BULLETIN DER BUNDESREGIERUNG

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BULLETIN
DER
BUNDESREGIERUNG
Nr. 56-2 vom 2. Juni 2008
Rede von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
beim Festakt zum zehnjährigen Bestehen
der Europäischen Zentralbank
am 2. Juni 2008 in Frankfurt am Main:
Sehr geehrter Herr Präsident, lieber Jean-Claude Trichet,
sehr geehrter Herr Präsident, lieber José Manuel Barroso,
sehr geehrter Herr Präsident, lieber Hans-Gert Pöttering,
sehr geehrter Herr Premierminister, lieber Janez Janša,
sehr geehrter Herr Premierminister, lieber Jean-Claude Juncker,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
Exzellenzen,
meine Damen und Herren!
Als deutsche Bundeskanzlerin ist es für mich eine ganz besondere Freude, heute
hier in Frankfurt mit Ihnen zusammen den zehnten Geburtstag der Europäischen
Zentralbank feiern zu können. Vor fast 60 Jahren wurde an diesem Ort schon einmal
ein gutes Stück Währungsgeschichte geschrieben, als die D-Mark eingeführt wurde.
Ihre Einführung, verbunden mit einem sehr bemerkenswerten Dialog zwischen dem
amerikanischen General Clay und Ludwig Erhard, markiert die Aufhebung der Preisbewirtschaftung und die Geburtsstunde der Sozialen Marktwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Erst durch die völlig neu gewonnenen wirtschaftlichen Freiheiten und eine stabile Währung wurde das, was wir im Rückblick das deutsche Wirtschaftswunder nennen, möglich.
Vor zehn Jahren wurde in Frankfurt erneut Währungsgeschichte geschrieben und
damit auch währungspolitisches Neuland betreten. Die Gründung der Europäischen
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Zentralbank war ein Schritt von großer Tragweite für uns alle in Europa. Historisch
war sie absolut konsequent, denn viele weise Männer und Frauen hatten bereits
nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges darauf hingewiesen, dass Völker, die durch
eine Währung miteinander verbunden sind, nie wieder Krieg gegeneinander führen
werden.
Es war – auch das muss man sagen – zunächst ein Schritt, der zumindest in
Deutschland vielen gar nicht einfach gefallen ist, denn er bedeutete den Abschied
von der D-Mark, die für die Deutschen damals eine Währung voller Symbolkraft für
Stabilität und Wohlstand war. Aber – das ist das schöne an dem heutigen zehnten
Geburtstag – die Geschichte hat die Bedenken eindrucksvoll widerlegt. Die Einführung des Euro und die Europäische Währungsunion sind bereits heute ein großer
historischer Erfolg. Wir in Deutschland – das darf ich sagen – sind stolz darauf, die
Heimat der Europäischen Zentralbank zu sein.
Es gibt keinen Zweifel: Unsere Gemeinschaftswährung hat in den vergangenen zehn
Jahren zu Wachstum, Wohlstand und Prosperität in Europa beigetragen, denn der
Euro hat in kurzer Zeit das auf sich vereint, was anfangs noch viele bezweifelt haben,
nämlich Vertrauen – Vertrauen in die Stabilität und Verlässlichkeit als Gemeinschaftswährung; Vertrauen ist ihr größtes Kapital.
Dieses Vertrauen in den Euro ist für mich zuallererst ein Vertrauen in die Europäische Zentralbank. In den Verträgen haben wir gemeinsam festgelegt, dass die Europäische Zentralbank sowohl unabhängig als auch vorrangig dem Ziel stabiler Preise
verpflichtet ist. Beides gehört zusammen. Beides ist sozusagen unverzichtbare
Grundessenz unseres funktionstüchtigen Währungssystems. Beides war und ist
nach meiner festen Überzeugung auch entscheidende Voraussetzung für die breite
Akzeptanz des Euro in Wirtschaft und Gesellschaft. Das gilt auch für die Zukunft.
In Deutschland haben wir in unserer Geschichte erfahren, wie wertvoll und wichtig
ein stabiles Preisniveau ist. Die dramatischen Folgen der Hyperinflation in den 20er
Jahren bleiben unvergessen. Die Lehre aus der Vergangenheit war und ist: Ohne
stabile Preise können Markt und Wettbewerb nicht verlässlich funktionieren. Ohne
stabile Preise verlieren Spareinlagen an Wert. Kapital wird abgezogen. Zugleich ver-
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schlechtern sich die Finanzierungsbedingungen der Unternehmen. Ohne stabile
Preise setzen steigende Lebenshaltungskosten vor allem Bezieher geringer Einkommen unter Druck. Ohne stabile Preise sinkt letztlich das Vertrauen in die Zukunft.
Das alles zeigt: Preisstabilität ist kein Selbstzweck, kein technischer Begriff, sondern
eine elementare Voraussetzung für Wachstum und Wohlstand, denn sie schafft einen verlässlichen Rahmen für Leistung und Wettbewerb und zugleich Chancen für
die Teilhabe aller. Gerade bei einer Währung, die von vielen Nationalstaaten geteilt
wird, ist dies von allergrößter Bedeutung. Preisstabilität zu sichern, ist damit ein zutiefst soziales Anliegen. Die Verpflichtung der Europäischen Zentralbank auf das Ziel
der Stabilität der Preise ist damit unabdingbar. Sie mit Unabhängigkeit auszustatten,
damit sie Geldpolitik in diesem Sinne verlässlich gestalten kann, ist absolut folgerichtig.
Natürlich ist eine starke Notenbank für Politiker nicht immer bequem. Ich stimme aber
mit unserem früheren Bundeskanzler Helmut Kohl überein, der dazu – übrigens vor
zehn Jahren ebenfalls in Frankfurt – gesagt hat: „Der Ärger eines Bundeskanzlers
oder der des Finanzministers oder der der ganzen Regierung kommt und geht. Solange die Stabilität aber bleibt, haben alle einen Vorteil davon.“ – Ich freue mich,
dass Mitstreiter wie Theo Weigel und Hans-Dietrich Genscher heute unter uns sind.
Die Europäische Zentralbank hat ihren Auftrag zu unser aller Glück und Vorteil von
Anfang an sehr ernst genommen. Dabei hat sie völlig zu Recht immer auf die Aufgabenteilung zwischen ihr und den Mitgliedstaaten geachtet. Zweifellos ist für die
Geldwertstabilität das Handeln aller wirtschaftspolitischen Akteure von großer Bedeutung. Somit entlässt die gemeinsame Geldpolitik die Mitgliedstaaten mitnichten
aus ihrer Verantwortung, das Notwendige zu tun, um ihre jeweilige internationale
Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Dazu gehört auch, mit soliden öffentlichen Finanzen zu einer stabilen Entwicklung in Europa beizutragen. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist aus meiner Sicht dafür unverzichtbar und das richtige Instrument.
Der Euro ist nicht nur ein wirtschaftlicher Erfolg. Er wirkt auch weit über den Rahmen
der Geldpolitik hinaus. Heute zahlen etwa 320 Millionen Menschen mit der gleichen
Währung. Damit teilen sie etwas Alltägliches. Das stiftet Identität. Das stiftet europäi-
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sche Identität. So ist der Euro auch Symbol und Motor des Zusammenwachsens und
Zusammenlebens in Europa. Sein Wirken nach außen steht seinem Wirken nach
innen in nichts nach, denn der Euro steht zugleich für ein starkes Europa, dessen
Stimme in der Welt Gewicht hat. Was wir im Vertrag von Lissabon im Bereich der
Außenbeziehungen anstreben, ist uns in Währungsfragen bereits gelungen.
Ich denke, wir können stolz auf unsere gemeinsame Währung und ihre Institutionen
sein. Aufgrund weltweit steigender Rohstoff- und Energiepreise sowie der jüngsten
Finanzmarktentwicklungen haben die Herausforderungen für die gemeinsame Geldpolitik wohl eher zu- als abgenommen. Umso beruhigender ist es zu wissen, dass wir
mit der Europäischen Zentralbank eine Institution haben, die alles daransetzt, den
Euro auch in Zukunft als Stabilitätsanker zu festigen. Wir sollten alle dazu beitragen,
dass die Europäische Zentralbank ihrem Auftrag weiter mit Erfolg nachgehen kann.
Das sollte aus meiner Sicht die Botschaft des heutigen Tages sein.
Herr Präsident Trichet, Ihnen, Ihren Mitstreitern sowie Ihren Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern wünsche ich auch für die Zukunft ein erfolgreiches Wirken.
Lieber Jean-Claude Juncker, dich bitte ich, für uns als Mitgliedstaaten in kluger und
die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank achtender Weise ein guter Partner
zu sein.
Alles Gute für die Zukunft.
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