Hörfunk – Bildungsprogramm

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Hessischer Rundfunk
Hörfunk – Bildungsprogramm
Redaktion: Dr. Karl-Heinz Wellmann
WISSENSWERT
Der Klimawandel –
auch in Hessen spürbar
Von Benedict Schau
Sendung: 09.07.2007, 8:30 bis 8:45 Uhr, hr2
07-061
COPYRIGHT:
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– Klimawandel 1 –
Sprecher:
Zum Thema Klimawandel gibt es viele Prognosen. Beim Blick in
die Zukunft wird aber oft die Tatsache übersehen, dass die
ersten Folgen des Klimawandels in Hessen bereits Gegenwart
sind: Aus südlicheren Gebieten sind einige Tierarten längst
schon eingewandert. Eine davon ist die Feuerlibelle. Diese
Libellenart ist schon seit drei Jahrzehnten verstärkt in
Deutschland anzutreffen, und sie wird daher als so genannter
Bioindikator verwendet; das bedeutet: Aus dem Verhalten dieser
Libellen, aus ihrer Ausbreitung, schließen die Ökologen auf
bestimmte Veränderungen der Umwelt. Der Landschaftsökologe
und Umweltplaner Dr. Jürgen Ott beschreibt ihre Ausbreitung
und erklärt, warum sie besser als Indikator geeignet ist als
andere Arten.
O-Ton 01
Ich hab im Rahmen meiner Diplomarbeit und später dann bei der
Fortführung der Doktorarbeit gemerkt, dass die Feuerlibelle sich
zunächst mal in Rheinlandpfalz angesiedelt hat, und dann eben
auch immer weiter ausgebreitet hat. Ihre Aktivität wird direkt
beeinflusst von der Temperatur, und es sind sehr sensible
Indikatoren, oder sehr schnelle Indikatoren, da sie sich schnell
ausbreiten können, dass heißt wenn Änderungen sind können
Libellen sehr schnell darauf reagieren, da sie flugfähig sind.
Wenn sie das jetzt vergleichen mit anderen Insektengruppen,
nehmen wir mal Laufkäfer, die auch nicht flugfähig sind - also
Arten die aus dieser Gruppe nicht flugfähig sind - reagieren die
auch auf Klimaänderungen oder können auch reagieren, aber
eben nicht so schnell, da sie sich so schnell nicht ausbreiten
können.
Sprecher:
Die kleinen Libellen sind aber nicht die einzigen Tiere, die ihr
Verhalten ändern. Auch größere Tiere verhalten sich als Folge
klimatischer Änderungen anders als zuvor. So haben Forscher
beispielsweise das Verhalten von Siebenschläfern untersucht.
Diese mausähnlichen Nagetiere beenden ihren Winterschlaf vier
Wochen früher als noch vor 30 Jahren. Dadurch wird aber ein
empfindliches Gleichgewicht gestört: Siebenschläfer nutzen
nämlich die gleichen Höhlen wie einige Vogelarten. In der
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– Klimawandel 2 –
Vergangenheit war das kein Problem. Wenn die Siebenschläfer
einzogen, waren die Vögel schon wieder fort. Jetzt ist die
Winterruhe der Siebenschläfer kürzer, und sie belegen die
Höhlen daher eher. Zwar brüten auch viele Vögel inzwischen
früher, aber nicht früh genug im Jahr. Der Beginn ihrer Brutzeit
hat sich nur um wenige Tage verschoben. Die Folge ist, dass die
Siebenschläfer die Eier fressen, und manchmal auch die
erwachsenen Vögel töten.
Einige Vogelarten haben sich aber ebenfalls bereits an die
wärmere Umwelt angepasst. Bei manchen konnten sogar schon
vererbte Verhaltensänderungen nachgewiesen werden. Mit
diesen Arten beschäftigt sich Dr. Miriam Pampus von der
ökologischen Forschungsstation Schlüchtern.
O-Ton 02
Also es ist so: Die genetischen Veränderungen, die sind natürlich
am schnellsten bei den Tieren zu erwarten, die eine sehr kurze
Generationenfolge haben, dass heißt die sich also sehr schnell
vermehren, und das sind zum Beispiel die ganzen kleineren
Singvögel, die ja in einem Jahr praktisch geschlechtsreif sind und
dann schon die nächste Generation hervorbringen. Im
Gegensatz dazu hat natürlich ein Waldbaum, der irgendwie 250
Jahre alt wird wie die Buche, der kann sich natürlich nicht so
schnell genetisch verändern, weil einfach die Generationenfolge
sehr, sehr viel länger ist. Und man weiß also von Singvögeln, die
ziehen, also Zugvögel, dass es da schon tatsächlich genetische,
also vererbte Veränderungen der Zugrichtung gibt. Zum Beispiel
die Mönchsgrasmücke, die überwintert mittlerweile teilweise auf
den britischen Inseln, das gab es vor 30 Jahren noch nicht. Und
diese Veränderung der Zugwege, die ist tatsächlich auch schon
genetisch fixiert, dass heißt, es gibt einen gewissen Anteil, der
nicht auf flexiblen Verhalten beruht, sondern diese Tiere zeigen
eine angeborene Tendenz, dorthin zu fliegen. Und daran kann
man also sehen, es gibt tatsächlich also richtige, sozusagen
evolutionäre, Veränderungen, die in wenigen Jahrzehnten
stattfinden können.
Sprecher:
Bei solch rascher Anpassung mag sich manch einer wundern,
dass der Klimawandel überhaupt ein Problem für die heimischen
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– Klimawandel 3 –
Pflanzen und Tiere darstellt. Verändern können sich Pflanzen
und Tiere zwar – aber nicht unbedingt so schnell wie nötig. Uns
Menschen kommt die Klimaänderung sehr langsam vor, viele
von uns werden nicht mehr am Leben sein, wenn die Folgen
auch in Deutschland womöglich schmerzhaft spürbar werden.
Für viele Pflanzen und Tiere könnte das Tempo dieser Änderung
jedoch zu rasant sein. Die wärmeren Klimazonen verschieben
sich nämlich pro Jahrzehnt um mehrere Kilometer nach Norden,
und viele Tiere und Pflanzen können da nicht mithalten.
O-Ton 03
Ein Beispiel aus einer Frankfurter Arbeitsgruppe von Professor
Wittig: Die haben einen Wald untersucht der bekanntermaßen 70
Jahre alt ist, der wurde auf einem ehemaligen Kohleabbaugebiet
gepflanzt, und der ist nur fünf Kilometer von den nächsten
anderen gleichartigen Wäldern entfernt und trotzdem gibt es
selbst nach 70 Jahren einige Pflanzenarten dort noch nicht, die
in der ganzen Umgebung vorkommen. Das heißt also, es ist
ziemlich wahrscheinlich, dass viele Pflanzen und auch Tiere - bei
Tieren sind es besonders die Amphibien und Reptilien, die nicht
so mobil sind - dass eben diese Organismen sich da nicht
schnell genug mitbewegen können.
Sprecher:
Vorhersagen darüber, welche Arten auf der Strecke bleiben
werden und welche überleben, sind kaum möglich. Es ist fast nur
möglich, obere und untere Grenzen festzulegen. So wird davon
ausgegangen, dass zwischen einem Zwanzigstel und einem
Drittel aller hessischen Arten lokal erlöschen werden – das ist
eine ziemliche ungenaue Aussage. Einer der Gründe für diese
Ungenauigkeit ist der, dass Biosysteme unter einander sehr stark
vernetzt sind. Selbst wenn man die einzelnen Bestandteile genau
kennt, ist es schwer, vorherzusagen, wie ihre Gesamtheit
reagiert. So kann selbst eine sehr ähnliche Ausgangssituation zu
sehr unterschiedlichen Ergebnissen führen: Die Haselmaus zum
Beispiel ähnelt stark dem Siebenschläfer. Dennoch reagiert sie
auf die Klimaänderung ganz anders. Während beim Siebenschläfer eine eindeutige Verkürzung des Winterschlafs
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– Klimawandel 4 –
nachgewiesen wurde, sieht man bei der Haselmaus bisher keine
eindeutige Reaktion auf die Erderwärmung.
Zudem sind nicht einmal alle beobachteten Änderungen negativ
zu bewerten. Sie können durchaus erfreulich sein, denn durch
die Einwanderung von Arten nimmt die Vielfalt zunächst einmal
zu. Ein Beispiel hierfür sind die von Dr. Jürgen Ott erforschten
Libellen.
O-Ton 04
Natürlich nimmt zunächst einmal die Biodiversität, also auf der
Ebene der Artenvielfalt, nimmt zu. Es sind ja auch sehr schöne
Arten, die Feuerlibelle ist eine schöne Art, es wandern auch
weitere Arten mittlerweile ein oder werden in Kürze einwandern
bei uns, die sich schon im Mittelmeerraum ausgebreitet haben
nach Norden, und von daher haben wir schon eine Zunahme an
hübschen Arten. Das ist zunächst einmal positiv zu sehen. Aber
es sind auch schon klare Anzeichen dafür, dass wir einen
Rückgang von anderen Arten haben, und das ist dann eher
schon problematisch, denn das sind spezielle Arten der Moore
und der Rückgang dieser Arten zeigt uns an, dass bei diesen
Lebensräumen etwas nicht mehr intakt ist. Und das hat
wiederum direkte Auswirkungen auf uns Menschen beziehungsweise auch auf die Nutzung, dass heißt, wenn die Feuchtgebiete
nicht intakt sind, hat das auch Auswirkung auf die Wassernutzung in einem Raum. Da kann nicht mehr soviel genutzt
werden, um die Feuchtgebiete nicht so sehr zu schädigen, oder
auch der Wasserrückhalt ist dann nicht mehr so gegeben wie
das vorher mal der Fall war.
Sprecher:
Aus dem Verhalten von Bioindikatoren wie der Libelle kann man
trotz der starken Vernetzung des Gesamtsystems auf bestimmte
Tendenzen schließen. Und diese Tendenzen sind bedenklich:
Bei einigen Libellenarten kann man klar sehen, dass es immer
weniger Exemplare gibt. Die langfristige Entwicklung der
Libellenarten ist klar. Dr. Jürgen Ott.
O-Ton 05
Hier muss man ja auch beachten, dass die Biodiversität auf
lange Sicht dann abnimmt durch die Klimaänderung, da wir ein
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– Klimawandel 5 –
Einwandern dieser wärmeliebenden Arten haben, aber einen
stetigen Rückgang dieser kälteliebenden Arten, die irgendwann
bei uns keine Lebensbedingungen mehr finden werden. Gerade
wenn man betrachtet, wie die Szenarien für die Temperaturentwicklung aussehen, und auch die Szenarien für die Niederschläge, so wird es in manchen Regionen diese kälteliebenden
Arten in wenigen Jahrzehnten gar nicht mehr geben können,
dass heißt, wir verschieben vieles mal ganz banal gesagt nach
Norden, aber irgendwann gibt es kein Norden mehr, es gibt dort
keine Gewässer mehr, beziehungsweise es gibt dort auch keine
Landlebensräume mehr.
Sprecher:
Es gibt bisher wenig wissenschaftliche Erkenntnisse über die
Folgen einer verringerten biologische Vielfalt. Dabei wäre dieses
Wissen beispielsweise für die Politiker wichtig: Sie sind es ja, die
Entscheidungen über Ausgaben für den Klimaschutz zu treffen
haben. Die Europäische Union hat das erkannt und fördert
umfangreiche Projekte zum Klimaschutz. Eines dieser Projekte
ist die Untersuchung von Libellen als Modelltiere für den
Nachweis von Umweltveränderungen. An diesem Projekt sind
auch deutsche Universitäten und Firmen beteiligt, zum Beispiel
die Firma von Jürgen Ott.
Noch ist die Auswirkung der biologischen Vielfalt auf andere
Eigenschaften der Umwelt nicht ganz klar. So könnte man zum
Beispiel vermuten, dass ein Ökosystem um so stabiler ist, je
mehr Arten in ihm leben. Wie wichtig aber ist die Artenvielfalt, die
so genannte Biodiversität?
O-Ton 06
Da ist sich die Wissenschaft nicht ganz im klaren und man hat
schon festgestellt, dass diese einfache Sichtweise - hohe
Diversität ist auch eine hohe Stabilität - nicht immer richtig ist und
auch nicht für alle Lebensräume zutrifft. Richtig ist aber, dass
eine hohe Biodiversität eben auch eine gute Reaktion der
Lebensräume garantiert und eben auch einen hohen
genetischen Pool garantiert, der eben für eine weitere Evolution
der Erde und auch unserer Lebensräume und der Arten eine
Grundlage ist - wenn die Arten ausgestorben sind, kann natürlich
auch keine Entwicklung mehr vonstatten gehen. Damit bedeutet
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– Klimawandel 6 –
es aber auch, dass wenn Lebensräume verarmen, ihre, ich sage
mal, Serviceleistungen nicht mehr so garantiert werden können
wie das aktuell der Fall ist. Wenn sie eben Veränderungen
haben, wenn sie ein diverseres System haben, kann dieses auch
besser reagieren auf Veränderungen. Also wenn Trockenheit
eintritt, wenn dann wieder mal höhere Wasserstände sind und so
weiter, wenn ich einen Pool habe an Arten, die sich an die
unterschiedlichen Bereiche anpassen, dann hab ich natürlich
auch bessere Reaktionsmöglichkeiten der Lebensgemeinschaft
auf diese Veränderung, wie wenn ich nur eine sehr verarmte
Lebensgemeinschaft überhaupt habe.
Sprecher:
Die Serviceleistungen der natürlichen Biosysteme für uns
Menschen sind auf den ersten Blick oft nicht erkennbar: Die
Verfügbarkeit von Trinkwasser gehört ebenso dazu wie die
Befruchtung von Äpfeln und anderen Nutzpflanzen durch
Insekten. Es besteht also auch ein wirtschaftliches und ein
politisches Interesse daran, Hessen vor den Auswirkungen des
Klimawandels zu schützen. Seit 2004 beschäftigen sich einige
wissenschaftliche Institute mit dem Thema: Sie berechnen die
Szenarien für ein hessisches Klimaschutzprogramm. Die
hessischen Steuerzahler müssen dem Prognosen zufolge bis
2030 für Klimaschutzmaßnahmen zwischen 700 Millionen und 2
Milliarden Euro aufbringen. Dr. Miriam Pampus betont aber, dass
es manchmal gar nicht sinnvoll ist, die Schäden mit einem
Geldwert gleichzusetzen.
O-Ton 07
Die Frage ist immer wie bewertet man jetzt nun auch das
Aussterben einer einzelnen Art oder eines einzelnen Lebensraumes. Das ist ja ein bisschen eine gesellschaftliche Frage, ich
finde also immer, dass Wissenschaftler das eigentlich schwer
leisten können. Aber was die Wissenschaftler eben sagen
können ist: es gibt Tierarten, die sind ohnehin schon selten bei
uns, es gibt auch einfach Lebensgemeinschaften, die sehr selten
sind; dazu zählen verschiedene Arten von Feuchtgebieten,
Feuchtwäldern, Feuchtwiesen, die sind alle in Hessen schon
selten und auch in vielen anderen Regionen in Deutschland. Und
sie sind auch alle schon bedroht, nicht nur durch den Klimawandel, sondern auch durch viele andere Umweltfaktoren, auch
zum Beispiel durch Grundwasserentzug, zum Beispiel in der
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– Klimawandel 7 –
Taunusregion, und wenn man also Wert darauf legt, diese
Gemeinschaften und ihre Tiere und Pflanzen zu erhalten, dann
muss man schon besorgt sein, dass jetzt eben der Klimawandel
noch dazukommt, der wahrscheinlich langfristig es diesen
Lebensräumen und Tierarten und Pflanzenarten sehr schwer
machen wird.
Sprecher:
Besonders schwer wiegt, dass einige Arten ausschließlich in
Mitteleuropa vorkommen. Wenn diese Arten in Hessen oder gar
in ganz Deutschland erlöschen, geht damit ein großer Teil des
Gesamtbestandes verloren. In Hessen stehen zum Beispiel 35
Vogelarten vor dem Erlöschen. Hierzu gehören auch der
Wachtelkönig und die Uferschnepfe – zwei Arten, die die
Weltnaturschutzunion bereits in ihre Vorwarnliste gefährdeter
Arten aufgenommen hat.
Für die hessische Natur wird die absehbare Klimaerwärmung
einschneidende Folgen haben, und damit auch für uns
Menschen. Denn selbst vermeintlich angenehme Änderungen,
wie wärmere und längere Sommer haben ihre Tücken. Denn sie
könnten eine Einladung für einen sehr unangenehmen Gast sein.
O-Ton 08
Es ist sogar möglich, das ganz gebietsfremde Erreger wie zum
Beispiel die Malariamücke sich dauerhaft in Deutschland auch
festsetzen. Wir wissen ja, wir sind ja hier im Rhein-Main-Gebiet,
da gibt’s ja immer mal wieder Malariamücken, nämlich die
kommen mit den Flugzeugen; und im Moment ist es natürlich
noch so, dass die hier draußen nicht überleben können. Aber es
ist durchaus vorstellbar, dass das irgendwann anders wird und
dass es tatsächlich in Deutschland auch wieder Malariagebiete
geben wird.
Sprecher:
Gegen eingeflogene Mücken vorzugehen, wird sich wohl
vergleichsweise schwierig gestalten. Viele der befürchteten
Folgen lassen sich aber durch eher einfache Maßnahmen
verhindern: Eine flächendeckende Vernetzung von Lebens7
– Klimawandel 8 –
räumen, wie zum Beispiel durch Krötentunnel oder durch neue
Waldstücke zwischen bisher isolierten Restwäldern, würde vielen
Tieren die Anpassung erleichtern – und so dafür sorgen, dass sie
überleben.
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