Mittwoch, 1. Dezember 2010 VPNP_S_3 Seite 3 Yoga statt Zähne zusammenbeißen Wieso soll Entspannung gut für die Zähne sein? Stress kann sich zum Beispiel auf die Kiefermuskulatur auswirken – und zu Schmerzen und Zähneknirschen führen. Von Marina Martin (Hochschule Coburg) D er schnarchende Partner ist für einige Paare ein bekanntes Problem. Dass auch das Zähneknirschen den Schlaf rauben kann, ist vielen neu. Doch tatsächlich knirschen manche Menschen nachts so laut mit den Zähnen, dass dadurch störende Geräusche entstehen. Bruxismus, so der Fachbegriff, wird häufig unterschätzt. Doch was genau versteht man unter Bruxismus? Es handelt sich nicht um eine eigenständige Krankheit, sondern um ein Symptom, das auf verschiedene Probleme hindeuten kann. Die Betroffenen reiben unbewusst im Schlaf die Zähne aneinander oder pressen diese zusammen. Dabei kann ein enormer Druck von 300 bis 400 Kilo entstehen. Das Zähneknirschen bleibt oft lange unerkannt. Häufig bemerkt es der Partner oder die Partnerin, wenn das Geräusch des Knirschens den Schlaf raubt. Oder der Zahnarzt stellt es bei einer Routineuntersuchung fest. Die Folgen sind von der Intensität abhängig. Je mehr man knirscht, desto mehr wird der Zahnschmelz beschädigt. Dadurch wird der Zahn dauerhaft anfälliger für Erkrankungen wie Karies. Im schlimmsten Fall kann der Zahn wegen des hohen Drucks der Länge nach durchbrechen. Oft treten zeitgleich andere Beschwerden auf. Typisch sind Schlafstörungen, Verspannungen im Hals-, Nackenund Schulterbereich sowie Schmerzen und knackende Geräusche im Kiefergelenk. Auch Kopfschmerzen und Migräne können ihre Ursachen im nächtlichen Knirschen haben. Sogar Tinnitus kann damit zusammenhängen. „Knirschen kann sowohl Ursache als auch Folge sein. Deshalb ist es notwendig alle Auslöser zu finden und den Körper als Gesamtes zu betrachten“, betont die Coburger Zahnärztin Dr. Jana Edelmann. Anhand der Beschwerden, die Patienten schildern, oder der so genannten Knirschrillen kann sie schnell eine Diagnose stellen. „Wenn der Verdacht erst einmal besteht“, sagt Edelmann, „ist es möglich, den Ursachen durch gezielte Fragen auf den Grund zu gehen.“ Sie gibt den Patienten zusätzlich Fragebögen zu Stressbelastung und eventuell vorhandenen Funktionsstörungen mit. Neben einer Fehlstellung des Kiefergelenks können eine falsche Bissstellung, zum Beispiel durch eine zu hoch sitzende Krone, oder eine falsche Belastung der Muskulatur Schuld an der nächtlichen Kieferarbeit sein. Die Funktionsanalyse ist Grundlage für den weiteren Therapieverlauf. „Wenn lediglich eine Krone nicht angemessen ist, so kann diese einfach angepasst werden. Bei einer Funktionsstörung muss man allerdings den Menschen immer ganzheitlich betrachten“, erklärt Edelmann. Die Zahnärztin schickt ihre Patienten gegebenenfalls zu Orthopäden, Osteopathen, Neurologen und Physiotherapeuten. Mit einem Handtuch, auf dem der menschliche Körper abgebildet ist, verdeutlicht sie die Zusammenhänge: An einer Stelle greift sie zu und rafft das Tuch zusammen, um eine Störung zu simulieren. Dabei kann man erkennen, wie sich auch der Rest verzieht. So, erklärt sie, kann sich auch ein schief stehendes Becken bis hin zum Kiefer auswirken. Als Vorbereitung auf die Therapie ist eine so genannte JigSchiene oft sinnvoll, welche individuell angefertigt wird. Sie verändert die Bissstellung so, dass nur die vorderen Zähne Kontakt zueinander haben. Dadurch kann der Kiefer die hohen Kräfte nicht mehr aufbringen und entspannt somit die Muskulatur. Die Schiene trägt man nächtlich für etwa sechs bis acht Wochen. Danach trainiert man, wenn erforderlich, mit einem Physiotherapeuten eine bewusste Haltung ein. In jedem Fall sollte eine auf die Bedürfnisse des Patienten abgestimmte Therapie erfolgen. Die Behandlung muss der Patient allerdings selbst bezahlen. Nur die Kosten für die Knirscher-Schiene werden von den Krankenkassen übernommen. Die Schiene muss dauerhaft nachts getragen werden, und behandelt nicht die Ursachen, sondern verhindert lediglich eine weitere Abnutzung der Zähne. Darum halten sie nicht alle Zahnärzten für sinnvoll. Wegen der unterschiedlichen Ursachen, auf die man nicht immer Einfluss habe, sei eine Prävention schwierig, sagt Jana Edelmann. Da Stress jedoch ein immer schwerwiegenderer Faktor wird, rät sie, als Vorsorge auf Entspannung zu achten. Dies bestätigt eine Studie der Heinrich-HeineUniversität in Düsseldorf, woraus hervorgeht, dass sich Stress direkt auf das Knirschen auswirkt. „Dies ist nicht verwunderlich“, meint Dr. Tobias Esch, Professor für Integrative Ge- Watte im Ohr: Hörsturz? sundheitsförderung an der Hochschule Coburg. „Schließlich ist es evolutionär bedingt, dass wir unter Stress diverse Muskelpartien anspannen und sprichwörtlich die Zähne zusammenbeißen. Jedoch setzen wir uns in der heutigen Zeit immer mehr in dumpfes Gefühl im Ohr Stress aus und vernachlässigen die notkann ein erstes Zeichen für eiwendige Entspannung.“ nen Hörsturz sein. Betroffene Wie geht man richtig mit Stress um? Da sollten schnell einen Arzt aufsuchen, viele Menschen heute sitzend tätig sind, empfiehlt der Deutsche Berufsverkann Bewegung als Ausgleich dienen. band der Hals-Nasen-Ohrenärzte in Und: Kaum jemand baut Entspannung beNeumünster. Das watteartige Gefühl wusst in den Tagesablauf ein. Genauso könne verschiedene Formen annehwichtig ist der kognitive Umgang mit men – von verzerrter Wahrnehmung Stress. Am besten sei, wenn sich diese drei bis hin zu völliger Taubheit. Hinzu Bereiche ergänzen, sagt der Stressforscher. kämen manchmal Schwindel oder Allerdings hat nicht jeder ausreichend Benommenheit. Ein Hörsturz sollte Zeit, um Techniken zu lernen oder an einach Angaben des Verbandes behannem Stressmanagement-Kurs teilzunehdelt werden. Sonst drohe ein dauermen. Für all jene hat er ein paar Tipps: hafter Verlust des Hörvermögens „Beim Laufen, sei es auf dem Weg zum oder ein Tinnitus. HörsturzbehandDrucker oder zum Arbeitsplatz selbst, ist es lungen werden von den gesetzlichen sinnvoll, sich nur auf das Laufen zu konKrankenkassen meist nicht überzentrieren. Auch beim Essen ist es hilfnommen. Betroffene sollten sich dareich, sich zumindest für wenige Bissen her vor der Therapie beim Arzt über bewusst auf das Kauen zu konzentrieren, die Kosten informieren. dpa und dies mit Achtsamkeit zu tun.“ Viele Menschen sind stattdessen mit den Gedanken woanders, überlegen sich vielleicht, was sie erledigen müssen. Zähne im Test Das lässt sich auch auf den Sport übertragen. So kann man beim Laufen, Für alle, die das Risiko einer Funktistatt belastende Gedanken onsstörung einschätzen wollen, gibt mitzuschleppen oder Mues im Internet einen Selbsttest. Diesik zu hören, das Bewusstser bezieht sich auf die Craniomandisein gezielt auf die eigenen buläre Dysfunktion (CMD), also ProSchritte lenken und daraus blemen mit Kiefermuskeln und Kieeine Art Meditation mafergelenken. Sie gehören zu den körchen. Eine weitere Übung, perlichen Ursachen für Zähneknirdie man ohne Zeitaufwand schen. Der Test ist in sechs Fragen in den Tagesablauf inteunterteilt und bietet eine ausführligrieren kann, ist das beche Anleitung. wusste Atmen. „Atmen Sie ————— ein paar Mal täglich für www.prodente.de zwei bis drei Atemzüge ganz bewusst tief ein und aus“, rät Esch. „Dafür machen Sie sich am besten Eselsbrücken als Gedächtnisstütze, nehmen Sie es sich beispielsweise immer vor, wenn Sie eine SMS erhalten.“ Stress führt nicht nur zum Zähneknirschen. An erster Stelle seien die Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu nennen, sagt der Professor; gefolgt von Kopf- und Rückenschmerzen, ucht hat viele Gesichter. MillioSchlafproblemen, negativen Auswirkunnen Deutsche sind abhängig gen auf die Partnerschaft, Ausbleiben von von Tabak, Alkohol oder MediSchwangerschaften, Depressionen und kamente, Hunderttausende von Burnout. Somit sind psychische BelasCannabis oder Glücksspielen. Auch tungen ein Risikofaktor für ganz unterOnline-Sucht ist inzwischen ein Theschiedliche Erkrankungen. Ganz zu ma. Ein Überblick nach Angaben der schweigen davon, dass wohl jeder Stress Drogenbeauftragten der Bundesreals unangenehm empfindet. Also lautet gierung, Mechthild Dyckmans: die Devise: seltener die Zähne zusammenbeißen, öfter entspannen. Man 쮿 Tabak: In Deutschland raucht tut damit nicht nur den Zährund ein Drittel der Erwachsenen. nen etwas Gutes. Insgesamt sind das etwa 16 Millionen Menschen. E Süchtige in Deutschland S 쮿 Alkohol: 9,5 Millionen Menschen in Deutschland konsumieren Alkohol in riskanter Form, rund 1,3 Millionen sind Alkoholiker. 쮿 Medikamente: Bis zu 1,9 Millionen Menschen sind nach Schätzungen medikamentenabhängig. Rund 70 Prozent davon sind Frauen, viele älter als 60 Jahre alt. 쮿 Cannabis: Rund 400 000 Menschen konsumieren die Droge in einer Weise, die als problematisch eingestuft wird. Viele davon gelten als abhängig. 쮿 Glücksspiel: Bis zu 400 000 Bundesbürger gelten als glücksspielsüchtig. Sie können ihr Spielverhalten nicht mehr richtig kontrollieren. 쮿 Online- und Mediensucht: Experten gehen davon aus, dass rund drei Prozent der jugendlichen und erwachsenen Internetnutzer von dem Medium abhängig sind – viele von Online-Computerspielen. dpa Stress ist die häufigste ursache von Zähneknirschen. Deshalb hilft, sich zu entspannen.