Klimawandel und globale Armut

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Grußwort
Erzbischof Reinhard Marx
Im September 2006 haben wir deutschen Bischöfe einen weit über die kirchlichen Grenzen hinaus beachteten so genannten „Expertentext zum Klimawandel“
veröffentlicht, in dem der Klimawandel als „Brennpunkt globaler, intergenerationeller und ökologischer Gerechtigkeit“ beschrieben wird. Eine derartige Positionsbestimmung unterscheidet sich in mehrfacher Weise von anderen, im aktuellen politischen Diskurs häufig anzutreffenden Analysemustern und Argumentationsstrategien.
Verständnis des Klimawandels
1. Der Klimawandel wird dabei interpretiert als eine Frage der Gerechtigkeit
und damit sui generis als eine Frage, die – neben anderem – nach ethischen
Antworten verlangt. Ethischen Prinzipien, Maximen usw. geht es jedoch immer
auch um ihre Universalisierbarkeit. Bereits diese – nicht ausschließliche, aber
doch wesentliche – Zuordnung des Klimawandels zum Gegenstandsbereich ethischen Argumentierens ist also das genaue Gegenteil einer Verkürzung auf partikulare, häufig rein ökonomische Kosten-Nutzen-Kalküle, wie sie sich auch in
der Klimadebatte zunehmender Prominenz erfreuen.
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2. Eine Perspektive ökologischer Gerechtigkeit verlangt, Umwelt bzw. Natur in
ihrem Eigenwert anzuerkennen und sie nicht zu reduzieren auf ihre Mittelfunktion für die Zwecke des Menschen. Auch dies erleben wir häufig in aktuellen
Debatten selbst von den Menschen, denen es eigentlich um den Schutz der natürlichen Umwelt geht (aktuelles Beispiel: Debatten im Kontext der UNVertragsstaatenkonferenz in Bonn zum Erhalt der Biodiversität, Verwertbarkeit
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pflanzlicher Wirkstoffe in Medizin und Pharmaforschung). Die christliche, biblisch fundierte Deutung von „Umwelt“ als „Gottes gute Schöpfung“ erleichtert
demgegenüber die Anerkennung des Eigenwerts der natürlichen Um- und Mitwelt unabhängig von der Erfüllung menschlicher Zwecke. Wenn „Umwelt“ in
der christlichen Tradition zu „Schöpfung“ wird, dann findet damit nicht nur eine Begriffstransformation statt, sondern dann geht dies einher mit einer klaren
Handlungsanweisung an den Menschen: Ihm nämlich ist aufgetragen, Gottes
Schöpfung zu bewahren, sie zu hegen und zu pflegen, sie zwar nicht zu vergöttlichen wie von vielen New-Age-Esoterikern praktiziert, ihr aber doch mit Staunen und einem gehörigen Maß an Ehrfurcht zu begegnen.
3. Eine Perspektive intergenerationeller Gerechtigkeit verlangt – nach vorne gerichtet –, die Zukunftsfähigkeit der Welt für künftige Generationen sicherzustellen; sie verlangt darüber hinaus aber auch – nach rückwärts betrachtet –, zu
fragen, warum wir überhaupt in die Situation des anthropogenen, d.h. menschenverursachten Klimawandels gekommen sind. Aus einer solch historischen
Rückschau wiederum können bestimmte ethisch geforderte Handlungsmaßstäbe
für die Zukunft erwachsen, z.B. dass die Hauptverursacher des Klimawandels
auch Hauptverantwortliche für seine Bekämpfung sind.
4. Eine Perspektive globaler Gerechtigkeit schließlich verlangt, das Wohl aller
Menschen dieser Welt gleichermaßen in den Blick zu nehmen. Dies ist das genaue Gegenteil der Verfolgung nationalstaatlicher Eigen- bzw. partikularer
Gruppeninteressen, wie wir es – leider – auch und gerade im Bereich der Klimapolitik häufig erleben.
Herausforderung für Politik und Gesellschaft
© 2009 W. Kohlhammer, Stuttgart
Genau an diesem tut sich die Politik, ob Welt-, Europa-, Bundes- oder Landespolitik, am schwersten: Unter einer Perspektive globaler Gerechtigkeit nämlich
reicht es nicht, den Hochwasserschutz auszubauen, den Waldumbau zu forcieren, die energetische Optimierung von Gebäuden zu fördern und die Forschung
an Anpassungsstrategien für lokale Bevölkerungen voranzutreiben, so nötig und
wichtig diese Punkte im Einzelnen auch sind. Es muss darüber hinaus aber immer auch das Schicksal der Ärmsten der Armen im Blick sein, wenn wir hier in
den Industrieländern, in Deutschland, in Bayern, Strategien unserer zukünftigen
Energie-, Handels- und Agrarpolitik formulieren, um nur einige der Handlungsbereiche zu nennen. Dies ist schwierig, zumal die Folgen des Klimawandels auch bei uns zu Verteilungskonflikten führen werden, die heute noch kaum
absehbar sind. Der Befund aber bleibt: Die Ärmsten, die Bevölkerungen in den
Grußwort
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Ländern des Südens, sie drohen in hiesigen Debatten – auch wegen herrschender Systemlogiken – zunehmend gar nicht mehr vorzukommen.
Dabei ist der Klimawandel doch in erster Linie eine globale Herausforderung.
Sie deshalb anzugehen, ohne die Interessen aller Bewohner dieser Welt in gleicher Weise zu berücksichtigen, ist sachlich unangemessen, politisch unklug und
vor dem Hintergrund globaler Gerechtigkeitsforderungen ethisch nicht rechtfertigbar.
Integrierte Sicht von Klimawandel
und Armutsbekämpfung
Umso dringlicher erscheint aus dieser globalen Perspektive die Betonung einer
integrierten Sichtweise: Der Klimawandel verschärft die Armutsproblematik genauso wie die Armen am stärksten von ihm betroffen sind. Dies zeigen uns
sämtliche bisherigen Studien nicht nur des UNDP, des Entwicklungsprogramms
der Vereinten Nationen, sondern auch die Erfahrungen aus der praktischen
Entwicklungszusammenarbeit gerade auch der kirchlichen Hilfswerke. Es ist
deshalb sachlich falsch und moralisch fahrlässig, die beiden Herausforderungen
Klimaschutz und Armutsbekämpfung gegeneinander auszuspielen nach dem
Motto: „Beim Klimaschutz gespartes Geld ist frei für die direkte Hilfe der Armen im Hier und Jetzt“. Beides gehört zusammen und bedingt sich gegenseitig.
Diesen thematischen Zusammenhang näher zu analysieren, ist das Ziel dieser
Tagung. Es auf die wissenschaftliche Tagesordnung gesetzt zu haben, dafür gebührt den Veranstaltern bereits jetzt mein Dank!
Symposion und Bayerische Klimawoche
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Mein Dank gilt ihnen aber auch für Ihre Bereitschaft, dieses Symposion als Teil
des katholischen Beitrags im Rahmen der Ersten Bayerischen Klimawoche stattfinden zu lassen, die am Sonntag, den 8. Juni 2008 zu Ende geht. Die Klimawoche wird getragen von der Bayerischen Klima-Allianz, einem breiten Zusammenschluss gesellschaftlicher und politischer Akteure, der die beiden großen
christlichen Kirchen in Bayern seit Januar 2007 angehören. Anlässlich ihres
Beitritts erklärten damals die Kirchen zusammen mit der Bayerischen Staatsregierung in einer gemeinsam unterzeichneten „Grundsatzerklärung für eine Zusammenarbeit zum Schutz des Klimas“ vom 11. Januar 2007:
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Marx
„Die bayerischen Bistümer und die Evangelisch-Lutherische Kirche in
Bayern werden […] ihre vielfältigen Möglichkeiten der Bildungs- und
Umweltarbeit engagiert wahrnehmen, um das Verantwortungsgefühl der
Menschen für nachhaltige Entwicklung und insbesondere für den Klimaschutz zu wecken. Von großer Bedeutung ist dabei die Förderung zukunftsfähiger Lebensstile und die Verankerung der Generationengerechtigkeit und der globalen Verantwortung im Bewusstsein des Einzelnen
und der Gesellschaft.“
Im Rahmen der Klimawoche auch die Auswirkungen des Klimawandels auf die
Menschen in den Ländern des Südens zu thematisieren und damit die bei uns
doch häufig vorherrschende deutschland- oder bayernzentrierte Sicht aufzubrechen, darin liegt in meinen Augen eine der großen Chancen dieses Symposions.
Ich verbinde damit die Hoffnung, durch den Blick auf die Situation in den Ländern des Südens und damit durch das Einnehmen einer globalen Perspektive die
dringend geforderte Bewusstseinsveränderung bei uns zu befördern, denn: Was
ich derzeit auf vielen Ebenen wahrnehme, ist die Konzentration von personellen
und finanziellen Ressourcen vor allem auf die technische Anpassung an die Folgen des Klimawandels (adaptation). In Ergänzung – oder besser – vorgängig
dazu wäre aber bereits die deutliche Reduzierung der Emission klimaschädlicher
Gase (mitigation) nötig. Dies wiederum würde eine fundamentale Lebensstiländerung in den Industrieländern als den Hauptverursachern des menschengemachten Klimawandels voraussetzen. Für mein Dafürhalten kann dies wesentlich beeinflusst werden durch die Einsicht in die globalen Zusammenhänge und
einer daraus erwachsenden Zustimmung zu ethischen Konsequenzen für unser
Handeln.
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Die Verbreitung nachhaltiger Lebensstile bei uns und damit die Zukunftssicherung der Welt, wie wir sie kennen, ist somit eng gekoppelt an das Verständnis
der komplexen Zusammenhänge zwischen Klimawandel, Armutsbekämpfung
und den Einfluss der Industrieländer auf beides.
Wissenschaftliche Basis
globaler Klimaänderungen
durch den Menschen
Hartmut Graßl
Im April 2007 hat die IPCC Arbeitsgruppe II „Impacts, Vulnerability and Adaptation“ einen aufrüttelnden Satz in ihrer Zusammenfassung für Entscheidungsträger formuliert (IPCC 2007a): „Ohne Klimaschutz sind am Ende des 21.
Jahrhunderts 20 bis 30% aller bekannten Arten von Tieren und Pflanzen vom
Aussterben bedroht.“
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Die beiden zentralen Umweltprobleme, nämlich Klimaänderungen und Verlust
an biologischer Vielfalt, sind also streng miteinander gekoppelt. Die bisher
schon für den raschen anthropogenen Klimawandel geltende Aussage, dass die
Hauptbetroffenen der Auswirkungen der Klimaänderungen diejenigen sind, die
sie kaum verursacht haben, wird durch den obigen Satz potenziert, weil wiederum die armen Länder und in ihnen die Slumbewohner sowie die Subsistenzlandwirte besonders betroffen sein werden. Allerdings sind Letztere ebenfalls
Verursacher des lokal von Landnutzungsänderungen ausgelösten Verlustes an
biologischer Vielfalt. Siedlungsbau und Landwirtschaft waren bisher die dominanten Faktoren für die Bedrohung und das Aussterben der Arten. Wie kommt
die Bedrohung der Artenvielfalt durch Klimaänderungen zustande?
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Graßl
Bedrohung der Arten durch Klimaänderungen
Weil viele Arten nur in eng begrenzten Temperaturbereichen und bei besonderen Niederschlagscharakteristiken vorkommen können, bedeutet jede Verschiebung dieser grundlegenden Parameter des Lebens eine Verschiebung des Vorkommens von Arten, sofern die Klimaänderungsrate die natürliche Wandergeschwindigkeit von Arten nicht überfordert, wodurch es zum Aussterben bestimmter Arten in einer Region kommen kann. Im Folgenden werden einige offensichtliche Bedrohungen von Artengruppen vorgestellt.
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Erwärmung zwingt alle Arten in Bergregionen aufwärts bis in Gipfelregionen, wo bei weiterer Erwärmung die endemischen Arten zum Aussterben
verdammt sind.
Meereisökosysteme kollabieren bei dem Verschwinden des den Sommer
überdauernden, mehrjährig genannten Eises, denn sie haben ihre Lebensbasis verloren. Ein Beispiel aus jüngster Zeit ist die Flucht der Walrosse an
die Küste von Alaska, nachdem das Eis in der Beaufort-See im Sommer
2007 weggeschmolzen war.
Korallenriffe erholen sich oft nicht mehr von der Ausbleichung: Bei so genannten El Niño-Ereignissen mit erhöhter Oberflächentemperatur des Ozeans im östlichen tropischen Pazifik und oft auch im tropischen indischen
Ozean wird die Lebensgemeinschaft zwischen Korallen und Algen geschwächt, oft sterben die Algen ab, die Korallen bleichen aus. Je höher die
Ozeanwassertemperatur bei solchen Ereignissen steigt, umso schwerer ist
die Wiedererholung. Als artenreichste Ökosysteme im Ozean sind ausgeblichene Korallenriffe dann eine Bedrohung für sehr viele andere Arten.
Naturschutzgebiete können nicht mehr schützen, was sie schützen sollten;
denn bestimmte charakteristische Tiere oder Pflanzen werden von den bei
Erwärmung und zugehörigen Niederschlagsänderungen besser angepassten
Arten verdrängt; wenn andere Refugien fehlen, kann dies rasches Aussterben bedeuten.
Die natürliche maximale „Wanderungsgeschwindigkeit“ von Pflanzen ist
inkompatibel mit den sehr raschen Klimaänderungen: Die schon angelaufenen anthropogenen Klimaänderungen und die für die kommenden Jahrzehnte vorprogrammierten haben mit Ausnahme der Folgen des Einschlages
großer Himmelskörper eine über sonstigen globalen Klimaänderungen liegende Geschwindigkeit. Somit werden die schon bei den raschen natürlichen Klimaänderungen beobachtbaren Verarmungen des Artenspektrums
einer Region verstärkt auftreten. Bestes Beispiel ist die Armut an Baumarten in Mitteleuropa, wo nach dem Ende der Intensivphase der Vereisungen
z.B. vor 20.000 bzw. ca. 120.000 Jahren Wälder in einigen Tausend Jahren
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Wissenschaftliche Basis globaler Klimaänderungen durch den Menschen
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bis zu 20 Breitengrade hätten wandern müssen, um an das Klima angepasst
zu sein, dies aber nur zum Teil konnten.
Klimaänderungen verstärken die Bedrohung heimischer Arten durch Einschleppung bisher unbekannter Arten durch den weltweiten Handel, das
Ballastwasser von Schiffen, den globalen Flugtourismus sowie Flugzeugbzw. LKW-Transporte über große Distanzen. Sie bringen ortsfremde Tiere
und Pflanzen sowie Mikroorganismen in fast alle marinen und terrestrischen Ökosysteme, wo sie inzwischen durch den angelaufenen Klimawandel häufiger Fuß fassen können, weil ihnen die globale Erwärmung in den
früher für sie zu kalten Regionen Überlebensbedingungen schafft.
C4-Pflanzen und Sukkulenten werden teilweise benachteiligt. Während viele
C3-Pflanzen (Weizen, Reis, Kartoffeln, Zuckerrüben) nicht nur erhöhte
Wassernutzungseffizienz bei erhöhter CO2-Konzentration zeigen, sondern
auch bei ausreichender Düngung und ohne Wasserstress mehr Biomasse
bilden, ist dies bei C4-Pflanzen (Mais, Hirse) sowie Sukkulenten nicht der
Fall. Sie sind im Wesentlichen auf erhöhte Wassernutzungseffizienz beschränkt. Daher besteht in den noch trockener werdenden semi-ariden Tropen ein weiterer Nachteil gegenüber humiden Klimazonen in den gemäßigten Breiten.
Ursachen und Ausmaß der globalen Erwärmung
2.1 Der gestörte Kohlenstoffkreislauf
Der Hauptgrund für die globale Erwärmung ist der im Folgenden erläuterte veränderte Kohlenstoffkreislauf.
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Seit etwa 1850 bis heute hat der globale Kohlenstoffkreislauf eine – verglichen
mit den Nettoflüssen im natürlichen Kreislauf – dramatisch wachsende Störung
zu verkraften. So wurden von 2000 bis 2006 bei der Verbrennung von fossilen
Brennstoffen im Mittel jährlich 7,6 Gigatonnen Kohlenstoff (Gt C/a), meist in
Form von Kohlendioxid, in die Atmosphäre entlassen. Aus Entwaldung und
Zerstörung anderer Vegetation kamen etwa 1,5 Gt C/a hinzu. Von diesen insgesamt 9,1 blieben 4,1 Gt C/a in der Atmosphäre und der Ozean nahm nur 2,2 Gt
C/a vom anthropogenen Kohlenstoff auf. Die noch existierende terrestrische
Biosphäre hat also ca. 2,8 Gt C/a zwischengelagert (vgl. auch Abbildung 1 im
Anhang für die zeitliche Entwicklung). Diese Störungen des für das Leben nach
dem Wasserkreislauf wichtigsten Stoffkreislaufes haben wegen der Wirksamkeit
von CO2 für den Strahlungshaushalt der Erde sicherlich globale Folgen.
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Graßl
2.2 Der gestörte Strahlungshaushalt der Erde
Die Besonderheit der Erdatmosphäre, nämlich die große Bedeutung der Spurenstoffe (Treibhausgase, Aerosolteilchen) für den Strahlungshaushalt des Planeten
bei relativ geringem Einfluss der Hauptgase, eröffnet der Menschheit starken
globalen Klimaeinfluss durch die Emission langlebiger Spurengase und durch
Spurenstoffbildung aus ebenfalls von uns emittierten kurzlebigen Spurengasen.
Ein Zahlenbeispiel: Die Zunahme des langlebigen Spurengases Distickstoffoxid
(N2O, Lachgas) von 0,28 auf 0,31 millionstel Volumenanteile seit Beginn der
Industrialisierung hat einen „Strahlungsantrieb“ von 0,16 Watt pro Quadratmeter (Wm-2) verursacht, was mehr als dem Fünffachen der Abwärme aller
menschlichen Aktivitäten (≤ 0,03 Wm-2) entspricht. Mit Strahlungsantrieb wird
die Änderung der Strahlungsflussdichte am oberen Rand der Atmosphäre (genauer an der oberen Grenze der rasch durchmischten Schicht der Atmosphäre
(die untersten 8 km in Polnähe bis ca. 17 km am Äquator) bezeichnet, die bei
sonst konstant gehaltenen Parametern der Atmosphäre allein durch die Konzentrationsänderung einer Substanz entsteht. Eine Strahlungsflussdichte gibt an wie
viel Energie pro Zeit- und Flächeneinheit fließt. Ein positiver Strahlungsantrieb
ist Anlass zur Erwärmung an der Erdoberfläche, weil nur dann die insgesamt
von der Sonne aufgenommene Energie auch wieder in den Weltraum entweichen kann. Der Strahlungsantrieb ist also ein Maß für die angestoßene Klimaänderung.
Es gibt vielfältige anthropogene Eingriffe in die Atmosphäre und die Erdoberfläche, die den Strahlungshaushalt verändern. Nach Abbildung 2 (vgl. Anhang)
sind die mit erwärmender Wirkung insgesamt stärker, aber auch die vier kühlenden Eingriffe liefern in der Summe -1,45 Wm-2 Strahlungsantrieb gegenüber
den +3,07 Wm-2 der erwärmenden. Da die kühlenden Eingriffe, nämlich vor
allem die mit der Lufttrübung verbundenen, ungenauer abzuschätzen sind, bleiben große Fehlerbalken für den Nettoeffekt, der nur mit 1,6 ± 1,0 Wm-2 einzugrenzen ist.
Abbildung 2 enthält Schätzungen und Bandbreiten des global gemittelten Strahlungsantriebs im Jahr 2005 für anthropogenes Kohlendioxid (CO2), Methan
(CH4), Lachgas (N2O) und andere wichtige Faktoren und Mechanismen zusammen mit der typischen geografischen Ausdehnung des Antriebs und der Beurteilung des Grades des wissenschaftlichen Verständnisses (GDWV).1
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Der Nettobetrag und die Bandbreite des anthropogenen Strahlungsantriebs sind ebenfalls angeführt. Deren Berechnung benötigt die Summierung von asymmetrischen Unsicherheitsabschätzungen der einzelnen Faktoren und kann deshalb nicht durch einfache
Addition durchgeführt werden. Für weitere hier nicht aufgeführte Strahlungsantriebe
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Für die obersten beiden, die wesentlichsten und lange erwärmenden Strahlungsantriebe aufgrund der Emissionen von Treibhausgasen, gibt es für die Hauptemittenten, die Industrieländer, erste geringe Verpflichtungen im KyotoProtokoll bzw. Produktionsverbote im Montrealer Protokoll. Alle anderen
Strahlungsantriebe sind noch nicht durch Völkerrecht geregelt. Der schwache
negative Strahlungsantrieb durch das verdünnte Ozon in der Stratosphäre ist
durch das Montrealer Protokoll jetzt nicht mehr zunehmend, weil die Auslöser,
die halogenierten Kohlenwasserstoffe (meist FCKW), in der Atmosphäre ihre
maximale Konzentration überschritten haben.
Abbildung 2 macht auch klar, dass die leicht erwärmend wirkende Zunahme der
Sonnenstrahlung, überwiegend in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, sehr
wenig zur Nettoerwärmung beigetragen hat.
Es wäre falsch, allein aus dem Nettostrahlungsantrieb seit Beginn der Industrialisierung und der beobachteten Erwärmung die Empfindlichkeit des Klimasystems abzuschätzen, weil jeweils wesentliche Teile des Strahlungsantriebes durch
langsam reagierende Systemkomponenten wie Ozean und Eisgebiete noch nicht
in Erwärmung umgesetzt sind.
2.3 Beobachtete Klimaänderungen
Dass es im 20. Jahrhundert im globalen Mittel wärmer geworden ist, wird auch
von denen, die es vor etwa einem Jahrzehnt – wenn auch gegen die Äußerung
der großen Mehrheit der Wissenschaftler – noch nicht glauben wollten, nicht
mehr bezweifelt. Dass angesichts vieler externer und interner Einflussfaktoren
die in 2 m Höhe gemessene Lufttemperatur, denn nur sie wird seit etwa 1850
systematisch an fast weltweit verteilten Stationen gemessen, nicht gleichmäßig
steigt, ist ebenfalls ein akzeptiertes Faktum. Die in Abbildung 3 (vgl. Anhang)
klar erkennbare Unterbrechung der Erwärmungstendenz der mittleren bodennahen Lufttemperatur zwischen 1945 und 1974 hat zu einem wesentlichen Teil mit
der Lufttrübung zu tun (darüber mehr im nächsten Kapitel). Jahresmitteltemperaturen können von einem Jahr zum anderen um bis zu 0,4°C schwanken, getrieben von Zirkulationsanomalien (z.B. El-Niño-Ereignissen) oder Vulkanausbrüchen. Dennoch ist die gemessene Temperaturänderung von 1900 bis 2005
mit +0,76°C ± 0,14°C recht sicher einzuschätzen. Eine integrierte Größe wie
die mittlere Höhe des Meeresspiegels ist gegenüber der Temperatur viel glatter.
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wird das GDWV als sehr niedrig eingeschätzt. Vulkanische Aerosole wirken als zusätzlicher natürlicher Antrieb, sind aber aufgrund ihres episodischen Charakters in dieser Abbildung nicht berücksichtigt. Der Bereich für geradlinige Kondensstreifen schließt andere
mögliche Effekte des Luftverkehrs auf die Bewölkung nicht ein.
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Die gegenwärtige mittlere Anstiegsrate ist mit 3,1 ± 0,5 mm/a seit 1992 recht
genau einschätzbar, weil Radargeräte auf erdumlaufenden Satelliten die Abstandsmessung zur Meeresoberfläche so verfeinert haben, dass sogar für einzelne Ozeanbecken und Monate eine genaue Messung möglich ist. Gegenüber dem
aus Pegelmessungen an Küsten abgeleiteten mittleren Anstieg von knapp unter
20 cm pro Jahrhundert steigt der Meeresspiegel in den letzten 15 Jahren rascher
an, überwiegend verursacht von der Ausdehnung des erwärmten Meerwassers
und erst in zweiter Linie vom Schmelzen von Eis auf Landoberflächen.
Die mit Schnee bedeckte Erdoberfläche der nördlichen Erdhälfte im beginnenden Frühjahr schrumpft nach Abbildung 3 zwar (erst seit 1925 gemessen), aber
nicht so stark wie es einem Bewohner Mitteleuropas aus eigener Anschauung
plausibel erscheinen könnte, weil in Gebieten mit erhöhtem Niederschlag die
Schneedeckendauer, wie in Teilen Sibiriens, auch bei Erwärmung zunehmen
kann.
Alle in Abbildung 3 abgebildeten Veränderungen (a) der mittleren globalen Oberflächentemperatur, (b) des mittleren globalen Meeresspiegelanstiegs aus Pegelmessungen (blau) und Satellitendaten (rot) und (c) der nordhemisphärischen
Schneebedeckung im März und April beziehen sich auf das Mittel des Zeitraumes 1961-1990. Die geglätteten Kurven repräsentieren die über ein Jahrzehnt
gemittelten Werte, während Kreise die Jahreswerte darstellen. Die schattierten
Flächen zeigen die geschätzten Unsicherheitsbereiche aufgrund der umfangreichen Analyse bekannter Unsicherheiten (a und b) und aus den Zeitreihen.
Viele andere Klimaparameter zeigen ebenfalls signifikante Veränderungen. Beispiele sind: Reduzierter Niederschlag in vielen subtropischen und tropischen
semi-ariden Gebieten, erhöhter Niederschlag in hohen nördlichen Breiten, Zunahme der Sonneneinstrahlung an der Erdoberfläche seit ca. 1990 mit Ausnahmen in Indien und Teilen Chinas, nach Jahrzehnten der Abnahme der Einstrahlung der Sonne an der Oberfläche in den Industriegebieten durch die damals höhere Lufttrübung.
2.4 Ist der beobachtete Klimawandel anthropogen?
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Im März 1995 verkündete der Gründungsdirektor des Max-Planck-Institutes für
Meteorologie, Klaus Hasselmann, bei einer Pressekonferenz in Hamburg, dass
das anthropogene Klimasignal entdeckt sei. Schon im Dezember 1995 stand der
darauf aufbauende und das Kyoto-Protokoll stimulierende Satz „The balance of
evidence suggests a discernible human influence on global climate“ in der Zusammenfassung für Entscheidungsträger der Arbeitsgruppe I des IPCC. Für die
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