XVII HOCHSCHULEN DIE MITWIRKUNG DER PROFESSUR FÜR UNTERTAGBAU DER ETH ZÜRICH BEIM GOTTHARD-BASISTUNNEL Georg Anagnostou gen (wie das Verhalten der Dolomite beim Vortrieb oder das langfristige Quellpotenzial der Anhydrite). EINLEITUNG Seit Mitte des 19. Jahrhunderts gibt es in der Schweiz eine ununterbrochene Tradition des Tunnelbaus. Seit dem Bau des Simplontunnels wird das Fachgebiet «Untertagbau» in Lehre und Forschung an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich vertreten, um den grossen Bedarf an solide ausgebildeten Bauingenieuren zu decken. Ferner wurde bei vielen Bauvorhaben technisches Neuland betreten, was die Klärung schwieriger technischer Fragen auf wissenschaftlicher Basis erforderte. Ende der 1980er-Jahre, als die Realisierungsphase der Neuen Eisenbahn-Alpentransversale (NEAT) in die Nähe rückte, existierte an der ETH Zürich schon längst eine leistungsfähige Gruppe für Untertagbau, die bereits damals regelmässig mit der Industrie zusammenarbeitete. Die ETH Zürich war für dieses Grossprojekt vorbereitet und wurde von Anfang an miteinbezogen. Der damalige Lehrstuhlinhaber, Professor Dr. K. Kovári, war von 1990 bis zu seiner Emeritierung im Jahre 2002 Vorsitzender der «Arbeitsgruppe Bautechnik-Basistunnel». Diese beurteilte im Auftrage des Bauherrn einerseits übergeordnete planerische Fragestellungen auf strategischer Ebene (wie Linienführung oder Systemwahl [1]), andererseits auch bautechnische Schlüsselfragen, wie zum Beispiel jene der Anwendbarkeit von Tunnelbohrmaschinen (TBM), der Machbarkeit der Durchörterung der Piora-Mulde (PM) (siehe Kapitel 2) oder des Tunnelbaus im stark druckhaften Tavetscher Zwischenmassiv (TZM) (siehe Kapitel 3). 2 PIORA-MULDE In der frühen Planungsphase des Gotthard-Basistunnels (GBT) Anfang der 1990er-Jahre konnte nicht ausgeschlossen werden, dass der an der Oberfläche im Bereich der PM sichtbare zuckerkörnige Dolomit bis auf Tunnelniveau reicht. Würde dies zutreffen, so hätte der Tunnel in einer Tiefe von circa 2’000 m über eine Strecke von 30 bis 50 m sogenanntes schwimmendes Gebirge, das heisst kohäsionsloses Lockergestein, unter einem sehr hohen Wasserdruck (bis 17 MPa) durchörtern müssen. Diese potenziell extremen Bedingungen warfen die Frage nach der technischen und finanziellen Machbarkeit des Tunnels auf, begründeten einige wichtige übergeordnete Massnahmen (rechtzeitige geologische Erkundung, Entfernen der PM aus dem kritischen Weg des Bauprogramms, Bau zweier Einspurtunnel anstelle eines Doppelspurtunnels) und lösten eine Reihe von Untersuchungen betreffend Gebirgsmodell und Bautechnik aus [2]. kritische Zone gesunder Fels plastische Zone δ 5m Die Zusammenarbeit der Professur für Untertagbau mit der AlpTransit Gotthard AG (ATG) setzte sich in der Ausführungsphase im Rahmen der Arbeitsgruppen Multifunktionsstellen (MFS) Faido und Sedrun sowie TBM Faido fort. Der Auftrag dieser Arbeitsgruppen war es, bedeutende Risiken vorausschauend zu erkennen und Massnahmen festzulegen, die einen reibungslosen Vortrieb ermöglichten. Zudem wirkten die Arbeitsgruppen auch bei der Bewältigung von aufgetretenen bautechnischen Schwierigkeiten mit. Dazu gehörten das unerwartet stark druckhafte Gebirge in der MFS Faido, das zur Verschiebung der MFS nach Süden führte, die unerwartet grossen Konvergenzen beim TBM-Vortrieb in den Lucomagno-Gneisen (Kapitel 4) sowie der Verbruch in der Weströhre des Abschnitts Faido–Sedrun. Letzterer ereignete sich im März 2010 beim Anfahren einer 6 m dicken, steilstehenden Störzone aus Kakirit und Kataklasit und verursachte einen mehrmonatigen Vortriebsstillstand. Des Weiteren unterstützte die Professur für Untertagbau den Bauherrn bei der Beurteilung besonderer felsmechanischer Fragestellun- 2 Tunnelachse L 1.0 L =∞ 0.8 0.6 0.4 0.2 0.0 0 20 40 60 80 Länge der kritischen Zone L [m] Bild 1 Abhängigkeit der Konvergenz von der Länge des kritischen Streckenabschnittes in der Piora-Mulde TUNNELLING THE GOTTHARD Quelle: [3] 1 Verschiebung δ [m] 1 1 DIE MITWIRKUNG DER PROFESSUR FÜR UNTERTAGBAU DER ETH ZÜRICH BEIM GOTTHARD-BASISTUNNEL Angesichts des sehr hohen Wasserdrucks und der Beschaffenheit des Gebirges war klar, dass der Tunnelbau in der PM, wenn überhaupt, nur nach einer grossräumigen Gebirgsdrainage in Kombination mit einer Gebirgsverfestigung durch Injektionen möglich sein würde. Für die Abschätzung des Zeitaufwands und der Kosten dieser Massnahmen war es unter anderem erforderlich, die Anforderungen an den Injektionskörper (Abmessungen, Festigkeit und Dichtigkeit) sowie an die bauzeitliche und definitive Sicherung (Ausbauwiderstand) zu formulieren. Die Untersuchungen brachten die Bedeutung der einzelnen vom Ingenieur beeinflussbaren Faktoren (Ausbauwiderstand, Druckfestigkeit und Dicke des Injektionskörpers) bei der Beherrschung des hohen Gebirgsdrucks in der PM klar zum Vorschein. Damit war die Grundlage einer kostenmässigen Optimierung der Massnahmen im Zuge der Detailbearbeitung geschaffen. Wichtig war auch die Erkenntnis, dass der Ingenieur bei der Wahl seiner Baumassnahmen aus mehreren Optionen wählen kann [2]. Später, mit dem Erkundungsstollen in Polmengo, wurde übrigens festgestellt, dass der zuckerkörnige Dolomit in der PM nicht bis zum Tunnelniveau reicht. 3 TAVETSCHER ZWISCHENMASSIV Der Bereich des nördlichen TZM wurde während der alpinen Gebirgsbildung zwischen dem Aar- und dem Gotthardmassiv eingeklemmt sowie tektonisch stark beansprucht, wodurch sogenannte Kakirite entstanden. Als solche werden stark zerrüttete Gesteine bezeichnet, die einen grossen Teil ihrer früheren Festigkeit eingebüsst haben. Angesichts der bis zu 900 m grossen Überlagerung und der hohen Verformbarkeit der Kakirite (siehe Bild 3) wurde bereits während der Planungsphase stark druckhaftes Gebirge im TZM erwartet. Die ETH Zürich hat zur Klärung der wissenschaftlichen Grundlagen des Tunnelbaus im druckhaften Gebirge beigetragen [4, 5] und das Vortriebsverfahren mitentwickelt. Letzteres bestand aus dem Vollausbruch eines kreisförmigen Profils von bis 13 m Durchmesser in Kombination mit einer nachgiebigen Ausbruchsicherung aus schweren Quelle: [2] Zur Klärung dieser Fragen führte die ETH Zürich umfangreiche tunnelstatische Berechnungen unter Einsatz einer damals gerade entwickelten numerischen Methode durch, die den Porenwasserdruck sowie die Sickerströmung im Gebirge berücksichtigte. Sie zeigten, dass die Länge des kritischen Streckenabschnitts im zuckerkörnigen Dolomit auch statisch entscheidend ist: An den beiden «gesunden» Felsufern werden infolge der Gebirgsverformungen Schubspannungen mobilisiert, die sich bei kurzen kritischen Streckenabschnitten stark verformungs- und lastvermindernd auswirken («Wandeffekt», siehe Bild 1). Würden zusätzlich Verformungen im unbehandelten Gebirge herbeigeführt (durch die Drainage oder andere Massnahmen wie Materialentnahme), so würde sich das Gebirge noch mehr verspannen, wodurch der Gebirgsdruck noch kleiner würde. Das würde sich deutlich auf den erforderlichen Ausbauwiderstand beziehungsweise auf die erforderliche Druckfestigkeit des Injektionskörpers auswirken (siehe Bild 2). Bild 2 Zusammenhang zwischen der erforderlichen Druckfestigkeit des Injektionskörpers und dem erforderlichen Ausbauwiderstand in der Piora-Mulde (∆V/V = Materialentnahme bezogen auf Ausbruchvolumen) Stahlbögen mit Gleitanschlüssen [6]. Der Vollausbruch im druckhaften Gebirge war bereits von mehreren italienischen Tunneln bekannt. Diese waren allerdings unter erheblich geringeren Überlagerungen aufgefahren worden und konnten deshalb mit einer steifen Ausbruchsicherung (Widerstandsprinzip) gesichert werden. Stahlbögen mit Gleitanschlüssen stellten ebenfalls ein bereits bewährtes Sicherungsmittel dar, dies jedoch nur bei den kleinen Ausbruchprofilen des Bergbaus. Ein nachgiebiger Ausbau in Kombination mit dem Vollausbruch eines sehr grossen Profils war neuartig und warf anspruchsvolle Fragen hinsichtlich der Kinematik, der Stabilität und der Handhabung der Stahlbögen auf, die durch vertiefte statische Berechnungen und Feldversuche untersucht wurden [6]. Angesichts eines initialen Porenwasserdrucks von 90 bar stellte das TZM auch in felsmechanischer Hinsicht Neuland dar. Ein so hoher Porenwasserdruck mindert die effektiven Spannungen und somit den Scherwiderstand des Gebirges erheblich ab. Ferner übt das Wasser eine sogenannte Strömungskraft auf das Gebirge aus. Sie ist – ähnlich wie die Sickerströmung – gegen den Hohlraum gerichtet und wirkt sich daher in statischer TUNNELLING THE GOTTHARD 3 XVII HOCHSCHULEN Quelle: [8] undrainierten Versuche an vorgängig gesättigten Proben führten zu völlig unterschiedlichen Spannungsantworten. Das Prüfkörperverhalten ist bei den konsolidiert-drainierten Versuchen ausgeprägt duktil, bei den konsolidiert-undrainierten Versuchen jedoch verfestigend. Ferner zeigten die Untersuchungen, dass eine vorgängige Sättigung der Prüfkörper für die Durchführung von Triaxialversuchen unabdingbar ist. Die Prüfkörper mussten deshalb zunächst einer aufwendigen, aus einer mehrtägigen Durchströmung bestehenden Sättigungsprozedur unterzogen werden. Bild 3 Kakiritprobe aus dem Tavetscher Zwischenmassiv vor und nach einem Druckversuch Hinsicht ungünstig aus. Der ungünstige Einfluss des Porenwasserdrucks beziehungsweise seines Gradienten macht sich je nach Beschaffenheit des Gebirges unterschiedlich bemerkbar: In Zonen mit gebrochenem Fels tritt das Wasser direkt in Erscheinung, bei Kakiriten hingegen ist das Wasser «unsichtbar». Kakirite sind feinkörnig und daher wenig durchlässig. Zudem verhalten sie sich duktil, schliessen allfällige Trennflächen und reduzieren somit auch die Durchlässigkeit der Letzteren. Die Wasserzutritte können deshalb trotz hoher Druckgradiente sehr klein sein, was das intuitive Verständnis über die mechanische Auswirkung des Porenwasserdrucks erschwert. Es ist aber eine Erfahrungstatsache, dass ein hoher Porenwasserdruck die Entwicklung von Gebirgsverformungen beziehungsweise Gebirgsdruck begünstigt [5, 7]. Bei den felsmechanischen Versuchen für das TZM musste der Einfluss des Porenwasserdrucks deshalb berücksichtigt werden. Dies erforderte bedeutende Forschungs- und Entwicklungsarbeiten. Anhand einer Analyse der wesentlichen physikalischen Einflussfaktoren wurden die Anforderungen an die Prüfkörper und an die durchzuführenden Versuche formuliert. Dabei wurde von theoretischen Überlegungen ausgegangen, die später aufgrund der Versuchsergebnisse überprüft wurden. Herkömmliche felsmechanische Triaxialversuche erfassen den Porenwasserdruck nicht und liefern keine reproduzierbaren Ergebnisse; die Festigkeit wird je nach Wassergehalt vor Versuchsbeginn fallweise über- oder unterschätzt (siehe Bild 4). Zur präzisen Beobachtung oder Kontrolle des Porenwasserdrucks musste deshalb eine neue Versuchsvorrichtung entwickelt und gebaut werden [8]. Diese war vom Prinzip her ähnlich den Apparaturen, die in der Bodenmechanik für Triaxialversuche eingesetzt werden, musste jedoch aufgrund der Beschaffenheit der zu prüfenden Gesteine und der In-situBedingungen auf extrem hohe Drücke ausgelegt werden. Die Versuche bestätigten den grossen Einfluss des Porenwasserdrucks und die Bedeutung der hydraulischen Randbedingungen: Die konsolidiert-drainierten und konsolidiert- 4 Gestützt auf die aus den Triaxialversuchen gewonnenen Einsichten wurde anschliessend das Gesteinsverhalten durch geeignete mathematische Gleichungen beschrieben. Es hat sich gezeigt, dass das gängige elastoplastische Stoffgesetz mit Mohr-Coulomb’scher Bruchbedingung das ausgesprochen duktile Verhalten der Kakirite und die Resultate konsolidiertdrainierter und konsolidiert-undrainierter Versuche konsistent (mit einem einzigen Satz von Materialparametern) abbilden kann (siehe Bild 4). Die somit gewonnenen Kenntnisse über das Verhalten und die Parameter der Kakirite bildeten die Grundlage für weiterführende tunnelstatische Berechnungen in der Planungsphase. Später, während der Ausführung, wurden ähnliche felsmechanische Versuche an Proben aus vorauseilenden Erkundungsbohrungen durchgeführt. Ihre Ergebnisse flossen in den Tunnelvortrieb durch das TZM mit ein. 4 LUCOMAGNO-GNEISE Im Oktober 2007, kurz nach dem Beginn der maschinellen Vortriebe mittels Gripper-TBM ab der MFS Faido, traten unerwartet erhebliche Gebirgsverformungen auf, die auf druckhaftes Gebirge hindeuteten. Die Vortriebe erfolgten bei einer Überlagerung von 1’600 m in den südlich des Chièra-Synforms herrschenden Lucomagno-Gneisen. Relevante Verformungen wurden vor allem im Tunnelfirst (bis zu 10 cm in der Oströhre und bis zu 25 cm in der Weströhre) und in der Sohle beobachtet (bis zu 30 cm in der Oströhre und bis zu 75 cm in der Weströhre). Sie führten zur Beschädigung der Ausbruchsicherung, zum Verklemmen der Nachläuferkonstruktion und zur Beeinträchtigung des Gleisbetriebs [9, 10]. Es ist bemerkenswert, dass die Verformungen bereits im Bereich des nur 5 m langen Bohrkopfschilds Werte von bis zu 10 cm erreichten und somit den für Konvergenzen und Steuerung verfügbaren Ringspalt um den Schild fast vollständig schlossen. Zum Zeitpunkt des Auftretens der ersten Schwierigkeiten wurde mit gleichbleibendem Gebirgsverhalten bis zur ChièraSynform ausgegangen. Zudem bestanden Unsicherheiten über die in diesen Gebirgsverhältnissen angemessene Ausbruchsicherung. Bei einem TBM-Vortrieb ist der Raum, der im Ausbruchprofil insgesamt für Ausbruchsicherung und Konvergenzen zur Verfügung steht, vordefiniert. Dies hat zur Folge, dass weder das Widerstandsprinzip noch das Ausweichprinzip beim Entwurf und bei der Dimensionierung der Ausbruchsicherung konsequent umgesetzt werden können. Beides setzt genügend Platz – für eine ausreichend starke Spritzbetonschale TUNNELLING THE GOTTHARD 1 DIE MITWIRKUNG DER PROFESSUR FÜR UNTERTAGBAU DER ETH ZÜRICH BEIM GOTTHARD-BASISTUNNEL (Widerstandsprinzip) beziehungsweise für das Zulassen der Gebirgsverformungen (Ausweichprinzip) – voraus. Die Entscheidungsfindung wird zusätzlich durch Zielkonflikte und den Umstand erschwert, dass Sicherungsmittel entweder direkt hinter dem Bohrkopfschild (L1) oder erst rund 30 m weiter hinten (L2) eingebaut werden können: Der Einbau einer grossen Menge Sicherungsmittel direkt hinter dem Schild erhöht zwar die Sicherheit gegen die Gefahr eines Unterprofils, verlangsamt aber den Vortrieb und vergrössert dadurch die Gefahr eines Verklemmens des Schilds. Wird andererseits eine leichte Ausbruchsicherung im L1 eingebaut, so kann es (bei einer Unterschätzung der Intensität der Gebirgsverformungen) zur Verletzung des Lichtraumprofils kommen, weil erst im L2 wieder eingegriffen werden kann. Diese Komplexität hat vertiefte tunnelstatische Untersuchungen ausgelöst. Anhand von Berechnungsmodellen wurde die Wirksamkeit der infrage kommenden Massnahmen (Konzept und Dimensionierung der Ausbruchsicherung, Wahl des Überschnitts) für die relevanten Betriebszustände (laufender Vortrieb beziehungsweise Wiederanfahren der TBM nach einem Stillstand) und für eine grosse Bandbreite von möglichen Gebirgseigenschaften in Hinblick auf die wichtigsten Gefährdungsbilder systematisch untersucht (siehe Bild 5, links): Reicht die verfügbare Vorschubkraft aus, um die infolge Gebirgsdruck entstehende Reibung zwischen Gebirge und Schild zu überwinden? Kann die Ausbruchsicherung den Gebirgsdruck aufnehmen? Verletzen die Verformungen des Gebirges das erforderliche Lichtraumprofil im Maschinen- oder im Nachläuferbereich? wird aufgrund der Längstragwirkung des Gebirges im Schildbereich weniger belastet, sodass die Gefahr eines Schildverklemmens kleiner wird [13]. Im konkreten Fall würde die installierte Vorschubkraft bei einer steifen Ausbruchsicherung und einem durch Einstellung der Kalibermeissel vergrösserten Überschnitt von 12 cm selbst für stark druckhaftes Gebirge ausreichen (siehe Bild 5, Zeile 5). Infolge des weitgehend vorgegebenen Bohrdurchmessers ist die machbare Dicke und Tragfähigkeit der Spritzbetonschale erheblich eingeschränkt, sodass die Tragfähigkeit einer steifen Ausbruchsicherung beim untersuchten TBM-Vortrieb nicht ausreichen würde. Die beschränkten Platzverhältnisse (insgesamt 40 cm für Ausbruchsicherung und Konvergenzen) setzen auch dem Ausweichprinzip Grenzen. Trotzdem kann mit einer nachgiebigen Ausbruchsicherung eine grössere Bandbreite von Gebirgsverhältnissen bewältigt werden als mit dem Widerstandsprinzip (vergleiche Zeilen 6 bis 8 mit 5), dies jedoch unter der Voraussetzung eines auf 12 cm vergrösserten Überschnitts (wegen Die Berechnungen wurden nach einer neuen Methode durchgeführt, die das Kräftespiel im Bereich der fortschreitenden Tunnelortsbrust in einem einzigen Rechenschritt numerisch erfassen kann und somit die Durchführung umfangreicher parametrischer Studien mit vertretbarem Aufwand ermöglichte. Diese Berechnungsmethode wurde im Rahmen eines Forschungsprojekts der ETH Zürich entwickelt, das frühere Arbeiten der Professur aufgriff [11] und die Machbarkeit von maschinellen Vortrieben im druckhaften Gebirge zum Gegenstand hatte [12]. Beim Widerstandsprinzip wird das Gebirge unmittelbar nach dem Schild und somit nahe der Ortsbrust gestützt. Der Schild Quelle: [8] Die Tabelle im Bild 5 zeigt, welche der infrage kommenden Massnahmen je nach Gebirgsqualität die eingangs erwähnten Kriterien erfüllen. Die Ausbruchsicherungen Nummer 1 und 5 (Stahlbögen TH36 mit 15 oder 25 cm Spritzbeton) sind nach dem Widerstandsprinzip, die anderen nach dem Ausweichprinzip konzipiert: Gleitanschlüsse in den Stahlbögen und Einlagen von verformbaren Elementen in der Spritzbetonschale erlauben eine Umfangsänderung des Profils um 20 cm (Styrofoam) beziehungsweise 30 cm (HiDCon) bei einem Gebirgsdruck von rund 0.1 MPa (Styrofoam) beziehungsweise 0.3 MPa (HiDCon). Die Spalten am rechten Rand von Bild 5 entsprechen unterschiedlichen Gebirgsqualitäten; als Mass der Druckhaftigkeit des Gebirges sind die Konvergenzen (2 bis 9 %) für den theoretischen Fall eines ungesicherten Hohlraums angegeben. Bild 4 Resultate von Triaxialversuchen an Kakiriten im Hauptspannungsraum [8] TUNNELLING THE GOTTHARD 5 Quelle: [13] XVII HOCHSCHULEN Bild 5 Gefährdungsbilder beim TBM-Vortrieb in Lucomagno-Gneis und Ergebnisse der tunnelstatischen Untersuchungen der durch die höhere Schildbelastung bedingten Gefahr des Schildverklemmens, vergleiche Zeilen 6 bis 8 mit 2 bis 4). Eine Vergrösserung der Spritzbetondicke auf 25 cm erhöht die Tragfähigkeit der Schale. Das ist zwar wichtig für die Phase nach dem Ausschöpfen des Verformungsvermögens der nachgiebigen Einlagen, geht jedoch auf Kosten des für Konvergenzen verfügbaren Raums (höhere Gefahr von Unterprofil). Im konkreten Fall wäre der Einbau einer dickeren Schale im L1 nicht nur verfahrenstechnisch ungünstig, sondern auch statisch nicht zielführend (vergleiche Zeile 7 mit 8). Gemäss den Zeilen 6 und 7 sind Styrofoam-Einlagen und HiDCon-Elemente in etwa gleichwertig. Da Letztere erst unter einem hohen Druck fliessen, sind sie bezüglich Auflockerungsdruck günstiger als die praktisch sofort nachgebenden Styrofoam-Einlagen [14]. Dies setzt allerdings voraus, dass der Spritzbeton eine entsprechende Festigkeit erreicht hat. Da die Geschwindigkeit eines TBM-Vortriebs trotz Schwierigkeiten relativ hoch ist, sollte die Fliessspannung der nachgiebigen Elemente mit der Frühfestigkeit des Spritzbetons abgestimmt werden. In der druckhaften Strecke des Teilabschnitts (TA) Faido wurde eine nachgiebige Ausbruchsicherung mit Styrofoam-Einlagen mit Erfolg angewendet. 5 SCHLUSSBEMERKUNGEN Aus der Tätigkeit der ETH Zürich beim GBT ergaben sich sehr wichtige und bis heute nachhaltende Impulse für die Lehre und die Forschung. Die grundlegenden Untersuchungen zur PM bildeten die Basis für einen umfangreichen Leitfaden zur Statik von Injektionskörpern [15]. Ausser den erwähnten Forschungsarbeiten über das Verhalten der Kakirite [16] beziehungsweise die Machbarkeit von TBM-Vortrieben unter echtem Gebirgsdruck [17] gibt es eine Reihe von abgeschlossenen oder laufenden Dissertationen unter dem Forschungsschwerpunkt «druckhaftes Gebirge», die vom Bau des GBT profitieren. Sie befassen sich mit dem Gebirgsverhalten im Ortsbrustbereich [18] und dem Zusammenspiel von Gebirge und nachgiebigem Ausbau [19], mit der Wechselhaftigkeit der Intensität der Gebirgsverformungen [20], dem mechanischen Verhalten von Gesteinen geringer Festigkeit [21] oder der Statik des Tunnelbaus bei sehr grossen Verformungen [22]. 6 Die Ergebnisse dieser Untersuchungen sowie die Erfahrungen aus dem Bau des GBT fliessen direkt in den Unterricht an der ETH Zürich ein, wodurch die Studierenden vielfältig von diesem Grossprojekt profitieren. Die grosse Publizität des GBT hat auch einen bemerkbaren Einfluss auf die Motivation zum Studium der Bauingenieurwissenschaften gehabt: Die Anzahl der Studierenden steigt, insbesondere auch in der Vertiefung Untertagbau. Selbstverständlich bringt ein so grosses Projekt die Technik voran, und dies zum Nutzen der ganzen Fachwelt. Das gilt auch für die an der ETH Zürich erzielten Forschungsergebnisse. Die Versuchstechniken und theoretischen Grundlagen, die für die Durchörterung der Kakirite im TZM entwickelt wurden, gehören inzwischen zum Stand der Technik. Sie wurden in den Folgejahren auch für andere Projekte wie den Ceneri-Basistunnel, den SemmeringBasistunnel [23] oder den geplanten Gibraltar-Unterseetunnel [24] angewendet. Ähnliches gilt für die durch den Bau des GBT motivierten Untersuchungen zum Einsatz von Tunnelbohrmaschinen in druckhaftem Gebirge. Die dabei erzielten Grundlagenkenntnisse konnten zum Beispiel im Uluabat-Tunnel in der Türkei [13] und beim Lake-Mead-Projekt in den USA [25] eingesetzt werden. Rückblickend betrachtet war die Zusammenarbeit der Professur mit den Hauptakteuren des Baus des GBT von einer sehr erfolgreichen gegenseitigen Befruchtung von Theorie und Praxis ✚ geprägt. ■ Literatur [1] Kovári, K.: The two base tunnels of the AlpTransit project: Lötschberg and Gotthard, FORSCHUNG UND PRAXIS, Band 36, 1995 [2] Kovári, K.: Die Machbarkeit der Piora-Mulde beim Gotthard-Basistunnel, Dokumentation SIA D 085, 55–62, 1992 [3] Kovári, K.; Anagnostou, G.: The ground response curve in tunnels through short fault zones. Proc. 8th Int. Congr. on Rock Mechanics (Ed. Fujii), vol. 2, Tokyo, 611–614, 1995 [4] Kovári, K.; Staus, J.: Basic considerations on tunnelling in squeezing ground, Rock Mechanics and Rock Engineering, 29(4), 203–210, 1996 TUNNELLING THE GOTTHARD 1 DIE MITWIRKUNG DER PROFESSUR FÜR UNTERTAGBAU DER ETH ZÜRICH BEIM GOTTHARD-BASISTUNNEL [5] Kovári, K.: Tunnelling in Squeezing Rock, Tunnel, 5, 12–31, 1998 [6] Kovári, K.; Ehrbar, H.: Gotthard-Basistunnel, Teilabschnitt Sedrun – Die druckhaften Strecken im TZM Nord – Projektierung und Realisierung. Swiss Tunnel Congress, 39–47, 2008 [7] Anagnostou, G.: The effect of advance-drainage on the short-term behaviour of squeezing rocks in tunneling. Int. Symp. On Comp. Geomech., 668–679, 2009 [8] Vogelhuber, M.; Anagnostou, G.; Kovári, K.: Pore Water Pressure and Seepage Flow Effects in Squeezing Ground. Proc. 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