Obere Extremität 5. Topografie der Leitungsbahnen Leitungsanästhesie des Plexus brachialis: Prinzip, Zugangswege und Durchführung der Blockade 5.6 A Prinzip der peripheren Leitungs­ anästhesie Die periphere Leitungsanästhesie ist ein Regio­ nalanästhesieverfahren, bei dem die Weiterlei­ tung von Aktionspotenzialen ­ unterbrochen wird. Der anästhesierte Bereich liegt also distal der Punktionsstelle. Möglich ist sowohl die Anästhesie einzelner peripherer Nerven (motorisch und sensibel) als auch ganzer Ner­ venplexus. Skalenuslücke (Mm. scaleni anterior u. medius) Plexus brachialis (Trunci superior, medius u. inferior) M. trapezius Os hyoideum N. phrenicus Incisura thyroidea Cartilago cricoidea (Ringknorpel) Acromion M. omohyoideus M. sternocleidomastoideus Mohrenheim-Grube A. u. V. subclavia V. cephalica im Sulcus deltoideopectoralis Fossa jugularis M. coracobrachialis M. biceps brachii M. pectoralis minor A. u. V. axillaris Clavicula B Topografie des Plexus brachialis und anatomische Orientierungs­punkte Die motorische und sensible Versorgung der oberen Extremität über­ nimmt der Plexus brachialis, der sich aus den Rr. ventrales der Spinal­ nerven C5 –Th1 bildet (s. S. 354). Im Verlauf des Plexus werden zunächst Primärstränge (Trunci), Aufteilungen (Divisiones) und Sekundärstränge (Fasciculi) gebildet. Hierbei liegen die Primärstränge auf Höhe der Ska­ lenuslücke, die Aufteilungen oberhalb und hinter der Clavicula. Die Sekundärstränge verlaufen infraklavikulär zunächst kranial bzw. lateral der A. axillaris und auf Höhe der Axilla hinter (Fasciculus posterior), seitlich (Fasciculus lateralis) und medial (Fasciculus medialis) der A. axillaris. Lokalanästhetikum Nervenstimulator M. scalenus medius interskalenäre Blockade M. sternocleidomastoideus M. scalenus anterior vertikal-infraklavikuläre Blockade Stimulationskanüle axilläre Blockade Gefäß-Nerven-Scheide (A. u. V. axillaris, Plexus brachialis) Beachte die für die einzelnen Zugangswege wichtigen anatomischen Orientierungspunkte: M. sternocleidomastoideus, Ringknorpel, Incisura thyroidea, Mm. scaleni anterior u. medius (Skalenuslücke), Clavicula, Acromion, Fossa jugularis (Jugulum), Fossa infraclavicularis (Mohren­ heim-Grube), M. coracobrachialis, A. axillaris. Darüber hinaus sollte man sich die anatomisch-topografischen Verhältnisse in Bezug auf fol­ gende potenziell zu schädigende (!) Strukturen einprägen: N. phrenicus, N. laryngeus recurrens, zervikale bzw. thorakozervikale sympathische Ganglien (z. B. Ganglion stellatum), A. vertebralis, zervikaler Epiduralund Subarachnoidalraum, Pleurakuppel. C Gefäß-Nerven-Scheide des Plexus brachialis und elektrische Nervenstimulation Vom Durchtritt durch die Skalenuslücke bis in die axilläre Region ist der gesamte Plexus brachialis zusammen mit der begleitenden A. u. V. axil­ laris von einer derben bindegewebigen Hülle umgeben. Innerhalb die­ ser Gefäß-Nerven-Scheide kann sich das Lokalanästhetikum mehr oder minder gleichmäßig ausbreiten und alle in diesem Bereich verlaufenden Nerven gemeinsam anästhesieren. Um den einzelnen Nerv gezielt suchen und effektiv blockieren zu können, wird die elektrische Nerven­ stimulation eingesetzt, bei der über eine (nur an der Spitze nicht iso­ lierte) Stimulationskanüle ein definierter Stromimpuls abgegeben wird. Dieser Stromimpuls kann an den motorischen Axonen entsprechende Aktionspotenziale auslösen (zu den möglichen Reizantworten s. E). Die nachfolgende Injektion von 1– 2 ml eines geeigneten Lokalanästheti­ kums sollte bei richtiger Positionierung der Kanüle zum sofortigen Sis­ tieren der Muskelaktion führen (sog. Auslöschphänomen). 378 Schünke, Schulte, Schumacher, Prometheus: Allgemeine Anatomie und Bewegungssystem (ISBN 9783131395221), © 2007 Georg Thieme Verlag KG Obere Extremität M. sternocleidomastoideus V. subclavia Skalenuslücke V. jugularis interna a MohrenheimGrube Acromion Fossa jugularis b Clavicula vordere Achselfalte (M. pectoralis major) M. coracobrachialis A. axillaris c a b E Motorische Reizantwort der einzelnen Nerven der oberen Extremität nach elektrischer Nervenstimulation a N. radialis: Extension im Ellenbogengelenk (M. triceps brachii), Exten­ sion und Radialabduktion im Handgelenk, Supination des Unterarms und Extension der Finger; 5. Topografie der Leitungsbahnen D Klinisch wichtige Zugangswege zur Blockade des Plexus brachialis Um akzidentelle mechanische Nervenläsionen zu vermeiden, empfiehlt es sich generell, einen elektrischen Nervenstimulator (s. C ) und „atrau­ matisch“ geschliffene Nadeln zu verwenden. Allgemeine Kontraindika­ tionen für alle hier genannten Verfahren sind z. B. Infektionen an der Ein­ stichstelle sowie manifeste Gerinnungsstörungen, spezielle Kontraindi­ kationen sind u. a. eine kontralaterale Phrenikus- und Rekurrensparese. a Interskalenärer Zugangsweg nach Meier: ermöglicht die am wei­ testen proximal gelegene Blockade des Plexus brachialis und damit Eingriffe im Bereich von Hals und Schulter. Orientierungspunkt ist der Hinterrand des M. sternocleidomastoideus auf Höhe der Incisura thy­ roidea 2 cm oberhalb des Ringknorpels. Punktiert wird von kranial mit einem Stichwinkel von etwa 30° zur Haut in Richtung Skalenuslücke. b Vertikal-infraklavikuläre Blockade nach Kilka, Geiger und Mehrkens: Vorteil gegenüber der axillären Blockade (s. u.): neben der Ausschaltung der drei Faszikel, sichere Blockade des N. musculo­ cutaneus. Leitstrukturen sind der ventrale (!) Rand des Acromions sowie die Mitte der Fossa jugularis. Die Hälfte der Verbindungsli­ nie zwischen beiden Punkten markiert die Einstichstelle am Unter­ rand der Clavicula. Zur besseren Orientierung liegt der Zeigefinger in der Mohrenheim-Grube. Punktiert wird medial vom Zeigefinger und streng vertikal (!) zur Unterlage. Eine mediale Stichrichtung und eine zu tiefe Punktion sind wegen der Gefahr eines Pneumothorax unbe­ dingt zu vermeiden! c Axilläre Plexusanästhesie: etabliertester, technisch einfachster und risikoärmster Zugangsweg zum Plexus brachialis. Indikationen sind alle Eingriffe an Hand, Unterarm und distalem Oberarm. Leitstruk­ tur ist die i. d. Regel gut zu tastende A. axillaris medial des M. cora­ cobrachialis. Mit zwei Fingern wird die Lücke zwischen A. axillaris und M. coracobrachialis unmittelbar distal der vorderen Achselfalte (lateraler Rand des M. pectoralis major) getastet. In diese Lücke erfolgt die Injektion mit einer um 30 – 45° geneigten Kanüle paral­ lel zur Arterie. Nach Penetration der Gefäß-Nerven-Scheide, die als derber, federnder Widerstand gespürt wird, wird die Kanüle abge­ senkt und tangential nach proximal bis zum Anschlag vorgeschoben. Durch Verwendung eines Nervenstimulators kann die Lage der Kanü­ lenspitze optimiert werden. „Problemnerven“ (= schwer anästhesier­ bare Nerven) sind der N. radialis, der hinter der A. axillaris verläuft, und der N. musculocutaneus, der die Gefäß-Nerven-Scheide bereits deutlich proximaler verlassen hat. c d b N. musculocutaneus: Flexion im Ellenbogengelenk (M. biceps brachii); c N. ulnaris: Ulnarflexion im Handgelenk, Flexion in den Grundgelen­ ken II –V, Adduktion des Daumens; d N. medianus: Flexion und Pronation im Handgelenk, Flexion der Mit­ tel- und Endglieder II –V sowie des Daumens. 379 Schünke, Schulte, Schumacher, Prometheus: Allgemeine Anatomie und Bewegungssystem (ISBN 9783131395221), © 2007 Georg Thieme Verlag KG