"Pire - BRÜCKEN - Bridges“ : Hilfe für von sexueller Gewalt betroffene Frauen und Familien Ein Projekt der Flüchtlingshilfe Mittelhessen e.V. Ausgangslage: Durch die massenhafte Vergewaltigung von Frauen jezidischen Glaubens durch die IS ist das Thema der sexuellen Gewalt gegen Frauen in Kriegssituationen wieder verstärkt in die Öffentlichkeit gedrungen. Leider ist festzuhalten, dass sexuelle Gewalt in allen kriegerischen Auseinandersetzungen an der Tagesordnung ist – erst recht, wenn - wie in „modernen“ Kriegen üblich - nicht hauptsächlich kämpfende Armeen gegenüberstehen, sondern der Krieg gegen bzw. über die Zivilbevölkerung ausgetragen wird. Sexuelle Gewalt gegen Frauen spielt an allen heutigen Kriegsschauplätzen eine wesentliche Rolle, auch wenn nicht immer darüber gesprochen wird: Syrien, Afghanistan, (Nord-)Irak, Somalia, (Ost)Kongo. In Eritrea herrscht zwar kein offener Krieg, aber auch dort ist sexuelle Gewalt gegenüber Frauen, die zum Militärdienst gezwungen werden, an der Tagesordnung und auch gut dokumentiert. Viele dieser Frauen kommen alleine oder zusammen mit ihren Familien als Flüchtlinge nach Deutschland. Auch auf dem Fluchtweg sind sie oft sexueller Gewalt ausgesetzt: manchmal muss auch der Schlepper mit sexuellen Dienstleistungen „bezahlt“ werden, eine spezifische Form der Gewalt gegen Frauen. Ebenso ist sexuelle Gewalt gegen Frauen z.B. in Libyen, durch das alle Flüchtlinge aus Eritrea und Somalia hindurchmüssen, an der Tagesordnung, dort übrigens nicht nur gegen Frauen, sondern auch gegen Männer. Auf Grund der Größe und Unübersichtlichkeit der Erstaufnahmeeinrichtungen in Deutschland, in denen es meist keine getrennten Sanitärräume für Frauen und Männer gibt, besteht auch hier weiterhin die Gefahr sexueller Übergriffe. Psychiatrische und traumatologische Bewertung: Wenn Vergewaltigungen und andere sexuelle Gewalt v.a. gegen Frauen in einer umkämpften Region regelhaft eingesetzt wird und nicht nur als Übergriffe im Rahmen von kriegerischen Auseinandersetzungen zu sehen sind, so hat dies eine über den Einzelfall hinausgehende gruppenpsychologische Bedeutung. Es geht zum einen um eine tiefe Beschämung, Entwertung, Entrechtung und Entehrung der betroffenen Frauen, die sich in der Folge mit depressiven Störungen und massiven Selbstzweifeln auseinandersetzen müssen und für ihre Familien, deren Zusammenhalt und die Versorgung der Kinder nicht mehr zur Verfügung stehen. Zum anderen geht es aber auch um ein Signal an die (Ehe-)Männer: sie müssen ohnmächtig und verzweifelt erleben, wie sie ihre Frauen und Töchter nicht schützen können, was v.a. in patriarchal geprägten Kulturen, indem es eine zentrale Aufgabe des Mannes ist, v.a. die Frauen und Töchter der Familie zu schützen und deren Ehre zu bewahren, eine tiefgehende Kränkung ist. Es wird mit diesem Vorgehen nicht nur die Würde und Integrität der Frauen verletzt, sondern auch die der Männer. In der Regel führt dies dazu, dass die Familien, insbesondere die Männer, auch nach Kriegsende nicht mehr in die Regionen zurückkehren, in der diese Gewalttaten geschehen sind - in eine Region, in der sie nicht in der Lage waren, ihre Familien zu schützen. Es ist inzwischen in der traumatologischen aber auch politologischen Fachliteratur anerkannt, dass die Vertreibung ganzer Volksgruppen aus einer bestimmten Region mit exzessiver Gewalt gegen Frauen leichter herzustellen ist als durch militärische Gewalt: "Vergewaltigung spart Bomben". Das "Brücken-Projekt" sollte deshalb folgende Elemente beinhalten: 1. Psychosoziale Beratung und Therapie für die betroffenen Frauen und ihre Familien mit gesprächs- und ggf. kunsttherapeutischen Angeboten 2. gynäkologische Hilfe für die betroffenen Frauen (sexuelle Gewalt in dieser Form geht oft mit schweren körperlichen Verletzungen einher, weil sie meist nicht nur durch genitale Penetration, sondern auch mit Stöcken, Gewehren und ähnlichen Gegenständen geschieht) 3. Neben der akuten Hilfe sind die dauerhaften Folgen für das familiäre Zusammenleben zu beachten: von sexueller Gewalt betroffene Frauen gelten in patriarchalen Kulturen als entehrt, oft als nicht mehr heiratsfähig und als keine vollwertige Frau mehr. Die große Scham und die tiefe Verletzung sowohl der Frauen als auch der Männer hindern Eheleute daran, über das Geschehen zu sprechen. Wie ein schleichendes Gift werden so Familien und eheliche Bindungen und letztlich auch der soziale Zusammenhalt einer Gruppe zerstört. Notwendig ist also auch ein Angebot für Männer, sich mit dem Geschehenen auseinanderzusetzen. 4. Da sexuelle Gewalt in dieser Form nicht nur ein individuelles oder familiäres Problem ist, sondern eines, mit dem zentrale Werte einer sozialen Gruppe geschädigt und beschädigt werden sollen, ist auch die Auseinandersetzung mit kulturellen und religiösen Bewertungen notwendig. Vorgehen: Ein spezifisches Beratungs- und Betreuungsangebot für von sexueller Gewalt betroffene Frauen und Familien existiert derzeit in Hessen nicht. Es gibt in Darmstadt ein von der Landesregierung unterstütztes Wohnprojekt, das sich aber nur an allein reisende Frauen richtet. Deshalb erschien es uns sinnvoll, eine Beratungseinrichtung für von sexueller Gewalt betroffene und bedrohte Frauen zu installieren. Dabei sollte sich die Unterstützungsleistung, wie oben dargestellt, nicht nur an die Frauen richten, sondern auch an die Familien. Den Beginn des Projekts stellt sich zunächst mit der Einrichtung einer Stelle für eine Fachkraft ( Sozialpädagogin/Sozialarbeiterin mit traumatherapeutischer Zusatzausbildung) dar, die in Frage kommende Frauen und Familien identifiziert, Kontakte herstellt, Beratung anbietet und zu gynäkologischer Untersuchung vermittelt. Ebenso kann zunächst Dr. Grothe als Psychiater dann für die Gespräche mit den (Ehe-) Männern im zweiten Schritt hinzugezogen werden. Kontakt: Karin Parisek - über Email: [email protected] Projektverantwortlicher für die Flüchtlingshilfe Mittelhessen e.V.: Klaus-Dieter Grothe Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie Hauptstr. 224c, 35625 Hüttenberg