Extra Adventecho ADVENTECHO-EXTRA ist ein Angebot für alle Leserinnen und Leser, die sich vor allem für theologische Fragen und Themen interessieren. Diese Sonderbeilage erscheint drei- bis viermal jährlich. Der Islam Versuch einer theologischen Skizze zum besseren Verständnis einer vielschichtigen und widersprüchlichen Weltreligion G egenwärtig wird sehr viel über den Islam geredet und geschrieben. Die Anlässe dazu sind bekannt. Jedoch ist zweifelhaft, ob die westliche Welt, deren Dekadenz und Atheismus den islamisch geprägten Kulturen wohl bekannt ist und aus deren Sicht die Ungläubigen als „Tiere“ betrachtet werden, tatsächlich zu religiösen Betrachtungen oder gar Dialogen mit dem Islam fähig ist. Sicherlich weiß ein Moslem mehr über Gott und seine Religion als jemand, der sich zwar christlich taufen und beerdigen lässt, ansonsten aber nicht viel von dem weiß, was sich mit Christentum und Evangelium verbindet. In der folgenden Betrachtung, sollen deshalb nicht landläufi- JANUAR 2002 · ADVENTECHO-EXTRA ge Auffassungen wiederholt, sondern schwerpunktmäßig einige Voraussetzungen zu theologischen Perspektiven des Islam skizziert werden, um so einen, wenn auch nur summarischen, Zugang zur Welt des Islam zu gewinnen. *** Mein islamischer Freund Abdallah Zagzoug war betroffen, als ich ihn fragte, ob denn Allah sein Vater sei. „Nein“, antwortete er entschieden, „niemals. Du hast einen Vater. Ich habe einen Vater. Allah ist nicht unser Vater. Allahu akbar – Allah ist groß!“ Er fuhr jedoch fort, meine Qualitäten als die eines Gottgläubigen – nicht als Christ – zu preisen und meinte, dass meine Bekehrung zum Islam nur noch ein Kleines sei: „Komm mit nach Mekka, und du wirst sehen und dich völlig bekehren!“ In solchen, oft geführten Unterhaltungen lag sehr viel Theologie. Durch die „Christen“, die alljährlich zuhauf die Orte der Bibel und der Christenheit in Jordanien besuchten, wurde Abdallah ein Bild des Christentums vermittelt, das sich an vagen Darstellungen der grausam geführten christlichen Kreuzzüge orientierte. Das selbstherrliche Auftreten der Touristen in für Moslems beleidigenden Kleidungsstücken und nicht zuletzt eine in der Hitze des Orients alkoholisch gesteigerte Fröhlichkeit trugen dazu bei, sein Bild vom Christentums negativ zu prägen. Da ich jedoch mit meiner Frau und den Mitarbeitern unseres Grabungsteams ein anderes Bild des Christentums abgab, ordnete er uns nicht als Christen ein, sondern als solche, die den Werten und Inhalten des Islam sehr nahe stehen. Hier wie dort herrscht also Aufklärungsbedarf. Das Gottesbild im Islam In allen Religionen und Glaubensrichtungen ist das Bild, das ein Mensch von seinem Gott besitzt, von grundlegender Bedeutung. Es existiert eine große Spannung zwischen Jesus, der uns seinen „Vater“ als „unseren Vater“ nahe gebracht hat, und den hohen und hehren Gottesvorstellungen des Islam, der Allah in den Suren des Koran mit 99 Namen preist. Aber unter diesen 99 Namen Allahs fehlt die Bezeichnung „Vater“ der Moslems völlig. Die „Namenstheologie“ des Islam – „Gott hat die herrlichsten Namen“ (Sure 7,181) – soll vor allem das Wesen Gottes erahnbar machen und eine Versenkung (fortgesetzt in der islamischen Mystik) in das Wesen Allahs ermöglichen. In den Namen überwiegen die Charaktermerkmale von Macht und Souveränität. Der Mensch kann daher von Allah nur in negativen Aussagen sprechen (theologia negativa), etwa: Er hört nicht wie ein Mensch; er verändert sich nicht wie die Natur. In der theologia emminentiae, der Theologie der vergleichenden Steigerung, wird Allah größer als alles andere: Es gibt nichts, was ihm gleichkommt, er ist über allem. Der Mensch kann somit nur ein Diener dieses Gottes sein, und dieser Gott kann niemals der Vater eines Dieners sein. Vor dieser Größe Gottes verblasst alles menschliche Tun, und diese Überzeugung ruft sich der Moslem fünfmal am Tag mit dem Ruf „Allahu akbar!“ ins Gedächtnis. Der Mensch kann sich also vor Allah nur niederwerfen, sich beugen, ihm huldigen und seine unfassbare Größe verherrlichen. Dieses gewaltige und majestätische Gottesbild des Islam hat für die suchende und sich den Menschen zuwendende Sünderliebe des Vaters Jesu Christi keinen Platz. Der Gott des Islam geht nicht in seine Schöpfung und in die Gesellschaft des Menschen hinein, sondern bleibt draußen. Seine Allgewalt und Allgegenwart kennt keine Solidarität mit dem Menschen und seinem hinfälligen I Dasein. Alles, was der Mensch tun kann, ist, sich der Allbarmherzigkeit Gottes zu unterwerfen, ohne die liebende und väterliche Zuwendung Allahs als Vater erhoffen zu dürfen. Das „Abba, lieber Vater! oder ,Väterchen‘“ für Gott (Rö 8,15) kennt der Islam nicht. „Islam“ bedeutet daher sinngemäß „gehorsame und anbetende Unterwerfung“ unter die Majestät Allahs und Vertrauen auf seine immer wieder genannte Allbarmherzigkeit, auf welche die meisten Suren sich einleitend beziehen. Religionshistorische und -soziologische Wurzeln des Islam Die vorislamische arabische Religion der halbnomadischen Wüstenstämme war primär eine Religion der persönlichen Frömmigkeit, die sich vor allem am Gott des (Stamm-)Vaters orientierte. Steine (z. B. das Steinheiligtum, die Kaaba, in Mekka), Bäume und Quellen galten als Sitz der verschiedenen Gottheiten, die vor allem für das Überleben der Sippe, der Nachkommenschaft und die Fruchtbarkeit zuständig waren. Unter dem Einfluss des sich allmählich ausbreitenden Götterhimmels der assyrischen und babylonischen Großkulte wurden die Positionen der bereits bekannten Astralgötter Schamasch (Sonne), Sin (Mond) und Attar (Venus) gefestigt und unter Beilegung arabischer Namen durch kleinere Götter ergänzt: al-Uzza, al-Lat und Manat. Häufig waren diese Götter auch Lokalnumina, wie der Gott Hubal (Mondgott), der in Mekka verehrt wurde und dessen Apposition al-ilah/allah Hubal (Gott Hubal) zum Namensgeber des islamischen Gottes Allah wurde. Der Dienst an diesen Göttern war nicht an Heiligtümer gebunden. Ihnen konnten überall Opfer dargebracht, Orakel konnten abgefragt und das Böse durch Beschwörungsriten abgewendet werden. Die Djinnen (Jes 13,21; 34,14) waren, ähnlich den Feldgeistern, koboldartige Geister der Wüste, die zuweilen hilfreich dem Menschen zur Seite standen, hauptsächlich jedoch allerhand Schabernack trieben und damit im guten wie im bösen Sinne für alles Unvorhergesehene verantwortlich gemacht wurden. Sie gelten als die schlechten „Schatten“ der Menschen. Der gesamte vorislamische Kult war somit vor allem ein Kult, der die Bedürf- II nisse der wandernden und weidenden Steppennomaden befriedigte, die Nahrung, Wasser und Wegweisung in der Halbwüste suchten und von Mond und Venus in der Nacht begleitet wurden. Mit dem Entstehen der arabischen Stadtkulturen in Mekka, Yathrib (später Medina) und im Yemen sowie in den fruchtbaren Landstrichen der arabischen Halbinsel und ihren nördlichen Randgebieten gelangten die halbnomadischen Stämme aus ihrer Isolierung und kamen im 3. Jahrhundert nach Christus durch intensiven Handel mit jüdischem und christlichem Gedankengut und vor allem mit christlichen Missionierungsversuchen in Berührung. Große und berühmte Stämme wie die Ghassaniden und die Lachmiden traten zum Christentum über, kleinere Stämme folgten ihnen. Allein in Yathrib gab es drei Stämme, die den jüdischen Glauben angenommen hatten. Zugleich verbreitete sich in den Köpfen ein Sammelsurium von synkretistischen und spekulativen Ideen aus verschiedenen religiösen Strömungen, die sich zum Teil im Koran niedergeschlagen haben, was die Verwechslungen oder Veränderungen der alttestamentlichen und neutestamentlichen Geschichten dort erklärt. Die arabische Welt war also schon vor Mohammed in religiöser Aufbruchstimmung, und es gab erste Verkünder des Monotheismus, der durch die jüdische und vor allem christliche Mission angeregt worden war. Bereits vor Mohammed hatte es „Gesandte Gottes“ (Hanifen) gegeben, die zur Abkehr von Götzendienst und Sünde und zur Verehrung des einzig wahren Gottes aufgerufen hatten. Unter diesen Hanifen war Mohammed der erfolgreichste, konsequenteste und glaubwürdigste. Aber er erlebte die Predigt seiner Visionen als Kampf, was die späteren aggressiven islamischen Missionierungsunternehmen erklärt. Als der Freitag zum Tag der Verkündigung des Koran erklärt wurde, geschah dies nicht allein um der Anbetung willen, sondern es war der Tag des Djihad (wörtlich „Einsatz“), des „heiligen Krieges“, der zunächst Information, dann Verkündigung, schließlich Mission und letztlich Krieg zur Verbreitung des Islam einschloss. Noch heute, wieder verstärkt durch die letzten Jahrzehnte der Auseinandersetzungen des Is- lam mit der westlichen Welt, wird fast überall in den Moscheen in der Freitagspredigt zum Kampf oder Widerstand gegen den dekadenten Westen, vor allem gegen Amerika aufgerufen. Aspekte zum Sieg des Islam im Vorderen Orient Der Erfolg hat Mohammed Recht gegeben. Die religiösen Querelen und der Hader in der Ostkirche (Byzanz), der vor allem durch die Nestorianer und ihren Streit mit den Monophysiten ausgelöst worden war, die Auseinandersetzungen mit den synkretistischen und sektiererischen Religionen und dem kriegerischen Beduinentum am Ostrand des byzantinischen Reiches sowie der anschwellende Nationalismus der Syrer, Armenier und Kopten, die den „griechischen“ Kaiser in Konstantinopel mit seinem falschen Verständnis des Christentums ablehnten, all diese Umstände bereiteten Mohammed den Weg zu seinem Sieg über die arabischen Völkerstämme und den gesamten Vorderen Orient. Aber es war dennoch mehr die Schwäche der anderen als die Stärke des jungen Islam, der ihn zur (Welt-)Religion werden ließ. Der erste Sieg Mohammeds bei Muta/Tabuk über die Byzantiner führte zum Verlust der Ostprovinzen von Byzanz. Dies bedeutete für die arabischen Stämme die Aufhebung des römischen Steuerpächtersystems und die Aufrichtung einer ordnenden religiösen und politischen Macht. Die verwirrenden Debatten über ein rechtes Verständnis des Christentums hatten ein Ende. Die widersprüchlichen Mischreligionen wurden dem Islam unterworfen. Dieser Erfolg Mohammeds überzeugte ihn von der Richtigkeit seines Glaubens. Allah hatte ihn bestätigt. Besonders die Nestorianer spielten Mohammed theologisch in die Hände. Ihrer Meinung nach war Jesus nur ein inspirierter Prophet. Diese Deutung nahm Mohammed gerne auf, weil sie seinen Monotheismusvorstellungen entgegenkam. Aber auch das gnostische Judentum, mit dem Mohammed vermutlich schon in Mekka bekannt wurde und das Christus ebenfalls als großen Propheten verstanden hatte, könnte auf Mohammeds Christusverständnis Einfluss gehabt haben. Mohammed war jedoch religionspolitisch ADVENTECHO-EXTRA · JANUAR 2002 ADVENTECHO-EXTRA ZUM THEMA „DER ISLAM“ sehr geschickt, indem er in Mekka zunächst noch die Trias der altarabischen Götter/Göttinnen beließ und Judentum und Christentum als Buchreligionen unter dem Islam für geduldet erklärte, was ihm vor allem steuerliche Vorteile brachte (Kopfsteuer für Christen und Juden). Somit war die Grundlage für die Ausbreitung des Islam im Vorderen Orient und in den angrenzenden Gebieten geschaffen. Jesus Christus und der Islam Mohammed hat über Jesus Christus viele auch von der frühen katholischen Kirche längst überwundene Lehren verarbeitet, sodass in seinen Darstellungen ein sehr groteskes Jesusbild entsteht. Obwohl er – gegen das Judentum – die jungfräuliche Empfängnis Jesu bezeugt, bezeichnet er die Mutter Jesu, Maria, als die Schwester Aarons (ein Klangirrtum: Mirjam, Marjam/Maria). Nach Sure 21 gilt Jesus als die heilige Person, als Zeichen Gottes vor der Welt. In Medina wurde das Jesusbild noch weiter ausgestaltet: Jesus hat den Heiligen Geist (Sure 2,88), er hat einen höheren Rang als die Propheten (Sure 2,254), er ist das „Wort Gottes“ (Sure 3,45; 4,172). Die wundersame Speisung im Himmel setzt sich aus Schichten des Speisungswunders, der Vision des Petrus (Apg 10,10-16) und dem letzten Mahl Jesu zusammen. Wer dem Evangelium Jesu nachfolgt, gewinnt Frömmigkeit und Erbarmen (Sure 57,27f). Jesus kündigt die Ankunft Mohammeds an (Sure 61,7-10). Der Kreuzestod Jesu wird jedoch abgelehnt. An seiner Statt starb ein anderer. Jedoch wurde Jesus nach seinem Tode zu Gott entrückt oder erhöht (Sure 4,157-159), was ihn qualifiziert, am Auferstehungstag gegen alle Falschglaubenden Zeuge zu sein, bevor er dann nochmals den Tod erleidet. Man kann aufgrund der Aussagen Mohammeds über Jesus von einer völlig undifferenzierten und daher unkundigen Mischtheologie sprechen, die vor allem arianisch-doketische und gnostische Elemente frei assoziiert. Einfach gesagt: Jesus war nur ein Mensch und/oder hatte einen Scheinleib. Rätselhaft bleibt, weshalb Mohammed den Kreuzestod Jesu abgelehnt hat. War es wegen der sühnenden Bedeutung dieses JANUAR 2002 · ADVENTECHO-EXTRA Geschehens? Als Antwort reicht es nicht, nur auf den Eingottglauben zu verweisen, den Mohammed energisch vertrat, der also keine Gottheit neben sich duldete, schon gar nicht einen sterbenden Gott. Es ist zwar richtig, dass Mohammed zunächst die mekkanische Trias al-Lat, al-Uzza und Manat um der Einwohner und um der Handelsgeschäfte der Mekkaner willen geduldet hat, aber schon bald lehnte er die beduinischen Götter ab, die er als Erfindungen der Väter bezeichnete (Sure 53,23). Mohammeds Gegner fragten nun an, wie er sich zum Christentum stelle, in dem Jesus Christus als Sohn Gottes verehrt wurde. Warum durften die Araber nicht auch ihre Götter als Söhne und Töchter Allahs betrachten? Mohammed erklärte Jesus unter Berufung auf die grassierenden apokryphischen Geburts- und Kindheitslegenden zum Diener der Menschheit. „Ich bin der Diener Gottes. Er hat mir die Schrift gegeben und mich zum Propheten gemacht“ (Sure 19,30), soll Jesus bereits in der Wiege gesagt haben. Die Gottessohnschaft Jesu hat Mohammed nie in einem anderen Zusammenhang als in seiner Auseinandersetzung mit der Vielgötterei gesehen, die er als die größte Sünde verstand. Der gegenwärtigen Islamforschung wird immer deutlicher, dass Mohammed während seiner Auseinandersetzung mit Jesus Christus unter dem diffusen Einfluss der syrischen Mönchsreligion stand, die nicht nur die Gotteskindschaft, sondern auch das Evangelium von der Sündenvergebung gänzlich ausgelöscht hatte, gleichzeitig aber lehrte, dass sich der Fromme durch lebenslange Reue und Selbstreinigung aus eigener Kraft die Erlösung verdienen kann. Diese Art der Frömmigkeit hat Mohammed tief beeindruckt und ihm als Vorbild gedient, als er die fünf Säulen des Islam definierte: Bekenntnis (sahadat), Gebet (salat), Almosen (zakat), Fasten (ramadan) und die Pilgerfahrt (hadj). Hieraus ergibt sich, dass Mohammed aus dem Christentum seiner Zeit und seiner Umwelt nicht erkennen konnte, dass die Gottessohnschaft Jesu die Grundlage für das Erlösungswerk Christi darstellt. Seine Vorstellung von Allah als dem übermächtigen Gott, der wegen seiner unendlichen Größe auch keine Solidarität mit dem Menschen empfinden kann (und darf), spielt hier ebenfalls mit hinein: Wenn Allah den Menschen nicht erlösen muss, dann ist es auch nicht notwendig, dass er um der Erlösung des Menschen willen „Knechtsgestalt“ annimmt (Phil 2,7.8) und dem Menschen zum Bruder wird (Hbr 2,11.17). Die überirdische Allgegenwart Allahs schließt eine Solidarität seines Herzens mit der Welt und dem Menschen aus – er ist nicht „unser Vater“. Wenn Mohammed Jesus Christus nur in Bezug auf die Vielgötterei abgelehnt und sich bemüht hat, Christus als „Diener Gottes“ zu definieren, dann zeigt dies, dass er die neutestamentlichen Aussagen über die Dreieinigkeit offenbar nicht gekannt hat. Wieder stoßen wir auf seine Unkenntnis des Evangeliums und der geistlichen Dynamik, die dort verkündigt wird. Auf die christliche Trias Vater, Sohn und Heiliger Geist ist Mohammed nie eingegangen, weil er vom Zusammenhang zwischen dem Vater (dem Schöpfer), dem Sohn (dem Erlöser) und dem Heiligen Geist (dem Heiligmacher) nichts gewusst hat. Genaugenommen hat die sich in Irrlehren und Selbstzerfleischung befindliche und sich auflösende Kirche von Byzanz Mohammed den Weg zu Gott und seinem Evangelium versperrt. Johannes auf Patmos hat mit seherischem Blick diese Veränderungen der Kirche erkannt und die Gefahr erfasst, die von den eigenwilligen Völkern der Wüste Arabiens ausgehen würde. Moslemische Apokalyptik und Eschatologie In Offenbarung 9,1-11 beschreibt Johannes im Bild des Wüstenungeziefers, Skorpion und Heuschrecke, die aggressive und individuell ausgeprägte Angriffslust der Wüstenstämme, die bereits 700 Jahre zuvor, zur Zeit Jesajas und Jeremias (um 600 v. Chr.), Juda und andere Völker in Bedrängnis gebracht hatten (Jes 21,13-17; Jer 49,28-33). Die arabischen Kontakte nach Palästina und Rom waren um Christi Geburt durch Besitzansprüche der Römer und die Handelsmacht der Nabatäer bis in das Innere Arabiens hinein Alltag, und damit auch die Kenntnis der vorislamischen religiösen Vorstellungen, die ohnehin in vielen äußeren Aspekten der altsemitischen Religion ähnelten. Diese hat Johannes in dramatischer Symbolik aufgenommen III ADVENTECHO-EXTRA ZUM THEMA „DER ISALM“ und dadurch eine Beziehung zu Arabien geschaffen, das er auch als eines der Sinnbilder des Gegenspielers Christi und des Evangeliums sah. Der vom Himmel herabfallende Stern (Offb 11,1) ist die Göttin al-Uzza (Venus), die den Abgrund öffnet. Hier wird auf den ghabghab angespielt, eine Höhle unterhalb des Schlachtplatzes in der Kaaba, die das Opferblut der Tiere aufnahm und zugleich als Ort des Zugangs in den Abyssos verstanden wurde, in dem die Urwasser der Sintflut verschwunden waren. Aus diesem Abgrund steigt Rauch empor, und mit ihm Heuschrecken und Skorpione, die als wilde Krieger die Menschen quälen. Ihre Haare „wie Frauenhaare“ (Offb 11,8) sind eine deutliche Anspielung auf die kriegerische Sendung arabischer Stämme, deren Krieger sich nicht kämmen durften, eine Praxis, die auch Mohammed noch geübt hat. Der „König, der Engel des Abgrunds“ (Offb 11,11) wird mit dem aramäischen Namen Abbadon umschrieben und bezeichnet den Gegenspieler Gottes, wörtlich: „Verderber“ (der Menschen). Diese kriegerische Seite des Islam ist aber erst eine letzte Instanz des „Heiligen Krieges“, des Djihad, der zunächst nur den „Einsatz“ für den Glauben, für das Gebetsleben, die alltägliche Pflichterfüllung und den Dialog mit anderen Religionen bezeichnet. Wird aber die Ausführung des Glaubens nicht ermöglicht oder wird sie von anderen verachtet oder behindert, kann der Djihad auch in Krieg umschlagen. Es hat immer Zeiten gegeben, wie im Christentum, in denen aufgrund der erschreckenden Umstände und des gesellschaftlichen Ruins der Djihad kriegerisch geführt werden musste. Anders als im Christentum ist der Teufel im Islam nicht der Widersacher Gottes, sondern allein des Menschen (Sure 12,5; 17,53). In der Endzeit wird er den Menschen furchtbar bedrängen. Es gilt daher, durch den moslemischen Djihad die Menschheit vor dem Satan zu retten. In der gegenwärtigen Weltsituation, in der die USA und das damit verbundene westliche Europa als Gegenspieler des Islam gedeutet werden, wird deswegen auch der sheitan (Satan) und sein Wirkungsbereich klar erkennbar. Der Imam Chomeini hat es 1979 und noch 1993 verstanden, diese Sa- IV tansfurcht für seine Politik zu instrumentalisieren: „Eure kalten und heißen Waffen, das heißt eure Worte und Gewehre, richtet nicht gegeneinander, sondern gegen die Feinde der Menschheit, an deren Spitze Amerika steht.“ (Worte und Weisheiten Imam Chomeinis). Ist die Personalunion von Satan und Amerika erst einmal hergestellt, dann muss gegen Amerika genauso vorgegangen werden wie gegen den Satan des Korans. Der Satan ist auch bei Chomeini nicht der Feind Gottes, sondern der Feind der Menschheit und aller Unterdrückten dieser Welt (die durch Amerika unterdrückt wird). Und wenn Bundespräsident Rau am 14. September 2001 den Terror von New York als „Anschlag auf die ganze Menschheit“ bezeichnet hat, dann kann dieser Terror aus islamischer Sicht auch als Versuch angesehen werden, die Menschheit vor ihrem Feind zu retten. Dieser Feind ist in den Augen der Terroristen der Kapitalismus, die Unterdrückung der Armen, die Bevormundung der Entrechteten, die Zurschaustellung von Vermögen und Macht. Die Bombardierung Afghanistans bleibt daher aus ihrer Sicht eine Tat Satans und ist, trotz der Beteuerungen der westlichen Politiker, doch ein Angriff auf den Islam. Der Islam im Konflikt mit der Postmoderne Die bis hierher skizzierte „moslemische Eschatologie und Apokalyptik“ ist grundlegend für ein Verständnis des Dilemmas, in dem sich der moderne Moslem befindet. Der Islam ist heute konfrontiert mit den rasanten Entwicklungen der westlichen Postmoderne, die als ein neues Lebensgefühl bereits in den westlichen „Erste-Welt-Ländern“ Fuß gefasst hat. Der Bruch mit den sicheren Strukturen der Moderne und die Auflösung der Wertegesellschaft irritiert ja nicht nur die westlichen Zivilisationen, sondern auch jene Gesellschaften, die zwar die Errungenschaften der westlichen Technologie wollen, aber nicht den fragwürdigen Einfluss, den westliche Gesellschaft, Wirtschaft und Handel in den religiös orientierten Ländern ausüben. Das Motto der postmodernen Gesellschaft – „Anything goes“ – kann nicht in Ländern mit klaren sozialen und religiös fundierten Strukturen gelten. Werden diese Strukturen von Handel, Wirtschaft und Politik ignoriert und kungeln die eigenen moslemischen Staaten mit dem Westen, dann kommt es zu den oben beschriebenen Reaktionen, die sich gegen Amerika und gegen die eigene korrupte Staatsführung richten. Die islamische Gesellschaft ist eine spirituelle Gesellschaft, die nicht nur humanistische, sondern auch biblische Werte vertritt, die in der sogenannten christlichen Welt, die nicht spirituell, sondern materialistisch geprägt ist, kaum noch vorhanden sind. Die Familie und ihre Werte, wie Vertrauen, Schutz, Hingabe und Liebe, haben im Islam den höchsten Stellenwert in Religion und Alltag. Sind diese Werte jedoch für Familie, Stamm und Volk bedroht, reagiert der Islam mit dem Einsatz (Djihad) für Familie, Stamm und Volk. Weil diese Werte sich mit Volk, Land und Religion eng verknüpfen, hat die für den Westen unverständliche Solidarität der meisten Moslems mit Usama Bin Laden höhere Bedeutung als der Tod von mehr als 5000 Menschen im World Trade Center. Diese Überzeugung ist aber nicht mit Bomben auf Afghanistan zu korrigieren, sondern nur mit einem sozio-religiösen und sozio-politischen Vorlauf: mit Respekt und Achtung vor den Überzeugungen, Werten und der Religion der Andersdenkenden. Es ist deshalb auch unsinnig, einen Moslem missionieren zu wollen. Seine Gottesbeziehung ist häufig tiefer und inniger als die des westlichen Missionars. Es wäre auch falsch, vordergründig Jesus Christus als den Sohn Gottes als Glaubensvoraussetzung darzustellen – der Moslem weiß längst von der Allbarmherzigkeit Gottes. Was er nicht weiß und glaubensmäßig erfahren muss, ist, dass seine menschliche Existenz in all ihrer Schwachheit und Hinfälligkeit von Gott angenommen und vergeben wird. Dieses Vaterbild gilt es dem Moslem als eine weitere Dimension Allahs zu vermitteln. Die nachfolgende Heiligung des Lebens gelingt dem Moslem ohnehin schon besser als den Pharisäern. Udo Worschech Prof. Dr. Udo Worschech ist der Rektor der Theologischen Hochschule Friedensau. ADVENTECHO-EXTRA · JANUAR 2002