SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Glauben BUDDHAS BLAUE SCHALS RELIGIÖSE TOLERANZ IN DER MONGOLEI VON ULRICH LAND SENDUNG 02.11.2014 / 12.05 UHR Redaktion Religion, Kirche und Gesellschaft Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR SWR2 Glauben können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/glauben.xml Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. 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Kreuzblende aus Ensemble-Musik in: 2 Musik 2: Urtyn-duu-Gesang (ReporterMitschnitt) (KonzertVorStupas1Amarbayasgalant.wav, 20:44) folgend unterlegen Autor: Auf jeder Passhöhe wehen als sichtbares Zeichen der Götter- oder Geisterverehrung blaue Gebetstücher. Zitatorin: Khatags. Autor: Da in der Mongolei nur äußerst selten passende Bäume bereitstehen, werden die Gebetstücher um Holzlatten geknotet, die aus immer wieder nachgebesserten Steinhügeln ragen. Zitatorin: So genannte Owoos. Autor: Mitunter sieht man hier Frauen stehen und mit Inbrunst hinaus in die endlose Weite der Steppe singen. Musik hochziehn, kurz freistehn lassen und folgend weiterhin unterlegen 3 O-Ton 1.: Tsogd Saikhan (InterviewLongsongSängerinAmarbayasgalant.wav, 0:25) T. Saikhan: Tunne koffen … tom trürch. Oto ten om mörnit … Übersetzerin: Also zum Beispiel wenn kein Regen kommt in der Steppe, in der Gobi, dann singen für den Himmel, dann kommt der Regen. Und auch für die Kinder ist gute Kraft, für die Pflanzen und für die Steine, für die Gebirge. Guter Spirit hört diese Longsongs, und dann macht die Leute glücklich. Musik ausblenden O-Ton 2.: Baaka (InterviewBaakaReligion1.wav, 1:10) Ich bin eigentlich nicht so große religiöse Mensch, aber eine traditionale Familie bin ich aufgewachsen, meine Mama jeden Morgen, sie hat immer die erste Teeschluck für die Sonne, für die blaue Himmel gegeben, und dann sagt sie: "Das ist Dankeschön, guten Morgen, schöne blaue Himmel!" Zitatorin: Badamkhand. Autor: Pechschwarzes Haar, glitzernde Augen, stets ein Lächeln auf dem runden Gesicht. Zitatorin: Sie hat in der Mongolei und noch in der Sowjetunion Jura studiert, lebt inzwischen in Freiburg und studiert Sinologie. Autor: Ihre Mutter gehört noch zu der Generation, die auf jeder Passhöhe eine Hand voll Essensbröckchen aus dem Busfenster wirft. 4 O-Ton 3.: Baaka (InterviewBaakaReligion1.wav, 6:59) Sie sagt uns immer: "Das Leben ist eigentlich immer Nehmen und Geben. Das ist wie eine Ping Pong." Man kann nicht alles nehmen, nehmen, nehmen, muss man immer anderen geben, nicht nur seinen Mitmenschen, sondern man muss immer der Natur auch zurückgegeben. Süßigkeit oder Käse, Wodka, sie gibt das immer. O-Ton 4.: Nomaden-Schamane (InterviewNomadenschamane3Amarbayasgalant.wa v, 2:06) Nomade: Tinnidi etto … berele discht. Übersetzerin: Für Schamanen es gibt keine Spezialperson, aber die Erde und die Natur ist für uns Gott. … Nomade … Übersetzerin: Alle diese Natur ist die Seele. Ja? Diese Bäume und diese Sachen ist es auch die Seele. Zitatorin: Ein nomadischer Schamane in der Selenge-Provinz [gespr: Selenge]. O-Ton 5.: Nomaden-Schamane (InterviewNomadenschamane3Amarbayasgalant.wa v, 3:25) Nomade: Tingri detsch … dewen dutscht. Übersetzung: Ganz heilige Sache ist diese blaue Himmel. Das bedeutet für mongolische Leben: es ist schön. Harmonisch. Heiliges, spirituelles blaue Himmel. Zitatorin: Nach animistisch-mongolischem Verständnis geht es darum, mit "allem, was unterm Himmel ist" in Einklang zu leben. 5 Autor: Denn alles ist bevölkert mit Geistern. Und darüber wölbt sich der Himmel, Tenger, als höchste gottähnliche Wirkkraft. Zwischen dem "ewigen blauen Himmel" und "Mutter Erde" darf der Mensch sich geborgen wähnen. Kosmos, Naturgeister und Ahnen halten ihr Schutzschild über ihn. Zitatorin: O-Ton 6.: Der mongolische Tengrismus. Khuvsgul-Schamanin (Schamanin2IhreVerwandten.wav, 7:16 bis 8:28) Za, minii ons bruschtilekdö. Zitatorin: lockich ächo … chiärtä Voice over Alle Berge, der See, die Landschaft, erzählt eine alte Schamanin aus der Nordmongolei, alles habe seine eigenen Geister. Mit jeweils spezifischen Namen. Aber sie nehme nur Kontakt zu den Geistern in ihrer Gegend auf. Und das seien immerhin 32 an der Zahl. Atmo 1: Klangschalenexperimente an heiliger Quelle (KonzertAnHeiligerQuelle2KlangschalenAmarbayas galant.wav ab 0:16) folgend unterlegen 6 Autor: Vor der Kulisse der Bergketten: riesige papierflache Täler, in denen sich der Fluss irgendwo versteckt und durch seine eigenen Schotter frisst. Mitten in dieser endlosen Einsamkeit, auf einem der Hügel hat sich eine ansehnliche Menschenmenge versammelt. Im Halbkreis um sechs merkwürdige Gestalten herum, die in dunkle Gewänder gekleidet sind. Übersät mit Ornamenten, Schellenbändern und zahllosen verschiedenfarbigen Stoffstreifen. Die Gesichter unter einer dicht geflochtenen Pferdehaarperücke, darüber ein hoch emporragender Federschmuck. Kreublende aus Klangschalen in: Atmo 2: Schamanenzeremonie (Schamananenzeremonie1.wav, ab 0:05) folgend unterlegen Autor: Die Schamanen sind plötzlich aufgesprungen, bauen sich in einer Reihe auf und bearbeiten mit einem fell-überzogenen Schlegel ihre großen, flachen Handtrommeln. langsame Kreuzblende aus Schamanenzeremonie in: Atmo 3: Solo des Oberschamanen (Schamananenzeremonie3.wav, ab 4:35) folgend unterlegen 7 Autor: Schließlich setzt sich der Oberschamane im Schneidersitz hin und verneigt sich demutsvoll vorm Himmel, vor den Pflanzen, Tieren, Steinen, vor den Ahnengeistern der Verstorbenen. Dann nimmt er einen ordentlichen Schluck Wodka und rührt auf ein Neues die Trommel. Unterbricht sich immer wieder, murmelt und lauscht in die schweigende Trommel hinein. Knisternde Erwartung. Schamanensolo hochziehn, kurz freistehn lassen und folgend weiterhin unterlegen Zitatorin: Wolle man dem Groll der Geister von den Altvorderen entgehen, raunt er, gelte es, der Natur Respekt zu zollen, das Zusammenwirken der Elemente nicht zu stören, den alten Baum wie die eigene Mutter zu ehren. Schamanensolo hochziehn, kurz freistehn lassen dann langsame Kreuzblende in: Musik 3: Schamanentrommeln + Urtyn-Duu-Gesang (ReporterMitschnitt) (SchamananenzeremonieMutterbaum.wav, ab 2:30) folgend unterlegen O-Ton 7.: Veit (VeitTotenkulte.wav, 3:40) Wenn entsprechende Opfergaben dargebracht werden, besticht man den Verstorbenen sozusagen, dass er als schützender Ahnengeist für seine Familie wiederkehren möge. Zitatorin: Die Bonner Mongolistin Veronika Veit. 8 O-Ton 8.: Veit (VeitTotenkulte.wav, 5:32) Wenn aber ein Ahnengeist ein besonders übler Genosse ist, dann kann der Schamane diesen bösen Geist versuchen, mit Bann zu schlagen. Autor: Wenn's sein muss, ganz handfest mit Schlägen. O-Ton 9.: Baaka (InterviewBaakaReligion2.wav, 11:44) Wenn man immer schlechte Sachen denkt oder diese schlechte Geister in der Körper sitzt. Und deswegen manchmal einfach sehr laut schreit oder so schöne Musik hört oder Schamane patscht, dann ist diese schlechte Sachen weg oder so. O-Ton 10.: Khuvsgul-Schamanin (Schamanin4Milch.wav, 8:04 bis 8:57) Timää rä gutiri khää ... jo ba horoo. Voice over Zitatorin: Wenn die Geister in ihren Körper fahren würden, verliere sie die Kontrolle über sich selbst. Von dem Moment an, wo sie in Trance gerate, erklärt die alte Schamanin, müssten ihre beiden Assistenten sie führen. Und sie schließlich wieder ins normale Leben zurückbringen. Damit sie nicht bis zum Sonnenaufgang mit irgendwelchen betrunkenen, völlig aus dem Ruder gelaufenen Geistern herumtanzen müsse. Wenn aber die Geister gut gelaunt seien, dann hätte sie natürlich nichts dagegen, wenn man sie lange mit ihnen zusammenließe. Schamanenmusik hochziehn, kurz freistehn lassen, dann langsam ausblenden 9 O-Ton 11.: Veit (VeitTotenkulte.wav, 5:06) Der Schamane hat seine eigenen Ahnenschutzgeister, und je mächtiger diese Schutzgeister sind, desto mächtiger ist auch der Schamane im Besiegen des Übels. O-Ton 12.: Baaka (InterviewBaakaReligion2.wav, 9:38) Wenn jemand fragt: Ich hab Probleme, könnten Sie mir helfen? Dann er sagt: Okay, sieben Morgen Sie können der Sonne eine schöne Tee geben und dann Dankeschön sagen und die Energie holen. Wenn man immer stressig, selbstsüchtig wird, dann erkältet man schnell oder wird man schnell krank. Du musst jetzt nicht nur nehmen, nehmen, du musst diese Sachen Natur geben und deine Mitmenschen helfen oder so. Autor: So unterstützen die Buß-Auflagen des Schamanen zugleich die Heilungskräfte, die seiner Zunft zugeschrieben werden. O-Ton 13.: Baaka (InterviewBaakaReligion2.wav, 13:45) Natürlich geben keine Rezepte, Medikamente, sondern seelisch reinigt. Okay, vielleicht du hast schlechte Sachen gedacht, deswegen deine Seele ist nicht sauber, deswegen du hast schnell Erkältung bekommen, und dann mit Wodka oder Milch er symbolisch reinigt, und nach der Zeremonie fühlt man sich als ein sauberer Mensch. Und dann diese Krankheit schnell weg. Manchmal der Schamane sagen nichts, nur hören! Hören sehr gut; und dann während Gespräch findet man selber diese Lösung. O-Ton 14.: Khuvsgul-Schamanin (Schamanin4Milch.wav, 0:00 bis 0:38) Hamm din gollin … sain saichan nutudetschl. 10 Zitatorin: Voice over Jeder, der ein Problem hat, komme zu ihr. Paare beispielsweise, die keine Kinder bekommen können. Oder Leute, die partout keinen Liebespartner finden. Aber auch wer auf Erfolg aus ist. Und durchaus auch Leute mit verwerflichen Wünschen! Aber dafür stehe sie nicht zur Verfügung. Die Vertreter der Bergbau-Konzerne etwa, die seit ein paar Jahren planten, die Phosphor-Vorkommen hier aus den Bergen am Khuvsgul-See [gespr: Chuuvsgul] zu kratzen, hätten bei ihr keine Chance. Das seien Burschen, die sich kein bisschen um die Natur, um die Traditionen scheren würden, die hätten bloß einen Blick für Geld und Gold. Seitdem würden sich die Geister zunehmend ärgern und fürchten; und auch sie selbst mache sich ziemlich Sorgen, weil die Natur mit Füßen getreten werde. Atmo 1: Klangschalenexperimente an heiliger Quelle (KonzertAnHeiligerQuelle2KlangschalenAmarbayas galant.wav ab 0:16) folgend unterlegen Autor: Sonnenuntergang über der Steppe. Der Himmel durchstreift eine unglaubliche Fülle von Violett- und Orangetönen. Türmt ein paar Wolkenbrocken auf, die sich mit apricotfarbenen Lichträndern vom allmählich dunkler werdenden Himmel absetzen. Atmo Klangschalen hochziehn, kurz freistehn lassen und weiterhin unterlegen Autor: Am Straßenrand sitzt ein klobiger Betonbuddha und lächelt dem Baum zu, der direkt neben ihm steht und mit einem Gewirr aus ausfransenden, blaugelben Gebetstüchern überzogen ist. 11 Kreuzblende aus Klangschalen-Atmo in: Atmo 4: buddhistische Gebetsmühlen (GebetsmühlenKarakorum.wav, 0:07 bis 0:59) folgend unterlegen O-Ton 15.: Veronika Veit (InterviewVeitMongolGeschichte.wav, 1:11:05) Dschingis Khan ist sicherlich mit buddhistischen Mönchen in Verbindung gekommen … Zitatorin: O-Ton 16.: Veronika Veit schaut zurück ins 13. Jahrhundert. Veronika Veit (InterviewVeitMongolGeschichte.wav, 1:11:09) … aber er war ein echter Mongole, dessen kosmische Weltordnung vom Animismus bestimmt war und der deswegen allen anderen religiösen Phänomenen sehr offen gegenüberstand. Denn im Rahmen des Animismus ist die Welt von Geistern beseelt, und ob man nun Buddha integriert oder den Kodex der Konfuzianer, die religiösen Vorstellungen der Muslime, da gibt es überhaupt kein Problem! Gebetsmühlen-Atmo ausblenden 12 Autor: Endlose Pistenfahrt Richtung Süden. Plötzlich eine Ansammlung kleiner Häuser mit unglaublich bunten Dächern. Knallblau, qietschgelb, feuerrot. Zäune aus vernagelten Brettern, rostigen Motorhauben, dürrem Astwerk. Hunde streunen zwischen den Palisadenwänden, ein paar struppige Pferde und knochige Ziegen knabbern an mageren Grasbüscheln. Auf der brüchigen Hauptstraße schwappen riesige Pfützen hinter jedem LKW schäumend wieder in die Schlaglöcher zurück und umspülen ein Bretterbüdchen, das CDs verkauft. Grelle Schlager neben mongolischer Nomadenmusik, Bollywood-DVDs neben Brahms' deutschem Requiem, Dizzy Gillespie neben Schlagern in bonbonfarbenem Cover. Zitatorin: Das Städtchen Kharkhorin im Zentrum der Mongolei. Autor: Dort, wo früher Karakorum lag. Die Stadt, die im dreizehnten, vierzehnten Jahrhundert den Mittelpunkt des größten Weltreichs aller Zeiten darstellte. Als einer der Söhne Dschingis Khans von hier aus die Geschicke des Riesenreichs lenkte. Hier befanden sich christliche, islamische und buddhistische Gotteshäuser. Während die Mongolen im Sturmlauf ihr Reich immer weiter ausdehnten, ihm ganz China einverleibten. Und im Westen kamen sie bis 160 Kilometer vor das heutige Berlin. Eroberungszüge, die nicht selten von brutalen Auswüchsen begleitet wurden. Aber: … O-Ton 17.: Veronika Veit (InterviewVeitMongolGeschichte.wav, 1:12:20) Es hat bei den Mongolen niemals und zu keiner Zeit Religionskriege gegeben. 13 O-Ton 18.: Baaka (InterviewBaakaReligion2.wav, 2:30) Wir sind super friedlich für Religion. Musik 4: Obertongesang: TransMongolia "Tengeriin duu" (von CD: "Gesang des Himmels", Transmongolia Music, Harpstedt 2005, LC 01371) Track 4, ab 4:20 kurz freistehn lassen, dann folgend unterlegen Zitatorin: "Wir Mongolen glauben, dass es nur einen Gott gibt. Aber wie Gott der Hand verschiedene Finger gegeben hat, so hat er den Menschen verschiedene Wege gegeben." - Großkhan Möngke um 1250. zitiert nach "Die Mongolen. Beiträge zu ihrer Geschichte u. Kultur", hrsg. von Michael Weiers. Unter Mitw. von Veronika Veit u. Walther Heissig, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1986, ISBN 3-534-03579-8 S. IX Autor: Die Steppenreiter als Vorreiter der Religionsfreiheit. Obertongesang hochziehn, kurz freistehn lassen, dann weiterhin unterlegen O-Ton 19.: Veronika Veit (InterviewVeitMongolGeschichte.wav, 1:19:08) Aber das Volk hat der Buddhismus nicht erreicht! Das geschah erst im 16. Jahrhundert. Altan Khan del Tummet muss auf eine Idee gekommen sein: Wenn es mir gelingt, eine entsprechende geistliche Säule aus dem Buddhismus an meine Seite zu stellen, dann gelingt mir vielleicht die Oberherrschaft über die Mongolen. 14 Autor: Doch nach der Blütezeit des mittelalterlichen Mongolenreichs waren die einzelnen Clans wieder derart hoffnungslos zerstritten, dass die Oberherrschaft mit und ohne Buddhismus nicht zu gewinnen war. Aber diese Religion konnte sich von da an in der Mongolei immer mehr ausbreiten. Zitatorin: Wenige Jahre nach dem Tod Altan Khans wurde am Südrand der verfallenden Stadt Karakorum das erste buddhistische Kloster in der Mongolei gegründet: Erdene Zuu. Autor: Im ausgedehnten Steppental, in das die heutigen Jurten- und Wohnhaussiedlungen Kharkhorins auslaufen. An der Schnittstelle zwischen Stadt und Steppe. Wohnstatt und Wirkungsstätte von seinerzeit bis zu 10.000 Mönchen. Das riesige Klostergelände ist umfriedet mit einer mannshohen Mauer, die über hundert Stupas perlschnurartig aufreiht, kleine weiße Reliquientempel. Obertongesang kurz freistehn lassen, dann : harter Schnitt 15 Autor: Zugleich aber mit dem Ausbreiten des Buddhismus wurde der althergebrachte zartfühlend animistische abgewürgt. Die Tengrismus wenig tibetisch-lamaistischen Missionare unterdrückten die Schamanen, wo sie nur konnten, und traten als die besseren Heiler und Wahrsager auf. Und als energische Abgabeneintreiber. So häuften die Klöster opulente Reichtümer an und zogen immer mehr weltliche Macht auf sich. Was im Umkehrschluss für den mongolischen Adel ein Absinken in die Bedeutungslosigkeit bedeutete. In den 1920er Jahren gab es in der Mongolei an die 110.000 Lamas einschließlich der Novizen im Kindesalter. Etwa ein Drittel der männlichen Bevölkerung. O-Ton 20.: Veronika Veit (InterviewVeitMongolGeschichte.wav, 1:27:45) Die Schamanen wurden natürlich bekämpft! Aber dass der Buddhismus militant – das widerspräche allen Grundsätzen des Buddhismus. Es wurde verboten, dass die Schamanen schamanische Sessionen abhielten, dass sie ihre Heilungen und ihre Rituale durchführten, aber man entzog sich dem sehr schnell, indem man kleine Hintertüren fand, dass die Schamanen vor ihre Anrufungen buddhistische Anrufungen stellten. Und dann hinterher ging es weiter, wie sie das immer gewohnt war. Und das ging durch. Autor: Zunächst also eine Art erzwungener Synkretismus, der auch deshalb so gut funktionierte, weil er an die seit Alters her ungebrochene religiöse Toleranz der Mongolen anknüpfen konnte. Atmo 5: Sutras-Sprechgesang buddhistischer Mönche (Mönche2Amarbayasgalant.wav, ab 5:00) folgend unterlegen 16 Autor: In den Bethallen des Klosters zieren Hunderte von eigentlich schmananischen, blauen und gelben Gebetstüchern die Holzsäulen in stiller Eintracht mit den ebenfalls Hunderten von Buddhafiguren und –figürchen. Mit den Gobelins aus schweren, mit Gold und Silber durchwirkten Brokatstoffen, die buddhistische Motive und Symbole darstellen. Nackte Neonleuchten tauchen die aufwändig ziselierten Schmuckschatullen und Tabernakel in gleißendes Licht. Unter den roten Mönchsgewändern lugen abgetragene MarkenTurnschuhe hervor. Sutra-Gesänge hochziehn, kurz freistehn lassen und folgend weiterhin unterlegen Autor: Die Lamas – die jüngsten im zarten Alter von vielleicht acht Jahren – wippen im Schneidersitz mit dem Oberkörper, quatschen während der Zeremonie und starren unverblümt die paar Touristen an, die den Weg in dieses abgelegene Kloster gefunden haben. Neugier contra Neugier. Von andachtsvoller Versenkung, kontemplativer Stille, gottergebener Einkehr beim Beten der Sutras ist wenig zu spüren. Irgendwie menschlich, das Prozedere. Ausgesprochen sympathisch. Kreuzblende aus Sutra-Gesängen in: Musik 5: TransMongolia "Salhinii hee" (von CD: "Gesang des Himmels" [s.o.]) Track 8 folgend unterlegen 17 Autor: Hinter Kharkhorin: die unwirklich traumhafte Welt des OrkhonTals. Unfassbar unberührt. Ein vielfach sich verlagerndes Flussbett. Bald ausufernde, bald trockengefallene Totarme. Flussläufe, die von immer wieder neuen durchzogen werden, kreuz und quer überlagert. Musik hochziehn, dann allmählich ausblenden O-Ton 21.: Veit (VeitTotenkulte.wav, 1:00) Im Animismus wird der Mensch immer als Teil eines Ganzen gesehen, und der Tod bedeutet daher kein absolutes Nichtsein, denn das Wesentliche bleibt. Damit bleibt auch der Mensch in der Kette alles Lebendigen, zur Nahrung der Tiere oder zu Erde geworden. Zitatorin: "Wir sind nicht vergangen, wir sind verwandelt. Wir sind Licht und Schatten, Luft und Gras, Erde und Stein." - Laut einer Sammlung tuwinischer Texte aus dem Westen der Mongolei. O-Ton 22.: Veit (VeitTotenkulte.wav, 2:23) So bedeutet der Tod für die Steppenbewohner einen Übergang. Aus der Gemeinschaft der Nachfolgenden in die Gemeinschaft der Vorausgegangenen. Und einen Zustandswandel sozusagen, wie er vor der Geburt schon war. 18 Zitatorin: "Da du dich vor dem Geboren-Werden nicht gefürchtet hast, fürchte dich nicht vor dem Sterben. Denn du warst nicht allein, bist nicht allein, wirst nicht allein sein." - Ebenfalls aus einer tuwinischen Textsammlung. O-Ton 23.: Veit (VeitTotenkulte.wav, 20:20) Der Animismus unterscheidet zwischen dem eigentlichen Leichnam, der zerfällt, und dem goldenen Leichnam, das ist der Geist! Der Geist, der bleibt. Musik 6: Percussion-Improvisation, Freiburger Studentinnen (ReporterMitschnitt) (Seekonzert2PercussionImpro.wav, ab 2:17) folgend unterlegen O-Ton 24.: Veit (VeitTotenkulte.wav, 9:05) Wenn nun ein Verstorbener das Zeitliche gesegnet hat, dann wird der Tote mit dem Kopf zuerst aus der Jurte getragen. Aber nicht durch die Tür! Damit seine Seele nicht heimlich wieder Eingang in die Jurte findet. Sondern an der Seite der Jurte macht man eine künstliche Öffnung, und während der Leichnam zu seinem Begräbnisplatz transportiert wird, ist der Sarg mit weißem Filz bedeckt, und der Schamane führt ein reich geschmücktes Pferd an der Spitze des Zuges. Das Ahnengeistpferd. Musik hochziehn, kurz freistehn lassen dann: harter Schnitt! 19 O-Ton 25.: Veit (VeitTotenkulte.wav, 11:00) Der Tod ist mit großen Tabus umkleidet. Die Angehörigen des Verstorbenen dürfen 49 Tage den Namen des Verstorbenen nicht nennen und (13:14) müssen sich einem komplizierten Reinigungsritual unterziehen: zwischen zwei Feuern hindurchgehen, Weihrauchopfer, Milchschnaps-opfer darbringen. Autor: Auch heute ersterben in der Mongolei sämtliche Gespräche, sobald die Rede auf den Tod kommt. Insbesondere die Herrscher gelten als Söhne Tengers, des Himmels und ihre Begräbnisplätze waren schon in grauer Vorzeit absolute Nogo-Areas! O-Ton 26.: Veit (VeitTotenkulte.wav, 18:00) Dass man das Grab Dschingis Khans findet, wollen sie nicht. Auf keinen Fall. Musik Reserve: Arvo Pärt-Stück für Klavier und Bratsche: "Fratres" (ReporterMitschnitt) (KonzertImKlosterhofAmarbayasgalant.wav, ab 37:51) folgend unterlegen Autor: Tausend Pferde, heißt es, seien über die Begräbnisstätte Dschingis Khans getrieben worden, um sie unkenntlich zu machen. Die Reiter aber habe man anschließend getötet, damit sie ihr Geheimnis nicht verraten können. 20 O-Ton 27.: Veit (VeitTotenkulte.wav, 19:50) Gewöhnliche Leute wurden in der Steppe ausgesetzt. Eine Begräbnisform, die auch heute mitunter in entlegenen Gegenden noch praktiziert wird, können Sie natürlich nicht in der Stadt machen, um Himmels Willen! Kriegen Sie ja sofort Ärger! Die Aussetzung in der Steppe ist einmal gezielt; d.h. der Lama oder der Schamane – das gilt für beide – sucht eine günstige Stelle aus. Die zweite Möglichkeit ist die zufällige: ein Karren, auf dem der Leichnam liegt, Pferd davorgespannt, und man galoppiert in die Steppe, und irgendwann gleitet der Leichnam von diesem Karren herunter und bleibt liegen. Autor: O-Ton 28.: Sprich: Er wird den Aasfressern überlassen. Veit (VeitTotenkulte.wav, 25:43) Das Aussetzen in der Steppe ist nicht eine Frage des mangelnden Respekts vor dem Toten, sondern es ist, um den Kreis zu schließen, man kehrt in den Kreislauf des Lebens zurück. Man bleibt. Ein Teil des Ganzen. Autor: Im Gegensatz zur christlichen Jenseitsvorstellung, in der die Seelen der rechtschaffenen Verstorbenen droben im ewig gleichbleibend Schönen schweben, sind im mongolischen Animismus die Geister der Altvorderen stets in unmittelbarer Nähe der Lebenden. Musik hochziehn, kurz freistehn lassen und weiterhin unterlegen 21 O-Ton 29.: Veit (VeitTotenkulte.wav, 22:16) Heute begräbt man seine Toten in neun Fällen von zehn. Es gibt zweitens die Feuerbestattung. Musik hochziehn, kurz freistehn lassen, dann:harter Schnitt! O-Ton 30.: Baaka (InterviewBaakaReligion1.wav, 2:54) Meine Kindheit darf man nicht dieses Religiöse ausüben, damals war Religion kommunistische Partei. Weder Schamanismus noch Buddhismus. Autor: Badamkhand ist aufgewachsen in den Siebziger-, Achtzigerjahren. In staatssozialistischen Zeiten. Die Volksrepublik Mongolei war eine Art Protektorat der Sowjetunion, und die Religion wurde von offizieller Seite auf das Etikett "Opium des Volkes" reduziert. Ein halbes Jahrhundert zuvor, in den 30er Jahren, standen die buddhistischen Klöster dem Vordringen des sowjetnahen Sozialismus kritisch gegenüber und reagierten teils mit offenem Widerstand. 1932 wurde ein Aufstand der Mönche unter Zuhilfenahme von Einheiten der Roten Armee blutig niedergeschlagen. Fast alle Lamas, die sich am Widerstand beteiligt hatten, wurden getötet: etwa 18.000. Mehr als 700 Klöster und Gebetsstätten wurden zerstört, alte Schriften und unschätzbare Kulturgüter verbrannt, geplündert, vernichtet. – Erst 1990, nach dem Zusammenbruch des Sowjet-Sozialismus wendete sich das Blatt. 22 O-Ton 31.: Baaka (InterviewBaakaReligion1.wav, 12:37) Man darf alle Religion ausüben, und dann plötzlich viele Klöster wurden geöffnet, neue und alte. Autor: Das gegenwärtige religiöse Leben in der Mongolei ist geprägt durch eine friedliche Koexistenz von Buddhismus und Animismus. Von Naturbeseelung und Karmakult. Ein Synkretismus, der hier mit großer Selbstverständlichkeit, wenn nicht mit einem charmanten Augenzwinkern praktiziert wird. Buddhistische Gottheiten dulden bekanntlich problemlos andere Götter neben sich. Und die mongolischen Schamanen überblicken die unendliche Vielzahl ihrer Geister ohnehin nicht, so dass es auf einen Reigen buddhistischer Götter mehr oder weniger nicht ankommt. O-Ton 32.: Baaka (InterviewBaakaReligion2.wav, 6:15) Wenn jemand sagt: ach, ich habe Probleme, manche Schamanen sagen den Menschen, sie könnten vielleicht in die Kirche gehen, dort vielleicht eine Zeremonie machen lassen oder so; wenn bei einer Schamanen-zeremonie ein Mönch sitzt, für uns ist normal. Musik Reserve: Arvo Pärt-Stück für Klavier und Bratsche: "Fratres" (ReporterMitschnitt) (KonzertImKlosterhofAmarbayasgalant.wav, ab 37:51) [s.o.] als kurze Zäsur O-Ton 33.: Baaka (InterviewBaakaReligion2.wav, 0:40) Jetzt in Europa, ich sehe christliche Kirchen, das ist natürlich super schön, solche schöne Klöster, schöne Bücher, aber Schamanismus dagegen, wir haben natürlich keine Klöster, keine Bücher, weil das hängt von Natur ab, Natur ändert sich immer, diese 23 Schamanenphilosophie ist genauso. Autor: Und Tenger, der Himmel, ist überall! Und manchmal selbst hierzulande blau. O-Ton 34.: Baaka (InterviewBaakaReligion2.wav, 3:27) Für andere Religionen braucht man speziale Platz, Kloster oder Tempel, Kirche, aber für Schamanismus braucht man nichts. Wenn ich alleine bin, in der Natur sitze, ich kann selber alleine Schamanismuszeremonie machen, ich kann gute Milch der Natur geben, der Sonne, dankeschön, das blaue Himmel, dann ich fühle mich sehr gut, das ist ja eine gute Verbindung zwischen Natur und Menschen. Musik 5: TransMongolia "Salhinii hee" (von CD: "Gesang des Himmels" [s.o.]) Track 8, 2. Teil folgend unterlegen Musik hochziehn, kurz freistehn lassen und weiterhin unterlegen Autor: Pechschwarze Wolken balgen sich über der Hügelkette hinterm Kloster von Amarbayasgalant, lassen windzerfetzte, anthrazitfarbene Regenfahnen hinabhängen, türmen sich überm Randgebirge zu halsbrecherisch gestapelten Wollsäcken auf. Hin und wieder sickern ein paar zerfranste Sonnenstrahlen durch. Doch irgendwann dann geht es los: krachende Donnerschläge. – Aber nicht hier. Die Wetter sind längst weitergezogen. Musik überstehn lassen, Musikende bei: 24:30 24