blickpunkt

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Informationszentrum
Asyl und Migration
Somalia
Strukturen, Geschichte,
aktuelle Lage
Januar 2010
Urheberrechtsklausel
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Abstract
Das vorliegende Themenheft „Blickpunkt Somalia“ informiert über die Entstehung der Somalia seit
beinahe zwei Jahrzehnten beherrschenden Konflikte sowie über die aktuelle innenpolitische Situation.
Nach dem Zusammenbruch des Regimes des Militärmachthabers Siad Barre im Jahr 1991 ist Somalia heute faktisch dreigeteilt in die völkerrechtlich nicht anerkannte „Republik Somaliland“ im
Nordwesten, den „Regionalstaat Puntland“ im Nordosten sowie Zentral-und Südsomalia.
Während in der „Republik Somaliland“ und – allerdings in geringerem Maße – auch in Puntland
staatsähnliche Strukturen ein gewisses Maß an Stabilität und Sicherheit gewähren, sind die zentralen und südlichen Regionen des Landes Schauplatz erbitterter Kämpfe zwischen aufständischen
radikal-islamistischen Milizen und einer nahezu machtlosen Übergangsregierung.
Abstract
The present issue of “Blickpunkt Somalia” [Spotlight on Somalia] contains information on how
Somalia has evolved over almost two decades dominated by conflicts and on the current domestic
political situation.
Following the collapse of Siad Barre’s military regime in 1991, present-day Somalia is effectively
divided into three: the “Republic of Somaliland”, which is not recognised under international law,
in the northwest, the “Regional State of Puntland” in the northeast, and central and south Somalia.
Whilst state-like structures provide a certain degree of stability and security in the “Republic of
Somaliland” and – albeit to a lesser extent – in Puntland as well, the central and southern regions of
the country are the scene of bitter struggles between armed radical Islamist insurgent groups and a
virtually powerless interim government.
Quellen:
Die im Themenheft zusammengestellten Erkenntnisse beruhen auf vielfältigen Quellen. So dienten
Berichte des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Informationen des Auswärtigen Amtes, Länderberichte des US Departments of State, Erkenntnisse von Partnerbehörden sowie zahlreiche verlässliche Internetquellen als Grundlagen für die Erarbeitung des vorliegenden „Blickpunkts Somalia“.
Inhalt
1. Vorbemerkungen zur Sozialstruktur Somalias.........................................................................1
1.1 Clanwesen.......................................................................................................................1
1.2 Minderheiten...................................................................................................................1
1.3 Xeer.................................................................................................................................2
2. Geschichte ................................................................................................................................3
2.1 Horn von Afrika..............................................................................................................3
2.2 Entstehung und Untergang des Staates Somalia.............................................................4
3. Aktuelle Situation.....................................................................................................................5
3.1 Republik Somaliland.......................................................................................................5
3.2 Regionalstaat Puntland ...................................................................................................6
3.3 Zentral- und Südsomalia.................................................................................................7
3.4 Flüchtlinge ......................................................................................................................10
4. Karte .........................................................................................................................................11
I
II
1.
Vorbemerkungen zur Sozialstruktur Somalias
1.1 Clanwesen
Gesellschaft und Politik Somalias, dessen Bevölkerung zu nahezu 100 % dem sunnitischen Islam
angehört, werden von Clanzugehörigkeiten bestimmt. Das Clanwesen ist patrilinear strukturiert,
d.h. die Zugehörigkeit zu einer Sippe, einem Subclan bzw. zu einem Clan richtet sich nach der des
Vaters. Im Wesentlichen gehört jeder somalische Clan zu einer der fünf großen Clanfamilien, die
sich wiederum in zwei Großgruppen unterteilen lassen: die Samale und die Saab.
Während der Saab-Gruppe die traditionell weniger angesehene, sesshafte, bäuerliche Clanfamilie
der Digil-Merifle / Rahenwein zugerechnet wird, zählen die ursprünglich viehzüchtenden nomadischen Clanfamilien Dir, Darod, Issaq und Hawiye zu den „vornehmeren“ Samale.
Jede Clanfamilie setzt sich aus zahlreichen Clans, Subclans und Sippen zusammen. Letztere werden
häufig als „Reer“, d.h. „Leute von“ bezeichnet und bestehen aus verwandtschaftlich verbundenen
Kernfamilien.
Führer der einzelnen Subclans bzw. Clans sind Männer, die ihre Position vom Vater ererbt haben
und ihre Abstammung auf den Begründer des jeweiligen Clans/Subclans zurückverfolgen können.
Sie tragen Titel wie Suldaan, Malak, Ugaas, Garaad oder Boqor. Sie symbolisieren den Clan und
dessen Solidarität. Ihre Position ist eher schwach und geprägt von Rücksichtnahme auf die Meinungen innerhalb des Clans und die Ergebnisse des Rates der Clanältesten. Nach außen repräsentieren
sie zusammen mit den Ältesten den Clan, nach innen sind sie Schiedsrichter. Die meisten der Männer, die als Kriegsherren bekannt wurden, sind keine traditionellen Clanführer. Eine Ausnahme bildete: Muhammad Farah Aidid, dessen Vater den Titel Garaad trug.
Auf der unteren Ebene der traditionellen Clanführung rangieren die Ältesten. Sie werden vom Clanrat, an dem die erwachsenen Männer teilnehmen, gewählt. Anders als in der Regel der Clanführer
können die Ältesten ihre Position verlieren, wenn ihr Verhalten dem „Wahlvolk“ missfällt.
Bei der Schlichtung von Streitigkeiten zwischen verfeindeten Clans oder Familien findet eine Versammlung der Ältesten der betroffenen Clans statt. Diese Versammlung (Gurti) bemüht sich in oft
langdauernden Verhandlungen um einvernehmliche Beilegung der Differenzen.
1.2 Minderheiten
Minderheiten in Somalia (unterschiedlichen Schätzungen zufolge 6 % - 20 % der Bevölkerung)
stehen außerhalb des Clanwesens. Im Wesentlichen können zwei Gruppen von Minderheiten unterschieden werden: Nachkommen von Immigranten z.B. aus Ost- und Zentralafrika oder von der arabischen Halbinsel und Angehörige sog. Berufsgruppen bzw. deren Nachkommen. Häufig standen
und stehen die Minderheitengruppen in einer Art Klientelverhältnis zu einem Clan.
1
1.3 Xeer
Das somalische Gewohnheits- oder Clanrecht ist außerhalb der bisher entstandenen, regional begrenzten und meist rudimentären Verwaltungsstrukturen das vorherrschende Rechtssystem.
Es umfasst von den somalischen Clans grundsätzlich akzeptierte Prinzipien:
·
Gemeinschaftliche Entrichtung des Blutgeldes (Diya) bei Tod, Körperverletzung, Diebstahl,
Vergewaltigung und Verleumdung sowie Hilfe für Verwandte durch den verwandtschaftlich
oder vertraglich verpflichteten Blutgeldverband („diya-paying-group“).
·
Im Konfliktfall Schonung des Lebens besonders respektierter Gruppen wie Älteste, religiöse
Führer, Frauen, Kinder, Dichter und Gäste.
·
Familiäre Verpflichtungen und Rechte wie Zahlung der Mitgift, Verheiratung einer Witwe
mit dem Bruder des verstorbenen Ehemannes oder das Recht eines Witwers, eine Schwester
der verstorbenen Ehefrau zu ehelichen.
·
Regeln für die Nutzung natürlicher Ressourcen wie Wasser und Weideland; finanzielle Unterstützung für Neuvermählte und verheiratete weibliche Verwandte sowie die zeitweilige
oder dauerhafte Überlassung von Vieh oder anderen Vermögenswerten an Arme.
Im Konfliktfall vermitteln die Clanältesten eine für die Parteien befriedigende Lösung.
Allerdings ist die Akzeptanz der auf Xeer basierenden Konfliktlösungsmechanismen im Schwinden.
Ursachen sind die Veränderungen der somalischen Gesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten
wie die Korrumpierung der Clanältesten durch das System Siad Barres (s. unten 2.2
Entstehung
und Untergang des Staates Somalia), da sie für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung
bezahlt wurden und nicht mehr als unparteiisch galten, ein sinkendes Clanbewusstsein durch die
fortschreitende Urbanisierung, das Auftreten von Kriegsherren, deren Interesse auf Machterwerb
und persönliche Bereicherung gerichtet ist oder die Entstehung clanübergreifend organisierter Milizen wie die der islamistischen Aufständischen sowie schließlich die Ablehnung des überkommenen
Rechtssystems durch zurückgekehrte Auslandssomalier.
2
2.
Geschichte
2.1 Horn von Afrika
Die Küsten der Somalihalbinsel waren bereits im Altertum als Teil des sagenumwobenen Landes
Punt bekannt, aus dem Weihrauch und Myrrhe nach Ägypten eingeführt wurden.
Seit dem 9. Jh. gerieten die Küstenregionen unter den Einfluss der Araber, die die Bevölkerung zum
Islam bekehrten und mehrere islamische Fürstentümer gründeten. Allmählich breitete der Islam sich
ins Innere des Horns von Afrika aus. Parallel dazu erfolgte eine Ausdehnung des somalischen Siedlungsgebietes in den Osten des heutigen Äthiopiens und in den Norden Kenias.
Im nördlichen Hochland des Horns von Afrika war dagegen bereits im ersten nachchristlichen Jahrhundert das Reich von Axum entstanden, das im 4. Jh. das Christentum als Staatsreligion übernommen hatte und aus dem sich in der Folgezeit das Kaiserreich Äthiopien entwickelte.
Seit Ende des 13. Jhs. kam es zu kriegerischen Konflikten zwischen dem islamischen Tiefland und
dem christlichen Hochland, die mehrere Jahrhunderte andauerten und in die im 16. Jh. auch Portugal und das Osmanische Reich involviert waren. Im 19. Jh. eroberte Äthiopien die westlichen
somalischen Siedlungsgebiete (Ogaden).
Die strategisch günstige Lage des „Horns von Afrika“ führte im 19. Jh. zu Bestrebungen verschiedener europäischer Mächte, dort Einfluss zu gewinnen.
Seit den achtziger Jahren des 19. Jhs. gelang es den Engländern und Franzosen durch Unterzeichnung von Schutzverträgen mit somalischen Clans, den Großteil Nord- und Nordostsomaliens unter
ihre Kontrolle zu bringen. Es entstanden Französisch-Somaliland und das Protektorat BritischSomaliland
Im Jahr 1905 kaufte Italien dem Sultan von Sansibar dessen Besitzungen an der südsomalischen
Benadir-Küste ab und gründete Italienisch-Somaliland.
Bereits im Jahr 1899 erhob sich der von den Engländern als „Mad Mullah“ bezeichnete spätere somalische Nationalheld, Said Mohammed Abdille Hassan, gegen Fremdherrschaft. Er hatte auf seiner Hadj die Lehren der puritanische Sufi-Bruderschaft Salihiyya kennengelernt, und war zum Führer der Salihiyya für Somaliland ernannt worden war. Er predigte gegen die in Afrika weitverbreitete Heiligenverehrung, Luxus und den Genuss des Rauschmittels Khat. Mit seinen Anhängern führte
er von 1899 bis 1920 einen „Heiligen Krieg“ gegen Engländer, Italiener und Äthiopier, der erst im
Jahr 1920 durch den massiven Einsatz britischer Bombenflugzeuge gegen die Hochburg der Salihiyya in Nordsomalia beendet wurde.
3
2.2 Entstehung und Untergang des Staates Somalia
Im Abessinienfeldzug 1935/1936 besetzte Italien unter Mussolini Äthiopien. Nach Befreiung Äthiopiens durch Großbritannien im Jahr 1941 kam das gesamte Horn von Afrika mit Ausnahme Französisch-Somalilands bis 1948 unter britische Militärverwaltung. 1948 erhielt Italien seine ehemalige Kolonie als UNO-Treuhandgebiet zurück. Als Unabhängigkeitsdatum setzte die UNO-Vollversammlung den 01.07.1960 fest. Großbritannien schloss sich dem Unabhängigkeitsprozess an und
entließ Britisch-Somaliland bereits am 26.06.1960 in die Unabhängigkeit. Die Vereinigung beider
Territorien zu einem Staat mit der Hauptstadt Mogadischu wurde auf den 01.07.1960, den Tag der
Unabhängigkeit des Treuhandgebietes Italienisch-Somaliland, festgelegt.
Es gestaltete sich von Anfang an schwierig, den wirtschaftlich benachteiligten, ehemals britischen
Landesteil und den entwickelteren, ehemals italienischen Landesteil zu einem Staat zusammenzufügen. Hinzu kam, dass weitere Regionen, in denen überwiegend ethnische Somalis lebten, anderen
Staaten zugeschlagen wurden: Äthiopien erhielt die Ogaden-Region zurück, der Northern-Frontier
District der ehemaligen britischen Kolonie Kenia wurde zur North Eastern Province des seit 1963
unabhängigen Staates Kenia, aus Französisch-Somaliland entstand 1977 der unabhängige Staat
Dschibuti.
Das Bestreben, unter Einbeziehung aller somalischen Siedlungsgebiete ein „Großsomalia“ zu schaffen, wurde bestimmend für die Politik des jungen Staates. Die daraus resultierenden Konflikte trugen in der Folgezeit erheblich zu seiner wirtschaftlichen Verarmung und politischen Schwächung
bei. Ein weiteres Problem war der extreme Partikularismus der verschiedenen Clans. Ein ausgeklügelter Clan-Proporz war erforderlich, um die Clan-Interessen im Hinblick auf Posten und Ämter im
Staate zu zügeln. Trotz dieser Schwierigkeiten galt die junge Republik Somalia anfänglich als Muster einer afrikanischen Demokratie.
Vetternwirtschaft und Korruption in Verbindung mit einer absoluten Ineffizienz des staatlichen
Verwaltungsapparates führten jedoch zur Destabilisierung. Schließlich kam es im Jahr 1969 zu Unruhen, in deren Verlauf Staatspräsident Abdirashid Ali Shermarke ermordet wurde.
Im Oktober 1969 folgte ein unblutiger Militärputsch unter Führung von Generalmajor Muhamed
Siad Barre (Darod-Marehan). Barre formte in den folgenden 20 Jahren den Staat nach sozialistischem Vorbild. Sein autoritäres Regime in Verbindung mit einem Konflikt um die Angliederung
somalischen Siedlungsgebietes in Äthiopien, dem verlorenen Ogaden-Krieg von 1977, führte ab
Ende der 1980er Jahre zu einem Bürgerkrieg mit dem Nordwesten, der bald auf alle Teile des Landes übergriff. Barre musste 1991 fliehen.
Die sich anschließenden Machtkämpfe um das Präsidentenamt zwischen Ali Mahdi (HawiyeAbgal) und Mohamed Farah Hassan Aidid (Hawiye-Habr Gedir) mündeten in die Herausbildung
einander bekämpfender Milizen auf Clan-Basis unter Führung von Kriegsherren, Staatszerfall und
4
Anarchie. Diese Entwicklung konnte auch durch das Eingreifen der Vereinten Nationen und der
USA nicht verhindert werden1
3.
Aktuelle Situation
Spätestens seit der Flucht des Regierungschefs Siad Barre aus Mogadischu am 26.01.1991 ist davon
auszugehen, dass der somalische Staat nicht mehr existiert. Das Staatsgebiet der Republik Somalia
ist heute de facto dreigeteilt in die „Republik Somaliland“ im Nordwesten, den „Regionalstaat Puntland“ im Nordosten sowie Zentral- und Südsomalia.
3.1 Republik Somaliland
Somaliland ist eine völkerrechtlich von keinem Staat anerkannte, selbsternannte „Republik“ im
Nordwesten Somalias und besteht aus den Regionen Awdal, Woqooyi Galbeed, Togdheer, Sool und
Sanaag.
Hauptclan in der „Republik Somaliland“ ist der Clan der Issaq (ca. 1,5 Mio. Angehörige; etwa 60 70 % der Gesamtbevölkerung Somalilands). Er zerfällt in drei größere Clans (Habr Awal, Habr
Gerhajis und Habr Toljalo) sowie zahlreiche Subclans. Der Habr Gerhajis-Subclan der Habr Yunis
ist der größte Issaq-Clan mit ca. 450.000 Angehörigen. Ihm folgt der Clan der Idigale, ein weiterer
Gerhajis-Subclan. Die Dir-Clans der Issa und Gadabursi haben gemeinsam einen Anteil von ca. 15 20 % an der Bevölkerung Somalilands und sind annähernd gleich groß.
Der ehemals britische Landesteil im Nordwesten Somalias fühlte sich seit Gründung des somalischen Staates im Jahr 1960 unterrepräsentiert und benachteiligt. Ende der 1980er Jahre begann die
Somali National Movement (SNM), eine Widerstandsorganisation der Issaq, den bewaffneten
Kampf gegen das Regime Siad Barres. Im Jahr 1998 ließ Präsident Siad Barre (Darod-Marehan)
Hargeisa, damals größte Stadt im Nordwesten und heute Hauptstadt der „Republik Somaliland“,
bombardieren. Dabei kamen 40.000 Menschen ums Leben.
Nach dem Sturz Barres erklärte die SNM im Mai 1991 unter Berufung auf die Tatsache der –
wenngleich nur wenige Tage dauernden – Unabhängigkeit Britisch-Somalilands im Jahr 1960 einseitig die Unabhängigkeit Somalilands. Nach kurzem Bürgerkrieg innerhalb der Issaq-Clans, der im
1
April 1992 bis Dezember 1992: United Nations Operation in Somalia – UNOSOM u.a. zur Bekämpfung einer
verheerenden Hungersnot;
Dezember 1992 bis Mai 1993: Unified Task Force – UNITAF; Militäraktion zur Entwaffnung der kämpfenden
Gruppen und Schaffung eines sicheren Umfelds für humanitäre Hilfsmaßnahmen unter Führung der USA (Operation Restore Hope);
Ab Mai 1993 United Nations Operation in Somalia II – UNOSOM II mit der Aufgabe der Entwaffnung der somalischen Parteien und Schutz der Hilfslieferungen (Deutschland beteiligte sich mit 1.700 Mann, die im zentralsomalischen Beledweyne [Belet Huen] stationiert waren);
Januar bis März 1995: Abzug aller UN-Einheiten unter dem Schutz der USA (Operation United Shield).
5
Jahr 1993 zum Sturz des „Präsidenten“ Abdurrahman Ali Ahmad „Tur“ (28.05.1991 – 16.05.1993;
Issaq-Habr Yunis) und zur Einsetzung von Mohammed Haji Ibrahim Egal (16.05.1993 –
03.05.2002; Issaq-Habr Awal) führte, begannen Stabilisierung und Wiederaufbau.
Am 31.05.2001 stimmte die Bevölkerung Somalilands in einem Referendum mit großer Mehrheit
für die Verabschiedung einer eigenen Verfassung. Die „Republik Somaliland“ gehört damit neben
Eritrea zu den wenigen Staaten, die sich auf ursprünglich koloniale Grenzziehungen berufen.
Die „Republik Somaliland“ wird von der „Regierung“ des derzeitigen „Präsidenten“ Dahir Riyale
Kahin (seit 03.02.2002, Dir-Gadabursi) vergleichsweise effektiv und stabil, allerdings zunehmend
autoritär verwaltet. Sie verfügt über ein Zweikammerparlament aus Unterhaus (gewählt für fünf
Jahre) und Oberhaus (gewählt für sechs Jahre) mit je 82 Mitgliedern. Aus den Wahlen zum Unterhaus am 29.09.2005 ging die UDUP von Präsident Dahir Riyale Kahin mit 33 Sitzen als Siegerin
hervor. Die Oppositionsparteien KULMIYE und UCID kamen auf 28 bzw. 21 Sitze. Wahlbeobachter aus Südafrika, Kanada, Großbritannien und Finnland bescheinigten einen friedlichen, freien
und fairen Verlauf der Wahl.
Die Amtszeit von Dahir Riyale Kahin, die im Frühjahr 2008 enden sollte, wurde vom Parlament
verlängert, da die Vorbereitungen für Neuwahlen nicht abgeschlossen waren. Aus den Reihen der
Opposition kam es zu Protesten gegen diese Entscheidung. Die folgende politische Krise bedrohte
den Frieden in Somaliland, bis die Parteien sich darauf einigten, die Präsidentschaftswahlen für
April 2009 anzusetzen. Allerdings haben diese Wahlen bis heute nicht stattgefunden.
Das Verhältnis zum Nachbarterritorium „Puntland“ ist wegen Gebietsstreitigkeiten, die mehrfach in
einen militärischen Schlagabtausch mündeten, gespannt. Im Osten der Regionen Sanaag, Sool und
Togdheer leben vor allem Angehörige der puntländischen Darod-Clans Dulbahante (ca. 15 % der
Gesamtbevölkerung der „Republik Somaliland“) und Warsangeli (ca. 3% der Gesamtbevölkerung
der „Republik Somaliland“).
3.2 Regionalstaat Puntland
Der „Regionalstaat Puntland“ im Nordosten Somalias umfasst die Regionen Bari, Nugaal sowie den
Nordteil von Mudug. In diesen Regionen entwickelte sich seit 1993 ein Prozess der regionalen Regierungsbildung. Die Bevölkerung gehört zu 75% dem Darod-Clan der Majerteen an, aus dessen
Reihen die Miliz Somali Salvation Democratic Front (SSDF) entstanden war, die den Nordosten
Somalias kontrollierte. Abgesehen von einer kurzen Episode des bewaffneten Konflikts zwischen
der fundamentalistisch-islamischen Gruppierung al-Ittihad al-Islamiyya (AIAI) und der SSDF im
Jahr 1993 konnte daher sogar auf dem Höhepunkt des somalischen Bürgerkrieges ein gewisser
Frieden erhalten bleiben.
Im August 1998 verabschiedete die sog. Konferenz von Garowe die „Charta des Staates Puntland“,
eine Übergangsverfassung für einen Zeitraum von drei Jahren. Im Juli 1998 wählten die Delegierten
6
Abdullahi Yussuf Ahmed (Darod-Majerteen), den früheren Führer der SSDF, zum „Präsidenten“.
Der „Regionalstaat Puntland“ bekennt sich zur territorialen Einheit ganz Somalias und versteht sich
insoweit als Kern eines künftigen, föderal organisierten Gesamtstaates.
Das Mandat der Regierung Abdullahi Yussuf Ahmeds lief am 30.06.2001 aus. Puntland zerfiel in
zwei Lager, als eine Konferenz zur Bestimmung der Nachfolge des Präsidenten scheiterte. Zwischen den Anhängern der beiden Präsidentschaftsanwärter Abdullahi Yussuf Ahmed und Jama Ali
Jama kam es bis zum Frühjahr 2003 immer wieder zu schweren Kämpfen. Die Versöhnung zwischen Jamas „Stabschef“ General Aden Muse und Abdullahi Yussuf Ahmed im Juni 2003 stabilisierte die Lage.
Abdullahi Yussuf Ahmed wurde am 10.10.2004 im Rahmen einer Friedenskonferenz, die für Gesamtsomalia Übergangsinstitutionen schuf, zum Staatspräsidenten Somalias gewählt. Sein Nachfolger als „Präsident“ Puntlands wurde Mohammed Abdi Hashi. Auf ihn folgte im Januar 2005 General Mohamud Muse Hersi „Adde“. Im Januar 2009 wählte das Parlament den Oppositionsführer
Abdirahman Mohamed Farole zum neuen Präsidenten.
Das Auswärtige Amt bezeichnet Puntland als ein von quasi-staatlichen Autoritäten beherrschtes und
begrenzt handlungsfähiges Gebilde, das sich als Teil des gesamt-somalischen Staates sieht. Die
„Regierung“ Puntlands wurde von der somalischen Übergangsregierung anerkannt. Obwohl in etwas geringerem Ausmaß von der permanenten Gewalt betroffen als Süd- und Zentralsomalia, ist
Puntland dennoch weit von Frieden und Stabilität entfernt. Milizen, Clanführer und auch islamistische Gruppen stellen die regional-staatlichen Strukturen in Frage.
Der puntländische Küstenort Eyl gehört - ebenso wie die zentralsomalischen Städte Hardere (Xaradheere) und Hobyo - zu den Hochburgen der Piraten, die seit mehreren Jahren die Gewässer am
Horn von Afrika unsicher machen.
3.3 Zentral- und Südsomalia
Nach zahlreichen gescheiterten Friedensbemühungen verabschiedete im Jahr 2004 eine nationale
Versöhnungskonferenz unter Vermittlung der ostafrikanischen Staatengruppe IGAD (Inter-Governmental Authority for Development) eine Übergangsverfassung, auf deren Grundlage Übergangsinstitutionen (Transitional Federal Institutions – TFI) entstanden. Diese bestehen aus einem
Übergangsparlament, dem Amt des Übergangspräsidenten sowie einer Übergangsregierung.
Zum Übergangspräsidenten wählte das Übergangsparlament Abdullahi Yussuf Ahmded aus Puntland. Er ernannte seinerseits Ali Mohamed Gedi zum Premierminister der Übergangsregierung.
Die tatsächliche Macht dieser Übergangsinstitutionen blieb jedoch beschränkt.
Im Verlauf des Jahres 2006 eroberten Milizen der islamistischen Union of Islamic Courts (UIC)
weite Teile Zentral- und Südsomalias.
7
Bei der UIC handelte es sich um einen Zusammenschluss islamischer Gerichte. Nach dem Zusammenbruch der gesamtstaatlichen Ordnung Somalias war es mancherorts Clanältesten als traditionellen Streitschlichtern - häufig im Zusammenwirken mit der lokalen Geschäftswelt - gelungen, auf
Clan-Basis Scharia-Gerichte zu etablieren, die für ein Mindestmaß an Ruhe und Ordnung sorgen
konnten. Zu Beginn des Jahres 2006 wurde allerdings zunehmend offensichtlich, dass die SchariaGerichte und damit ihre Milizen größere Autonomie von ihren Clans gewannen und dschihadistische Elemente erstarkten.
Weite Teile der Bevölkerung begrüßten die Machtübernahme durch die UIC, da sich die Sicherheitslage in den unter ihrer Kontrolle stehenden Gebieten wesentlich verbesserte. Diese Verbesserungen gingen jedoch einher mit Einschränkungen der persönlichen Freiheit und Forderungen nach
konformem Verhalten. Beides liegt den traditionell auf ihre Eigenständigkeit bedachten Somaliern
und dem vorherrschenden gemäßigten Islamverständnis eher fern. Die Islamisten schlossen Kinos,
verhängten und vollstreckten Scharia-Strafen wegen Drogenhandels, Khatgenusses oder unmoralischen Verhaltens.
Äthiopien, das kein Interesse an einem islamistischen Nachbarstaat Somalia hat, intervenierte und
entsandte im Dezember 2006 Truppen zur Unterstützung der Übergangsinstitutionen unter Präsident
Abdullahi Yussuf Ahmed.
Nach Vertreibung der UIC begann Anfang 2008 ein Aufstand islamistischer Milizen gegen die
äthiopischen Interventionstruppen, die Übergangsinstitutionen sowie die Einheiten der von den VN
mandatierten Mission der Afrikanischen Union in Somalia (AMISOM), die die Übergangsinstitutionen sowie Schlüsselinfrastrukturen wie den Flughafen und den Seehafen von Mogadischu schützen soll. Die Sollstärke von AMISOM beträgt 8.000 Mann, derzeit sind jedoch lediglich etwa 5.000
Soldaten aus Uganda und Burundi eingesetzt. Die Herkunft dieser Truppen aus nichtislamischen
Staaten macht sie zum idealen Feindbild für die Aufständischen.
Stärkste Komponente des Aufstandes gegen die Übergangsregierung bildeten die Kämpfer der
Gruppe „al-Shabaab“ („Jugend“), ursprünglich der militärische Arm der UIC. Die al-Shabaab wurde wegen Anwendung terroristischer Mittel von der US-Regierung auf deren Liste terroristischer
Organisationen gesetzt. Führer der al-Shabaab ist Ahmed Abdi Aw-Mohamed Godane alias Sheikh
Abu Zubeyr.
Ein von den VN initiierter Befriedungsversuch führte 2008 zu einem Waffenstillstand zwischen der
Übergangsregierung und dem gemäßigteren Teil der islamistischen Opposition.
Um die Jahreswende 2008/2009 zogen sich die äthiopischen Truppen aus Somalia zurück.
Im Dezember 2008 trat Abdullahi Yussuf Ahmed vom Amt des Übergangspräsidenten zurück.
Am 31.01.2009 ernannte das Parlament Sheikh Sharif Sheikh Ahmed (Hawiye-Abgal), einen der
früheren Führer der UIC, der als „gemäßigter Islamist“ gilt, zum neuen Staatsoberhaupt. Sheikh
Sharif Sheikh Ahmed ernannte im Februar 2009 Omar Abdirashid Ali Shermarke, den Sohn des
1969 ermordeten Staatspräsidenten, zum Premierminister.
8
Die mit der Amtsübernahme von Sheikh Sharif Sheikh Ahmed verbundenen Hoffnungen auf eine
Befriedung der Situation erfüllten sich jedoch nicht.
Die al-Shabaab und eine weitere, ebenfalls radikal-islamistische Miliz, die Hizb al-Islamiya (Islampartei), betrachteten den Übergangspräsidenten als Verräter und sagten der Regierung und den
AMISOM-Truppen den Kampf an. Die Hizb al-Islamiya steht unter Führung von Sheikh Hassan
Dahir Aweys (Hawiye-Habr Gedir-Ayr), der nach Erkenntnissen der USA und der VN Verbindungen zu al-Qaida hat. Er war zusammen mit Sheikh Sharif Sheikh Ahmed ursprünglich einer der
Führer der UIC.
Nach dem Abzug der äthiopischen Truppen nahmen al-Shabaab und Hizb al-Islamiya mehrere zentral- und südsomalische Städte ein. In Mogadischu kam es zu Kämpfen mit Regierungseinheiten
bzw. AMISOM-Truppen. Auch nach der von Präsident Sheikh Sharif Sheikh Ahmed Anfang März
2009 verkündeten Einführung der Scharia, mit der er den Aufständischen entgegenkommen wollte,
erklärten diese, den Kampf fortführen zu wollen.
Anfang Mai 2009 begann eine gemeinsame Offensive der Aufständischen gegen Mogadischu. Seit
08.05.2009 finden heftige Kämpfe statt. Am 22.06.2009 erklärte Präsident Sheikh Sharif Sheikh
Ahmed den Ausnahmezustand für Mogadischu. Al-Shabaab und Hizb al-Islamiya gelang es, strategisch wichtige Viertel der Stadt einzunehmen. Zugleich versuchen die Aufständischen, die Republik Somaliland“ und Puntland zu destabilisieren. Allerdings kommt es auch zu Kämpfen zwischen al-Shabaab und Hizb-al-Islamiya. Im Oktober 2009 stritten sie sich um die Kontrolle über die
südsomalische Hafenstadt Kismayo.
Unterstützung sollen die Aufständischen von Eritrea erhalten. Gegen Eritrea verhängte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 23.12.2009 Sanktionen wegen der Unterstützung von Organisationen in Somalia, die der al-Qaida nahestehen. Die Mitglieder des 15-köpfigen Gremiums beschlossen mit einer Mehrheit von 13 zu eins u. a das Einfrieren von Konten sowie ein Waffenembargo. Gegen die Resolution stimmte Libyen. China enthielt sich der Stimme.
Die somalische Übergangsregierung bemüht sich, mit Hilfe von Waffenlieferungen aus den USA,
die Aufständischen zurückzudrängen. Diese greifen inzwischen auch zu dem bisher in Somalia
kaum bekannten Mittel des Selbstmordanschlags. So tötete ein Selbstmordattentäter Anfang Dezember 2009 bei einer Examensfeier in einem Hotel in Mogadischu 22 Personen, darunter auch drei
Minister der Übergangsregierung. Der Täter soll ein 26 Jahre alter Däne somalischer Abstammung
gewesen sein.
Nach Angaben der somalischen NRO Elman Peace and Human Rights Group forderten die Kämpfe
in Mogadischu im Jahr 2009 mindestens 1.739 Tote und 4.911 Verwundete.
Einen neuen Verbündeten hat die Übergangsregierung in Gestalt der ebenfalls islamistischen, aber
gemäßigteren Miliz der Sufi-Bruderschaft der Ahl as-Sunna wal-Jama’a. Die Ahl as-Sunna walJama’a ist eine traditionelle religiöse Organisation und begann erst Mitte des Jahres 2008 mit dem
Aufbau einer eigenen Miliz. Sie ist vor allem in der zentralsomalischen Region Galguduud aktiv
9
und stößt von dort nach Osten und Süden vor. Getragen wird sie von Clans aus Galguduud, vor allem Hawiye-Habr Gedir, Dir sowie Darod-Marehan. Zu heftigen Kämpfen zwischen der Ahl asSunna und der al-Shabaab kam es Anfang Januar in Dhusamareb, etwa 500 km nördlich von Mogadischu. Die al-Shabaab eroberte zunächst die Stadt, verlor sie aber kurz darauf wieder an die Ahl asSunna.
3.4 Flüchtlinge
Nach Angaben des Auswärtigen Amtes sind derzeit 1,6 Millionen Somalier binnenvertrieben. Die
bewaffneten Auseinandersetzungen hätten zusammen mit dürrebedingten Ernteausfällen und Preisanstiegen auch im Jahre 2009 wieder zu einer Verschlechterung der Versorgungslage und des Zugangs ausländischer Hilfsorganisationen geführt. Letztere könnten nur sehr eingeschränkt und fast
gar nicht mehr mit internationalem Personal vor Ort tätig sein. Die katastrophale humanitäre Lage
habe zu einer Verstärkung der Flüchtlingsbewegungen in die Nachbarländer geführt. Das Flüchtlingslager Dadaab im Nordosten Kenias, das ein Hauptziel somalischer Flüchtlinge darstelle, beherberge nunmehr 285.000 Flüchtlinge. Über 500.000 somalische Flüchtlinge würden in Nachbarländern durch das UNHCR versorgt, darunter 300.000 in Kenia und mehr als 150.000 in Jemen.
In Deutschland halten sich 4.673 Somalier auf, darunter 69 Asylberechtigte, 385 Personen mit zuerkannter Flüchtlingseigenschaft sowie 266 Geduldete (Stand 31.12.2009).
Im Jahr 2009 wurden 346 Erstanträge gestellt. Bei 222 Entscheidungen erfolgte in 132 Fällen die
Zuerkennung von Flüchtlingsschutz gem. § 60 Abs. 1 AufenthG. In 46 Fällen wurde ein Abschiebeverbot gem. § 60 Abs. II, II V oder VII AufenthG festgestellt. Die Gesamtschutzquote betrug
80,2 %.
10
4.
Karte
Quelle: www.un.org/Depts/Cartographic/map/profile/somalia.pdf
11
Impressum
Herausgeber:
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
Frankenstraße 210
90461 Nürnberg
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Analyse islamischer Herkunftsländer
Tel.: 0911-943-7201
Fax: 0911-943-7299
Internet: www.bamf.de
Stand: Januar 2010
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