016911 ZNT 27 - Inhalt 24.03.11 11:08 Seite 45 Einleitung zur Kontroverse: Der »Leib Christi« in den Abendmahlsworten: Interpretament oder Fundament? Kontroverse Einleitung: Was heißt und zu welchem Ende feiert man Abendmahl? In Korinth jedenfalls war das Ende der christlichen Mahlfeier ein Gelage, wie wir von Paulus wissen. Ein Gelage, das dem Apostel nicht wegen seines Alkoholkonsums anstößig war, sondern weil die einen satt und betrunken und die anderen frustriert und hungrig nach Hause gingen. Gute Laune ist immer gut, auch die alkoholisch stimulierte. Aber sie soll doch alle anstecken. Wenn sie das nicht tut, sondern im Gegenteil auf Kosten der Schwachen sich auslebt, dann ist, so die klare Position des Paulus, die Party vorbei. Die Frage, die die vorliegende Kontroverse in dankenswert kontroverser Zuspitzung behandelt, lautet: Welche Gründe macht Paulus für seinen Widerspruch namhaft? Hierbei ist zunächst Folgendes zu bedenken: Wo immer in der Antike gesellschaftliche Gruppen sich vereinsförmig organisierten, pflegten und festigten sie ihre Gruppenidentität in Form von gemeinsamen Mählern. Es dürfte insofern kein Zufall sein, dass gerade das gemeinsame Essen und Trinken zu den Elementen gehört, die das Wirken Jesu mit der frühen Jesusbewegung und dem entstehenden Christentum verbinden. Unter der Institution eines vereinsförmigen Mahles konnte sich jeder etwas vorstellen. Das Gemeinschaftsmahl war mithin ein wichtiger Bestandteil der missionarischen Kommunikation des Urchristentums. Vor allem aber gilt: Nach antikem Verständnis setzen Vereinsmähler regelmäßig hohe ethische Standards. Das frühchristliche Ethos plausibilisierte sich im Vollzug des gemeinsamen Mahles sozusagen von selbst. In diese Richtung geht die Argumentation von Matthias Klinghardt. Die paulinische Kritik an den korinthischen Verhältnissen war den Adressaten einsichtig, weil man nicht nur bei den Christen, sondern überall anders auch keinesfalls unsozial miteinander umgehen konnte, sobald man sich im Mahl-Ritual zu einer Gemeinschaft verbunden hatte: Die Christen werden zu einem »Leib«, sobald sie ihr Brot miteinander teilen. Die auf den Tod Jesu bezogenen Interpretamente sind demgegenüber sekundär. Anders Eckart Reinmuth. Aus seiner Sicht hängt nicht weniger als alles an der Vergegenwärtigung des Todes Jesu, und dies in denkbar drastischer Anamnese des Körpers des getöteten Jesus in den Deuteworten zu Brot und Wein, die als narrative Abbreviaturen für das Ganze der Jesus-Christus-Geschichte stehen. Die Gemeinschaft der zum Mahl versammelten Gemeinde wird exklusiv von dorther begründet, und zwar gerade nicht als »nachträgliche Transzendierung bereits bestehenden Gemeinsinns oder erfahrener Gemeinschaft, wie sie auch in der reichsrömischen politischen Kultur gang und gäbe war«. Das Selbstverständnis christlicher Gemeinschaft steht mit dieser Kontroverse in elementarer Weise zur Debatte, aber auch grundsätzlich die »Begründbarkeit des Sozialen«(Reinmuth). NEUERSCHEINUNG Jochen Wagner Die Anfänge des Amtes in der Kirche 1SFTCZUFSVOE&QJTLPQFOJOEFSGSÛIDISJTUMJDIFO-JUFSBUVS 5FYUFVOE"SCFJUFO[VNOFVUFTUBNFOUMJDIFO;FJUBMUFS#BOE 4FJUFO€ % 4'S ISBN 978-3-7720-8411-9 A. Francke Verlag r%JTDIJOHFSXFHr%5ÛCJOHFO 5FM r'BY rJOGP!GSBODLFEFrwww.francke.de ZNT 27 (14. Jg. 2011) 45 016911 ZNT 27 - Inhalt 24.03.11 11:08 Seite 46 Kontroverse Eckart Reinmuth Brot-Brechen und Körper-Gemeinschaft. Herrenmahl und Gemeinde im ersten Korintherbrief 1. Das stärkste Sinnbild christlicher Gemeinschaft ist die Feier des Gemeinschaftsmahles. Hier wird deutlich, dass die Gemeinde sich einer Begründung verdankt, die sie nicht selber stiftete, und auf einem Grund existiert, den sie nicht gelegt hat (vgl. 1Kor 3,11). Gegenwärtige soziologische und politisch-theoretische Überlegungen sprechen von der Unbegründbarkeit von Gemeinschaft.1 Sie gehen von der Beobachtung aus, dass alle Begründungen von politisch relevanten Kollektiven, seien es Gesellschaften, Nationen, Staaten oder Gemeinschaften, auf Eigenschaftszuschreibungen beruhen. Diese verbindenden Eigenschaften – denken wir z.B. an gemeinsame Sprachen, Lebensräume, Geschichten, Kulturleistungen – sind jedoch letztlich als fiktionale Konstrukte und in dieser Hinsicht als sekundäre Begründungen zu verstehen. Tatsächlich aber sind sie in ihrer Machtförmigkeit für die Herstellung und Sicherung der entsprechenden Identitäten unerlässlich. Soziale Kollektive benötigen Begründungen, um ihre Identität zu definieren. Sie sind jedoch keineswegs natürlich gegebene, ursprüngliche, alternativlose Größen, auch wenn ihre Gründungsgeschichten und Konstitutionsleistungen genau dies suggerieren. Je ›natürlicher‹, ›objektiver‹, historisch alternativloser diese Begründungen ausfallen, desto weniger stehen anscheinend entsprechende Ansprüche in Frage. Stets werden in diesen Begründungsprozessen Überhöhungen, Apotheosen und Tabuisierungen vorgenommen, mit denen Eigenschaftszuschreibungen transzendiert werden. Ihre Dekonstruktion führt zur Einsicht in die historische Kontingenz der Gemeinschaften und zur Frage ihrer tatsächlichen Begründbarkeit. Dieser Zusammenhang wird am paulinischen Gemeindeverständnis eindrucksvoll sichtbar. Für Paulus ist die Gemeinde keine Partei, kein Interessens- oder Mysterienverein; für sie sind weder gemeinsame Sprache noch soziale Übereinstimmungen oder antike Mahlpraktiken konstitutiv. Sie verdankt sich aus seiner Sicht einzig dem Handeln Gottes, wie es in der Geschichte Jesu Christi sichtbar und erfahrbar wurde. Dieser exklusive Bezug wurde ursprünglich nicht als 46 die Apotheose eigener Machtansprüche verstanden. Er diente vielmehr ihrer Kritik. Das zeigt sich im ersten Korintherbrief, um den es in dieser Kontroverse geht, 2 an vielen Stellen und sehr deutlich im hier entwickelten Verständnis des Gemeinschaftsmahls. In 1Kor 10f. finden wir die älteste Erwähnung des Gemeinschaftsmahls im Neuen Testament. Sie ist zugleich eine polemische Korrektur, keine neutrale Definition. Paulus bezeugt keine ideale, fraglose, unbestrittene Praxis; er kommentiert die korinthische Praxis des Herrenmahls vielmehr und stellt eine kritische Relation zu der Geschichte her, auf die diese Praxis sich bezieht. Ihm geht es um einen exklusiven, normierenden Bezug auf diese Geschichte, unbeschadet der Tatsache, dass in soziologischer wie historischer Hinsicht sowohl das korinthische Herrenmahl wie die Mahlpraxis Jesu nur in der Vielfalt ihrer kulturellen Kontexte zu verstehen sind. Für Paulus ist entscheidend, dass Jesus von Nazareth, der ›Herr der Herrlichkeit‹ (1 Kor 2,8), dem die Gemeinde ihre Praxis des Gemeinschaftsmahls verdankt, zu Tode gefoltert wurde, und dass es dieser Tod ist, der im gemeinsamen Mahl vergegenwärtigt wird. Paulus insistiert unbeirrbar auf diesen Umstand, indem er im Zusammenhang des Herrenmahls nicht nur von Christi Tod (vgl. 1Kor 11,26), sondern auch von seinem Blut (vgl. 1Kor 10,16; 11,25.27) oder Körper (10,16; 11,24.27.29) spricht. ›Tod‹, ›Blut‹ und ›Körper‹ stehen für seine Geschichte. Auf sie bezieht sich auch die Zeitangabe, die von der »Nacht, in der er ausgeliefert wurde« spricht (11,23). Das ist ein narratives Detail der Passionsgeschichte, das in seiner Konkretheit diese zugleich als Handeln Gottes interpretiert.3 Für Paulus ist das erinnerte Geschehen von seiner Deutung nicht zu trennen; es ist nicht einmal theoretisch zu differenzieren. Paulus konnte keine Christusvon einer Jesusgeschichte abheben (vgl. 2Kor 5,16); er redet vom Getöteten in der Perspektive des von Gott zum Leben Gebrachten. Die Geschichte Jesu Christi ist für ihn konstitutiv für die Entstehung der Gemeinde, für ihre soziale wie ethische Wirklichkeit. Er versteht sie als die Geschichte Gottes.4 ZNT 27 (14. Jg. 2011) 016911 ZNT 27 - Inhalt 24.03.11 11:08 Seite 47 Eckart Reinmuth Brot-Brechen und Körper-Gemeinschaft Paulus ist damit kein Sonderfall. Die Praxis des Argumentierens mit Erzählinhalten teilt er mit seinen ehemaligen theologischen Kollegen. Die Literatur des frühen Judentums kann das vielfach belegen. Wer mit Erzählinhalten argumentiert, wird in den seltensten Fällen erst erzählen und dann argumentieren. Er wird vielmehr auf Erzählungen zurückgreifen, die bekannt und bedeutend sind. Er wird sich auf sie beziehen, auf sie anspielen, sie mit einem Kürzel aufrufen bzw. zusammenfassen – und sie selbstverständlich jederzeit zu explizieren wissen. Jeder weiß, was gemeint ist, und kann den Wechsel vom Narrativen zum Argumentativen mitvollziehen. Narrative Abbreviaturen stellen in erzähltextanalyProf. Dr. Eckart Reinmuth, 1951 in Rostock geboren, studierte Evangelische eologie in Greifswald, wurde tischer Hinsicht graduell variierende Sonderfälle kon1981 in Halle promoviert und habilitierte sich 1992 densierenden Erzählens, in argumentationstheoretiin Jena. Er war Gemeindepastor in Mecklenburg und scher Hinsicht Argumente mit begründender, plausibiProfessor für Neues Testament an der Kirchlichen lisierender, erläuternder, veranschaulichender usw. Hochschule Naumburg und der Universität Erfurt. Funktion dar. Sie können im Verbund mit weiteren inSeit dem Sommersemester 1995 lehrt er an der eotertextuellen Bezugnahmen, also etwa Zitaten, explizit logischen Fakultät der Universität Rostock. narrativen Elementen oder kondensierenden Wieder5 gaben biblischer Erzählinhalte, gebraucht werden. Paulus erinnert an diese Geschichte, zieht KonseEntsprechende Beispiele finden sich in den pauliniquenzen aus ihr und verweist auf sie – gerade dann, schen Gemeinschaftsmahl-Texten mehrfach; sie verrawenn es um Probleme geht, die gelöst werden müssen. ten die narrative Grundierung seiner Argumentation in Im Fall des Herrenmahls in Korinth geht es Paulus der Jesus-Christus-Geschichte und mit ihr in weiteren darum, dass das soziale Gefälle unter den Gemeinde- biblischen und frühjüdischen Erzähltraditionen. gliedern in der Gemeinde keine Rolle spielen darf, sonZu Beginn von Kap. 10 – hier spielt Paulus mit dern aufgehoben ist. den pneumatischen Nahrungsmitteln erstmalig im Es wäre hinsichtlich der Interpretation von 1Kor Brief auf das Herrenmahl an – erwähnt er die Exodus10-11 ein Fehlschluss, die soziale tradition.6 In 10,7 zitiert Paulus Wirklichkeit der Gemeinde und Ex 32,6 nach der Septuaginta »Für Paulus ist entscheidend, dass ihrer Mahlpraxis von der Deuund ruft damit den entsprechenJesus von Nazareth, der ›Herr der tungsperspektive zu trennen, in den Erzählkontext auf; in den Herrlichkeit‹ (1 Kor 2,8), dem die der sie hier kommuniziert wird. VV.8ff. greift er in kondensierenGemeinde ihre Praxis des GemeinEine scheinbar ›transzendierender Form auf weitere Erzählinschaftsmahls verdankt, zu Tode de‹ Interpretation sozialer Wirkhalte zurück. V.11 stellt klar, gefoltert wurde, und dass es dieser lichkeit tritt nicht sekundär dass Paulus zwischen den bibliTod ist, der im gemeinsamen Mahl hinzu; es ist vielmehr der grundschen Bezugstexten und dem vergegenwärtigt wird.« legende Bezug auf die Jesuseinstigen Geschehen zu unterChristus-Geschichte, der von scheiden weiß. Die biblischen Paulus als konstitutiv gegenüber der Mahlpraxis der Texte bezeugen das einstige Geschehen und wurden Korinther kritisch in Anschlag gebracht wird. zur gegenwärtigen Beherzigung aufgeschrieben. Die parallelen Bezugnahmen auf das Blut und den Körper Christi in 10,16 sind als narrative Abbreviaturen zu verstehen, mit denen sein Foltertod und damit 2. der erzählerische Kontext der Passionsgeschichte aufgePaulus war kein systematischer Denker, kein ›Dogmati- rufen werden. Die Gemeinschaft, die sich nach V.16 ker‹, sondern ein Erzähler, der sich da, wo er argumen- im Herrenmahl realisiert, gründet auf dieser Geschichtieren musste – in seinen Briefen also – grundlegend te und bezieht sich bleibend auf sie. Die Geschichte Jesu Christi ist nicht ein nachträgliches Mittel ihrer auf narrative Strukturen bezog. Eckart Reinmuth ZNT 27 (14. Jg. 2011) 47 016911 ZNT 27 - Inhalt 24.03.11 11:08 Seite 48 Kontroverse Legitimierung oder Beglaubigung, sondern ihre exklu- gegründet. Paulus versteht das Wesen des Herrenmahls sive Begründung und ihr Maß. vom Herrn her und als durch ihn bestimmt. Diese Einsicht ist insofern entscheidend und folEs ist derselbe Herr, dessen symbolisches Handeln genreich, als die im Herrenmahl sich realisierende Ge- in der Nacht, in der seine Auslieferung sich vollzog, meinschaft jeder anderen Begründung entbehrt. Die den Adressaten von Paulus in Erinnerung gerufen Gemeinde in Korinth existiert nicht aufgrund gleicher wird. Soweit ich sehe, wird die erschütternde DramaEigenschaften ihrer Mitglieder, tik, die den Hintergrund der etwa gemeinsamer Sprache oder ›Einsetzungsworte‹ bildet, meist »Die pure Körperlichkeit des Rituale, soziologischer Zugehökaum bemerkt. Ich paraphrasieGefolterten, ihre Präsenz im Mahl, rigkeit oder moralischen Nire: In der Nacht, in der der Herr thematisiert und durchkreuzt veaus, sondern einzig im gemeinJesus von Gott seinen Feinden zugleich jede transzendierende samen, vertrauenden Bezug auf überlassen wurde, nahm er Brot, Sinngebung von Geschichte.« Jesus Christus, dessen Geschichte dankte, brach es und sagte: In für sie vertrauenswürdig, bindiesem Handeln versinnbildlicht dend und gegenwärtig ist. Sie wissen sich dieser Ge- sich mein Todesweg, der sich in Vertretung für euch schichte verbunden, weil sie den Tod des Christus als und euch zugute vollzieht. Wenn es wörtlich heißt stellvertretend für sie begreifen (11,24). Im Brechen des »dieses ist mein Leib anstatt eurer (gegeben)«, dann beBrotes werden sie Teil dieses Geschehens, dieser sie ein- zieht sich das erstens nicht auf das Brot, sondern auf beziehenden und über sie hinausgehenden Geschichte. das Brechen des Brotes, und es bezieht sich zweitens Auf dieser hermeneutischen Grundlage entwickelt nicht auf einen mystischen Leib, sondern auf die Iden9 Paulus die metaphorische Aussage, dass die das Herren- tität und damit den konkreten Körper Jesu, der ausgemahl feiernde Gemeinde als ›ein Leib‹ aufzufassen sei liefert und zerstört wird. Die konventionelle Überset(10,17). Bereits in dem Abschnitt 6,12-20 hatte Paulus zung, die an dieser Stelle Sōma mit ›Leib‹ wiedergibt, die einzelnen Christen als ›Glieder Christi‹ (6,15) be- lässt schnell vergessen, dass es konkret um einen in den zeichnet, und in 12,12ff. wird er die klassische Leib- Foltertod gegebenen Körper geht. Die Anamnesis, die Glieder-Metaphorik auf die Vielfalt der Gaben in der vergegenwärtigende Erinnerung,10 von der am Ende des Verses als Ziel des wiederholenden Handelns der Gemeinde anwenden. Die Aussage in 10,17 steht jedoch in einem eige- Gemeinde die Rede ist, bezieht sich folglich auf diesen nen Begründungszusammenhang. Verweisen das ge- Erzählinhalt und damit auf den Gesamtkontext der brochene Brot auf den gefolterten Körper Christi wie Jesus-Christus-Geschichte. Die Drastik der expliziten Körperlichkeit wird im der gesegnete und zu leerende Kelch auf das vergossene Blut Christi, so soll das ›Ein-Leib-Sein‹ der Gemeinde Kontext der hier implizierten Gottesgeschichte herausals unumgängliche und, wie die argumentativen Parti- gestellt und ist ohne diese nicht verständlich. Beide keln zeigen, unumkehrbare Folge eben dieser Ge- ›Geschichten‹ sind nicht in eine immanente gegenüber schichte, wie sie in 11,23ff. dann weiter erläutert wird, einer transzendenten zu abstrahieren. Paulus geht es verstanden werden.7 Das ›Aneinander-Teilhaben‹ der nicht um die Frage einer Verhältnisbestimmung zwiGemeinde (V.17b)8 hat hier seinen exklusiven Ur- schen ›Kreuz‹ und ›Auferstehung‹, sondern um das Versprung. Es ist die Todes- und Lebensgeschichte Jesu ständnis der Lebens-Geschichte des Gekreuzigten als Christi, die in paulinischer Perspektive für diesen Leib Geschichte Gottes. konstitutiv und prägend ist. Die pure Körperlichkeit des Gefolterten, ihre Präsenz im Mahl, thematisiert und durchkreuzt zugleich jede transzendierende Sinngebung von Geschichte. Es ist gerade die identifizierende Zeichenhandlung (das 3. Brechen des Brotes symbolisiert den gewaltsamen Tod Blicken wir nun auf die Bezüge zu dieser Geschichte in Jesu), die dem Modell der Transzendierungsleistungen 11,23ff. Bereits einleitend trifft Paulus in V.23 einen zuwiderläuft. Es gibt kein Ausweichen ins Abstrakte; entscheidenden Hinweis. Er bezieht sich auf eine vielmehr wird die Jesus-Christus-Geschichte als Übernahme- und Übergabegeschichte. Er selbst war Gottes-Geschichte konkret und alternativlos erfahren – Adressat dessen, was (gr. ho) er der angeredeten gerade weil sie aus menschlicher Sicht nicht alternativGemeinde übergab. Die Tradition, mit der er sie nun los ist, sondern die undenkbarste und skandalöseste erneut adressiert, wird auf ihren Ursprung im Kyrios aller Alternativen darstellt (vgl. 1,18ff.). 48 ZNT 27 (14. Jg. 2011) 016911 ZNT 27 - Inhalt 24.03.11 11:08 Seite 49 Eckart Reinmuth Brot-Brechen und Körper-Gemeinschaft So, wie das Brechen des Brotes den gewaltsamen kommt alles darauf an, die Gestalt des Herrenmahls Tod Jesu symbolisiert, ist auch der Becher Sinnbild für vom Bezug auf seinen in den Tod gegebenen Körper die sich an Jesus auswirkende Todesgewalt (11,25). bestimmt sein zu lassen (V.29). Auch hier geht es – wie in Röm Insofern geht es mit dem ›Un»Es gibt kein Ausweichen ins terscheiden des Leibes‹ (gr. diakri3,25; 5,9 – mit dem ›Blut‹ um nein to sōma 11,29) nicht um eine den gewaltsamen Tod Jesu. Beide Abstrakte; vielmehr wird die Verweisstellen bestätigen übririchtige Beurteilung bzw. angeJesus-Christus-Geschichte als gens, dass die sich an Jesus stellmessene Wahrnehmung der Gottes-Geschichte konkret und Mahlelemente, sondern um das vertretend auswirkende Todesgealternativlos erfahren – gerade weil Identifizieren der alles überwinwalt die Glaubenden nicht mehr sie aus menschlicher Sicht nicht denden Lebensmacht Gottes am trifft. Ihnen gilt vielmehr die alternativlos ist, sondern die gefolterten, dem Tod ausgelieferEinladung zu dem neuen Bunundenkbarste und skandalöseste desschluss Gottes, den sie im ten Körper Christi. Diese Lebensaller Alternativen darstellt Gemeinschaftsmahl versinnbildmacht Gottes ist zugleich richten(vgl. 1,18ff.).« lichen. de Macht (vgl. nur 1,18; 5,13), Ausschlaggebend für die Bedie sich auch an denen auswirkt, stätigung der bisherigen Interpretationslinie ist der die zu eigenem ›Richten‹ sich selbst gegenüber nicht beÜbergang von V.25b zu V.26 in der Aufnahme des reit sind (11,31f.). ›wann immer‹ (gr. hosakis). Da das ›ihr macht bekannt‹ (gr. kataggellete) als Indikativ zu verstehen ist, kommt damit zum Ausdruck, dass die Feier des Abendmahls 4. die Bedeutung des Todes Jesu gültig und hinreichend versinnbildlicht und diese als die Körper-Gemeinschaft Greifen wir abschließend unsere Eingangsüberlegunder Feiernden realisiert. Deshalb darf es keine Überle- gen auf, so können wir feststellen: Das Gemeinschaftsgenheits- oder Machtpositionen in der Herrenmahlsge- mahl versinnbildlicht in der Perspektive des Paulus die Unbegründbarkeit jeder Gemeinschaft. Sie verweist meinschaft geben (VV.17-22). Alle bisherigen narrativen Abbreviaturen, die sich mit ihrer Begründung in der Todes- und Lebensgeauf den Kontext der Passionsgeschichte bezogen, wer- schichte Jesu Christi auf eine bleibende ›Leerstelle‹, die den hier auf den ›Tod des Herrn‹ fokussiert und mit nicht durch die Transzendierung von Eigenschaftszudieser komplexen Abbreviatur zusammengefasst. Dabei schreibungen aufzufüllen und zu ersetzen ist. Von einer ist eine ähnliche Voraussetzung zu berücksichtigen, wie ›Leerstelle‹ ist deshalb zu sprechen, weil es Paulus mit sie im Übergang von 1,17 zu 1,18 sichtbar wird: Mit der Geschichte Jesu Christi um die Geschichte des dem ›Kreuz Christi‹, das sinnentleert werden kann, ist Gottes geht, dessen Macht sich in der Welt als Schwäselbstverständlich seine Bedeutung, das ›Wort vom che zeigt (vgl. z.B. 1,27; 2Kor 12,9f.). Der 1Kor spielt Kreuz‹, gemeint. In gleicher Weise ist mit dem ›Tod das konsequent durch. Und der zweite Brief demonsdes Herrn‹ die Bedeutung gemeint, die er im Licht des triert dramatisch die provozierenden Konsequenzen für auferweckenden Handelns Gottes erhalten hat, ohne die Autoritätskonstruktion des Apostels. Ist sein Auftreten als mächtig oder als ohnmächtig zu beurteilen; von diesem Handeln getrennt werden zu können. Im nachlaufenden Kontext sprechen noch einmal ist es schwach oder stark, beeindruckend oder eher V.27.29 in aller Schärfe vom zum Tode geschundenen lächerlich? Bittet Paulus, oder befiehlt er (vgl. 2Kor Körper des Herrn. V.27 wiederholt mit ›Blut‹ und 5,20)? Muss die Utopie des Machtverzichts tatsächlich ›Körper‹ die beiden bereits verwendeten narrativen ortlos bleiben? Paulus ging es sichtlich nicht um eine nachträgliche Abbreviaturen. Sie verweisen auf den Maßstab, den die Feier des Herrenmahls an der Passion des Kyrios neh- Transzendierung bereits bestehenden Gemeinsinns men soll. Eine ›unwürdige‹ (gr. anaxiōs) Teilnahme, die oder erfahrener Gemeinschaft, wie sie in der reichsrösich konkret in der praktischen Nichtaufhebung des mischen politischen Kultur gang und gäbe war, sonsozialen Gefälles in der Gemeinde äußert (vgl. VV.17- dern um das verpflichtende Insistieren auf dem unab22), käme dem Handeln der Feinde Gottes in der Pas- leitbaren Ursprung der Gemeinde, der sich in ihrer sionsgeschichte gleich. Paulus macht damit den stren- Feier des Herrenmahls realisiert. Dieser Ursprung, die gen Bezug geltend, den er zwischen dem Herrenmahl Tötung des ›Herrn der Herrlichkeit‹ (2,8), lief den anund dem Tod Jesu Christi sieht. In dieser Perspektive tiken Begründungsroutinen reichsrömischer Macht zu- ZNT 27 (14. Jg. 2011) 49 016911 ZNT 27 - Inhalt 24.03.11 11:08 Seite 50 Kontroverse wider. Die Argumentation des Paulus bietet aktuelle Anstöße, die hinsichtlich der Reflexion der fraglichen Begründbarkeit des Sozialen und mithin auch kirchlicher Gemeinschaft zu bedenken sind. 4 5 Anmerkungen 1 2 3 Vgl. dazu jetzt die ausführlichen Referate und Diskussionen in O. Marchart, Die politische Differenz, Berlin 2010. Das wird z.B. sinnfällig, wenn in 8,12 ein rücksichtsloses Durchsetzen eigener Einsicht als gegen Christus gerichtet interpretiert wird. Mit ›er wurde ausgeliefert‹ (paredideto V.23b) ist das Handeln Gottes umschrieben (pass div; vgl. z.B. Mt 26,2; Röm 4,25). In frühjüdischer wie christlicher Literatur konnte so umschrieben werden, dass Gott Sünder, aber auch Fromme oder Märtyrer an seine Feinde bzw. das Unheil ausliefert (vgl. z.B. Röm 1,24.26.28; 8,32; Apg 7,42; Jes 53,12; Dan 3,31f. LXX; LAB 31,7; 47,2 u.ö.; ParJer 6,18.21; 2Makk 1,17). Es geht also nicht um das (durch Judas) Verratenwerden, sondern durch Gott Ausgeliefertwerden. 6 7 8 9 10 Das deutet sich nicht nur im vorausgesetzten Subjekt des passivum divinum ›er wurde ausgeliefert‹ (paredideto 11,23), sondern auch in der Bezeichnung ›Kyrios‹ für den Protagonisten, in dem ›in Vertretung für euch‹ (to hyper hymōn 11,24), in dem Stichwort ›neuer (Gottes-) Bund‹ (hē kainē diathēkē 11,25; vgl. Jer 31,31-34) und weiteren Einzelheiten an. Vgl. E. Reinmuth, Allegorese und Intertextualität. Narrative Abbreviaturen der Adam-Geschichte bei Paulus (Röm 1,18-28), in: St. Alkier/R.B. Hays (Hgg.), Die Bibel im Dialog der Schriften. Konzepte intertextueller Bibellektüre, Tübingen 2005, 57-69. Wolke und Meer 10,1f.; Speise 10,3; Trank und Felsen 10,4; Tod in der Wüste 10,5; die Wendung ›das [alles] geschah‹ (tauta ... [typoi] ...egenēthēsan) in 10,6 bezieht sich über das Medium der genannten Abbreviaturen auf die damit aufgerufenen Erzählinhalte. Sie ist auch der Grund für Paulus, von nur einem Brot zu sprechen, obwohl in der gemeindlichen Praxis in Korinth wohl mehrere Brote verzehrt wurden. Vgl. dazu jetzt H.W. Hollander, The Idea of Fellowship in 1 Corinthians 10.14-22, NTS 55 (2009), 456-470. Vgl. dazu E. Reinmuth, Anthropologie im Neuen Testament, Tübingen 2006, 232-239. Vgl. zu dieser Wendung J. Schröter, Das Abendmahl. Frühchristliche Deutungen und Impulse für die Gegenwart, Stuttgart 2006, 35 Anm. 50. NEUERSCHEINUNG Gerhard Kaiser Die Menschwerdung Gottes im Bibeltext .JUFJOFN/BDIXPSUWPO,BSM,BSEJOBM-FINBOO 4FJUFO€ % 4'S ISBN 978-3-7720-8412-6 v(FSIBSE,BJTFSIBUEJFTFBVFSPSEFOUMJDIF4DISJGUXJFFJO7FSNÅDIU OJTHFTDISJFCFO#FJBMMFS(FMFISTBNLFJUTQÛSUNBOEBT)FS[CMVUFJOFT VSTQSÛOHMJDIFO-FTFSTEFS#JCFMj ,BSM,BSEJOBM-FINBOO A. Francke Verlag r%JTDIJOHFSXFHr%5ÛCJOHFO 5FM r'BY rJOGP!GSBODLFEFrwww.francke.de 50 ZNT 27 (14. Jg. 2011) 016911 ZNT 27 - Inhalt 24.03.11 11:08 Seite 51 Kontroverse Matthias Klinghardt Gemeindeleib und Mahlritual Sōma in den paulinischen Mahltexten Klaus Berger zum 25. November 2010 1. Im Zusammenhang seiner Ausführungen über das christliche Mahl in 1Kor 10f. verwendet Paulus das Stichwort »Leib« (gr. to sōma) drei Mal, jeweils an entscheidenden Stellen seiner Argumentation (10,16f.; 11,23.29). Was sōma hier bedeutet – und: ob es an allen drei Stellen dieselbe Bedeutung hat –, ist alles andere als eindeutig und in der Forschung umstritten. Die Hauptfrage heißt: Ist to sōma als Bezeichnung der sozialen Dimension der Gemeinschaft ekklesiologisch konnotiert? Oder bezeichnet to sōma den Körper Jesu und ist in erster Linie christologisch zu verstehen? Kompliziert wird diese Hauptfragestellung dadurch, dass an allen Stellen zwischen der sozialen und der christologischen Dimension von sōma eine Beziehung besteht. Strittig ist also, wie genau diese Beziehung zu bestimmen ist. Eckart Reinmuth hat diese Beziehung als Geschichte des gefolterten Körpers Jesu beschrieben, für die der »gebrochene Körper«, das »vergossene Blut« und der »Tod Jesu« jeweils narrative Abbreviaturen seien, und daraus gefolgert: Diese Geschichte, die letztlich die Geschichte Gottes mit den Menschen sei, benenne im Unterschied zu allen anderen Begründungsroutinen den unableitbaren Ursprung der Gemeinde und ihrer sozialen Identität. Im Unterschied zu seinen Überlegungen gehe ich davon aus, dass das, was sōma heißt, sich nicht in erster Linie von einer Geschichte her bestimmt, also von einer Größe, die erzählt oder gewusst wird, sondern von dem Mahl, das rituell erfahren wird. Das Ritual des Gemeinschaftsmahls liegt dieser spezifischen Erzählung voraus: Paulus hat das Mahl ebenso wenig »erfunden« wie die Korinther, und auch die Mähler Jesu, einschließlich seines letzten, haben diese rituelle Form von Gemeinschaft bereits vorgefunden. In diesem Sinn ist die Erzählung vom Tod Jesu, die Paulus mit den narrativen Abbreviaturen hier evoziert, gegenüber der habituellen Erfahrung in der Tat sekundär. Die Unterschiede – für die Argumentation in 1Kor 10f. ebenso wie für das Verständnis von sōma – sind auf den ersten Blick gering, aber folgenreich. Sie hängen in jedem Fall von dem Verständnis des Gemeinschaftsmahls und seines rituellen Charakters ab. Am Anfang steht daher eine Analyse der korinthischen Mahlprobleme und des paulinischen Lösungsvorschlags, denn damit hängt das Profil der theologischen Argumentation unmittelbar zusammen: Es sind gerade diese spezifischen Probleme, die sōma als zentralen Begriff für die Lösung empfehlen. In 1Kor 11 tadelt Paulus die Spaltungen, die sich während des Mahls ergeben, weil sich die Gemeindeglieder zwar zu einem gemeinsamen Mahl treffen, dazu aber jeweils ihre eigenen Speisen mitbringen und diese dann selbst verzehren. Obwohl alle zum Essen in einem Raum zusammenkommen (epi to auto, V. 20), entsteht keine Gemeinschaft, die nach Paulus’ Einschätzung diesen Namen verdient: Da alle ihre eigenen Speisen verzehren, werden die sozialen Unterschiede sichtbar. Anstelle eines wirklich gemeinsamen Mahls nehmen die Korinther ihr eigenes, individuelles Abendessen ein. Auch wenn dies in einem gemeinsamen Rahmen geschieht, bleibt es am Ende doch das jeweils eigene Abendessen (to idion deipnon V. 21). Weil die einen mehr (und vermutlich: bessere) Speisen mitbringen als andere, werden die sozialen Unterschiede zwischen Arm und Reich sichtbar: Die Habenichtse (hoi mē echontes V. 22) bleiben hungrig, die anderen sind gut gesättigt und »betrunken« (V. 21). Das Sichtbarwerden der sozialen Differenzen beim Mahl versteht Paulus als eine »Beschämung« der Armen und als Aufhebung der Gemeinschaft. Soweit die Rekonstruktion der Ausgangssituation. An diesem Verständnis sind einige Aspekte wichtig: (a) Das Phänomen der »Beschämung« setzt voraus, dass gleichzeitig und in einem Raum gegessen wurde, auch 1 wenn dabei verschiedene Speisen zum Verzehr kamen. Das heißt: prolambanein besitzt hier (wie auch sonst häufig)2 keine temporale Bedeutung und heißt nicht »(eine Speise/ein Mahl) vorwegnehmen«, sondern schlicht: »(Speisen) einnehmen/zu sich nehmen«. Die früher verschiedentlich geäußerte Vermutung, dass es in Korinth zu einem »Voressen« der Reichen gekommen sei oder dass die Habenichtse erst später oder getrennt von den Reichen gegessen hätten,3 ist unhalt- ZNT 27 (14. Jg. 2011) Das Mahlritual und seine Probleme 51 016911 ZNT 27 - Inhalt 24.03.11 11:08 Seite 52 Kontroverse bar: Sie widerspricht dem Text und ist auch sozialge- Paulus die Korinther davon überzeugen will, dass die schichtlich völlig unwahrscheinlich. Die Annahme »Beschämung« der Habenichtse theologisch gefährlich eines »ungeregelten« (also: ungleichzeitigen) Mahlbe- ist, weil sie dem Sinn des Herrenmahls entgegensteht. ginns ist gerade nicht durch irgendwelche Zeugnisse Die Begründung setzt ein mit der Herrenmahlsparadobelegbar.4 – (b) Wenn prolambanein V. 21 keinen tem- sis (11,23-25), die mit dem Anamnesisbefehl darauf poralen Sinn trägt und Paulus nicht ein separates Essen aufmerksam macht, dass das christliche Mahl in der Folge des letzten Mahls Jesu Verkritisiert, gibt es auch keinen kündigung seines Todes ist Grund, seine Lösung des Pro»Weder der ›stiftungsgemäße‹ (11,26). Beides reicht allerdings blems (11,33) temporal zu deuVollzug des korinthischen Mahls in als Begründung nicht aus: Wäre ten. Paulus schlägt nicht den Analogie zum letzten Mahl Jesu dies der Fall, hätte Paulus sich Reichen vor, auf die Armen zu noch das Bewusstsein, mit dem das Folgende (11,27-32) ja ein»warten«, sondern empfiehlt, Mahl ›den Tod des Herrn zu fach schenken können.5 Dies dass alle sich gegenseitig »annehverkündigen‹ gewährleisten für sich konnte er nicht, weil der Zusammen« (gr. ekdechesthai): Alle solgenommen den von Paulus menhang zwischen dem Tod Jesu len die zum gemeinsamen Mahl intendierten ›gemeinsinnigen‹ und dem richtigen Verhalten der mitgebrachten Speisen der EinCharakter des Mahls.« Korinther beim Mahl nicht so zelnen wie bei einer »potluck ohne weiteres erkennbar ist. Das party« untereinander aufteilen und sich gegenseitig bewirten. – (c) Der Hinweis auf aber heißt: Weder der »stiftungsgemäße« Vollzug des die »eigenen Häuser« (V. 22.34) besagt daher auch korinthischen Mahls in Analogie zum letzten Mahl nicht, dass Paulus das Sättigungsmahl vom sakramen- Jesu noch das Bewusstsein, mit dem Mahl »den Tod talen Mahl abgetrennt und in die Privathäuser verlegt des Herrn zu verkündigen« gewährleisten für sich gewissen will, sondern nur, dass der Aspekt des Sattessens nommen den von Paulus intendierten »gemeinsinnibei dem Herrenmahl nicht im Vordergrund stehen gen« Charakter des Mahls. Beide Elemente sind notdarf, weil anders man sich »zum Gericht isst oder wendige, aber nicht hinreichende Elemente des Argutrinkt« (V. 34). Der Ablauf des von Paulus kritisierten ments. Diese entscheidende Verbindung leistet erst der Mahls in Korinth (V. 20) ist daher derselbe, den er Hinweis, dass »der Leib zu unterscheiden« sei (11,29: selbst auch für seine Lösung im Auge hat (V. 34) und diakrinein to sōma). Aber was heißt »Den Leib unterscheiden«? Da das den er für das letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern (V. 23-25) voraussetzt: Es handelt sich um ein Sättigungs- Ausgangsproblem nicht in einer Geringschätzung des mahl mit der auch sonst ausnahmslos bezeugten Abfol- sakramentalen Charakters des Mahles besteht (sondern ge (Eingangsgebet –) Mahl – Libationshandlung – darin, dass alle ihre eigenen Speisen verzehren), und da Symposion. Jede Vermutung einer anderen Abfolge Paulus umgekehrt auch nicht Ehrfurcht vor den Sakrawürde eine Sonderlösung substituieren, der die über- menten einfordert (sondern die gegenseitige Bewirwältigende Menge der Zeugnisse entgegensteht und tung), kann sich diese »Unterscheidung des Leibes« die deshalb völlig unwahrscheinlich ist. Tatsächlich nicht auf den Respekt vor der sakramentalen Qualität wurde dieser Ablauf der christlichen Mahlfeiern erst im der Mahlelemente als »Leib Christi« o.ä. beziehen – 3. Jh. verändert. – (d) Legt man diesen Ablauf zugrun- auch nicht darauf, dass die Korinther die »pure Körperde, dann leuchtet ein, dass es nicht nur nach dem Mahl lichkeit des Gefolterten« und »ihre Präsenz im Mahl« eine Libationshandlung gab, die von einem Gebet verkennen und deshalb Defizite ihres Gemeinsinns in (über dem Libationsbecher) begleitet war, sondern dass Kauf nehmen. Der Foltertod Jesu gibt nicht eo ipso zu auch am Anfang ein Mahleröffnungsgebet über dem erkennen, inwiefern er die von Paulus eingeforderte Brot stand: Weil das Brot als Essbesteck diente, begann Gemeinschaft der Korinther zu begründen in der Lage ist: Er ist nicht an sich gemeinsinnig. Am nächsten das Mahl mit seiner Verteilung. liegt daher, den zu unterscheidenden Leib auf die Gemeinschaft der Esser zu beziehen: Sie sollen sich selbst 2. Die Mahlteilnehmer als Ein Leib als »ein Leib« verstehen. Der »Leib« ist nicht, was die Gemeinde isst (eine besondere, sakramentale Speise), Von dieser Rekonstruktion des Ausgangsproblems sondern was sie ist: eine korporative Einheit. (11,17-22) und der empfohlenen Lösung (11,33f.) ist Dass sōma in 11,29 diese korporative Qualität der die Begründung (11,23-32) zu unterscheiden, mit der sozialen Einheit aussagt, wird auch an der ganz analo- 52 ZNT 27 (14. Jg. 2011) 016911 ZNT 27 - Inhalt 24.03.11 11:08 Seite 53 Matthias Klinghardt Gemeindeleib und Mahlritual Matthias Klinghardt Prof. Dr. Matthias Klinghardt, Jahrgang 1957, 1986 Promotion und 1993 Habilitation (Neues Testament) in Heidelberg, 1988/89 Rice University, Houston (Tx), 1989 bis 1998 Assistent an der Universität Augsburg, seit 1998 Professor für Biblische eologie an der TU Dresden. wir alle an dem einen Brot teilhaben (metechein)« (10,17). Deutlicher als hier lässt sich nicht sagen, dass to sōma nicht den Körper Jesu, sondern die Gemeinschaft der Esser bezeichnet. Mit Blick auf den gesamten Zusammenhang ab 10,1 muss man wohl sagen, dass Paulus zirkulär argumentiert. Denn im Grunde führt er aus: Eine Gemeinschaft, die gemeinsam isst (10,3), ist eine Gemeinschaft, die gemeinsam isst (10,16f.). Dass die zugrundeliegende Denkfigur (nicht das ausgeführte Argument) tautologisch ist, ist nicht von ungefähr. Paulus kann eine soziale Gemeinschaft gar nicht anders denn als Mahlgemeinschaft denken: Die Einheit 7 einer Gruppe ist ihr gemeinsames Mahl. Dass diese Einheit anhand des einen Brotes demonstriert wird, ist – wie die religions- und traditionsgeschichtlichen Analogien zeigen8 – nicht nur in hohem Maß charakteristisch, sondern erläutert auch das Verständnis der »Unterscheidung des Leibes« in 11,29: Weil alle an dem einen Brot Anteil haben und es unter sich aufteilen, werden sie zu einem Leib. Wenn Paulus die Korinther in 11,29 zur Anerkennung ihrer besonderen sozialen Qualität als korporative Einheit auffordert, dann intendiert er genau dieses Verhalten: Dass sie sich gegenseitig Anteil an den mitgebrachten Speisen geben. gen Verwendung des Wortes in 1Kor 10 deutlich. Hier argumentiert Paulus gegen die Teilnahme von Christen an paganen Kultmählern. Nachdem er sichergestellt hat, dass Anteilhabe an derselben Speise und an demselben Trank Einheit und daher Heil gewährleistet (10,1-4), sowie in 10,5-13 die Wüstengeneration als warnendes Beispiel für die Aufkündigung dieser EinMein Leib für euch heit angeführt hat, zieht er in 10,14ff. die Konsequenz. 3. Die Korinther sollen pagane Kultmähler meiden (»Götzendienst«!), weil dies die Einheit ihres eigenen Damit bleibt zum Schluss die Erwähnung von sōma im Mahles aufheben würde: Der Segensbecher ist die Ge- sog. Brotwort der Herrenmahlsparadosis: Weil Paulus meinschaft des Blutes Christi, das Brot ist die Gemein- Tradition zitiert, ist zumindest denkbar, dass sōma hier schaft des Leibes Christi (10,16). Zur Vermeidung von eine andere Bedeutung hat. Aber das ist nicht der Fall, Missverständnissen sei gleich hinzugefügt, dass die wie die Parallelität zum sog. Becherwort zeigt. Bevor Ausdrücke koinōnia tou haimatos bzw. sōmatos tou man nach dem Sinn der Deutungen (»mein Leib«; Christou nicht »Teilhabe an …« bedeuten können.6 Es »neuer Bund in meinem Blut«) fragt, ist es wichtig zu geht nicht um »sakramentale Teilhabe« an Christus wissen, was genau durch sie gedeutet wird. Längst ist erkannt, dass das Brotwort sich oder an seinem Tod. In beiden nicht auf das Brot, sondern auf Ausdrücken ist die Verbindung »Der ›Leib‹ ist nicht, was die den gesamten Gestus der Mahlvon »Gemeinschaft« einmal mit Gemeinde isst […], sondern was sie eröffnung bezieht. Ganz analog »Blut Christi«, einmal mit »Leib ist: eine korporative Einheit.« dazu deutet das sog. Becherwort Christi« zwar syntaktisch paralnicht den Inhalt des Bechers lel, nicht aber semantisch gleichbedeutend: Die »Gemeinschaft des Blutes« ist die Ge- (mutmaßlich Wein), sondern den »Segensbecher, den meinschaft, die aufgrund des Blutes – also des gewaltsa- wir segnen« (10,16), also den Becher, der im Rahmen men Todes Jesu – existiert. Von der »Gemeinschaft des der Libationshandlung nach dem Mahl (und vor dem Leibes« lässt sich jedoch nicht sagen, dass die Gemein- Symposion) vergossen (gelegentlich auch einmal gede eine Einheit aufgrund des (dahingegebenen?) Kör- trunken) wurde. Beide Handlungen, die Mahleröffpers Christi ist. Denn Paulus führt sehr deutlich im nung und die Libation, waren von Gebeten (ganz ana9 nächsten Satz aus, dass »wir vielen ein Leib sind, weil log zu Did 9f.) begleitet. ZNT 27 (14. Jg. 2011) 53 016911 ZNT 27 - Inhalt 24.03.11 11:08 Seite 54 Kontroverse Die Unverfügbarkeit der Gemeinschaft Im Zitat der Überlieferung vom letzten Mahl deu- 4. tet Jesus den Libationsbecher und sagt: »Dieser Becher im Ritual ist der neue Bund in meinem Blut.« Dass die Libation der Bund ist (also nicht: ihn versinnbildlicht, repräsen- Nach meiner Überzeugung bezeichnet sōma an allen tiert o.ä.), ist nicht ungewöhnlich. Im Griechischen drei der genannten Stellen die korporative Einheit der sind Libationen anlässlich eines Friedensschlusses zum Gemeinde als ein Leib; dass dies auch jenseits der FraSynonym für diesen Friedensgen des Mahls gilt, sei hier nur 12 schluss geworden: Die Libation Darüber hinaus angemerkt. »Das gebrochene Brot verweist 10 ist der Friede, den sie besiegelt. sind vor allem drei Fragekreise nicht auf den gebrochenen Körper Genau so ist die Deutung des spannend – und natürlich stritJesu: Der Tod Jesu ist weder im Becherworts zu verstehen: Der tig: Eröffnungsgestus noch in der Libationsbecher, d.h. der Vollzug 1.) Der erste betrifft den Tod Deutung des ›Brotwortes‹ präsent.« der Libation, ist der neue Bund. Jesu als gemeinschaftsfundierenInwiefern dieser Bund durch das des Ereignis. Dass Paulus dem Blut Jesu ermöglicht wurde, führt Paulus nicht aus; Tod Jesu eine entscheidende und unverzichtbare Funkaber dies tut er auch an zahlreichen anderen Stellen tion für die Bestimmung christlicher Identität zuweist, nicht, an denen er die soteriologische Bedeutung des steht außer Frage, wie ja nicht zuletzt die HerrenmahlsTodes Jesu nur erwähnt, sie aber nicht erläutert. In paradosis sehr deutlich zeigt. Aber der Tod Jesu ist jedem Fall ist klar, dass Paulus zwischen der Ermögli- nicht automatisch »gemeinsinnig«: Dass er nicht nur chung des neuen Bundes durch den Tod Jesu und sei- die individuelle Identität jedes einzelnen Christen definer konkreten Realisierung im Mahl unterscheidet. niert, sondern auch die Gemeinschaft der Christen unDer neue Bund, der nach Jer 31(38 LXX) – und im tereinander begründet, ergibt sich nicht unmittelbar. Unterschied zu Ex 24 – gerade die Gleichheit der Dazu bedarf es der vermittelnden Kategorie des Mahls, menschlichen Bundesgenossen betont,11 konstituiert das nun in der Tat – lange vor und lange nach Paulus – sich im Mahlritual und gewährleistet dadurch die Ein- die entscheidende Instanz war, in der die Antike heit der Mahlgemeinschaft. Gemeinschaft erfahren hat. Diese Verbindung von Ganz analog dazu ist auch die Deutung des Mahl- Mahl und Tod Jesu zeigt Paulus, indem er den Tod Jesu eingangs zu verstehen: Wenn Jesus den Mahleröff- in der Deutung der Libation als Begründung des nungsgestus der Verteilung des Brotes als »mein Leib Neuen Bundes benennt. Der Tod Jesu ist die Vorausfür euch« deutet, dann ist damit gemeint, dass die setzung für den Neuen Bund, der bei der Libation in Einzelnen, die sich zum Mahl niederlassen und von Kraft gesetzt und Wirklichkeit wird. Es ist gewiss bediesem einen, gemeinsamen Brot essen, zu einem Leib zeichnend, dass diese zentrale Verbindung ihren rituelwerden: Die Gemeinschaft entsteht im Mahl und als len Ort während des Mahls in der ganz besonders heMahlgemeinschaft. Diese neue Qualität kommt »euch rausgehobenen Libationszeremonie hat: Dies ist tradizugute« – mehr ist aus dem »für euch« nicht herauszu- tionell der Ort, an dem die kollektive Identität versilesen: Dass das Brot »gebrochen« wird, trägt keine chert und, so lässt sich vermuten, in den Gebeten auch Betonung, sondern ist unvermeidlich und geschieht in express gemacht wurde. Wie solche Libationsgebete zur jedem Mahl. Das gebrochene Brot verweist nicht auf Fundierung religiöser Gemeinschaften in christlichem den gebrochenen Körper Jesu: Der Tod Jesu ist weder Horizont ausgesehen haben, zeigt vor allem Did 10 – im Eröffnungsgestus noch in der Deutung des »Brot- allerdings ohne den Tod Jesu zu erwähnen. Während wortes« präsent. Paulus den Tod Jesu im Zusammenhang der Libation Die entscheidende Einsicht besteht m.E. darin, erwähnt, kommt er im Zusammenhang der Mahleröffdass weder Paulus selbst noch das von ihm zitierte Tra- nung nicht vor: Dass die Gemeinde zu einem Leib ditionsstück von 11,23-25 davon ausgehen, dass sich wird, konnte Paulus auch ohne die Erwähnung des die sog. Deuteworte auf die »Mahlelemente« beziehen: Todes Jesu denken. Aber nicht ohne das Mahl. Nicht Brot und Wein sind die herausgehobenen Haft2.) Ein zweiter Aspekt hängt damit eng zusammen. punkte der Deutung, sondern das Ritual selbst. Wenn Eckart Reinmuth argumentiert, dass die christliche Gemeinschaft letztlich auf der Geschichte des gefolterten Körpers Jesu basiert, dann legt er dafür die Kategorie der Erzählung zugrunde, die erzählt, erinnert oder auch vergessen werden kann. Der Umstand, dass 54 ZNT 27 (14. Jg. 2011) 016911 ZNT 27 - Inhalt 24.03.11 11:08 Seite 55 Matthias Klinghardt Gemeindeleib und Mahlritual Paulus im Zusammenhang des Todes Jesu ausdrücklich zur anamnēsis auffordert (11,24f ), scheint seine Ansicht zu bestätigen. Allerdings versteht Paulus die Erinnerung an den Tod Jesu nicht als mnemonischen Akt des Gedenkens, sondern fordert zu einem rituellen Handeln auf: »Tut dies …!« Der Modus der »Erinnerung« ist rituelle Vergegenwärtigung, indem beim Mahleröffnungsritus bzw. der Libation die Wirkungen dieses Geschehens in Kraft gesetzt werden. Anders gesagt: Paulus hätte nicht direkt formulieren können, dass die Korinther an der Geschichte des gefolterten und getöteten Körpers Jesu teilhaben sollen. Vielmehr haben sie Teil an dem einen Brot (1Kor 10,17), das sie zu einer Gemeinschaft macht. Die für die Fundierung der Gemeinschaft grundlegende Kategorie ist das Ritual, nicht eine Geschichte. 3.) Ein letzter Aspekt betrifft die weitreichende Frage der Begründbarkeit von Gemeinschaften: Welche Mechanismen sind dafür verantwortlich, dass sie, allen Eigeninteressen zum Trotz, den für Zusammenhalt und Fortbestand nötigen Gemeinsinn entwickeln? Reinmuth verweist völlig zu Recht auf die Tabuisierungen und Transzendierungen, die die Unhintergehbarkeit von Begründungsprozessen sicherstellen, und deutet an, dass die frühchristliche Gemeinschaftsbegründung in der Geschichte Gottes in Christus darin einzigartig sei, dass sie den »Begründungsroutinen reichsrömischer Macht zuwider« lief. Dies trifft vermutlich zu, ist m.E. aber wenig aussagekräftig. Denn für Paulus liegt die primäre Gemeinschaftsbegründung im Mahl und seinem rituellen Vollzug. Dadurch ruft er Wertvorstellungen und Verhaltensnormen ab, zu denen auch die Gemeinschaft der Mahlteilnehmer und ihr Selbstverständnis als eine korporative Einheit gehören. Weil dieser Wertekanon längst kulturelles Allgemeingut war, konnte es über das angemessene rituelle Verhalten einer Gruppe im Mahl keine Diskussionen geben: Der gesellschaftliche Habitus stellt die primäre und unvordenkliche Transzendierung der Gemeinschaft dar. Die Verknüpfung dieses rituellen Habitus mit der Geschichte Jesu und seines Todes, die Paulus im sog. Becherwort vornimmt, ist demgegenüber in der Tat sekundär und auch verzichtbar – wie beispielsweise die Mahlgebete der Didache zeigen, die ohne diesen spezifischen Begründungszusammenhang auskommen. Anmerkungen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 ZNT 27 (14. Jg. 2011) Vgl. O. Hofius, Herrenmahl und Herrenmahlsparadosis. Erwägungen zu 1Kor 11,23b-25, in: ders., Paulusstudien (WUNT 51), Tübingen 1989, 203-240: 220 mit Anm. 98. Belege bei M. Klinghardt, Gemeinschaftsmahl und Mahlgemeinschaft. Soziologie und Liturgie frühchristlicher Mahlfeiern (TANZ 13), Tübingen/Basel 1996, 289; Hofius, a.a.O., 218. Vgl. z.B. G. Bornkamm, Herrenmahl und Kirche bei Paulus, in: ders., Studien zu Antike und Urchristentum. Gesammelte Aufsätze II (BEvTh 28), München 31970, 138-176; H.-J. Klauck, Herrenmahl und hellenistischer Kult. Eine religionsgeschichtliche Untersuchung zum ersten Korintherbrief (NTA N.F. 15), Münster 1982, 291ff; G. Theissen, Soziale Integration und sakramentales Handeln. Eine Analyse von 1 Cor. XI 17-34, in: ders., Studien zur Soziologie des Urchristentums (WUNT 19), 2 Tübingen 1983, 290-317. Gegen M. Konradt, Gericht und Gemeinde (BZNW 117), Berlin/New York 2003, 406ff., der an der Vorstellung eines ungleichzeitigen Beginns festhalten will und auch eine räumliche Trennung des Mahls der Reichen und der Armen erwägt. Aber Paulus verortet das kritisierte Verhalten zweifelsfrei in einem Mahl, zu dem alle an einem Ort zusammenkommen (11,20f ). Die Hartnäckigkeit, mit der sich die Annahme eines »Voressens« der Reichen hält, ist ebenso ärgerlich wie unverständlich: Sie hat das gesamte sozialgeschichtliche Material gegen sich, das an keiner Stelle erkennen lässt, dass es so etwas gegeben hat, vgl. Klinghardt, Gemeinschaftsmahl 281ff; D.E. Smith, From Symposium to Eucharist. The Banquet in the Early Christian World, Minneapolis 2003, 13-172; H. E. Taussig, In the Beginning Was the Meal. Social Experimentation and Christian Identity, Minneapolis 2009, 21-54. Angesichts der eindeutigen Verteilung der Belege fällt die Beweislast denen zu, die ein zeitversetztes Essen als Grundproblem annehmen; methodisch wäre es geboten, diese Annahme nicht nur durch Hinweise auf die Sekundärliteratur, sondern durch Quellenbelege zu untersetzen. Die komplexe Struktur der paulinischen Begründung wird vor allem an den verwendeten Konjunktionen deutlich: Causale (11,23.26.29), konsekutive (11,27.30.33) und finale (11,32.34); zur Analyse vgl. Klinghardt, Gemeinschaftsmahl, 303ff. So z.B. die Einheitsübersetzung, Wilckens u.a. Vgl. jetzt zu Recht dagegen N. Baumert, Koinonein und Metechein. Eine umfassende semantische Untersuchung (SBB 51), Stuttgart 2003. Aus diesem Grund reicht es nicht aus zu sagen, dass die Feier des Gemeinschaftsmahls das »stärkste Sinnbild christlicher Gemeinschaft« sei (Reinmuth). Cum grano salis formuliert: Die Einheit der Gemeinschaft basiert nicht auf der Einschreibung in dieselbe Körpergeschichte, sondern: die Einheit des Leibes entsteht durch Einverleibung desselben Brotes, an dem alle teilhaben. Belege und weitere Lit. bei Klinghardt, a.a.O., 310ff. Der »Segensbecher, den wir segnen« bezieht seine beson- 55 016911 ZNT 27 - Inhalt 24.03.11 11:08 Seite 56 Kontroverse 10 dere Qualität also in erster Linie aus dem Ritual, nicht aber aus der Verbindung mit der Lebenshingabe Jesu (gegen M. Karrer, Der Kelch des neuen Bundes. Erwägungen zum Verständnis des Herrenmahls nach 1 Kor 11,23b-25, BZ 1990 198-221: 215): In jedem antiken – paganen, jüdischen, christlichen – Mahl wird der Libationsbecher »gesegnet«. Vgl. LSJ s.v. spondē. So heißt beispielsweise die olympische Waffenruhe »hai olympiakai spondai« (Thuk. V 49). Besonders schön bringt Aristoph., Acharn. 186-196 zum 11 12 Ausdruck, dass die Spende und der dadurch besiegelte Friede ein und dasselbe sind. Jer 31(38),34 LXX: Aufgrund der Internalisierung der Gebote werden »alle mich kennen«, was in der Folge die Unterschiede zwischen Groß und Klein nivelliert. Zu sōma als Metapher sozialer Einheit vgl. M. Klinghardt, Unum Corpus. Die genera corporum in der stoischen Physik und ihre Rezeption bis zum Neuplatonismus, in: Religionsgeschichte des Neuen Testaments (FS Klaus Berger), Tübingen 2000, 191-216. Das Lehrbuch für BA- und Lehramtsstudiengänge Stefan Alkier Neues Testament UTB basics 2010, 325 Seiten, €[D] 19,90/SFr,00 ISBN 978-3-8252-3404-1 Den Theologiestudierenden in Bachelor- und Lehramtsstudiengängen stehen für den Erwerb der nötigen Grundkenntnisse im Fach Neues Testament in der Regel nur wenige Lehrveranstaltungen zur Verfügung. Zugeschnitten auf dieses Zielpublikum bietet das durch ein Online-Lernportal ergänzte Lehrbuch eine Einführung in die historischen, literaturwissenschaftlichen, hermeneutischen und theologischen Grundlagen der neutestamentlichen Wissenschaft - elementarisiert, aber nicht simplifiziert; wissenschaftlich up to date, aber ohne bibelwissenschaftliche Vorbildung oder Kenntnisse der alten Sprachen vorauszusetzen. Historische, theologische und gegenwartsorientierte Fragestellungen verbinden sich zu einem schlüssigen Konzept. A. Francke Verlag r%JTDIJOHFSXFHr%5ÛCJOHFO 5FM r'BY rJOGP!GSBODLFEFrwww.francke.de 56 ZNT 27 (14. Jg. 2011)