SWR2 Glauben BUDDHAS BLAUE SCHALS

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SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Glauben
BUDDHAS BLAUE SCHALS
RELIGIÖSE TOLERANZ IN DER MONGOLEI
VON ULRICH LAND
SENDUNG 02.11.2014 / 12.05 UHR
Redaktion Religion, Kirche und Gesellschaft
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Musik 1:
Khukh Tolboton
(ReporterMitschnitt)
(KlosterkonzertErdeneKhamba1.wav, ab 21:38)
folgend unterlegen
Autor:
Dieses leere, dieses unglaublich leere Land. Wo man den Himmel
tatsächlich an die Erde stoßen sieht. Berge und endlose Ebenen: die
vielbeschworenen Weiten. – Die Mongolei: fern und fremd.
Exotisch und einsam.
Musik hochziehn, kurz freistehn lassen
und weiterhin unterlegen
Zitatorin:
Eine eigenständige Republik im Zentrum Asiens. Gelegen zwischen
Russland und China. Viereinhalbmal so groß wie Deutschland, mit
allerdings lediglich drei Millionen Einwohnern.
Musik hochziehn, kurz freistehn lassen,
dann weiterhin unterlegen
Autor:
Irgendwie unschuldig, die Landschaft hier. Nackt. Nur
Steppengras, Sand, Gestein. Eine Welt aus weichen Wellen.
Hügel, riesige Ebenen, geschmeidige Senken. Der Horizont
eher ein Übergang als eine klare Kante. Verwischt.
Kreuzblende aus Ensemble-Musik in:
2
Musik 2:
Urtyn-duu-Gesang
(ReporterMitschnitt)
(KonzertVorStupas1Amarbayasgalant.wav, 20:44)
folgend unterlegen
Autor:
Auf jeder Passhöhe wehen als sichtbares Zeichen der
Götter- oder Geisterverehrung blaue Gebetstücher.
Zitatorin:
Khatags.
Autor:
Da in der Mongolei nur äußerst selten passende Bäume
bereitstehen, werden die Gebetstücher um Holzlatten
geknotet, die aus immer wieder nachgebesserten
Steinhügeln ragen.
Zitatorin:
So genannte Owoos.
Autor:
Mitunter sieht man hier Frauen stehen und mit Inbrunst
hinaus in die endlose Weite der Steppe singen.
Musik hochziehn, kurz freistehn lassen
und folgend weiterhin unterlegen
3
O-Ton 1.:
Tsogd Saikhan
(InterviewLongsongSängerinAmarbayasgalant.wav,
0:25)
T. Saikhan: Tunne koffen … tom trürch. Oto ten
om mörnit …
Übersetzerin: Also zum Beispiel wenn kein
Regen kommt in der Steppe, in der Gobi, dann
singen für den Himmel, dann kommt der Regen.
Und auch für die Kinder ist gute Kraft, für die
Pflanzen und für die Steine, für die Gebirge.
Guter Spirit hört diese Longsongs, und dann
macht die Leute glücklich.
Musik ausblenden
O-Ton 2.:
Baaka
(InterviewBaakaReligion1.wav, 1:10)
Ich bin eigentlich nicht so große religiöse
Mensch, aber eine traditionale Familie bin ich
aufgewachsen, meine Mama jeden Morgen, sie
hat immer die erste Teeschluck für die Sonne,
für die blaue Himmel gegeben, und dann sagt
sie: "Das ist Dankeschön, guten Morgen,
schöne blaue Himmel!"
Zitatorin:
Badamkhand.
Autor:
Pechschwarzes Haar, glitzernde Augen, stets ein Lächeln auf
dem runden Gesicht.
Zitatorin:
Sie hat in der Mongolei und noch in der Sowjetunion Jura
studiert, lebt inzwischen in Freiburg und studiert Sinologie.
Autor:
Ihre Mutter gehört noch zu der Generation, die auf jeder
Passhöhe eine Hand voll Essensbröckchen aus dem
Busfenster wirft.
4
O-Ton 3.:
Baaka
(InterviewBaakaReligion1.wav, 6:59)
Sie sagt uns immer: "Das Leben ist eigentlich
immer Nehmen und Geben. Das ist wie eine
Ping Pong." Man kann nicht alles nehmen,
nehmen, nehmen, muss man immer anderen
geben, nicht nur seinen Mitmenschen, sondern
man
muss
immer
der
Natur
auch
zurückgegeben. Süßigkeit oder Käse, Wodka,
sie gibt das immer.
O-Ton 4.:
Nomaden-Schamane
(InterviewNomadenschamane3Amarbayasgalant.wa
v, 2:06)
Nomade: Tinnidi etto … berele discht.
Übersetzerin: Für Schamanen es gibt keine
Spezialperson, aber die Erde und die Natur ist
für uns Gott.
… Nomade …
Übersetzerin: Alle diese Natur ist die Seele. Ja?
Diese Bäume und diese Sachen ist es auch die
Seele.
Zitatorin:
Ein nomadischer Schamane in der Selenge-Provinz [gespr:
Selenge].
O-Ton 5.:
Nomaden-Schamane
(InterviewNomadenschamane3Amarbayasgalant.wa
v, 3:25)
Nomade: Tingri detsch … dewen dutscht.
Übersetzung: Ganz heilige Sache ist diese blaue
Himmel. Das bedeutet für mongolische Leben:
es ist schön. Harmonisch. Heiliges, spirituelles
blaue Himmel.
Zitatorin:
Nach animistisch-mongolischem Verständnis geht es darum,
mit "allem, was unterm Himmel ist" in Einklang zu leben.
5
Autor:
Denn alles ist bevölkert mit Geistern. Und darüber wölbt sich
der Himmel, Tenger, als höchste gottähnliche Wirkkraft.
Zwischen dem "ewigen blauen Himmel" und "Mutter Erde"
darf der Mensch sich geborgen wähnen. Kosmos,
Naturgeister und Ahnen halten ihr Schutzschild über ihn.
Zitatorin:
O-Ton 6.:
Der mongolische Tengrismus.
Khuvsgul-Schamanin
(Schamanin2IhreVerwandten.wav, 7:16 bis 8:28)
Za, minii ons
bruschtilekdö.
Zitatorin:
lockich
ächo
…
chiärtä
Voice over
Alle Berge, der See, die Landschaft, erzählt eine alte
Schamanin aus der Nordmongolei, alles habe seine eigenen
Geister. Mit jeweils spezifischen Namen. Aber sie nehme nur
Kontakt zu den Geistern in ihrer Gegend auf. Und das seien
immerhin 32 an der Zahl.
Atmo 1:
Klangschalenexperimente an heiliger Quelle
(KonzertAnHeiligerQuelle2KlangschalenAmarbayas
galant.wav
ab 0:16)
folgend unterlegen
6
Autor:
Vor der Kulisse der Bergketten: riesige papierflache Täler, in
denen sich der Fluss irgendwo versteckt und durch seine
eigenen Schotter frisst. Mitten in dieser endlosen Einsamkeit,
auf einem der Hügel hat sich eine ansehnliche
Menschenmenge versammelt. Im Halbkreis um sechs
merkwürdige Gestalten herum, die in dunkle Gewänder
gekleidet sind. Übersät mit Ornamenten, Schellenbändern
und zahllosen verschiedenfarbigen Stoffstreifen. Die
Gesichter unter einer dicht geflochtenen Pferdehaarperücke,
darüber ein hoch emporragender Federschmuck.
Kreublende aus Klangschalen in:
Atmo 2:
Schamanenzeremonie
(Schamananenzeremonie1.wav, ab 0:05)
folgend unterlegen
Autor:
Die Schamanen sind plötzlich aufgesprungen, bauen sich in
einer Reihe auf und bearbeiten mit einem fell-überzogenen
Schlegel ihre großen, flachen Handtrommeln.
langsame Kreuzblende aus Schamanenzeremonie in:
Atmo 3:
Solo des Oberschamanen
(Schamananenzeremonie3.wav, ab 4:35)
folgend unterlegen
7
Autor:
Schließlich setzt sich der Oberschamane im Schneidersitz hin und
verneigt sich demutsvoll vorm Himmel, vor den Pflanzen, Tieren,
Steinen, vor den Ahnengeistern der Verstorbenen. Dann nimmt er
einen ordentlichen Schluck Wodka und rührt auf ein Neues die
Trommel. Unterbricht sich immer wieder, murmelt und lauscht in
die schweigende Trommel hinein. Knisternde Erwartung.
Schamanensolo hochziehn, kurz freistehn lassen
und folgend weiterhin unterlegen
Zitatorin:
Wolle man dem Groll der Geister von den Altvorderen
entgehen, raunt er, gelte es, der Natur Respekt zu zollen,
das Zusammenwirken der Elemente nicht zu stören, den
alten Baum wie die eigene Mutter zu ehren.
Schamanensolo hochziehn, kurz freistehn lassen
dann langsame Kreuzblende in:
Musik 3:
Schamanentrommeln + Urtyn-Duu-Gesang
(ReporterMitschnitt)
(SchamananenzeremonieMutterbaum.wav, ab 2:30)
folgend unterlegen
O-Ton 7.:
Veit
(VeitTotenkulte.wav, 3:40)
Wenn entsprechende Opfergaben dargebracht
werden, besticht man den Verstorbenen
sozusagen, dass er als schützender Ahnengeist
für seine Familie wiederkehren möge.
Zitatorin:
Die Bonner Mongolistin Veronika Veit.
8
O-Ton 8.:
Veit
(VeitTotenkulte.wav, 5:32)
Wenn aber ein Ahnengeist ein besonders übler
Genosse ist, dann kann der Schamane diesen
bösen Geist versuchen, mit Bann zu schlagen.
Autor:
Wenn's sein muss, ganz handfest mit Schlägen.
O-Ton 9.:
Baaka
(InterviewBaakaReligion2.wav, 11:44)
Wenn man immer schlechte Sachen denkt oder
diese schlechte Geister in der Körper sitzt. Und
deswegen manchmal einfach sehr laut schreit
oder so schöne Musik hört oder Schamane
patscht, dann ist diese schlechte Sachen weg
oder so.
O-Ton 10.:
Khuvsgul-Schamanin
(Schamanin4Milch.wav, 8:04 bis 8:57)
Timää rä gutiri khää ... jo ba horoo.
Voice over
Zitatorin:
Wenn die Geister in ihren Körper fahren würden, verliere sie
die Kontrolle über sich selbst. Von dem Moment an, wo sie in
Trance gerate, erklärt die alte Schamanin, müssten ihre
beiden Assistenten sie führen. Und sie schließlich wieder ins
normale Leben zurückbringen. Damit sie nicht bis zum
Sonnenaufgang mit irgendwelchen betrunkenen, völlig aus
dem Ruder gelaufenen Geistern herumtanzen müsse. Wenn
aber die Geister gut gelaunt seien, dann hätte sie natürlich
nichts
dagegen,
wenn
man
sie
lange
mit
ihnen
zusammenließe.
Schamanenmusik hochziehn, kurz freistehn lassen,
dann langsam ausblenden
9
O-Ton 11.:
Veit
(VeitTotenkulte.wav, 5:06)
Der
Schamane
hat
seine
eigenen
Ahnenschutzgeister, und je mächtiger diese
Schutzgeister sind, desto mächtiger ist auch der
Schamane im Besiegen des Übels.
O-Ton 12.:
Baaka
(InterviewBaakaReligion2.wav, 9:38)
Wenn jemand fragt: Ich hab Probleme, könnten
Sie mir helfen? Dann er sagt: Okay, sieben
Morgen Sie können der Sonne eine schöne Tee
geben und dann Dankeschön sagen und die
Energie holen. Wenn man immer stressig,
selbstsüchtig wird, dann erkältet man schnell
oder wird man schnell krank. Du musst jetzt
nicht nur nehmen, nehmen, du musst diese
Sachen Natur geben und deine Mitmenschen
helfen oder so.
Autor:
So unterstützen die Buß-Auflagen des Schamanen zugleich
die Heilungskräfte, die seiner Zunft zugeschrieben werden.
O-Ton 13.:
Baaka
(InterviewBaakaReligion2.wav, 13:45)
Natürlich geben keine Rezepte, Medikamente,
sondern seelisch reinigt. Okay, vielleicht du hast
schlechte Sachen gedacht, deswegen deine
Seele ist nicht sauber, deswegen du hast
schnell Erkältung bekommen, und dann mit
Wodka oder Milch er symbolisch reinigt, und
nach der Zeremonie fühlt man sich als ein
sauberer Mensch. Und dann diese Krankheit
schnell weg. Manchmal der Schamane sagen
nichts, nur hören! Hören sehr gut; und dann
während Gespräch findet man selber diese
Lösung.
O-Ton 14.:
Khuvsgul-Schamanin
(Schamanin4Milch.wav, 0:00 bis 0:38)
Hamm din gollin … sain saichan nutudetschl.
10
Zitatorin:
Voice over
Jeder, der ein Problem hat, komme zu ihr. Paare
beispielsweise, die keine Kinder bekommen können. Oder
Leute, die partout keinen Liebespartner finden. Aber auch
wer auf Erfolg aus ist. Und durchaus auch Leute mit
verwerflichen Wünschen! Aber dafür stehe sie nicht zur
Verfügung. Die Vertreter der Bergbau-Konzerne etwa, die
seit ein paar Jahren planten, die Phosphor-Vorkommen hier
aus den Bergen am Khuvsgul-See [gespr: Chuuvsgul] zu
kratzen, hätten bei ihr keine Chance. Das seien Burschen,
die sich kein bisschen um die Natur, um die Traditionen
scheren würden, die hätten bloß einen Blick für Geld und
Gold. Seitdem würden sich die Geister zunehmend ärgern
und fürchten; und auch sie selbst mache sich ziemlich
Sorgen, weil die Natur mit Füßen getreten werde.
Atmo 1:
Klangschalenexperimente an heiliger Quelle
(KonzertAnHeiligerQuelle2KlangschalenAmarbayas
galant.wav
ab 0:16)
folgend unterlegen
Autor:
Sonnenuntergang über der Steppe. Der Himmel durchstreift eine
unglaubliche Fülle von Violett- und Orangetönen. Türmt ein paar
Wolkenbrocken auf, die sich mit apricotfarbenen Lichträndern vom
allmählich dunkler werdenden Himmel absetzen.
Atmo Klangschalen hochziehn, kurz freistehn lassen und
weiterhin unterlegen
Autor:
Am Straßenrand sitzt ein klobiger Betonbuddha und lächelt dem
Baum zu, der direkt neben ihm steht und mit einem Gewirr aus
ausfransenden, blaugelben Gebetstüchern überzogen ist.
11
Kreuzblende aus Klangschalen-Atmo in:
Atmo 4:
buddhistische Gebetsmühlen
(GebetsmühlenKarakorum.wav, 0:07 bis 0:59)
folgend unterlegen
O-Ton 15.:
Veronika Veit
(InterviewVeitMongolGeschichte.wav, 1:11:05)
Dschingis Khan ist sicherlich mit buddhistischen
Mönchen in Verbindung gekommen …
Zitatorin:
O-Ton 16.:
Veronika Veit schaut zurück ins 13. Jahrhundert.
Veronika Veit
(InterviewVeitMongolGeschichte.wav, 1:11:09)
… aber er war ein echter Mongole, dessen
kosmische Weltordnung vom Animismus
bestimmt war und der deswegen allen anderen
religiösen
Phänomenen
sehr
offen
gegenüberstand. Denn im Rahmen des
Animismus ist die Welt von Geistern beseelt,
und ob man nun Buddha integriert oder den
Kodex der Konfuzianer, die religiösen
Vorstellungen der Muslime, da gibt es
überhaupt kein Problem!
Gebetsmühlen-Atmo ausblenden
12
Autor:
Endlose Pistenfahrt Richtung Süden. Plötzlich eine
Ansammlung kleiner Häuser mit unglaublich bunten Dächern.
Knallblau, qietschgelb, feuerrot. Zäune aus vernagelten
Brettern, rostigen Motorhauben, dürrem Astwerk. Hunde
streunen zwischen den Palisadenwänden, ein paar struppige
Pferde und knochige Ziegen knabbern an mageren
Grasbüscheln. Auf der brüchigen Hauptstraße schwappen
riesige Pfützen hinter jedem LKW schäumend wieder in die
Schlaglöcher zurück und umspülen ein Bretterbüdchen, das
CDs verkauft. Grelle Schlager neben mongolischer
Nomadenmusik, Bollywood-DVDs neben Brahms' deutschem
Requiem, Dizzy Gillespie neben Schlagern in
bonbonfarbenem Cover.
Zitatorin:
Das Städtchen Kharkhorin im Zentrum der Mongolei.
Autor:
Dort, wo früher Karakorum lag. Die Stadt, die im dreizehnten,
vierzehnten Jahrhundert den Mittelpunkt des größten
Weltreichs aller Zeiten darstellte. Als einer der Söhne
Dschingis Khans von hier aus die Geschicke des
Riesenreichs lenkte. Hier befanden sich christliche,
islamische und buddhistische Gotteshäuser. Während die
Mongolen im Sturmlauf ihr Reich immer weiter ausdehnten,
ihm ganz China einverleibten. Und im Westen kamen sie bis
160 Kilometer vor das heutige Berlin. Eroberungszüge, die
nicht selten von brutalen Auswüchsen begleitet wurden.
Aber: …
O-Ton 17.:
Veronika Veit
(InterviewVeitMongolGeschichte.wav, 1:12:20)
Es hat bei den Mongolen niemals und zu keiner
Zeit Religionskriege gegeben.
13
O-Ton 18.:
Baaka
(InterviewBaakaReligion2.wav, 2:30)
Wir sind super friedlich für Religion.
Musik 4:
Obertongesang: TransMongolia "Tengeriin duu"
(von CD: "Gesang des Himmels", Transmongolia
Music, Harpstedt 2005, LC 01371)
Track 4, ab 4:20
kurz freistehn lassen, dann folgend unterlegen
Zitatorin:
"Wir Mongolen glauben, dass es nur einen Gott gibt. Aber wie Gott
der Hand verschiedene Finger gegeben hat, so hat er den Menschen
verschiedene Wege gegeben."
- Großkhan Möngke um 1250.
zitiert nach
"Die Mongolen. Beiträge zu ihrer Geschichte u. Kultur",
hrsg. von Michael Weiers. Unter Mitw. von Veronika Veit u. Walther Heissig,
Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1986, ISBN 3-534-03579-8
S. IX
Autor:
Die Steppenreiter als Vorreiter der Religionsfreiheit.
Obertongesang hochziehn, kurz freistehn lassen,
dann weiterhin unterlegen
O-Ton 19.:
Veronika Veit
(InterviewVeitMongolGeschichte.wav, 1:19:08)
Aber das Volk hat der Buddhismus nicht
erreicht! Das geschah erst im 16. Jahrhundert.
Altan Khan del Tummet muss auf eine Idee
gekommen sein: Wenn es mir gelingt, eine
entsprechende geistliche Säule aus dem
Buddhismus an meine Seite zu stellen, dann
gelingt mir vielleicht die Oberherrschaft über die
Mongolen.
14
Autor:
Doch nach der Blütezeit des mittelalterlichen Mongolenreichs
waren die einzelnen Clans wieder derart hoffnungslos
zerstritten, dass die Oberherrschaft mit und ohne
Buddhismus nicht zu gewinnen war. Aber diese Religion
konnte sich von da an in der Mongolei immer mehr
ausbreiten.
Zitatorin:
Wenige Jahre nach dem Tod Altan Khans wurde am Südrand
der verfallenden Stadt Karakorum das erste buddhistische
Kloster in der Mongolei gegründet: Erdene Zuu.
Autor:
Im ausgedehnten Steppental, in das die heutigen Jurten- und
Wohnhaussiedlungen Kharkhorins auslaufen. An der
Schnittstelle zwischen Stadt und Steppe. Wohnstatt und
Wirkungsstätte von seinerzeit bis zu 10.000 Mönchen. Das
riesige Klostergelände ist umfriedet mit einer mannshohen
Mauer, die über hundert Stupas perlschnurartig aufreiht,
kleine weiße Reliquientempel.
Obertongesang kurz freistehn lassen, dann : harter Schnitt
15
Autor:
Zugleich aber mit dem Ausbreiten des Buddhismus wurde
der
althergebrachte
zartfühlend
animistische
abgewürgt.
Die
Tengrismus
wenig
tibetisch-lamaistischen
Missionare unterdrückten die Schamanen, wo sie nur
konnten, und traten als die besseren Heiler und Wahrsager
auf. Und als energische Abgabeneintreiber. So häuften die
Klöster opulente Reichtümer an und zogen immer mehr
weltliche Macht auf sich. Was im Umkehrschluss für den
mongolischen Adel ein Absinken in die Bedeutungslosigkeit
bedeutete. In den 1920er Jahren gab es in der Mongolei an
die
110.000
Lamas
einschließlich
der
Novizen
im
Kindesalter. Etwa ein Drittel der männlichen Bevölkerung.
O-Ton 20.:
Veronika Veit
(InterviewVeitMongolGeschichte.wav, 1:27:45)
Die Schamanen wurden natürlich bekämpft!
Aber dass der Buddhismus militant – das
widerspräche
allen
Grundsätzen
des
Buddhismus. Es wurde verboten, dass die
Schamanen
schamanische
Sessionen
abhielten, dass sie ihre Heilungen und ihre
Rituale durchführten, aber man entzog sich dem
sehr schnell, indem man kleine Hintertüren
fand, dass die Schamanen vor ihre Anrufungen
buddhistische Anrufungen stellten. Und dann
hinterher ging es weiter, wie sie das immer
gewohnt war. Und das ging durch.
Autor:
Zunächst also eine Art erzwungener Synkretismus, der auch
deshalb so gut funktionierte, weil er an die seit Alters her
ungebrochene religiöse Toleranz der Mongolen anknüpfen
konnte.
Atmo 5:
Sutras-Sprechgesang buddhistischer Mönche
(Mönche2Amarbayasgalant.wav, ab 5:00)
folgend unterlegen
16
Autor:
In den Bethallen des Klosters zieren Hunderte von eigentlich
schmananischen, blauen und gelben Gebetstüchern die Holzsäulen
in stiller Eintracht mit den ebenfalls Hunderten von Buddhafiguren
und –figürchen. Mit den Gobelins aus schweren, mit Gold und
Silber durchwirkten Brokatstoffen, die buddhistische Motive und
Symbole darstellen. Nackte Neonleuchten tauchen die aufwändig
ziselierten Schmuckschatullen und Tabernakel in gleißendes Licht.
Unter den roten Mönchsgewändern lugen abgetragene MarkenTurnschuhe hervor.
Sutra-Gesänge hochziehn, kurz freistehn lassen
und folgend weiterhin unterlegen
Autor:
Die Lamas – die jüngsten im zarten Alter von vielleicht acht
Jahren – wippen im Schneidersitz mit dem Oberkörper,
quatschen während der Zeremonie und starren unverblümt
die paar Touristen an, die den Weg in dieses abgelegene
Kloster gefunden haben. Neugier contra Neugier. Von
andachtsvoller
Versenkung,
kontemplativer
Stille,
gottergebener Einkehr beim Beten der Sutras ist wenig zu
spüren.
Irgendwie
menschlich,
das
Prozedere.
Ausgesprochen sympathisch.
Kreuzblende aus Sutra-Gesängen in:
Musik 5:
TransMongolia "Salhinii hee"
(von CD: "Gesang des Himmels" [s.o.])
Track 8
folgend unterlegen
17
Autor:
Hinter Kharkhorin: die unwirklich traumhafte Welt des OrkhonTals. Unfassbar unberührt. Ein vielfach sich verlagerndes Flussbett.
Bald ausufernde, bald trockengefallene Totarme. Flussläufe, die
von immer wieder neuen durchzogen werden, kreuz und quer
überlagert.
Musik hochziehn, dann allmählich ausblenden
O-Ton 21.:
Veit
(VeitTotenkulte.wav, 1:00)
Im Animismus wird der Mensch immer als Teil
eines Ganzen gesehen, und der Tod bedeutet
daher kein absolutes Nichtsein, denn das
Wesentliche bleibt. Damit bleibt auch der
Mensch in der Kette alles Lebendigen, zur
Nahrung der Tiere oder zu Erde geworden.
Zitatorin:
"Wir sind nicht vergangen, wir sind verwandelt. Wir sind Licht
und Schatten, Luft und Gras, Erde und Stein."
- Laut einer Sammlung tuwinischer Texte aus dem Westen
der Mongolei.
O-Ton 22.:
Veit
(VeitTotenkulte.wav, 2:23)
So bedeutet der Tod für die Steppenbewohner
einen Übergang. Aus der Gemeinschaft der
Nachfolgenden in die Gemeinschaft der
Vorausgegangenen.
Und
einen
Zustandswandel sozusagen, wie er vor der
Geburt schon war.
18
Zitatorin:
"Da du dich vor dem Geboren-Werden nicht gefürchtet hast,
fürchte dich nicht vor dem Sterben. Denn du warst nicht
allein, bist nicht allein, wirst nicht allein sein."
- Ebenfalls aus einer tuwinischen Textsammlung.
O-Ton 23.:
Veit
(VeitTotenkulte.wav, 20:20)
Der Animismus unterscheidet zwischen dem
eigentlichen Leichnam, der zerfällt, und dem
goldenen Leichnam, das ist der Geist! Der
Geist, der bleibt.
Musik 6:
Percussion-Improvisation, Freiburger Studentinnen
(ReporterMitschnitt)
(Seekonzert2PercussionImpro.wav, ab 2:17)
folgend unterlegen
O-Ton 24.:
Veit
(VeitTotenkulte.wav, 9:05)
Wenn nun ein Verstorbener das Zeitliche
gesegnet hat, dann wird der Tote mit dem Kopf
zuerst aus der Jurte getragen. Aber nicht durch
die Tür! Damit seine Seele nicht heimlich wieder
Eingang in die Jurte findet. Sondern an der
Seite der Jurte macht man eine künstliche
Öffnung, und während der Leichnam zu seinem
Begräbnisplatz transportiert wird, ist der Sarg
mit weißem Filz bedeckt, und der Schamane
führt ein reich geschmücktes Pferd an der
Spitze des Zuges. Das Ahnengeistpferd.
Musik hochziehn, kurz freistehn lassen
dann: harter Schnitt!
19
O-Ton 25.:
Veit
(VeitTotenkulte.wav, 11:00)
Der Tod ist mit großen Tabus umkleidet. Die
Angehörigen des Verstorbenen dürfen 49 Tage
den Namen des Verstorbenen nicht nennen und
(13:14) müssen sich einem komplizierten
Reinigungsritual unterziehen: zwischen zwei
Feuern
hindurchgehen,
Weihrauchopfer,
Milchschnaps-opfer darbringen.
Autor:
Auch heute ersterben in der Mongolei sämtliche Gespräche,
sobald die Rede auf den Tod kommt. Insbesondere die
Herrscher gelten als Söhne Tengers, des Himmels und ihre
Begräbnisplätze waren schon in grauer Vorzeit absolute Nogo-Areas!
O-Ton 26.:
Veit
(VeitTotenkulte.wav, 18:00)
Dass man das Grab Dschingis Khans findet,
wollen sie nicht. Auf keinen Fall.
Musik
Reserve:
Arvo Pärt-Stück für Klavier und Bratsche: "Fratres"
(ReporterMitschnitt)
(KonzertImKlosterhofAmarbayasgalant.wav,
ab
37:51)
folgend unterlegen
Autor:
Tausend Pferde, heißt es, seien über die Begräbnisstätte
Dschingis Khans getrieben worden, um sie unkenntlich zu
machen. Die Reiter aber habe man anschließend getötet,
damit sie ihr Geheimnis nicht verraten können.
20
O-Ton 27.:
Veit
(VeitTotenkulte.wav, 19:50)
Gewöhnliche Leute wurden in der Steppe
ausgesetzt. Eine Begräbnisform, die auch heute
mitunter in entlegenen Gegenden noch
praktiziert wird, können Sie natürlich nicht in der
Stadt machen, um Himmels Willen! Kriegen Sie
ja sofort Ärger! Die Aussetzung in der Steppe ist
einmal gezielt; d.h. der Lama oder der
Schamane – das gilt für beide – sucht eine
günstige Stelle aus. Die zweite Möglichkeit ist
die zufällige: ein Karren, auf dem der Leichnam
liegt, Pferd davorgespannt, und man galoppiert
in die Steppe, und irgendwann gleitet der
Leichnam von diesem Karren herunter und
bleibt liegen.
Autor:
O-Ton 28.:
Sprich: Er wird den Aasfressern überlassen.
Veit
(VeitTotenkulte.wav, 25:43)
Das Aussetzen in der Steppe ist nicht eine
Frage des mangelnden Respekts vor dem
Toten, sondern es ist, um den Kreis zu
schließen, man kehrt in den Kreislauf des
Lebens zurück. Man bleibt. Ein Teil des
Ganzen.
Autor:
Im Gegensatz zur christlichen Jenseitsvorstellung, in der die
Seelen der rechtschaffenen Verstorbenen droben im ewig
gleichbleibend Schönen schweben, sind im mongolischen
Animismus die Geister der Altvorderen stets in unmittelbarer
Nähe der Lebenden.
Musik hochziehn, kurz freistehn lassen
und weiterhin unterlegen
21
O-Ton 29.:
Veit
(VeitTotenkulte.wav, 22:16)
Heute begräbt man seine Toten in neun Fällen
von zehn. Es gibt zweitens die Feuerbestattung.
Musik hochziehn, kurz freistehn lassen,
dann:harter Schnitt!
O-Ton 30.:
Baaka
(InterviewBaakaReligion1.wav, 2:54)
Meine Kindheit darf man nicht dieses Religiöse
ausüben, damals war Religion kommunistische
Partei.
Weder
Schamanismus
noch
Buddhismus.
Autor:
Badamkhand ist aufgewachsen in den Siebziger-, Achtzigerjahren.
In staatssozialistischen Zeiten. Die Volksrepublik Mongolei war
eine Art Protektorat der Sowjetunion, und die Religion wurde von
offizieller Seite auf das Etikett "Opium des Volkes" reduziert.
Ein halbes Jahrhundert zuvor, in den 30er Jahren, standen die
buddhistischen Klöster dem Vordringen des sowjetnahen
Sozialismus kritisch gegenüber und reagierten teils mit offenem
Widerstand. 1932 wurde ein Aufstand der Mönche unter
Zuhilfenahme von Einheiten der Roten Armee blutig
niedergeschlagen. Fast alle Lamas, die sich am Widerstand beteiligt
hatten, wurden getötet: etwa 18.000. Mehr als 700 Klöster und
Gebetsstätten wurden zerstört, alte Schriften und unschätzbare
Kulturgüter verbrannt, geplündert, vernichtet. – Erst 1990, nach
dem Zusammenbruch des Sowjet-Sozialismus wendete sich das
Blatt.
22
O-Ton 31.:
Baaka
(InterviewBaakaReligion1.wav, 12:37)
Man darf alle Religion ausüben, und dann
plötzlich viele Klöster wurden geöffnet, neue
und alte.
Autor:
Das gegenwärtige religiöse Leben in der Mongolei ist geprägt
durch eine friedliche Koexistenz von Buddhismus und Animismus.
Von Naturbeseelung und Karmakult. Ein Synkretismus, der hier
mit großer Selbstverständlichkeit, wenn nicht mit einem
charmanten Augenzwinkern praktiziert wird. Buddhistische
Gottheiten dulden bekanntlich problemlos andere Götter neben
sich. Und die mongolischen Schamanen überblicken die unendliche
Vielzahl ihrer Geister ohnehin nicht, so dass es auf einen Reigen
buddhistischer Götter mehr oder weniger nicht ankommt.
O-Ton 32.:
Baaka
(InterviewBaakaReligion2.wav, 6:15)
Wenn jemand sagt: ach, ich habe Probleme,
manche Schamanen sagen den Menschen, sie
könnten vielleicht in die Kirche gehen, dort
vielleicht eine Zeremonie machen lassen oder
so; wenn bei einer Schamanen-zeremonie ein
Mönch sitzt, für uns ist normal.
Musik
Reserve:
Arvo Pärt-Stück für Klavier und Bratsche: "Fratres"
(ReporterMitschnitt)
(KonzertImKlosterhofAmarbayasgalant.wav,
ab
37:51) [s.o.]
als kurze Zäsur
O-Ton 33.:
Baaka
(InterviewBaakaReligion2.wav, 0:40)
Jetzt in Europa, ich sehe christliche Kirchen,
das ist natürlich super schön, solche schöne
Klöster, schöne Bücher, aber Schamanismus
dagegen, wir haben natürlich keine Klöster,
keine Bücher, weil das hängt von Natur ab,
Natur
ändert
sich
immer,
diese
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Schamanenphilosophie ist genauso.
Autor:
Und Tenger, der Himmel, ist überall! Und manchmal selbst
hierzulande blau.
O-Ton 34.:
Baaka
(InterviewBaakaReligion2.wav, 3:27)
Für andere Religionen braucht man speziale
Platz, Kloster oder Tempel, Kirche, aber für
Schamanismus braucht man nichts. Wenn ich
alleine bin, in der Natur sitze, ich kann selber
alleine Schamanismuszeremonie machen, ich
kann gute Milch der Natur geben, der Sonne,
dankeschön, das blaue Himmel, dann ich fühle
mich sehr gut, das ist ja eine gute Verbindung
zwischen Natur und Menschen.
Musik 5:
TransMongolia "Salhinii hee"
(von CD: "Gesang des Himmels" [s.o.])
Track 8, 2. Teil
folgend unterlegen
Musik hochziehn, kurz freistehn lassen
und weiterhin unterlegen
Autor:
Pechschwarze Wolken balgen sich über der Hügelkette hinterm
Kloster von Amarbayasgalant, lassen windzerfetzte,
anthrazitfarbene Regenfahnen hinabhängen, türmen sich überm
Randgebirge zu halsbrecherisch gestapelten Wollsäcken auf. Hin
und wieder sickern ein paar zerfranste Sonnenstrahlen durch. Doch
irgendwann dann geht es los: krachende Donnerschläge. – Aber
nicht hier. Die Wetter sind längst weitergezogen.
Musik überstehn lassen, Musikende bei: 24:30
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