90-jährige Wiederkehr der Nobel-Preis - Paul-Ehrlich

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PEG-Nachrichten
90-jährige Wiederkehr der Nobel-Preisverleihung an Paul Ehrlich
PEG-Festveranstaltung in Frankfurt am 24. Oktober 1998
Anläßlich der 90-jährigen Wiederkehr
der Verleihung des Nobel-Preises für Medizin und Physiologie an Paul Ehrlich
fand am 24. Oktober 1998 in Frankfurt/Main eine Festveranstaltung der
Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie e.V. statt. Das Programm war von
Prof. Dr. Fritz Sörgel, Nürnberg, organisiert worden, der die Veranstaltung zusammen mit dem PEG-Präsidenten, Prof.
Dr. Kurt G. Naber, Straubing, moderierte.
Der Nobel-Preis für Medizin und
Physiologie wurde am 29. Oktober
1908 an Paul Ehrlich und Elias
Metschnikoff verliehen. In seiner
Rede bei der Übergabe des Preises
im Dezember 1908 „Über Partialfunktionen der Zelle“ wies Paul Ehrlich darauf hin, daß nun die Zeit gekommen sei, die Partialfunktionen
der Zelle zu studieren. Er schilderte
unter anderem, wie man Erreger resistent machen kann, beispielsweise
indem man sie behandelt, aber nicht
vollständig entfernt.
Prof. Dr. Arthur M. Silverstein,
Baltimore, stellte in seinem Beitrag
„Auf der Suche nach dem Leitstern
in Paul Ehrlichs Immunologie“ die
wissenschaftliche Entwicklung Paul
Ehrlichs dar.
Paul Ehrlich wurde am 14. März
1854 in Strehlen in Oberschlesien
geboren. Sein Medizinstudium
schloß er in Breslau mit dem Staatsexamen ab. Er wurde an der Universität Leipzig promoviert mit der Arbeit „Beiträge zur Theorie und Praxis
der histologischen Färbung“. Die
Färbbarkeit von Geweben war ein
wichtiges Thema in den Arbeiten
Ehrlichs. So fand er, daß der Färbeprozeß rein chemischer Natur ist und
daß die Spezifität der Färbung auf
Rezeptoren beruht. Dies war der Ursprung der Rezeptorentheorie. 1878
holte ihn der Internist Friedrich
Theodor Frerichs an die Charité nach
Berlin. Auch dort galt bald das Wort
„Ehrlich färbt am längsten“. Neben
seinen klinischen Untersuchungen
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legte er durch weitere Forschungsarbeiten in dieser Zeit die Grundlagen
für eine moderne Hämatologie. 1885
erschien seine Habilitationsschrift
„Das Sauerstoffbedürfnis des Organismus“. Dort war die Seitenkettentheorie bereits formuliert.
Ehrlich erkannte als Endziel der
Therapie, daß die Krankheit direkt
anzugreifen sein muß und die Ursache direkt zu vernichten ist. Er legte
hiermit die wissenschaftliche Grundlage der Pharmakologie.
Prof. Dr. Bernd Groner, Direktor
des Georg-Speyer-Hauses, Frankfurt, berichtete über neue Ansätze
zur Krebsbehandlung. Nach den
neuen Erkenntnissen der molekularen Zellbiologie treffen Zellen praktisch keine autonomen Entscheidungen. Alle Reaktionen einer Zelle sind
durch äußere Einflüsse – beispielsweise Peptide oder Steroidhormone
– determiniert. Die extrazellulären
Signale werden über Rezeptoren vermittelt und in der Zelle in biochemische Kaskaden umgesetzt. Alle biochemischen Kaskaden enden im
Zellkern und rufen genetische Informationen ab, Gene werden reprimiert oder dereprimiert. Die Summe
der Proteine, die aus der Genaktivierung oder -inaktivierung entsteht, bestimmt den Phänotyp der Zelle.
Für die Proliferation von Zellen
sind nach heutigem Kenntnisstand
kombinatorische Ereignisse zuständig. Diese regulatorischen Vorgänge
finden vorwiegend in der G1-Phase
des Zellzyklus statt. Nach heutigen
Vorstellungen entsteht eine Krebserkrankung aufgrund von fünf bis
sechs Mutationen in spezifischen
Genen einer Zelle, die für bestimmte
Signalkaskaden verantwortlich sind.
Folgen der Mutationen sind gestörte
Signalkaskaden und ein gestörter
Zellzyklus.
Prof. Dr. Ulrike Holzgrabe, Bonn,
beschrieb Verfahren zur Entwicklung
neuer Therapeutika, wobei der Paradigmenwechsel in der Arzneistoff-
entwicklung aus ihrer Sicht darin besteht, daß man früher eine Substanz
hatte, für die man nach einem Angriffspunkt suchte, heute sucht man
nach einem Angriffspunkt und entwickelt dann eine entsprechende
Substanz. Mit der QSAR-Analyse
(quantitiven Struktur-Wirkungs-Beziehungs-Untersuchungen) können
beispielsweise Verbesserungen im
Wirkungsspektrum, in der Wirkungsqualität, im Resistenzverhalten
oder in pharmakokinetischen Parametern erzielt werden, neue Leitstrukturen können mit diesem Verfahren jedoch nicht entdeckt werden.
Neue Leitstrukturen und auch neue
Targets sind nicht am Computer zu
konstruieren, hierfür müssen andere
Wege gegangen werden, ein Weg ist
beispielsweise die kombinatorische
Synthese. Noch ist jedoch unklar, ob
hiermit auch wirklich neue Substanzen gefunden werden können.
Um neue Substanzen zu finden,
bedient man sich derzeit vor allem an
der Natur, indem natürlich vorkommende Substanzen durch den Chemiker optimiert werden. Beispiele
sind die als Zytostatika eingesetzten
Topoisomerase-Hemmer Topotecan
und Irinotecan oder die Taxane Paclitaxel und Docetaxel. Mit Hilfe der
kombinatorischen Biochemie können neue Antibiotika gefunden werden.
Insgesamt werden heute neue
Wirkstoffe durch ein Ineinandergreifen alter und neuer Methoden gefunden, wobei auch Kollege Zufall eine
wichtige Rolle spielt.
Berichte von
Forschungsvorhaben
Mit der Gestaltung des zweiten Teils
der Festveranstaltung verknüpfte
Prof. Dr. Fritz Sörgel den Wunsch,
die Wirkstoff-Forschung in Deutschland durch die Zusammenarbeit ver-
Chemotherapie Journal · 7. Jahrgang · Heft 4 / 1998
PEG-Nachrichten
schiedener Forschungseinrichtungen
neu zu beleben.
Priv.-Doz. Dr. Andreas Bechthold,
Tübingen, berichtete über die kombinatorische Biosynthese, eine Methode zur Herstellung neuer Arzneistoffe mit Biosynthese-Genen als
Werkzeugen. Derzeit sind weltweit
etwa 50 Biosynthese-Gencluster synthetisiert, mit denen rund 250 Stoffe
hergestellt wurden. Das Erythromycin-Biosynthese-Gencluster beispielsweise wurde an verschiedenen
Orten der Welt synthetisiert. Es enthält unter anderem drei Polypeptidsynthase-Gene und ein HydroxylaseGen (ery-F). In Tübingen wird unter
anderem an Avilamycin A, Landomycin A und Urdamycin A geforscht.
Priv.-Doz. Dr. Peter Heisig, Bonn,
berichtete über molekulargenetische
Ansätze zur Auffindung antibakterieller Topoisomerase-Hemmstoffe.
Die Wirksamkeit von Topoisomerase-Hemmern kann in einem
Überspiralisierungs-Hemmtest untersucht werden. Noch nicht sehr
weit entwickelt ist das Verfahren, die
SOS-Antwort der Zelle nach Stop
der replikativen DNS-Synthese als
Maß für die Wirksamkeit eines
neuen Topoisomerase-Hemmers einzusetzen.
Prof. Dr. H. G. Sahl, Bonn, stellte
antibiotische Peptide, eine heterogene Gruppe von Antibiotika mit
einer relativen Molekülmasse zwischen 1500 und 5000 Dalton, vor.
Unterschieden werden drei Gruppen,
und zwar enzymatisch synthetisierte
Peptide wie Gramicidin, Bacitracin
oder Polymyxin D, sowie ribosomal
synthetisierte Peptide, die wiederum
in eukaryontische Abwehrpeptide
(Defensine, Protegrine) und in bakterielle Peptide (Lantibiotika, Microcine) unterteilt werden. Lantibiotika
sind Lanthionin-haltige antibiotische
Peptide, die in Typ-A-Lantibiotika (kationische Peptide, z. B. Nisin)
und Typ-B-Lantibiotika (ungeladene
Peptide, z. B. Mersacidin) eingeteilt
werden. Zwei der vielversprechend-
sten Substanzen sind Mersacidin
(wirkt gegen MRSA) und Actagardin, sie stören die Zellwandsynthese,
indem sie die Ausbildung von polymerer Zellwand hemmen.
Dr. C. Heidrich, Tübingen, stellte
neue Targets für Antibiotika am Beispiel der Zellwandhydrolyse und der
daran beteiligten Enzyme vor. Jede
Zellteilung und -verlängerung bedeutet für die Bakterien-Zelle, daß
der Murein-Sacculus vergrößert werden muß. Kovalente Bindungen müssen aufgebrochen werden, damit
neues Material eingebaut werden
kann. Neben den synthetisierenden
Enzymen gibt es deshalb auch Murein-Hydrolasen, und zwar gibt es
für jede kovalente Bindung im Murein-Sacculus von E. coli ein hydrolytisches Enzym. Die Vielfalt und die
Menge der Hydrolasen spiegelt ihre
Bedeutung für die Zelle wider. Ist die
Zellwandhydrolyse dereguliert, stirbt
die Zelle ab. Sie scheinen sich daher
als Targets für neue Antibiotika zu
eignen.
Frau S. Löbau, Borstel, berichtete
über Glykosyltransferasen der frühen
Lipopolysaccharid-Biosynthese als
neue Angriffspunkte für Antibiotika.
Lipopolysaccharide sind Bestandteile der Zellmembran von gramnegativen Bakterien. Die Struktur der
Lipopolysaccharide von Chlamydien
wurde in Borstel aufgeklärt. Die Suche von Hemmstoffen der Lipopolysaccharid-Synthese ist das Ziel der
allerdings noch sehr am Anfang
stehenden Forschungen.
Jürgen Bulitta, Nürnberg, der im
Mai 1998 sein Abitur abgelegt hat,
entwickelte im Rahmen von „Jugend
forscht“ ein mathematisches Modell
zur Vorhersage der Resistenzentwicklung von Antibiotika. Er verwendete hierzu pharmakokinetische
Daten aus Arbeiten von Prof. Sörgel
und Prof. Naber, die Serum- und
Schweißspiegel von Ciprofloxacin
und Sparfloxacin gemessen hatten.
Prof. Dr. Roland Nau, Göttingen,
untersucht am Kaninchen- und
Mausmodell der Meningitis immun-
Chemotherapie Journal · 7. Jahrgang · Heft 4 / 1998
modulatorische Wirkungen verschiedener Antibiotika. Beispielsweise
wird die Freisetzung von Lipoteichonsäure als Maß für die proinflammatorische Wirkung unterschiedlicher Substanzen gemessen.
Untersuchungen am Kaninchenmodell zur Streptococcus-pneumoniaeMeningitis ergaben beispielsweise,
daß Rifabutin und Quinupristin/
Dalfopristin wenig proinflammatorische Bestandteile freisetzen. Als
Maß für den Entzündungsprozeß in
vivo wurde die Freisetzung von
TNFα gemessen, auch hier ergab
sich kaum ein Anstieg bei Behandlung mit Quinupristin/Dalfopristin.
In eine ähnliche Richtung gehen
die Untersuchungen von Prof. Dr.
Matthias Trautmann, Ulm, der die
Endotoxin-Freisetzung durch parenteral applizierte Antibiotika untersuchte. Während Carbapeneme nur
wenig Endotoxin freisetzen, ist die
Endotoxin-Freisetzung bei Penicillinen und Cephalosporinen höher.
Trautmann erklärt dies mit dem Wirkungsmechanismus der Antibiotika.
Carbapeneme führen bei Einwirkung
auf die Erreger zu einer kugeligen
Form mit geringerer Oberfläche und
weniger Zellwandbestandteilen im
Kontakt mit der Umgebung, während beispielsweise Cephalosporine
zu einer Filamentbildung und damit
zu einer größeren Oberfläche der Erreger führen.
Frau C. Schakert, München,
stellte ihre Untersuchungen zur sekretorischen Aspartatproteinase von
Candida albicans vor. Sie entwickelte ein In-vitro-SchleimhautCandidose-Modell, in dem der Infektionsverlauf zeitlich verfolgt werden
kann. Ihre Versuche belegen die Bedeutung der sekretorischen Aspartatprotease. Das Enzym wird beispielsweise durch Proteasehemmer wie
Saquinavir und Indinavir gehemmt.
Möglicherweise ergibt sich mit SAPspezifischen Hemmern eine neue
therapeutische Möglichkeit bei Candidosen.
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