und alles mit dem Sinn jeder Wallfahrt Zusammenhängende sowie die Kultur, aus der sie entspringen. Somit werden auf der Karte zunehmend die Namen der Wallfahrtsorte dokumentiert. Wir wollen auch Sie ermuntern, an diesem Projekt teilzunehmen und Informationen über Wallfahrten an uns heranzutragen, die sich noch nicht auf der Karte befinden. Zu diesem Zweck liegen entsprechende Formulare am Ausgang des Museums aus. Wir danken für Ihre Mitarbeit. 1 Ich kann nicht laufen: 500 Paar Glasschuhe in Richtung Nidaros (Auswahl) Borgny Svalastog Norwegen, 2006 Formgeblasenes Glas Schenkung des Künstlers Die Galsschuhe symbolisieren das Ziel des Weges, durch die sieben symbolisch verwendeten Farben, die für die Universalität der Wallfahrt stehen. Diese Auswahl bildet einen Teil der Installation Ich kann nicht laufen: 500 Paar Glasschuhe in Richtung Nidaros, zu finden in der Ausstellung: 14+1 Stationen. Kontakterfahrungen. Pilgerfahrt nach Grabarka. “Der Berg der 6.000 Kreuze” Cristina García Rodero 1997-1998 s/w Fotografien auf Papier, Schenkunge n des Künstlers Grabarka, “der Berg der 6.000 Kreuze”, ist aktuell das wichtigste Pilgerzentrum der Polnischen Orthodoxen Kirche, obwohl ihn seit einigen Jahren auch katholische Gläubige aufsuchen. Im Ursprung der Heiligung dieses Berges und in der Gründung der geweihten Stätte fließen zwei Traditionen zusammen. Die ältere führt zurück auf das XIII. Jahrhundert, als die Menschen, die dort lebten, durch die Invasion der Tartaren in Angst und Schrecken versetzt wurden und ein Ikonenbild der Verwandlung Christi in ihm versteckten, das nie wieder gefunden werden sollte. Die andere Tradition nahm ihren Ursprung im Jahr 1710, während der Choleraepidemie, die in der Region wütete. Damals hatte ein Dorfbewohner im Traum die göttliche Eingebung, ein Kreuz auf den Gipfel des Berges zu tragen, um erlöst zu werden. Seitdem pilgern sowohl Orthodoxe als auch Katholiken nach Grabarka, um ihr Kreuz einzuschlagen und Wasser aus der wunderbaren Quelle zu trinken. Die Größe des Kreuzes hängt von der Intensität der Opfergabe und der Sühne ab. Wie viele andere Kult- und Wallfahrtsorte auch, ist Grabarka eine Anhöhe, also ein Ort der Offenbarung, verbunden mit dem natürlichen Element Wasser, das wiederum Symbol für die Reinwaschung von der Sünde ist, und mit dem Kreuz, dem christlichen Symbol für die Passion Christi. 2 Pilger in Ajmer (Indien) Nacho Castellanos 1995-1997 s/w Fotografien Schenkunge n des Künstlers Ajmer, eine Stadt im Norden Indiens, in der Region Rajasthan, wurde im XII. Jahrhundert gegründet. Sie ist für 90 Mio. sufistische Muslime des asiatischen Subkontinents ein heiliger Ort. Über 150.000 treue Anhänger aus Indien, Bangladesch, Pakistan und Afghanistan kommen jährlich nach Ajmer und bilden so die größte muslimische Wallfahrt dieser geografischen Zone. Sie gedenken Urs, dem Jahrestag des Todes Khawaja Mo’inudin Chisti (1139-1236), einem heiligen Sufi und Vorbote des Islam in Indien. Bei ihrer Ankunft berühren die Pilger ihre Hände, ihre Stirn und ihre Lippen über einem der Eingangsbögen. Danach, im Verlauf des ganzen Tages hören sie die mystische Musik der Qawwali, während sie sich mit anderen Pilgern Reis und Tee teilen, egal welcher Religion sie angehören. Der Sufismus ist die offenste und toleranteste Strömung des Islamismus. Wallfahrt in Lalibela. Äthiopien Fernando Moleres 2001 s/w Fotografien Schenkungen des Künstlers Lalibela, ein kleiner verlorener Ort im Herzen Äthiopiens, wurde nach dem Bilde Jerusalems gebaut: Mit einem kleinen Fluss, der sich Jordan nennt und einem Hügel, der Tabor genannt wird. Es gibt auch ein herrliches Ensemble von elf Kirchen und einem Kloster, das im XII. Jahrhundert aus dem Stein herausgearbeitet wurde. Der Ursprung dieses Komplexes nimmt in dem Vergiftungstod des Monarchen Lalibela seinen Anfang, wonach ein Engel seine Seele zum Himmel getragen hat, wo er einige wunderbare Bauten betrachten konnte und Gott ihm auftrug, diese auf der Erde zu rekonstruieren. Als seine Seele wieder zur Erde zurückkehrte, erbauten Menschen und Engel gemeinsam Lalibela. Etwa 50.000 Christen der monophysistischen und der koptischen Kultur finden sich dort ein, um zusammen das Weihnachtsfest, das Dreikönigsfest und Ostern zu begehen. Seit acht Jahrhunderten beginnen die Feste jedes Jahr mit verschiedenen Prozessionen der treuen Anhängerschaft jeder der Kirchen. Man versammelt sich auf der Esplanade, um seine Taufe im Wasser des Jordan zu erneuern. Die Tradition besagt auch, dass sich in Lalibela die Bundeslade befinde. 3 Vor der Wallfahrtskirche in Qoyllur Rit’i. Perú Christoph Lingg Mai 2002 s/w Fotografie Die Wallfahrt zum Heiligen Ort des Señor del Qoyllur Rit’i in Peru ist das größte indigene Fest Amerikas und eine der tiefgründigsten Ausdrücke der andinen Religiösität. Das Ritual besteht aus einer Wallfahrt über mehrere Tage während der die Pilger bis zu den Schneegrenzen hinaufsteigen, um das Herz des heiligen Ortes zu erreichen. Eine Vielzahl von Anhängern kommt drei Tage vor dem Fronleichnamsfest in das Tal Sinakara. Die liturgischen Handlungen ereignen sich begleitet von Glockengeläut, Feuerwerken, populären Tänzen und Gesängen. In der Nacht betet man das Rosenkranzgebet und tagsüber werden heilige Messen gefeiert. Am “Día Principal” versammeln sich bis zu 70.000 Pilger, um den festlich-religiösen Weihen beizuwohnen: Prozessionen, folkloristische Umzüge und schließlich die Segnung und der Abschied. Der Weg Kumano. Japan 1999 Farbaufnahmen auf Papier Schenkung der Regierungsbehörde von Wakayama. Japan Ursprünglich war Kumano ein geheiligter Ort, an dem schintoistische Götter der Religion Shinto wohnten. Mit der Verbreitung des Buddhismus wurden diese Götter gleichzeitig zur Fleischwerdung Buddhas anerkannt. Der Weg Kumano wandelte sich somit zu einem Bespiel des religiösen Synkretismus und der Vereinbarkeit beider Religionen. Die Strecke des Weges Kumano beginnt in der Stadt Kyoto und hat eine Länge von 370 km, begleitet von kleinen Kapellen und großen Tempeln. Vom X. bis zum XII. Jahrhundert war seine Blütezeit; damals pilgerten Gläubige aller sozialer Klassen, selbst die kaiserliche Familie. Seit dem XVII. Jahrhundert wurden es immer weniger, was aber in der heutigen Zeit durch eine Wiederbelebung kompensiert wird. Mit diesem Weg vereinigen sich vier Feste in den verschiedenen Jahreszeiten, wobei zwei von ihnen mit dem Feuer als reinigendem Element verknüpft sind. Die Ähnlichkeiten und Parallelen in vielen historischen Gesichtspunkten zwischen dem Weg Kumano und dem Camino de Santiago führten dazu, dass 1998 die offizielle 4 Freundschaftserklärung zwischen der unabhängigen Region Galizien und der Präfektur Wakayama unterzeichnet wurde. Pilger in einem Ghat in Benares (Indien) Luís Baylón 2001 s/w Fotografien Schenkung des Künstlers Benares oder Varanasi ist eine der emblematischsten Pilgerstädte der Welt. Der Hinduismus als meistverbreitetste Religion Indiens und sein starker Einfluss auf das indische Leben patentieren der Stadt den hochheiligen Fluss Ganges. Die Heiligkeit dieses Flusses entspringt schon mit seiner Quelle im Himalaya, aber erst in Benares wird ihm die meiste Ehrfurcht entgegengebracht und seine tiefe Bedeutung erreicht ihren Höhepunkt. Obwohl in Indien alle Flüsse heilig sind, weil sie sich mit der Gottheit und der physischen und spirituellen Fruchtbarkeit identifizieren, indem sie die Felder besprengen und die Seele reinigen, kommt dem Ganges eine besondere Rolle zu, da er als der Ursprung angenommen wird. Es ist Ganga, die Gottheit des Wassers, die ihm das Leben schenkt und die die Asche der Toten aufnimmt, damit sie die Seele des Verstorbenen zu Shiva (Gottheit des Todes) führt und gleichzeitig ihre Wiedergeburt möglich macht. Die Geschichten über die Wallfahrten nach Benares scheinen sich auf das VII. Jahrhundert zu belaufen. Seitdem pilgern tausende Hindu in diese Stadt, um sich in den Wassern des Flusses in einigen terassenförmigen Bereichen, die Ghats genannt werden, zu reinigen, um ihre Opfergabe zu bringen, den geistliche Führern, Sadhus und Gurus zuzuhören und sogar um dort zu sterben. Öllampen I. Jh. n. Chr. Modellierter Ton, wahrscheinlich aus den Katakomben von San Sebastian (Rom) Die Öllampen hatten unter anderem den Nutzen, die Friedhofsgelände zu beleuchten. In den Katakomben, zusammen mit den Grabnischen gab es weitere kleine Lücken oder Konsolen, auf denen sie Platz fanden. Zu ihnen gehörte ein Anzünder (bico-rostrum) für den Docht (ellychnium), der gewöhnlich aus einer Art Wolle, Hanf oder Rizinusfaser aber auch aus Papier oder anderen Materialien bestand und ein Behälter für den Brennstoff, meistens Öl. Reliquienkreuze. Encolpia XII.-XIII. Jh Bronze und Silber Der griechische Eigenname encolpion (“in der Brust”) deutet schon den Zweck dieser Kreuze an. Sie dienten dazu, Reliquien hineinzustecken, die die Pilger häufig aus den 5 wichtigsten Wallfahrtszentren des orientalischen Mittelmeeres (Syrien, Palästina, Ägypten…) mitbrachten, was im Mittelalter vom IV. bis zum XIII. Jahrhundert sehr geläufig war. Sie sind aus zwei Teilen geformt, die durch ein Scharnier verbunden werden, sodass in Innern Platz für die entsprechende Reliquie bleibt. Ein Metallring ermöglicht es, sie an eine Kette oder eine Kordel um die Brust zu hängen. Geschmückt werden sie stets von einem Corpus Christi, der Jungfrau oder den Evangelisten. Der encolpion war gleichzeitig ein christliches Kennzeichen und Devotionalie. Heutzutage gilt der Name dem Kreuz, das die Bischöfe der katholischen Kirche tragen. einen sanften und rhythmischen Ton, der mit dem Gehen des Pilgers harmoniert. Im Buddhismus gibt es vier hauptsächliche Pilgerorte, die sich alle auf das Leben Buddhas in Nepal und Indien beziehen: Lumbini, sein Geburtsort, Sarnath, wo er seine erste Predigt hielt, Bodhgaya, wo er zur Erleuchtung kam und Kushinagar, der Ort, in dem er starb. Das Buch der Fahrt nach Mekka Ca. 1830 Handschrift auf Papier, gebunden, Lederumschlag mit goldener Reliefarbeit Gebetsmühle. Khorten Tibet, XIX. Jh. Holz, Marmor, Türkis und Koralle. Der Khorten oder die Gebetsmühle, ist eines der meistbenutzten Objekte der gläubigen Buddhisten. Es gibt sie in großen Größen an Eingängen von Tempeln; jene für den Handgebrauch werden von den Pilgern genutzt, die sie auf ihre Reise mitnehmen. In den zylindrischen Körper sind mystische Embleme oder Sätze in Sanskrit eingraviert und im Innern befinden sich gewöhnlich einige Zettel mit Texten oder heiligen Invokationen (mantras). Der Zylinder dreht sich um den Stiel, indem die Person ihn immer in Richtung der Sonne antreibt, während sie läuft oder meditiert. Jede Umdrehung steht für die Wiedergabe einer der Sprüche, die er beinhaltet. Diese ständige Bewegung bewirkt Die Wallfahrt nach Mekka, Haddsch, ist für jeden erwachsenen und gesunden, muslimischen Gläubigen nach der Sure 3,93 des Koran eine der so genannten “Fünf Säulen des Islam”. Wenn es die ökonomischen Konditionen und alle restlichen Umstände zulassen, ist eine Pilgerfahrt zumindest einmal im Leben obligatorisch. Es wird um Vergebung aller früherer Sünden gebeten. Eine Person, die den Pilgerweg geht, kann auch im Namen eines anderen kommen, der krank ist oder ihn aus anderen Gründen nicht umsetzen kann. Mekka (Saudi Arabien) war die erste heilige Pilgerstadt des Islam. Die anderen beiden wichtigen Städte sind Jerusalem und Medina, wo sich das Grab des Propheten Mohammed befindet. 6 ALLEGORIEN DER WALLFAHRT Sandalen. Warayi Japan, 1999 Pflanzliche Faser, Schenkung von José Isorna, OFM Sandalen werden häufig von Mönchen und buddhistischen Pilgern verwendet. In diesem Fall sind es Sandalen, die die ZenMönche Kakuju Matsubara aus Tokio und Hakuho Hanahoka, aus dem Kloster Saitama-Ken trugen, um den Camino de Santiago im Heiligen Jahr 1999 zu laufen. Die Wallfahrt wurde in Begleitung zweier japanischer Christen unternommen und zusammen entwickelte man die Initiative, den Ökumenismus zwischen den verschiedenen Religionen und den Frieden zwischen den Menschen zu stärken, wie es eine Schrift konstatiert, die dem Erzbischof von Santiago und dem Prior des Convento de San Francisco ausgehändigt wurde. In Japan gibt es viele Pilgerorte sowohl der buddhistischen als auch der schintoistischen Religion. Drei der wichtigsten sind Ise, Nara und Kumano. Auf dem Landweg von Portomarin. Camiño de Santiago Luisa Rubines 2002-2004 Farbiges Glanzpapier Schenkung des Künstlers AS ALEGORÍAS DA PEREGRINACIÓN Den Begriff Wallfahrt verwendet man in allen Kulturen als Allegorie, um einen Zusammenhang zwischen der physischen Reise eines Individuums, das einen heiligen Ort erreichen möchte und der spirituellen Reise zu beschreiben. Allegorie ist eine Art der symbolischen Verständigung, in der eine reale Tatsache, ein visuelles oder beschriebenes Bild erscheint und eine neue Bedeutung mit verschleiertem oder anderem Charakter erlangt. Manchmal ist sie nur für bestimmte kleine Personengruppen verständlich. Die tatsächliche Reise des Pilgers setzt gleichzeitig eine innere, spirituelle Reise des Charakters voraus. Die physische Tatsache der Anstrengung und des stetigen Wandels, um das Ziel zu erreichen, das die Pilgerfahrt bietet, steht als eine Metapher oder als ein Beispiel, was eine spirituelle Reise sein sollte. Der Zweck dieser Reise ist es, den höchsten Grad der Erkenntnis, der Weisheit, die spirituelle Erneuerung, Ehre, das Paradies oder eine Annäherung an Gott zu erreichen. Demnach finden sich auch in der Kunst, der Literatur, sogar im Spiel viele Beispiele der allegorischen Idee der Wallfahrt. In der christlichen Tradition wird sogar die apostolische Reise mit dem Zweck, die christliche Lehre zu verbreiten, mit der Pilgerfahrt, der Reise in unbekannte Lande, verglichen. Auch der Name Jehova bedeutet der wandernde Gott. Der chinesische Philosoph Lao Tse (ca. 570-490 v. Chr.) gab der taoistischen Religion und Denkweise durch sein Buch Tao Te King, in dem er sich auf Tao als den Weg zur Perfektion bezieht, ihren Ursprung. Buddha (ca. 536-486 v. Chr.) reiste nicht nur durch das ganze Gangestal, um seine Lehre zu verbreiten, sondern vollbrachte gleichzeitig eine innere Reise 7 ins Nirwana oder die Erleuchtung. In seiner Doktrin bezeichnet er den Weg, um die spirituelle Befreiung des Individuums zu erreichen, achtfachen Pfad oder Weg der Acht Stationen. einen Parallelismus mit der Aufgabe der Apostel in ihrer Verbreitung der Lehre Christi, wobei sie alle bis dahin bekannten Wege durchlaufen. Auch die mystische Erfahrung wurde metaphorisch als Reise zu Gott beschrieben. Auf diese Weise beschreiben sie die Muslime der mystischen Strömung Sufi oder arabische Denker des XII. Jahrhunderts wie Avempace (Die Leitung des Einsamen) oder Ibn Tofail (Hay ben Yaqdan). Und genauso drückte es der christliche deutsche Mystiker des XIII. Jahrhunderts Meister Eckhart aus: “Der Weg ohne Wege, wo sich die Söhne Gottes verlieren und sich gleichzeitig finden”. Während Erasmus weiterhin diesen evangelischen Vergleich verfolgte, unterstützte er, wie die meisten viele Humanisten jener Epoche, nicht die religiösen Praktiken des Reliquienkults und des Pilgerns, die als abergläubische Rituale abgetan wurden. Paraphrasis in Novum Testamentum. Peregrinatio...Petri et Pauli Erasmus von Rotterdam Lugduni [Lyon], Sébastien Gryphius, Druckmeister (1542-1544) Buchdruck, bewegliche Lettern, Holzschnitt Ab 1522 übernahm Erasmus die schwierige Aufgabe, die Texte der Evangelien, also die Apostelgeschichte, zu kommentieren und kritische Anmerkungen zu machen, die die Ungenauigkeit der lateinischen Version der Biblia Vulgata aufzeigen sollten. Die Publikation widmete er bestimmten Staatsmännern und Monarchen seiner Epoche, unter anderen Karl V., Heinrich VIII. und Franz I.. Mit der Absicht, ihnen die gute Führung der Welt nahezulegen und die Kämpfe zu beenden, die sich zwischen deren Köngreichen abspielten. 1542 fügte er die Peregrinatio…Petri et Pauli hinzu, die er im ähnlichen Stil wie die Heiligen Schriften schrieb und also wie eine Allegorie der Vergänglichkeit des Menschen. Er etabliert Mandala Nepal, Ende des XX. Jhs. Malerei auf Leinwand Im tantrischen Buddhismus, einer Strömung, die vor allem in Tibet angesiedelt ist, finden wir als meistbenutzte Devotionalie das Mandala, das verschiedene Aspekte Buddhas und seiner Lehre repräsentiert. Ein Mandala ist ein Schema oder strukturiertes Diagramm, das es erlaubt, in ihm meditativ mit Geist und Seele zum Zentrum “zu wandern”, das heißt, bis zum Buddha oder der Repräsentation der Erleuchtung. Mittels der Techniken der Meditation, der rituellen Gesten des Meditierens und Betens und der Mandala, meditiert der Gläubige über die diversen Aspekte Buddhas, bis er eines Tages die Verbindung mit ihm eingeht, das heißt, das Nirwana oder die die höchste Weisheit, die Erleuchtung erreicht und sich von allen seinen Wünschen befreien kann und also auch von allen seinen Leiden. 8 Gänsespiel Interpration, basierend auf einem Original des XVII. Jhs. Zeichnung von Fernández Vitoria, Pos. Heraclio Fournier, Druckerei 1960-70 Lithografie Das traditionelle Gänsespiel hat, wie viele andere Spiele auch, zunächst einen Unterhaltungswert, basiert jedoch auf einem sehr alten Ursprung mit stark symbolischem Charakter. In ihm wird einem spiralförmigem Weg von außen nach innen durch einen dreiteiligen Weg, der durch eine Art Wand oder Zaun getrennt ist, gefolgt. Auf diesem Weg kommt es sowohl zu Situationen der Gegnerschaft (Brunnen, Labyrinth, Gefängnis und sogar der Tod) als auch zu vorteilhaften Situationen (Brücken, Würfel und die Gänse). Es gibt einen Anfang und ein Ende, das nicht der Tod ist, sondern das letzte Kästchen, in dem ein Mädchen und ein Schwan abgebildet sind. Andere Indizien finden wir in seiner Relation mit dem Tempelorden und der Bewahrung der christlichen Pilgerwege, wie auch mit anderen Orden religiös-militärischen Charakters. In diesem Sinne wäre das Gänsespiel eine allegorische und auf den Jakobsweg reduzierte Version. Die dreizehn Gänse wären die Häuser des Tempels, die sicheren Orte, die übereinstimmen würden mit den dreizehn Stationen, die der Codex Calixtinus beschreibt. Der Tod wäre die Grabstätte des Apostel Santiago im Feld 58 und die Stadt eine Gans (Feld 59), aber nicht das Ende des Caminos, was das Schwanenfeld wäre. Das wahre Ende ist Finisterra, symbolisch gesehen die Erneuerung des Gesites, die Ehre, die Höchste Erkenntnis, die Auferstehung. Die physische Identifizierung mit dem Rest der Felder basiert hauptsächlich auf numerischer Symbolik und setzt zum Beispiel die erste Brücke mit der Puente de la Reina gleich sowie den Brunnen mit Castrojeriz oder Carrión de los Condes, das Labyrinth mit der Gegend von León und die Gänse mit Jaca, Pamplona, Estela, Rabanal del Camino oder Triacastela und Santiago, unter anderen. Man spricht bei diesem Spiel von seinem griechischen Ursprung und bezieht sich dabei auf den König Palamedes während des Trojanischen Kriegs. Sowohl die Gans als auch der Schwan werden in der klassichen Welt mit Weisheit konnotiert sowie mit der Schulung der Anfänger in jeglicher Disziplin und auch mit der Sicherheit des Grundstücks, weil sie mit ihrem aufgeregten Geschnatter Alarm schlugen, wenn Fremde auf das Grundstück kamen. 9 Moralisches Theater des Menschlichen Lebens in Hundert Emblemen; mit dem Handbüchlein des Epiktet Kebes, Epicteto Gentil, Enchiridion Otto Van Veen (Vaenius), Paulus Pontius, Graveur Antwerpen (Amberes), Witwe von Henrico Verdussen 1733 Druck auf Papier; Einfassung in Leder, XIX: Jh. Eine weitere Besonderheit der Grafik der Tabula Cebetis ist seine mögliche Verbindung zum Gänsespiel, das einen antiken oder mittelalterlichen Ursprung hat und auch einen hohen symbolischen Gehalt trägt, indem es die Allegorie des menschlichen Lebens als Wallfahrt darstellen könnte, mit seinem Anfang, seinem Verlauf in drei Sektoren, angenehmen und unangenehmen Situationen, dem Tod und einer Ankunft im Paradies oder zur Erkenntnis. Der Text, der den philosophisch-moralischen Dialog beinhaltet, welcher als Tabula Cebetis bekannt ist, ist zurückzuführen auf den Philosophen Kebes, der ihn im I. Jh. v. Chr. schrieb. Die Moralphilosophie, die er behandelt, lässt sich herleiten aus dem greco-lateinischen Stoizismus, der Werte konstituiert, die auch im Christentum zu Geltung kamen. Der Dialog präsentiert das Leben des Menschen in einer allegorischen Form, indem es wie eine Wallfahrt auf der Erde dargestellt wird. In der Zeit des Humanismus der Renaissance wurde der Text um eine grafische Repräsentation ergänzt. Der Allegorie wird die Form eines aufstrebenden Weges gegeben, der durch Mauerwände in drei Abschnitte geteilt ist. Sie stellen den Lebenslauf des Menschen dar von seiner Kindheit an und mitsamt seiner Vielzahl von Entscheidungen, seinem Wohl und Leid, dem Wandel seines Lebens und stets in Konfrontation mit dem Schmerz, mit der Läuterung oder dem Leiden. Jene, die bereit waren, den ganzen Weg zu gehen (dargestellt als Wanderer in der damaligen Pilgerkleidung), erreichen ein Bauwerk in Form eines Tempels, der gleichzeitig die Ehre, die Weisheit und die Erkenntnis symbolisieren kann. 10