Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg ALBIN ESER Strafrecht und moderne biomedizinische Verfahren Originalbeitrag erschienen in: Bioengineering 4 (1988), Nr. 1, S. 57 - 62 RECHT Abstract: Resolutions of the Colloqium "Penal Law and Modern Biological Medical Processes" The dangers for humanity which accompany the progress made by modern medicine and biotechnology make it imperative that we reconsider our fundamental ethical values and, where necessary, set up new regulations and controls. These should be internationally accepted and, where possible, internationally binding. There is a conflict of Interests: on the one hand, the protection of life and of the interests of the individual; on the other hand, the freedom of science and research in the pursuit of medical progress which will ultimately benefit humanity, and the right to freedom of personal development (which includes the right to reproduction). The most important fields in which problems occur and regulations are necessary are: research on human beings (before and after birth); organ transplants; medically assisted reproduction; research on embryos; and processes involving genetic manipulation (genome analysis and genetic therapy). Strafrecht und moderne biomedizinische Verfahren Albin Eser, Freiburg i.Br. Die Resolution zu strafrechtlichen Grundfragen der Biomedizin wurde auf einem internationalen wissenschaftlichen Kolloquium im September 1987 unter dem Vorsitz von Professor Eser am Freiburger Max-PlanckInstitut flir ausländisches und internationales Strafrecht verabschiedet; unter Beteiligung von 50 Wissenschaftle rn aus 30 Ländern. Das Kolloquium stand im Mittelpunkt der Vorbereitungen für den XIV. Internationalen Strafrechtskongreß, der few Oktober 1989 in Wien geplant ist. Hierbei wird die Association Inte rnational de Droit Penal (AIDP) unter anderem das Thema „Strafrecht und moderne biomedizinische Verfahren" behandeln. Im Vordergrund sollen Fragen des Humanexperiments unter Berücksichtigung der Erprobung von Arzneimitteln, der medizinisch unterstützten Fortpflanzung, der Anwendung gentechnischer Verfahren am Menschen bzw. am menschlichen Erbgut und der Organtransplantation stehen. Insbesondere hatte das Freiburger Kolloquium die Aufgabe, auf der Grundlage einzelner Länderberichte Empfehlungen auszuarbeiten, die auf dem Hauptkongreß in Wien verabschiedet werden sollen. Ziel der Veranstaltung war es, eine rechtsvergleichende Bestandsaufnahme flir diese aktuelle Thematik vorzunehmen und Vorschläge für eine internationale Rechtsangleichung zu entwickeln, die als immer dringlicher angesehen wird. Wissenschaftler aus unterschiedlichen Rechtskreisen, etwa aus den USA, Großbritannien, Japan, DDR, Nigeria, Israel, Osterreich und der Schweiz, erörterten die Themen „Forschung am Menschen", „Organtransplantation und kiinstliche Organe", „Medizinisch unterstützte Fortpflanzung", „Forschung mit und an Embryonen" sowie „Umgang mit menschlichem Erbgut". Zum Abschluß der Tagung verabschiedeten die Delegierten in Freiburg eine 50 Punkte umfassende Resolution, in der detaillierten Stellungnahmen zu den fünf einzelnen Themenbereichen allgemeine Leitgedanken zum Gesamtthema „Strafrecht und moderne biomedizinische Verfahren" vorangestellt wurden. Trotz der beträchtlichen soziokulturellen Unterschiede der Tagungsteilnehmer kam immerhin ein beinahe einstimmiges Votum zustande. Die deutschsprachige Version dieser Resolution ist nachfolgend in vollem Wortlaut wiedergegeben. 1. Allgemeine Leitgedanken 1.1 Revolutionäre Fortschritte der modernen Medizin und Biotechnologie haben neben begrüßenswerten Erfolgen bei der Bekämpfung von Krankheiten und bei der Verbesserung mensch- BioEngineenng 1 /88 lichen Wohls auch ungewünschte Nebenwirkungen und Gefahren für den Menschen und die Menschheit mit sich gebracht. Zur Lösung dieser neuen individuellen und sozialen Probleme bedarf es einer Überprüfung überkommener ethischer Grundsätze und erfor- derlichenfalls auch neuer rechtlicher Regelungen. 1.2 Die wichtigsten Bereiche, in denen sich neue Probleme stellen und deshalb entsprechende Neuregelungen erforderlich werden können, sind die Forschung mit und am (geborenen und ungeborenen) Menschen, die Organtransplantation, die Reproduktionsmedizin sowie die Gentechnologie. Mehr noch als bei der traditionellen Standardbehandlung stehen sich in diesen Bereichen kollidierende Interessen gegenüber: 1.3 Auf der einen Seite geht es speziell bei der Humanforschung um den Schutz des Probanden in seiner Selbstbestimmung durch informed consent, um den Schutz seines Lebens und seiner körperlichen Integrität gegen unvertretbare Risiken, unter Umständen auch um den Schutz seiner Menschenwürde gegen erniedrigende Experimente oder gegen die Ausnutzung seiner besonderen Verwundbarkeit. Durch die moderne Reproduktionsmedizin kann neben Mißachtung der Interessen des prospektiven Kindes auch der institutionelle Schutz von Ehe und Familie in Gefahr geraten; die moderne Gentechnologie kann zu Diskriminierungen im Arbeitsleben und Versicherungswesen führen und schädliche Umweltfolgen haben. 1.4 Auf der anderen Seite geht es um das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (einschließlich des Rechts auf Nachkommenschaft) sowie die Freiheit von Wissenschaft und Forschung, und zwar nicht nur im individuellen Interesse des einzelnen Forschers, sondern auch im Allgemeininteresse weiterer medizinischer Fortschritte, die letztlich dem Wohl des Menschen und der Menschheit dienen sollen. 1.5 Bei Abwägung dieser kollidierenden Interessen sind je nach den verschiedenen Rechtskulturen und gesellschaftlichen Strukturen, die ihrerseits von unterschiedlichen religiösen, ethischen und politischen Überzeugungen beeinflußt sind, auch unterschiedliche Standpunkte und Ergebnisse zu. erwarten. Nichtsdestoweniger sollten angesichts des grenzüberschreitenden Charakters dieser Probleme und der wachsenden gegenseitigen Abhängigkeit zwischen den einzelnen Staaten international einheitliche Standards und Handlungsmaximen angestrebt und, wenn möglich, international verbindliche rechtliche Regelungsformen geschaffen werden. 1.6 Um diesen unterschiedlichen Interessen Rechnung zu tragen, ist ein differenziertes Regelungsinstrumentarium erforderlich: angefangen von eher „weichen" standesrechtlichen Richtlinien zur Schaffung oder Aufrechter- 57 RECHT haltung eines möglichst hohen medizinethischen Standards, bis hin zu rechtlichen Regelungen mit verschiedenartigen Durchsetzungsmodellen und Sanktionierungswegen. Dabei wäre eine mehrspurige Lösung anzustreben, bei der sowohl zivilrechtliche Maßnahmen und verwaltungs- und strafrechtliche Sanktionen miteinander verbunden werden. 1.7 Der Einsatz des Strafrechts als Kontrollmechanismus muß auf der Grundlage rationaler Argumentation erfolgen. Die Kriminalisierung ärztlicher Tätigkeit muß ebenso wie die Androhung von Strafen „letztes Mittel" (ultima ratio) bleiben: Erste Voraussetzung muß die Schutzwürdigkeit des bedrohten Gutes sowie die Verwerflichkeit der gefährdenden Handlung sein (Strafwürdigkeit). Des weiteren muß sich der Einsatz des Strafrechts im Sinne eines KostenNutzen-Vergleichs als notwendig erweisen (Strafbedürftigkeit) und zudem auch als tauglich erscheinen (Straftauglichkeit). 1.8 Die Angemessenheit der unterschiedlichen Kontrollmechanismen hinsichtlich biomedizinischer Verfahren hängt unter anderem auch davon ab, in welcher Weise die Tätigkeit des Gesundheitspersonals im allgemeinen und in der Forschung im besonderen durch die jeweilige nationale Gesetzgebung überwacht wird. Dabei kann es auch Unterschiede zwischen echten Strafen und bloßen Verwaltungssanktionen geben. Als weitere Alternative kommt in Betracht, daß lediglich ein Regelungsrahmen in Verbindung mit einer Genehmigungsbehörde geschaffen wird, welche die Arbeit in diesem Bereich überwacht, unter Umständen ihrerseits Regeln aufstellt und erforderliche Maßnahmen ergreift . 2. Forschung am Menschen (einschließlich Arzneimittelerprobung) 2.1 Medizinischer Fortschritt setzt medizinische Forschung voraus. Neue und bessere Heilmethoden sind ebenso wie neue und bessere Arzneimittel nicht möglich, ohne vor ihrer allgemeinen Anwendung experimentell auch am Menschen erprobt worden zu sein. Zwar gibt es für biomedizinische Forschung am Menschen bereits verschiedene nationale wie auch internationale Grundsätze und Richtlinien ethischer und standesrechtlicher Art, wie insbesondere die Deklaration von Helsinki der World Medical Assembly von 1964 (in revidierter Fassung von Tokio 1975) sowie die Proposed International Guidelines for Bio-Medical Research involving Human Subjects der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und des Council for International Organisation of Medical Science (CIOMS) von 1982. Derartige Erklärungen und Richtlinien 58 haben jedoch zunächst nur selbstverpflichtenden Charakter; ihre Mißachtung ist nicht ohne weiteres auch ein sanktionierbarer Rechtsverstoß. Deshalb ist der Schutz von Probanden auch rechtlich klarzustellen und erforderlichenfalls strafrechtlich abzusichern. die Durchführung einer umfassender Nutzen-Risiko-Abwägung zu sichern sollten unabhängige, interdisziplinär zu sammengesetzte und dabei insbeson dere auch mit juristischer Sachkund€ ausgestattete Ethik-Kommissionen ein gerichtet werden. 2.2 Solange solche Versuche — mangels einer bereits erprobten Standardbehandlung — zugleich auch dem individuellen Wohl des betroffenen Patienten dienen sollen, sind grundsätzlich die für Heilbehandlung im allgemeinen vorgesehenen Vorschri ften (einschließlich etwaiger strafrechtlicher Sanktionen) anwendbar. Doch erscheint bereits bei dieser Kategorie des sogenannten , , Heilversuchs" (therapeutic research) über die Einwilligung des Patienten hinaus eine besondere Nutzen-Risiko-Abwägung im Sinne einer Gegenüberstellung des Risikos der Versuchsperson bezüglich einer Schädigung seiner Gesundheit einerseits und des erstrebten Behandlungserfolgs sowie der verfolgten Forschungsziele andererseits erforderlich. 2.6 Zusätzliche Schutzvorkehrungen bi: hin zum generellen Ausschluß sind fü Personen vorzusehen, die aufgrunc ihrer Eigenschaften oder Verhältnisst besonders schutzbedürftig sind (wit Minderjährige, Schwangere, geistic oder körperlich Behinderte, Gefangene oder Personen, die aus irgendwelcheGründen in ihrer Einsichtsfähigke oder Entscheidungsfreiheit eing€ schränkt sind). Die Einbeziehung eine solchen Person in einen Versuch, de nicht zugleich auch für diese selbe einen individuellen Nutzen erwarte läßt, kann allenfalls unter folgenden BE dingungen gerechtfertigt werden: — wenn (wie beispielsweise bei be stimmten Kinderkrankheiten oder ge stigen Behinderungen) die Entwicklun( oder Verbesserung eines Heilverfal rens oder Medikaments nicht ander als an Personen, die zu der betroffene schutzbedürftigen Gruppe gehören, er forscht werden kann, — wenn zuvor alle Möglichkeiten auE geschöpft wurden, die erforderliche Kenntnisse durch Versuche mit Tiere oder Personen zu erlangen, die keine besonders schutzbedürftigen Gruppf angehören, — wenn der Betroffene keinem ode allenfalls einem minimalen Gesunc heitsrisiko ausgesetzt ist, — ferner, wenn eine wirksame Einwill gung des gesetzlichen Vertreters eir geholt wurde, wobei auch der Betroffe ne selbst je nach dem Grad seiner eige nen Einsichts- und Urteilsfähigkeit i die Entscheidung miteinzubeziehen is. Gegen den ausdrücklich erklärten Wi len des Betroffenen darf dieser auf ke nen Fall in einen nicht-therapeutische Versuch einbezogen werden. 2.3 Die Bedeutung einer solchen Nutzen-Risiko-Abwägung ist umso höher zu veranschlagen, je mehr ein neues Verfahren oder Heilmittel noch experimentellen Charakter hat und je weniger es für den konkret betroffenen Menschen von individuellem Nutzen sein kann (wie vor allem bei der Erstanwendung eines neuen Präparats am gesunden Probanden oder bei Einbeziehung eines Patienten in eine Kontrollgruppe). Selbst wenn dabei letztlich auch medizinisch-prophylaktische, diagnostische oder therapeutische Zielsetzungen verfolgt werden, handelt es sich insoweit um Humanexperimente, für die es — meist abgesehen von Spezialregelungen für Arzneimittelerprobungen — in vielen Ländern noch an ausdrücklichen rechtlichen Absicherungen für Versuchspersonen fehlt. 2.4 Bei nicht-therapeutischer Forschung bedürfen insbesondere folgende Leitpunkte einer strafrechtlichen Bekräftigung: — Im Interesse des Leibes- und Lebensschutzes darf der Proband keiner konkreten Lebensgefahr und keinem unverhältnismäßig hohen Gesundheitsrisiko ausgesetzt werden. — Zur Wahrung seiner Selbstbestimmung darf der Proband nur aufgrund ausdrücklicher und schriftlicher Einwilligung in ein experimentelles Verfahren oder eine Arzneimittelerprobung einbezogen werden. — Gegen mögliche Risiken ist der Proband in einer Weise abzusichern, die im Schadensfalle eine angemessene Entschädigung ermöglicht. 2.5 Um die Respektierung dieser Rechte und Interessen der Probanden sowie 2.7 Alle für die Einhaltung der vorge nannten Voraussetzungen wesentliche: Umstände und Vorgänge sind umfaE send zu dokumentieren. 2.8 Um zu verhindern, daß ein Forsche Humanexperimente, die er im eigene: Land nicht ausführen kann, in einen Land mit weniger strengen rechtliche: Regeln auszuführen versucht, ist ein( internationale Rechtsangleichung anzL streben. — Dabei sind die nationalen Standard zumindest an den Grundsätzen auszu richten, die in Deklarationen, Richtl: nien und Konventionen bereits interna tionale Anerkennung gefunden haben — Straftatbestände zum Schutze voi Probanden sind auf der Grundlage de Universalprinzips auch international strafrechtlich abzusichern. BioEngmeering 1/E RE C HT 3. Organtransplantation und künstliche Organe 3.1 Das traditionelle Strafrecht wird den besonderen Problemen und Bedürfnissen, die mit Organtransplantationen und der Untersuchung und Verwertung von menschlichem Gewebe verbunden sind, meist nicht hinreichend gerecht: — Während die allgemeinen Strafvorschriften für Körperverletzung in erster Linie gegen unfreiwillige Eingriffe in die körperliche Integrität gerichtet sind, geht es bei der Organentnahme von einem lebenden Spender in der Regel um die bewußte und gewollte Weggabe eines Körperteils: Für die dafür erforderliche Absicherung einer freien Entscheidung wie auch gegenüber unvertretbaren Risiken fehlt es im traditionellen Strafrecht an hinreichend klaren Regelungen. — Soweit es in einer Rechtsordnung keinerlei Schutzvorschriften für den Leichnam gibt, läuft dieser Gefahr, zum bloßen Verwertungsobjekt zu werden. -- Soweit umgekehrt der Leichnam gegen jedweden Eingriff geschützt ist oder dem ausnahmslosen Verfügungsrecht der Angehörigen unterliegt, ist die Möglichkeit einer Organentnahme zur möglicherweise vitalen Re tt ung eines anderen Patienten wesentlich beschnitten, wenn nicht gar ausgeschlossen. 3.2 Soweit solche Unzulänglichkeiten oder auch nur Unklarheiten bestehen, ist sowohl im Rettungsinteresse von Organempfängern als auch im Absicherungsinteresse von Organspendern sowie nicht zuletzt auch im Klarstellungsinteresse der Ärzte eine gesetzliche Regelung der Bedingungen und Verfahren über Organtransplantationen und den Einsatz von künstlichen Organen wünschenswert. Dabei ist zwischen Transplantationen von lebenden und von toten Spendern zu unterscheiden. 3.3 Bei Organtransplantationen von lebenden Spendern sind insbesondere folgende Forderungen zu stellen: — umfassende Aufklärung und ausdrückliche Einwilligung des Betroffenen. — eine besondere Interessenabwägung bei Entnahme von Organen oder Substanzen, die nicht regenerierungsfähig sind und/oder deren Verlust eine Lebens- oder erhebliche Gesundheitsgefahr für den Spender bedeuten kann. — Diese Beschränkungen erfordern gesteigerte Beachtung bei Kindern sowie bei anderen in ihrer Einsichts-und Urteilsfähigkeit eingeschränkten Personen. Diese dürfen -- selbst mit Einwilligung des gesetzlichen Ve rt reters — nur insoweit zu Organspenden herangezogen werden, als dies zur Re ttung einer nahestehenden Person aus einer Lebensgefahr erforderlich ist und kein anderer Spender zur Verfügung steht. Dies gilt sinngemäß auch für GefangeBioEngineering 1 /88 I ne. In Fällen, in denen die Organspende zugunsten des gesetzlichen Vertreters erfolgen soll, sollte dieser von der Entscheidung ausgeschlossen sein. 3.4 Bei der Organtransplantation vom Toten ist in erster Linie auf den ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen des Verstorbenen abzustellen. — Fehlt es dafür an hinreichend verläßlichen Erklärungen oder Anzeichen, so ist die Entscheidung der nächsten Angehörigen zu respektieren. — Als Alternative erscheint auch vertretbar, die Organtransplantation insoweit zuzulassen, als der Verstorbene diesem Verfahren vor seinem Tod nicht ausdrücklich widersprochen hat und ein entgegenstehender Wille eines nächsten Angehörigen nicht bekannt ist. 3.5 Nicht zuletzt zum Schutz gegen voreilige Organentnahmen erscheint es geboten, unter Beachtung international anerkannter Standards die Todeskriterien allgemein verbindlich zu bestimmen und das für die Feststellung dieser Kriterien erforderliche Verfahren zu regeln. Die Feststellung des Todes eines Organspenders sollte durch einen Arzt erfolgen, der weder dem Entnahmenoch dem Implantationsteam angehört. 3.6 Durch die Eignung eines Patienten als Organspender darf dessen Recht auf menschenwürdiges Sterben nicht angetastet werden. 3.7 Soweit eine Organtransplantation oder die Anwendung künstlicher Organe als „Heilversuch" anzusehen ist, müssen auch die dafür vorgesehenen Voraussetzungen (siehe insbesondere 2.2) erfüllt sein. Die Transplantation von Keimdrüsen (Gonaden) sollte untersagt werden. 3.8 3.9 Die eigenmächtige oder sonst unerlaubte Entnahme- und Wiederverwendung künstlicher Organe ist zu verbieten. 3.10 Der Kommerzialisierung von menschlichen Organen ist entgegenzuwirken, erforderlichenfalls mit strafrechtlichen Mitteln. 4. Medizinisch unterstützte Fortp flanzung 4.1 Die mit medizinisch unterstützter Fortpflanzung (künstliche Befruchtung, In-vitro-Fe rt ilisation, Embryotransfer, Surrogatmutterschaft) zusammenhängenden Rechtsfragen sind noch weithin ungeklärt. Dies gilt sowohl für familienrechtliche Fragen, wie insbesondere das Eltern-Kindschaftsverhältnis bei Samen- oder Eispende oder die Unterhaltsverpflichtungen von Spendern, als auch für das etwaige Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung. Auch die Frage, inwieweit in diesem Bereich strafrechtliche Absicherungen erforderlich erscheinen, ist — so jedenfalls außerhalb des auf Ehegatten beschränkten homologen Systems — noch weithin ungeklärt. 4.2 Biomedizinische Verfahren im Rahmen menschlicher Fortpflanzung sind nicht schon als solche rechtlich bedenklich. Bei aller gebotenen Zurückhaltung können jedoch für bestimmte Verfahrensweisen strafrechtliche Verbote erforderlich sein. Solche vorzusehenden Regelungen sollten auf die Besonderheiten der verschiedenen fortpflanzungsmedizinischen Verfahren zugeschnitten sein und die biologischen Erkenntnisse über den Beginn menschlichen Lebens berücksichtigen. 4.3 In fortpflanzungsmedizinischen Bereichen, in denen Normverstöße von den Strafverfolgungsorganen nicht leicht festgestellt, verfolgt oder geahndet werden können, sollten strafrechtliche Verbotsnormen allenfalls für Handlungen vorgesehen werden, über deren Verbotswürdigkeit breiter gesellschaftlicher Konsens besteht. 4.4 Die Eignung strafrechtlicher Mi tt el ist erforderlichenfalls durch geeignete Verfahrensregelungen und Dokumentationspflichten herzustellen, deren Verletzung zumindest mit Standes- und Verwaltungssanktionen belegt sein sollte. 4.5 Regelungen und Sanktionen, erforderlichenfalls bis hin zu strafrechtlichen Verboten, können insbesondere in Betracht kommen: -- zum Schutz erheblicher Interessen von Kindern, die im Wege medizinisch unterstützter Fortpflanzung erzeugt werden, wie insbesondere hinsichtlich des -- mit dem jeweiligen Adoptionsrecht in Einklang zu bringenden — Rechts, nicht in der Kenntniserlangung von der eigenen Abstammung beschnitten zu werden. -- zur Sicherung von Mindeststandards bei Gametenspenden, auch durch Aufklärungspflichten über Eigenschaften, die für die Gesundheit der Empfängerin und ihrer Nachkommen von Bedeutung sind. — zur Unterbindung der Konservierung von Gameten oder Embryonen über einen bestimmten Zeitraum hinaus. -- zur Beschränkung der postmortalen Befruchtung. -- zur Verhinderung einer extrakorporalen Kultivierung von Embryonen über das bei natürlicher Nidation erreichte Entwicklungsstadium hinaus. — zur Unterbindung eines Handels mit Gameten und Embryonen sowie einer Kommerzialisierung (Vermarktung) der Schwangerschaft als Dienstleistung für 61 RECHT Dritte einschließlich darauf gerichteter Werbung. — zur Wahrung des Selbstbestimmungsrechts aller Beteiligten — auch von Gametenspendern — sowie der Gewissenfreiheit des Arztes. — zur Absicherung gegen eine Erzeu. gung von Embryonen zu anderen Zwecken als zu menschlicher Fortpflanzung. 4.6 Berufliche Schweigepflichten sind auch im Rahmen medizinisch unterstützter Fortp fl anzung zu achten. Offenbarungsbefugnisse und -pflichten, wie sie insbesondere im Kindesinteresse begründet sein können, sollten ausdrücklich geregelt sein. 5. Forschung mit und an (lebenden) Embryonen 5.1 Abgesehen von mehr oder weniger weitgehenden Vorschri ft en über den Schwangerschaftsabbruch fehlt es in den meisten Ländern vor allem bis zum Abschluß der Implantation des befruchteten Eies in der Gebärmutter (sog. Nidation) an besonderen Schutzvorschriften über menschliche Embryonen und Foeten. Demzufolge kann mit extrakorporal erzeugten und nicht implantierten Embryonen nach Belieben verfahren werden: Man kann sie einfach absterben lassen oder beseitigen, etwa durch „Wegschü tt en " , oder auch zu Forschungszwecken verwenden. Entsprechendes gilt für Embryonen, die der Frau vor dem Abschluß der Nidation entnommen werden. Soweit es ethische Richtlinien für den Umgang mit menschlichen Embryonen in diesem Stadium gibt, fehlt es in der Regel an der rechtlichen Durchsetzbarkeit und Sanktionierbarkeit. Derartige Regelungsmängel sind unbe fr iedigend. 5.2 Grundlage und Umfan g rechtlichen Schutzes für den (noch) nicht voll implantierten menschlichen Embryo hängen weithin davon ab, welcher „moralische Status" diesem einzuräumen ist. Obgleich die Meinungen darüber weltweit auseinandergehen und die internationale Diskussion noch sehr im Fluß zu sein scheint, besteht jedenfalls Einigkeit darüber, daß — ungeachtet etwaiger Einschränkungen — vom Zeitpunkt der abgeschlossenen Fe rtilisation an das menschliche Leben grundsätzlich Schutz verdient, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob der frühe Embryo bereits als „Person" anzusehen ist oder eigene Grundrechte besitzt. 5.3 Soweit ein Eing riff als therapeutische Maßnahme dem eigenen Wohl des betroffenen Embryos dienen soll, sind keine rechtlichen Bedenken zu erheben. Gegebenenfalls sind die für Heilversuche geltenden Voraussetzungen (oben 2.) zu beachten. 62 5.4 Demgegenüber wird nicht-therapeutische Forschung an Embryonen noch sehr unterschiedlich beurteilt: — Die absichtliche Erzeugung von Embryonen ausschließlich zu Forschungszwecken wird überwiegend für verbotswidrig angesehen, erforderlichenfalls durch Androhung von Strafe. — Im übrigen kann nach überwiegender Meinung ein zum (beabsichtigten oder zwangsläufigen) Absterben des Embryos führender Eingriff allenfalls insoweit zulässig sein, als der Embryo in absehbarer Zeit ohnehin nicht implantiert werden kann und das Forschungsziel unmittelbar (oder jedenfalls mi tt elbar) auf die Erl an gung definierter hochrangiger Erkenntnisse gerichtet ist, die nicht anders als durch Forschung an menschlichen Embryonen zu erlangen sind. Dies beinhaltet keine Aussage darüber, ob es derzeit bereits Forschungsziele gibt, die diesen Voraussetzungen entsprechen würden. 5.5 Verfügungsrechte der Gametenspender im Sinne von „Eigentum" am Embryo sind abzulehnen. Dies schließt nicht aus, die Einbeziehung eines Embryos in ein Forschungsprojekt von der Einwilligung der Gametenspender abhängig zu machen. 5.6 Die im Umgang mit Embryonen einzuhaltenden Bedingungen und Verfahren sind durch besondere Regelungen klarzustellen. Soweit dies nicht durch ethische Richtlinien geschehen und — etwa im Wege der Präventivkontrolle durch Ethik-Kommissionen (siehe oben 2.5) gegen Mißachtung abgesichert werden kann, sind strafrechtliche Sanktionen ins Auge zu fassen. 6. Umgang mit menschlichem Erbgut (Genomanalyse, Gentherapie) bedingten) geschlechtsselektiven Schwangerschaftsabbruchs ist abzulehnen. Die ärztliche Beratung aufgrund einer pränatalen Diagnostik ist auf medizinisch begründete Gefährdungen für das erwartete Kind zu beschränken. Die für die Durchführung einer pränatalen Diagnostik erforderliche Einwilligung der Schwangeren darf insbesondere nicht von ihrer Bereitschaft zur nachherigen Abtreibung eines geschädigten Foetus abhängig gemacht werden. 6.4 Bei epidemiologischen Untersuchungen über Erbschäden darf die Gendiagnostik samt ihrer personenbezogenen Dokumentation, falls überhaupt, nur dann eingesetzt werden, wenn die Untersuchung ein klares medizinisches Ziel hat und die gesammelte genetische Information zuverlässig vor Mißbrauch geschützt ist. Für die Einbeziehung in eine solche Untersuchung ist die Einwilligung der Betroffenen nach entsprechender Aufklärung vorauszusetzen. Entsprechendes hat auch für die sonstige Sammlung, Speicherung oder Verwertung von genetischen Informationen zu gelten. 6.5 Besondere rechtliche Sicherungsvorkehrungen sind bei Einsatz der Genomanalyse im Interesse des Datenschutzes sowie zum Schutz gegen mögliche unerlaubte Diskriminierung (wie beispielsweise im Arbeitsleben und Versicherungswesen) zu treffen und erforderlichenfalls strafrechtlich abzusichern. 6.6 Die Anwendung gendiagnostischer Verfahren als Instrument der forensischen Medizin sollte gesetzlich geregelt werden. 6.1 Das Recht auf ein von künstlichen Veränderungen freies genetisches Erbe ist gesetzlich abzusiche rn . 6.7 Gegen Gentransfer in Körperzellen zu therapeutischen Zwecken bestehen keine Bedenken, solange die für Heilversuche vorgesehenen Erfordernisse eingehalten werden (oben 2.2). 6.2 Die Grenzen zulässiger Eingriffe in das menschliche Erbgut sind gesetzlich zu regeln. Dabei bedarf es besonderer Absicherungen sowohl zum Schutz des Einzelnen gegen nicht therapeutische Anwendung derartiger Verfahren als auch zur Wahrung öffentlicher Gesundheitsinteressen. Dies gilt insbesondere für den Schutz der Umwelt vor Verseuchung als mögliche Folge gentechnologischer Experimente. 6.8 Gentransfer in die menschliche Keimbahn ist jedenfalls so lange zu verbieten, als nicht zuvor durch Körperzellentherapie und Tierversuche die Reproduzierbarkeit, Verläßlichkeit und Sicherheit der Keimbahntherapie erwiesen ist. Dieses Forschungsmoratorium ist zumindest durch standesethische Richtlinien und/oder verwaltungsrechtliche Genehmigungsvorbehalte abzusichern. 6.3 Die Anwendung von pränataler Gendiagnostik sollte auf den Verdacht von Erbschäden, die für die weitere vor- und nachgeburtliche Entwicklung des Embryos als besonders bedrohlich erscheinen, beschränkt werden. Der Einsatz pränataler Gendiagnostik zum Zweck eines (nicht krankheits- 6.9 Das Klonen von Menschen ist bei Strafe zu verbieten. 6.10 Versuche zur Entwicklung von Hybridwesen und Chimären durch Kernverschmelzung von menschlichen Keimzellen mit denen von Tieren sind bei Strafe zu verbieten. BioEngineering 1/88