7. Kapitel Strafrecht 143 Zu den privaten Rechtsbeziehungen mag das nun genügen. Doch schlagen wir noch einmal zurück auf Seite 129 und lesen Fall 17. 7. Kapitel Wo es um die Herausgabe des gestohlenen Fahrrads geht? Das Strafgesetzbuch, aber auch zahlreiche andere Gesetze, bedrohen den Rechtsbruch mit Strafe. Die Strafe soll abschrecken, erziehen und die Gemeinschaft vor dem Täter sichern. Sie soll aber auch Sühne sein für ein schuldhaft begangenes Unrecht. Strafbar ist nur, was das Gesetz mit Strafe bedroht. Auch Inhalt und Umfang der staatlichen Strafbefugnis sind gesetzlich genau bestimmt. Ja. Die Lösung kennen wir: Der Dieb muss das gestohlene Rad zurückgeben und, wenn er es beschädigt hat, Schadensersatz leisten. Hierdurch wird der ursprüngliche Zustand wiederhergestellt. Was aber fehlt, ist eine Reaktion auf das rechtsfeindliche Verhalten des Diebes und die damit bewirkte Störung des Rechtsfriedens. Dafür droht das Gesetz strafrechtliche Folgen an. Der Mensch, der das Recht bricht 144 Weshalb behandeln wir das Privatrecht und das Strafrecht getrennt? Weil es dabei um ganz verschiedene Rechtsbereiche mit unterschiedlichen Rechtswirkungen geht: - Die Frage nach Herausgabe des Fahrrads oder nach Schadensersatz betrifft das Privatrecht. Auf der privatrechtlichen Ebene der Gleichordnung (vgl. S. 90) bleibt es jedem selbst überlassen, ob er seine Ansprüche geltend macht. Der Staat kümmert sich darum nicht. - Die Frage der Strafbarkeit gehört dagegen zum öffentlichen Recht. Hier steht der Staat zum Bürger in einem Über-/Unterordnungsverhältnis. Ob ein Täter verfolgt und bestraft wird, entscheidet allein der Staat (sogenanntes Offizialprinzip). Andererseits sind die Strafverfolgungsbehörden bei Verdacht einer Straftat grundsätzlich zum Einschreiten verpflichtet (sogenanntes Legalitätsprinzip). 7. Kapitel Strafrecht Auch wenn der Geschädigte die Bestrafung nicht will? Wieso darf der Staat überhaupt jemanden bestrafen? Staatliche Strafe Weil es für das friedliche Zusammenleben der Menschen in der Gemeinschaft notwendig ist: Zum einen fordert das herrschende Rechtsgefühl eine gerechte Sühne für die Verletzung schwerwiegender Rechtsgüter. Zum anderen dient die Strafe der Abschreckung, damit künftige Straftaten unterbleiben. Beide Gründe, Sühne und Abschreckung, rechtfertigen die Strafe. Auch dann. Denn der staatliche Strafanspruch entsteht, ohne dass es dabei auf den Willen der Beteiligten ankommt. Und wie ist das mit dem Strafantrag? Eine gute Frage. Es gibt tatsächlich einige Strafbestimmungen, die vorsehen, dass eine Tat nur auf Antrag des Verletzten verfolgt wird. Das ist insbesondere bei Beleidigung, leichter oder fahrlässiger Körperverletzung, Hausfriedensbruch oder bei einfacher Sachbeschädigung der Fall. Von solchen Ausnahmen abgesehen werden Straftaten aber von Staats wegen verfolgt. Übrigens schreitet die Strafverfolgungsbehörde auch bei leichter oder fahrlässiger Körperverletzung und bei einfacher Sachbeschädigung von Amts wegen ein, wenn ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung vorliegt. Punitur quia peccatum est, punitur ne peccetur. (Bestraft wird, weil Unrecht geschah, bestraft wird, damit kein Unrecht geschieht.) Zum Nachlesen: §§ 77, 123, 185, 194,223,232,303, 303 c StGB, 152, 160, 163 stopp 145 „Peinliches Recht“, so nannte man früher das Strafrecht. Bereits diese Bezeichnung macht deutlich, dass es beim Strafen um das Zufügen eines Übels ging. Auch heute droht die Strafe ein Übel an. Doch haben sich die Erscheinungsformen der Strafe im Laufe der Jahrhunderte stark gewandelt: qualvolle Todesarten aus: Beispielsweise das Rädern, das Vierteilen, das Ertränken, das Sieden in Öl, das Lebendigbegraben, das Pfählen. In früher Zeit war die Strafe von privater Rache und Vergeltung geprägt. Wer den Rechtsfrieden brach, wurde zum Feind des Verletzten. Es kam zur Fehde, also zur Sippenfeindschaft und Blutrache. In besonders schweren Fällen wurde der Täter »friedlos an Leib und Gut«. Er verlor sämtliche Rechte, und jeder durfte ihn töten. In der Fränkischen Zeit gewann die staatliche Strafgewalt zunehmend an Bedeutung und verdrängte bis zum Ausgang des Mittelalters die Privatstrafen. Strafzweck war neben der Vergeltung die Abschreckung. Deshalb waren die Strafen überaus hart und grausam. Die Todesstrafe war häufig: Diebe, Räuber oder Ehebrecher wurden gehängt oder enthauptet. Für schwere Verbrechen wie Mord, Hochverrat (vgl. S. 40) oder Hexerei dachte man sich besonders Rädern und Enthaupten. Während das Enthaupten für männliche und weibliche Straftäter üblich war, wurde die Vollstreckungsart des Räderns nur an Männern vollzogen: Die Glieder wurden mit einem Rad zerschlagen, der Körper in die Speichen des Rades »geflochten«, und das Rad dann auf einen Pfosten gesteckt (Darstellungen aus dem 14. Jahrhundert). Mehr über früheres Recht steht im Sonderteil auf den Seiten 73 bis 86. 7. Kapitel Strafrecht Leibesstrafen wurden oft nach der alttestamentarischen Vorstellung „Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß“ (2. Mose 21, 24) als spiegelnde Strafen verhängt: Beispiele sind das Abhauen der Schwurhand bei Meineid, das Ausreißen der Zunge bei Gotteslästerung, das Abschneiden einzelner Finger bei kleinen Diebstählen und andere Strafen „an Hals und Hand“. 146 Waren die Vergehen gering, ging die Leibesstrafe nur „zu Haut und Haar“. So mussten Faulenzer oder Nichtstuer am Pranger stehen. streitsüchtige Frauen ein Halseisen tragen oder wer anderen etwas Übles nachredete, musste eine Schandmaske aufsetzen (s. u.). Die Freiheitsstrafe war ebenfalls Leibesstrafe, da sie die Gefangenen in dunklen Türmen oder unterirdischen Verliesen Hunger, Kälte, Ungeziefer und anderen Qualen aussetzte. Weitere Straffolgen waren Verbannung, Stadtverweisung, Strafknechtschaft und Vermögensentziehung. Auch Geldbußen wurden den Tätern auferlegt. Sie dienten teils der Sühne, teils dem Schadensersatz. Zur Vergeltung und Abschreckung blieben die Strafen bis ins 18. Jahrhundert hinein hart und grausam. Erst im 19. Jahrhundert entfielen Verstümmelungsstrafen und die qualvolle Durchführung von Hinrichtungen. Die Strafarten wurden auf Todes-, Zuchthaus-, Gefängnis- und Geldstrafen beschränkt. In der Bundesrepublik Deutschland ist die Todesstrafe seit Inkrafttreten des Grundgesetzes am 24. Mai 1949 abgeschafft. Und auch in Zuchthaus- und Gefängnisstrafe wird bei uns seit 1969 nicht mehr unterschieden. Das geltende Strafrecht kennt - Hauptstrafen, - Nebenstrafen, Nebenfolgen und - Maßregeln der Besserung und Sicherung. Hauptstrafen sind - Freiheitsstrafe: Sie kann zwischen 1 Monat und 15 Jahren betragen oder lebenslang sein. Die lebenslange Freiheitsstrafe ist die schwerste Strafe des deutschen Strafrechts. 7. Kapitel Strafrecht - Vermögensstrafe: Sie dient dazu, den aus der Tat erlangten Gewinn abzuschöpfen. Das Gericht kann die Strafe in bestimmten Fällen neben einer Freiheitsstrafe von mehr als 2 Jahren anordnen, zum Beispiel gegen Mitglieder einer Geldfälscherbande oder eines Bandendiebstahls. - Geldstrafe: Sie beträgt je nach Schuld des Täters und Umständen der Tat 5 bis 360 Tagessätze. Ein Tagessatz wird je nach finanzieller Belastbarkeit des Täters mit 2.- bis 10.000,- DM festgesetzt. - Strafarrest: Er wird nach dem Wehrstrafgesetz gegen Soldaten wegen militärischer Straftaten verhängt und kann zwischen 2 Wochen und 6 Monaten betragen. - Jugendstrafe: Sie wird gegen Jugendliche oder nach Jugendstrafrecht zu verurteilende Heranwachsende verhängt (vgl. S. 93). Nebenstrafen und Nebenfolgen sind zum Beispiel - Fahrverbot: Es kann bei Straftaten ausgesprochen werden, die beim Führen eines Kraftfahrzeugs begangen werden. 147 - Amtsverlust, also der Verlust der Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und Verlust des aktiven Wahlrechts: Diese Nebenfolgen treten für die Dauer von 5 Jahren für jeden ein, der wegen eines Verbrechens zu einer Freiheitsstrafe von mindestens 1 Jahr verurteilt wird. Maßregeln der Besserung und Sicherung sind zum Beispiel - Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer sozialtherapeutischen Anstalt, falls der Täter beispielsweise geisteskrank ist. - Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bei Alkohol- oder Rauschgiftsüchtigen. - Berufsverbot, wenn der Täter die Straftat unter Missbrauch seines Berufs beging. Die Maßnahmen, mit denen der Staat heute auf Straftaten antwortet, sind menschlich geworden. Dennoch bleibt das Strafrecht der Bereich, in dem mit öffentlicher Gewalt am härtesten in die Freiheit und das Vermögen von Bürgern eingegriffen wird. Jeder staatliche Eingriff muss deshalb durch den Schutz wichtiger Rechtsgüter gerechtfertigt sein. Zum Nachlesen: §§ 38 ff, 43a, 61ff, 70, 73 StGB Wichtigster Zweck der Strafe ist es, dass Verstöße gegen die Rechtsordnung unterbleiben. Schon das bloße Dasein des Strafrechts soll alle Menschen von strafbaren Handlungen abhalten. Diese sogenannte generalpräventive Wirkung erfordert eine schnelle Strafverfolgung, die jedem klar macht, dass sich eine Straftat nicht lohnt. Die Strafe hat aber auch spezialpräventive Wirkung: Sie soll den Täter selbst von künftigen Straftaten abschrecken, ihn erziehen und die Gesellschaft dauernd oder auf Zeit vor diesem Täter sichern. Daneben bedeutet die Strafe auch heute noch Vergeltung und Sühne für ein begangenes Unrecht. Vergeltung und Sühne setzen Schuld voraus. Sie fehlt zum Beispiel beim geisteskranken Mörder. Ihn für sein Tun zu bestrafen, wäre nichts anderes, als wenn man einen Erbkranken für sein Schicksal zur Verantwortung ziehen wollte. Doch auch vor dem geisteskranken Täter muss unsere Gesellschaft geschützt werden. Dies geschieht nicht durch Strafe, sondern durch eine Maßregel der Besserung und Sicherung, etwa durch Unterbringung in einer Heil- und Pflegeanstalt. Maßstab für die Anwendung von Maßregeln ist nicht die Schuld des 7. Kapitel Strafrecht Täters, sondern das Schutzbedürfnis der Gesellschaft. Fall 21 Strafe und Maßregel Der Aushilfskellner Kirsch war auf das Knacken von Zigarettenautomaten spezialisiert. Da er nur in entlegenen Gegenden »arbeitete« und nach dem Aufbrechen der Automaten in seinem Pkw mit der Beute stets schnell davonfuhr, blieb er längere Zeit unentdeckt. Erst als er auf der Flucht mit überhöhter Geschwindigkeit die Vorfahrt missachtete und einen schweren Verkehrsunfall verursachte, konnte er gefasst werden. Wie wurde Kirsch bestraft? Herr Kirsch wurde wegen fortgesetzten schweren Diebstahls und Gefährdung des Straßenverkehrs zu 1 Jahr und 6 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt (= Hauptstrafe). Zudem ordnete das Gericht die Einziehung des bei der Straftat verwendeten Pkw an (= Nebenstrafe), entzog Kirsch die Fahrerlaubnis und setzte eine Sperrfrist von 2 Jahren fest, innerhalb der ihm keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden darf (=Maßregel der Sicherung und Besserung). 148 Im Jugendstrafrecht erfahren junge Straftäter eine Sonderbehandlung: Nicht der Gedanke der Abschreckung, sondern die Erziehung steht hier im Vordergrund. Das gilt umso mehr, je leichter die Straftat ist. Deshalb wird Jugendstrafe, also Freiheitsentzug in einer Jugendstrafanstalt, nur bei stark rückfallgefährdeten jungen Straftätern oder bei besonders schweren Straftaten verhängt. Bei etwa 85 Prozent der überführten jungen Leute kommt es dagegen lediglich zu erzieherischen Maßnahmen ohne Strafcharakter. Solche Maßnahmen sind Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel. Erziehungsmaßregeln sollen Erziehungsmängeln entgegenwirken. Der Jugendrichter kann dem Jugendlichen beispielsweise folgende Weisungen auferlegen: - in einem Heim zu wohnen, - eine Lehr- oder Arbeitsstelle anzunehmen, - mit bestimmten Personen nicht zu verkehren, - keine Gast- oder Vergnügungsstätten zu besuchen, - zum Verkehrsunterricht zu gehen oder - Arbeitsleistungen zu erbringen; als Erziehungshilfe kann der Jugendrichter - einen Erziehungsbeistand oder - die Unterbringung in einer betreuten Wohnform (Fürsorgeerziehung) anordnen. Mittlerweile ist die Weisung. während der Freizeit eine gemeinnützige Arbeit zu erbringen, zum Beispiel 40 Stunden in einem Altenheim, einem Krankenhaus, in einer Einrichtung für Behinderte oder im Bereich des Umweltschutzes zu arbeiten, die wohl häufigste jugendstrafrechtliche Maßnahme. Hier erhält der junge Straftäter Gelegenheit, sein gemeinschaftsschädliches Verhalten durch eine gemeinnützige Tätigkeit wieder gut zumachen. Nach Jugendstrafrecht Verurteilte in Bayern im Jahr 1995 Jugendstrafe 2490 Jugendarrest 3230 Wiedergutmachungsauflage 293 Geldzahlungsauflage 4154 Entschuldigungsauflage 9 Arbeitsleistung und Entschuldigung 40 Verwarnung 2605 Heimerziehung 9 Erziehungsbeistand 41 Weisungen 2831 insgesamt Verurteilte 15134* * Die Zahl der Verurteilten ist geringer als die Summe der verhängten Strafen und Maßnahmen, weil in manchen Fällen Maßnahmen und Strafe miteinander verbunden werden. 7. Kapitel Strafrecht Wenn Erziehungsmaßregeln nicht ausreichen, um dem Jugendlichen die Verantwortung für seine Straftat bewusst zu machen, kann die Tat mit Zuchtmitteln geahndet werden. Zuchtmittel sind - die Verwarnung; mit ihr hält der Jugendrichter dem Jugendlichen das Unrecht der Tat eindringlich vor; oft wird sie mit anderen Maßnahmen verbunden; - das Auferlegen besonderer Pflichten, und zwar, den verursachten Schaden nach Kräften wieder gut zu machen, sich beim Verletzten persönlich zu entschuldigen, Arbeitsleistungen zu erbringen oder einen Geldbetrag an eine gemeinnützige Einrichtung zu zahlen; - der Jugendarrest; er wird als Freizeitarrest bis zu 2 wöchentliche Freizeiten verhängt, als Kurzarrest bis zu 2 Wochen oder als Dauerarrest von 1 bis 4 Wochen. Nur wenn Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zur Erziehung nicht ausreichen oder die Schwere der Schuld es erfordert, wird Jugendstrafe verhängt. Sie beträgt mindestens 6 Monate, höchstens aber 10 Jahre. Zum Nachlesen: § § 1 StGB, 5, 9 ff, 13 ff, 17 f JugendgerichtsG 149 Fall 22 Jugendstrafrecht Axel (16 Jahre), Fred (19 Jahre), Hannes (22 Jahre) und Karl (13 Jahre) brechen einen Kiosk auf und nehmen Zigaretten und Süßigkeiten mit. Ist Jugendstrafrecht anwendbar? Die Vier haben einen schweren Diebstahl begangen. Der 13 jährige Karl ist für die Tat nicht verantwortlich, da er nicht strafmündig ist (vgl. S. 92). Axel ist Jugendlicher und fällt unter das Jugendstrafrecht. Ob auch für Fred als Heranwachsenden Jugendstrafrecht gilt, hängt davon ab, ob er in seiner Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichsteht. Hannes ist jedenfalls nach Erwachsenenstrafrecht zu bestrafen. Wer sagt einem eigentlich, was alles strafbar ist? 7. Kapitel Strafrecht Strafbare Handlung Das Gesetz. Eine strafbare Handlung liegt immer nur dann vor, wenn jemand etwas tut, das bereits zur Zeit der Tat mit Strafe bedroht ist. Das heißt: - Ein Verhalten darf nicht rückwirkend unter Strafe gestellt werden, - die im Gesetz bestimmte Strafdrohung darf für eine begangene Tat nicht im nachhinein verschärft werden und - die Merkmale für strafbares Verhalten und die Straffolge müssen im Gesetz genau festgelegt sein. Kann man das an einem Fall erklären? Ja, das wollen wir gleich tun: Nullum crimen nulla poena sine lege. (Kein Verbrechen, keine Strafe ohne Gesetz.) 150 7. Kapitel Strafrecht Fall 23 Verbot der Rückwirkung Ferdinand nimmt am 23. Juli an der genehmigten „Demo gegen den Rechtsradikalismus“ teil. Obwohl die Sonne scheint und eine Außentemperatur von 25° C herrscht, ist sein Gesicht bis zu den Augen durch einen Wollschal verdeckt. Auf dem Kopf trägt er einen breitkrempigen Filzhut. Ferdinands Personalien werden festgestellt. Einen Monat später wird eine Bestimmung in das Strafgesetzbuch aufgenommen, nach der die vermummte Teilnahme an einer Demonstration strafbar ist. Was bedeutet das für Ferdinand? Durch die vermummte Teilnahme an der Demonstration hat Ferdinand eine Ordnungswidrigkeit nach dem Versammlungsgesetz begangen, die mit einer Geldbuße geahndet werden kann. Strafbar gemacht hat sich Ferdinand allerdings nicht, da die Vermummung zur Zeit der Tat, also am 20. Juli, noch nicht mit Strafe bedroht war. Die später in Kraft getretene Strafbestimmung darf auf frühere Taten nicht angewendet werden. „Schon wieder ein Strafzettel“, sagt der Autofahrer unrichtig und zieht eine gebührenpflichtige Verwarnung hinter dem Scheibenwischer weg. Von der Straftat ist die bloße Ordnungswidrigkeit zu unterscheiden. § 29 Versammlungsgesetz "Ordnungswidrig handelt, wer... bei einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel, einem Aufzug oder einer sonstigen öffentlichen Veranstaltung unter freiem Himmel oder auf dem Weg dorthin Gegenstände, die geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern, mit sich führt“ Wer sich ordnungswidrig verhält, macht sich nicht strafbar. Die Strafe bleibt den Fällen vorbehalten, in denen diese schärfste Form staatlicher Reaktion wirklich notwendig, ein Verhalten also straf-„würdig“ ist. Dagegen sind Zuwiderhandlungen gegen Gebote und Verbote, bei denen man nicht von einem kriminellen Tun sprechen kann, nicht mit Strafe bedroht. Ob ein Verhalten eine Straftat oder nur eine Ordnungswidrigkeit ist, bestimmt das Gesetz. Bloß „ordnungswidrig“ verhält sich zum Beispiel, wer bei Rot über die Straße geht, wer eine leere Zigarettenschachtel auf den Fußweg wirft oder wer ein Geschäft eröffnet, ohne dies der Behörde anzuzeigen. Auch diese und ähnliche Zuwiderhandlungen gegen staatliche Gebote und Verbote können geahndet werden. Verfolgung und Ahndung obliegen nicht den Gerichten, sondern den Verwaltungsbehörden. Sie können gegen den Betroffenen einen Bußgeldbescheid bis zu 1 .000,- DM und zum Teil sogar noch erheblich höher, erlassen. Ist die Ordnungswidrigkeit nur geringfügig, kann der Betroffene gebührenfrei verwarnt oder mit einem Verwarnungsgeld von 5 bis 75 DM belegt werden. 7. Kapitel Strafrecht 151 Das Rückwirkungsverbot führt also dazu, dass jeder im Gesetz nachlesen kann, ob etwas strafbar ist? Stimmt genau. Und tatsächlich bestraft wird nur, wer - den in einer Strafbestimmung beschriebenen Straftatbestand erfüllt und dabei - rechtswidrig und - schuldhaft handelt. Das ist wieder schwierig. Dann wollen wir es mit einem Fall erklären: Gebührenpflichtige Verwarnung und Bußgeldbescheid Der Vergleich zeigt: Wer mit der Verwarnung einverstanden ist und das Verwarnungsgeld zahlt. kommt billiger weg. Er spart die Kosten für das Bußgeldverfahren. Zum Nachlesen: §§ 1 StGB, 35, 56, 65 OrdnungswidrigkeitenG, 29 VersammlungsG 152 Fall 24 Straftatbestand Frau Ziegler geht zur Garderobenwand in einem Wirtshaus, um ihren Mantel zu holen. Da sie dort einen sehr schönen Mantel eines anderen Gastes sieht, lässt sie ihren zurück und nimmt den anderen mit. Ist Frau Ziegler wegen Diebstahls strafbar? Frau Ziegler getan hat, erfüllt also den Tatbestand des Diebstahls. Da sie den Mantel auch ganz bewusst weggenommen hat, ist sie wegen Diebstahls strafbar. Strafbar ist übrigens nicht nur die Vollendung der Tat, sondern bei schweren Straftaten auch der Versuch: Fall 25 Versuch Wir lesen § 242 Strafgesetzbuch: „Diebstahl. Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, dieselbe sich rechtswidrig zuzueignen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Der Versuch ist strafbar.“ Nun prüfen wir, ob Frau Ziegler mit ihrem Handeln diesen Straftatbestand erfüllt hat: Bei dem Mantel handelte es sich um eine »bewegliche Sache«. Er war für Frau Ziegler auch »fremd«, da er einem anderen Gast gehört. Frau Ziegler hat den Mantel auch »weggenommen((, und zwar »in der Absicht. ihn sich rechtswidrig zuzueignen«. Das, was Der Angestellte Wolf will nachts die Ladenkasse stehlen. Durch ein Fenster, das er zu Geschäftsschluss heimlich entriegelt hat, gelangt er in den Büroraum. Als er gerade dabei ist, die Tür zum Büroraum aufzustemmen, hört er Schritte und verschwindet. Was bedeutet das strafrechtlich? Zum Nachlesen: §§ 22 ff, 32, 223, 242 StGB 7. Kapitel Strafrecht Auch wenn Herr Wolf nicht ans Ziel kam, so hat er doch durch sein Verhalten seinen verbrecherischen Willen bewiesen. Da das Gesetz auch den versuchten Diebstahl unter Strafe stellt, hat Wolf den Tatbestand des versuchten Diebstahls erfüllt. Vom Versuch zu unterscheiden ist allerdings die bloße Vorbereitungshandlung: Wer etwa Einbruchswerkzeug kauft oder den Einbruchsort auskundschaftet, hat noch keinen strafbaren Diebstahlsversuch begangen. Und auch ein Versuch bleibt straflos, wenn der Täter vor Vollendung der Tat sein Vorhaben freiwillig aufgibt. Wäre in unserem Fall Herr Wolf nicht verschwunden, weil er Schritte hörte, sondern weil er plötzlich Gewissensbisse bekam, dann läge ein strafbefreiender Rücktritt vom Versuch vor. Soviel zum Straftatbestand. Neben der Verwirklichung des Tatbestandes ist erforderlich, dass die Tat rechtswidrig ist, also der Rechtsordnung widerspricht. 153 Ist das nicht immer der Fall? Fall 26 Rechtfertigung Normalerweise ist eine Tat, die einen Straftatbestand erfüllt, rechtswidrig. Die Rechtswidrigkeit entfällt aber, wenn besondere Gründe vorliegen, die die Tat rechtfertigen. Der Raufbold Eddi schlägt dem gehbehinderten Herrn Dirk ohne Anlass mit der Faust ins Gesicht. Dirk wehrt sich mit dem Krückstock. Eddi erleidet schwere Kopfverletzungen. Hat sich Herr Dirk strafbar gemacht? 7. Kapitel Strafrecht Mit dem Schlag auf Eddis Kopf hat Herr Dirk den Tatbestand einer Körperverletzung erfüllt. Eine solche Tat wäre normalerweise rechtswidrig. Hier lag jedoch eine Notwehrlage vor, in der man einen rechtswidrigen Angriff mit dem hierfür angemessenen Mittel abwehren darf. Zweifel bestehen allenfalls, ob der Schlag mit dem Krückstock, der zu schweren Kopfverletzungen führte, angemessen war. Das ist aber zu bejahen, weil es dem gehbehinderten Dirk nicht zumutbar war, sich mit Eddi auf ein Handgemenge einzulassen. Herr Dirk hatte einen Rechtfertigungsgrund, handelte somit nicht rechtswidrig und hat sich deshalb nicht strafbar gemacht. Was für Rechtfertigungsgründe gibt es noch? Neben der Notwehr ist die Einwilligung besonders wichtig: Sie rechtfertigt den operativen Eingriff des Arztes ebenso wie den erlaubten Schlag des Boxers im Ring. Ein weiteres Beispiel ist das elterliche Erziehungsrecht: Es rechtfertigt eine angemessene körperliche Züchtigung. 154 Wer einen Straftatbestand erfüllt und keinen Rechtfertigungsgrund hat, ist also strafbar? Nicht unbedingt. Denn das deutsche Strafrecht ist Schuldstrafrecht: Ein Täter darf nur bestraft werden, wenn ihm auch ein Schuldvorwurf gemacht werden kann. Das setzt voraus, dass der Täter schuldfähig ist und vorsätzlich oder fahrlässig handelt: - Schuldfähigkeit fehlt Kindern unter 14 Jahren und Personen, die, zum Beispiel wegen einer Geisteskrankheit, nicht zurechnungsfähig sind. - Vorsatz liegt vor, wenn der Täter die Tat willentlich und wissentlich begeht. - Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Täter die Tatfolgen herbeiführt, weil er die nach den Umständen gebotene und ihm auch mögliche Sorgfalt außer acht lässt. Fahrlässige Taten werden nur bestraft, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt. Fall 27 Fahrlässigkeit Der Jäger Jakobi ist auf Wildschweinjagd. Als er es im Unterholz rascheln hört, schießt er los. Er trifft einen Pilzsucher, der an den Schussverletzungen stirbt. Strafbarkeit von Jakobi? Da Jakobi ein Wildschwein und nicht den Pilzsucher töten wollte, handelte er ohne Vorsatz. Deshalb scheidet eine Strafbarkeit wegen vorsätzlicher Tötung aus. Doch auch wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht, macht sich strafbar. Weil Jakobi auf ein nicht klar erkennbares Ziel schoss, ließ er die gebotene Sorgfalt außer acht. Zumal als Jäger hätte er seine Pflicht auch erkennen und die Tatfolgen vorhersehen können. Herr Jakobi ist wegen fahrlässiger Tötung strafbar. Zum Nachlesen: §§ 15, 19,20,212 StGB 7. Kapitel Strafrecht Stehen alle Strafvorschriften im Strafgesetz? Strafvorschriften Das Strafgesetzbuch enthält die wichtigsten Bestimmungen des Strafrechts. Daneben gibt es aber noch zahlreiche Strafbestimmungen, die in vielen verschiedenen Gesetzen verstreut sind, zum Beispiel im Straßenverkehrsgesetz, in der Abgabenordnung, im Bundesimmissionsschutzgesetz, im Sprengstoffgesetz, in der Gewerbeordnung, im Waffengesetz, im Wirtschaftsstrafgesetz usw.. Einen Überblick über wichtige Bestimmungen des Strafgesetzbuchs geben die beiden folgenden Seiten: 7. Kapitel Strafrecht 155 Wichtige Strafvorschriften Strafvorschrift Strafbare Verhaltensweise Strafdrohung Widerstand § 113 StGB Widerstand gegen Amtshandlungen von Polizei, Soldaten oder Vollstreckungsbeamten. bis zu 5 Jahren oder Geldstrafe Falschaussage § 153 StGB Falsche Aussage als Zeuge oder Sachverständiger, z.B. vor Gericht. 3 Monate bis zu 5 Jahren Beleidigung §I85 StGB Angriff auf die persönliche Ehre durch Wort und Tat. bis zu 2 Jahren oder Geldstrafe Mord § 211 StGB Heimtückische oder grausame Tötung oder Tötung, um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken oder aus Habgier, aus Mordlust oder sonst aus niedrigen Beweggründen. lebenslänglich Totschlag §212StGB Vorsätzliche Tötung ohne Mordmerkmale. 5 Jahre bis lebenslänglich Körperverletzung §§ 223,224StGB Beeinträchtigung von Körper oder Gesundheit. bis zu 5 Jahren oder Geldstrafe Nötigung § 240 StGB Aufzwingen eines bestimmten Verhaltens durch Gewalt oder Androhung eines Übels. bis zu 5 Jahren oder Geldstrafe Diebstahl §§ 242,243 StGB Wegnahme einer fremden beweglichen Sache, um sie zu behalten. bis zu 10 Jahren oder Geldstrafe 7. Kapitel Strafrecht 156 Strafvorschrift Strafbare Verhaltensweise Strafdrohung Unterschlagung § 246 StGB Zueignung einer fremden beweglichen Sache, die der Täter in Besitz hat. bis zu 5 Jahren oder Geldstrafe Raub § 249 StGB Wegnahme einer fremden beweglichen Sache mittels Gewalt oder Drohung. um sie zu behalten. 6 Monate bis zu 15 Jahren Erpressung § 253 StGB Aufzwingen eines bestimmten Verhaltens durch Gewalt oder Androhung eines Übels, um sich zu bereichern. bis zu 15 Jahren oder Geldstrafe Betrug § 263 StGB Vorspiegelung falscher Tatsachen, um auf Kosten eines anderen einen Vermögensvorteil zu erreichen. bis zu 10 Jahren oder Geldstrafe Urkundenfälschung § 267 StGB Herstellung einer unechten oder Verfälschen einer echten Urkunde oder Benutzen einer solchen Urkunde, jeweils zur Täuschung im Rechtsverkehr. bis zu 15 Jahren oder Geldstrafe Sachbeschädigung § 303 StGB Beschädigen oder Zerstören einer fremden Sache. bis zu 2 Jahren oder Geldstrafe Verkehrsgefährdung § 315 c StGB Führen eines Fahrzeugs in fahruntüchtigem Zustand oder in grob verkehrswidriger oder rücksichtsloser Weise, wodurch andere Menschen oder fremde Sachen gefährdet werden. bis zu 5 Jahren oder Geldstrafe Trunkenheit § 316 StGB Führen eines Fahrzeugs im fahruntüchtigem Zustand, ohne dass andere Menschen oder fremde Sachen gefährdet werden. bis zu 1 Jahr oder Geldstrafe Bestechung § 333 StGB Angebot eines Vorteils gegenüber einem Amtsträger für die Vornahme einer Diensthandlung oder einem Richter für die Vornahme einer richterlichen Handlung. bis zu 3 Jahren oder Geldstrafe 7. Kapitel Strafrecht 157 Fall 29 Gehilfe Wie ist es eigentlich, wenn mehrere zusammen eine Straftat begehen? Mehrere Tatbeteiligte Führen mehrere eine Straftat gemeinsam aus, so wird jeder Mittäter als Täter bestraft: Fall 28 Mittäter Emil und Fred sind »blank« und wollen das ändern. Als eine ältere Frau vorbeikommt, spricht Emil sie an, um sie abzulenken. Fred reißt ihr die Handtasche weg. Die Beute wird später „redlich“ geteilt. Strafbarkeit der beiden? Emil und Fred haben einen Raub begangen. Da sie dabei ganz bewusst arbeitsteilig zusammengewirkt haben, sind sie Mittäter und werden beide als Räuber bestraft. Obwohl der Emil die Frau doch nur angesprochen hat? Zum Nachlesen: §§ 25, 27, 243, 249 StGB Dennoch. Welchen Teil der Tatausführung der einzelne übernimmt, ist ohne Bedeutung. Mittäter ist deshalb zum Beispiel auch der Bandenchef, der den Banküberfall plant. am Tatort aber selbst gar nicht mitwirkt. Entscheidend ist, ob jemand über den Ablauf der Straftat mitentscheidet und ein eigenes Interesse an ihrem Erfolg hat. Will jemand die Straftat nicht selbst begehen, sondern nur die Tat eines anderen unterstützen, so ist er nicht Mittäter, sondern Gehilfe: Der Gewohnheitseinbrecher Jonny verspricht sich in der Villa eines Geschäftsmanns gute Beute. Um nicht überrascht zu werden, bittet er seinen Freund Henk, Schmiere zu stehen. Dieser tut das für 100,- DM. Jonny lässt Sachen im Wert von 50.000,- DM mitgehen. Strafbarkeit von Jonny und Henk? Weil Jonny die Sachen nicht nur wegnahm, sondern zur Ausführung der Tat in ein Gebäude einbrach, wird er wegen schweren Diebstahls bestraft. Henk dagegen war nur Gehilfe. Er wollte die Straftat eines anderen lediglich unterstützen. Weder konnte er über den Ablauf der Tat selbst entscheiden, noch hatte er ein eigenes Interesse an einer mehr oder weniger großen Beute. 7. Kapitel Strafrecht 158 Wird der Gehilfe auch bestraft? Fall 30 Anstiftung Ja. allerdings milder als der Täter. Die Strafe für den Gehilfen darf höchstens drei Viertel der für den Täter angedrohten Höchststrafe betragen. Henk ist also wegen Beihilfe zu einem schweren Diebstahl zu bestrafen. Als Ede seinen Freund Gustav anpumpen will meint dieser: „Ich habe selber nichts. Aber der Typ da drüben hat ganz schön Scheine in der Tasche. Sei nicht dumm und hol sie Dir. Ich täts ja selber, aber Du weißt, ich hab noch Bewährung“. Gustav geht, Ede überfällt den Mann und nimmt ihm die Brieftasche mit dem Geld weg. Wie sind Gustav und Ede zu bestrafen? Und wenn man einem anderen zu einer Straftat rät, ist das ebenfalls strafbar? Ja. Auch wer in jemandem den Entschluss zu einer Straftat hervorruft, macht sich strafbar: Ede ist wegen Raubes zu bestrafen. Und Gustav ist wegen Anstiftung zum Raub strafbar, da er in Ede den Entschluss zu dieser Straftat hervorrief. Eine Strafmilderung sieht das Gesetz für den Anstifter nicht vor. Er wird also gleich dem Täter bestraft. Gustav sagte, er habe noch Bewährung. Was versteht man darunter? Zum Nachlesen: §§ 57, 57 a, 249 StGB, 455 StPO Unter bestimmten gesetzlich geregelten Voraussetzungen kann das Gericht eine Freiheitsstrafe zur Bewährung aussetzen. Strafvollstreckung Bewährung bedeutet, dass der Verurteilte eine Freiheitsstrafe ganz oder zum Teil nicht verbüßen muss, wenn er sich während eines bestimmten Zeitraums straffrei verhält. Ein Urteil, das auf Geldstrafe lautet, kann nicht zur Bewährung ausgesetzt werden. Zu Strafe Verurteilte in Bayern im Jahr 1995 Geldstrafe Freiheitsstrafe, Strafarrest (ohne Jugendstrafe) davon zur Bewährung ausgesetzt Jugendstrafe davon zur Bewährung ausgesetzt insgesamt zu Strafe Verurteilte 112445 24608 17546 2490 1709 139543 159 Nicht jede Freiheitsstrafe muss »abgesessen« werden. Ist zu erwarten, dass sich der Täter schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und nicht mehr straffällig werden wird, kann das Gericht Freiheitsstrafen, Strafarrest und Jugendstrafen bis zu 1 Jahr zur Bewährung aussetzen. Unter besonderen Umständen können auch Strafen bis zu 2 Jahren ausgesetzt werden. Setzt das Gericht die Strafe zur Bewährung aus, bestimmt es zugleich eine Bewährungszeit zwischen 2 und 5 Jahren. Daneben kann das Gericht dem Verurteilten Auflagen machen und Weisungen erteilen. Es kann ihm zum Beispiel auferlegen, den angerichteten Schaden wieder gut zu machen oder ein Bußgeld an eine Wohltätigkeitseinrichtung zu bezahlen. Es kann ihn aber auch anweisen, sich regelmäßig bei einer bestimmten Stelle zu melden oder einer geregelten Arbeit nachzugehen. Während der Bewährungszeit hat der Täter die Chance, durch ein straffreies Leben zu zeigen, dass er sich wieder in die Gemeinschaft einfügen will. Um ihn dabei zu unterstützen, kann ihm das Gericht einen Bewährungshelfer zur Seite stellen. Eine Hauptaufgabe des Bewährungshelfers ist es, dem Straffälligen trotz der schwierigen Arbeitsmarktlage zu einem Arbeitsplatz zu verhelfen. Hält sich der Verurteilte bis zum Ende der Bewährungszeit straffrei und befolgt er auch die Auflagen und Weisungen, so wird die zur Bewährung ausgesetzte Strafe erlassen. Anderenfalls widerruft das Gericht die Bewährung, und der Verurteilte muss die Strafe verbüßen. Dies zeigt: Der Straftäter wird nur nach mehrmaligem hartnäckigem Verstoß gegen die Rechtsordnung oder nach besonders schwerwiegenden Rechtsverletzungen zu einer tatsächlichen Freiheitsstrafe verurteilt. Weitere Entscheidungen über die Vollstreckung der Freiheitsstrafe sind der Strafaufschub, die Strafunterbrechung und die Aussetzung des Strafrests zur Bewährung: Strafaufschub kann die Vollstreckungsbehörde gewähren, wenn die Vollstreckung der Freiheitsstrafe noch nicht begonnen hat, und sich der Verurteilte zum Beispiel in fachärztliche Behandlung begeben muss. Strafunterbrechung während des Vollzugs der Freiheitsstrafe darf die Vollstreckungsbehörde nur anordnen, wenn der Gefangene wegen körperlicher 7. Kapitel Strafrecht oder geistiger Erkrankung für längere Zeit vollzugsuntauglich ist. Aussetzung des Strafrests zur Bewährung ordnet das Gericht an, wenn zwei Drittel (in Ausnahmefällen auch nur die Hälfte) der Strafe verbüßt sind und die Probe verantwortet werden kann, ob sich der Gefangene in Freiheit straffrei verhält. Unter den gleichen Voraussetzungen setzt das Gericht den Rest einer lebenslangen Freiheitsstrafe nach 15 Jahren zur Bewährung aus, soweit nicht die besondere Schwere der Schuld des Verurteilten die lebenslange Freiheitsentziehung gebietet. Gibt es einen Unterschied zwischen Bewährung und Begnadigung? Die Strafaussetzung zur Bewährung ist eine im Strafgesetzbuch geregelte ganz normale gerichtliche Maßnahme. Sie gibt dem Verurteilten die Chance, sich durch sein Wohlverhalten den Straferlass selbst zu verdienen. Dagegen ist der Straferlass durch Gnadenerweis die seltene Ausnahme. Er wird dem Täter als ein Akt des Wohlwollens gewährt (vgl. S. 30). 160 Was bezweckt der Staat, wenn er jemanden einsperrt? ein rechtstreues Leben vorzubereiten. Hierzu gehört insbesondere: Die Aufgaben des Strafvollzugs sind: - Resozialisierung des Gefangenen und Sicherung der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten. Wenn es mit dem Strafvollzug gelingt, einem möglichst großen Teil der Strafgefangenen zu helfen, nicht mehr. rückfällig zu werden, leistet die Resozialisierung zugleich einen wesentlichen Beitrag zur Sicherheit der Allgemeinheit. § 2 Strafvollzugsgesetz „Aufgaben des Vollzugs. Im Vollzug der Freiheitsstrafe soll der Gefangene fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen. Der Vollzug der Freiheitsstrafe dient auch dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten.“ Während des Vollzugs der Freiheitsstrafe ist es Aufgabe der Justizvollzugsanstalten, alles Vertretbare zu tun, um dem Gefangenen zu helfen, nicht mehr rückfällig zu werden und ihn für - die Gefangenen, die keine abgeschlossene Schulbildung haben, durch Unterricht zum 7. Kapitel Strafrecht Hauptschulabschluss zu führen. - den Gefangenen, die keinen Beruf erlernt haben, durch Ausbildung einen anerkannten Berufsabschluss zu ermöglichen, - die Gefangenen durch eine sinnvolle Tätigkeit an regelmäßige Arbeit zu gewöhnen und - die Entlassung der Gefangenen durch allmähliche Lockerung des Vollzugs, beispielsweise Beschäftigung außerhalb der Anstalt, vorzubereiten. Die Jugendstrafe wird in eigenen Jugendstrafanstalten vollzogen. Hier wird auf die Aus- und Fortbildung der jungen Gefangenen und ihre Hinführung zur Arbeit besonderer Wert gelegt: Berufsschulunterricht, Unterricht in Lehrwerkstätten, Erwerb des einfachen oder qualifizierten Hauptschulabschlusses oder des Realschulabschlusses, aber auch Unterricht für Lernschwache wird im Jugendstrafvollzug durchgeführt. Daneben sind Ordnung, Leibesübungen und sinnvolle Beschäftigung in der freien Zeit die Grundlagen der Erziehungsarbeit. Um die Aufgaben des Strafvollzugs sachgerecht zu erfüllen, gehören zum Vollzugsdienst auch Seelsorger, Ärzte, Pädagogen, Psychologen und Sozialarbeiter.