7. Kapitel

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7. Kapitel
Strafrecht
143
Zu den privaten Rechtsbeziehungen mag
das nun genügen. Doch schlagen wir
noch einmal zurück auf Seite 129 und
lesen Fall 17.
7. Kapitel
Wo es um die Herausgabe des
gestohlenen Fahrrads geht?
Das Strafgesetzbuch, aber auch
zahlreiche andere Gesetze, bedrohen den
Rechtsbruch mit Strafe. Die Strafe soll
abschrecken, erziehen und die
Gemeinschaft vor dem Täter sichern. Sie
soll aber auch Sühne sein für ein
schuldhaft begangenes Unrecht. Strafbar
ist
nur, was das Gesetz mit Strafe bedroht.
Auch Inhalt und Umfang der staatlichen
Strafbefugnis sind gesetzlich genau
bestimmt.
Ja. Die Lösung kennen wir: Der Dieb
muss das gestohlene Rad zurückgeben
und, wenn er es beschädigt hat,
Schadensersatz leisten. Hierdurch wird
der ursprüngliche Zustand
wiederhergestellt. Was aber fehlt, ist eine
Reaktion auf das rechtsfeindliche
Verhalten des Diebes und die damit
bewirkte Störung des Rechtsfriedens.
Dafür droht das Gesetz strafrechtliche
Folgen an.
Der Mensch,
der das Recht bricht
144
Weshalb behandeln wir das Privatrecht
und das Strafrecht getrennt?
Weil es dabei um ganz verschiedene
Rechtsbereiche mit unterschiedlichen
Rechtswirkungen geht:
- Die Frage nach Herausgabe des
Fahrrads oder nach Schadensersatz
betrifft das Privatrecht. Auf der
privatrechtlichen Ebene der
Gleichordnung (vgl. S. 90) bleibt es jedem
selbst überlassen, ob er seine Ansprüche
geltend macht. Der Staat kümmert sich
darum nicht.
- Die Frage der Strafbarkeit gehört
dagegen zum öffentlichen Recht.
Hier steht der Staat zum Bürger in einem
Über-/Unterordnungsverhältnis. Ob ein
Täter verfolgt und bestraft wird,
entscheidet allein der Staat
(sogenanntes Offizialprinzip). Andererseits
sind die Strafverfolgungsbehörden bei
Verdacht einer Straftat grundsätzlich zum
Einschreiten verpflichtet (sogenanntes
Legalitätsprinzip).
7. Kapitel
Strafrecht
Auch wenn der Geschädigte die
Bestrafung nicht will?
Wieso darf der Staat überhaupt jemanden
bestrafen?
Staatliche Strafe
Weil es für das friedliche Zusammenleben
der Menschen in der Gemeinschaft
notwendig ist: Zum einen fordert das
herrschende Rechtsgefühl eine gerechte
Sühne für die Verletzung
schwerwiegender Rechtsgüter. Zum
anderen dient die Strafe der
Abschreckung, damit künftige Straftaten
unterbleiben. Beide Gründe, Sühne und
Abschreckung, rechtfertigen die Strafe.
Auch dann. Denn der staatliche
Strafanspruch entsteht, ohne dass es
dabei auf den Willen der Beteiligten
ankommt.
Und wie ist das mit dem Strafantrag?
Eine gute Frage. Es gibt tatsächlich einige
Strafbestimmungen, die vorsehen, dass
eine Tat nur auf Antrag des Verletzten
verfolgt wird. Das ist insbesondere bei
Beleidigung, leichter oder fahrlässiger
Körperverletzung, Hausfriedensbruch oder
bei einfacher Sachbeschädigung der Fall.
Von solchen Ausnahmen abgesehen
werden Straftaten aber von Staats wegen
verfolgt.
Übrigens schreitet die
Strafverfolgungsbehörde auch bei leichter
oder fahrlässiger Körperverletzung und
bei einfacher Sachbeschädigung von
Amts wegen ein, wenn ein besonderes
öffentliches Interesse an der
Strafverfolgung vorliegt.
Punitur quia peccatum est,
punitur ne peccetur.
(Bestraft wird, weil Unrecht geschah,
bestraft wird, damit kein Unrecht geschieht.)
Zum Nachlesen:
§§ 77, 123, 185, 194,223,232,303,
303 c StGB, 152, 160, 163 stopp
145
„Peinliches Recht“, so nannte man
früher das Strafrecht. Bereits diese
Bezeichnung macht deutlich, dass es
beim Strafen um das Zufügen eines
Übels ging. Auch heute droht die Strafe
ein Übel an. Doch haben sich die
Erscheinungsformen der Strafe im Laufe
der Jahrhunderte stark gewandelt:
qualvolle Todesarten aus: Beispielsweise
das Rädern, das Vierteilen, das Ertränken,
das Sieden in Öl, das Lebendigbegraben,
das Pfählen.
In früher Zeit war die Strafe von privater
Rache und Vergeltung geprägt. Wer den
Rechtsfrieden brach, wurde zum Feind
des Verletzten. Es kam zur Fehde, also
zur Sippenfeindschaft und Blutrache. In
besonders schweren Fällen wurde der
Täter »friedlos an Leib und Gut«. Er verlor
sämtliche Rechte, und jeder durfte ihn
töten.
In der Fränkischen Zeit gewann die
staatliche Strafgewalt zunehmend an
Bedeutung und verdrängte bis zum
Ausgang des Mittelalters die
Privatstrafen. Strafzweck war neben der
Vergeltung die Abschreckung. Deshalb
waren die Strafen überaus hart und
grausam.
Die Todesstrafe war häufig: Diebe,
Räuber oder Ehebrecher wurden gehängt
oder enthauptet. Für schwere Verbrechen
wie Mord, Hochverrat (vgl. S. 40) oder
Hexerei dachte man sich besonders
Rädern und Enthaupten.
Während das Enthaupten für männliche und
weibliche Straftäter üblich war, wurde die
Vollstreckungsart des Räderns nur an Männern
vollzogen: Die Glieder wurden mit einem Rad
zerschlagen, der Körper in die Speichen des
Rades »geflochten«, und das Rad dann auf
einen Pfosten gesteckt (Darstellungen aus dem
14. Jahrhundert).
Mehr über früheres Recht steht im Sonderteil
auf den Seiten 73 bis 86.
7. Kapitel
Strafrecht
Leibesstrafen wurden oft nach der
alttestamentarischen Vorstellung „Auge
um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand,
Fuß um Fuß“ (2. Mose 21, 24) als
spiegelnde Strafen verhängt: Beispiele
sind das Abhauen der Schwurhand bei
Meineid, das Ausreißen der Zunge bei
Gotteslästerung, das Abschneiden
einzelner Finger bei kleinen Diebstählen
und andere Strafen „an Hals und Hand“.
146
Waren die Vergehen gering, ging die
Leibesstrafe nur „zu Haut und Haar“. So
mussten Faulenzer oder Nichtstuer am
Pranger stehen. streitsüchtige Frauen ein
Halseisen tragen oder wer anderen etwas
Übles nachredete, musste eine
Schandmaske aufsetzen (s. u.).
Die Freiheitsstrafe war ebenfalls
Leibesstrafe, da sie die Gefangenen in
dunklen Türmen oder unterirdischen
Verliesen Hunger, Kälte, Ungeziefer und
anderen Qualen aussetzte. Weitere
Straffolgen waren Verbannung,
Stadtverweisung, Strafknechtschaft und
Vermögensentziehung. Auch Geldbußen
wurden den Tätern auferlegt. Sie dienten
teils der Sühne, teils dem
Schadensersatz.
Zur Vergeltung und Abschreckung blieben
die Strafen bis ins 18. Jahrhundert hinein
hart und grausam. Erst im 19.
Jahrhundert entfielen
Verstümmelungsstrafen und die qualvolle
Durchführung von Hinrichtungen. Die
Strafarten wurden auf Todes-,
Zuchthaus-, Gefängnis- und
Geldstrafen beschränkt.
In der Bundesrepublik Deutschland ist
die Todesstrafe seit Inkrafttreten des
Grundgesetzes am 24. Mai 1949
abgeschafft. Und auch in Zuchthaus- und
Gefängnisstrafe wird bei uns seit 1969
nicht mehr unterschieden.
Das geltende Strafrecht kennt
- Hauptstrafen,
- Nebenstrafen, Nebenfolgen und
- Maßregeln der Besserung und
Sicherung.
Hauptstrafen sind
- Freiheitsstrafe: Sie kann zwischen 1
Monat und 15 Jahren betragen oder
lebenslang sein. Die lebenslange
Freiheitsstrafe ist die schwerste Strafe des
deutschen Strafrechts.
7. Kapitel
Strafrecht
- Vermögensstrafe: Sie dient dazu, den
aus der Tat erlangten Gewinn
abzuschöpfen. Das Gericht kann die
Strafe in bestimmten Fällen neben einer
Freiheitsstrafe von mehr als 2 Jahren
anordnen, zum Beispiel gegen Mitglieder
einer Geldfälscherbande oder eines
Bandendiebstahls.
- Geldstrafe: Sie beträgt je nach Schuld
des
Täters und Umständen der Tat 5
bis 360 Tagessätze. Ein Tagessatz wird je
nach finanzieller Belastbarkeit des Täters
mit
2.- bis 10.000,- DM festgesetzt.
- Strafarrest: Er wird nach dem
Wehrstrafgesetz gegen Soldaten wegen
militärischer Straftaten verhängt und kann
zwischen 2 Wochen und 6 Monaten
betragen.
- Jugendstrafe: Sie wird gegen
Jugendliche oder nach Jugendstrafrecht
zu verurteilende Heranwachsende
verhängt (vgl. S. 93).
Nebenstrafen und Nebenfolgen sind zum
Beispiel
- Fahrverbot: Es kann bei Straftaten
ausgesprochen werden, die beim Führen
eines Kraftfahrzeugs begangen werden.
147
- Amtsverlust, also der Verlust der
Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden,
und Verlust des aktiven Wahlrechts: Diese
Nebenfolgen treten für die Dauer von 5
Jahren für jeden ein, der wegen eines
Verbrechens zu einer Freiheitsstrafe von
mindestens 1 Jahr verurteilt wird.
Maßregeln der Besserung und
Sicherung
sind zum Beispiel
- Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus oder einer
sozialtherapeutischen Anstalt, falls der
Täter beispielsweise geisteskrank ist.
- Unterbringung in einer
Entziehungsanstalt bei Alkohol- oder
Rauschgiftsüchtigen.
- Berufsverbot, wenn der Täter die Straftat
unter Missbrauch seines Berufs beging.
Die Maßnahmen, mit denen der Staat
heute auf Straftaten antwortet, sind
menschlich geworden. Dennoch bleibt das
Strafrecht der Bereich, in dem mit
öffentlicher Gewalt am härtesten in die
Freiheit und das Vermögen von Bürgern
eingegriffen wird. Jeder staatliche Eingriff
muss deshalb durch den Schutz wichtiger
Rechtsgüter gerechtfertigt sein.
Zum Nachlesen:
§§ 38 ff, 43a, 61ff, 70, 73 StGB
Wichtigster Zweck der Strafe ist es,
dass Verstöße gegen die
Rechtsordnung unterbleiben. Schon
das bloße Dasein des Strafrechts soll alle
Menschen von strafbaren Handlungen
abhalten. Diese sogenannte
generalpräventive Wirkung erfordert eine
schnelle Strafverfolgung, die jedem klar
macht, dass sich eine Straftat nicht lohnt.
Die Strafe hat aber auch spezialpräventive
Wirkung: Sie soll den Täter selbst von
künftigen Straftaten abschrecken, ihn
erziehen und die Gesellschaft dauernd
oder auf Zeit vor diesem Täter sichern.
Daneben bedeutet die Strafe auch heute
noch Vergeltung und Sühne für ein
begangenes Unrecht.
Vergeltung und Sühne setzen Schuld
voraus. Sie fehlt zum Beispiel beim
geisteskranken Mörder. Ihn für sein Tun
zu bestrafen, wäre nichts anderes, als
wenn man einen Erbkranken für sein
Schicksal zur Verantwortung ziehen
wollte. Doch auch vor dem
geisteskranken Täter muss unsere
Gesellschaft geschützt werden. Dies
geschieht nicht durch Strafe, sondern
durch eine Maßregel der Besserung
und Sicherung, etwa durch
Unterbringung in einer Heil- und
Pflegeanstalt. Maßstab für die Anwendung
von Maßregeln ist nicht die Schuld des
7. Kapitel
Strafrecht
Täters, sondern das Schutzbedürfnis der
Gesellschaft.
Fall 21 Strafe und Maßregel
Der Aushilfskellner Kirsch war auf das
Knacken von Zigarettenautomaten
spezialisiert. Da er nur in entlegenen
Gegenden »arbeitete« und nach dem
Aufbrechen der Automaten in seinem Pkw
mit der Beute stets schnell davonfuhr,
blieb er längere Zeit unentdeckt. Erst als
er auf der Flucht mit überhöhter
Geschwindigkeit die Vorfahrt missachtete
und einen schweren Verkehrsunfall
verursachte, konnte er gefasst werden.
Wie wurde Kirsch bestraft?
Herr Kirsch wurde wegen fortgesetzten
schweren Diebstahls und Gefährdung des
Straßenverkehrs zu 1 Jahr und 6 Monaten
Freiheitsstrafe verurteilt (= Hauptstrafe).
Zudem ordnete das Gericht die
Einziehung des bei der Straftat
verwendeten Pkw an (= Nebenstrafe),
entzog Kirsch die Fahrerlaubnis und
setzte eine Sperrfrist von 2 Jahren fest,
innerhalb der ihm keine neue
Fahrerlaubnis erteilt werden darf
(=Maßregel der Sicherung und
Besserung).
148
Im Jugendstrafrecht erfahren junge
Straftäter eine Sonderbehandlung:
Nicht der Gedanke der Abschreckung,
sondern die Erziehung steht hier im
Vordergrund. Das gilt umso mehr, je
leichter die Straftat ist. Deshalb wird
Jugendstrafe, also Freiheitsentzug in einer
Jugendstrafanstalt, nur bei stark rückfallgefährdeten jungen Straftätern oder bei
besonders schweren Straftaten verhängt.
Bei etwa 85 Prozent der überführten
jungen Leute kommt es dagegen lediglich
zu erzieherischen Maßnahmen ohne
Strafcharakter. Solche Maßnahmen sind
Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel.
Erziehungsmaßregeln sollen
Erziehungsmängeln entgegenwirken.
Der Jugendrichter kann dem Jugendlichen
beispielsweise folgende Weisungen
auferlegen:
- in einem Heim zu wohnen,
- eine Lehr- oder Arbeitsstelle
anzunehmen,
- mit bestimmten Personen nicht zu
verkehren,
- keine Gast- oder Vergnügungsstätten zu
besuchen,
- zum Verkehrsunterricht zu gehen oder
- Arbeitsleistungen zu erbringen;
als Erziehungshilfe kann der
Jugendrichter
- einen Erziehungsbeistand oder
- die Unterbringung in einer betreuten
Wohnform (Fürsorgeerziehung)
anordnen.
Mittlerweile ist die Weisung. während der
Freizeit eine gemeinnützige Arbeit zu
erbringen, zum Beispiel 40 Stunden in
einem Altenheim, einem Krankenhaus, in
einer Einrichtung für Behinderte oder im
Bereich des Umweltschutzes zu arbeiten,
die wohl häufigste
jugendstrafrechtliche Maßnahme.
Hier erhält der junge Straftäter
Gelegenheit, sein
gemeinschaftsschädliches Verhalten
durch eine gemeinnützige Tätigkeit wieder
gut zumachen.
Nach
Jugendstrafrecht Verurteilte in Bayern
im Jahr 1995
Jugendstrafe
2490
Jugendarrest
3230
Wiedergutmachungsauflage 293
Geldzahlungsauflage
4154
Entschuldigungsauflage
9
Arbeitsleistung und
Entschuldigung
40
Verwarnung
2605
Heimerziehung
9
Erziehungsbeistand 41
Weisungen
2831
insgesamt Verurteilte
15134*
*
Die Zahl der Verurteilten ist geringer als die
Summe der verhängten Strafen und Maßnahmen, weil
in manchen Fällen Maßnahmen und Strafe
miteinander verbunden werden.
7. Kapitel
Strafrecht
Wenn Erziehungsmaßregeln nicht
ausreichen, um dem Jugendlichen die
Verantwortung für seine Straftat bewusst
zu machen, kann die Tat mit
Zuchtmitteln geahndet werden.
Zuchtmittel sind
- die Verwarnung; mit ihr hält der
Jugendrichter dem Jugendlichen das
Unrecht der Tat eindringlich vor; oft wird
sie mit anderen Maßnahmen verbunden;
- das Auferlegen besonderer Pflichten,
und zwar, den verursachten Schaden
nach Kräften wieder gut zu machen, sich
beim Verletzten persönlich zu
entschuldigen, Arbeitsleistungen zu
erbringen oder einen Geldbetrag an eine
gemeinnützige Einrichtung zu zahlen;
- der Jugendarrest; er wird als
Freizeitarrest bis zu 2 wöchentliche
Freizeiten verhängt, als Kurzarrest bis zu
2 Wochen oder als Dauerarrest von 1 bis
4 Wochen.
Nur wenn Erziehungsmaßregeln oder
Zuchtmittel zur Erziehung nicht
ausreichen oder die Schwere der
Schuld es erfordert, wird Jugendstrafe
verhängt. Sie beträgt mindestens 6
Monate, höchstens aber 10 Jahre.
Zum Nachlesen:
§ § 1 StGB, 5, 9 ff, 13 ff, 17 f
JugendgerichtsG
149
Fall 22 Jugendstrafrecht
Axel (16 Jahre), Fred (19 Jahre), Hannes
(22 Jahre) und Karl (13 Jahre) brechen
einen Kiosk auf und nehmen Zigaretten
und Süßigkeiten mit. Ist Jugendstrafrecht
anwendbar?
Die Vier haben einen schweren Diebstahl
begangen. Der 13 jährige Karl ist
für die Tat nicht verantwortlich, da er nicht
strafmündig ist (vgl. S. 92). Axel ist
Jugendlicher und fällt unter das
Jugendstrafrecht. Ob auch für Fred als
Heranwachsenden Jugendstrafrecht gilt,
hängt davon ab, ob er in seiner
Entwicklung noch einem Jugendlichen
gleichsteht. Hannes ist jedenfalls nach
Erwachsenenstrafrecht zu bestrafen.
Wer sagt einem eigentlich, was alles
strafbar ist?
7. Kapitel
Strafrecht
Strafbare Handlung
Das Gesetz. Eine strafbare Handlung
liegt immer nur dann vor, wenn jemand
etwas tut, das bereits zur Zeit der Tat
mit Strafe bedroht ist.
Das heißt:
- Ein Verhalten darf nicht rückwirkend
unter Strafe gestellt werden,
- die im Gesetz bestimmte Strafdrohung
darf für eine begangene Tat nicht im
nachhinein verschärft werden und
- die Merkmale für strafbares Verhalten
und die Straffolge müssen im Gesetz
genau festgelegt sein.
Kann man das an einem Fall erklären?
Ja, das wollen wir gleich tun:
Nullum crimen nulla poena sine lege.
(Kein Verbrechen,
keine Strafe ohne Gesetz.)
150
7. Kapitel
Strafrecht
Fall 23 Verbot der Rückwirkung
Ferdinand nimmt am 23. Juli an der
genehmigten „Demo gegen den
Rechtsradikalismus“ teil. Obwohl die
Sonne scheint und eine Außentemperatur
von 25° C herrscht, ist sein Gesicht bis zu
den Augen durch einen Wollschal
verdeckt. Auf dem Kopf trägt er einen
breitkrempigen Filzhut. Ferdinands
Personalien werden festgestellt. Einen
Monat später wird eine Bestimmung in
das Strafgesetzbuch aufgenommen, nach
der die vermummte Teilnahme an einer
Demonstration strafbar ist. Was bedeutet
das für Ferdinand?
Durch die vermummte Teilnahme an der
Demonstration hat Ferdinand eine
Ordnungswidrigkeit nach dem
Versammlungsgesetz begangen, die mit
einer Geldbuße geahndet werden kann.
Strafbar gemacht hat sich Ferdinand
allerdings nicht, da die Vermummung zur
Zeit der Tat, also am 20. Juli, noch nicht
mit Strafe bedroht war. Die später in Kraft
getretene Strafbestimmung darf auf
frühere Taten nicht angewendet werden.
„Schon wieder ein Strafzettel“, sagt der
Autofahrer unrichtig und zieht eine
gebührenpflichtige Verwarnung hinter dem
Scheibenwischer weg.
Von der Straftat ist die bloße
Ordnungswidrigkeit zu unterscheiden.
§ 29 Versammlungsgesetz "Ordnungswidrig
handelt, wer... bei einer öffentlichen
Versammlung unter freiem Himmel, einem
Aufzug oder einer sonstigen öffentlichen
Veranstaltung unter freiem Himmel oder auf
dem Weg dorthin Gegenstände, die geeignet
und den Umständen nach dazu bestimmt sind,
die Feststellung der Identität zu verhindern, mit
sich führt“
Wer sich ordnungswidrig verhält,
macht sich nicht strafbar. Die Strafe
bleibt den Fällen vorbehalten, in denen
diese schärfste Form staatlicher Reaktion
wirklich notwendig, ein Verhalten also
straf-„würdig“ ist. Dagegen sind
Zuwiderhandlungen gegen Gebote und
Verbote, bei denen man nicht von einem
kriminellen Tun sprechen kann, nicht mit
Strafe bedroht. Ob ein Verhalten eine
Straftat oder nur eine
Ordnungswidrigkeit ist, bestimmt das
Gesetz. Bloß „ordnungswidrig“ verhält
sich zum Beispiel, wer bei Rot über die
Straße geht, wer eine leere
Zigarettenschachtel auf den Fußweg wirft
oder wer ein Geschäft eröffnet, ohne dies
der Behörde anzuzeigen. Auch diese und
ähnliche Zuwiderhandlungen gegen
staatliche Gebote und Verbote können
geahndet werden. Verfolgung und
Ahndung obliegen nicht den Gerichten,
sondern den Verwaltungsbehörden. Sie
können gegen den Betroffenen einen
Bußgeldbescheid bis zu 1 .000,- DM und
zum Teil sogar noch erheblich höher,
erlassen. Ist die Ordnungswidrigkeit nur
geringfügig, kann der Betroffene
gebührenfrei verwarnt oder mit einem
Verwarnungsgeld von 5 bis 75 DM belegt
werden.
7. Kapitel
Strafrecht
151
Das Rückwirkungsverbot führt also dazu,
dass jeder im Gesetz nachlesen kann, ob
etwas strafbar ist?
Stimmt genau.
Und tatsächlich bestraft wird nur, wer
- den in einer Strafbestimmung
beschriebenen Straftatbestand erfüllt und
dabei
- rechtswidrig und
- schuldhaft handelt.
Das ist wieder schwierig.
Dann wollen wir es mit einem Fall
erklären:
Gebührenpflichtige Verwarnung
und Bußgeldbescheid Der
Vergleich zeigt: Wer mit der
Verwarnung einverstanden ist und
das Verwarnungsgeld zahlt. kommt
billiger weg. Er spart die Kosten für
das Bußgeldverfahren.
Zum Nachlesen:
§§ 1 StGB,
35, 56, 65 OrdnungswidrigkeitenG,
29 VersammlungsG
152
Fall 24 Straftatbestand
Frau Ziegler geht zur Garderobenwand in
einem Wirtshaus, um ihren Mantel zu
holen. Da sie dort einen sehr schönen
Mantel eines anderen Gastes sieht, lässt
sie ihren zurück und nimmt den anderen
mit. Ist Frau Ziegler wegen Diebstahls
strafbar?
Frau Ziegler getan hat, erfüllt also den
Tatbestand des Diebstahls. Da sie den
Mantel auch ganz bewusst
weggenommen hat, ist sie wegen
Diebstahls strafbar.
Strafbar ist übrigens nicht nur die
Vollendung der Tat, sondern bei
schweren Straftaten auch der Versuch:
Fall 25 Versuch
Wir lesen § 242 Strafgesetzbuch:
„Diebstahl. Wer eine fremde bewegliche Sache
einem anderen in der Absicht wegnimmt,
dieselbe sich rechtswidrig zuzueignen, wird mit
Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit
Geldstrafe bestraft.
Der Versuch ist strafbar.“
Nun prüfen wir, ob Frau Ziegler mit
ihrem Handeln diesen Straftatbestand
erfüllt hat: Bei dem Mantel handelte es
sich um eine »bewegliche Sache«. Er war
für Frau Ziegler auch »fremd«, da er
einem anderen Gast gehört. Frau Ziegler
hat den Mantel auch »weggenommen((,
und zwar »in der Absicht. ihn sich
rechtswidrig zuzueignen«. Das, was
Der Angestellte Wolf will nachts die
Ladenkasse stehlen. Durch ein Fenster,
das er zu Geschäftsschluss heimlich
entriegelt hat, gelangt er in den Büroraum.
Als er gerade dabei ist, die Tür zum
Büroraum aufzustemmen, hört er Schritte
und verschwindet. Was bedeutet das
strafrechtlich?
Zum Nachlesen:
§§ 22 ff, 32, 223, 242 StGB
7. Kapitel
Strafrecht
Auch wenn Herr Wolf nicht ans Ziel kam,
so hat er doch durch sein Verhalten
seinen verbrecherischen Willen bewiesen.
Da das Gesetz auch den versuchten
Diebstahl unter Strafe stellt, hat Wolf den
Tatbestand des versuchten Diebstahls
erfüllt.
Vom Versuch zu unterscheiden ist
allerdings die bloße
Vorbereitungshandlung: Wer etwa
Einbruchswerkzeug kauft oder den
Einbruchsort auskundschaftet, hat noch
keinen strafbaren Diebstahlsversuch
begangen. Und auch ein Versuch bleibt
straflos, wenn der Täter vor Vollendung
der Tat sein Vorhaben freiwillig aufgibt.
Wäre in unserem Fall Herr Wolf nicht
verschwunden, weil er Schritte hörte,
sondern weil er plötzlich Gewissensbisse
bekam, dann läge ein strafbefreiender
Rücktritt vom Versuch vor. Soviel zum
Straftatbestand.
Neben der Verwirklichung des
Tatbestandes ist erforderlich, dass die
Tat rechtswidrig ist, also der
Rechtsordnung widerspricht.
153
Ist das nicht immer der Fall?
Fall 26 Rechtfertigung
Normalerweise ist eine Tat, die einen
Straftatbestand erfüllt, rechtswidrig. Die
Rechtswidrigkeit entfällt aber, wenn
besondere Gründe vorliegen, die die Tat
rechtfertigen.
Der Raufbold Eddi schlägt dem
gehbehinderten Herrn Dirk ohne Anlass
mit der Faust ins Gesicht. Dirk wehrt sich
mit dem Krückstock. Eddi erleidet schwere
Kopfverletzungen. Hat sich Herr Dirk
strafbar gemacht?
7. Kapitel
Strafrecht
Mit dem Schlag auf Eddis Kopf hat Herr
Dirk den Tatbestand einer
Körperverletzung erfüllt. Eine solche Tat
wäre normalerweise rechtswidrig. Hier lag
jedoch eine Notwehrlage vor, in der man
einen rechtswidrigen Angriff mit dem
hierfür angemessenen Mittel abwehren
darf. Zweifel bestehen allenfalls, ob der
Schlag mit dem Krückstock, der zu
schweren Kopfverletzungen führte,
angemessen war. Das ist aber zu
bejahen, weil es dem gehbehinderten Dirk
nicht zumutbar war, sich mit Eddi auf ein
Handgemenge einzulassen. Herr Dirk
hatte einen Rechtfertigungsgrund,
handelte somit nicht rechtswidrig und hat
sich deshalb nicht strafbar gemacht.
Was für Rechtfertigungsgründe gibt es
noch?
Neben der Notwehr ist die Einwilligung
besonders wichtig: Sie rechtfertigt den
operativen Eingriff des Arztes ebenso wie
den erlaubten Schlag des Boxers im Ring.
Ein weiteres Beispiel ist das elterliche
Erziehungsrecht: Es rechtfertigt eine
angemessene körperliche Züchtigung.
154
Wer einen Straftatbestand erfüllt und
keinen Rechtfertigungsgrund hat, ist also
strafbar?
Nicht unbedingt. Denn das deutsche
Strafrecht ist Schuldstrafrecht:
Ein Täter darf nur bestraft werden,
wenn ihm auch ein Schuldvorwurf
gemacht werden kann. Das setzt voraus,
dass der Täter schuldfähig ist und
vorsätzlich oder fahrlässig handelt:
- Schuldfähigkeit fehlt Kindern unter 14
Jahren und Personen, die, zum Beispiel
wegen einer Geisteskrankheit, nicht
zurechnungsfähig sind.
- Vorsatz liegt vor, wenn der Täter die Tat
willentlich und wissentlich begeht.
- Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Täter
die Tatfolgen herbeiführt, weil er die nach
den Umständen gebotene und ihm auch
mögliche Sorgfalt außer acht lässt.
Fahrlässige Taten werden nur bestraft,
wenn das Gesetz es ausdrücklich
bestimmt.
Fall 27 Fahrlässigkeit
Der Jäger Jakobi ist auf Wildschweinjagd.
Als er es im Unterholz rascheln hört,
schießt er los. Er trifft einen Pilzsucher,
der an den Schussverletzungen stirbt.
Strafbarkeit von Jakobi?
Da Jakobi ein Wildschwein und nicht den
Pilzsucher töten wollte, handelte er ohne
Vorsatz. Deshalb scheidet eine
Strafbarkeit wegen vorsätzlicher Tötung
aus. Doch auch wer durch Fahrlässigkeit
den Tod eines Menschen verursacht,
macht sich strafbar. Weil Jakobi auf ein
nicht klar erkennbares Ziel schoss, ließ er
die gebotene Sorgfalt außer acht. Zumal
als Jäger hätte er seine Pflicht auch
erkennen und die Tatfolgen vorhersehen
können. Herr Jakobi ist wegen
fahrlässiger Tötung strafbar.
Zum Nachlesen:
§§ 15, 19,20,212 StGB
7. Kapitel
Strafrecht
Stehen alle Strafvorschriften im
Strafgesetz?
Strafvorschriften
Das Strafgesetzbuch enthält die
wichtigsten Bestimmungen des
Strafrechts. Daneben gibt es aber noch
zahlreiche Strafbestimmungen, die in
vielen verschiedenen Gesetzen verstreut
sind, zum Beispiel im
Straßenverkehrsgesetz, in der
Abgabenordnung, im
Bundesimmissionsschutzgesetz, im
Sprengstoffgesetz, in der
Gewerbeordnung, im Waffengesetz, im
Wirtschaftsstrafgesetz usw..
Einen Überblick über wichtige
Bestimmungen des Strafgesetzbuchs
geben die beiden folgenden
Seiten:
7. Kapitel
Strafrecht
155
Wichtige Strafvorschriften
Strafvorschrift
Strafbare Verhaltensweise
Strafdrohung
Widerstand
§ 113 StGB
Widerstand gegen Amtshandlungen von Polizei, Soldaten oder
Vollstreckungsbeamten.
bis zu 5 Jahren oder
Geldstrafe
Falschaussage
§ 153 StGB
Falsche Aussage als Zeuge oder Sachverständiger, z.B. vor Gericht.
3 Monate bis zu 5 Jahren
Beleidigung
§I85 StGB
Angriff auf die persönliche Ehre durch Wort und Tat.
bis zu 2 Jahren oder
Geldstrafe
Mord
§ 211 StGB
Heimtückische oder grausame Tötung oder Tötung, um eine
andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken oder aus Habgier, aus Mordlust oder sonst aus niedrigen Beweggründen.
lebenslänglich
Totschlag
§212StGB
Vorsätzliche Tötung ohne Mordmerkmale.
5 Jahre bis lebenslänglich
Körperverletzung
§§ 223,224StGB
Beeinträchtigung von Körper oder Gesundheit.
bis zu 5 Jahren oder
Geldstrafe
Nötigung
§ 240 StGB
Aufzwingen eines bestimmten Verhaltens durch Gewalt oder
Androhung eines Übels.
bis zu 5 Jahren oder
Geldstrafe
Diebstahl
§§ 242,243 StGB
Wegnahme einer fremden beweglichen Sache, um sie zu
behalten.
bis zu 10 Jahren oder
Geldstrafe
7. Kapitel
Strafrecht
156
Strafvorschrift
Strafbare Verhaltensweise
Strafdrohung
Unterschlagung
§ 246 StGB
Zueignung einer fremden beweglichen Sache, die der Täter in
Besitz hat.
bis zu 5 Jahren oder
Geldstrafe
Raub
§ 249 StGB
Wegnahme einer fremden beweglichen Sache mittels Gewalt
oder Drohung. um sie zu behalten.
6 Monate bis zu
15 Jahren
Erpressung
§ 253 StGB
Aufzwingen eines bestimmten Verhaltens durch Gewalt oder
Androhung eines Übels, um sich zu bereichern.
bis zu 15 Jahren oder
Geldstrafe
Betrug
§ 263 StGB
Vorspiegelung falscher Tatsachen, um auf Kosten eines anderen
einen Vermögensvorteil zu erreichen.
bis zu 10 Jahren oder
Geldstrafe
Urkundenfälschung
§ 267 StGB
Herstellung einer unechten oder Verfälschen einer echten
Urkunde oder Benutzen einer solchen Urkunde, jeweils zur
Täuschung im Rechtsverkehr.
bis zu 15 Jahren oder
Geldstrafe
Sachbeschädigung
§ 303 StGB
Beschädigen oder Zerstören einer fremden Sache.
bis zu 2 Jahren oder
Geldstrafe
Verkehrsgefährdung
§ 315 c StGB
Führen eines Fahrzeugs in fahruntüchtigem Zustand oder in grob
verkehrswidriger oder rücksichtsloser Weise, wodurch andere
Menschen oder fremde Sachen gefährdet werden.
bis zu 5 Jahren oder
Geldstrafe
Trunkenheit
§ 316 StGB
Führen eines Fahrzeugs im fahruntüchtigem Zustand, ohne dass
andere Menschen oder fremde Sachen gefährdet werden.
bis zu 1 Jahr oder
Geldstrafe
Bestechung
§ 333 StGB
Angebot eines Vorteils gegenüber einem Amtsträger für die
Vornahme einer Diensthandlung oder einem Richter für die
Vornahme einer richterlichen Handlung.
bis zu 3 Jahren oder
Geldstrafe
7. Kapitel
Strafrecht
157
Fall 29 Gehilfe
Wie ist es eigentlich, wenn mehrere
zusammen eine Straftat begehen?
Mehrere Tatbeteiligte
Führen mehrere eine Straftat
gemeinsam aus, so wird jeder Mittäter als
Täter bestraft:
Fall 28 Mittäter
Emil und Fred sind »blank« und wollen
das ändern. Als eine ältere Frau
vorbeikommt, spricht Emil sie an, um sie
abzulenken. Fred reißt ihr die Handtasche
weg. Die Beute wird später „redlich“
geteilt. Strafbarkeit der beiden?
Emil und Fred haben einen Raub
begangen. Da sie dabei ganz bewusst
arbeitsteilig zusammengewirkt haben, sind
sie Mittäter und werden beide als Räuber
bestraft.
Obwohl der Emil die Frau doch nur
angesprochen hat?
Zum Nachlesen:
§§ 25, 27, 243, 249 StGB
Dennoch. Welchen Teil der Tatausführung
der einzelne übernimmt, ist ohne
Bedeutung. Mittäter ist deshalb zum
Beispiel auch der Bandenchef, der den
Banküberfall plant. am Tatort aber
selbst gar nicht mitwirkt.
Entscheidend ist, ob jemand über den
Ablauf der Straftat mitentscheidet und
ein eigenes Interesse an ihrem Erfolg
hat.
Will jemand die Straftat nicht selbst
begehen, sondern nur die Tat eines
anderen unterstützen, so ist er nicht
Mittäter, sondern Gehilfe:
Der Gewohnheitseinbrecher Jonny
verspricht sich in der Villa eines
Geschäftsmanns gute Beute. Um nicht
überrascht zu werden, bittet er seinen
Freund Henk, Schmiere zu stehen. Dieser
tut das für 100,- DM. Jonny lässt Sachen
im Wert von 50.000,- DM mitgehen.
Strafbarkeit von Jonny und Henk?
Weil Jonny die Sachen nicht nur
wegnahm, sondern zur Ausführung der
Tat in ein Gebäude einbrach, wird er
wegen schweren Diebstahls bestraft.
Henk dagegen war nur Gehilfe. Er wollte
die Straftat eines anderen lediglich
unterstützen. Weder konnte er über den
Ablauf der Tat selbst entscheiden, noch
hatte er ein eigenes Interesse an einer
mehr oder weniger großen Beute.
7. Kapitel
Strafrecht
158
Wird der Gehilfe auch bestraft?
Fall 30 Anstiftung
Ja. allerdings milder als der Täter. Die
Strafe für den Gehilfen darf höchstens drei
Viertel der für den Täter angedrohten
Höchststrafe betragen. Henk ist also
wegen Beihilfe zu einem schweren
Diebstahl zu bestrafen.
Als Ede seinen Freund Gustav anpumpen
will meint dieser: „Ich habe selber nichts.
Aber der Typ da drüben hat ganz schön
Scheine in der Tasche. Sei nicht dumm
und hol sie Dir. Ich täts ja selber, aber Du
weißt, ich hab noch Bewährung“. Gustav
geht, Ede überfällt den Mann und nimmt
ihm die Brieftasche mit dem Geld weg.
Wie sind Gustav und Ede zu bestrafen?
Und wenn man einem anderen zu einer
Straftat rät, ist das ebenfalls strafbar?
Ja. Auch wer in jemandem den
Entschluss zu einer Straftat hervorruft,
macht sich strafbar:
Ede ist wegen Raubes zu bestrafen. Und
Gustav ist wegen Anstiftung zum Raub
strafbar, da er in Ede den Entschluss zu
dieser Straftat hervorrief. Eine
Strafmilderung sieht das Gesetz für den
Anstifter nicht vor. Er wird also gleich dem
Täter bestraft.
Gustav sagte, er habe noch Bewährung.
Was versteht man darunter?
Zum Nachlesen:
§§ 57, 57 a, 249 StGB, 455 StPO
Unter bestimmten gesetzlich geregelten
Voraussetzungen kann das Gericht eine
Freiheitsstrafe zur Bewährung aussetzen.
Strafvollstreckung
Bewährung bedeutet, dass der Verurteilte
eine Freiheitsstrafe ganz oder zum Teil
nicht verbüßen muss, wenn er sich
während eines bestimmten Zeitraums
straffrei verhält. Ein Urteil, das auf
Geldstrafe lautet, kann nicht zur
Bewährung ausgesetzt werden.
Zu Strafe Verurteilte in
Bayern im Jahr 1995
Geldstrafe
Freiheitsstrafe,
Strafarrest
(ohne Jugendstrafe)
davon zur Bewährung
ausgesetzt
Jugendstrafe
davon zur Bewährung
ausgesetzt
insgesamt zu Strafe
Verurteilte
112445
24608
17546
2490
1709
139543
159
Nicht jede Freiheitsstrafe muss
»abgesessen« werden. Ist zu erwarten,
dass sich der Täter schon die Verurteilung
zur Warnung dienen lassen und nicht
mehr straffällig werden wird, kann das
Gericht Freiheitsstrafen, Strafarrest und
Jugendstrafen bis zu 1 Jahr zur
Bewährung aussetzen. Unter
besonderen Umständen können auch
Strafen bis zu 2 Jahren ausgesetzt
werden.
Setzt das Gericht die Strafe zur
Bewährung aus, bestimmt es zugleich
eine Bewährungszeit zwischen 2 und 5
Jahren. Daneben kann das Gericht dem
Verurteilten Auflagen machen und
Weisungen erteilen. Es kann ihm zum
Beispiel auferlegen, den angerichteten
Schaden wieder gut zu machen oder ein
Bußgeld an eine Wohltätigkeitseinrichtung
zu bezahlen. Es kann ihn aber auch
anweisen, sich regelmäßig bei einer
bestimmten Stelle zu melden oder einer
geregelten Arbeit nachzugehen.
Während der Bewährungszeit hat der
Täter die Chance, durch ein straffreies
Leben zu zeigen, dass er sich wieder in
die Gemeinschaft einfügen will. Um ihn
dabei zu unterstützen, kann ihm das
Gericht einen Bewährungshelfer zur
Seite stellen. Eine Hauptaufgabe des
Bewährungshelfers ist es, dem
Straffälligen trotz der schwierigen
Arbeitsmarktlage zu einem Arbeitsplatz zu
verhelfen.
Hält sich der Verurteilte bis zum Ende der
Bewährungszeit straffrei und befolgt er
auch die Auflagen und Weisungen, so
wird die zur Bewährung ausgesetzte
Strafe erlassen. Anderenfalls widerruft das
Gericht die Bewährung, und der
Verurteilte muss die Strafe verbüßen.
Dies zeigt: Der Straftäter wird nur nach
mehrmaligem hartnäckigem Verstoß
gegen die Rechtsordnung oder nach
besonders schwerwiegenden
Rechtsverletzungen zu einer tatsächlichen
Freiheitsstrafe verurteilt.
Weitere Entscheidungen über die
Vollstreckung der Freiheitsstrafe sind
der Strafaufschub, die Strafunterbrechung
und die Aussetzung des Strafrests zur
Bewährung: Strafaufschub kann die
Vollstreckungsbehörde gewähren, wenn
die Vollstreckung der Freiheitsstrafe noch
nicht begonnen hat, und sich der
Verurteilte zum Beispiel in fachärztliche
Behandlung begeben muss.
Strafunterbrechung während des
Vollzugs der Freiheitsstrafe darf die
Vollstreckungsbehörde nur anordnen,
wenn der Gefangene wegen körperlicher
7. Kapitel
Strafrecht
oder geistiger Erkrankung für längere Zeit
vollzugsuntauglich ist.
Aussetzung des Strafrests zur
Bewährung ordnet das Gericht an, wenn
zwei Drittel (in Ausnahmefällen auch nur
die Hälfte) der Strafe verbüßt sind und die
Probe verantwortet werden kann, ob sich
der Gefangene in Freiheit straffrei verhält.
Unter den gleichen
Voraussetzungen setzt das Gericht den
Rest einer lebenslangen Freiheitsstrafe
nach 15 Jahren zur Bewährung aus,
soweit nicht die besondere Schwere der
Schuld des Verurteilten die lebenslange
Freiheitsentziehung gebietet.
Gibt es einen Unterschied zwischen
Bewährung und Begnadigung?
Die Strafaussetzung zur Bewährung ist
eine im Strafgesetzbuch geregelte ganz
normale gerichtliche Maßnahme. Sie gibt
dem Verurteilten die Chance, sich durch
sein Wohlverhalten den Straferlass selbst
zu verdienen. Dagegen ist der Straferlass
durch Gnadenerweis die seltene
Ausnahme. Er wird dem Täter als ein Akt
des Wohlwollens gewährt (vgl. S. 30).
160
Was bezweckt der Staat, wenn er
jemanden einsperrt?
ein rechtstreues Leben vorzubereiten.
Hierzu gehört insbesondere:
Die Aufgaben des Strafvollzugs sind:
- Resozialisierung des Gefangenen und
Sicherung der Allgemeinheit vor
weiteren Straftaten.
Wenn es mit dem Strafvollzug gelingt,
einem möglichst großen Teil der
Strafgefangenen zu helfen, nicht mehr.
rückfällig zu werden, leistet die
Resozialisierung zugleich einen
wesentlichen Beitrag zur Sicherheit der
Allgemeinheit.
§ 2 Strafvollzugsgesetz
„Aufgaben des Vollzugs. Im Vollzug der
Freiheitsstrafe soll der Gefangene fähig
werden, künftig in sozialer Verantwortung ein
Leben ohne Straftaten zu führen. Der Vollzug
der Freiheitsstrafe dient auch dem Schutz der
Allgemeinheit vor weiteren Straftaten.“
Während des Vollzugs der
Freiheitsstrafe ist es Aufgabe der
Justizvollzugsanstalten, alles Vertretbare
zu tun, um dem Gefangenen zu helfen,
nicht mehr rückfällig zu werden und ihn für
- die Gefangenen, die keine
abgeschlossene Schulbildung haben,
durch Unterricht zum
7. Kapitel
Strafrecht
Hauptschulabschluss zu führen.
- den Gefangenen, die keinen Beruf
erlernt haben, durch Ausbildung einen
anerkannten Berufsabschluss zu
ermöglichen,
- die Gefangenen durch eine sinnvolle
Tätigkeit an regelmäßige Arbeit zu
gewöhnen und
- die Entlassung der Gefangenen durch
allmähliche Lockerung des Vollzugs,
beispielsweise Beschäftigung außerhalb
der Anstalt, vorzubereiten.
Die Jugendstrafe wird in eigenen
Jugendstrafanstalten vollzogen. Hier
wird auf die Aus- und Fortbildung der
jungen Gefangenen und ihre Hinführung
zur Arbeit besonderer Wert gelegt:
Berufsschulunterricht, Unterricht in
Lehrwerkstätten, Erwerb des einfachen
oder qualifizierten Hauptschulabschlusses
oder des Realschulabschlusses, aber
auch Unterricht für Lernschwache wird im
Jugendstrafvollzug durchgeführt. Daneben
sind Ordnung, Leibesübungen und
sinnvolle Beschäftigung in der freien Zeit
die Grundlagen der Erziehungsarbeit.
Um die Aufgaben des Strafvollzugs
sachgerecht zu erfüllen, gehören zum
Vollzugsdienst auch Seelsorger, Ärzte,
Pädagogen, Psychologen und
Sozialarbeiter.
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