Wissenschaft und Fortbildung BZB Juli/August 15 Die Geheimnisse des Adhäsivverbundes Das richtige Adhäsivsystem für den richtigen Zweck E i n K u r s b e r i c h t v o n D r. C h r i s t i n a E r n , M ü n c h e n Mithilfe der Adhäsivtechnik können heutzutage vielfältige Rekonstruktionen der verloren gegangenen Zahnhartsubstanz durchgeführt werden, die noch vor einigen Jahrzehnten unmöglich gewesen wären. Prof. Dr. Claus-Peter Ernst gab in einem fundierten Vortrag an der eazf in München einen umfassenden Überblick über die Weiterentwicklung der Adhäsivtechnik sowie neue Anwendungsmöglichkeiten. Durch die Entwicklung der Komposite und der damit verbundenen Adhäsivtechnik kann Patienten der Wunsch nach zahnfarbenen Restaurationen erfüllt werden. Diese Technik ist daher aus der täglichen Praxis nicht mehr wegzudenken. Bei der Fülle an verschiedenen Adhäsivsystemen auf dem Markt und der wachsenden Anzahl neuer Produkte ist es jedoch schwierig, einen Überblick zu behalten. Der Trend geht zu Produkten, die eine immer schnellere Anwendung und bessere Haftwerte versprechen. Professor Ernst machte darauf aufmerksam, dass dies nur mit einem hohen Maß an Aufmerksamkeit und mit der richtigen Handhabung möglich wird und riet daher, die Gebrauchsanweisungen der Hersteller penibel zu beachten. Das Legen von Füllungen ist fehleranfällig Allein bei Füllungen können bis zu zwanzig Fehler gemacht werden. Grundsätzlich muss die Kavität frei von Speichel und Blut sein, um eine ausreichende Adhäsion zu gewährleisten. Im Frontzahnbereich ist ferner darauf zu achten, dass die Lippen der Patienten nicht eingefettet sind. Die unvermeidbare Berührung der Fettschicht mit den Zähnen führt zu einer verminderten Adhäsion. Die Feuchtigkeit der Atemluft hingegen ist für moderne Komposite kein Problem mehr, sodass Kofferdam beim Legen der Füllung kein Muss ist, die Arbeit aber oftmals erleichtert. Die Desinfektion einer kontaminierten Kavität sollte mit Chlorhexidin erfolgen, da dadurch der Haftverbund zwischen Füllung und Zahn nicht beeinträchtigt wird. Wasserstoffperoxid hingegen kann die Haftung der Adhäsive um bis zu 20 Prozent reduzieren, weil sich durch den freigesetzten Sauerstoff eine Sauerstoffinhibitionsschicht im Dentin bildet. Natriumhypochlorit kann die Haftwerte sogar um 50 Prozent senken. Ursache hierfür ist die Auflösung des Kollagennetzwerkes im Dentin. Aus diesem Grund müssen nach einer Wurzelkanalbehandlung die Ränder der Kavität mit einem Diamanten angefrischt werden. Nach dem heutigen Stand der Wissenschaft liefern die klassischen Mehrflaschensysteme mit Phosphorsäurekonditionierung die besten Langzeitergebnisse, wie etwa Syntac der Firma Ivoclar Vivadent oder Optobond FL von Kerr. Sie haben sich im Praxisalltag durchgesetzt. Die Dentinkonditionierung mit Phosphorsäure sollte dabei nicht länger als 15 Sekunden dauern, da sonst eine dickere Schicht des Kollagens freigelegt wird, die nicht durch das Dentinadhäsiv penetriert werden kann. Postoperative Beschwerden beim Patienten in Form von ziehenden Schmerzen können die Folge sein. Sie werden durch eindringende Feuchtigkeit in die nicht penetrierte Kollagenschicht verursacht. Ferner führt dies zu einer verminderten Haftung des Komposits. Wenn die Kavität nach dem Ätzen nicht ausreichend gespült wird, verbleiben dort Kalziumpräzipitate, die ebenfalls die Haftung des Komposits mindern. Auch bei der anschließenden Trocknung des Dentins ist darauf zu achten, dass es nicht übertrocknet wird. Dies würde das Kollabieren des Kollagens verursachen, wodurch das Adhäsiv nicht ausreichend in die Tiefe diffundieren kann. Um eine Übertrocknung zu vermeiden, sollte man zuerst die approximalen Bereiche der Kavität und dann nur kurz den zentralen Bereich mit dem Luftbläser trocknen. So behält das Dentin die notwendige Feuchte. In der Kinderzahnheilkunde oder bei Kavitäten, die schwer trocken zu halten sind, wie zum Beispiel bei Zahnhalsfüllungen, sind hingegen All-in-One-Produkte die bessere Wahl (beispielsweise iBond Self Etch von Heraeus Kulzer oder Adper Easy Bond von 3M Espe). Aus den genannten 75 76 BZB Juli/August 15 Wissenschaft und Fortbildung Kleine Auswahl von am Markt verfügbaren Adhäsiven Gründen sollten in einer Praxis daher zwei bis drei verschiedene Adhäsivsysteme vorhanden sein. Für alle Systeme gilt, dass mit signifikant schlechteren Ergebnissen zu rechnen ist, wenn die vom Hersteller angegebenen Einwirk- und Polymerisationszeiten unterschritten werden. Längere Wirkungsdauern hingegen verursachen in der Regel keine Probleme, sondern können im Gegenteil bei manchen Adhäsivsystemen die Haftwerte sogar noch erhöhen. Bei dem Verblasen der Adhäsive geht es nicht um deren Trocknung, sondern darum, möglichst viel von dem Lösungsmittel zu entfernen, das die nachfolgende Polymerisation verhindern kann. Deswegen sollte man zunächst mit einem schwachen Luftstrom beginnen, den man dann kontinuierlich verstärken kann. Nach dem Verblasen sollte eine gleichmäßige seidenglänzende Oberfläche in der gesamten Kavität zu sehen sein. Ist dies nicht der Fall, muss das Adhäsiv erneut aufgetragen werden. Lichthärtende Komposite können ohne Probleme mit verschiedenen Adhäsiven verwendet werden, auch wenn sie nicht vom gleichen Hersteller stammen. Bei dualhärtenden Kompositen ist zu beachten, dass die enthaltenen Amine die Dualhärtungsreaktion initiieren. Diese wiederum kann durch verbleibende Säuregruppen der selbstkonditionierenden Adhäsive beeinträchtigt werden. Die Folge ist eine fehlende Härtung im Kontaktbereich und eine massive Reduzierung der Haftwerte. Auch bei der Lichtpolymerisation gilt es einige Regeln zu beachten. Durch eine unzureichende Polymerisation kommt es unter anderem zu verminderter Abrasionsstabilität, zu reduzierter Haftung an der Zahnhartsubstanz sowie zu einer verminderten Farbstabilität. Es ist besonders auf die richtige Wellenlänge und auf die Zufuhr einer ausreichenden Energiemenge zu achten, da sonst die Komposite ihre physikalischen, chemischen und optischen Eigenschaften nicht erreichen. Eine besonders empfindliche Stelle sind die approximalen Kästen einer Klasse-II-Kavität. Diese sind lagebedingt weiter von der Lichtquelle entfernt, wodurch die ankommende Energiemenge reduziert ist. Es empfiehlt sich in diesen Bereichen die Belichtungszeit zu verlängern. Es ist ratsam, die Leistung der Polymerisationslampe mit einem Radiometer in regelmäßigen Abständen zu überprüfen. Die gemessenen Werte sollten notiert werden, um die Abnahme der Geräteleistung rechtzeitig zu entdecken und die Belichtungszeit entsprechend zu verlängern oder die Lichtquelle zu ersetzen. Bei dieser Prüfung sollten eventuell vorhandene Verunreinigungen durch Komposit- und Bondingreste am Lichtleiter entfernt werden. Beim Aushärten der Komposite sollte die Polymerisationslampe zuerst unter Sicht am Zahn positioniert und erst dann eingeschaltet werden. Bei der Nutzung der Polymerisationslampe ist eine Schutzbrille oder ein Schutzschild zu tragen, um Schäden an den Augen zu vermeiden. Gebrochene Füllungen können repariert werden Sollte trotz des sorgfältigen Vorgehens eine Füllung brechen, kann sie repariert werden. Dabei muss die bearbeitete Oberfläche reaktiviert werden. Zu diesem Zweck wird die Füllungsoberfläche zuerst mit einem Diamanten angeschliffen. Danach wird sie mit Phosphorsäure gereinigt. Im nächsten Schritt wird silanisiert. Das kann entweder durch das Abstrahlen mit CoJet Sand geschehen oder durch das Auftragen von MDP- und silanhaltigen Adhäsiven (zum Beispiel Scotchbond Universal). Anschließend wird die Reparatur mit herkömmlichem Komposit durchgeführt. Auch Restaurationen aus Keramik oder Metall können mit Komposit repariert werden. Ähnlich wie bei Füllungen aus Komposit wird die Oberfläche der Keramik angeraut und mit Silan konditioniert. Dann wird eine Adhäsivschicht aufgetragen und der Defekt anschließend mit Komposit gefüllt. Bei Metallrestaurationen kann nach dem Anrauen zusätzlich ein Metallprimer aufgetragen werden. Die Entwicklung der Keramikrestaurationen schreitet unaufhaltsam voran. Es gibt verschiedene Keramikarten, die verschiedene Anforderungen an die Befestigung am Zahn stellen. Zum Beispiel brauchen die Zirkonoxid- und Verbundkeramiken keine Vorbehandlung mit Flusssäure. Silikat- und Hy- Wissenschaft und Fortbildung bridkeramiken müssen hingegen 60 Sekunden mit Flusssäure angeätzt werden. Bei Lithiumdisilikatkeramik reichen hingegen 20 Sekunden. Abhängig von der Möglichkeit der Lichthärtung wird ein entsprechendes Adhäsivsystem ausgewählt. Für die Befestigung von Veneers können beispielsweise lichthärtende Adhäsive wie RelyX Veneer oder Variolink Veneer angewandt werden. Für Inlays und transluzente Kronen können dualhärtende Systeme wie Panavia F2 und Variolink eingesetzt werden. Bei opaken Kronen und Wurzelstiften braucht man chemisch härtende Systeme wie RelyX Unicem oder Multilink. BZB Juli/August 15 Fazit Professor Ernst ist es in diesem Tageskurs gelungen, einen sehr guten Überblick über die zahlreichen Adhäsivsysteme und die komplizierten Vorgänge beim Kleben zu geben und durch viele Praxisbeispiele auf die Anforderungen und Fragen der Teilnehmer einzugehen. Hinweis Die eazf bietet regelmäßig Kurse zur Restaurativen Zahnheilkunde an. Weitere Informationen unter www.eazf.de Oral Cancer Surgery – A Visual Guide Kesting, Marco: Oral Cancer Surgery – A Visual Guide, 2014, Thieme Verlag, Stuttgart, 132 Seiten, 208 Abbildungen, Preis: 99,99 Euro, ISBN: 978-3-131-99401-1 Die Behandlung bösartiger Erkrankungen der Mundhöhle stellt eine schwierige Herausforderung für den Chirurgen dar. Fortschritte in der chirurgischen Therapie des Mundhöhlenkrebses wurden zuletzt vor allem durch die Weiterentwicklung von mikrovaskulär reanastomosierten autologen Transplantaten, die Systematisierung der tumorbedingten Defekte sowie die computerassistierte dreidimensionale Planung der Rekonstruktion erreicht. Mit einem reich bebilderten Werk gibt Priv.Doz. Dr. Dr. Marco Kesting einen umfassenden und prägnanten Überblick über den aktuellen Goldstandard der chirurgischen Tumortherapie in unserem Fachgebiet. Regelmäßig ist im Rahmen der chirurgischen Tumortherapie eine Tracheostomaanlage als operative Herstellung eines Atemweges notwendig. Konsequenterweise wird dieser Therapieschritt in einer klinischen Fotoserie als Schritt-für-Schritt-Anleitung im ersten Kapitel dargestellt. Die chirurgische Sanierung des Lymphabflussgebietes folgt als nächster Operationsschritt, den der Autor im Kapitel 2 präsentiert. Indikation und Varianten der Lymphknotenentfernung am Hals werden anhand von Schemazeichnungen erklärt, ebenso die verschiedenen Zugangswege. Die Stärke des Buches liegt aber vor allen in der exzellenten Qualität und Anzahl der intraoperativ von jedem Operationsschritt gewonnenen Aufnahmen. Abgerundet wird die Dokumentation durch Bilder nach Abschluss der Behandlung. Im dritten Kapitel werden die Zugangswege zu den Tumoren des Unterkiefers und der Zunge sowie zu den Tumoren des Oberkiefers und Mittelgesichtes dargestellt. Breiten Raum nimmt die Defektrekonstruktion ein: Kurze Algorithmen zur Transplantatwahl vorangestellt, zeigt der Autor den aktuellen Stand der mikrovaskulären Wiederherstellung der tumorbedingten Defekte auf. Abhängig von Art und Größe der Defekte werden etablierte Konzepte zur Defektdeckung vorgeschlagen. Eine Reihe wichtiger Rekonstruktionsmöglichkeiten wird anschaulich mit perfektem Bildmaterial erklärt. Erstmals in einem Standardwerk dieser Qualität werden auch die hochaktuellen Methoden zur virtuellen Transplantatplanung und -gewinnung dargestellt. Das vorgelegte Werk wird jedem Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen nützlich sein. Es kann jedem angehenden Facharzt empfohlen werden und sei dem Erfahrenen ans Herz gelegt, um zu repetieren und den Horizont zu erweitern. Das Buch beeindruckt durch durchgängig hochwertiges Bildmaterial und prägnante Darstellung. Jeder Interessierte kann sich mit diesem Werk ein Bild über den aktuellen Stand der maxillofazialen Tumortherapie machen. Dieses Wissen ist im Sinne einer umfassenden Patientenversorgung wichtig. Dr. Yorck Zebuhr Wels/Österreich 77