Ev. Kirchengemeinde Hegensberg-Liebersbronn Gottesdienst am

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Ev. Kirchengemeinde Hegensberg-Liebersbronn
Gottesdienst am 20. September 2015, 16. S. n. Trinitatis
Predigt: Bernd Schwemm
Text: Johannes 11, 1 – 4, 17 – 27, 40 – 45
Eingespielt am 21. September 2015
Joh. 11, 1 -4, 1727, 40 – 45
Die Auferweckung des Lazarus
1 Es lag aber einer krank, Lazarus aus Betanien, dem Dorf Marias und ihrer Schwester Marta.
2 Maria aber war es, die den Herrn mit Salböl gesalbt und seine Füße mit ihrem Haar
getrocknet hatte. Deren Bruder Lazarus war krank.
Da sandten die Schwestern zu Jesus und ließen ihm sagen: Herr, siehe, der, den
du lieb hast, liegt krank.
4 Als Jesus das hörte, sprach er: Diese Krankheit ist nicht zum Tode, sondern zur
Verherrlichung Gottes, damit der Sohn Gottes dadurch verherrlicht werde.
17 Als Jesus kam, fand er Lazarus schon vier Tage im Grabe liegen.
18 Betanien aber war nahe bei Jerusalem, etwa eine halbe Stunde entfernt.
19 Und viele Juden waren zu Marta und Maria gekommen, sie zu trösten wegen ihres
Bruders.
20 Als Marta nun hörte, dass Jesus kommt, geht sie ihm entgegen; Maria aber blieb
daheim sitzen.
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Da sprach Marta zu Jesus: Herr, wärst du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht
gestorben.
22 Aber auch jetzt weiß ich: Was du bittest von Gott, das wird dir Gott geben.
23 Jesus spricht zu ihr: Dein Bruder wird auferstehen.
24 Marta spricht zu ihm: Ich weiß wohl, dass er auferstehen wird – bei der Auferstehung am Jüngsten Tage.
25 Jesus spricht zu ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt,
der wird leben, auch wenn er stirbt;
26 und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben. Glaubst du
das?
27 Sie spricht zu ihm: Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt gekommen ist.
40 Jesus spricht zu ihr: Habe ich dir nicht gesagt: Wenn du glaubst, wirst du die Herrlichkeit Gottes sehen?
41 Da hoben sie den Stein weg. Jesus aber hob seine Augen auf und sprach: Vater,
ich danke dir, dass du mich erhört hast.
42 Ich weiß, dass du mich allezeit hörst; aber um des Volkes willen, das umhersteht,
sage ich's, damit sie glauben, dass du mich gesandt hast.
43 Als er das gesagt hatte, rief er mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus!
21
Und der Verstorbene kam heraus, gebunden mit Grabtüchern an Füßen und Händen, und sein Gesicht war verhüllt mit einem Schweißtuch. Jesus spricht zu ihnen:
Löst die Binden und lasst ihn gehen!
45 Viele nun von den Juden, die zu Maria gekommen waren und sahen, was Jesus
tat, glaubten an ihn.
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Liebe Gemeinde,
Alois Prinz hat eine Biografie über Jesus von Nazareth für junge Leser geschrieben. Auch die Kritik bei Amazon ist absolut positiv dazu. Die Zeiten, wo die Menschen einfach glaubten und dieser
Glaube sie trug, sind seit einem halben Jahrtausend vorbei. Heute glauben sie anders, wenn
überhaupt. Sie wollen verstehen, denn der Mensch der Neuzeit ist ein denkender.
Schreibt da einer der Rezensenten: Alois Prinz ist einer der profiliertesten Jugendbuchautoren im
deutschsprachigen Raum. Jetzt hat er sich die Vita aller Viten ausgesucht und eine JesusBiografie für jugendliche Leser geschrieben.
Sie beschreibt das antike Palästina bis hin zum 80 Meter Schwimmbad des Herodes. Doch die
entscheidende Frage bleibt offen. Welche Frage es ist, um die sich die meisten Ausleger oder
Schriftsteller gerne herumschummeln? Dem wollen wir gleich nachgehen. In der Bibel kommen
Jesus ja zweimal die Tränen. Einmal beim Einzug nach Jerusalem, als ihn der Unglaube und die
Hartherzigkeit der Stadt erschüttern. Und einmal wegen Lazarus. Wegen seines Freundes, der
einer nicht näher benannten Krankheit zum Opfer fällt.
Man zeigt Jesus das Grab, in dem Lazarus bestattet wurde, und der Evangelist Johannes notiert
lakonisch: "Da weinte Jesus." Dann weckt Jesus seinen Freund von den Toten auf. Wir haben den
Predigttext ja vorhin in der Schriftlesung gehört.
Liebe Gemeinde, anders als die Zeugen damals empfinden heutige Leser die Lazarus-Geschichte
nur noch selten als Beweis für Jesu göttliche Vollmacht. Eher als eine Zumutung für die Vernunft.
Weshalb es guter Brauch unter Interpreten geworden ist, sie mit unserem heutigen Empfinden zu
harmonisieren.
Als Gleichnis, das ja nie wörtlich gemeint gewesen sei. Das ist angenehmer, akzeptabler. Lazarus
habe durch Jesu Lehre von der Nächstenliebe und vom gütigen Gott eine Art Aha-Erlebnis gehabt,
eine Art Wiedergeburt erfahren. Auch Alois Prinz stellt es genauso dar. Er schreibt: "Der Evangelist Johannes stand nun vor der Schwierigkeit, dieses Erlebnis irgendwie in Bildern auszudrücken
und verständlich zu machen."
Das Ergebnis sei eben die Story von der Auferweckung geworden. Wie viele andere Wunder auch.
Folgerichtig verschweigt Prinz seinen Lesern das verstörendste – und berühmteste – Detail der
Lazarus-Episode: Die Schwester des Toten versucht Jesus erst davon abzuhalten, das Grab öffnen zu lassen: "Herr, er riecht aber schon, denn es ist bereits der vierte Tag." Verwesungsgestank
passt nicht zum weichgezeichneten Bild vom Metaphern-Evangelisten, der es ja alles nicht so gemeint hat.
Über Jesus, das ist das Ergebnis der Bibelforschung des 20. Jahrhunderts, kann man auf mindestens zwei Arten schreiben. Man kann sich auf die historisch überprüfbaren Fakten beschränken
und alles andere zu frommer Erfindung der Nachwelt erklären. Dann bleibt außer (ungefährer)
Herkunft, Todesart und einzelnen aramäischen Zitaten nicht mehr viel übrig. Oder man kann sich
in die Tradition der Evangelien stellen und ein Bild des Glaubens von Jesus zeigen. Dann wird´s
richtig spannend.
Also: Hat der tote Lazarus gestunken oder nicht? Gab es eine handfeste Totenauferstehung. Oder
hat Jesus hier nur einen Menschen aus seiner inneren Erstarrung befreit, ihn aus dem Grab seines Unvermögens herausgeholt und ihm wieder neues Leben geschenkt, weil er ihm Mut machende Worte, aufrichtende Gesten, Verständnis und Liebe geschenkt hat, die ihn neue Schritte
ins Leben gehen ließen.
Was nun? Es bleibt trotzdem schwierig.
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Auferweckte Tote, da fallen mir und dem jüngeren Filmkonsumenten gleich schlurfende Zombies
ein. Neben Vampiren die beliebtesten Figuren in jedem Fantasy-Horrorfilm oder einer der beliebtesten Horrorserie im Fernsehen. Walking dead. Schleichender Tod. Können wir aber gleich wieder vergessen, denn Lazarus wollte nach seiner Auferstehung niemanden auffressen wie die
Zombies in diesen Filmen.
Liebe Gemeinde! Jesus erweckt Lazarus von den Toten. Das was da berichtet wird, ist so ganz
anders, als wir es erleben. Und das macht es heute so schwer.
Obwohl wir das ja immer wieder im Glaubensbekenntnis sprechen: Ich glaube an die Auferstehung
der Toten. Aber das ist ja irgendwann und irgendwie. Keiner - auch die Theologen nicht - hat eine
Ahnung wie das dann konkret ablaufen soll.
Immer wieder müssen wir Abschied nehmen von Menschen, die uns lieb und teuer waren, denen
wir viel verdanken und die unser Leben geprägt haben. Abschied von Menschen die auch das Leben hier in unserer Gemeinde mitgetragen und mit verantwortet haben.
Es lag aber einer krank…:
So beginnt ja die Geschichte. Viele Geschichten beginnen so. Es lag aber einer krank…: So beginnen Geschichten, die wir kennen. Unsere Geschichten. Aus der Nachbarschaft. Aus dem
Freundeskreis. Von Kolleginnen und Bekannten.
Es lag aber einer krank…:
So beginnen Geschichten, die wir selbst erleben. In der eigenen Familie. Vielleicht sogar am eigenen Leibe.
Es lag aber einer krank…: Geschichten, die uns Angst und Schrecken in die Glieder treiben, beginnen so. Geschichten, die uns bisweilen die Luft abschnüren und den Lebensmut rauben.
Manchmal zerstören sie sogar den Glauben.
Es lag aber einer krank…: Dieser Lazarus aus Bethanien hat viele Namen. „Einer, dem Gott
hilft“, so heißt er. Er sitzt auch hier unter uns, heute Morgen.
Seine beiden Schwestern, die ihn lieb haben, sind ebenfalls da: Maria und Marta. Hier unter uns
sitzen sie, mit anderen Namen. Menschen, die Jesus um Hilfe rufen. Menschen, die Tag und
Nacht im Gebet zu Gott gefleht haben: „Mach ihn wieder gesund, Herr! Wir lieben ihn doch so
sehr!“
Hier unter uns sitzen sie: Menschen, die all ihre Hoffnung auf Jesus Christus setzen. Er, Gott
selbst, soll helfen, wo kein Mensch mehr helfen kann.
Doch der, der krank lag, stirbt. Zu spät kommt Jesus. Zu spät kommt Gottes Hilfe. Und immer
schwingt der Vorwurf mit: „Herr, du warst nicht hier. Du hast uns im Stich gelassen. Warum?“
Liebe Gemeinde, an dieser Stelle hören manche Geschichten auf. Jäh brechen sie ab. Mit Fragen
und Vorwürfen. Mit Zweifeln an Gottes Nähe, an Gottes Liebe, an Gottes gutem Willen.
Die Geschichte des Lazarus und seiner Schwestern geht aber weiter. Sie gipfelt schließlich darin,
dass Jesus den, der krank lag und gestorben ist, wieder belebt; ihn aus dem Grab heraus ruft, obwohl sein Leichnam bereits stinkt – so tot ist er. Das mag eher befremden als trösten.
Als Diakon und Relilehrer erzähle ich immer wieder biblische Geschichten. Kinder sind wunderbare Zuhörer. Ich bin dabei ganz engagiert, erzähle gebärdenreich, bin selber immer wieder gepackt.
Vor einiger Zeit erzählte ich die Geschichte von der Auferweckung des Lazarus. Es war es
mucksmäuschenstill. So gespannt waren alle.
4
Da fragte ein kleiner Junge, der ganz vorne saß und aufmerksam zugehört hatte, in die Stille hinein: "Kannste das auch?" Das brachte mich völlig aus dem Konzept, ich war erstmal sprachlos.
Diese schlichte aber entscheidende Frage zielt nämlich weit über all das hinaus, was heute in
Theologie und kirchlicher Verkündigung als wichtig erachtet wird. Da erwischt einen die Frage des
Kindes von einer ganz anderen Seite. Es pfeift auf die Aufklärung und auf unsere "vernünftige"
Theologie.
Dass Jesus dieses Wunder getan hat, ist ihm ganz selbstverständlich. Natürlich, der Sohn Gottes
kann das! Gott kann alles. Die spannende Frage für ihn lautet: "Und du, kannst du dieses Wunder
auch tun?! Jetzt, heute, hier!?" Was antwortet man darauf? Was antworte ich? Am einfachsten
wäre es auszuweichen: "Ich habe es noch nicht probiert." Das ist aber wenig befriedigend und
provoziert die nächste Frage: "Warum denn nicht?" Oder ins Positive gewendet: "Bist du denn
bereit, es zu probieren?"
Wenn wir nicht abwehrend mit einem "Nein, das kann kein Mensch!" antworten wollen, um die
Frage in den Bereich absurder Unmöglichkeiten zu verweisen, werden wir in der Bibel nach einer
sachgemäßen Antwort suchen müssen.
Auch ein: "Das hat nur damals geklappt" ist unbefriedigend. Unser kleiner Frager ist ganz auf der
biblischen Spur. Er fordert nicht nur mich heraus, diese Predigt zu halten, er fordert uns, die christliche Gemeinde, heraus, ganz praktisch über die Vollmacht nachzudenken, die uns Jesus durch
den Heiligen Geist verleiht. Die Frage des Jungen ist eine Frage nach unserer Vollmacht!
Die hemmungslos radikale Frage unseres Schulkindes anlässlich der Geschichte reißt uns heraus
aus dem selbstzufriedenen und gemütlichen Christsein und ruft uns hinein in die Radikalität der
Zeugen, die siegend und leidend bezeugen: Jesus Christus hat dem Tod die Macht genommen
und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht durch das Evangelium!
Mich hat das an die Anfänge meines Glaubenslebens als 17-Jähriger versetzt. Ich saß an Silvester
im Spätgottesdienst. Ich fand das irgendwie cool. 24 Uhr. Draußen krachte es und ich dachte: Seit
tausenden von Jahren gibt es überall steinerne Zeugen des Glaubens an unseren Gott. Jüdische
Tempel und christliche Dome. Und überall wird seit hunderten von Jahren Sonntag für Sonntag
gepredigt. Erzählt von Gottes Liebe und Kraft. Und trotzdem ist das alles so weit weg.
Hat nichts mit mir heute zu tun. Hat keine Relevanz in meinem Leben. Und ich dachte: Hey Gott,
entweder es gibt dich, dann will ich was von dir erfahren. Solche Wunder wie damals. Oder es gibt
dich nicht, dann beenden wir das und haken die ganze Geschichte ab. So, jetzt leg mal los. Ich bin
überzeugt, dass es um genau diese Radikalität geht. Tagtäglich. Weil wir tagtäglich neu herausgefordert werden.
Nur ein Christsein, das sich so radikal herausfordern lässt, hat Zukunft. Also, was werden wir antworten, wenn uns unsere Kinder fragen? Haben wir den Mut, ihnen von Jesus Christus und unserem Glauben zu erzählen? Oder ist die Bibel nur ein Geschichten- und Märchenbuch. Ich für meinen Teil werde auf die Frage "Kannst du das auch?" antworten: Nein, ich kann das nicht, das kann
kein Mensch von sich aus tun. Aber Jesus kann es, und dem vertraue ich.
Und wenn er will, dass ich etwas tue, das völlig über meine Vorstellungskraft hinausgeht, dann
hoffe ich, dass ich dazu auch die nötige Kraft von ihm bekomme. Die Welt heute hat es so nötig
wie damals. Diese Hoffnung, die größer ist, als der Tod erlaubt. Und einen Glauben, der da anfängt, wo unsere Möglichkeiten enden. Und die Sehnsucht, da dabei sein zu wollen. Nicht immer
gibt es ein happy end oder tolle Wunder. Aber es gibt Wunder und tolle Geschwister, die einen in
Höhen und Tiefen des Lebens begleiten, und glaubend tragen oder ertragen, und immer wieder
zum Leben verhelfen. Amen.
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