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SPEECH/05/39
Mariann Fischer Boel
Mitglied
der
Europäischen
Kommission
Landwirtschaft und ländliche Entwicklung
zuständig
Die
WTO-Verhandlungen
Agrarbereich: Wie geht es weiter?
Grüne Woche
Berlin, den 25. Januar 2005
für
im
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
ich freue mich, heute mit Ihnen über den derzeitigen Stand der neuesten WTOGesprächsrunde zu diskutieren. Es geht um den Welthandel und – wichtiger noch –
es geht um die Entwicklungsländer, die aufgrund der jüngsten tragischen
Ereignisse in Südostasien wieder ins Rampenlicht gerückt sind. Es ist für mich jetzt
nicht der Platz zu langen Ausführungen über den verheerenden Tsunami von
vergangenem Dezember; nur soviel sei gesagt: diese Katastrophe hat uns erneut
die extreme Verwundbarkeit der Entwicklungsländer und die Notwendigkeit, die
Doha-Entwicklungsrunde erfolgreich abzuschließen, vor Augen geführt hat.
Genau dieser Aspekt – das Wissen um diese Verwundbarkeit – hat die EU
bewogen, von Anfang an darauf zu bestehen, dass den Entwicklungsländern in der
derzeitigen WTO-Verhandlungsrunde eine Sonderbehandlung zuteil wird.
Schließlich wurde die derzeitige Gesprächsrunde nicht umsonst „DohaEntwicklungsrunde“ genannt. Diese Tatsache sollte nicht nur von Zeit zu Zeit,
sondern in allen Phasen des Verhandlungsprozesses in Erinnerung gerufen
werden.
Es wird Sie daher nicht überraschen, dass ich, wenn ich über meine Sicht vom
Verlauf der Verhandlungen im Jahr 2005 spreche, immer wieder auf die
Notwendigkeit zurückkomme, unsere politischen Prioritäten mit den Interessen der
Entwicklungsländer zu verknüpfen. Angesichts der gesamten Palette unserer
handels- und entwicklungspolitischen Maßnahmen, die die EU zum größten
Importeur von Agrarerzeugnissen aus den Entwicklungsländern gemacht haben, ist
dies nur folgerichtig.
Eine weitere wichtige Tatsache, die im Rahmen der Doha-Runde hervorgehoben
werden sollte, sind die erheblichen Unterschiede, die es in Bezug auf die
Landwirtschaft zwischen dieser und den vorangegangenen WTO-Runden gibt. Bei
den Verhandlungen der Uruguay-Runde war die Landwirtschaft gegenüber anderen
Sektoren beträchtlich im Rückstand. Tatsächlich waren die Agrarverhandlungen
irgendwann an einem toten Punkt angelangt, wodurch der erfolgreiche Abschluss
der gesamten Runde gefährdet wurde.
In der Doha-Runde dagegen können wir dagegen – vielleicht zur Überraschung
Einiger
feststellen, dass die Agrarverhandlungen wesentlich weiter
vorangeschritten sind. Im Juli 2004 ist es gelungen, in der Landwirtschaft ein
Rahmenabkommen zu beschließen, dessen Modalitäten nun bis zur
Ministerkonferenz in Hongkong im Dezember ausgehandelt werden müssen. Es ist
klar, dass in anderen Sektoren aufgeholt werden muss, wenn diese Runde zu
einem erfolgreichen Abschluss gebracht werden soll.
Mit anderen Worten, während es 2004 darum ging, ein Rahmenabkommen für die
Landwirtschaft zu erzielen, wird es 2005 darauf ankommen, auch in anderen
Sektoren ähnlich hochgesteckte Ziele zu erreichen, damit das Gipfeltreffen von
Hongkong ein Erfolg wird.
Der zweite große Unterschied zwischen dieser und den vorangegangenen Runden
besteht in der Beziehung zwischen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) und den
WTO-Verhandlungen. In der Uruguay-Runde führten die Agrarverhandlungen erst
zum Erfolg, nachdem die GAP reformiert worden war. Diesmal hingegen haben die
GAP-Reformen, die wir seitdem aus eigener Initiative durchgeführt haben, die
Aussichten auf einen erfolgreichen Abschluss dieser Runde verbessert.
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Die Reformen haben es der EU ermöglicht, sich zu Senkungen der
handelsverzerrenden internen Stützung zu verpflichten, die weit über das in der
vorangegangenen Runde erzielte Maß hinausgehen. Ja, sie haben es uns sogar
gestattet, die Abschaffung unserer Ausfuhrsubventionen zu akzeptieren, die lange
Zeit sozusagen als unsere „heilige Kuh“ angesehen wurden; diese Zusage gilt
allerdings nur dann, wenn die Vertragspartner es uns gleich machen.
Meine Damen und Herren,
nach dieser allgemeinen Einleitung lassen Sie mich nun etwas genauer ausführen,
wie ich die Verhandlungen im Zusammenhang mit den drei Pfeilern des
Agrarübereinkommens sehe.
Beginnen möchte ich mit dem Exportwettbewerb. Es scheint, dass die Probleme in
diesem Bereich leichter zu lösen sein könnten. Nachdem die Abschaffung der
Ausfuhrsubventionen dem Grundsatz nach vereinbart wurde, bestehen berechtigte
Erwartungen, dass die technischen Gespräche in Genf klären werden, welche
handelsverzerrenden Instrumente des Exportwettbewerbs in welchem Zeitrahmen
abzuschaffen sind und wie die verbleibenden Instrumente der Ausfuhrstützung
einer strikten Disziplin unterzogen werden sollen. Ich bin zuversichtlich, dass die
Dinge in diesem Bereich zumindest im Vergleich zu den anderen Pfeilern –
reibungslos vonstatten gehen werden.
Dies ist eine direkte Folge des mutigen Schritts, den Pascal Lamy und Franz
Fischler mit ihrem gemeinsamen Schreiben an ihre Amtskollegen in sämtlichen
WTO-Mitgliedstaaten unternommen haben. Dieses Schreiben hat als Katalysator
fungiert und die Chancen des Rahmenabkommens verbessert, eine Tatsache, die –
so denke ich allgemein anerkannt wird.
Bei der internen Stützung liegen die Dinge etwas komplizierter. Es besteht aber
weiterhin Hoffnung, dass das Rahmenabkommen klären wird, was noch zu tun ist.
Zunächst zu der am stärksten handelsverzerrende interne Stützung: der AmberBox-Maßnahmen. Die Agrarreformen haben die EU in die Lage versetzt, ein
Senkungsniveau zu akzeptieren, das weit über dasjenige jedes anderen
Handelspartners hinausgehen könnte, sofern die anderen Partner in der Lage sind,
ebenfalls ernsthafte Senkungsverpflichtungen einzugehen. Wir haben in der
Vergangenheit oft gesagt, dass eine solche Senkung in der Größenordnung von
65% liegen könnte. Dies verdeutlicht nicht nur den Umfang unserer Reformen,
sondern setzt auch generell einen hohen Maßstab für die Senkungsverpflichtungen.
In Bezug auf die Green Box bietet das Rahmenabkommen ebenfalls die dringend
benötigte Klarheit. Selbstverständlich lässt es die Möglichkeit, bei den Kriterien,
anhand deren bestimmte Politikinstrumente als Green-Box-Maßnahmen eingestuft
werden, Klarstellungen vorzunehmen. Wir sind für eine solche Möglichkeit stets
offen gewesen. Aber lassen Sie mich eines ganz klar sagen: Eine Neuorientierung
oder wesentliche Änderung wird es bei der Green Box nicht geben. Auch wenn
einige unserer WTO-Partner fortwährend die Notwendigkeit der Green Box in
Zweifel ziehen, halte ich es für undenkbar, dass die entwickelten Länder und zwar
auf beiden Seiten des Atlantiks – die Green Box in ihrer jetzigen Form aufgeben
werden.
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Meine Damen und Herren,
ein anderer wichtiger Gesichtspunkt betrifft die Förderung der positiven externen
Wirkungen der Landwirtschaft in den Bereichen Umwelt, Qualität und Sicherheit von
Lebensmitteln, Tierschutz oder der ländlichen Entwicklung. Die Förderung dieser
Bereiche spiegelt legitime Anliegen unserer Gesellschaft wider. Diese
Politikentscheidungen in Frage zu stellen, würde die Liberalisierung des Handels
nicht um einen Deut voranbringen.
Im Gegenteil, die WTO-Partner werden damit nur untereinander gespalten, indem
der falsche Eindruck erweckt wird, Handelsliberalisierung und Umwelt- und
Qualitätsnormen stünden in einem unauflösbaren Widerspruch zueinander. Soll der
Handel die Entwicklung vorantreiben, so ist ergänzend dazu die Verbesserung einer
breiten Palette von Normen erforderlich. Die Vorstellung, höhere Normen würden
den Handel behindern, anstatt Chancen für ein nachhaltiges Wachstum des
Handels zu bieten, ist kurzsichtig. Die Aussichten auf eine Handelsliberalisierung
werden nur geschmälert, wenn dieser Vorstellung weiterhin Vorschub geleistet wird.
Schließlich möchte ich auf die Blue Box zu sprechen kommen. Diese Frage hat
zwei Seiten: Sie betrifft zum einen die EU, deren Blue-Box-Maßnahmen dieselben
sind wie in der Vergangenheit, aber nicht mehr dieselbe Bedeutung haben. Sie
betrifft zum anderen die USA, die sich früh dafür entschieden haben, ihre
bisherigen Blue-Box-Maßnahmen aufzugeben, und nun dringend eine neue
Möglichkeit zur Einstufung von bislang nicht verfügbaren Maßnahmen finden
müssen.
Lassen Sie mich zunächst auf unsere eigenen Blue-Box-Maßnahmen eingehen. Ich
habe mit Befremden gesehen, wie einige unserer WTO-Partner unsere Blue-BoxMaßnahmen kurzerhand mit Handelsverzerrungen in Zusammenhang gebracht
haben. Es geht hier nicht darum, einen Faktor zu isolieren und Schlüsse zu ziehen,
die nicht durch Fakten untermauert werden. Es geht darum, das Gesamtbild zu
betrachten und dabei alle Fakten zu berücksichtigen.
Gewiss hat unsere Produktion bei einer begrenzten Zahl von unter die Blue-BoxMaßnahmen fallenden Erzeugnissen zugenommen. Doch sind die Gründe hierfür
völlig andere, als von dritten Parteien behauptet wird. Erstens ist dieser Anstieg
ausschließlich zulasten anderer Erzeugnisse erfolgt, die unter dieselben
Maßnahmen fallen. Zweitens aber und wichtiger noch – geht es nicht einfach
darum, ob die Produktion zu- oder abgenommen hat; die eigentliche Frage ist, ob
die Produktion um mehr oder um weniger zugenommen hat, als dies ohne die BlueBox-Maßnahmen der Fall gewesen wäre.
Die Fakten lassen keinen Zweifel an der Antwort auf diese Frage. Seit der
Agrarreform von 1992, mit der Direktzahlungen nach Art der Blue Box eingeführt
wurden, wurden unsere Obergrenzen weder für Flächen noch für Tiere
überschritten. Auch unsere Ertragssteigerung hat sich deutlich verringert und
unsere Rolle als Nettoausführer bei allen WTO-Rohstoffgruppen ist rückläufig.
Überraschend ist dies nicht. Schließlich wurden bei den Blue-Box-Maßnahmen
produktionsbegrenzende Faktoren explizit mit einbezogen. Diese Ergebnisse haben
OECD-Analysen auch zu dem Schluss kommen lassen, dass von den Maßnahmen
der Blue Box eine deutlich geringere handelsverzerrende Wirkung ausgeht als von
denen der Amber Box.
Dieser Tatsache wird im Rahmenabkommen klar Rechnung getragen. Dort heißt
es, dass etwaige neu zu vereinbarende Kriterien nicht den abwegigen Effekt haben
dürfen, laufende Reformen zunichte zu machen.
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Wie mein Vorgänger Franz Fischler zu sagen pflegte, sollte die GAP-Reform
anerkannt und nicht penalisiert werden, eine Position, an der ich mit aller
Entschlossenheit festhalten werde.
Die für die Blue Box geltende Obergrenze von 5% bietet allen unseren Partnern die
Gewähr, dass unsere Maßnahmen künftig noch weniger handelsverzerrend sein
werden, als es bisher der Fall war. Weiter werden wir in diesem Bereich aber auch
nicht gehen.
Was unseren transatlantischen Partner anbelangt, so hat es – wie ich meine –
berechtigte Forderungen gegeben, dass eine Neueinstufung von US-Maßnahmen
in eine „neue“ Blue Box nicht auf ein so genanntes „Box Shifting“ hinauslaufen darf.
Dies kann innerhalb des derzeitigen Rahmens aber nur dann gewährleistet werden,
wenn auch die USA eine Reform angehen. Dabei müssen dann auch die
Auswirkungen der parallel erfolgenden Kürzung bei der De-minimis-Regel eines
von den USA permanent angewendeten Instruments – auf die derzeitigen
Agrarpolitiken berücksichtigt werden.
Lassen Sie mich nun zu dem sicherlich heikelsten Punkt bei den Verhandlungen
kommen, dem Marktzugang. In diesem Bereich besteht die größte Schwierigkeit
weiterhin darin, einen Ausgleich zu finden, der es gestatten würde, die allgemeinen
weit reichenden Zollsenkungen zu verwirklichen und zugleich die Empfindlichkeiten
der Parteien in Bezug auf bestimmte Erzeugnisse zu berücksichtigen.
Dass die Dinge in diesem Bereich komplexer gelagert sind, ist nur natürlich.
Während die Subventionen in Form von Exportstützungen und interner Stützung
nur einige wenige entwickelte Länder betreffen, geht der Marktzugang alle WTOParteien an. Einige Parteien haben nur defensive, andere nur offensive Interessen;
wieder andere haben eine Kombination von beidem. Alle Parteien sind aber in der
einen oder anderen Weise betroffen.
Eines scheint mir jedoch sicher zu sein: So schwierig es auch erscheinen mag – ich
glaube nicht, dass es eine echte Alternative dazu gibt, für die Entwicklungsländer
innerhalb desselben allgemeinen Systems von Zollsenkungen, das für alle
entwickelte
Länder
und
Entwicklungsländer
– gilt,
ein niedrigeres
Verpflichtungsniveau zu akzeptieren.
Meine Damen und Herren,
Diese komplexen Sachverhalte stellen die größte Hürde dar, die wir überwinden
müssen, um die Verhandlungen erfolgreich abzuschließen, und wir dürfen es auf
keinen Fall dazu kommen lassen, dass die Bürger fälschlicherweise den Eindruck
gewinnen, bei diesen Verhandlungen gehe es entweder um Subventionen oder um
den Marktzugang.
Tatsächlich werden diese Verhandlungen nur dann erfolgreich sein, wenn dabei ein
ausgewogenes Konzept sowohl für Subventionen als auch für den Marktzugang
angestrebt wird. Dabei ist stets in Erinnerung zu behalten, dass ein solcher
Ausgleich nicht nur innerhalb des Agrarsektors, sondern für alle von dieser Runde
betroffenen Sektoren gefunden werden muss.
Unseren Partnern dürfte nicht entgangen sein, dass die EU bei einer ganzen Reihe
von Fragen mit hohen Erwartungen in diese Runde gegangen ist.
Wie flexibel sich die EU in der Landwirtschaft zeigen kann, hängt deshalb auch mit
davon ab, was sie in anderen Bereichen zu gewinnen erwartet. Ihr Bemühen um
einen erfolgreichen Abschluss kann aber nicht in Zweifel gezogen werden. Und
besonders in der Landwirtschaft gilt es nun, Gegenleistungen zum AgrarReformprozess einzufordern.
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Meine Damen und Herren,
Dieser letzte Punkt – Gegenleistungen zum Engagement, das die EU an den Tag
gelegt hat – führt mich zu der letzten wichtigen Frage, die ich heute ansprechen
möchte. Bisher wurde bei diesen Verhandlungen stets nach dem Motto „Zuckerbrot
und Peitsche“ vorgegangen; doch darf der Bogen nicht überspannt werden. Die EU
hat in dieser Beziehung fortlaufend und konsequent Vorleistungen erbracht. Sie hat
in den Verhandlungen neue Parameter, neue Ambitionen und neue Ziele gesetzt.
Es gibt aber eine Grenze, wie weit wir geben können. Ein aus den
Handelsverhandlungen resultierendes ausgewogenes Abkommen erfordert, dass
alle Parteien etwas geben müssen – selbstverständlich entsprechend ihren
jeweiligen Kapazitäten und der verzerrenden Wirkung ihrer Handelspolitik.
Wir gewinnen aber allmählich den Eindruck, dass einige unserer Partner darauf aus
sind, ein neues Katz-und-Maus-Spiel zu beginnen. Sie wollen das bereits Erreichte
einheimsen, um dann neue Zusagen von uns zu fordern, ohne dass sie uns
ihrerseits etwas in Aussicht stellen. Wir können diese Verfolgungsjagd nicht endlos
fortsetzen. 2005 muss das Jahr sein, in dem alle WTO-Partner akzeptieren, nicht
nur zu „NEHMEN“, sondern auch entsprechend ihren Möglichkeiten zu „GEBEN“.
Nur so können am Welthandelssystem die erforderlichen Änderungen
vorgenommen werden und das Potenzial der Entwicklungsländer gefördert wird.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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