zurück 56 a r z n e i - t e l e g r a m m 2005; Jg. 36, Nr. 6 Stadtviertel als Kontrolle dient (so genannte Cluster-Randomisierung).12 Da die Randomisierung in dieser Studie sehr grob ist (pro Behandlungsgruppe 1 Cluster bzw. 1 Stadtviertel), besteht ein erhebliches Verzerrungspotenzial. In der aktuell publizierten plazebokontrollierten RECORD*-Studie werden jetzt im faktoriellen Design gleichzeitig Vitamin D3 (täglich 800 I.E.), Kalzium (täglich 1.000 mg) oder eine Kombination aus beidem geprüft. 5.292 durchschnittlich 77 Jahre alte Patienten mit osteoporotischen Frakturen in der Vorgeschichte, die überwiegend im eigenen Haushalt leben, nehmen an der vom britischen Medical Research Council und Herstellern gesponserten Studie teil. 85% sind Frauen, 17% haben einen Oberschenkelhalsbruch durchgemacht. Der Calcidiolspiegel einer kleinen Stichprobe (1%) liegt an der unteren Grenze der Norm. Zu den Ausschlusskriterien gehören kognitive Einschränkungen, Hyperkalziämie und Nierensteine in den vergangenen zehn Jahren sowie Einnahme anderer Osteoporosemittel wie Bisphosphonate. Im Studienverlauf von 24 bis 62 Monaten kommt es bei insgesamt 698 Teilnehmern (13%) zu erneuten osteoporotischen Knochenbrüchen einschließlich symptomatischen, radiologisch bestätigten Wirbelfrakturen (primärer Endpunkt). Keine der Interventionen bringt einen Vorteil gegenüber Plazebo. Die Gruppen mit Kalzium haben ein relatives Frakturrisiko von 0,94 (95% CI 0,81 bis 1,09) im Vergleich mit den Gruppen ohne Kalzium, die mit Vitamin D3 eines von 1,02 (95% CI 0,88 bis 1,19). Unter der Kombination liegt das relative Risiko im Vergleich mit Plazebo bei 1,01 (95% CI 0,75 bis 1,36). Auch Todesfälle, Zahl der Stürze und Lebensqualität unterscheiden sich nicht. Hinsichtlich schwerwiegender unerwünschter Ereignisse wie Niereninsuffizienz (insgesamt 0,13%), Nierensteine (0,07%) oder Hyperkalziämie (0,4%) soll ebenfalls kein Unterschied bestehen.13 Die Compliance ist mit unter 50% nach zwei Jahren gering. Für den Abbruch der Einnahme von Kalziumtabletten spielen offenbar besonders Magen-Darm-Beschwerden und Einnahmeprobleme eine Rolle. Zwischen den Subgruppen, die mehr bzw. weniger als 80% der Studienmedikation eingenommen haben, lassen sich aber hinsichtlich des Nutzens keine Unterschiede erkennen. Auch in anderen Subgruppenanalysen nach Alter, Geschlecht, Gewicht oder Risiko eines Vitamin-D- oder Kalziummangels ergibt sich kein Unterschied. Wegen etwas geringerer Frakturrate als erwartet ist die Studie geringfügig „unterpowert”. Die unteren Grenzen der 95%igen Vertrauensbereiche der beiden primären Analysen schließen eine 20%ige Senkung des Frakturrisikos jedoch aus.13 Eine zweite aktuell publizierte britische Studie zur Kombination von täglich 800 I.E. Vitamin D3 plus 1.000 mg Kalzium kommt ebenfalls zu negativem Ergebnis. Teilgenommen haben 3.314 im eigenen Haushalt lebende Frauen im Alter von durchschnittlich 77 Jahren mit mindestens einem Risikofaktor für Hüftbrüche wie geringes Körpergewicht oder Knochenbruch in der Vorgeschichte. Diese offene randomisierte kontrollierte Untersuchung ist für ein valides Ergebnis jedoch zu klein: Die Knochenbruchrate ist mit insgesamt 4,5% nach 25 Monaten nicht einmal halb so hoch wie erwartet (10%). Ein Effekt der Vitamin D3- und Kalziumkombination lässt sich nicht erkennen (RR 1,01; 95% CI 0,71 bis 1,43).14 Die Datenlage zu Vitamin D (VIGANTOLETTEN u.a.) und Kalzium (CALCIUM SANDOZ u.a.) bei Altersosteoporose ist widersprüchlich. Vitamin D allein senkt in einer Studie das Frakturrisiko, hat in drei weiteren einschließlich einer aktuell publizierten keinen Effekt und steigert es in einer fünften. Eine definitive Bewertung ist unter anderem wegen der unterschiedlichen Vitamin-D-Präparate, Dosierungen und Applikationsarten nicht möglich. Für die generelle Empfehlung von Vitamin D allein bei Altersosteoporose fehlen aber derzeit hinreichende Daten. Substitution von Kalzium allein beugt zwar Knochenverlust (Surrogatkriterium) vor. Ein Schutz vor Knochen* RECORD = Randomised Evaluation of Calcium Or vitamin D bruch ist nicht hinreichend gesichert. In einer aktuellen Studie hat die Kalziumeinnahme keinen Einfluss auf Frakturen. Besonders unübersichtlich ist die Datenlage zur Kombination von Vitamin D und Kalzium. Täglich 800 I.E. Vitamin D3 plus 1.200 mg Kalzium senken bei im Heim lebenden hochbetagten Frauen das Risiko einer Hüftfraktur sowie von extravertebralen Frakturen insgesamt. In zwei neueren Studien mit älteren Menschen, die überwiegend im eigenen Haushalt leben, lässt sich dagegen trotz eines erhöhten Frakturrisikos kein Effekt von Vitamin D3 plus Kalzium erkennen. Für an das Haus gebundene Frauen im hohen Lebensalter mit hohem Risiko eines subklinischen Vitamin-DMangels ist die tägliche Substitution mit Vitamin D3 plus Kalzium nach wie vor vertretbar. Auch bei Einnahme von Bisphosphonaten ist eine ausreichende Kalzium- und Vitamin-D-Versorgung sicherzustellen. Eine allgemeine Empfehlung von Vitamin D3 plus Kalzium bei Altersosteoporose lässt sich beim gegenwärtigen Kenntnisstand jedoch nicht begründen. (R = randomisierte Studie, M = Metaanalyse) 1 Scottish Intercollegiale Guidelines Network: Management of Osteoporosis. A national clinical guideline, Juni 2003; http://www.sign.ac.uk/pdf/sign71.pdf 2 BROWN, J.P. et al.: Can. Med. Ass. J. 2002; 167 (Suppl. 10): S1-34 M 3 SHEA, B.J. et al.: Calcium supplementation on bone loss in postmenopausal women (COCHRANE Review). In: The COCHRANE Library 2005, Issue 2, J. WILEY and Sons, Ltd., Last update Nov. 2003 R 4 TRIVEDI, D.P. et al.: BMJ 2003; 326: 469 R 5 LIPS, P. et al.: Ann. Intern. Med. 1996; 124: 400-6 R 6 MEYER, H.E. et al.: J. Bone Miner. Res. 2002; 17: 709-15 R 7 SMITH, H. et al.: Osteoporos. Int. 2004; 15 (Suppl. 1): S8 (Abstract) R 8 CHAPUY, M.C. et al.: N. Engl. J. Med. 1992; 327: 1637-42 M 9 GILLESPIE, W.J. et al.: Vitamin D and vitamin D analogues for preventing fractures associated with involutional and postmenopausal osteoporosis (COCHRANE Review). In: The COCHRANE Library 2005, Issue 2, J. WILEY and Sons, Ltd., Last update Nov. 2000 R 10 CHAPUY, M.C. et al.: Osteoporos. Int. 2002; 13: 257-64 R 11 DAWSON-HUGHES, B. et al.: N. Engl. J. Med. 1997; 337: 670-6 R 12 LARSEN, E.R. et al.: J. Bone Miner. Res. 2004; 19: 370-8 R 13 The RECORD Trial Group: Lancet 2005; published online April 28, 2005 R 14 PORTHOUSE, J. et al.: BMJ 2005; 330: 1003 Vorsicht Desinformation 11111111111 RESTEX: LAUT FACHINFORMATION JETZT FAST OHNE NEBENWIRKUNGEN? Die unerwünschten Wirkungen von Arzneimitteln werden in den Fachinformationen nach internationalen Vereinbarungen meist mit standardisierten Häufigkeitsangaben aufgeführt: „sehr selten” (unter 0,01%), „selten” (0,01% bis 0,1%), „gelegentlich” (0,1% bis 1%), „häufig” (1% bis 10%) und „sehr häufig” (über 10%). Üblicherweise beruhen Häufigkeitsangaben auf gepoolten Studiendaten oder großen klinischen Studien.1 Genau genommen gelten sie nur für die in diesen Untersuchungen erfassten Situationen. Die Angaben eignen sich dennoch als Anhalt für die Risikoabschätzung. In der Fachinformation der gegen Restless-legs-Syndrom angebotenen Levodopa-Benserazid-Kombination RESTEX wurden bislang psychische Störungen wie Unruhezustand, Angst, depressive Verstimmung u.a. sowie Appetitminderung und Übelkeit als sehr häufige, Herzrhythmusstörungen sowie Erbrechen und Diarrhö als häufige Nebenwirkungen eingestuft.2 Die aktuelle Fachinformation von RESTEX vom Februar 2005 weist jetzt hingegen alle Nebenwirkungen als „sehr selten” aus (Ausnahme: allergische Hautreaktionen: selten).3 Die Levodopa-Kombination ist jedoch nicht plötzlich um drei oder vier Zehnerpotenzen verträglicher geworden, sondern die Roche AG hat lediglich die Berechnungsgrundlage verändert – und dies sogar mit behördlicher Genehmigung.4 Statt auf Studien bezieht die Firma die Häufigkeitsangaben jetzt auf die „Anzahl der Patienten weltweit, die bisher mit der Kombination ... behandelt wurden”, und die Zahl vor