Meinungen 17.06.12 / Nr. 25 / Seite 19 / Teil 01 ! NZZ AG Die genetische Untersuchung von Embryonen ist heikel Mit der geplanten Zulassung der Präimplantationsdiagnostik in der Schweiz wird die Anerkennung eines Menschen von fremden Zwecken abhängig gemacht, schreibt Hanspeter Schmitt I m kommenden Jahr wird in der Schweiz laut der Legislaturplanung des Bundesrats über die genetische Untersuchung von Embryonen im Reagenzglas – die Präimplantationsdiagnostik – abgestimmt. Nach der Beendigung der zweiten Vernehmlassung Ende letzten September ist es diesbezüglich auffällig still geworden. Obwohl noch nichts entschieden ist, halten viele die Sache für politisch gelaufen. Denn es wurde deutlich, dass eine breite Mehrheit der beteiligten Verbände und Institutionen diese neue Technik befürwortet. Ihr Ziel ist es, Paaren, die von einer schweren Erbkrankheit betroffen sind, zu einem gesunden Kind und einer unbelasteten Schwangerschaft zu verhelfen. Dafür gelte es, ungewohnte Mittel in Kauf zu nehmen. Bisher stand die künstliche Befruchtung, die im Vorfeld der Diagnose nötig ist, nur zur Behebung chronischer Fruchtbarkeits-Probleme zur Verfügung. Die Untersuchung oder Selektion des Embryos war aus Achtung des Lebensschutzes streng untersagt. Die gleichwohl vorhandenen humanen Klippen – wie Ei- und Embryonenspende, Leihmutterschaft oder Handel mit Keimgut – suchte man durch das Fortpflanzungsmedizingesetz zu beherrschen. Der Grundsatz hiess: Menschliches Leben ist allein um seiner selbst willen zu zeugen, darf also weder verzweckt noch verworfen werden. Dieses sittliche Credo wurde angesichts der Errungenschaften moderner Medizintechnik vor zwanzig Jahren als Artikel 119 in die schweizerische Verfassung aufgenommen. Die Befürworter der jetzt anstehenden Änderung betonen, dass diese im Vergleich zu einigen anderen Ländern eng umgrenzt ausfällt. Damit soll die Debatte hierzulande moralisch entschärft werden: Es dürften künftig in der Schweiz – so beteuern sie – nur schwere, in der Familie bekannte Erbkrankheiten diagnostiziert werden; eine Suche und Auswahl entlang beliebiger anderer Merkmale sei nicht vorgesehen. Genauso wenig solle es einen allgemeinen Gesundheitscheck am Embryo geben. Auch sogenannte Retterbabys, die für die Therapie eines Geschwisterkindes gebraucht würden, seien zwar erwünscht, aber gesetzlich (noch) nicht geplant. Vor allem würde die Zahl der innerhalb einer Behandlung erzeugten, notfalls zu vernichtenden Embryonen auf acht begrenzt. Das sei freilich das absolute Minimum, um medizinisch erfolgreich agieren zu können. Dennoch liegen die Meinungen über das Gesetz und die Verfassungsänderung weit auseinander: Die einen halten es für eine gut begründete Liberalisierung der Fortpflanzungsmedizin. Andere würdigen zwar das Anliegen, den in Not befindlichen Paaren zu helfen; trotzdem bewerten sie die Präimplantationsdiagnostik als einen Tabubruch, der schlimme Folgen für das Selbstverständnis und die Würde menschlichen Lebens nach sich zöge. Für sie gehören Krankheit, Grenzen und Behinderung zur Normalität des Daseins, die bejaht und schöpferisch angenommen werden müsse. Demgegenüber gibt es längst Stimmen, die noch weniger Regulierung und mehr Freiräume fordern, um das technisch Machbare erproben, effizient einsetzen und vielseitig nutzen zu können. Angesichts solch widersprüchlicher Wertungen braucht es Wachsamkeit sowie die inhaltliche Auseinandersetzung mit den ins Feld geführten Gründen. Zum Beispiel hinkt der Vergleich mit der bestehenden Straffreiheit von Schwangerschaftsabbrüchen. Zum einen ist es kein gutes Argument, sondern ein gesellschaftlicher Skandal, dass durch diese Regelung besonders behindertes Leben stillschweigend ausgegrenzt und getötet wird. Zum andern bringt die Präimplantationsdiagnostik im Vergleich dazu einen anderen Ansatz des Handelns ins Spiel: Hier wird das Lebensrecht eines Embryos von vorneherein relativiert und an Bedingungen geknüpft – nicht erst im Zuge einer als konfliktreich erlebten Schwangerschaft. Mit ihr würde Gesetz, was bisher als illegitim und unvertretbar galt: Die Anerkennung eines Menschen von fremden Zwecken abhängig zu machen. U m dieser Kritik zu begegnen und zugleich das Problem nicht gebrauchter beziehungsweise verworfener Embryonen zu beseitigen, wird mit der Abstufung des Lebensschutzes argumentiert: Ein Embryo im Anfangsstadium seines Lebens könne nicht die Rechte beanspruchen wie ein organisch, sozial und rational entwickelter Mensch. Hier ist aber Vorsicht geboten. Denn genau diese Logik hat bei dem bekannten australischen Ethiker Peter Singer zu fatalen Ergebnissen geführt: Er bestreitet das Lebensrecht kognitiv eingeschränkter Menschen und stuft es gegenüber dem Leben hochentwickelter Säuger ab. Niemand, der heute für die Präimplantationsdiagnostik eintritt, wird solche Konsequenzen bejahen. Dem kann man aber nur beikommen, wenn man bereit ist, das Potenzial eines menschlichen Lebens von seinem genetischen Ursprung an zu erkennen und zu respektieren. Ist in Bezug auf die Präimplantationsdiagnostik in der Schweiz schon alles gelaufen? Wohl kaum, solange ein solcher Diskussionsbedarf besteht und das Volk noch nicht an der Urne war – zumal die Würde menschlichen Lebens kein Thema ist, mit dem man jemals einfach fertig sein kann.